Sonntag, 29. Dezember 2024

Der prägende Charakter des Ersterlebnisses der Geschlechtlichkeit als Paar

Das gemeinsame Entdecken der Sexualität als Paar
- Das Erleben der Urgewalt der Geschlechtlichkeit
- Die Ersterfahrung der Sexualität prägt tiefgehender für das weitere Leben
- Das "Erste Mal" wirft Licht oder Schatten auf das weitere Leben

Frauen, die bei ihrem "Ersten Mal" einen Orgasmus erleben, haben fünf bis zehn Jahre später genauso viel Lust auf Sex wie Männer. Allerdings sind das aktuell nur 12 % aller heterosexuellen Frauen. (Und dabei sind solche, die das Erste Mal als Kind und/oder erzwungen erlebt haben, schon heraus gerechnet.) (1)*)

Abb. 1: Ein Mann und eine Frau - Skulptur von Stephan Abel Sinding (1846-1922), 1889

Das ist - kurz gefaßt - das Ergebnis einer kanadischen Forschungsstudie, die 2022 prominent erschienenen ist (1). Sie will darauf aufmerksam machen, daß die beträchtlichen Geschlechtsunterschiede in der Sehnsucht nach geschlechtlicher Vereinigung (das sogenannte "gender gap" diesbezüglich) zu größeren Teilen "erlernt" sein könnten und nicht "naturgegeben", sprich angeboren sind. Und zwar erlernt und "geprägt" in beträchtlichem Umfang während der "sensiblen Phase" des Ersterlebnisses der Geschlechtlichkeit mit einem anderen Partner.

Schon seit hundert Jahren ist in der Sexualpsychologie davon die Rede, daß das Ersterlebnis der Geschlechtlichkeit mit einem Partner eine starke, prägende Macht für beide Geschlechter besitzt. Seit Konrad Lorenz entdeckte, daß es Prägung und prägungsähnliches Lernen gibt, und noch mehr seit die besondere Rolle des Bindungshormons Oxytocin erkannt worden war nicht nur für die Bindung zwischen Eltern und Kind, sondern auch für die Bindung der Geschlechter untereinander, hatte schon immer gemutmaßt werden können, daß das Ersterlebnis der Geschlechtlichkeit als Paar ein prägungsähnlicher Lernvorgang sein könnte. Und diese Vermutung erhält nun durch die neue Studie deutliche Bekräftigung.

Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht kann gesagt werden: Daß das Ersterlebnis der Geschlechtlichkeit ein sehr prägender Vorgang sei, war schon im Jahr 1919 einer der Grundgedanken eines damals erschienenen Buches, nämlich von Seiten einer deutschen Psychiaterin und Frauenrechtlerin. Diese hat zu jener Zeit über die Inhalte ihres Buches auch viel besuchte Vorträge an der Universität München gehalten. Sie schrieb über ein ernstes Gesetz der Geschlechtlichkeit, der Sexualität, von ihr auch "Paarungswillen" benannt, das sagt (2, S. 63) ..

... daß die Art und Weise, in der der einzelne Mensch zum ersten mal in seinem Leben die Beglückung erlebte, weitgehend den Ausschlag gibt für die Art und Weise, in der sich dies Erleben am sichersten wiederholt.

Oder an anderer Stelle (2, S. 78):

Die Gesetzmäßigkeit der Eigenart des Erlebens im Einzelleben wird für das ganze Leben in hohem Grade bestimmt durch die Art der ersten Erlebnisse der Beglückung in der Jugendzeit.

Das Wort Beglückung war in späteren Auflagen ihres Buches als Eindeutschung des Wortes Orgasmus benutzt worden. Dieses Buch beschäftigt sich über viele, viele Seiten und Kapitel hinweg mit der scheinbar geringeren Orgasmus-Fähigkeit der Frauen im Vergleich zu der der Männer. Sie schreibt darüber etwa einleitend auch (2, S. 37):

Angesichts der Versuchung für die ärztliche Wissenschaft, einen allerdings "unnatürlichen" Zustand mit Krankheit zu verwechseln, müssen wir es fast begrüßen, daß erst in allerjüngster Zeit die Tatsache beachtet und bemerkt und mit einem Namen benannt wurde, daß sich überhaupt erst ein einziger Mediziner (O. Adler) eingehend mit der sogenannten "Frigidität" oder "Kälte" der Frauen befaßt hat.

Sie bezieht sich hier auf ein klassisches Werk der Sexualforschung mit dem Titel "Die mangelhafte Geschlechtsempfindung des Weibes" (1906, 1910 und 1919) (Arch). Der Autor Otto Adler (geb. 1864) wirkte als Sanitätsrat und Arzt in Berlin.

Abb. 2: Der Kuß - Skulptur von Auguste Rodin, 1880

Einige Seiten weiter wurde ausgeführt, beim weiblichen Geschlecht zeige sich (2, S. 83) ...

... innerhalb des Einzellebens ein Anwachsen der Hormonbildung, also auch die Eignung zum Erleben der Beglückung (der orgastischen Fähigkeit), welche ihren Höhepunkt erst ein Jahrzehnt später als beim männlichen Geschlecht, also in dem dritten und vierten Jahrzehnt erreicht. (...) Die Abgabe der betreffenden Hormone an den Blutkreislauf wird bis zu gewissen Grenzen neu angeregt durch das Erleben der Beglückung, so daß also allmählich durch ein häufiges Erleben derselben (...) auch vom weiblichen Geschlechte eine dauernde Erregbarkeit erworben werden kann.

Die genannte Studie aus dem Jahr 2022 hatte nun nur Männer und Frauen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr befragt.

Nach den eben zitierten Worten könnten sich die Zahlenverhältnisse in späteren Lebensjahrzehnten womöglich noch einmal verändern. Das scheint zwar durch Forschungsstudien wie jene von 2022 noch nicht ähnlich gut erforscht zu sein. Allerdings wird dieses Thema ja inzwischen in einer umfangreichen Literatur auch umfangreich behandelt, oft auch nur aufgrund von einzelnen Lebensgeschichten. Greifen wir aus dieser willkürlich ein Fallbeispiel heraus:

Frau, Jahrgang 1955, DDR, uneheliches Kind, als Erwachsene langjährige Bankangestellte. Die Mutter war immer sehr verklemmt. Noch am Badestrand hat die Mutter sorgsam darauf geachtet, daß ihr Rock nicht über die Knie hoch gerutscht ist. Mit 17 Jahren erlebte die Tochter ihr Erstes Mal. Es war für sie "nichts", weder positiv noch negativ in irgendeiner Weise bemerkenswert. Mit demselben Partner war sie dann 25 Jahre verheiratet und hatte mit ihm zwei Kinder. Die Pille, die sie nahm, roch schrecklich. Sie wollte oft auf der anderen Seite aus dem Bett wieder hinaus, da sie so gar keine Lust auf Sex hatte. Der Sex fand auch immer unter der Decke statt, geziert und "geschamig". Einen Orgasmus, so sagt sie, hat sie dabei vermutlich nie erlebt. Die Lust auf Sex nahm auch immer mehr ab, da sie eben gar keinen Orgasmus erlebt hat. Das wurde ihr aber, so sagt sie, erst später klar: "Wenn beide keine Ahnung haben, verklemmt aufgewachsen sind, woher soll dann die Erfahrung, das Wissen kommen? Wir lebten in der Ehe wie unter einer Glocke, waren beide verklemmt und auch nicht experimentierfreudig." Schließlich ist ihr Mann nach 25 Ehejahren gestorben. Es gab eine längere Trauerzeit.

Dann hatte sie eine Affäre mit einem Mann, in der sie den Sex zum ersten Mal als spektakulär, außergewöhnlich, ungehemmt und mit Orgasmus erlebt hat. Seither ist sie sexuell sehr aktiv, rege, interessiert,  sie hat Orgasmen wie Tsunamis, wie überwältigende Naturereignisse, die für sie selbst wie für den Mann als zutiefst befriedigend erlebt werden.

Ein solches Fallbeispiel erscheint uns wesentlich, um das Ergebnis der Forschungsstudie von 2022 auch noch in einen größeren Rahmen einordnen zu können. Zwischen ihrem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr würde die beschriebene Frau genau zu dem passen, was in der Studie festgestellt worden war. Aber die Lebensphase danach ist eben von der genannten Studie noch nicht in Augenschein genommen worden und sie zeigt, daß sich da doch noch etwas sehr beträchtlich weiter entwickeln konnte. 

Abb. 3: Gemälde von Michelangelo in der Sixtinische Kapelle (Das erste Menschenpaar), 1509 (Wiki)

Schon 1919 aber war vermutungsweise geäußert worden, daß Frauen, die eine solche volle orgastische Fähigkeit entwickelt hätten, das Klimakterium nicht mit so starken hormonellen Schwankungen erleben würden, wie dies eben viele Frauen erleben, bei denen sich diese Fähigkeit nicht entwickelt hätte (2, S. 83):

Das ist auch der Grund, weshalb diese Jahre des Klimakteriums für alle die Frauen, deren Paarungwille voll entwickelt ist, die Beglückung erlebt haben, allem Anschein nach nicht die große und plötzliche Umwälzung bedeutet wie für die ungeweckten Frauen.

Und einige Seiten weiter hieß es in diesem Buch von 1919 (2, S. 89):

Leider ist die Art der Gemeinschaft, die das Mädchen zur Frau erwecken soll, oft sehr wenig dazu angetan, die Vorstellung von der Sündhaftigkeit und Unreinheit der "Sinne" siegreich beseitigen zu können. Denn in sehr vielen Fällen ist der betreffende Mann gerade zur Erfüllung dieser Aufgabe (...) auffallend wenig geeignet.

Und an diesem Umstand hat sich mehr als hundert Jahre später - nach "sexueller Revolution" und nach gesellschaftsweiter sexueller Aufklärung in allen Formen und Varianten, nach Pornographisierung ganzer Gesellschafts- und Kulturbereiche so gut wie gar nichts geändert. So daß der letztzitierte Satz ebenso gut auch von den beteiligten Forscherinnen der Studie von 2022 hätte stammen können, die sich nämlich in ganz ähnlichem Sinne äußern.

Einiges zum Stand des Nachdenkens und Forschens über diese Thematik im Jahr 1919

1919 wurde weiter ausgeführt (2, S. 89):

Wäre nicht die Vorbedingung, daß das männliche Geschlecht die zarteste Rücksicht nähme auf die langsame, so sehr verschiedene Entfaltung der orgastischen Fähigkeit beim Weibe? (...) Wäre es nicht Vorbedingung, daß der Mann seine Wünsche durch diejenigen der Frau ebenso sehr bestimmen ließe, wie sie sich von seinen Wünschen leiten läßt? (...) Wäre es nicht von ungeheurer Wichtigkeit, daß auch beim männlichen Geschlecht die Vergeistigung möglichst unterstützt würde, statt daß man sie verhindert? So sehen wir durch die heute herrschenden unnatürlichen und unerfreulichen Gewohnheiten die Vollentwicklung vieler Frauen sehr erschwert. (...) Entwickelt werden beim weiblichen Geschlechte selbstverständlich, ebenso wie beim männlichen, der Paarungwille und auch die Minne nur durch das Erleben der Beglückung.

Auch mit den letztzitierten Worten wird schon 1919 fast diesselbe Aussage getätigt wie sie nun durch eine kanadische Forschungsstudie des Jahres 2022 bestätigt worden ist, wo auch festgestellt wird: nur durch das Erleben des Orgasmus während des Ersterlebnis entsteht in der Frau in den weiteren Lebensajahren ebenso viel Lust an der Geschlechtlichkeit wie beim Mann.

Abb. 4: Zwei Menschen, Skulptur von Josef Thorak, 1938

Über die Folgen des womöglich vor allem durch Umwelteinflüsse entstandenen Geschlechterunterschiedes in Bezug auf die Lust auf geschlechtliche Vereinigung hieß es 1919 weiter (2, S. 91):

Die Zahl der Frauen, die bei der Paarung an sich die Beglückung nicht oder nur selten erlebt, wird wohl ungefähr mit 60 % angegeben werden. Viele Erfahrungstatsachen der ärztlichen Sprechstunde weisen allerdings daraufhin, daß in Wirklichkeit ihre Zahl ganz erheblich größer ist. (...) (Denn) wegen der gänzlich falschen Vorstellungen machen fast alle ungeweckten Frauen in diesem Punkte zunächst auch vollständig falsche Angaben. (...) Selbstverständlich bewirkt die Gemeinschaft bei den meisten Frauen eine starke Erregung und erweckt auch Wohlempfinden bei fast allen ungeweckten Frauen dank der "erogenen Zonen", was dann mit dem Erleben der Beglückung einfach verwechselt wird. (...) Diese Gesetzmäßigkeit (...) lastet wie ein Fluch des Mißverstehens und der Zerstörung über unzähligen Ehen. All diese Frauen leben unter ungesunden Verhältnissen, ihre nervöse Reizbarkeit, ihre ungeklärte Bitterkeit und andere Folgeerscheinungen unterwühlen die Zuneigung zum Mann. Aber gerade die gesteigerte Erregung, die viele dieser armen Frauen zeigen, verbirgt ihnen und dem Mann die Tatsache ihrer Ungewecktheit meist vollends.

Es wird auch heute noch keinerlei Zweifel unterliegen können, daß sich der genannte - offenbar zu nicht geringen Teilen während des Ersterlebnisses erworbene (!?!) - Geschlechtsunterschied in Bezug auf die Lust zur geschlechtlichen Vereinigung weitreichende Auswirkungen auf die eheliche Zufriedenheit und damit das familiäre Glück von Millionen Menschen weltweit und schließlich auch auf die Erfahrung von Scheidungskindern hat.

An anderer Stelle wird noch einmal deutlich hervorgehoben (2, S. 92):

Aus diesen Tatsachen geht nun klar hervor, daß die Beglückung der Frau im hohen Grade abhängig ist von der Stärke des Wunsches beim Manne, ihr dieselbe zu bereiten.

Ja, schon im Jahr 1919 ist man noch viel weiter gegangen (2, S. 96):

Auch für die geistige Schöpferkraft des weiblichen Geschlechtes muß es von weittragender Bedeutung sein, daß ein großer Teil der Frauen ungeweckt durchs Leben geht. (...) Wir finden von schaffenden Geistern häufig beteuert, daß die Beglückung eine erhöhte Schaffenskraft auslöst, während wieder andere versichern, daß das Entbehren der Beglückung den Schaffensdrang steigert und die schöpferische Leistung ein Ersatzausgleich sei. So widerspruchsvoll diese Angaben auch sind, so viel läßt sich heute schon mit Sicherheit aus der Lebensgeschichte der Schaffenden ableiten: die Minne muß zu vollem Leben erweckt, die Beglückung irgendwann einmal erlebt sein, oder aber sie muß bewußt entberhrt und ersehnt sein, wenn die Schaffenskraft zur vollen Blüte gelangen soll. Aber ein Erleben der Paarung ohne Erleben der Beglückung stumpft die Schaffenskraft ab.

Man wird sich womöglich an die lebenslang entfaltete starke Schaffenskraft einer Dichterin wie Agnes Miegel erinnert fühlen, die durch ein offenbar sehr leidenschaftlich und vergeistigt erlebtes Ersterlebnis mit dem Dichter Borries von Münchhausen zumindest nicht abgestumpft worden ist. In einer Fülle von Gedichten des dritten Lebensjahrzehnts von Agnes Miegel zittert diese leidenschaftliche Begegnung mit Borries von Münchhausen nach, obwohl die Dichterin diesen Umstand vor der Öffentlichkeit bis an ihr Lebensende sorgsam verborgen gehalten hat.

Abb. 5: Gemälde von Hermann Körschner (1907-1945) (Titel "Zwei deutsche Menschen"), 1938 (Inv)

Schon in früheren Kapiteln des Buches von 1919 wird auf Gesetzmäßigkeiten der Beglückung beider Geschlechter hingewiesen wie sie aus der Evolution der Geschlechtlichkeit abgeleitet werden können. Schon bei den Fischen nämlich sei ein "Nacheinander" von Eiablage durch das Weibchen und Besamung durch das Männchen zu beobachten, was beides schon zumindest mit Wohlempfinden auf Seiten der beteiligten Tiere verbunden sei. Daraus leitet die Autorin für das Wohlempfinden, bzw. den daraus evoluierten Orgasmus ab (2, S. 23):

Wir begreifen, daß es zeitlich nacheinander folgen muß, so zwar, daß das männliche Geschlecht es erst später erlebt. Dieses Grundgesetz des zeitlichen "Nacheinander der Beglückung" bleibt bis in die höchsten Entwicklungsformen in der Mehrheit der Fälle erhalten. (...) Endlich wollen wir nicht vergessen (...), daß der Zeitpunkt der geschlechtlichen Betätigung in den stammesgeschichtlich ältesten Zeiten vom weiblichen Tiere bestimmt wurde, da sich ja die Absonderung der männlichen Fortpflanzungszellen mit Gesetzmäßigkeit der weiblichen Eiablagerung anschließt.

Und einige Seiten weiter heißt es diesen Gedanken weiter führend (2, S. 32):

Deshalb blieb die Ungleichzeitigkeit bis auf den heutigen Tag in der großen Mehrheit der Fälle bestehen, und die Beglückung ist für das weibliche Geschlecht nur dann gesichert, wenn sie bei der Gemeinschaft früher eintritt als beim männlichen Geschlecht.

Der Orgasmus der Frau soll also eintreten vor dem Orgasmus des Mannes, ein Gedanke, der inzwischen auch in der heutigen Ratgeber-Literatur sehr häufig benannt ist. 

In einem weiteren Kapitel ("Entwicklung des Paarungswillens zur Minne") wird sehr ausführlich darauf eingegangen, wie es beim Menschen zur Vergeistung des Paarungswillens, zur Beseelung der Geschlechtlichkeit, der Sexualität kommen kann, zum Erleben beseelter Vereinigung, zu Erotik, eingedeutscht zu "Minne". Hierbei wird dem Schönheitswillen, der schon in der Tierwelt eine so große Rolle spielt, eine große Bedeutung zugesprochen, ebenso den aus Minnebegeisterung geborenen, bzw. von Minnebegeisterung handelnden Kunstwerken in Bild, Ton, Wort und Schrift (etwa schon in der "Ilias" des Homer). Und es wird dem Gedanken nachgegangen, inwiefern (2, S. 74) ...

... die natürliche Vergeistigung innerhalb des Menschengeschlechtes der drohenden Gefahr des Verlustes des Beglückung beim Weibe entgegenarbeitet.

Es mag hier erneut ein wesentlicher Gedanke angesprochen sein, der von den heute Denkenden und von den heutigen Kulturgestaltern und -übermittlern wohl noch viel zu selten in Augenschein genommen worden ist, zumal in einer atheistisch-materialistisch und platt-hedonistisch geprägten geistigen und kulturellen Atmosphäre.

Abb. 6: Skulptur von Edmund Moiret (Ungarn/Österreich) (1883-1966) (Titel: "Die Quelle"), 1940

Es wird dazu aber einschränkend weiter ausgeführt (2, S. 75f):

Wenn der Mensch die höchsten Entwicklungsstufen der Minne erleben will, so ist es für ihn von größter Bedeutung, daß die zunächst erforderliche körperliche Erweckung zur ("orgastischen" Fähigkeit) Beglückung von der gleichen Persönlichkeit ausgeht, die auch seelische Verwebungen der Minne auszulösen imstande ist. (...) Neben dem vielseitigen seelischen Austausch werden die Ausdrucksformen des Paarungswillens - die körperlichen Liebkosungen - zum Gleichnis der seelischen Verschmelzung und sind als solche geheiligt! -
Der Blick auf die Entwicklung des Paarungswillens zur Minne hat uns die überaus wichtige Erkenntnis gebracht, daß die natürliche Vergeistigung eine große Verinnerlichung und Bereicherung der Beglückung ermöglicht, die sich um so mehr verwirklichen kann, je häufiger die freie aus Minnebegeisterung geschlossene Wahl wird.

Es sei noch ein weitere Station aus der Wissenschaftsgeschichte zu diesen Fragestellungen heraus gegriffen. 

Einiges zum Forschungsstand von 1986

Da heißt es 1986 (10, S. 316-318):

Daß schließlich der weibliche Orgasmus, wie Symons (1980) meint, keine Funktion erfülle, weil ihn die Frauen viel zu selten erlebten, sollte man auch nicht unkritisch hinnehmen.
Immerhin erleben ihn nach den verschiedenen Erhebungen in England, den USA und Deutschland zwischen 31 und 50 Prozent und nur 2-14 Prozent der befragten Frauen niemals (...). Ferner ergibt die differenzierte Auswertung, daß vor allem Frauen in einer guten sexuellen Partnerschaft einen Orgasmus erleben. Nur 3 Prozent der Frauen, die mit ihrem Partner regelmäßig zum Orgasmus kommen, sind bereit, mit anderen Männern zu schlafen, gegenüber 10 Prozent der Frauen, die mit ihrem Partner keinen Orgasmus erleben (E. Chesser 1957). Die Bindung über die sexuelle Befriedigung ist demnach sicher von Bedeutung. (...)
Als bindendes Erlebnis scheint der Geschlechtsverkehr für die Frau einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Möglicherweise besteht hier sogar ein Zusammenhang mit dem Geburtserlebnis. (...) Es kommt dabei auch zur Ausschüttung von Oxytocin. (...)
Es scheint mir, als würde der Zustand der Verliebtheit bei der Frau oft über den Orgasmus getriggert, als erfolgte mit ihm oft ein reflektorisches Einlinken in den physiologisch-psychologischen Ausnahmezustand, in dem eine fast irrationale Bindung an einen und nur diesen einen Geschlechtspartner stattfindet. Ich möchte das als Hypothese äußern.

Und (10, S. 331):

Der Mensch ist biologisch auf sexuelle Dauerpartnerschaft angelegt. Romantische Liebe ist nicht erst eine Erfindung der Neuzeit. Sie findet vielmehr bereits bei Naturvölkern vielfältigen Ausdruck, unter anderem auch in Liedern und Gedichten. (...) Mann und Frau sind in ihrer Sexualphysiologie auf sexuelle Dauerbindung programmiert; die Frau (...) durch die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben, der sie emotionell bindet. (...) Bei einigen Säugern induziert die Geburt über einen hormonalen Mechanismus die Bereitschaft, das Kind anzunehmen und eine starke Bindung einzugehen. Es wäre zu prüfen, ob ein ähnlicher Bindungsmechanismus über den weiblichen Orgasmus aktiviert wird. Die hier entwickelte Bindungstherorie nimmt einen solchen Zusammenhang an.

Es wird deutlich, daß der Erkenntnisstand von 1986 noch nicht gar so weit über den hinaus ging, den es schon 1919 gegeben hat.

/ Ergänzung: Im Nachgang zur Veröffentlichung dieses Blogartikels wurde noch ein Video dazu aufgenommen (12): 

Ende Ergänzung. / 

Einiges zum Forschungsstand von etwa 2020

Vieles wird noch 1986 als "Hypothese" formuliert. Wenn man feststellen möchte, ob der Erkenntnisstand bezüglich der Rolle des Oxytocin's inzwischen weiter gekommen ist, kann der entsprechende Wikipedia-Artikel helfen (Wiki). Nach diesem spielt Oxytocin in den Bereichen Bindung, Liebe, Vertrauen, Lust und Orgasmus eine sehr beträchtliche Rolle. Dort heißt es (Wiki):

Die Forschungsergebnisse haben dazu geführt, daß Oxytocin in der Öffentlichkeit gelegentlich als Orgasmushormon, Kuschelhormon oder Treuehormon diskutiert wird. Tatsächlich ist die Signifikanz von Oxytocin für Fühlen und Handeln in zahlreichen Studien bestätigt.

Auf dem englischsprachigen Wikipedia heißt es noch deutlicher (Wiki):

Oxytocin beeinflußt den sozialen Abstand zwischen erwachsenen Männern und Frauen und ist möglicherweise zumindest teilweise für romantische Anziehung und die anschließende monogame Paarbindung verantwortlich. Ein Oxytocin-Nasenspray-Stoß führte dazu, daß Männer in einer monogamen Beziehung, jedoch nicht alleinstehende Männer, den Abstand zwischen sich und einer attraktiven Frau bei einer ersten Begegnung um 10 bis 15 Zentimeter vergrößerten. Die Forscher schlugen vor, daß Oxytocin dazu beitragen könnte, die Treue in monogamen Beziehungen zu fördern. Aus diesem Grund wird es manchmal als „Bindungshormon“ bezeichnet.
Oxytocin affects social distance between adult males and females, and may be responsible at least in part for romantic attraction and subsequent monogamous pair bonding. An oxytocin nasal spray caused men in a monogamous relationship, but not single men, to increase the distance between themselves and an attractive woman during a first encounter by 10 to 15 centimeters. The researchers suggested that oxytocin may help promote fidelity within monogamous relationships.

Interessanterweise spielt Oxytocin also auch für das Bindungsverhalten von Männern eine Rolle. Soweit ein zum Teil vielleicht sogar erhellender Blick in die Wissenschaftsgeschichte.

Die Presseerklärung zur Forschungsstudie von 2022

Nun soll zu der eingangs erwähnten kanadischen Forschungsstudie zurück gekehrt werden, nach der sich Frauen im dritten Lebensjahrzehnt genauso häufig nach inniger, körperlicher Vereinigung mit einem Mann sehnen wie sich umgekehrt Männer nach einer solchen mit einer Frau sehnen, wenn ..., ja wenn das Ersterlebnis der Geschlechtlichkeit für die Frau mit einer tiefen körperlichen (und womöglich auch seelischen) Befriedigung und Beglückung, mit einem Orgasmus einher gegangen ist (1). Wenn dies nicht der Fall ist, hat dies für Frauen hinsichtlich der Sehnsucht nach einer Wiederholung dieses Ereignisses Folgen für viele Lebensjahre. Das "Erste Mal" wird diesbezüglich von Seiten der Studie als eine "sensible Phase" beschrieben und charakterisiert, in der eine Prägung für viele weitere Lebensjahre stattfindet. In der Pressemitteilung der Universität Toronto heißt es zu dieser Studie (4):

Für die meisten Menschen ist der erste Sex mit einem anderen Menschen ein Lebensereignis von großer Bedeutung. Es bleibt unvergeßlich.
Doch Diana Peragine, eine Doktorandin in Psychologie an der Universität Toronto, hat kürzlich herausgefunden, daß diese Erfahrung auch nachhaltige Auswirkungen auf das geschlechtliche Verlangen heterosexueller Frauen im späteren Leben hat.
"Im Allgemeinen herrscht die Meinung vor, daß Frauen einen schwächeren Geschlechtstrieb haben als Männer - daß die Libidolücke groß und über die gesamte Lebensspanne hinweg stabil ist, weil Frauen grundsätzlich weniger Lust auf körperlich-seelische Vereinigung hätten als Männer", so erklärt Pergaine.
Peragine hat ihre Ergebnisse zusammen mit anderen Forscherinnen der Universität Toronto, mit Malvina Skorska und Jessica Maxwell, sowie mit den Professoren Emily Impett und Doug VanderLaan in der Studie "A Learning Experience? Enjoyment at Sexual Debut and the Gender Gap in Sexual Desire among Emerging Adults" ausführlich dargelegt. Sie wurde kürzlich im "Journal of Sex Research" veröffentlicht.
An der Studie nahmen 838 heterosexuelle Erwachsene teil, viele davon vom Campus der Universität Toronto. Und sie kam zu dem Ergebnis, daß sich Frauen in ihrem Verlangen nach Sex mit einem Partner nur dann von Männern unterschieden, wenn ihre erste geschlechtliche Erfahrung keine angenehme war - das heißt, wenn es bei ihrem „ersten Mal“ nicht zur Erfüllung, zum Orgasmus kam.

Der Familienname der leitenden Forscherin Diana Peragine (Resg) stammt übrigens aus Süditalien.**)

Abb. 7: Gemälde von Alfred Bernert (1893-1991) (Titel: "Erntezeit und junge Liebe"), 1941

Weiter heißt es in der Presseerklärung (4): 

"Frauen gaben im Vergleich zu Männern nur halb so häufig an, beim ersten Geschlechtsverkehr befriedigt worden zu sein, und hatten etwa achtmal seltener einen Orgasmus", sagt Peragine und fügt hinzu, daß Frauen, die beim ersten Mal einen Orgasmus erlebt haben, mehr an Sex mit einem Partner interessiert waren und ihr seitheriges Verlangen dem der Männer entsprach.
Sie sagt, dies lege nahe, daß wenn (ganz allgemein) die jeweils ersten Erfahrungen Lektionen von großer Auswirkung darstellen, der erste Geschlechtsverkehr darin keine Ausnahme bildet. 
"Für viele kann er als ‚Lernerfahrung‘ dienen und eine wichtige, um Erwartungen zu entwickeln, daß Sex angenehm sein kann, und Überzeugungen, daß wir es verdienen und ein Anrecht darauf haben, ihn zu genießen", sagt sie.
Die Studie ergab auch, daß die erste sexuelle Erfahrung von Männern keinen erkennbaren Einfluß auf ihr nachheriges sexuelles Verlangen hatte.

Und es wird weiter ausgeführt (4):  

"Anstatt wirklich von festen Geschlechtsunterschieden im sexuellen Verlangen zu sprechen, legen unsere Ergebnisse die Möglichkeit nahe, daß ein sexuelles Erstes Mal ohne Orgasmus ein häufiger Teil der sexuellen Sozialisation von Frauen sein könnte, bei dem sexuelle Aktivität möglicherweise nicht gefördert wird", sagt Peragine. "(Es handelt sich um ein) geschlechtliches Erstes Mal, das eher frustrierend denn erfüllend ist."
Sie weist darauf hin, daß frühere Untersuchungen gezeigt haben, daß Männer häufiger als Frauen unter Problemen mit hohem sexuellem Verlangen leiden, während Frauen eher Probleme mit geringem sexuellem Verlangen haben, und daß die Lustlücke zwischen gesunden Männern und Frauen auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt - was den Mythos aufrechterhält, daß Frauen von Natur aus einen schwächeren Sexualtrieb hätten als Männer.
Peragine sagt, sie wollte diese Untersuchung durchführen, weil sie sich fragte, ob das geringere sexuelle Verlangen von Frauen nicht besser durch ihren Mangel an Freude während ihrer ersten Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr erklärt werden könnte als allein durch ihr Geschlecht.
"Früher gab es die Vorstellung, daß sexuelles Verlangen wie Hunger oder Durst sei, der im Inneren entsteht und spontan auftritt", sagt sie. "Aber offensichtlich verstehen wir jetzt, daß es sich um ein dynamischeres Geschehen handelt, das auf Erfahrungen reagiert und daß lohnende sexuelle Erfahrungen unsere sexuellen Erwartungen prägen."

Und weiter (4): 

Letztlich hofft sie, daß die Studie, die zeigt, daß geringeres sexuelles Verlangen bei Frauen eher auf Erfahrungsunterschiede als auf Geschlechtsunterschiede zurückgeführt werden kann, weitere Forschungen zum „Geschlechtergefälle“ des sexuellen Verlangens anregt.
Sie fügt hinzu, daß die Forschung auch wichtige Auswirkungen auf die Sexualerziehung hat, die sich oft auf sexuelle Gesundheit und die Förderung von gesundem Sex konzentriert.
"Ich denke, diese Art von Arbeit könnte uns näher an Sexualerziehungsmaßnahmen bringen, die eine gesunde sexuelle Entwicklung im ganzheitlichen Sinne des Wortes fördern", sagt Peragine und fügt hinzu, daß die Forschung auch zeige, daß die erste Erfahrung des Geschlechtsverkehrs selbst eine Quelle der Sexualerziehung sein könnte. "Wir erkennen die realen, praktischen Erfahrungen junger Männer und Frauen mit Sex oft nicht an - obwohl sie vielleicht die am lehrreichsten von allen sind."

Beim Lesen entsteht ein wenig der Eindruck, als ob noch die leitende Forscherin selbst das volle Ausmaß der Schlußfolgerungen, die ihre Studie mit sich bringt, zögert zu benennen.

Abb. 8: Gemälde von Max Pietschmann (1865-1952) (Titel "Adam and Eva", 1894, (heute Nationalgalerie Prag)

Denn nachdem man das alles eine Weile auf sich hat wirken lassen, könnte doch auch langsam offensichtlich werden, was notwendig sein könnte, um diesen so tiefgreifenden und möglicherweise gar nicht natürlichen Geschlechtsunterschied zwischen Männern und Frauen zu vermindern. Eines Unterschiedes, der doch - offensichtlich - erhebliche Auswirkungen hat auf die eheliche Zufriedenheit, bzw. auf die Zufriedenheit von Paaren und damit auch auf familiäres Glück und Zufriedenheit.

Frauen müssen sich in vollem Umfang "mitgenommen" fühlen, akzeptiert fühlen, bereit fühlen, angenommen fühlen, geliebt fühlen, sicher fühlen, respektiert fühlen, verehrt fühlen, um das Erste Mal in vollem Umfang als beglückend, erfüllend und befriedigend erleben zu können, und zwar das alles nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. 

Sollte eine längere Phase der Werbung des Mannes um die Frau, ein sehr gutes gegenseitiges Kennenlernen beider dafür nicht eine besonders gute Voraussetzung bilden? Sollte dafür eine "ganzheitliche" seelische Aufwertung der Geschlechtlichkeit nicht hilfreich sein? Solle es dafür nicht hilfreich sein, daß in Kulturen weniger das Glück des Mannes im Mittelpunkt der Kulturgestaltung steht, sondern viel eher das Glück, die Zufriedenheit und die Erfüllung der Frauen? Denn die letzteren sind das sensiblere Geschlecht, das leichter auf negative oder bedeutungslose Erfahrungen reagiert als Männer. Warum wohl? Weil es womöglich im menschlichen Leben überhaupt vor allem um die Erfahrung des Sensiblen, Verletzlichen geht?

Männer und Frauen in der westlichen Welt entscheiden heute im Normalfall frei, selbstständig und autonom, ob und wie sie ihr Erstes Mal erleben. Aber natürlich sind sie abhängig davon, in welchem kulturellen "Setting" sie sich bewegen, was für eine authentische, kulturelle Wertschätzung und Hochwertung ein Geschehen erfährt und was nicht, ob es der Gesellschaft wichtig ist, daß das Ersterlebnis familienfördernd, gemeinschaftsfördernd erlebt wird oder nicht. "Hochzeit" des Lebens nannten unsere Vorfahren deshalb schon seit uralten Zeiten dieses Erleben. Wollen wir nicht wieder dahin zurück kehren?***)

Im Oktober 2022 wurde das Forschungsergebnis von dem evangelikalen Internetblog "Bare Marriage" aufgegriffen (6).****) Vereinzelt wurde auf das Studienergebnis seither auch auf Podcasts aufmerksam gemacht (s. Helen03-23).

Wohl schon seit Jahrtausenden messen viele Völker auf der Erde dem "Ersten Mal" eine große Bedeutung zu. Und zwar wird schon seit Jahrtausenden auch gesagt, daß das "Erste Mal" für Frauen eine noch größere Rolle spielen würde als für Männer.

Abb. 9: Eine kecke junge Dame: Die Sexualforscherin Diana Peragine

Nun gibt es erste, sehr eindeutige empirische Belege für diese Vermutung. 2023 wurde dann noch konkreter zu dem Thema ausgeführt (The Medium03/23):

Frauen und Männer sehen ihr sexuelles Erstes Mal unterschiedlich. Eine aktuelle irische Studie der "Crisis Pregnancy Agency" zeigt, daß Frauen ihren ersten sexuellen Kontakt eher bereuen als Männer, obwohl sie im gleichen Alter (16-17 Jahre) mit dem Sex beginnen. Männer empfinden ihr sexuelles Erstes Mal angeblich auch zufriedener und lustvoller als Frauen. Dieser Genußunterschied gehört zu den größten geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Sexualforschung überhaupt.
Women and men differ in how they view their sexual debut. A recent Irish study by the Crisis Pregnancy Agency shows that women tend to regret their first sexual encounter to a higher degree than men, despite beginning to have sex at around the same age (16–17 years old). Men are also said to experience more satisfaction and pleasure when it comes to their sexual debut than women. This enjoyment gap is among the largest gender differences in sexuality research.

Abschließend noch ein Blick in den - wegen des statistischen Fachjargons nicht leicht zu lesenden - Text der Forschungsstudie selbst.

Der Text der Studie selbst (2022)

Der Unterschied zwischen Mann und Frau in Bezug auf die Erfahrung des "Ersten Males" hat sich zwischen 1990 und 2012 nur ganz wenig verringert wie Preragine et.al. einleitend zitieren (anhand von: Sprecher2014). Sie schreiben (1):

Es gehört in der Sexualforschung zu den größten Geschlechtsunterschieden, ob Menschen dieses Ereignis (...) als erfreulich erleben (d = 1,08; Sprecher, 2014), es übertrifft in dieser Hinsicht noch die Häufigkeit von Selbstbefriedigung (d = 0,53) und die Einstellung zu unverbindlichem Sex (d = 0,45; Petersen & Hyde, 2010).
Enjoyment at this event, often cast as a young person’s “sexual debut,” is among the largest gender differences in sexuality research (d = 1.08; Sprecher, 2014), surpassing masturbation (d =0.53) and attitudes toward casual sex (d = 0.45; Petersen &Hyde, 2010).

Preragine et. al. gehen einer Frage nach, die schon länger in der Forschung im Bereich der Lerntheorie erörtert wird, nämlich (1), ...

... daß die ersten Erfahrungen eines Individuums mit sexueller Belohnung eine „sensible Phase“ bilden, in der instrumentelle (Handlungs-Belohnungs-) und Pawlowsche (Reiz-Belohnungs-)Assoziationen leicht konditioniert werden (Pfaus et al., 2012).
an individual’s first experiences with sexual reward form a “sensitive period” during which instrumental (actionreward) and Pavlovian (stimulus-reward) associations are readily conditioned (Pfaus et al., 2012).
Abb. 10: Erstauflage von 1919

Unter anderem referieren sie aus der bisherigen Forschungsliteratur auch folgende Zusammenhänge (1):

Woods et al. (2018) haben (...) gezeigt, daß die Häufigkeit sexueller Aktivität im Erwachsenenalter nicht nur mit frühen Kontakten zusammenhängt, sondern auch mit solchen, die als lohnend empfunden werden. Männer und Frauen, die vor dem 18. Lebensjahr Oralsex hatten, taten dies als Erwachsene nicht unbedingt häufiger; sie übten Oralsex jedoch eher aus, wenn dies vor dem Erwachsenenalter zu einem Orgasmus geführt hatte. Daher ist sexuelle Stimulation möglicherweise nicht ausreichend verstärkend, um bestimmte sexuelle Handlungen zu fördern, und muß möglicherweise von einem Orgasmus begleitet werden.
Woods et al. (2018) recently extended these findings, showing that rates of adulthood sexual activity are not just related to early exposures, but to ones experienced as rewarding. Men and women who received oral sex prior to age 18 years did not necessarily engage in it more frequently as adults; however, they were more likely to engage in oral sex if it had resulted in orgasm prior to adulthood. Thus, sexual stimulation is perhaps not sufficiently reinforcing to incentivize particular sexual acts, and might need to be accompanied by orgasm.

Hier wird noch einmal deutlich, daß nicht sexuelle Aktivität an sich bedeutsam ist für Prägung, sondern die Erfahrung des Orgasmus. Ansonsten ist uns der Fachjargon zugegebenermaßen zu statistisch, um gar zu einfach noch weitere Erkenntnisse aus der Studie selbst heraus destillieren zu können.

Und welche Rolle spielen ... Sehnsucht, Schwärmerei, Romantik, Liebe, Begeisterung?

Soweit übersehbar, wird in der Studie allerdings so gut wie gar nicht versucht, sich der Frage anzunähern, wodurch sich die Gruppe jener Frauen, die beim Ersten Mal einen Orgasmus erlebte, von den anderen Frauen unterschied oder wodurch sich die Situation unterschieden haben konnte, in denen sie ihn erlebte (1). Aber Hinweise darauf bieten zwei nachfolgende Studien derselben Forscherin. Nach diesen war die spätere Orgasmushäufigkeit bei Frauen höher, wenn sie ihren ersten Orgasmus mit einem Partner in früherem Lebensalter erlebt hatten. Allerdings war das deutlich mit negative Faktoren korreliert wie häufigerer Unfreiwilligkeit, häufigerer unfreiwilliger Schwangerschaft und ähnlichem (8). Wir haben es hier also mit einem Hinweis zu tun aber nicht wirklich mit einem "Lösungsvorschlag". Der Hinweis mag darin liegen, daß ein solches frühe Erleben oft einfach mehr "Instinkt-geleitet" geesen sein mag und weniger "rational", und daß allein schon ein solcher Umstand hilfreich gewesen sein mag.

Nach einer anderen Studie erleben Frauen mit einem weiblichen Partner beim Ersten Mal ähnlich häufig einen Orgasmus wie Männer mit einem weiblichen Partner (9). Daraus möchten wir die Schlußfolgerung ziehen, daß es auf ein eher weibliches Einfühlungsvermögen auch auf Seiten des männlichen Partners ankommen könnte bei der innigen Vereinigung. Und sicherlich weniger auf männliches Macht-, Protz- und Leistungsgehabe.

All diese Hinweise ziehen aber insgesamt nur ein klotz-materialistisches Weltbild zum Verständnis und zur Einordnung solcher Dinge heran. Das war in der Wissenschaftsgeschichte zum Teil auch schon einmal deutlich anders, weshalb sie so wichtig sein mag (2). Denn: Was ist mit der Schwärmerei junger Menschen, insbesondere auch Mädchen? Spielt diese gar keine Rolle? Welche Rolle spielt "Romantik", welche Rolle spielt Beseelung, Vergeistigung ganz allgemein? Welche Rolle spielt die Hochwertung der Frau durch den Mann (Stichwort: "Das ewig Weibliche zieht uns hinan" [Goethe]). Welche Rolle spielt der Wunsch, selbst ein edler Mensch zu sein und Edles im anderen sehen zu wollen? Welche Rolle spielen Herzenskräfte? Sind wir Menschen denn wirklich nur Tiere? Wozu hätten dann aber Frauen wie Jane Austen Romane schreiben sollen? Warum gibt es dann so viele wertvolle Kulturworte auf diesem Gebiet?*)

Um auf denkbare Folgen des hier behandelten, doch sehr beträchtlichen, aber offenbar erworbenen Geschlechtsunterschiedes aufmerksam zu machen, sei in aller Vorläufigkeit abschließend nur noch einmal darauf hingewiesen: Jemand, der das tiefe Leid, das aus einer unsicheren, einer unglücklichen Paarbindung entstehen kann, am vielleicht deutlichsten zum Ausdruck gebracht hat, war der norwegische, expressionistische Maler Edvard Munch (1863-1944) (GAj2017, GAj2018).

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*) In der heutigen Zeit wird das Wort "Sex" inflationär benutzt. Es hat damit alle Charakteristika eines "Plastikwortes" (Wiki) (3). Das Wort reduziert das damit Benannte auf das rein körperliche Geschehen, obwohl in vielen Fällen die seelische Anteilnahme an diesem Geschehen die viel wesentlichere Seite des Geschehens darstellt, also seine "Innenseite". Das Wort Sex ersetzt und verdrängt Worte wie "innige, körperlich-seelische Vereinigung" und viele andere Kulturworte, die die Sprachen der Welt für dieses so wesentliche und wertvolle menschliche Geschehen aufweisen. Da sich die Menschen aber angewöhnt haben, so zu sprechen, soll im vorliegenden Artikel keine völlig andere Sprache gesprochen werden, um nicht weltfremd oder verquastet zu klingen. Es sollen jedoch immer einmal wieder auch andere, im Grunde viel angemessenere Worte für das Benannte benutzt werden. Auch die Bebilderung des Artikels soll ein Gegengewicht bilden gegen die auch hier vorliegende Gefahr, in Bezug auf das seelische Erleben in eine "Plastikwelt" abzurutschen oder sich seelisch nur noch auf einer "tierischen" Ebene zu bewegen. Die abendländische Kunstgeschichte hat ja nun wirklich "gepraßt und gewuchert" in Bezug darauf, diesem zutiefst menschlichen Geschehen im Ausdruck seelischen Gehalt zu schenken.
**) Der Familienname Peragine stammt aus Bari an der Adriaküste in Apulien (Her), oberhalb des Stiefelabsatzes in Italien und ist abgeleitet von dem Salento-Dialektwort (Wiki) für "Wilde Birne" "perascinu" (s. 23andme).
***) Der Text der Presseerklärung wurde fast wortidentisch von Seiten der Malayischen, englischsprachigen Tageszeitung "The Star" übernommen (5).  
****) Der Blog "Bare Marriage" kennzeichnet sich so: "Down-to-earth, practical Christian help for sex and marriage--when you're scared to Google it." Der Blog setzt sich für eine Sexualmoral in der evangelikalen Bewegung der USA und weltweit ein, in der Frauen in Ehen einfach nur menschenwürdig behandelt werden. Es ist geradezu schauderhaft, mit was sich dieser Internetblog alles auseinander setzen muß. Es scheint danach Usus unter den Evangelikalen zu sein, daß Frauen verpflichtet sind, ihren Ehemännern beizuwohnen, damit diese nicht "anderen" (größeren) Sünden verfallen (Fb). Wenn man den Blog und die hier behandelten Probleme ein wenig durchgesehen hat, wird man verstehen, warum dieser Blog womöglich noch mehr Veranlassung als andere gesehen hat, dieses Forschungsergebnis aufzugreifen.  

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  1. Peragine, Diana E., Skorska, Malvina N., Maxwell, Jessica A., Impett, Emily A., & VanderLaan, Doug P. (2022). A Learning Experience? Enjoyment at Sexual Debut and the Gender Gap in Sexual Desire among Emerging Adults. The Journal of Sex Research, 59(9), 1092-1109. Published online: 26 Jan 2022, https://doi.org/10.1080/00224499.2022.2027855 (pdf)
  2. von Kemnitz, Dr. M. (später Ludendorff): Erotische Wiedergeburt. Verlag Ernst Reinhardt, München 1919, 1923 (3., umgearb. Aufl. 4.-7. Tsd.); Der Minne Genesung. Ludendorffs Verlag, München 1932 (umgearb. Aufl., 11.-13. Tsd.), 1933 (umgearb. Aufl., 14.-15. Tsd.), 1935, 1936 (18. u. 19. Tsd.), 1938 (20. u. 21. Tsd.), Verlag Hohe Warte 1959 (22. u. 23. Tsd.) (Arch)
  3. Pörksen, Uwe: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart 1988
  4. Kristy Strauss: First sexual experience influences women's future sexual desire: study. University of Toronto Mississauga. (UToronto) February 21, 2022
  5. Wanjiru, Margaret: Your 'first time' affects future sexual experience - study. It may serve as a ‘learning experience’ for many, and an important one for developing expectations (Star23.02.2022)
  6. Rebecca Lindenbach: How does a couple’s First Time affect her Libido? Oct 5, 2022 (BareMarriage)
  7. Olga Fedossenko: Learning from experience: Why are women less satisfied about their sexual firsts? (The Medium03/23, March 20, 2023)
  8. Diana Peragine, Malvina Skorska, Jessica A Maxwell, ... Doug P. Vanderlaan: The Risks and Benefits of Being “Early to Bed": Toward a Broader Understanding of Age at Sexual Debut and Sexual Health in Adulthood, Journal of Sexual Medicine, July 2022, DOI: 10.1016/j.jsxm.2022.06.005
  9. Peragine, D.E., Kim, J.J., Maxwell, J.A. et al. (2023). Not who you are, but who you are with: Re-examining women’s less satisfying sexual debuts. Archives of Sexual Behavior. https://link.springer.com/article/10.1007/s10508-023-02667-7
  10. Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie. 2. überarb. Aufl., Piper, München, Zürich 1986 (zuerst: 1984)
  11. Simons, Donald: The Evolution of Human Sexuality. Oxford University Press, New York 1979, 1980
  12. Bading, Ingo: Dein Erstes Mal - Es beeinflußt dein Glück und das Glück von Mitmenschen für viele Jahre. Live übertragen am 10.01.2025 (Yt)

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Archäogenetik für Anfänger: Der Anteil der Steppengenetik in Europa

In einem sehr kurzen Überblicksartikel über die bisherigen Erkenntnisse der Archäogenetik von Seiten eines polnischen Archäogenetikers wird die folgende Grafik gebracht (1).

Abb. 1: Der Anteil der Steppengenetik, der anatolischen Bauerngenetik und der Jäger-Sammler-Genetik in heutigen europäischen Völkern (aus 1, nach 2)

Diese Grafik ist immer noch eine sehr wertvolle Zusammenfassung grundlegender Erkenntnisse zur Archäogenetik der heutigen europäischen Völker. Sie stellt das vorläufige Ergebnis der wechselhaften Volkwerdung der europäischen Völker insbesondere während des Neolithikums dar. Im Groben haben sich die Herkunftsanteile innerhalb der europäischen Völker nämlich seit der Bronzezeit nicht mehr verschoben.

Das heißt nicht, daß auch kleinteiligere Herkunftsverschiebungen während der Eisenzeit und bis heute wesentliche Erkenntnisse zur Geschichte, Kulturgeschichte und Bevölkerungsgeschichte vermitteln. Zum Beispiel erhöhte die Einwanderung der Slawen nach Griechenland nach 600 n. Ztr. den dortigen Steppengenetik-Herkunftsanteil, die Einwanderung der Germanen nach Süddeutschland nach 500 v. Ztr. erhöhte auch dort den Steppengenetik-Anteil und die verschiedenen keltischen und zum Schluß germanischen Einwanderungen in England (ab 600 n. Ztr.) brachten ebenfalls Verschiebungen in den Herkunftsanteilen mit sich. Aber auf diese "kleinteiligeren" Erkenntnisse kommt es in der oben eingestellten Grafik zunächst nicht an.

Wir sehen, daß noch heute auf Sardinien die Menschen den höchsten Anteil von anatolischer Bauerngenetik ("neolithic Farmers") (Wiki) in sich tragen. Dennoch tragen sogar sie noch mehr Steppengenetik in sich als beispielsweise die antiken Griechen in sich getragen haben, die nur acht Prozent Steppengenetik aufgewiesen haben, also auch noch deutlich weniger Steppengenetik als die heutigen Griechen. (Ein Umstand, der immer wieder erneut zum Erstaunen Anlaß gibt. Schließlich waren die antiken Griechen "die" Inkarnation der Indogermanen schlechthin.)

Für Deutschland sind noch keine Herkunftsanteile eingetragen. Diese unterscheiden sich aber kaum von denen im heutigen Polen oder im heutigen Tschechien. Damit fallen beispielsweise die ganzen Rassetheorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich zusammen, mit Hilfe derer Völker gegeneinander aufgehetzt wurden, und nach denen es angeblich einen beträchtlichen genetischen Unterschied zwischen "Germanen" einerseits und "Slawen" andererseits gegeben hätte. Nichts davon ist in den Genomen zu sehen. Die Nationalsozialisten und nicht selten auch die Panslawisten sind Hirngespinsten hinterher gelaufen. Millionen von Menschen wurden durch diese kraß abgewertet und entmenschlicht. 

Von der Eiszeit bis 6.500 v. Ztr. trugen alle Menschen in Europa nur Jäger-Sammler-Herkunft (Wiki) in sich (oranger Herkunftsanteil). Durch die Ausbreitung anatolisch-neolithischer Bauern rund um das ganze Mittelmeer und bis hoch hinauf nach Skandinavien (im Früh- und Mittelneolithikum) kam die noch heute im Mittelmeer-Raum überwiegende anatolisch-neolithische Bauerngenetik (Wiki) nach Europa.

Mittelneolithische Großreiche

Nach Vermischung mit den einheimischen Jägern und Sammlern entstanden im Mittelneolithikum Großreiche mit einer Beamtenelite in ganz Europa bis hinauf nach Irland (Stg20). Diese Beamtenelite wurde nicht selten in "Großsteingräbern" (Megalithen) bestattet. Sie stellte in vielen Regionen den angesehenen Verstorbenen (Königen) Statuenmenhire auf (Stg19). Sie unternahm ab 3.500 v. Ztr. Zeremonialumzüge auf Rinderwagen entlang von Heiligtümern, sowie von Gräberstraßen von verstorbenen Königen (Stg10). Mit solchen Rinderwagen ließ sich der Adel sehr oft auch gemeinsam bestatten. Das entsprach der Hochwertung der damals neuartigen Erfindung des Rades. Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß es in diesen mittelneolithischen Großreichen Sklaverei und Menschenopfer gegeben hat. Einige Hinweise darauf haben sich schon gefunden (Stg20). 

In den mittelneolithischen Großreichen wurden sehr häufig Volkssternwarten ("Kreisgrabenanlagen") (Wiki) zum Feiern des Weihnachtsfestes und der Sonnenwende errichtet. In diesen Anlagen und in deren Umfeld versammelten sich über Tage und Wochen tausende von Menschen zur Feier des Weihnachtsfestes, der "geweihten Nächte". Es wurden viele Schweine aus diesem Anlaß geschlachtet. Entsprechendes wurde im Mittelelbe-Gebiet und bei Stonehenge von den Archäologen festgestellt (Stg20).

Alle diese kulturellen Erscheinungen gab es zur gleichen Zeit in ähnlicher oder abgewandelter Form auch in der Nordschwarzmeersteppe. Hier lebten die Menschen halbnomadisch, es gab Kurgane, in denen immer wieder andere Familien ihre Angehörigen bestatteten, in deren Umfeld es also aufgrund der schwankenden klimatischen Verhältnisse viel Bewegung und Veränderungsfreude gab (Stg24). Der Rinderwagen spielte dort dieselbe Rolle wie in Mitteleuropa oder im Kaukasus oder im Vorderen Orient. Auch Statuenmenhire wurden in der Nordschwarzmeersteppe aufgestellt.

Ab 3.000 v. Ztr. breitete sich mit den Völkern des Nordschwarzmeerraumes (der Jamnaja) (Wiki) die indogermanische Steppengenetik in ganz Europa aus, zunächst in Nordeuropa zusammen mit der Schnurkeramik-Kultur, von der die Germanen abstammen, wenig später in Südeuropa zusammen mit der Glockenbecher-Kultur, von der die Kelten und Italiker abstammen (Stg24). Mit diesen Ausbreitungsbewegungen anfangs halbnomadischer Völker innerhalb Europas kamen jene indogermanischen Sprachen nach Europa, die wir heute noch sprechen. Diese Steppenbewohner sind sowohl kulturell wie auch religiös und genetisch unsere unmittelbaren Vorfahren. Da Skandinavien und die britischen Inseln viel weniger dicht besiedelt waren, als Südeuropa, hat sich die indogermanische Steppengenetik in Nordeuropa viel umfangreicher durchgesetzt bis heute als in Südeuropa.

Der mediterrane Menschentypus bleibt also von der anatolisch-neolithischen Bauerngenetik geprägt. Diese hat die Grundlage vieler früher Hochkulturen seit etwa 6.500 v. Ztr. gelegt. Er trägt aber heute innerhalb Europas überall mehr Steppengenetik in sich als ihn die antiken Griechen und die antiken Menschen des östlichen Mittelmeerraumes (also auch die Thraker und die Phönizier) in sich getragen haben.

Man kann es auch so sagen: Die genetischen "Potentiale" des antiken Griechenland sind noch heute in Europa überall und allseits vorhanden. Sie wären sogar dann noch vorhanden, wenn die Menschen Nordeuropas genetisch aussterben sollten. Es gibt allerdings keinen wirklich triftigen Grund, warum die Menschen Nordeuropas ihrer demographischen Erneuerungsfreude weiterhin so gleichgültig gegenüber stehen sollten wie sie das seit vielen Jahrzehnten tun, indem ihre Kinderwünsche weit hinter der Verwirklichung ihrer eigenen Kinderwünsche zurück bleiben (Stg07a, Stg07b). Die genetischen "Potentiale" des Abendlandes dürften mit einer solchen demographischen Erneuerungsfreude doch sehr viel zu tun haben. 

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  1. Golik, Pawel: Migrations Recorded in Our DNA. In: Academia. The magazine of the Polish Academy of Science, 2024 (pdf)
  2. Haak W. et al., Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe, Nature 2015, vol. 522.

Montag, 16. Dezember 2024

Notre Dame - Kunstwerke von Weltrang entdeckt

Bislang unbekannte mittelalterliche Skulpturen entdeckt (1230/1260)
- Der Lettner von Notre Dame und sein Figurenschmuck - Eine Wiederentdeckung

Sie sind weltberühmt - die Stifterfiguren des Naumburger Meisters im Naumburger Dom (Wiki). Erst wenn man sie sich vor Ort anschaut, wird einem bewußt, daß derselbe Künstler, der um 1250 herum diese Stifterfiguren als reifes Werk geschaffen hat, im Naumburger Dom auch den Figurenschmuck des sogenannten "Westlettners" geschaffen hat (s. Abb. 3) (s. GAj2010WikiCom). 

Abb. 1: Figur des um 1230 geschaffenen und 1699 abgebrochenen Lettners in Notre Dame (Foto von Denis Gliksman im Auftrag von Inrap)

Der Westlettner ist - unberechtigterweise - viel weniger bekannt. Stifterfiguren und Westlettner bilden aber innerhalb des Naumburger Domes sozusagen ein "Gesamtkunstwerk".

Der Naumburger Meister (1200-1270) (Wiki) hat um 1240 auch den Westlettner des Mainzer Domes geschaffen. Dieser war dem Heiligen Martin gewidmet. Der Mainzer Westlettner ist 1683 abgebrochen worden. Dabei wurden wichtige Kunstwerke des Naumburger Meisters gerettet: So "Die Verdammten in Ketten" (Wiki), der "Mainzer Kopf mit der Binde" (DDB, Rev, Fli) und "Der Heilige Martin teilt seinen Mantel mit einem Bettler" ("Bassenheimer Reiter") (Wiki).

Wir können uns alle noch erinnern: Im April 2019 brannte in Paris der Dachstuhl von Notre Dame - lichterloh (Wiki). Das Feuer war nur schwer einzudämmen und drohte, den gesamten Dom zu zerstören. Die Bilder gingen um die Welt. Ein Wahrzeichen des Abendlandes stand in Brand. Entsetzt schaute die Welt auf solche Bilder. Sie lösten unmittelbar Trauer aus. Oder war es Untergangsstimmung? Man bekam ein Gefühl für die Verletzlichkeit unserer Kultur. Und es wurde zugleich sichtbar, wie sehr wir Menschen doch alle in Liebe verbunden sind mit dem Großen in dem, was wir "Kultur" und "kulturelle Vergangenheit", "Überlieferung" nennen. Eine Verbundenheit, die im Grunde auf einer ganz vorrationalen Ebene angesiedelt ist. Eine Verbundenheit, die gar nicht einmal besonders viel Wissen voraussetzt. 

Es mag daran erinnert werden, wie es beispielsweise dem deutschen Schriftsteller Gerhard Hauptmann erging, als er den Untergang Dresdens 1945 erlebte. Die Worte, die er dabei nieder schrieb, sind damals im Rundfunk verlesen worden. "Ich weine. Man stoße sich nicht an dem Wort weinen ..." (1, 2) 

Aber der Brand von Notre Dame hatte ungeahnte Folgen. Bevor die schweren Baugerüste für den geplanten Wiederaufbau aufgestellt wurden, mußte - routinemäßig - der Fußboden unter der Vierung des Querschiffes archäologisch erforscht werden. Im April 2022 berichtete die nationale Archäologiebehörde Frankreichs (Wiki), die Grabung sei vom 2. Februar bis 8. April 2022 durchgeführt worden. Es seien gefunden worden (Inrap04/22), ...

... zahlreiche Elemente des mittelalterlichen Lettners (zerstört während der Herrschaft Ludwigs XIV.). (Sie) befanden sich in einem außergewöhnlichen Erhaltungszustand.

Ein zauberhafter, farbiger Kopf fand sich unter dem entdeckten Abraumschutt des Lettners (Abb. 1, 2) (Tw). Ein Kunstwerk aus der Zeit zwischen 1230 und 1260, genau aus derselben Schaffensperiode wie der des berühmten Naumburger Meisters (Wiki) in Deutschland. Die gezeigten Bilder erregten nicht nur in der Kunstwelt höchstes Erstaunen, sondern auch unter sonstigen Kulturinteressierten. Letztere mögen auf Facebook über solche Fotos gestolpert sein (so wie der Verfasser dieser Zeilen). Und sie mögen danach fragen lassen, worum es sich hier eigentlich handelt (s.a. FSSPX). Um die historischen Zusammenhänge zu verstehen, sei noch einmal genauer über die Geschichte von Notre Dame de Paris nachgelesen (Wiki):

Im Jahr 1699 wurden auf Wunsch Ludwigs  XIV. und seines Vaters Ludwig  XIII. tiefgreifende Veränderungen an der Innenausstattung der Kathedrale, insbesondere am Chor, vorgenommen. Der Architekt Robert de Cotte ließ den Lettner (der durch ein vergoldetes schmiedeeisernes Tor mit Goldfalzen ersetzt wurde) und einen Teil der Hochreliefs der Zäune abreißen, um den Chor zum Chorumgang hin zu öffnen, indem er sie durch Gitter ersetzte, um die vollständige Neugestaltung des Chores im Stil der damaligen Zeit zu ermöglichen - so wie dies bei vielen anderen gotischen Kathedralen in ganz Europa im 17. und 18. Jahrhundert geschah. ...

Wir hörten schon davon, daß ähnliches zuvor auch schon im Mainzer Dom geschehen war. 

Abb. 2: Figur des um 1230 geschaffenen und 1699 abgebrochenen Lettners in Notre Dame (Foto von Hamid Azmoun im Auftrag von Inrap)

Die Frage stellt sich nun auch: Was eigentlich sind "Lettner"? Welche Funktion haben sie? Seit dem 6. Jahrhundert entstand in der christlichen Priesterschaft das Bedürfnis, in großen Kirchen den eigentlichen Chor und Altarraum einer Kirche und die dort dem Gott ergeben dienenden Priester von der sündigen Welt der Nichtpriester zu trennen. Diese Trennung war im Mittelalter in kleinen Dorfkirchen oft schon dadurch erreicht, daß das sündige Volk von außerhalb der Kirche dem Gottesdienst im Innern folgte (Wiki). Man bedenke doch auch, daß der Blick in das schöne Gesicht einer weltlichen Dame einen Kleriker während des Gottesdienstes völlig aus der alleinigen Besinnung auf das Göttliche hin reißen kann. Also, solche Lettner sind schon notwendig (Wiki):

Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts war der Lettner eines der Hauptelemente des liturgischen Lebens der Gläubigen. Er stellt eine Trennung vom Klerus dar und bildet mit der Chorumfassung eine Art Kirche in der Kirche (...). Der Chorraum bleibt den Gläubigen durch einen Lettner verborgen, doch bleibt er ihnen zugleich durch das Singen von Hymnen und Prosa zugänglich.

Vielleicht wurde so auch der Eindruck des "Geheimnisvollen", "Außerweltlichen" der Zeremonien der Priester hinter dem Lettner erhöht. Das sündige Volk der Laien konnte auf diese Weise noch stärker erschauern über das Geheimnisvolle, Erhabene jenseits des Lettners im "Allerheiligsten" der Kirche, dort, von wo aus nur noch Gesang zu hören war. Der Gesang erscholl quasi schon vom "Jenseits" her, vom erhofften Paradies her, natürlich einem Priester-Paradies.

Die Reformation brachte auch innerhalb der katholischen Kirche eine Änderung bezüglich solcher Dinge. Die bis dahin abgehobene für sich wirkende Priesterschaft mußte sich fortan mehr als bisher ins Handwerk schauen lassen, wenn ihnen die Gläubigen nicht gänzlich davon laufen sollten. Nach der vom Konzil von Trient in der Mitte des 16. Jahrhunderts eingeführten Liturgiereform (Wiki) ...

... muß der Chorraum nun für die Gläubigen sichtbar sein, damit sie dem Amt leichter folgen können. Der Lettner muß dazu verschoben werden (oft auf die Rückseite der Westfassade, wo er als Orgelempore dient) oder er muß ganz verschwinden, eine Bewegung, die der französische Abt Thiers (1636-1703), genannt der Kanzelprediger, förderte. Während die Kanzel den Lettner ersetzte, wurde letzterer in den folgenden Jahrhunderten verlegt oder zerstört, manchmal sogar noch im 19. Jahrhundert.

Das letztere Schicksal erfuhr also 1683 nicht nur der Westlettner im Mainzer Dom, sondern 1699 auch der Lettner von Notre Dame in Paris. Interessanterweise blieben Lettner in anglikanischen und protestantischen Kirchen viel häufiger erhalten. Sie wurden dazu genutzt, um hier eine Orgel einzubauen oder auch zur Aufstellung des Kirchenchores. Vielleicht gab es hier auch eine größere Scheu, ein so wertvolles Kunstwerk einfach abzureißen? Vielleicht sah man einfach gar nicht die Notwendigkeit, da die protestantischen Pfarrer sowieso verheiratet waren und dem Volk damit viel näher standen. 

Abb. 3: Der Westlettner im Naumburger Dom, Gesamtansicht (Wiki) (dahinter stehen die Stifterfiguren)

Über den Lettner in Notre Dame de Paris wurde dann 2022 noch weiter ausgeführt (Inrap04/22):

Die um 1230 erbaute monumentale Chorschranke, die den Chor (den Geistlichen vorbehalten) vom Kirchenschiff (den Gläubigen vorbehaltener Raum) trennte, wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgerissen, um neuen liturgischen Erfordernissen gerecht zu werden. Unter Ludwig XIV. wurde der Lettner, der das Querschiff vom Chor trennte, abgerissen. Heute sind nur noch Teile des Lettners entlang der Seitenwände des Chores erhalten, im Norden (datiert aus dem 13. Jahrhundert ) und im Süden (datiert aus dem 14. Jahrhundert ), heute "Chorumfriedung" genannt.
Von der verzierten und mit Skulpturen versehenen Wand sind nur noch wenige Elemente erhalten, die während der Arbeit des Architekten Viollet-le-Duc (1814-1879) ans Licht gekommen waren, und die im Louvre aufbewahrt werden, sowie einige Blöcke in den Lapidarium-Reservaten der Kathedrale. Dank der Ausgrabungen wurden nun mehrere hundert Lapidarelemente mit einem Gewicht von mehreren hundert Gramm bis fast 400 kg gefunden, die im östlichen Bereich des Querschiffs vergraben waren. (...)
Im Gegensatz zu den im Louvre aufbewahrten Fragmenten fallen die (neuen) Fragmente durch ihre Polychromie auf, wobei die Farben manchmal durch Ergänzungen, Reparaturen, das Aufbringen von Blattgold usw. überlagert werden.

Diese Entdeckungen geben einen ganz neuen Blick frei auf die Kunstgeschichte des Hochmittelalters und des 13. Jahrhunderts. Es wird deutlicher als jemals zuvor, daß der Naumburger Meister Anregungen zu seiner Kunst aus Frankreich bekommen hat, bzw. im gleichen Sinne tätig war wie die zeitgleichen Künstler in Frankreich. Außerdem fragt man sich angesichts solcher Funde, was unter dem Fußboden deutscher Kirchen und Dome alles noch an wertvollsten Kunstwerken begraben sein mag. Womöglich gar Kunstwerke des Naumburger Meisters oder des Bildhauers des Bamberger Reiters.

Abb. 4: Adelheid von Burgund (932-973), Kaiserin des Deutschen Reiches, Stifterfigur im Meißner Dom, geschaffen 1250/60 vom "Naumburger Meister" (Wiki)

Es gab dann noch weitere Berichte zu den Ausgrabungen und Restaurierungs-Arbeiten in Notre Dame (s. Inrap). Anfang Dezember 2024, in der Zeit der Wiedereröffnung des Domes von Notre Dame mit Staatsgästen aus aller Welt, brachte "Arte" dann eine ausführliche Dokumentation über die Ausgrabungen und Forschungen zu Notre Dame und seinem Lettner (3) (Yt). Wir haben diese auch in unseren Blogartikel eingebunden. Die Forscher glauben, daß sich unter weiteren Teilen des Fußbodens von Notre Dame noch andere Teile des einstigen Lettners werden finden lassen. Zu dem ausgegrabenen Kopf (Abb. 1, 2) wurde auch der dazu gehörige Körper gefunden, wie in der Dokumentation dargestellt ist.

Seit Anfang Dezember 2024 werden auch im Kloster Cluny (Wiki) in Burgund die Skulpturenfunde erstmals ausgestellt, allerdings, soweit übersehbar, noch in ganz vorläufiger Form (FineArt). Die Ausstellung ist benannt "Die Steine zum Sprechen bringen - Mittelalterliche Skulpturen aus Notre Dame". "National Geographic" hat über die Ausstellung berichtet (NG11/24), das Titelbild, das auf Facebook geteilt wurde, war es, das so viel Staunen erwecken konnte und neugierig machen konnte (Abb. 1): eine gotische Skulptur, noch ganz von Schutt bedeckt. Man erkennt aber blonde Haare, blaue Augen - auf der Skulptur hat sich also die Farbe erhalten.*)

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*) Möchte man weitere Bild-Eindrücke von dieser Ausstellung gewinnen, macht es Sinn, nach dem französischen Titel der Ausstellung zu suchen: "Faire parler les pierres". Sinnvoll könnten auch die Suchworte sein: "sculptures médiévales à notre dame polychrome". Wichtige Fotografen des neuen Fundes sind Didier Rykner (LaTrib) (LaTrib), Hamid Azmoun für Inrap (Inrap), Denis Gliksman für Inrap (Arch) (LeJourn) (NG11/24), s.a.: die Social-Media-Seiten vom Kloster Cluny (Fb) (Tw). Wir hoffen, daß das Einbinden der Fotos der genannten Fotografen ok ist, werden sie aber sofort löschen, wenn erwünscht. Ohne die beiden eingestellten Fotos würde man aber gar nicht sinnvoll über diese aufregenden Forschungen berichten können.

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  1. Die Untat von Dresden. Gerhart Hauptmann klagt an. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 6.4.1945 (s. Lesen
  2. Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann: Leben, Werk und Zeitbooks. 2016 (GB)
  3. Die verborgenen Schätze von Notre-Dame. Doku Arte 1.12.2024 (Yt)

Samstag, 14. Dezember 2024

Selige Insel der Aphrodite - Zypern

Das bilderreiche Zypern
- Eine kleine Auswahl von Werken der Kunstgeschichte Zyperns 3.000 v. Ztr. bis 300 n. Ztr.

Zypern (Wiki) - die Insel weist bis in die hellenistische Zeit hinein einen eigenen kulturellen Stil auf. Er ist nicht nur früh beeinflußt von der griechischen Kultur, sondern zugleich auch von den Phöniziern an der Levanteküste, von Nordmesopotamien her, von Ägypten her und von den ursprünglichen zypriotischen Vorfahren her. 

Abb. 1: Frauenkopf aus Zypern, Terrakotta, 4. Jhdt. v. Ztr. (Met)

Dadurch entsteht - insbesondere während der Eisenzeit und während des archaischen Zeitalters Griechenlands (700 bis 500 v. Ztr.) - auf Zypern ein ganz eigenes kulturelles Gepräge. Diesem soll im folgenden ein wenig nachgegangen werden anhand einer kleinen Auswahl aussagekräftiger Werke aus der Kunstgeschichte Zyperns. 

Wertvolle Sammlungen zur Kunstgeschichte Zyperns finden sich unter anderem im Cypros-Museum in Nikosia (Wiki) (Vici), im Medelhavsmuseet in Stockholm (WikiCom) und auch im Metropolitan Museum of Art in New York (Bens2015). Letzteres Museum hat seine Bestände dankenswerter und vorbildlicher Weise schon in mehreren Bänden sowohl in Buchform als auch parallel online dokumentiert. So unter anderem in einem Band über seine Sammlung von Steinskulpturen (Met) und ebenso in einem Band über seine Sammlung von Terrakotta-Figuren (Met) von Zypern.

Archaische Zeit (700 bis 500 v. Ztr.)

Wie wir im letzten Artikel (Stgen24) gesehen haben, siedeln indogermanische Griechen auf Zypern seit etwa 2.100 v. Ztr., also im Grunde ebenso lang wie sie in der Ägäis gesiedelt haben. Es kamen während der Bronze- und Eisenzeit aber immer wieder neue griechische Kolonisten aus der Ägäis nach Zypern dazu (s. Abb. 19). 

Abb. 2: Jünglingskopf, Zypern, um 600 v. Ztr. (Met)

ChatGPT antwortet auf die Frage, warum es im 6. Jahrhundert v. Ztr. so viel wertvolle Kunst auf Zypern gibt unter anderem (ChatGPT):

... 3. Kulturelle Vielfalt
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Zypern ein Schmelztiegel verschiedener Völker und Kulturen. Phönizier, Griechen, Assyrer und Ägypter hatten alle Einfluß auf die Insel. Diese Mischung führte zu einer einzigartigen Kunstszene, die Elemente verschiedener Traditionen in sich vereinte, wie etwa die Verbindung von ägyptischen Motiven mit griechischer Formensprache oder phönizischen Ornamenten.
4. Religion und Kult
Zypern war ein Zentrum religiöser Aktivität, insbesondere in der Verehrung der Göttin Aphrodite, die in der griechischen Mythologie mit Zypern assoziiert wird. Zahlreiche Tempel und Heiligtümer wurden errichtet, die mit wertvollen Kunstwerken geschmückt wurden, darunter Skulpturen, Keramik und Metallarbeiten. Die religiöse Kunst hatte oft einen hohen symbolischen und ästhetischen Wert.
5. Politische Stabilität
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Zypern relativ stabil, insbesondere unter der Herrschaft der lokalen Königreiche, die als Vasallen der Großmächte (z. B. Assyrer und später Perser) eine gewisse Autonomie genießen konnten. Diese Stabilität begünstigte wirtschaftliche Prosperität und kulturelle Blütezeiten.
6. Technologische und künstlerische Innovationen
Die Künstler auf Zypern beherrschten fortschrittliche Techniken in der Metallbearbeitung, Keramikproduktion und Bildhauerei. Diese Fähigkeiten ermöglichten es ihnen, komplexe und beeindruckende Kunstwerke zu schaffen, die über die Jahrhunderte hinweg geschätzt wurden.
Die Kunst Zyperns aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. spiegelt somit die zentrale Rolle der Insel als Drehscheibe für Handel, Kultur und Religion wider, was die Werke sowohl in historischer als auch künstlerischer Hinsicht besonders wertvoll macht.

Zu fragen wäre, ob im 6. Jahrhundert v. Ztr. auf allen Teilen der Insel Arkadisch-kyprisches Griechisch (Wiki) gesprochen wurde, das die Mykener wohl schon um 2.100 v. Ztr. nach Zypern gebracht haben.

Abb. 3: Frauenkopf, Zypern, um 490 v. Ztr. (Met)

ChatGPT sagt dazu:

Im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde nicht auf allen Teilen Zyperns ausschließlich arkadisch-kyprisches Griechisch gesprochen. Die Sprachlandschaft der Insel war zu dieser Zeit vielfältig und spiegelte die kulturellen und politischen Einflüsse wider, denen Zypern ausgesetzt war. Hier sind die wichtigsten Punkte dazu:
1. Arkadisch-kyprisches Griechisch
Arkadisch-kyprisches Griechisch war eine wichtige Sprache auf Zypern und gehört zu den ältesten griechischen Dialekten. Es entwickelte sich aus der mykenischen Sprache der Bronzezeit und wurde insbesondere in den griechischen Stadtstaaten der Insel gesprochen, etwa in Paphos, Kourion und Salamis. Dieser Dialekt war eng mit der Sprache der mykenischen Zeit verbunden, da die ersten griechischsprachigen Siedler während der mykenischen Migrationen nach Zypern kamen (um 1200 v. Chr.).
2. Phönizisch
Neben dem arkadisch-kyprischen Griechisch war Phönizisch auf Zypern weit verbreitet, insbesondere in Städten wie Kition. Die Phönizier siedelten ab dem 9. Jahrhundert v. Ztr. auf der Insel und hatten erheblichen kulturellen und politischen Einfluß. Phönizisch wurde vor allem in den phönizischen Gemeinden und deren Umgebung gesprochen und geschrieben.

Aber es hielten sich auch noch Nachkommen vorindogemanischer Einheimischer auf Zypern.

Abb. 4: Männerkopf, Zypern, zwischen 500 und 400 v. Ztr., Museum Nikosia (Vici) (fotografiert von Ab Langereis 2022) (Fotografie vom Verfasser dieser Zeilen aufgehellt) 

ChatGPT führt nämlich weiter aus: 

3. Eteokyprisch
Eteokyprisch, die Sprache der vorgriechischen Bevölkerung Zyperns, wurde ebenfalls in einigen Teilen der Insel verwendet. Sie ist durch Inschriften überliefert, die in der zyprischen Silbenschrift verfaßt sind, und stellt eine nicht-griechische Sprache dar, die möglicherweise mit anderen anatolischen Sprachen verwandt ist. Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Eteokyprisch bereits auf wenige Gebiete beschränkt und wurde allmählich von griechischen und phönizischen Sprachen verdrängt.
4. Einfluß der Großmächte
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. stand Zypern unter der Vorherrschaft verschiedener Großmächte, darunter die Assyrer, Ägypter und später die Perser. Diese Herrschaftswechsel brachten auch kulturelle und sprachliche Einflüsse mit sich. Zwar waren die einheimischen Sprachen dominant, aber die Sprachen der herrschenden Mächte wurden in administrativen oder diplomatischen Kontexten verwendet.

Es fühlt sich unheimlich an, sich hinsichtlich solcher komplexer Fragen "nur" auf ChatGPT zu verlassen. Aber die hier gegebenen Antworten klingen alle plausibel. 

Abb. 5: Büste, Zypern, zwischen 500 und 400 v. Ztr., Museum Nikosia (Vici) (fotografiert von Jona Lendering; von uns nachbearbeitet)

Bei der Fülle der auf Zypern geschaffenen Kunst kommt es auch dazu, daß bei vielen Kunstwerken (nicht hier im Artikel gebracht) der Eindruck entsteht, man habe es nicht mit dem Zentrum einer bestimmten Kunstentwicklung zu tun, sondern eher mit der Peripherie. Also so wie etwa die provinzialrömische Kunst oft eine gröbere, minderwertigere Nachahmung der hochwertigen Kunst im Zentrum des Römischen Reiches darstellte (die wiederum in der Tradition der griechischen Kunstauffassung stand).

Klassische Zeit

Ein solcher Eindruck entsteht oft auch von der Kunst auf Zypern. Wir greifen hier in den Abbildungen aber vor allem solche Kunstwerke heraus, die von der Qualität her über einem solchen Durchschnitt stehen. 

Abb. 6: Eine Porträtbüste aus Terrakotta (aus Vassos 1975)- Eine sehr ähnliche fand sich in einem Heiligtum in Pomos in Nordwestzypern, datiert auf 400 bis 310 v. Ztr. (Met)

An dem Perserkrieg (500-494 v. Ztr.) (Wiki), dem Freiheitskrieg der griechischen Poliswelt gegen das Persische Großreich, beteiligten sich auch die griechischen Städte auf Zypern, insbesondere die dortige Stadt Salamis im Osten Zyperns. 

Als die Perser mit Hilfe der Phönizier Truppen auf die Insel übersetzten, entsandte Griechenland eine Hilfsflotte nach Zypern (Wiki). Diese Flotte besiegte die mit den Persern verbündete phönizische Flotte. Allerdings wurde der König von Salamis in der Landschlacht geschlagen und verlor in ihr sein Leben. Zypern blieb bis zum Siegeszug Alexanders des Großen unter persischer Herrschaft.  

Abb. 7: Statue eines jungen Mannes, Zypern, um 350 v. Ztr. (s. Met)

Interessanterweise findet sich noch im 4. Jahrhundert v. Ztr. auf Zypern in der reichen kulturellen Überlieferung ein Skulpturen-Typ, von dem wir im vorliegenden Artikel keine Abbildung bringen, in dem jedoch rituelle männliche Nacktheit dargestellt ist.

Dieser Skulpturen-Typ wird "Temple boys" genannt, zu Deutsch also etwa "Temple-Jugendliche" (es gibt vereinzelt diesbezüglich auch weibliche Skulpturen). Es handelt sich um Steinskulpturen (z.B.: Met), mitunter auch um Skulpturen aus Terrakotta (z.B.: Met). 

Eine solche Figur fand sich auch im Libanon, wo sie eine phönizische Inschrift trug, in der sie als Gabe eines Königs von Sidon benannt ist (Wiki). Diese Figuren stammen also mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem kulturellen Bereich der Phönizier. (Ob diese "Tempel-Jugendlichen" in Zusammenhang damit gebracht werden können, daß es ja unter den Phöniziern auch Kinderopfer gegeben haben soll, bleibe hier dahin gestellt. Vielleicht wurden sie auch dem Tempel dargebracht als Ersatz für ein Kinderopfer - ?) 

Abb. 8: Kinderkopf aus Terrakotta, Zypern, 3. Jhdt. v. Ztr. (Met)

Von dem genannten Fund im Libanon und einer entsprechenden phönizischen kulturellen Einordnung weiß ChatGPT nichts.*) Auffällig erscheint ja, daß diese "Tempeljugendlichen" oft mit einer Art Priesterornat bekleidet sind. Vielleicht stellten sie auch Priesternachwuchs dar.

Abb. 9: Frauenkopf, vielleicht Artemis, aus hellenistischer Zeit, gefunden in Nea Paphos, Zypern (Vici), Museum Nikosia (fotografiert von Ab Langereis; aufgehellt)

Was für reife, hochwertige, ausgereifte Kunstwerke sich auch auf Zypern in der Zeit des Hellenismus und auch des Späthellenismus finden (Abb. 7 bis 11)!

Eben ganz so wie in allen anderen Teilen des Mittelmeerraumes in dieser Zeit. 

Abb. 10: Aphrodite bewaffnet mit einem Schwert (Venus vitrix), gefunden im "Haus des Theseus" in Nea Paphos, Zypern, 100 bis 300 n. Ztr. (Vici) (fotografiert von Jona Lendering 2022; aufgehellt) (s.a. WikiCom)

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 11. Bronzestatue des römischen Kaisers Septimius Severus (146-211 n. Ztr.) (W), entdeckt 1928 auf einem Feld nahe des Dorfes Kythrea, wo sich die antike Siedlung Chytroi befand**) (urspr. Fotografie von mir aufgehellt)

/ Zu ergänzende Textteile /

Blick zurück auf die vorindogermanische Zeit Zyperns (7.000 bis 2.100 v. Ztr.)

Die Kultur war auf Zypern anfangs, und zwar schon im Vorkeramikum (Pre-Potery-Neolithic B=PPNB), von Menschen vornehmlich anatolisch-neolithischer Herkunft getragen. In all den Jahrtausenden vor der Ankunft der Indogermanen herrscht auf Zypern vom Zuschnitt des kulturellen Ausdrucks her ein ganz anderer Geist vor. Wir bringen dafür hier nur wenige Beispiele.

PPNB auf Zypern - Anatolisch-neolithisch geprägt

In einer von uns ansonsten schon in früheren Jahren ausgewerteten archäogenetischen Studie aus dem Jahr 2022 hieß es zu Zypern (1):

Der höchste Anteil anatolisch-neolithischer Herkunft findet sich in neolithisch-anatolischen Bevölkerungen ebenso wie in frühen bäuerlichen Bevölkerungen auf Zypern. (...) Die Tier-Reste des PPNB auf Zypern und die Benutzung von Obsidian aus Anatolien als Rohmaterial legt Verbindungen mit dem mittleren und südlichen Anatolien nahe. Und die genetischen Daten erhöhen das Gewicht dieser Hinweise zugunsten eines Szenarios, daß die Hauptherkunft der ersten Bauern auf Zypern auf Anatolien zurück führt.
The highest proportion of Anatolian Neolithic-related ancestry is observed in Neolithic Anatolian populations as well as the early farmers of Cyprus. (...) The high Anatolian-related ancestry in Cyprus revealed by this model (Fig. 2) and subsequent analyses (Fig. 3) sheds light on debates about the origins of the people who spread Pre-Pottery Neolithic culture to Cyprus. Parallels in subsistence, technology, settlement organization, and ideological indicators (15) suggest close contacts between Pre-Pottery Neolithic B people in Cyprus and on the mainland (13), but the geographic source of the Cypriot Pre-Pottery Neolithic populations has been unclear, with many possible points of origin (20). An inland Middle Euphrates source has been suggested on the basis of architectural and artifactual similarities (14, 21). However, the faunal record at Cypriot Pre-Pottery Neolithic B sites and the use of Anatolian obsidian as raw material suggest linkages with Central and Southern Anatolia (15), and the genetic data increase the weight of evidence in favor of this scenario of a primary source in Anatolia.

Damit mehren sich Hinweise, daß die anatolisch-neolithische Herkunftsgruppe - sozusagen - am frühesten "umtriebig" gewesen ist und die bis dahin weiträumigsten Ausbreitungs- und Siedlungsbewegungen hinter sich gebracht hat. Sie war im vorkeramischen Neolithikum am Oberen Tigris ebenso "mit dabei" wie auf Zypern. Wenig später bringt sie ihre demographische Fruchtbarkeit an die Küsten fast des gesamten Mittelmeeres und über den gesamten Balkan hinweg bis zum Nordrand der europäischen Mittelgebirge und später bis nach Skandinavien und England.

Abb. 12: Model eines urtümlichen Tempels auf Zypern (aus Kotsiatis-Marki im mittleren Zypern) (aus: Webb/Frankel2010)

Mit der Kupferzeit (ab 5.500 v. Ztr.) (Wiki) bekommt Zypern eine ganz besondere Stellung innerhalb des Kupferhandels der damaligen Welt. Die ältesten Kupfer-Artefakte auf Zypern datieren allerdings erst auf 4.000 v. Ztr., das ist die Zeit, als die Urindogermanen von der Wolga an die Donau kamen, und die Länder der Herkunft des Kupfers, das sie damals schon an der Wolga benutzten, zu besiedeln. Zeitgleich wird Kupfer also auch auf Zypern bedeutsam.

Der Name Zypern selbst leitet sich ja ab von dem griechischen Wort für Kupfer, "kupros" (FergusMurray). Zypern galt dann bis in die Bronze- und Eisenzeit hinein als "das" Kupferland schlechthin. Die Kupferlagerstätten Zyperns liegen auf den Nordhängen im mittleren Zypern. Noch heute wird auf Zypern Kupfer in großem Umfang auf Abraumhalden maschinell abgebaut. Dabei sind auch viele archäologische Abbaustätten zerstört worden. 

Abb. 13: Typische Terrakotta-Figur auf Zypern um 1450/1200 v. Ztr., Metropolitan Museum of Art (Met)

Am Ende der Bronzezeit erlebte Zypern zwei Wellen griechischer Besiedlung. Die erste Welle der griechischen Kolonien-Bildung auf der Insel der Aphrodite begann ab etwa 1400 v. Ztr.. Ab dieser Zeit wird auch mykenische Keramik Massenware auf Zypern (Wiki).

Zypern spielt in der griechischen Mythologie eine wichtige Rolle. Es ist der Geburtsort von Aphrodite und Adonis, es ist die Heimat von König Kinyras, Teukros und Pygmalion. 

Zwischen 1450 und 1200 v. Ztr. finden sich auf Zypern auch viele Frauen-Terrakotta-Figurinen mit Vogelköpfen (z.B. Met).

Abb. 14: Terrakotta-Wand-Brett, Zypern, um 1000 v. Ztr. (Met

Bei den Hethitern, in Ugarit und in Ägypten sind Zypern und der dort herrschende König um 1300 v. Ztr. bekannt. Das belegen entsprechende Schriftquellen aus dieser Zeit (Wiki). Es handelte sich offenbar um ein einziges, selbstständiges Königreich.

Die Phönizier kommen nach Zypern

Eine weitere große griechische Besiedlungswelle soll nach dem Zusammenbruch des mykenischen Griechenland in der Spätbronzezeit zwischen 1100 und 1050 v. Ztr. stattgefunden haben; der überwiegend griechische Charakter der Insel soll erst aus dieser Zeit stammen. 

Für eine frühe Anwesenheit der Phönizier in Kition gibt es literarische Belege. Sie deuten darauf hin, daß Zypern zu Beginn des 10. Jahrhunderts v. Ztr. unter thyrischer Herrschaft stand.

Abb. 15: Terrakotta-Figur aus der Gegend von Larnaka, wohl 6. Jhdt. v. Ztr., Pierides-Museum in Larnaka auf Zypern (Wiki) (aus Vassos 1975)

Aus dem spätbronzezeitlichen und eisenzeitlichen Zypern ist dann eine Fülle von Skulpturenfunden überliefert, insbesondere Terrakotta-Figuren, die bislang kaum Wertschätzung und einen Platz im kulturellen Gedächtnis gefunden haben. Sie sind offensichtlich Ausdruck der mykenischen, griechischen, phönizischen und letztlich zypriotischen Kultur. Eine große Zahl solcher Skulpturen stammt aus Agia Irini (900-600 v. Ztr.) (Wiki) (HeidiTrautmann2014). 

Wir können zu diesem Thema an dieser Stelle bisher noch gar keine erschöpfende Behandlung geben. Vielleicht kann sie künftig nachgetragen werden.

Es finden sich außerdem phönizisch beeinflußte Skulpturen, die dasselbe "ionische Lächeln" zeigen wie die frühgriechischen Skulpturen. Insgesamt zeigen sie aber zugleich auch eine ganz eigene kulturelle Charakteristik, die sich sonst für diese Zeit nirgendwo im Mittelmeer-Raum findet (s. z.B. WikiComWikiCom, s. LauraSwantek2018).

Abb. 16: Kopf eines Beamten, Fürsten, Königs oder Statthalters aus dem Levanteraum um 700 v. Ztr. (Met)

Die Stadt Kition (Wiki), an der östlichen Südküste der Insel gelegen, ist um 1200 v. Ztr. mit mykenischen Mauern befestigt worden. Im 8. Jahrhundert v. Ztr. wurde die Stadt von den Phöniziern erobert, deren Könige hier bis 312 v. Ztr. hier herrschten (Wiki):

Kition war ein Vasallenstaat Sidons; Flavius Josephus berichtet (wiederum nach Menander), daß König Elulaios von Sidon um 730 die aufständische Stadt Kition unterwarf. Sanherib ernannte nach seinen Annalen als Statthalter in Kition einen gewissen Ittobaal als Nachfolger des Lulî (Elulaios?), der von den Assyrern hingerichtet worden war.

In Kition war auch eine Sargon-Stele aufgestellt, deren Original sich heute im Vorderasiatischen Museum in Berlin befindet (Wiki):

Die Stele stand vermutlich auf der Akropolis von Kition und beschreibt den Sieg von Sargon II. (721-705 v. Ztr.) von Assyrien 707/709 v. Ztr. über die sieben Königreiche der Insel Ia' im Gebiet von Iadnana oder Atnana. Dieser Sieg wird auch in seinen Annalen in Chorsabad beschrieben:
„[…] und ebenso hörten die sieben Könige des Landes Ia von den Taten, die ich in dem Lande Kaldu und im Land Hatti unablässig vollbrachte, und das Herz schlug ihnen im Halse, und Angst überwältigte sie […] So brachten sie Gold, Silber und Gegenstände aus Ebenholz und Buchsbaum, Produkte ihres Landes, zu mir nach Babylon und küßten mir die Füße.“ (...)
Wie die assyrische Verwaltung Zyperns aussah, ist unbekannt. (...) Da die Assyrer keine eigene Seemacht besaßen, beschränkte man sich vielleicht darauf, den Tribut einzuziehen und überließ die Herrschaft vor Ort einheimischen Königen. Man nimmt an, daß Kition, eine Gründung von Sidon, der Sitz des assyrischen Statthalters war.

(s.a. VordAsiaMBerlin). Der letzte König von Kition hat sich Alexander dem Großen unterworfen hat und ist von ihm als Statthalter eingesetzt worden. In Kition wurde in jener Zeit, 333 v. Ztr., Zenon, der Begründer der Stoa geboren.

Karten-Anhang

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 17: Die zehn Königreiche des eisenzeitlichen Zypern (Wiki)

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 18: Die zehn Königreiche von Zypern im 8. Jhdt. v. Ztr. (aus D. W. Rupp, 'Puttin' on the Ritz. Manifestations of High Status in Iron Age Cyprus', in E. Peltenburg (ed.), Early Society in Cyprus, Edinburgh 1989, 347 fig. 38.5) (ucl.uk)

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Abb. 19: Griechische Kolonien auf Zypern und ihre Herkunft (aus: Panayiotis Georgiou; Cyprus within the Ancient Greek World) (Wiki)

Die Indogermanisierung Griechenlands ab 2.200 v. Ztr. war für viele Teile Griechenlands - vermutlich vergleichbar zum zeitgleichen Geschehen in Armenien - schwer traumatisch. Auch Zypern erreichte schon um 2.200 v. Ztr. Steppengenetik. Die traumatische Erfahrung dieser Indogermanisierung mag zum Beispiel einen Widerhall finden im Marsyas-Mythos. Aber es muß zugleich auch festgestellt werden, daß schon kurz nach dieser Indogermanisierung viele Gesellschaftsbereiche im mykenischen Griechenland von einer unglaublichen Lebensfreude, Lebenskraft und Lebenszugewandtheit durchdrungen waren. Wie sonst wollte man die mykenische Kolonienbildung schon während der Bronzezeit entlang der Adria und bis Zypern (Abb. 19) erklären wollen?

Es mag sich ein Vergleich aufdrängen mit der Christianisierung der Deutschen. Diese Christianisierung war zumindest in Teilen eine traumatische Erfahrung. Am deutlichsten in Sachsen um 800 v. Ztr. durch Karl den Großen, also im heutigen Westfalen und Niedersachsen. Doch nur zweihundert Jahre später sind es gerade die Sachsen, die in der deutschen Ostsiedlung unglaublich viel gesellschaftliches, lebenszugewandtes, lebensfreudiges Potential entfaltet haben.

Solche Umstände mögen deutlich machen, daß in jeder gesellschaftlichen Traumatisierung auch eine große Chance enthalten zu sein scheint.

_________

*) ChatGPT sagt zu der Frage "Was ist ein temple boy?" unter anderem: " 'Temple Boys' wurden in verschiedenen Tempelanlagen auf Zypern gefunden, besonders in Paphos, Kition und anderen religiösen Zentren der Insel. Diese Fundorte deuten darauf hin, daß sie eine wichtige Rolle im kultischen Leben der zypriotischen Bevölkerung spielten. 'Temple Boys' sind typisch für die zypriotische Kunst und spiegeln die lokale Tradition der Herstellung von Terrakottafiguren wider. Die genaue Bedeutung der 'Temple Boys' ist nicht abschließend geklärt, aber sie werden oft als Votivgaben interpretiert, die in Heiligtümern deponiert wurden. Die Figuren sind ein Beispiel für die Mischung kultureller Einflüsse auf der Insel, da sie stilistisch sowohl griechische als auch östliche Merkmale zeigen."
**) Die Skulptur wurde der Öffentlichkeit erst ab 1976 restauriert präsentiert im Zypernmuseum Nikosia (DAllsop) (WikiCom). Die glanzvollste Fotografie dieser Skulptur stammt von Peter Schickert (Lk) - steht aber leider unter Copyright (s.a. Vici).

________

  1. Lazaridis I, Alpaslan-Roodenberg S, (...) Pinhasi R, Reich D (2022) Ancient DNA from Mesopotamia suggests distinct Pre-Pottery and Pottery Neolithic migrations into Anatolia. Science 377, 982-7, 25.8.2022 (pdf) (Anhänge)
  2. Karageorghis Vassos: Cypriote antiquities in the Pierides collection, Larnaca, Cyprus. Um 1975 (Biblio)
  3. John Bedell: Faces from Ancient Cyprus (Bensozia2015)
  4. Webb, Jennifer M., Knapp, Arthur B.: Rethinking Middle Bronze Age Communities on Cyprus: “Egalitarian” and Isolated or Complex and Interconnected?. J Archaeol Res 29, 203–253 (2021). https://doi.org/10.1007/s10814-020-09148-8; Published 14 September 2020 (Resg)
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