Mittwoch, 18. Dezember 2024

Archäogenetik für Anfänger: Der Anteil der Steppengenetik in Europa

In einem sehr kurzen Überblicksartikel über die bisherigen Erkenntnisse der Archäogenetik von Seiten eines polnischen Archäogenetikers wird die folgende Grafik gebracht (1).

Abb. 1: Der Anteil der Steppengenetik, der anatolischen Bauerngenetik und der Jäger-Sammler-Genetik in heutigen europäischen Völkern (aus 1, nach 2)

Diese Grafik ist immer noch eine sehr wertvolle Zusammenfassung grundlegender Erkenntnisse zur Archäogenetik der heutigen europäischen Völker. Sie stellt das vorläufige Ergebnis der wechselhaften Volkwerdung der europäischen Völker insbesondere während des Neolithikums dar. Im Groben haben sich die Herkunftsanteile innerhalb der europäischen Völker nämlich seit der Bronzezeit nicht mehr verschoben.

Das heißt nicht, daß auch kleinteiligere Herkunftsverschiebungen während der Eisenzeit und bis heute wesentliche Erkenntnisse zur Geschichte, Kulturgeschichte und Bevölkerungsgeschichte vermitteln. Zum Beispiel erhöhte die Einwanderung der Slawen nach Griechenland nach 600 n. Ztr. den dortigen Steppengenetik-Herkunftsanteil, die Einwanderung der Germanen nach Süddeutschland nach 500 v. Ztr. erhöhte auch dort den Steppengenetik-Anteil und die verschiedenen keltischen und zum Schluß germanischen Einwanderungen in England (ab 600 n. Ztr.) brachten ebenfalls Verschiebungen in den Herkunftsanteilen mit sich. Aber auf diese "kleinteiligeren" Erkenntnisse kommt es in der oben eingestellten Grafik zunächst nicht an.

Wir sehen, daß noch heute auf Sardinien die Menschen den höchsten Anteil von anatolischer Bauerngenetik ("neolithic Farmers") (Wiki) in sich tragen. Dennoch tragen sogar sie noch mehr Steppengenetik in sich als beispielsweise die antiken Griechen in sich getragen haben, die nur acht Prozent Steppengenetik aufgewiesen haben, also auch noch deutlich weniger Steppengenetik als die heutigen Griechen. (Ein Umstand, der immer wieder erneut zum Erstaunen Anlaß gibt. Schließlich waren die antiken Griechen "die" Inkarnation der Indogermanen schlechthin.)

Für Deutschland sind noch keine Herkunftsanteile eingetragen. Diese unterscheiden sich aber kaum von denen im heutigen Polen oder im heutigen Tschechien. Damit fallen beispielsweise die ganzen Rassetheorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich zusammen, mit Hilfe derer Völker gegeneinander aufgehetzt wurden, und nach denen es angeblich einen beträchtlichen genetischen Unterschied zwischen "Germanen" einerseits und "Slawen" andererseits gegeben hätte. Nichts davon ist in den Genomen zu sehen. Die Nationalsozialisten und nicht selten auch die Panslawisten sind Hirngespinsten hinterher gelaufen. Millionen von Menschen wurden durch diese kraß abgewertet und entmenschlicht. 

Von der Eiszeit bis 6.500 v. Ztr. trugen alle Menschen in Europa nur Jäger-Sammler-Herkunft (Wiki) in sich (oranger Herkunftsanteil). Durch die Ausbreitung anatolisch-neolithischer Bauern rund um das ganze Mittelmeer und bis hoch hinauf nach Skandinavien (im Früh- und Mittelneolithikum) kam die noch heute im Mittelmeer-Raum überwiegende anatolisch-neolithische Bauerngenetik (Wiki) nach Europa.

Mittelneolithische Großreiche

Nach Vermischung mit den einheimischen Jägern und Sammlern entstanden im Mittelneolithikum Großreiche mit einer Beamtenelite in ganz Europa bis hinauf nach Irland (Stg20). Diese Beamtenelite wurde nicht selten in "Großsteingräbern" (Megalithen) bestattet. Sie stellte in vielen Regionen den angesehenen Verstorbenen (Königen) Statuenmenhire auf (Stg19). Sie unternahm ab 3.500 v. Ztr. Zeremonialumzüge auf Rinderwagen entlang von Heiligtümern, sowie von Gräberstraßen von verstorbenen Königen (Stg10). Mit solchen Rinderwagen ließ sich der Adel sehr oft auch gemeinsam bestatten. Das entsprach der Hochwertung der damals neuartigen Erfindung des Rades. Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß es in diesen mittelneolithischen Großreichen Sklaverei und Menschenopfer gegeben hat. Einige Hinweise darauf haben sich schon gefunden (Stg20). 

In den mittelneolithischen Großreichen wurden sehr häufig Volkssternwarten ("Kreisgrabenanlagen") (Wiki) zum Feiern des Weihnachtsfestes und der Sonnenwende errichtet. In diesen Anlagen und in deren Umfeld versammelten sich über Tage und Wochen tausende von Menschen zur Feier des Weihnachtsfestes, der "geweihten Nächte". Es wurden viele Schweine aus diesem Anlaß geschlachtet. Entsprechendes wurde im Mittelelbe-Gebiet und bei Stonehenge von den Archäologen festgestellt (Stg20).

Alle diese kulturellen Erscheinungen gab es zur gleichen Zeit in ähnlicher oder abgewandelter Form auch in der Nordschwarzmeersteppe. Hier lebten die Menschen halbnomadisch, es gab Kurgane, in denen immer wieder andere Familien ihre Angehörigen bestatteten, in deren Umfeld es also aufgrund der schwankenden klimatischen Verhältnisse viel Bewegung und Veränderungsfreude gab (Stg24). Der Rinderwagen spielte dort dieselbe Rolle wie in Mitteleuropa oder im Kaukasus oder im Vorderen Orient. Auch Statuenmenhire wurden in der Nordschwarzmeersteppe aufgestellt.

Ab 3.000 v. Ztr. breitete sich mit den Völkern des Nordschwarzmeerraumes (der Jamnaja) (Wiki) die indogermanische Steppengenetik in ganz Europa aus, zunächst in Nordeuropa zusammen mit der Schnurkeramik-Kultur, von der die Germanen abstammen, wenig später in Südeuropa zusammen mit der Glockenbecher-Kultur, von der die Kelten und Italiker abstammen (Stg24). Mit diesen Ausbreitungsbewegungen anfangs halbnomadischer Völker innerhalb Europas kamen jene indogermanischen Sprachen nach Europa, die wir heute noch sprechen. Diese Steppenbewohner sind sowohl kulturell wie auch religiös und genetisch unsere unmittelbaren Vorfahren. Da Skandinavien und die britischen Inseln viel weniger dicht besiedelt waren, als Südeuropa, hat sich die indogermanische Steppengenetik in Nordeuropa viel umfangreicher durchgesetzt bis heute als in Südeuropa.

Der mediterrane Menschentypus bleibt also von der anatolisch-neolithischen Bauerngenetik geprägt. Diese hat die Grundlage vieler früher Hochkulturen seit etwa 6.500 v. Ztr. gelegt. Er trägt aber heute innerhalb Europas überall mehr Steppengenetik in sich als ihn die antiken Griechen und die antiken Menschen des östlichen Mittelmeerraumes (also auch die Thraker und die Phönizier) in sich getragen haben.

Man kann es auch so sagen: Die genetischen "Potentiale" des antiken Griechenland sind noch heute in Europa überall und allseits vorhanden. Sie wären sogar dann noch vorhanden, wenn die Menschen Nordeuropas genetisch aussterben sollten. Es gibt allerdings keinen wirklich triftigen Grund, warum die Menschen Nordeuropas ihrer demographischen Erneuerungsfreude weiterhin so gleichgültig gegenüber stehen sollten wie sie das seit vielen Jahrzehnten tun, indem ihre Kinderwünsche weit hinter der Verwirklichung ihrer eigenen Kinderwünsche zurück bleiben (Stg07a, Stg07b). Die genetischen "Potentiale" des Abendlandes dürften mit einer solchen demographischen Erneuerungsfreude doch sehr viel zu tun haben. 

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  1. Golik, Pawel: Migrations Recorded in Our DNA. In: Academia. The magazine of the Polish Academy of Science, 2024 (pdf)
  2. Haak W. et al., Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe, Nature 2015, vol. 522.

Montag, 16. Dezember 2024

Notre Dame - Kunstwerke von Weltrang entdeckt

Bislang unbekannte mittelalterliche Skulpturen entdeckt (1230/1260)
- Der Lettner von Notre Dame und sein Figurenschmuck - Eine Wiederentdeckung

Sie sind weltberühmt - die Stifterfiguren des Naumburger Meisters im Naumburger Dom (Wiki). Erst wenn man sie sich vor Ort anschaut, wird einem bewußt, daß derselbe Künstler, der um 1250 herum diese Stifterfiguren als reifes Werk geschaffen hat, im Naumburger Dom auch den Figurenschmuck des sogenannten "Westlettners" geschaffen hat (s. Abb. 3) (s. GAj2010WikiCom). 

Abb. 1: Figur des um 1230 geschaffenen und 1699 abgebrochenen Lettners in Notre Dame (Foto von Denis Gliksman im Auftrag von Inrap)

Der Westlettner ist - unberechtigterweise - viel weniger bekannt. Stifterfiguren und Westlettner bilden aber innerhalb des Naumburger Domes sozusagen ein "Gesamtkunstwerk".

Der Naumburger Meister (1200-1270) (Wiki) hat um 1240 auch den Westlettner des Mainzer Domes geschaffen. Dieser war dem Heiligen Martin gewidmet. Der Mainzer Westlettner ist 1683 abgebrochen worden. Dabei wurden wichtige Kunstwerke des Naumburger Meisters gerettet: So "Die Verdammten in Ketten" (Wiki), der "Mainzer Kopf mit der Binde" (DDB, Rev, Fli) und "Der Heilige Martin teilt seinen Mantel mit einem Bettler" ("Bassenheimer Reiter") (Wiki).

Wir können uns alle noch erinnern: Im April 2019 brannte in Paris der Dachstuhl von Notre Dame - lichterloh (Wiki). Das Feuer war nur schwer einzudämmen und drohte, den gesamten Dom zu zerstören. Die Bilder gingen um die Welt. Ein Wahrzeichen des Abendlandes stand in Brand. Entsetzt schaute die Welt auf solche Bilder. Sie lösten unmittelbar Trauer aus. Oder war es Untergangsstimmung? Man bekam ein Gefühl für die Verletzlichkeit unserer Kultur. Und es wurde zugleich sichtbar, wie sehr wir Menschen doch alle in Liebe verbunden sind mit dem Großen in dem, was wir "Kultur" und "kulturelle Vergangenheit", "Überlieferung" nennen. Eine Verbundenheit, die im Grunde auf einer ganz vorrationalen Ebene angesiedelt ist. Eine Verbundenheit, die gar nicht einmal besonders viel Wissen voraussetzt. 

Es mag daran erinnert werden, wie es beispielsweise dem deutschen Schriftsteller Gerhard Hauptmann erging, als er den Untergang Dresdens 1945 erlebte. Die Worte, die er dabei nieder schrieb, sind damals im Rundfunk verlesen worden. "Ich weine. Man stoße sich nicht an dem Wort weinen ..." (1, 2) 

Aber der Brand von Notre Dame hatte ungeahnte Folgen. Bevor die schweren Baugerüste für den geplanten Wiederaufbau aufgestellt wurden, mußte - routinemäßig - der Fußboden unter der Vierung des Querschiffes archäologisch erforscht werden. Im April 2022 berichtete die nationale Archäologiebehörde Frankreichs (Wiki), die Grabung sei vom 2. Februar bis 8. April 2022 durchgeführt worden. Es seien gefunden worden (Inrap04/22), ...

... zahlreiche Elemente des mittelalterlichen Lettners (zerstört während der Herrschaft Ludwigs XIV.). (Sie) befanden sich in einem außergewöhnlichen Erhaltungszustand.

Ein zauberhafter, farbiger Kopf fand sich unter dem entdeckten Abraumschutt des Lettners (Abb. 1, 2) (Tw). Ein Kunstwerk aus der Zeit zwischen 1230 und 1260, genau aus derselben Schaffensperiode wie der des berühmten Naumburger Meisters (Wiki) in Deutschland. Die gezeigten Bilder erregten nicht nur in der Kunstwelt höchstes Erstaunen, sondern auch unter sonstigen Kulturinteressierten. Letztere mögen auf Facebook über solche Fotos gestolpert sein (so wie der Verfasser dieser Zeilen). Und sie mögen danach fragen lassen, worum es sich hier eigentlich handelt (s.a. FSSPX). Um die historischen Zusammenhänge zu verstehen, sei noch einmal genauer über die Geschichte von Notre Dame de Paris nachgelesen (Wiki):

Im Jahr 1699 wurden auf Wunsch Ludwigs  XIV. und seines Vaters Ludwig  XIII. tiefgreifende Veränderungen an der Innenausstattung der Kathedrale, insbesondere am Chor, vorgenommen. Der Architekt Robert de Cotte ließ den Lettner (der durch ein vergoldetes schmiedeeisernes Tor mit Goldfalzen ersetzt wurde) und einen Teil der Hochreliefs der Zäune abreißen, um den Chor zum Chorumgang hin zu öffnen, indem er sie durch Gitter ersetzte, um die vollständige Neugestaltung des Chores im Stil der damaligen Zeit zu ermöglichen - so wie dies bei vielen anderen gotischen Kathedralen in ganz Europa im 17. und 18. Jahrhundert geschah. ...

Wir hörten schon davon, daß ähnliches zuvor auch schon im Mainzer Dom geschehen war. 

Abb. 2: Figur des um 1230 geschaffenen und 1699 abgebrochenen Lettners in Notre Dame (Foto von Hamid Azmoun im Auftrag von Inrap)

Die Frage stellt sich nun auch: Was eigentlich sind "Lettner"? Welche Funktion haben sie? Seit dem 6. Jahrhundert entstand in der christlichen Priesterschaft das Bedürfnis, in großen Kirchen den eigentlichen Chor und Altarraum einer Kirche und die dort dem Gott ergeben dienenden Priester von der sündigen Welt der Nichtpriester zu trennen. Diese Trennung war im Mittelalter in kleinen Dorfkirchen oft schon dadurch erreicht, daß das sündige Volk von außerhalb der Kirche dem Gottesdienst im Innern folgte (Wiki). Man bedenke doch auch, daß der Blick in das schöne Gesicht einer weltlichen Dame einen Kleriker während des Gottesdienstes völlig aus der alleinigen Besinnung auf das Göttliche hin reißen kann. Also, solche Lettner sind schon notwendig (Wiki):

Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts war der Lettner eines der Hauptelemente des liturgischen Lebens der Gläubigen. Er stellt eine Trennung vom Klerus dar und bildet mit der Chorumfassung eine Art Kirche in der Kirche (...). Der Chorraum bleibt den Gläubigen durch einen Lettner verborgen, doch bleibt er ihnen zugleich durch das Singen von Hymnen und Prosa zugänglich.

Vielleicht wurde so auch der Eindruck des "Geheimnisvollen", "Außerweltlichen" der Zeremonien der Priester hinter dem Lettner erhöht. Das sündige Volk der Laien konnte auf diese Weise noch stärker erschauern über das Geheimnisvolle, Erhabene jenseits des Lettners im "Allerheiligsten" der Kirche, dort, von wo aus nur noch Gesang zu hören war. Der Gesang erscholl quasi schon vom "Jenseits" her, vom erhofften Paradies her, natürlich einem Priester-Paradies.

Die Reformation brachte auch innerhalb der katholischen Kirche eine Änderung bezüglich solcher Dinge. Die bis dahin abgehobene für sich wirkende Priesterschaft mußte sich fortan mehr als bisher ins Handwerk schauen lassen, wenn ihnen die Gläubigen nicht gänzlich davon laufen sollten. Nach der vom Konzil von Trient in der Mitte des 16. Jahrhunderts eingeführten Liturgiereform (Wiki) ...

... muß der Chorraum nun für die Gläubigen sichtbar sein, damit sie dem Amt leichter folgen können. Der Lettner muß dazu verschoben werden (oft auf die Rückseite der Westfassade, wo er als Orgelempore dient) oder er muß ganz verschwinden, eine Bewegung, die der französische Abt Thiers (1636-1703), genannt der Kanzelprediger, förderte. Während die Kanzel den Lettner ersetzte, wurde letzterer in den folgenden Jahrhunderten verlegt oder zerstört, manchmal sogar noch im 19. Jahrhundert.

Das letztere Schicksal erfuhr also 1683 nicht nur der Westlettner im Mainzer Dom, sondern 1699 auch der Lettner von Notre Dame in Paris. Interessanterweise blieben Lettner in anglikanischen und protestantischen Kirchen viel häufiger erhalten. Sie wurden dazu genutzt, um hier eine Orgel einzubauen oder auch zur Aufstellung des Kirchenchores. Vielleicht gab es hier auch eine größere Scheu, ein so wertvolles Kunstwerk einfach abzureißen? Vielleicht sah man einfach gar nicht die Notwendigkeit, da die protestantischen Pfarrer sowieso verheiratet waren und dem Volk damit viel näher standen. 

Abb. 3: Der Westlettner im Naumburger Dom, Gesamtansicht (Wiki) (dahinter stehen die Stifterfiguren)

Über den Lettner in Notre Dame de Paris wurde dann 2022 noch weiter ausgeführt (Inrap04/22):

Die um 1230 erbaute monumentale Chorschranke, die den Chor (den Geistlichen vorbehalten) vom Kirchenschiff (den Gläubigen vorbehaltener Raum) trennte, wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts abgerissen, um neuen liturgischen Erfordernissen gerecht zu werden. Unter Ludwig XIV. wurde der Lettner, der das Querschiff vom Chor trennte, abgerissen. Heute sind nur noch Teile des Lettners entlang der Seitenwände des Chores erhalten, im Norden (datiert aus dem 13. Jahrhundert ) und im Süden (datiert aus dem 14. Jahrhundert ), heute "Chorumfriedung" genannt.
Von der verzierten und mit Skulpturen versehenen Wand sind nur noch wenige Elemente erhalten, die während der Arbeit des Architekten Viollet-le-Duc (1814-1879) ans Licht gekommen waren, und die im Louvre aufbewahrt werden, sowie einige Blöcke in den Lapidarium-Reservaten der Kathedrale. Dank der Ausgrabungen wurden nun mehrere hundert Lapidarelemente mit einem Gewicht von mehreren hundert Gramm bis fast 400 kg gefunden, die im östlichen Bereich des Querschiffs vergraben waren. (...)
Im Gegensatz zu den im Louvre aufbewahrten Fragmenten fallen die (neuen) Fragmente durch ihre Polychromie auf, wobei die Farben manchmal durch Ergänzungen, Reparaturen, das Aufbringen von Blattgold usw. überlagert werden.

Diese Entdeckungen geben einen ganz neuen Blick frei auf die Kunstgeschichte des Hochmittelalters und des 13. Jahrhunderts. Es wird deutlicher als jemals zuvor, daß der Naumburger Meister Anregungen zu seiner Kunst aus Frankreich bekommen hat, bzw. im gleichen Sinne tätig war wie die zeitgleichen Künstler in Frankreich. Außerdem fragt man sich angesichts solcher Funde, was unter dem Fußboden deutscher Kirchen und Dome alles noch an wertvollsten Kunstwerken begraben sein mag. Womöglich gar Kunstwerke des Naumburger Meisters oder des Bildhauers des Bamberger Reiters.

Abb. 4: Adelheid von Burgund (932-973), Kaiserin des Deutschen Reiches, Stifterfigur im Meißner Dom, geschaffen 1250/60 vom "Naumburger Meister" (Wiki)

Es gab dann noch weitere Berichte zu den Ausgrabungen und Restaurierungs-Arbeiten in Notre Dame (s. Inrap). Anfang Dezember 2024, in der Zeit der Wiedereröffnung des Domes von Notre Dame mit Staatsgästen aus aller Welt, brachte "Arte" dann eine ausführliche Dokumentation über die Ausgrabungen und Forschungen zu Notre Dame und seinem Lettner (3) (Yt). Wir haben diese auch in unseren Blogartikel eingebunden. Die Forscher glauben, daß sich unter weiteren Teilen des Fußbodens von Notre Dame noch andere Teile des einstigen Lettners werden finden lassen. Zu dem ausgegrabenen Kopf (Abb. 1, 2) wurde auch der dazu gehörige Körper gefunden, wie in der Dokumentation dargestellt ist.

Seit Anfang Dezember 2024 werden auch im Kloster Cluny (Wiki) in Burgund die Skulpturenfunde erstmals ausgestellt, allerdings, soweit übersehbar, noch in ganz vorläufiger Form (FineArt). Die Ausstellung ist benannt "Die Steine zum Sprechen bringen - Mittelalterliche Skulpturen aus Notre Dame". "National Geographic" hat über die Ausstellung berichtet (NG11/24), das Titelbild, das auf Facebook geteilt wurde, war es, das so viel Staunen erwecken konnte und neugierig machen konnte (Abb. 1): eine gotische Skulptur, noch ganz von Schutt bedeckt. Man erkennt aber blonde Haare, blaue Augen - auf der Skulptur hat sich also die Farbe erhalten.*)

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*) Möchte man weitere Bild-Eindrücke von dieser Ausstellung gewinnen, macht es Sinn, nach dem französischen Titel der Ausstellung zu suchen: "Faire parler les pierres". Sinnvoll könnten auch die Suchworte sein: "sculptures médiévales à notre dame polychrome". Wichtige Fotografen des neuen Fundes sind Didier Rykner (LaTrib) (LaTrib), Hamid Azmoun für Inrap (Inrap), Denis Gliksman für Inrap (Arch) (LeJourn) (NG11/24), s.a.: die Social-Media-Seiten vom Kloster Cluny (Fb) (Tw). Wir hoffen, daß das Einbinden der Fotos der genannten Fotografen ok ist, werden sie aber sofort löschen, wenn erwünscht. Ohne die beiden eingestellten Fotos würde man aber gar nicht sinnvoll über diese aufregenden Forschungen berichten können.

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  1. Die Untat von Dresden. Gerhart Hauptmann klagt an. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 6.4.1945 (s. Lesen
  2. Wolfgang Leppmann: Gerhart Hauptmann: Leben, Werk und Zeitbooks. 2016 (GB)
  3. Die verborgenen Schätze von Notre-Dame. Doku Arte 1.12.2024 (Yt)

Samstag, 14. Dezember 2024

Selige Insel der Aphrodite - Zypern

Das bilderreiche Zypern
- Eine kleine Auswahl von Werken der Kunstgeschichte Zyperns 3.000 v. Ztr. bis 300 n. Ztr.

Zypern (Wiki) - die Insel weist bis in die hellenistische Zeit hinein einen eigenen kulturellen Stil auf. Er ist nicht nur früh beeinflußt von der griechischen Kultur, sondern zugleich auch von den Phöniziern an der Levanteküste, von Nordmesopotamien her, von Ägypten her und von den ursprünglichen zypriotischen Vorfahren her. 

Abb. 1: Frauenkopf aus Zypern, Terrakotta, 4. Jhdt. v. Ztr. (Met)

Dadurch entsteht - insbesondere während der Eisenzeit und während des archaischen Zeitalters Griechenlands (700 bis 500 v. Ztr.) - auf Zypern ein ganz eigenes kulturelles Gepräge. Diesem soll im folgenden ein wenig nachgegangen werden anhand einer kleinen Auswahl aussagekräftiger Werke aus der Kunstgeschichte Zyperns. 

Wertvolle Sammlungen zur Kunstgeschichte Zyperns finden sich unter anderem im Cypros-Museum in Nikosia (Wiki) (Vici), im Medelhavsmuseet in Stockholm (WikiCom) und auch im Metropolitan Museum of Art in New York (Bens2015). Letzteres Museum hat seine Bestände dankenswerter und vorbildlicher Weise schon in mehreren Bänden sowohl in Buchform als auch parallel online dokumentiert. So unter anderem in einem Band über seine Sammlung von Steinskulpturen (Met) und ebenso in einem Band über seine Sammlung von Terrakotta-Figuren (Met) von Zypern.

Archaische Zeit (700 bis 500 v. Ztr.)

Wie wir im letzten Artikel (Stgen24) gesehen haben, siedeln indogermanische Griechen auf Zypern seit etwa 2.100 v. Ztr., also im Grunde ebenso lang wie sie in der Ägäis gesiedelt haben. Es kamen während der Bronze- und Eisenzeit aber immer wieder neue griechische Kolonisten aus der Ägäis nach Zypern dazu (s. Abb. 19). 

Abb. 2: Jünglingskopf, Zypern, um 600 v. Ztr. (Met)

ChatGPT antwortet auf die Frage, warum es im 6. Jahrhundert v. Ztr. so viel wertvolle Kunst auf Zypern gibt unter anderem (ChatGPT):

... 3. Kulturelle Vielfalt
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Zypern ein Schmelztiegel verschiedener Völker und Kulturen. Phönizier, Griechen, Assyrer und Ägypter hatten alle Einfluß auf die Insel. Diese Mischung führte zu einer einzigartigen Kunstszene, die Elemente verschiedener Traditionen in sich vereinte, wie etwa die Verbindung von ägyptischen Motiven mit griechischer Formensprache oder phönizischen Ornamenten.
4. Religion und Kult
Zypern war ein Zentrum religiöser Aktivität, insbesondere in der Verehrung der Göttin Aphrodite, die in der griechischen Mythologie mit Zypern assoziiert wird. Zahlreiche Tempel und Heiligtümer wurden errichtet, die mit wertvollen Kunstwerken geschmückt wurden, darunter Skulpturen, Keramik und Metallarbeiten. Die religiöse Kunst hatte oft einen hohen symbolischen und ästhetischen Wert.
5. Politische Stabilität
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Zypern relativ stabil, insbesondere unter der Herrschaft der lokalen Königreiche, die als Vasallen der Großmächte (z. B. Assyrer und später Perser) eine gewisse Autonomie genießen konnten. Diese Stabilität begünstigte wirtschaftliche Prosperität und kulturelle Blütezeiten.
6. Technologische und künstlerische Innovationen
Die Künstler auf Zypern beherrschten fortschrittliche Techniken in der Metallbearbeitung, Keramikproduktion und Bildhauerei. Diese Fähigkeiten ermöglichten es ihnen, komplexe und beeindruckende Kunstwerke zu schaffen, die über die Jahrhunderte hinweg geschätzt wurden.
Die Kunst Zyperns aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. spiegelt somit die zentrale Rolle der Insel als Drehscheibe für Handel, Kultur und Religion wider, was die Werke sowohl in historischer als auch künstlerischer Hinsicht besonders wertvoll macht.

Zu fragen wäre, ob im 6. Jahrhundert v. Ztr. auf allen Teilen der Insel Arkadisch-kyprisches Griechisch (Wiki) gesprochen wurde, das die Mykener wohl schon um 2.100 v. Ztr. nach Zypern gebracht haben.

Abb. 3: Frauenkopf, Zypern, um 490 v. Ztr. (Met)

ChatGPT sagt dazu:

Im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde nicht auf allen Teilen Zyperns ausschließlich arkadisch-kyprisches Griechisch gesprochen. Die Sprachlandschaft der Insel war zu dieser Zeit vielfältig und spiegelte die kulturellen und politischen Einflüsse wider, denen Zypern ausgesetzt war. Hier sind die wichtigsten Punkte dazu:
1. Arkadisch-kyprisches Griechisch
Arkadisch-kyprisches Griechisch war eine wichtige Sprache auf Zypern und gehört zu den ältesten griechischen Dialekten. Es entwickelte sich aus der mykenischen Sprache der Bronzezeit und wurde insbesondere in den griechischen Stadtstaaten der Insel gesprochen, etwa in Paphos, Kourion und Salamis. Dieser Dialekt war eng mit der Sprache der mykenischen Zeit verbunden, da die ersten griechischsprachigen Siedler während der mykenischen Migrationen nach Zypern kamen (um 1200 v. Chr.).
2. Phönizisch
Neben dem arkadisch-kyprischen Griechisch war Phönizisch auf Zypern weit verbreitet, insbesondere in Städten wie Kition. Die Phönizier siedelten ab dem 9. Jahrhundert v. Ztr. auf der Insel und hatten erheblichen kulturellen und politischen Einfluß. Phönizisch wurde vor allem in den phönizischen Gemeinden und deren Umgebung gesprochen und geschrieben.

Aber es hielten sich auch noch Nachkommen vorindogemanischer Einheimischer auf Zypern.

Abb. 4: Männerkopf, Zypern, zwischen 500 und 400 v. Ztr., Museum Nikosia (Vici) (fotografiert von Ab Langereis 2022) (Fotografie vom Verfasser dieser Zeilen aufgehellt) 

ChatGPT führt nämlich weiter aus: 

3. Eteokyprisch
Eteokyprisch, die Sprache der vorgriechischen Bevölkerung Zyperns, wurde ebenfalls in einigen Teilen der Insel verwendet. Sie ist durch Inschriften überliefert, die in der zyprischen Silbenschrift verfaßt sind, und stellt eine nicht-griechische Sprache dar, die möglicherweise mit anderen anatolischen Sprachen verwandt ist. Im 6. Jahrhundert v. Ztr. war Eteokyprisch bereits auf wenige Gebiete beschränkt und wurde allmählich von griechischen und phönizischen Sprachen verdrängt.
4. Einfluß der Großmächte
Im 6. Jahrhundert v. Ztr. stand Zypern unter der Vorherrschaft verschiedener Großmächte, darunter die Assyrer, Ägypter und später die Perser. Diese Herrschaftswechsel brachten auch kulturelle und sprachliche Einflüsse mit sich. Zwar waren die einheimischen Sprachen dominant, aber die Sprachen der herrschenden Mächte wurden in administrativen oder diplomatischen Kontexten verwendet.

Es fühlt sich unheimlich an, sich hinsichtlich solcher komplexer Fragen "nur" auf ChatGPT zu verlassen. Aber die hier gegebenen Antworten klingen alle plausibel. 

Abb. 5: Büste, Zypern, zwischen 500 und 400 v. Ztr., Museum Nikosia (Vici) (fotografiert von Jona Lendering; von uns nachbearbeitet)

Bei der Fülle der auf Zypern geschaffenen Kunst kommt es auch dazu, daß bei vielen Kunstwerken (nicht hier im Artikel gebracht) der Eindruck entsteht, man habe es nicht mit dem Zentrum einer bestimmten Kunstentwicklung zu tun, sondern eher mit der Peripherie. Also so wie etwa die provinzialrömische Kunst oft eine gröbere, minderwertigere Nachahmung der hochwertigen Kunst im Zentrum des Römischen Reiches darstellte (die wiederum in der Tradition der griechischen Kunstauffassung stand).

Klassische Zeit

Ein solcher Eindruck entsteht oft auch von der Kunst auf Zypern. Wir greifen hier in den Abbildungen aber vor allem solche Kunstwerke heraus, die von der Qualität her über einem solchen Durchschnitt stehen. 

Abb. 6: Eine Porträtbüste aus Terrakotta (aus Vassos 1975)- Eine sehr ähnliche fand sich in einem Heiligtum in Pomos in Nordwestzypern, datiert auf 400 bis 310 v. Ztr. (Met)

An dem Perserkrieg (500-494 v. Ztr.) (Wiki), dem Freiheitskrieg der griechischen Poliswelt gegen das Persische Großreich, beteiligten sich auch die griechischen Städte auf Zypern, insbesondere die dortige Stadt Salamis im Osten Zyperns. 

Als die Perser mit Hilfe der Phönizier Truppen auf die Insel übersetzten, entsandte Griechenland eine Hilfsflotte nach Zypern (Wiki). Diese Flotte besiegte die mit den Persern verbündete phönizische Flotte. Allerdings wurde der König von Salamis in der Landschlacht geschlagen und verlor in ihr sein Leben. Zypern blieb bis zum Siegeszug Alexanders des Großen unter persischer Herrschaft.  

Abb. 7: Statue eines jungen Mannes, Zypern, um 350 v. Ztr. (s. Met)

Interessanterweise findet sich noch im 4. Jahrhundert v. Ztr. auf Zypern in der reichen kulturellen Überlieferung ein Skulpturen-Typ, von dem wir im vorliegenden Artikel keine Abbildung bringen, in dem jedoch rituelle männliche Nacktheit dargestellt ist.

Dieser Skulpturen-Typ wird "Temple boys" genannt, zu Deutsch also etwa "Temple-Jugendliche" (es gibt vereinzelt diesbezüglich auch weibliche Skulpturen). Es handelt sich um Steinskulpturen (z.B.: Met), mitunter auch um Skulpturen aus Terrakotta (z.B.: Met). 

Eine solche Figur fand sich auch im Libanon, wo sie eine phönizische Inschrift trug, in der sie als Gabe eines Königs von Sidon benannt ist (Wiki). Diese Figuren stammen also mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem kulturellen Bereich der Phönizier. (Ob diese "Tempel-Jugendlichen" in Zusammenhang damit gebracht werden können, daß es ja unter den Phöniziern auch Kinderopfer gegeben haben soll, bleibe hier dahin gestellt. Vielleicht wurden sie auch dem Tempel dargebracht als Ersatz für ein Kinderopfer - ?) 

Abb. 8: Kinderkopf aus Terrakotta, Zypern, 3. Jhdt. v. Ztr. (Met)

Von dem genannten Fund im Libanon und einer entsprechenden phönizischen kulturellen Einordnung weiß ChatGPT nichts.*) Auffällig erscheint ja, daß diese "Tempeljugendlichen" oft mit einer Art Priesterornat bekleidet sind. Vielleicht stellten sie auch Priesternachwuchs dar.

Abb. 9: Frauenkopf, vielleicht Artemis, aus hellenistischer Zeit, gefunden in Nea Paphos, Zypern (Vici), Museum Nikosia (fotografiert von Ab Langereis; aufgehellt)

Was für reife, hochwertige, ausgereifte Kunstwerke sich auch auf Zypern in der Zeit des Hellenismus und auch des Späthellenismus finden (Abb. 7 bis 11)!

Eben ganz so wie in allen anderen Teilen des Mittelmeerraumes in dieser Zeit. 

Abb. 10: Aphrodite bewaffnet mit einem Schwert (Venus vitrix), gefunden im "Haus des Theseus" in Nea Paphos, Zypern, 100 bis 300 n. Ztr. (Vici) (fotografiert von Jona Lendering 2022; aufgehellt) (s.a. WikiCom)

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 11. Bronzestatue des römischen Kaisers Septimius Severus (146-211 n. Ztr.) (W), entdeckt 1928 auf einem Feld nahe des Dorfes Kythrea, wo sich die antike Siedlung Chytroi befand**) (urspr. Fotografie von mir aufgehellt)

/ Zu ergänzende Textteile /

Blick zurück auf die vorindogermanische Zeit Zyperns (7.000 bis 2.100 v. Ztr.)

Die Kultur war auf Zypern anfangs, und zwar schon im Vorkeramikum (Pre-Potery-Neolithic B=PPNB), von Menschen vornehmlich anatolisch-neolithischer Herkunft getragen. In all den Jahrtausenden vor der Ankunft der Indogermanen herrscht auf Zypern vom Zuschnitt des kulturellen Ausdrucks her ein ganz anderer Geist vor. Wir bringen dafür hier nur wenige Beispiele.

PPNB auf Zypern - Anatolisch-neolithisch geprägt

In einer von uns ansonsten schon in früheren Jahren ausgewerteten archäogenetischen Studie aus dem Jahr 2022 hieß es zu Zypern (1):

Der höchste Anteil anatolisch-neolithischer Herkunft findet sich in neolithisch-anatolischen Bevölkerungen ebenso wie in frühen bäuerlichen Bevölkerungen auf Zypern. (...) Die Tier-Reste des PPNB auf Zypern und die Benutzung von Obsidian aus Anatolien als Rohmaterial legt Verbindungen mit dem mittleren und südlichen Anatolien nahe. Und die genetischen Daten erhöhen das Gewicht dieser Hinweise zugunsten eines Szenarios, daß die Hauptherkunft der ersten Bauern auf Zypern auf Anatolien zurück führt.
The highest proportion of Anatolian Neolithic-related ancestry is observed in Neolithic Anatolian populations as well as the early farmers of Cyprus. (...) The high Anatolian-related ancestry in Cyprus revealed by this model (Fig. 2) and subsequent analyses (Fig. 3) sheds light on debates about the origins of the people who spread Pre-Pottery Neolithic culture to Cyprus. Parallels in subsistence, technology, settlement organization, and ideological indicators (15) suggest close contacts between Pre-Pottery Neolithic B people in Cyprus and on the mainland (13), but the geographic source of the Cypriot Pre-Pottery Neolithic populations has been unclear, with many possible points of origin (20). An inland Middle Euphrates source has been suggested on the basis of architectural and artifactual similarities (14, 21). However, the faunal record at Cypriot Pre-Pottery Neolithic B sites and the use of Anatolian obsidian as raw material suggest linkages with Central and Southern Anatolia (15), and the genetic data increase the weight of evidence in favor of this scenario of a primary source in Anatolia.

Damit mehren sich Hinweise, daß die anatolisch-neolithische Herkunftsgruppe - sozusagen - am frühesten "umtriebig" gewesen ist und die bis dahin weiträumigsten Ausbreitungs- und Siedlungsbewegungen hinter sich gebracht hat. Sie war im vorkeramischen Neolithikum am Oberen Tigris ebenso "mit dabei" wie auf Zypern. Wenig später bringt sie ihre demographische Fruchtbarkeit an die Küsten fast des gesamten Mittelmeeres und über den gesamten Balkan hinweg bis zum Nordrand der europäischen Mittelgebirge und später bis nach Skandinavien und England.

Abb. 12: Model eines urtümlichen Tempels auf Zypern (aus Kotsiatis-Marki im mittleren Zypern) (aus: Webb/Frankel2010)

Mit der Kupferzeit (ab 5.500 v. Ztr.) (Wiki) bekommt Zypern eine ganz besondere Stellung innerhalb des Kupferhandels der damaligen Welt. Die ältesten Kupfer-Artefakte auf Zypern datieren allerdings erst auf 4.000 v. Ztr., das ist die Zeit, als die Urindogermanen von der Wolga an die Donau kamen, und die Länder der Herkunft des Kupfers, das sie damals schon an der Wolga benutzten, zu besiedeln. Zeitgleich wird Kupfer also auch auf Zypern bedeutsam.

Der Name Zypern selbst leitet sich ja ab von dem griechischen Wort für Kupfer, "kupros" (FergusMurray). Zypern galt dann bis in die Bronze- und Eisenzeit hinein als "das" Kupferland schlechthin. Die Kupferlagerstätten Zyperns liegen auf den Nordhängen im mittleren Zypern. Noch heute wird auf Zypern Kupfer in großem Umfang auf Abraumhalden maschinell abgebaut. Dabei sind auch viele archäologische Abbaustätten zerstört worden. 

Abb. 13: Typische Terrakotta-Figur auf Zypern um 1450/1200 v. Ztr., Metropolitan Museum of Art (Met)

Am Ende der Bronzezeit erlebte Zypern zwei Wellen griechischer Besiedlung. Die erste Welle der griechischen Kolonien-Bildung auf der Insel der Aphrodite begann ab etwa 1400 v. Ztr.. Ab dieser Zeit wird auch mykenische Keramik Massenware auf Zypern (Wiki).

Zypern spielt in der griechischen Mythologie eine wichtige Rolle. Es ist der Geburtsort von Aphrodite und Adonis, es ist die Heimat von König Kinyras, Teukros und Pygmalion. 

Zwischen 1450 und 1200 v. Ztr. finden sich auf Zypern auch viele Frauen-Terrakotta-Figurinen mit Vogelköpfen (z.B. Met).

Abb. 14: Terrakotta-Wand-Brett, Zypern, um 1000 v. Ztr. (Met

Bei den Hethitern, in Ugarit und in Ägypten sind Zypern und der dort herrschende König um 1300 v. Ztr. bekannt. Das belegen entsprechende Schriftquellen aus dieser Zeit (Wiki). Es handelte sich offenbar um ein einziges, selbstständiges Königreich.

Die Phönizier kommen nach Zypern

Eine weitere große griechische Besiedlungswelle soll nach dem Zusammenbruch des mykenischen Griechenland in der Spätbronzezeit zwischen 1100 und 1050 v. Ztr. stattgefunden haben; der überwiegend griechische Charakter der Insel soll erst aus dieser Zeit stammen. 

Für eine frühe Anwesenheit der Phönizier in Kition gibt es literarische Belege. Sie deuten darauf hin, daß Zypern zu Beginn des 10. Jahrhunderts v. Ztr. unter thyrischer Herrschaft stand.

Abb. 15: Terrakotta-Figur aus der Gegend von Larnaka, wohl 6. Jhdt. v. Ztr., Pierides-Museum in Larnaka auf Zypern (Wiki) (aus Vassos 1975)

Aus dem spätbronzezeitlichen und eisenzeitlichen Zypern ist dann eine Fülle von Skulpturenfunden überliefert, insbesondere Terrakotta-Figuren, die bislang kaum Wertschätzung und einen Platz im kulturellen Gedächtnis gefunden haben. Sie sind offensichtlich Ausdruck der mykenischen, griechischen, phönizischen und letztlich zypriotischen Kultur. Eine große Zahl solcher Skulpturen stammt aus Agia Irini (900-600 v. Ztr.) (Wiki) (HeidiTrautmann2014). 

Wir können zu diesem Thema an dieser Stelle bisher noch gar keine erschöpfende Behandlung geben. Vielleicht kann sie künftig nachgetragen werden.

Es finden sich außerdem phönizisch beeinflußte Skulpturen, die dasselbe "ionische Lächeln" zeigen wie die frühgriechischen Skulpturen. Insgesamt zeigen sie aber zugleich auch eine ganz eigene kulturelle Charakteristik, die sich sonst für diese Zeit nirgendwo im Mittelmeer-Raum findet (s. z.B. WikiComWikiCom, s. LauraSwantek2018).

Abb. 16: Kopf eines Beamten, Fürsten, Königs oder Statthalters aus dem Levanteraum um 700 v. Ztr. (Met)

Die Stadt Kition (Wiki), an der östlichen Südküste der Insel gelegen, ist um 1200 v. Ztr. mit mykenischen Mauern befestigt worden. Im 8. Jahrhundert v. Ztr. wurde die Stadt von den Phöniziern erobert, deren Könige hier bis 312 v. Ztr. hier herrschten (Wiki):

Kition war ein Vasallenstaat Sidons; Flavius Josephus berichtet (wiederum nach Menander), daß König Elulaios von Sidon um 730 die aufständische Stadt Kition unterwarf. Sanherib ernannte nach seinen Annalen als Statthalter in Kition einen gewissen Ittobaal als Nachfolger des Lulî (Elulaios?), der von den Assyrern hingerichtet worden war.

In Kition war auch eine Sargon-Stele aufgestellt, deren Original sich heute im Vorderasiatischen Museum in Berlin befindet (Wiki):

Die Stele stand vermutlich auf der Akropolis von Kition und beschreibt den Sieg von Sargon II. (721-705 v. Ztr.) von Assyrien 707/709 v. Ztr. über die sieben Königreiche der Insel Ia' im Gebiet von Iadnana oder Atnana. Dieser Sieg wird auch in seinen Annalen in Chorsabad beschrieben:
„[…] und ebenso hörten die sieben Könige des Landes Ia von den Taten, die ich in dem Lande Kaldu und im Land Hatti unablässig vollbrachte, und das Herz schlug ihnen im Halse, und Angst überwältigte sie […] So brachten sie Gold, Silber und Gegenstände aus Ebenholz und Buchsbaum, Produkte ihres Landes, zu mir nach Babylon und küßten mir die Füße.“ (...)
Wie die assyrische Verwaltung Zyperns aussah, ist unbekannt. (...) Da die Assyrer keine eigene Seemacht besaßen, beschränkte man sich vielleicht darauf, den Tribut einzuziehen und überließ die Herrschaft vor Ort einheimischen Königen. Man nimmt an, daß Kition, eine Gründung von Sidon, der Sitz des assyrischen Statthalters war.

(s.a. VordAsiaMBerlin). Der letzte König von Kition hat sich Alexander dem Großen unterworfen hat und ist von ihm als Statthalter eingesetzt worden. In Kition wurde in jener Zeit, 333 v. Ztr., Zenon, der Begründer der Stoa geboren.

Karten-Anhang

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 17: Die zehn Königreiche des eisenzeitlichen Zypern (Wiki)

/ Zu ergänzende Textteile /

Abb. 18: Die zehn Königreiche von Zypern im 8. Jhdt. v. Ztr. (aus D. W. Rupp, 'Puttin' on the Ritz. Manifestations of High Status in Iron Age Cyprus', in E. Peltenburg (ed.), Early Society in Cyprus, Edinburgh 1989, 347 fig. 38.5) (ucl.uk)

äöklök

Abb. 19: Griechische Kolonien auf Zypern und ihre Herkunft (aus: Panayiotis Georgiou; Cyprus within the Ancient Greek World) (Wiki)

Die Indogermanisierung Griechenlands ab 2.200 v. Ztr. war für viele Teile Griechenlands - vermutlich vergleichbar zum zeitgleichen Geschehen in Armenien - schwer traumatisch. Auch Zypern erreichte schon um 2.200 v. Ztr. Steppengenetik. Die traumatische Erfahrung dieser Indogermanisierung mag zum Beispiel einen Widerhall finden im Marsyas-Mythos. Aber es muß zugleich auch festgestellt werden, daß schon kurz nach dieser Indogermanisierung viele Gesellschaftsbereiche im mykenischen Griechenland von einer unglaublichen Lebensfreude, Lebenskraft und Lebenszugewandtheit durchdrungen waren. Wie sonst wollte man die mykenische Kolonienbildung schon während der Bronzezeit entlang der Adria und bis Zypern (Abb. 19) erklären wollen?

Es mag sich ein Vergleich aufdrängen mit der Christianisierung der Deutschen. Diese Christianisierung war zumindest in Teilen eine traumatische Erfahrung. Am deutlichsten in Sachsen um 800 v. Ztr. durch Karl den Großen, also im heutigen Westfalen und Niedersachsen. Doch nur zweihundert Jahre später sind es gerade die Sachsen, die in der deutschen Ostsiedlung unglaublich viel gesellschaftliches, lebenszugewandtes, lebensfreudiges Potential entfaltet haben.

Solche Umstände mögen deutlich machen, daß in jeder gesellschaftlichen Traumatisierung auch eine große Chance enthalten zu sein scheint.

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*) ChatGPT sagt zu der Frage "Was ist ein temple boy?" unter anderem: " 'Temple Boys' wurden in verschiedenen Tempelanlagen auf Zypern gefunden, besonders in Paphos, Kition und anderen religiösen Zentren der Insel. Diese Fundorte deuten darauf hin, daß sie eine wichtige Rolle im kultischen Leben der zypriotischen Bevölkerung spielten. 'Temple Boys' sind typisch für die zypriotische Kunst und spiegeln die lokale Tradition der Herstellung von Terrakottafiguren wider. Die genaue Bedeutung der 'Temple Boys' ist nicht abschließend geklärt, aber sie werden oft als Votivgaben interpretiert, die in Heiligtümern deponiert wurden. Die Figuren sind ein Beispiel für die Mischung kultureller Einflüsse auf der Insel, da sie stilistisch sowohl griechische als auch östliche Merkmale zeigen."
**) Die Skulptur wurde der Öffentlichkeit erst ab 1976 restauriert präsentiert im Zypernmuseum Nikosia (DAllsop) (WikiCom). Die glanzvollste Fotografie dieser Skulptur stammt von Peter Schickert (Lk) - steht aber leider unter Copyright (s.a. Vici).

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  1. Lazaridis I, Alpaslan-Roodenberg S, (...) Pinhasi R, Reich D (2022) Ancient DNA from Mesopotamia suggests distinct Pre-Pottery and Pottery Neolithic migrations into Anatolia. Science 377, 982-7, 25.8.2022 (pdf) (Anhänge)
  2. Karageorghis Vassos: Cypriote antiquities in the Pierides collection, Larnaca, Cyprus. Um 1975 (Biblio)
  3. John Bedell: Faces from Ancient Cyprus (Bensozia2015)
  4. Webb, Jennifer M., Knapp, Arthur B.: Rethinking Middle Bronze Age Communities on Cyprus: “Egalitarian” and Isolated or Complex and Interconnected?. J Archaeol Res 29, 203–253 (2021). https://doi.org/10.1007/s10814-020-09148-8; Published 14 September 2020 (Resg)

Montag, 9. Dezember 2024

Die Indogermanen - Vier Herkunftsgruppen eroberten die Welt

Die Indogermanen verzweigten sich:
  1. in Chwalynsk-Abkömmlinge (ab 4.500 v. Ztr.),
  2. in Jamnaja-Abkömmlinge (ab 3.300 v. Ztr.),
  3. in Schnurkeramik-Abkömmlinge (ab 3.000 v. Ztr.) und 
  4. in Glockenbecher-Abkömmlinge (ab 2.800 v. Ztr.).

Nachdem im Frühjahr 2024 die Schnurkeramiker archäogenetisch einfach und klar der germanischen Völkergruppe, die Glockenbecherkultur einfach und klar der keltischen Völkergruppe hatten zugeordnet werden können (s. Stg2024), klären sich in einer neuen Studie nun auch die Zuordnungen aller anderen großen indogermanischen Herkunftsgruppen (1).

Abb. 1: Steppenherkunftsanteile bei Italo-Kelten (Bell Beaker), Griechen und Armeniern (Yamnaya) und Germanen-Indo-Ariern im 3. Jahrtausend v. Ztr. (oben) und im 2. Jahrtausend v. Ztr. (unten) (aus 1)

Beide Studien stammen von Seiten der dänischen Forschungsgruppe um Eske Willerslev. Das letztere zu klären, war zwar womöglich schon zu einer "low hanging fruit" geworden. Man hätte es sich womöglich auch schon ohne diese neue Studie "zurecht reimen" können. Trotzdem gibt die neue Studie diesbezüglich Sicherheit. Das wesentlichste Ergebnis der neuen Studie (1) ist schon in der Abbildung 1 zusammen gefaßt:

Germanen, Balten, Slawen und Inder - Sie sind "eines Stammes"
---> Sie sind Abkömmlinge der Schnurkeramiker
Antike Armenier und antike Griechen - Sie sind "eines Stammes"
---> Sie sind direkte Nachkommen von Jamnaja-Leuten 
Kelten und Italiker - Sie sind "eines Stammes"
---> Sie sind Nachkommen von Glockenbecher-Leuten 
Die (ausgestorbenen) frühen anatolischen indogermanischen Völker (Hethiter, Lyder, Lyker usw.) - - -waren "eines Stammes"
---> Sie waren direkte Nachkommen der Chwalynsk-Kultur

Oder in den Worten der neuen Studie (1):

Um die genetische Entstehung der indoeuropäischen Sprachfamilie aufzuklären und ihre Verzweigung abzuleiten, untersuchten wir den Zustrom potenzieller ursprünglicher Herkunftspopulationen in den Mittelmeerraum im weiteren Sinne, einschließlich der Gebiete, in denen historisch die italischen, keltischen, griechischen und armenischen Sprachen gesprochen wurden. Die genetischen Ergebnisse, die durch IBD-Admixture-Modellierung mit mutmaßlich steppenverwandten Herkunftspopulationen erzielt wurden, stützen eine tiefe Aufzweigung zwischen indoeuropäisch sprechenden Gruppen im östlichen und westlichen Mittelmeerraum durch die Entdeckung von mit der Jamnaja- bzw. Glockenbecher-Kultur verwandten Steppenvorfahren. Diese Aufzweigung unterstützt die linguistischen Hypothesen zur Existenz der sogenannten Griechisch-Armenischen und Italo-Keltischen Untergruppen. Im Gegensatz dazu disqualifiziert sie die konkurrierenden kladistischen Hypothesen, die als Indo-Griechisch und Italo-Germanisch bekannt sind, da die Steppenvorfahren unter den Populationen historisch germanisch- und indo-iranischsprachiger Gebiete zuvor als hauptsächlich mit der Schnurkeramik verwandt charakterisiert wurden.
To elucidate the genetic formation and infer the divergence of the Indo-European language family, we investigated the contribution of potential ancestral source populations to the wider Mediterranean region, including from areas in which the Italic, Celtic, Greek, and Armenian languages are historically spoken. The genetic results obtained by IBD admixture modelling with putative steppe-related source populations support a deep divergence between Eastern and Western Mediterranean Indo-European-speaking groups through the detection of Yamnaya-related and Bell Beaker-related steppe ancestry respectively (Fig. 4). This divergence supports the linguistic hypotheses on the existence of the so-called Graeco-Armenian and Italo-Celtic subclades. In contrast, it disqualifies the rival cladistic hypotheses known as Indo-Greek and Italo-Germanic, the steppe ancestry among the populations of historically Germanic- and Indo-Iranian-speaking areas previously having been characterized as primarily Corded Ware-related.

Den zuletzt genannten Umstand hatten wir uns noch gar nicht wirklich bewußt gemacht, obwohl er schon länger nahe lag (Stg2020). Aber so lang nicht die sprachliche Zuordnung zwischen Schnurkeramikern und Glockenbecherleuten so klar festgestellt war wie seit Frühjahr dieses Jahres, war es keinesfalls sicher, ob es sinnvoll wäre, sich in anderen Richtungen hin gar zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Seitdem ersteres aber klar ist - und mit dieser neuen Studie - lassen sich die hier genannten Schlußfolgerungen ziehen.  

Die Inder sind mit den Germanen verwandt

Es ist im Grunde eine neue Sichtweise, daß Menschen vorwiegend "germanischer" (nordeuropäischer) Abstammung genetisch - und ggfs. sprachlich - der Brahmanen-Kaste in Nordindien - vom Prinzip her - näher stehen als den Jamnaja-Abkömmlingen im antiken Griechenland und in Armenien und auch als den Glockenbecher-Abkömmlingen in Südeuropa.

Die Sprachforschung hatte diesbezüglich bis heute letztlich völlig im Dunkeln getappt. Wir waren ansatzweise auf die Thematik schon einmal hier auf dem Blog gestoßen (s. Stg2021).

Die Deutschen hatten sich kulturell immer als sehr eng mit dem antiken Griechenland verbunden gefühlt. Und es ist auch viel über tiefere Gemeinsamkeiten gemutmaßt worden, weil "große" metaphysische Philosophien ausgerechnet in zwei Völkern entstanden sind: bei den antiken Griechen und bei den Deutschen. Aber stattdessen tritt nun  viel eher eine gewisse gemeinsame genetische und sprachliche Herkunft zwischen den Germanen, den Balten, den Slawen und den Indern in den Vordergrund. 

Inder und Germanen teilen auf subtile Weise genetische und sprachliche Herkunft, die Germanen weder mit den Kelten/Italikern, noch mit den antiken Griechen/Armeniern teilen. Für die Wissenschaftler, die die indogermanische Sprachgeschichte erforschen, dürften diese Erkenntnisse doch noch mancherlei Schlußfolgerungen mit sich bringen. Die lange Zeit als tiefgreifend erachtete Trennung der indoeuropäischen Sprachen in östliche Satem- und westliche Kentum-Sprachen war immerhin schon aus rein sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen heraus zwischenzeitlich längst verworfen worden (Wiki). Der Autor dieser Zeilen hatte sein Herz bis heute an dieser These hängen. Aber er wird auch hier nun durch die Archäogenetik eines Besseren belehrt und man ist nun auch leichter bereit, sich auf die dazu auf Wikipedia genannten Argumente einzulassen.

Man kann jetzt mit größerer Sicherheit nach sprachlichen Gemeinsamkeiten innerhalb der vier Herkunftsgruppen fragen.

Natürlich gilt es, noch weiteres zu beachten: Direkte Jamnaja-Abkömmlinge, direkte Glockenbecher-Abkömmlinge und direkte Schnurkeramik-Abkömmlinge sind ja in der Geschichte dann noch in vielen Regionen und bei vielen Gelegenheiten Jahrhunderte und Jahrtausende später erneut aufeinander getroffen. Sie haben Kriege miteinander geführt und neue Völker miteinander begründet. Auf den britischen Inseln entstanden die Engländer aus der Verschmelzung von Nachkommen von keltischen Glockenbecher-Leuten mit Nachkommen von germanischen Schnurkeramik-Leuten (letztere kamen als Angelsachsen nach England). Auch die Süddeutschen sind eine solche Mischung (Alemannen, Bajuwaren und Franken trafen auf vormalige Kelten). 

Aus einem Aufeinandertreffen von Schnurkeramik- und Jamnaja-Abkömmlingen sind zum Beispiel auch die Skythen entstanden (wie wir erst im letzten Kaukasus-Artikel wieder lernten). 

Die Phryger hinwiederum sind um 1200 v. Ztr. in Anatolien als Balkan-Jamnaja-Abkömmlinge (siehe unten) auf die Hethiter als Chwalynsk-Abkömmlinge gestoßen. Ähnlich stießen zur gleichen Zeit die Griechen vor Troja auf die Trojaner als Chwalynsk-Abkömmlinge. 

Die genetischen und sprachlich-kulturellen Gemeinsamkeiten können bei solchem Aufeinandertreffen jeweils ihre eigene Rolle gespielt haben.

Von Interesse ist weiterhin, daß es heute - weltgeschichtlich gesehen - in Nord- und Südeuropa immer noch klare Schnurkeramik- und Glockenbecher-Abkömmlinge gibt, daß aber die direkten Abkömmlinge der Jamnaja-Leute in Armenien, Griechenland und im östlichen Mittelmeerraum seit dem Frühmittelalter als genetisch und sprachlich-kulturell weitgehend ersetzt und ausgestorben werden angesehen müssen ebenso wie die Chwalynsk-Nachkommen in Anatolien. Nur leicht erhöhte Steppengenetik-Anteile könnten jeweils lokal noch ein Hinweis sein auf eine solche Vergangenheit (etwa bei den Armeniern oder Kurden).

Soweit die allgemeiner interessierenden Erkenntnisse der Studie. (Es sei nur noch einmal am Rande erwähnt, wie stark die Jahrzehnte lange "Pots-versus-People"-Debatte in der Archäologie gerade auch durch diese Neuerkenntnisse erneut in Richtung von "Kossinna's Smile" hin entschieden worden ist, sprich: Völker machen die Geschichte, und zwar vor allem über Demographie. Wer in heutigen deutschen Großstädten lebt, sollte diesen Umstand im übrigen auch nur schwer übersehen können.) 

Zypern aus Sicht der Archäogenetik 

Der Kupferhandel mit Skandinavien seit 2.000 v. Ztr. 

Von besonderem Interesse sind außerdem noch die vorgetragenen Ergebnisse zu Zypern. Zypern ist "das" Kupferland (FergusMurray) und zog deshalb das Interesse wirtschaftsstarker Mächte auf dem nahen Festland und von weiter entfernt auf sich. Zusammen gefaßt wird gesagt (1):

Aufgrund seiner reichen Kupfervorkommen unterhielt Zypern ausgedehnte Handelsnetze mit den meisten Mittelmeerländern; diese Situation spiegelt sich sehr passend in der Präsenz anatolischer, levantinischer, griechischer und europäischer Vorfahren in zypriotischen Genomen wider.
Due to its rich copper sources, Cyprus maintained extensive trading networks with most of the Mediterranean; this situation is well mirrored by the presence of Anatolian, Levantine, Greek, and European ancestries in the Cypriot genomes.

"Europäisch" ist hier als "nordeuropäisch" zu lesen - wie wir weiter unten sehen werden. Und weiter (1):

Unsere Ergebnisse legen nahe, daß Zypern und insbesondere seine Küstenstädte während der Bronzezeit ein genetischer und kultureller „Schmelztiegel“ waren.
Our results suggest that Cyprus, and in particular its coastal towns, were a genetic and cultural “melting pot” during the Bronze Age.

Die wirtschaftsstarken Städte Nordmesopotamiens und des Levanteraumes strahlten ja während des 3. Jahrtausends v. Ztr. kulturell recht weit in den Mittelmeerraum hinein. Wir hatten hier auf dem Blog für die Zeit vor 2.200 v. Ztr. von einer ausländischen Händler-Elite auf Sardinien gehört (Stg2021), die kulturell auf Nordmesopotamien zurück wies. In der spanischen Archäologie gibt es seit Jahrzehnten Diskussionen darüber, ob die Los Millares-Kultur (3.500-2.200 v. Ztr.) (Wiki) vom östlichen Mittelmeerraum her beeinflußt gewesen sei oder nicht. Der archäogenetische Forschungsstand ist dazu noch nicht sehr eindeutig (Stg2021). 

Nordmesopotamier auf Zypern (3.000 bis 2.500 v. Ztr.)

Aber zu Zypern klärt sich dieser Umstand jetzt (1):

Die Individuen aus der mittleren und späten Bronzezeit aus Zypern weisen ein genetisches Muster auf, das dem von Individuen aus der Bronzezeit im Libanon und Ostanatolien ähnelt, während ein (das älteste) Individuum aus Karavas (CGG_2_022531), das auf 3.000-2.500 v. Ztr. datiert wird (Archaeology Supplementary 2.2.3), eine besonders frühe anatolische Bauernabstammung aufweist.
The Middle and Late Bronze Age individuals from Cyprus show a genetic pattern similar to that of individuals from Lebanon and Eastern Anatolia Bronze Age, while one (the earliest) individual from Karavas (CGG_2_022531), dated to 5,000– 4,500 BP (Archaeology Supplementary 2.2.3), show extra early Anatolian farmer ancestry. 

Letzteres Individuum dürfte die ursprüngliche rein anatolisch-neolithische Bevölkerungsschicht auf Zypern widerspiegeln, die offenbar - wie auf Sardinien - von Eliten aus dem Levanteraum überschichtet worden ist. Das bronzezeitliche Herkunftsprofil der bisher sequenzierten Menschen auf Zypern weist jedenfalls zunächst auf den damaligen Libanon und auf Ostanatolien zurück.

Mykener auf Zypern - 2.100 und 1.500 v. Ztr. 

Aber schon ab dem Ende des 3. Jahrtausends v. Ztr. machten sich auf Zypern auch Mykener bemerkbar, Abkömmlinge der Jamanaja-Herkunftsgruppe. Und zwar nicht nur kulturell, sondern auch genetisch (1):

Eine genetische Fernverbindung wird in Hala Sultan Tekke festgestellt, einem genetischen Ausreißer mit balkanischer/ägäischer Abstammung, der der von Individuen aus der späten Bronzezeit in Griechenland ähnelt. Unser Datensatz deutet also auf enge Kontakte Zyperns mit dem Levanteraum und der Ägäis während der Bronzezeit und sogar früherer Perioden hin. 
A long-distance genetic connection is observed at Hala Sultan Tekke, one genetic outlier  carrying Balkan/Aegean ancestry similar to that of Late Bronze Age Greece individuals. Thus, our dataset suggests close contacts of Cyprus with the Levant and the Aegean during the Bronze Age and even earlier periods. 

Was "sogar frühere Perioden" heißt, wird im Diskussionsteil noch deutlicher ausgeführt, es ist hier von "Vor-Mykenern" die Rede (1):

Steppenherkunft wurde bei einer Reihe bislang unveröffentlichter Individuen aus Hala Sultan Tekke (CGG_2_022123, CGG_2_022924) und aus Lapithos (CGG_2_022517) festgestellt, was auf eine Zugehörigkeit zu späthelladischen (d. h. mykenischen) Populationen der Peloponnes hinweist. Dies steht im Einklang mit dem Auftreten mykenischer Keramikimporte in der Spätbronzezeit und mit der linguistischen Klassifizierung von Arkadisch-kyprischem Griechisch als Nachkomme desselben südgriechischen Dialekts wie Mykenisch, im Gegensatz zu anderen griechischen Dialekten wie Dorisch und Ionisch. Ein weiteres Individuum aus Lapithos (CGG_2_22488) ist jedoch, obwohl es 2.100-2.000 v. Ztr. begraben wurde, bereits mit LBA-Griechen assoziiert, was auf eine prämykenische Verbindung mit von der Steppe beeinflußten Populationen der Ägäis hindeutet.
Steppe ancestry is identified in a number of unpublished individuals from Hala Sultan Tekke (CGG_2_022123, CGG_2_022924) and from Lapithos (CGG_2_022517), reflecting an affiliation with Late Helladic (i.e. Mycenaean Age) populations of the Peloponnese. This aligns with the appearance of Mycenaean pottery imports in the Late Bronze Age and with the linguistic classification of Arcadocypriot as a descendant of the same South Greek dialect as Mycenaean, in contrast to other Greek dialects such as Doric and Ionic. However, one other individual from Lapithos (CGG_2_22488), although buried 4,100-4,000 BP, already clusters with LBA Greeks, suggesting PreMycenaean connectivity with steppe-impacted populations of the Aegean.

Daraus ist zu folgern, daß das "Kommen der Griechen", der "Hyperboräer" von Nordgriechenland aus nach Griechenland hinein sehr schnell - ab 2.100 v. Ztr. - auch auf Zypern übergegriffen hat. Womöglich wurde ja in jener Zeit auch auf Zypern ein Apollon-Heiligtum begründet - so wie auf in Olympia, Delphi und auf Delos (s. Stg2023)? Das Arkadisch-kyprische Griechisch (Wiki) ist auf Zypern durch Inschriften erhalten geblieben und wurde offenbar bis ins 3. Jahrhundert v. Ztr. gesprochen.

Vor-Germanen (Skandinavier) auf Zypern - Um 2.000 v. Ztr. (!)

Als große Überraschung darf gelten, daß mit dieser Studie auf Zypern erstmals direkte genetische bronzezeitliche Kontakte zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer-Raum gefunden werden. 

Abb. 2: Bellapais im Norden Zyperns

Und zwar wären damit Skandinavier, also Schnurkeramik-Abkömmlinge fast zur gleichen Zeit in den Mittelmeer-Raum gekommen wie die Vor-Mykener (1):  

Darüber hinaus gibt es genetische Hinweise auf Fernkontakte mit Nordeuropa, wie ein skandinavischer genetischer Ausreißer (CGG_2_022535) aus einem in den Felsen gehauenen Grab in Vounous Bellapais zeigt, das von der schwedisch-zypriotischen Expedition ausgegraben und auf ca. 2.000-1.800 v. Ztr. datiert wurde. (Genetics and Strontium Supplementary Fig. S6.45, Archaeology Supplementary 2.2.7). Dieser Ausreißer stimmt überein mit Individuen aus der skandinavischen Bronzezeit und interessanterweise wird dieser Ursprung auch durch die Y-Haplogruppe I1 sowie durch eine nicht-lokale, stark radiogene Strontium-Isotopen-Signatur ergänzt, die zu einigen Teilen Skandinaviens paßt (Genetics and Strontium Supplementary S10; Supplementary Table S8).
Additionally, there is genetic evidence of long-distance interaction with Northern Europe, as seen in a Scandinavian genetic outlier (CGG_2_022535) from a rock-cut tomb at Vounous Bellapais, excavated by the Swedish-Cyprus expedition and dated to c. 4,000–3,800 BP. (Genetics and Strontium Supplementary Fig. S6.45, Archaeology Supplementary 2.2.7). This outlier clusters with Scandinavian Bronze Age individuals and, intriguingly, this origin is also supported by the Y-haplogroup I1 and by a non-local highly radiogenic strontium isotope signature compatible with some parts of Scandinavia (Genetics and Strontium Supplementary S10; Supplementary Table S8).

Für die etwas spätere mykenischen Zeit waren von den Archäologen schon längst vielfältige Kontakte Skandinaviens mit dem Mittelmeerraum angenommen worden, zum Beispiel aufgrund reicher ähnlicher Schwertfunde im Raum der Nordischen Bronzezeit und in Mykene (s. Stg2019). Man vermutet, daß skandinavische Söldner in Mykene Dienst getan haben.

Abb. 3: Bellapais gehört zu den drei bedeutendsten, wohlhabendsten Orten auf Zypern in der Mittleren Bronzezeit (Webb/Knapp2020)

Auch hatten wir hier hier auf dem Blog schon früher als Forschungsstand für Skandinavien festgehalten (Stg2019):

Kupferbarren und Bronzegegenstände der Nordischen Bronzezeit Schwedens stammen (...) spätestens seit 1600 v. Ztr. nicht aus Schweden selbst, sondern der Kupfer, aus dem sie bestehen, ist abgebaut worden in Österreich, Spanien, Sardinien und auf Zypern.

Aber 2.000 bis 1.800 v. Ztr. liegt noch früher als in diesem Zitat angesprochen.

Der Fundort Vounous-Bellapais (Wiki) liegt im bergreichen Norden Zyperns (Abb. 2, 3). Das Grab 69, in dem der Skandinavier bestattet war, ist zwischen 1931 und 1938 ausgegraben worden von verschiedenen Forschungsexpeditionen. Aus Sicht der Physischen Anthropologie war der Schädel aus Grab 69 als höchstens 30 Jahre alt charakterisiert worden. Interessanterweise war er 1947 schon aus Sicht der Physischen Anthropologie als Ausreißer charakterisiert worden (1, Arch.Suppl., 2.2.7):

Interessant ist hierbei, daß Schädel II laut Hjortsjös kraniometrischen Untersuchungen im Vergleich zu den anderen Schädeln der Region als eine Art Ausreißer angesehen wurde.
As a curiosity, it is interesting to mention that according to Hjortsjö's craniometrics studies73 (...) cranium II was considered a sort of outlier, compared to the other skulls from the region.

Bis 2020 war die Gesellschaft des mittelbronzezeitlichen Zypern als vornehmlich egalitär eingeschätzt worden. Aber das will im Grunde gar nichts heißen angesichts des ungeheuer reichen archäologischen Fundbestands auf Zypern, der schon für sich selbst von einer sehr komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft spricht. Man bedenke auch, was zur gleichen Zeit von dem nahegelegenen Ägypten, dem nahegelegenen Levanteraum und dem nicht gar zu weit entfernten Kreta bekannt ist. Angesichts all dieser Umstände äußern sich die Forscher offensichtlich bei weitem zu zurückhaltend, wenn sie schreiben (s. Webb/Knapp2020):

Mehrere metallreiche Grabstätten an der Nordküste der Insel weisen nicht nur auf gewisse Unterschiede in den Bestattungspraktiken hin, sondern implizieren auch ein gewisses Maß sozioökonomischer Ungleichheit (Kohler und Smith 2018; Price und Feinman 2012); solche Ungleichheiten scheinen teilweise auf dem Wettbewerb um die Kontrolle über Bodenschätze und den Zugang zu Wissen im Zusammenhang mit der metallurgischen Produktion und Herstellung zu beruhen.
Several metal-rich tombs from the island’s north coast not only signal some differentiation in mortuary practices but also imply a level of socioeconomic inequality (Kohler and Smith 2018; Price and Feinman 2012); such inequalities appear to have been based in part on competition for control over mineral resources and access to knowledge associated with metallurgical production and manufacturing.

Auf Zypern finden sich Vollgriffdolche (MetM), wie sie sich seit 2.200 v. Ztr. von Südostfrankreich aus über Mitteleuropa und Italien ausgebreitet haben, und die als Hinweis erachtet werden für die Ausbreitung der indogermanischen Italiker innerhalb von Italien (siehe unten). 

Abb. 4: Model eines urtümlichen Tempels auf Zypern (aus Kotsiatis-Marki im mittleren Zypern) (aus: Webb/Frankel2010)

Die reiche bronzezeitliche Kultur Zyperns wird schnell sichtbar, wenn man Bildersuche zum Beispiel mit dem Suchwort "Vounous" unternimmt (s.a. Webb/Frankel2010).  

Antike, ostmediterrane Herkunft auf Zypern ab 1200 v. Ztr.

Weiter heißt es in der Studie (1):

Während der darauffolgenden Eisenzeit deuten Daten aus Lapithos und Amathus auf eine zunehmend einheitliche Bevölkerung auf der ganzen Insel hin. Darüber hinaus zeigen Genome aus der Eisenzeit eine ähnliche Zusammensetzung wie Populationen der Eisenzeit der Ägäis und Westanatoliens, die einen kleinen Anteil Jamnaja-Herkunft aufweisen, was griechische Vorfahren widerspiegelt (Abb. 6).
During the subsequent Iron Age, data from both Lapithos and Amathus suggest an increasingly uniform population across the island. Moreover, Iron Age genomes show a formation similar to populations of the Aegean and Western Anatolia Iron Age, carrying a small proportion of Yamnaya ancestry which reflects Greece ancestry (Fig. 6).

Wir haben es hier mit dem typischen antiken ostmediterranen Herkunftsprofil mit etwa acht Prozent Steppengenetik zu tun. Ob für eine solche Vereinheitlichung nicht auch ein genetisches Replacement auf Zypern für die Zeit um 1200 v. Ztr. in Betracht gezogen werden muß, steht wohl noch offen. Zumindest für Kreta ist für die Zeit um 1200 v. Ztr. von Flucht und Verelendung der bis dahin dort einheimischen Bevölkerung die Rede (s. Stg2022).

Eine vertiefte Beschäftigung mit der Geschichte und Kunstgeschichte Zyperns sollte noch viele Erkenntnisse bereit halten hinsichtlich der Kunst- und Kulturgeschichte des Mittelmeer-Raumes allgemein. Die reiche Fülle der antiken Kunst auf Zypern kommt auf derzeitigen deutsch- und englischsprachigen Wikipedia-Artikeln keinesfalls zum Ausdruck. Zypern weist bis in die hellenistische Zeit hinein einen eigenen kulturellen Stil auf, beeinflußt von Nordmesopotamien, von Ägypten, von Mykene, von Phönizien und schließlich von Griechenland her. Wertvolle Sammlungen zur Kunstgeschichte Zyperns finden sich im Cypros-Museum in Nikosia (Wiki) und im Medelhavsmuseet in Stockholm (WikiCom).

Neuerkenntnisse zu anderen Regionen

Die Phryger stammten aus Thrakien (1200 v. Ztr.)

Und nun noch Neuerkenntnisse zu anderen Regionen. Zweifelhaft ist, ob die Dorer tatsächlich während oder nach dem Seevölkersturm um 1200 v. Ztr. in die Peleponnes eingewandert sind (sogenannte Dorische Wanderung). Sehr viel sicherer scheint hingegen zu sein, daß die Phryger (Wiki) um 1200 v. Ztr. von Thrakien aus nach Zentralanatolien zugewandert sind und sich im vormaligen Herrschaftszentrum des Hethitischen Reiches angesiedelt haben. Daß die Phryger aus Thrakien stammen würden, ist schon in der Antike von den Phrygern behauptet worden, von den Archäologen auch vermutet worden. Es wird jetzt durch die Archäogenetik bestätigt (1):

In den neu sequenzierten Menschenfunden aus der Eisenzeit in Zentral- und Nordwestanatolien (Kalehöyük, Antandros und Keçiçayırı) haben wir geringe Anteile von Steppenherkunft festgestellt, die dem Muster der Balkan-/griechischen Spätbronzezeit entsprechen und wahrscheinlich Migrationen aus dem Balkan widerspiegeln (Genetics and Strontium Supplementary Fig.S6.37; S6.38; S6.39; Supplementary Table S5). Da das Individuum aus Keçiçayırı (CGG_2_022162) im Phrygischen Tal ausgegraben wurde, kann das Auftreten dieser Herkunft mit der Entstehung des Phrygischen Staates im späten 2. Jahrtausend v. Ztr. in Verbindung gebracht werden (Archaeology Supplementary 2.12.5; Linguistic Supplementary 3.3).
In the newly sequenced Iron Age samples from Central and Northwestern Anatolia (Kalehöyük, Antandros and Keçiçayırı), we observed minor proportions of steppe ancestry with the pattern found in Balkans/Greek Late Bronze Age and probably reflects migrations from the Balkans (Genetics and Strontium Supplementary Fig. S6.37; S6.38; S6.39; Supplementary Table S5). Given that the individual from Keçiçayırı (CGG_2_022162) was unearthed from the Phrygian valley, the appearance of this ancestry may be associated with the emergence of the Phrygian state during the late 4th millennium BP48 (Archaeology Supplementary 2.12.5; Linguistic Supplementary 3.3).

Die Archäologen sind sich noch nicht sicher, ob die Phryger auch für den Untergang des Hethitischen Reiches verantwortlich waren. Aber warum sollen sie eigentlich nicht Teil des Seevölkersturmes gewesen sein? 669 v. Ztr. wurde das Phrygische Reich kurzzeitig von den indogermanischen Kimmerern erobert und zerstört, ohne daß die Kimmerer selbst in dieser Region eine eigene politische Macht ausgebildet hätten. Sie siedelten sich zwischen den Phrygern an. Später wurden die Phryger Untertanen der Lyder und mit diesen dann Untertanen des Großreichs der Perser.

Hatte es schon eine anatolisch-indogermanische Zuwanderung nach Griechenland gegeben um 2.700 v. Ztr.?

In der Studie wird auch Bezug genommen auf die vor-griechische Substrat-Sprache (Wiki) in Griechenland, also die Sprache, die vor Ankunft der Griechen in Griechenland gesprochen wurde. 

Abb. 5: Siedlungsgebiet der frühen Griechen um 2.200 v. Ztr. (Wiki) (Sie waren zu jener Zeit "Hyperboräer", sie lebten - aus der Sicht der damaligen Bewohner Südgriechenlands - "jenseits der Berge", "jenseits des Nordwinds")

Zu unserer Überraschung lesen wir, daß es eine stärkere Forschungsmeinung in der Sprachforschung gibt, die davon ausgeht, daß es sich bei dieser Substrat-Sprache um eine anatolisch-indogermanische Sprache gehandelt habe (Wiki):

Eine Substratsprache, deren Einfluß auf Altgriechisch und auf anatolische Sprachen erkennbar ist, wird von einer Reihe von Wissenschaftlern als eine indoeuropäische Sprache angesehen, die mit der anatolischen luwischen Sprache verwandt ist und für die weit verbreiteten Ortsnamen mit den Endungen
-ssa und -nda in Westkleinasien und
-ssos und -nthos auf dem griechischen Festland verantwortlich sein soll.
Beispielsweise wurde der Name des Berges Parnassos in Griechenland als das luwische parna- („Haus“) interpretiert, das an das Possessivsuffix -ssa- angehängt wurde. Sowohl hethitische als auch luwische Texte belegen auch einen Ortsnamen namens Parnassa, der verwandt sein könnte. Der Philologe Martin L. West hat vorgeschlagen, diese nicht belegte anatolische Sprache „Parnassianisch“ zu nennen, und argumentiert für „eine parallele Bewegung von Thrakien nach unten durch einen Zweig desselben Volkes, das nach Anatolien gelangte, das Volk, das 1.500 Jahre später als Luwier auftauchen sollte“. Aus der Verteilung der Namen geht hervor, daß diese Sprache während der Frühhelladischen II-Periode gesprochen wurde, die um 2800 v. Chr. begann.
One substrate language, whose influence is observable on Ancient Greek and Anatolian languages, is taken by a number of scholars to be an Indo-European language related to the Anatolian Luwian language,[4][5] and to be responsible for the widespread place-names ending in:
-ssa and -nda in western Asia Minor, and
-ssos and -nthos in mainland Greece.[6][7][4]
For instance, the name of the mount Parnassos in Greece has been interpreted as the Luwian parna- ('house') attached to the possessive suffix -ssa-. Both Hittite and Luwian texts also attest a place-name Parnassa, which could be related.[4] Philologist Martin L. West has proposed to name this unattested Anatolian language "Parnassian", and has argued for "a parallel movement down from Thrace by a branch of the same people as entered Anatolia, the people who were to appear 1,500 years later as the Luwians". From the distribution of the names, it appears that this language was spoken during the Early Helladic II period, which began around 2800 BC.

Wir hatten hier auf dem Blog schon behandelt, daß die erste indogermanische Ausbreitungswelle von der Mittleren Wolga aus (4.500 v. Ztr., 3.000 v. Ztr.) - zusammen mit Siedlungsabbrüchen vor Ort - bis nach Nordgriechenland gekommen war - aber nicht bis Südgriechenland (Stgen2021). Wildpferdekopf-Zepter der Frühen Urindogermanen finden sich in Nordgriechenland schon um 4.000 v. Ztr.. Es wäre also denkbar, daß die frühe urindogermanische Sprache der Chwalynsk-Kultur sich nicht nur in Anatolien ausgebreitet hat, sondern - von Nordgriechenland her oder von Anatolien her - sich auch nach Griechenland hin ausgebreitet hat. Hier dürfte in den nächsten Jahren noch manche spannende Erkenntnis gewonnen werden.

Zu diesem Thema hatte Philipp Stockhammer im November 2022 in einem Vortrag in Harvard auch schon einige interessante Dinge gesagt (Stg2023), nämlich über (wir wiederholen hier einen Absatz von uns selbst) ...

... Erkenntnisse aus einem Familien-Schachtgrab in Nea Styra auf Euböa aus dem Frühhelladikum II um 2.700 v. Ztr.. Und zwar über die Vorgänge, die womöglich auch dazu führten, daß sonst im Mittelmeer-Raum - etwa auf Sardinien - eine ausländische Elite die einheimische Bevölkerung unterwarf. Womöglich ist Ähnliches auch in Griechenland geschehen, wie hier deutlich wird. Zwei Menschen sind in diesem Grab begraben, die die traditionelle ägäisch-neolithische Herkunft in sich tragen. Drei Menschen sind in demselben Grab begraben, die eine andere Herkunft in sich tragen, nämlich eine solche anatolisch-kupferzeitlich-bronzezeitlicher genetischer Signatur. Sie haben keine genetische Herkunft aus der Ägäis. Nach der Radiocarbon-Datierung stammen alle bestatteten Menschen aus derselben Zeitstufe. Das paßt zu archäologischen Annahmen über das Hereinkommen von neuen Technologien (schnell drehende Töpferscheibe) und von Menschen von Anatolien oder Levante aus in die Ägäis und in den Mittelmeerraum hinein während der Frühbronzezeit.

Außerdem war von ersten Daten die Rede, die darauf hinweisen, daß sich in der Frühbronzezeit sowohl Gruppen aus Anatolien wie aus der Levante im Mittelmeerraum ausbreiteten.

Das "Kommen der Armenier" - um 2.200 v. Ztr.

Über das parallele "Kommen der Armenier" nach Armenien wird ausgeführt, was man sich schon hatte denken können und was wir hier auf dem Blog auch schon voraus gesetzt hatten (Stg2023), nämlich daß Griechen und Armenier von derselben Ausgangspopulation abstammten, und zwar von den Jamnaja (1):

Steppenabstammung wurde bereits in der mittleren Bronzezeit im Südkaukasus nachgewiesen, was mit dem Übergang von der Kura-Araxes-Kultur zur Trialeti-Kultur am Ende des 3. Jahrtausends v. Ztr. zusammenfiel. Wir können nun nachweisen, daß diese Personen sowie diejenigen aus urartäischen Kontexten Steppenabstammung aus derselben westlichen Jamnaja-Population erhielten wie Personen aus dem 2. Jahrtausend v. Ztr. aus der Ägäis (Extended Data Fig. 6, Genetics and Strontium Supplementary Fig. S6.19; S6.21). Diese Ergebnisse stützen die sprachliche griechisch-armenische Hypothese und legen nahe, daß der sprachliche Vorläufer des Armenischen am Ende des 3. Jahrtausends v. Ztr. über den Kaukasus kam.
Steppe ancestry has previously been detected in the South Caucasus from the Middle Bronze Age, coinciding with the transition from the Kura-Araxes culture to the Trialeti culture by the end of the 5th millennium BP. We can now demonstrate that these individuals, as well as those from Urartian contexts, received steppe ancestry from the same, western Yamnaya population as 4th millennium BP individuals from the Aegean (Extended Data Fig. 6, Genetics and Strontium Supplementary Fig. S6.19; S6.21). These findings support the linguistic Graeco-Armenian hypothesis and suggest that the linguistic precursor of Armenian was introduced to the Caucasus by the end of the 5th millennium BP.

Diese Vorgänge sind ja schon in der im Oktober 2024 erschienenen archäogenetischen Kaukasus-Studie sehr detailliert behandelt und aufgeschlüsselt worden (s. Stg2024). 

Italiker, Vollgriffdolche und Ösenhalsringe (ab 1.800 v. Ztr.)

Über die Archäogenetik Italiens wird im Diskussionsteil ausgeführt (1):

Glockenbecher-Populationen übten einen sehr starken genetischen und kulturellen Einfluß auf die Iberische Halbinsel aus. Die Situation in Italien ist allerdings komplexer. In Nordostitalien scheinen Glockenbecher-Gruppen in relativ geringer Zahl angekommen zu sein, wobei einige Individuen prominente Grabhügelbestattungen erhalten haben. Während der Frühbronzezeit und am Übergang zur Mittelbronzezeit tauchen jedoch Hinweise auf eine Verbindung zwischen Mitteleuropa und Italien in der Verbreitung dreieckiger Dolche auf, die oft in Hortfunden gefunden wurden. Diese Dolche sind in ganz Italien verbreitet, wobei ihr Auftauchen mit der weiten Verbreitung von Glockenbecher-Vorfahren über die italienische Halbinsel zwischen 1.800 und 1.500 v. Ztr. zusammenfällt.
Bell Beaker populations exerted a pronounced genetic and cultural impact in Iberia, whereas the situation in Italy is more complex. In Northeastern Italy, Bell Beaker groups appear to have arrived in relatively small numbers, with some individuals receiving prominent tumulus burials. However, during the Early Bronze Age and at the transition to the Middle Bronze Age, evidence emerges of a connection between Central Europe and Italy in the distribution of triangular daggers, often found in hoards. These daggers are distributed across Italy, with their appearance coinciding with the widespread diffusion of Bell Beaker-related ancestry across the Italian Peninsula between 3,800 and 3,500 BP.

Man bezieht sich in den Literaturangaben unter anderem auf eine deutsche Studie über die Verbreitung von "Vollgriffdolchen" aus dem Jahr 2003 (s.a. Ach-Onl) (s. Abb. 7). 

Abb. 6: Vollgriffdolche (2.200-1.600 v. Ztr.) - Ausgestellt im Kantonsmuseum für Archäologie und Geschichte in Lausanne (Wiki)

Auf diese waren wir hier auf dem Blog auch schon gestoßen (Stg2010). 

Abb. 7: Die Verbreitung von Vollgriffdolchen in Mitteleuropa und Italien (Schwenzer2003)

Damals hatten wir auch auf die Verbreitung von mitteleuropäischen Ösenhalsringen bis in den Levanteraum verwiesen (Stg2010). In dieser neuen archäogenetischen Studie aus Dänemark werden nun - dazu passend - Ösenhalsringe und Gewandnadeln der Aunjetitzer Kultur auf Zypern erwähnt (man bezieht sich dabei auf eine Arbeit von Kristian Kristiansen) (1):

Zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Ztr. bestand darüber hinaus eine archäologische Verbindung zwischen der Aunjetitzer Kultur und dem östlichen Mittelmeerraum, einschließlich Zyperns, wie das Vorkommen von Aunjetitzer Ösenhalsringen (=ring ingots?) und Gewandnadeln belegt.
By the early 4th millennium BP, an archaeological connection additionally existed between the Únětice culture and the Eastern Mediterranean, including Cyprus, as exemplified by the presence of Únětice ring ingots and dress pins.

Weiter lesen wir nun in der neuen Studie (1):

Drei Genome von der mittel- und süditalienischen Küste (CGG_2_100646; NEO806; R1) weisen Ähnlichkeiten mit Balkanpopulationen auf, was auf anhaltende Kontakte zwischen beiden Seiten der Adria im 3. und 2. Jahrtausend v. Ztr. hinweist. Diese Kontakte reichten über die Adria hinaus bis zur Ägäis, wie das Vorhandensein mykenischer Keramik und anderer Waren in Siedlungen entlang der italienischen Küste zeigt. Genetische Abstammungen deuten außerdem auf kleinräumige Bewegungen von Menschen hin, möglicherweise unter Beteiligung spezialisierter Handwerker und Händler oder möglicherweise bedingt durch Exogamiepraktiken, was zur beobachteten genetischen Vermischung in der Region beiträgt.
Three genomes from the Central and Southern Italian litoral (CGG_2_100646; NEO806; R1) reveal affinities with Balkan populations, reflecting sustained contacts between both sides of the Adriatic Sea during the 5th and 4th millennia BP. These contacts extended beyond the Adriatic, reaching as far as the Aegean, as indicated by the presence of Mycenaean pottery and other goods in settlements along the Italian coast. Genetic ancestries further suggest small-scale movements of people, possibly involving specialized craftspeople and traders, or potentially driven by exogamy practices, contributing to the observed genetic admixture in the region.

Jene Jamnaja-Genetik, die sich ab 2.400 v. Ztr. nach Griechenland, bis nach Kreta und vereinzelt bis Zypern (siehe oben) ausgebreitet hatte, hat sich in kleineren Anteilen also auch schon früh entlang der Adria-Küste nach Norden ausgebreitet, auch an der italienischen Ostküste. Da diese Verbreitung gemeinsam mit mykenischem Kulturgut auftritt, ist es naheliegend zu sagen, daß es schon eine mykenische, bronzezeitliche "griechische" Kolonisation in der Adria gegeben hat (1):

Eine dritte kleinere Gruppe mit erhöhter Jamnaja-Abstammung, ähnlich den Balkan- und griechischen Populationen der Bronzezeit, läßt sich bei Individuen an der italienischen Adriaküste beobachten (Abb. 4; Genetics and Strontium Supplementary S6.2, CGG_2_100646, NEO806, R1). Interessanterweise weisen drei Individuen der Frühbronzezeit aus Nordostitalien eine zusätzliche Schnurkeramik- oder Jamnaja-Komponente auf, und ein solches Profil läßt sich auch bei Individuen aus Ungarn beobachten (Genetics and Strontium Supplementary S6.3). Diese Individuen, die in monumentalen Tumulusgräbern und einer Sargbestattung (CGG_2_022653) gefunden wurden, hatten wahrscheinlich einen besonderen sozialen oder kulturellen Status inne, wie die Komplexität der Tumuli und die mit diesen Monumenten verbundenen rituellen Aktivitäten nahelegen (Archaeological Supplementary 2.7.4; 2.7.9–11).
A third limited group with increased Yamnaya ancestry, similar to Balkan and Greek Bronze Age populations, is observed in individuals from the Adriatic coast of Italy (Fig. 4; Genetics and Strontium Supplementary S6.2, CGG_2_100646, NEO806, R1)6,20 271 . Interestingly, three Early Bronze Age individuals from Northeastern Italy carry an additional CWC or Yamnaya component, and such a profile is also observed in the individuals from Hungary Genetics and Strontium Supplementary S6.3). These individuals, found in monumental tumulus graves and a coffin burial (CGG_2_022653), likely held a special social or cultural status, as suggested by the complexity of the tumuli and the ritual activities linked to those monuments46 (Archaeological Supplementary 2.7.4; 2.7.9–11).

Wir hatten ja hier auf dem Blog schon vermutet, daß um 2.200 v. Ztr. herum Populationen vom Plattensee in Ungarn abgewandert sein könnten Richtung Adria und Richtung Griechenland (Stg2022). Vermutlich erfolgte diese Kolonisation der Adriaküste in Teilen also auch von Norden aus.

Hochmobile Lebensweise der Indogermanen um 2.200 v. Ztr.?

"Völker in Bewegung" kann man da insgesamt wieder einmal nur sagen. Eine weitere neue Studie stellt anhand der Isotopen-Untersuchung (Wiki) von Skeletten aus einem Glockenbecher-zeitlichen Kollektivgrab auf Sardinien fest (3):

Stickstoff-, Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope, gewonnen aus Knochen aus einem Kollektivgrab auf Sardinien ... weisen auf umfangreichen Fleischverzehr hin und auf wenig spezialisierte, extensive Viehhaltung, die wiederum zur Hypothese eines vergleichsweise mobilen Lebenstiles paßt.
Bone nitrogen, carbon, and oxygen stable isotopes from a collective burial in Sardinia ... show high consumption of animal products and generalized, extensive livestock management, fitting the hypothesis of a relatively mobile lifestyle.

In der Studie wird darauf hingewiesen, daß Ähnliches zuvor schon für die Glockenbecherleute in Großbritannien festgestellt worden war (3):

In Großbritannien (...) wurde eine Mobilität mittlerer Reichweite festgestellt, ohne viel Überseereisen und mit umfangreichem Verzehr von ausschließlich terrestrischen tierischen Proteinen (Jay et al., 2012, Jay und Richards, 2007a, Jay und Richards, 2007). Dies unterstützt eine Charakterisierung ihrer Gesellschaft als Herdenhalter, ein Befund, der durch die vorliegende Studie bekräftigt wird.
In Great Britain (...) medium-range mobility was detected, without much travel overseas and with high consumption of fully terrestrial animal proteins (Jay et al., 2012, Jay and Richards, 2007a, Jay and Richards, 2007). This supports a pastoral characterization of their society, a finding confirmed by the present study.

Es wird auch verwiesen auf die weltweite große Trockenheit und Abkühlung des 22. Jahrhunderts v. Ztr. (Wiki), die einhundert Jahre angehalten haben soll, und mit der in vielen Teilen der Erde politische und gesellschaftliche Umbrüche einhergingen. Die Ereignisse, die die Ankunft indogermanischer Völker in China (?), Indien, Anatolien, Nord- und Südeuropa mit sich brachten, scheinen durch sie noch einmal besonders akzentuiert, vielleicht beschleunigt worden zu sein. Vielleicht konnten die veränderungsbereiten, indogermanischen Herkunftsgruppen auf diese langanhaltende kühle Trockenperiode - aufgrund ihrer traditionellen Veränderungsfreudigkeit mit Herdenhaltung - flexibler reagieren als die bis dahin jeweils vor Ort einheimischen, seßhaften Bauernvölker. 

Die hoch mobile Lebensweise der Glockenbecher-Leute auf Sardinien und in England mit viel Konsumieren von Fleisch könnte ein Teil der Erklärung vieler Vorgänge sein.

___________

*) Im germanischen Bereich der Schnurkeramiker benutzte man zu jener Zeit ähnlich geformte Feuersteindolche, auch Fischschwanz-Dolche (Wiki) genannt. Danach wird diese Zeitepoche von den skandinavischen Archäologen "Dolchzeit" (2350 bis 1700 v. Ztr.) (Wiki) genannt. Im Elbe-Oder-Bereich gab es den bronzenen Oder-Elbe-Dolch (Wiki). Man findet diese Vollgriffdolche auch verschlagwortet unter "Bronze Age daggers" (Wiki). Nahe dem Dorf Łęki Małe (Wiki) bei Lututow in der ehemaligen deutschen Provinz Posen - 30 Kilometer östlich von Wollstein, 50 Kilometer südwestlich von Posen, 70 Kilometer nördlich von Glogau an der Oder und 180 Kilometer östlich von Neißemünde - gab es mindestens 14 Grabhügeln der Aunjetitzer Kultur (2200-1600 v. Ztr.), von denen heute noch vier erhalten sind. In einem derselben fand sich sogar ein goldener Vollgriffdolch (Wiki). Die Fürstengräber der Aunjetitzer Kultur im Posener Raum und in Schlesien waren uns noch gar nicht bekannt und wir werden in einem künftigen Beitrag darauf zurück kommen. 

_______________

  1. Ancient genomics support deep divergence between Eastern and Western Mediterranean Indo-European languages. By Fulya Eylem Yediay, Guus Kroonen, Serena Sabatini, Karin Margarita Frei, (...) Morten Erik Allentoft, Martin Sikora, Rasmus Nielsen, Kristian Kristiansen, Eske Willerslev, bioRxiv 2024.12.02.626332; doi: https://doi.org/10.1101/2024.12.02.626332 (bioRxiv2.12.24)
  2. Verhasselt, Gertjan: The Pre-Greek linguistic substratum. An overview of current research. Les Études Classiques 77.3-4 (2009). (pdf)
  3. Luca Lai, Ornella Fonzo, Jessica F. Beckett, Robert H. Tykot, Ethan Goddard, David Hollander, Luca Medda, Giuseppa Tanda: Understanding the intersection of Rapid climate change and subsistence Practices: An isotopic perspective from a Mediterranean Bell Beaker case study. Journal of Anthropological Archaeology, Volume 77, March 2025, 101637, https://doi.org/10.1016/j.jaa.2024.101637 (ScDir-22.11.2024)
  4. Webb, Jennifer M., Knapp, Arthur B.: Rethinking Middle Bronze Age Communities on Cyprus: “Egalitarian” and Isolated or Complex and Interconnected?. J Archaeol Res 29, 203–253 (2021). https://doi.org/10.1007/s10814-020-09148-8; Published 14 September 2020 (Resg)

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