Freitag, 3. Januar 2025

Haben die Menschen der Aunjetitzer Kultur Ligurisch gesprochen?

Waren die antiken Ligurer in Nordwestitalien und Marseille Nachkommen der Aunjetitzer Kultur?
- Eine archäogenetische Studie aus Dänemark weist neue Tiefenschärfe für den genetischen Wandel in vielen Regionen Europas auf

In einer neuen, dänischen archäogenetischen Studie (1), in der der genetische Wechsel für verschiedene Regionen Europas seit dem Spätneolithikum mit neuen statistischen Methoden tiefenschärfer als bislang aufgeschlüsselt worden ist und in der die Ergebnisse auch grafisch eindrucksvoll dargestellt sind (s. Abb. 1), wird zunächst einmal für das Territorium des heutigen Polen deutlich (Abb 1a):

In der frühen Bronzezeit gab es im Weichselraum "mitteleuropäische" Genetik. Ein auffallender Befund. Da sie sich sehr deutlich von der zeitgleichen Genetik in Skandinavien unterscheidet, die in Skandinavien auch bis heute als solche vorherrschend geblieben ist, wird es nicht einfach sein, diese Genetik schlankweg mit "Ur-Germanen" in Verbindung zu bringen oder auch nur schlankweg mit "Ur-Süd-Germanen". 

Abb. 1: Genetische Veränderungen innerhalb verschiedener Regionen Europas seit dem Spätneolithikum (aus 1) (s. dort Fig. 3) (zur besseren Verständlichkeit ist es sinnvoll, sich zuvor die Grafik 2a der Studie einzuprägen, die hier überall als Hintergrund vorausgesetzt wird, siehe dazu Abb. 2)

Es handelt sich um die Schnurkeramik-Kultur in dieser Region und um die in dieser Region nachfolgende Aunjetitzer Kultur. Die Schnurkeramik-Genetik hat sich im Raum des heutigen Mitteldeutschland und wohl auch bis in den Weichselraum hinein mit der Glockenbecher-Genetik vermischt, so daß vorderhand nicht klar ist, ob die nachfolgende Aunjetitzer Kultur eine keltische oder eine germanische Sprache gesprochen hat. Aber vielleicht hat sie ja auch keine von beiden Sprachen gesprochen? Vielleicht hat die Aunjetitzer Kultur das Ligurische (Wiki) gesprochen?

Da es nach Auskunft des Sprachforschers Jürgen Udolph (Stg24) keine Spuren von keltischen geographischen Namen in Mitteldeutschland gibt, ist die Frage ungeklärt, welche Sprache die Menschen der Aunjetitzer Kultur gesprochen haben. Und auch, welches Schicksal diese Sprache hatte.

Die Südwanderung der Aunjetitzer Kultur (ab 1800 v. Ztr.)

In der mittleren Bronzezeit aber nun - und zwar offenbar schon ab 1800 v. Ztr. (!!!) - verschiebt sich die Genetik im Weichselraum Richtung "Osten", also Richtung heutiger osteuropäischer Bevölkerungen. Das kann nur heißen, daß größere vorherige Bevölkerungsteile abgewandert sind, also vielleicht mit den Ösenhalsringen und Vollgriffdolchen nach Italien oder gar bis nach Ugarit in den Levanteraum gezogen sind (s. Stg24). Ob man auch fragen könnte, ob auch indogermanische Sprachen in Italien aus der Aunjetitzer Kultur abstammen, schließt sich für uns an dieser Stelle als Fragestellung an. Und zunächst kommen wir uns mit dieser Fragestellung sehr kühn vor.

Aber zumindest ab 1000 n. Ztr. verschiebt sich ja die Genetik auch in Italien sehr deutlich in Richtung des heutigen Mitteleuropa und bleibt hier ebenfalls bis zum Mittelalter als solche erhalten (s. Abb. 1d). Und zu unserer Überraschung lesen wir zu den "Italikern" (Wiki):

Eine Migration früher Indoeuropäer aus Ostmitteleuropa über die Alpen soll um 1800 v. Ztr. stattgefunden haben. Laut Barfield ist das Auftreten der Polada-Kultur mit der Bewegung neuer Bevölkerungen aus Süddeutschland und der Schweiz verbunden. Laut Bernard Sergent müßte der Ursprung der ligurischen Sprachfamilie (seiner Meinung nach entfernt verwandt mit den keltischen und italischen) in den Polada- und Rhone-Kulturen, südlichen Zweigen der Aunjetitzer Kultur, liegen. Diese Personen ließen sich in den Ausläufern der Ostalpen nieder und weisen eine materielle Kultur auf, die den zeitgenössischen Kulturen der Schweiz, Süddeutschlands und Österreichs ähnelt.
A migration across the Alps from East-Central Europe by early Indo-Europeans is thought to have occurred around 1800 BC. According to Barfield the appearance of Polada culture is connected to the movement of new populations coming from southern Germany and from Switzerland.[13] According to Bernard Sergent, the origin of the Ligurian linguistic family (in his opinion distantly related to the Celtic and Italic ones) would have to be found in the Polada and Rhone cultures, southern branches of the Unetice culture. These individuals settled in the foothills of the Eastern Alps and present a material culture similar to contemporary cultures of Switzerland, Southern Germany, and Austria.

Über die erwähnte Polada-Kultur (Wiki) in Norditalien lesen wir (Wiki):

Abgesehen vielleicht vom Gebrauch von Pfeil und Bogen und einem gewissen, technischen Können in der Metallverarbeitung besitzt die Polada-Kultur keinerlei Übereinstimmungen mit der vorangegangenen Remedello-Kultur und der Glockenbecherkultur.

Sollte man also womöglich weder nach keltischen geographischen Bezeichnungen in Mitteldeutschland suchen, noch nach  italischen, sondern genauer nach ligurischen? Die Entstehung des hier erwähnten Ligurischen (Wiki) wird mitunter in Zusammenhang gesehen mit einer vor-keltischen und vor-germanischen indogermanischen Sprache innerhalb von Europa, wie sie von Hans Krahe anhand "alteuropäischer Gewässernamen" angenommen worden ist (Wiki). Womöglich würde ja eine Mischkultur wie die Aunjetitzer Kultur, eine Mischkultur zwischen Schnurkeramikern und Glockenbecherleuten dafür am ehesten infrage kommen?

Abb. 2: Hauptkomponentenanalyse der genetischen Verwandtschaft heutiger europäischer Völker (aus 1)

Ab 50 n. Ztr. kommen Skandinavier in den Weichselraum: die Goten (archäologisch die "Wielbark-Kultur"). Die Goten stammen nach dieser Studie aus dem nördlichen Skandinavien, während alle anderen germanischen Stämme wie Bajuwaren oder Langobarden aus dem südlichen Skandinavien stammen. Das würde die Unterschiedlichkeit der ost- und westgermanischen Sprachen erklären (1).

Genetik der Goten hat auch im Weichselraum nicht überdauert

Bis zum Frühmittelalter hat sich die Genetik der Goten im Weichselraum wieder völlig verloren. Es herrscht seither im Weichselraum wieder osteuropäische Genetik vor. Allerdings ist diese nicht mehr ganz so osteuropäisch wie zuvor. Dazu heißt es in der Studie (1):

"Eine frühere Studie konnte die Kontinuität in der Abstammung von den mit Wielbark assoziierten Individuen zu späteren mittelalterlichen Individuen aus einer ähnlichen Region nicht ausschließen. Mit der verbesserten Leistung von Twigstats können Kontinuitätsmodelle sehr deutlich zurück gewiesen werden, da kein Ein-Quellen-Modell einer vorhergehenden Gruppe aus der Eisenzeit oder Bronzezeit eine angemessene Übereinstimmung für die mittelalterlichen Individuen liefert (P ≪ 1 × 10−32). Stattdessen kann die Mehrheit der Individuen aus dem mittelalterlichen Polen nur als eine Mischung von Abstammungen modelliert werden, die mit dem Litauen der römischen Eisenzeit verwandt ist, was den Abstammungen von Individuen aus dem Polen der mittleren bis späten Bronzezeit (44 %, 95 %-Konfidenzintervall 36–51 %) ähnelt, einer Abstammungskomponente, die mit ungarischen Skythen oder slowakischen La-Tène-Individuen verwandt ist (49 %, 95 %-Konfidenzintervall 41–57 %) und möglicherweise eine kleinere Komponente mit Abstammung, die mit Sarmaten aus dem Kaukasus verwandt ist (P = 0,13). Vier von zwölf Individuen aus dem mittelalterlichen Polen, von denen drei aus der späten Wikingerzeit stammen, hatten nachweisbare skandinavische Vorfahren. Ein Teil der bei Individuen aus dem späteren mittelalterlichen Polen nachgewiesenen Abstammung könnte im späten 1. Jahrtausend n. Ztr. in dem Teil der Bevölkerung, der seine Toten einäscherte, fortbestanden haben, aber ungeachtet dessen deutet dies auf eine groß angelegte Abstammungstransformation im mittelalterlichen Polen hin. Zukünftige Daten könnten Aufschluß darüber geben, inwieweit dies den Einfluß slawischsprachiger Gruppen in der Region widerspiegelt."

Soweit zum Weichselraum.

Kamen Sachsen nach Dänemark (um 500 n. Ztr.)?

Auch in England war die skandinavische Genetik im Früh- und Hochmittelalter deutlich vorherrschend und hat sich danach sehr deutlich verloren. Und da stellt sich die Frage, wie es gekommen ist, daß sich diese wieder so deutlich verloren hat.

Die Studie stellt überraschenderweise auch fest, daß ab 500 v. Ztr. mitteleuropäische Genetik nach Dänemark und Westschweden herein kam. Diese ist aber in der Neuzeit ebenfalls wieder ganz verloren gegangen. Das könnte heißen, daß die Angeln und Sachsen nicht nur nach England übergesetzt sind, sondern auch Krieg mit Dänemark geführt haben. Oder es könnte heißen, daß die Dänen in Sachsen Sklaven geraubt oder gekauft haben. In Schweden hinwiederum kam Genetik hinein aus dem heutigen Litauen.

Es ist auffallend, daß sich sowohl in England wie in Dänemark und Schweden wie im Weichselraum eine jeweils ursprünglichere Genetik nach zwischenzeitlichen Zuwanderungen wieder durchgesetzt hat. Fast drängt sich der Eindruck auf, als ob die dänische und die englische Sprache jeweils "gegen" "ausländische" Genetik selektiert haben, ebenso - womöglich - die polnische Sprache. Denn welche Selektionsfaktoren sollten sonst dafür verantwortlich sein?

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  1. Speidel, L., Silva, M., Booth, T. et al. High-resolution genomic history of early medieval Europe. Nature 637, 118–126 (2025). Published 01 January 2025 (Nature2025)

Donnerstag, 2. Januar 2025

Sogder - BMAC- und Steppen-Genetik

Hier auf dem Blog haben wir uns in früheren Jahren sehr häufig mit dem Volk der Sogder (6. Jhdt. v. Ztr.-11. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) beschäftigt. Die Sogder sind jenes Volk, dem die Ehefrau Alexanders des Großen, Roxana, angehörte, dessen Hauptstadt Samarkand war, und das Jahrhunderte lang über die Seidenstraße hinweg mit Kamelkarawanen Fernhandel mit dem Tang-zeitlichen China trieb, und deren Angehörige deshalb in China ein beliebtes Motiv der Tang-zeitlichen Kunst gewesen sind. Denn sie brachten die Chinesen offenbar zum Schmunzeln, da sie so ganz anders aussahen und sich eventuell auch so ganz anders verhielten als man das in China kannte (s. Beiträge vor allem zwischen 2007 bis 2009: Stge: Sogder).

Abb. 1: Sogdische Musiker auf einem Kamel, Xi'an, 723 n. Ztr. (ein beliebtes Kunstmotiv im Tang-zeitlichen China) - Tang-zeitliche Sancai-Porzellan-Figur, ausgestellt im Nationalmuseum von China in Peking (Wiki, a) (Fotograf Gary Todd)

Nun ist erstmals eine Studie zur Archäogenetik der Sogder erschienen. Und zwar wird ein Tang-zeitlicher Chinese untersucht, benannt "Sute1", dessen Urgroßvater offensichtlich ein Sogder war (1). Wir lesen in der Studie (zit. n. Nrken19):

Diese Modelle passen erfolgreich zum genetischen Profil von SUTE1 und enthüllen einen vorherrschenden Beitrag von Populationen des Gelben Flusses (87-99 %), kombiniert mit kleineren Beiträgen aus Zentralasien und der westeurasischen Steppe, einschließlich Western_Steppe-MLBA (6,3-8,1 %), BMAC-verwandter Abstammung (6,2-8,5 %), Afanasievo (6,9-9 %), Sarmatians_450BCE (8,3-12,3 %) und Andronovo.SG.
These models successfully fit SUTE1's genetic profile, revealing a predominant contribution from Yellow River populations (87-99 %), combined with minor contributions from Central Asia and the Western Eurasian Steppe, including Western_Steppe-MLBA (6,3-8,1 %), BMAC-related ancestry (6,2-8,5 %), Afanasievo (6,9-9 %), Sarmatians_450BCE (8,3-12,3 %) and Andronovo.SG.

Das Individuum trug also etwa 10 % Herkunft der Sogder mit sich. Und wenn wir es recht verstehen, setzte sich die Sogder-Herkunft zusammen aus BMAC-Genetik und Anteilen von Jamnaja-, Schnurkeramik-oder gar sarmatischer Genetik (also indogermanische Völker). Die BMAC-Genetik ist die Genetik der erst in den letzten Jahrzehnten bekannt gewordenen Marghiana-, bzw. Oasen-Kultur, die wir in früheren Blogartikeln behandelt haben (z.B. Stg19, Stg20).

Abb. 2: Skulptur eines Saken aus der antiken Stadt Chaltschajan (Wiki), 400 Kilometer südlich von Samarkand, heute Usbekistan, 1. Jhdt. n. Ztr. (s. Stgen22)

In Twitter-Kommentaren lesen wir dazu ergänzend (s. Nrken19):

Er ist kein wirklicher Sogder, eine wirklich sogdische Familie ist die Shi-Familienbestattung, die ihm genetisch nahe steht, und der Grund, warum dieser Mann so nah zu der sogdischen Shi-Familie begraben ist, könnte eine frühere Eheverbindung sein. Ich vermute, daß die im Shi-Familiengrab neben ihm Bestatteten mehr BMAC- und Steppen-Genetik in sich trugen. Vorläufige physiologische Untersuchungen legen nahe, daß sie Kaukasier waren, und sie hatten Grabinschriften, die klar besagen, daß sie Sogdier waren. Außerdem wurde letzten Monat ein sogdischer Familienname „an“安 veröffentlicht.
He is not a really Sogdian, really Sogdian family is shi family burial that is closer to him (being dna testing) and the reason why this man is buried so close to the Sogdian shi family may be due to a previous marriage relationship. I suspect that shi family tomb next to him had more bmac and step (ancestry). Preliminary physiology suggests that they were Caucasian, and they had clear epitaphs stating that they were Sogdian. also a Sogdian family surname “an”安was published last month.

Wir hatten schon in früheren Blogartikeln behandelt, daß Sogder hohe Beamtenstellen im Tang-zeitlichen China einnehmen konnten, also Mandarine waren und deshalb zum Teil auch sehr prächtige Grabstätten erhielten.

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  1. Zhang, Jiashuo, et al. "Unraveling the origins of the sogdians: Evidence of genetic admixture between ancient central and East Asians." Journal of Archaeological Science: Reports 61 (2025): 104957.
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