Sonntag, 6. Oktober 2024

Die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol bis Januar 1944

Die Schlacht am Unteren Dnjepr 1943/44 - Teil 2

Die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol zwischen Oktober 1943 und Januar 1944 ist ein sehr weitläufiges Geschehen, von dem man durch "hölzerne" Worte in Überblicksdarstellungen keinen wirklichen Begriff bekommt. 

Abb. 1: Landschaft bei Nikopol, Aufnahme von 1943 (Reibt)

Einen Begriff bekommt man nur, wenn man ganz nah heran "zoomt". Will heißen, das Geschehen wird erst dann "greifbarer", "konkreter", wenn sich Tagebuch-Einträge einzelner Soldaten zu diesem Geschehen finden. Sie bilden im folgenden das Rückgrat der Ausführungen. Zwar geben die Tagebuch-Auszüge immer nur kleinste Ausschnitte aus dem Gesamt-Geschehen. Aber von ihnen ausgehend kann man leicht Rückschlüsse auf das übrige Geschehen ziehen. Inhaltsüberblick zum folgenden Beitrag:

  • Landschaftsbilder vom Dnjepr
  • Der Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner und sein 250-Kilometer-Fußmarsch von Melitopol nach Cherson (Oktober 1943)
  • Die Verteidigung der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • Der Berliner Oberleutnant Herbert Schrödter und der Kampf an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • "Ari-Pickel" oder "Netschajews Grab"? An der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943
  • Angriffe bei der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 30. Dezember 1943
  • Stellung vor dem "Ari-Pickel" ("Netschajew's Grab") am 15. Januar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Verlegung einer Einheit vom "Ari-Pickel" ("Netschajew's Grab") per Bahn nach Kriwoi Rog, 29. Januar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Aufrollen eines eingenommenen Grabens nördlich Kriwoi Rog, 17. Februar 1944 (Tagebuch Schrödter)
  • Aufrollen eines eingenommenen Grabens nördlich Kriwoi Rog, 21. Februar 1944 (Tagebuch Schrödter)

Wir beschäftigen uns so intensiv mit dem Kampfgeschehen am Unteren Dnjepr 1943/44, das sei noch einmal in Erinnerung gerufen, weil wir damit zugleich auch in ein näheres Verhältnis treten können zu der Region, in der sie stattgefunden haben, eine Region, die vor 5000 Jahren die Urheimat des Volkes der Späten Urindogermanen, der Jamnaja bildete, der kulturellen und genetischen Vorfahren aller heutiger Europäer (siehe mehrere andere Beitrag aus dem Jahr 2024 hier auf dem Blog). 

Die Frontlinie an der Molotschna nördlich und südlich von Melitopol hatte im Oktober 1943 - wie im letzten Beitrag nur überblicksartig und ausschnittsweise angedeutet worden war - gegenüber den nicht enden wollenden Massenangriffen der Sowjets aufgegeben werden müssen (Stgen2024).

Abb. 2: Fähre bei Nikopol, 24. Oktober 1943 (Reibt)

Der deutsche Oberste Befehlshaber Adolf Hitler legte sich darauf fest, daß der Brückenkopf Nikopol als Frontvorsprung gegenüber der Roten Armee gehalten werden sollte. Einerseits wurde das Mangan-Eisenerz in der Region nördlich von Nikopol Richtung Kriwoi Rog abgebaut (wird es bis heute). Und andererseits bestand die Hoffnung, von diesem Brückenkopf ausgehend baldmöglichst das wirtschaftlich wichtige Donezbecken zurück erobern zu können.

Südlich des Nikopoler Südufers des Dnjeprs wurde also eine neue deutsche Verteidigungslinie aufgebaut, ebenso wie entlang des Unterlaufs des Dnjepr bis hinunter nach Cherson (s. Abb. 5). Ein wichtiger deutscher Dnjepr-Übergang südlich des Dnjepr-Knies nach Süden blieb in der Folgezeit für die dort kämpfenden Truppen immer auch der Ort Lepeticha am Dnjepr (s. Abb. 5).

Abb. 3: Blick auf die Dnjepr-Niederung, wohl Sommer 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH)

Im Innern des Brückenkopfes Nikopol scheint es noch lange friedlicher zugegangen zu sein. Offenbar schon im Sommer 1943, bevor die Region Nikopol zur Verteidigung vorbereitet worden ist, sind in dieser Region - offenbar von verschiedenen Deutschen - Filmaufnahmen gemacht worden (siehe Filmarchiv Karl Höffkes). Auf ihnen geht es äußerlich noch sehr friedlich und geruhsam zu. Es gibt da Filmaufnahmen, die offenbar von einem zivil Reisenden und seiner Frau aufgenommen worden sind. Beide sind in Zivilkleidung unterwegs, sowie mit einem Zivilauto. Sie reden und lachen mit den Einheimischen. Es wird in den Aufnahmen unter anderem die Getreideernte gezeigt, es wird das Wettrennen auf einer provisorischen Pferderennbahn aufgenommen. Es wird sich dabei wohl um das Freizeitvergnügen von Etappen- oder Besatzungsoffizieren handeln. Es wird das ländliche Leben gezeigt. 

Landschaftsbilder vom Dnjepr

Dann gibt es aber auch Filmaufnahmen, die zeigen, daß die Front inzwischen deutlich näher gekommen ist. Schilfrohr-Wände werden als Fliegertarnung aufgestellt. Es wird dann die sehr unprosaische Überführung des Leichnams eines gefallenen deutschen Soldaten vom Südufer zum Nordufer des Dnjepr gezeigt. Auf der Fähre scheinen auch Leichtverwundete mitzufahren. Die beteiligten Soldaten scheinen noch nicht einmal Gewehre mit sich zu führen. Insgesamt scheint es sich um eine sehr friedliche Szenerie zu handeln. Niemand scheint mit Fliegerangriffen zu rechnen.

Die gezeigte Fähre über den Dnjepr scheint nicht direkt zwischen Nikopol und Kamenka gefahren zu sein - denn dort gab es eine Brücke. Vielleicht fuhr sie einige Kilometer flußabwärts. 

Es wird auf den Aufnahmen auch die Schönheit des Dnjeprs und seines Umlandes eingefangen. Auch schon bevor hier das Flußbett in den 1950er Jahren zu den eindrucksvollen, weiten Wasserflächen des Kachowka-Stausee aufgestaut worden ist, war der Flußlauf des Dnjepr eindrucksvoll. Dementsprechend hat er ja auch schon immer bedeutsame Völker angezogen: Die Späten Urindogermanen, die Skythen, die Goten, die Wikinger und viele, viele andere Völker, vor allem aus dem Osten (Hunnen, Awaren, Mongolen usw. usf.). 

Abb. 4: Der Dnjepr bei Nikopol, wohl Ende 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH)

Wie schon am Ende des letzten Blogbeitrages angedeutet, wurden während des deutschen Rückzugs von der Molotschna hinüber zum Unteren Dnjepr vereinzelt zurück gehende deutsche Heeresteile von sowjetischen motorisierten Einheiten überholt und eingekesselt. Von einem solchen Geschehen berichtet der damals 20-jährige Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner. 

Der Salzburger Obergefreite Matthäus Lindner - 250 Kilometer Fußmarsch nach Cherson (Oktober 1943)

In seinem Bericht geht es keineswegs so idyllisch zu wie auf den eben behandelten Etappen-Filmaufnahmen. Lindner stammte von einem Bauernhof aus dem Dorf Obertrum nahe dem Wallersee bei Salzburg. Als Angehörigem der 4. Gebirgs-Division (Wiki) war er einer Batterie-Fernsprech-Abteilung zugeteilt. Er hatte die Aufgabe, Telefonkabel entlang der Front zu verlegen. 

Mit seinem Tagebuch-Bericht befindet man sich als Leser mitten in den deutschen Rückzugskämpfen zwischen Melitopol und Cherson. Die in ihm erwähnte deutsche 370. Infanterie-Division stand unter dem Befehl von Generalleutnant Fritz Becker. Nach diesem ist dann auch die eingeschlossene "Gruppe Becker" benannt worden (Abb. 5), innerhalb der sich Lindner mit bewegt haben wird. Matthäus Lindner hat die eigentlichen Kämpfe an der Molotschna nicht erlebt, sondern wurde erst nach ihrem Ende dorthin verlegt. Er schreibt (TbLindner):

22.10. Verladen der Batterie auf die Bahn bei Simferopol. Es gibt neuen Einsatz. Fahrt über Dschankoj Sywasch in den Raum westlich Melitopol. Utlink Abschnitt.
25.10. Ausladung und gleich in den Einsatz. Nördlich von uns 370. Infanterie-Division Verhinderung eines feindlichen Durchbruchs bei Akimozoka Danilowka Petrowsk. Feuerstellung, Leitungsbau auf Beobachtungsstelle Gleich Feuer-Kommando Abwehrkampf, Sperrfeuer.
26.10 Absetzen bei Nacht. Neue Auffangstellung, Leitungsbau. Höre im Telefon von einer kritischen Lage. Massive Feindangriffe nördlich von uns, starker Gefechtslärm. Russische Panzerverbände reißen die Front auf.
27.10. Stellungswechsel in Richtung Westen. 30 Kilometer Leitungsabbau bei Tag, entlang der Hauptkampflinie 100 Meter vom Feind, bekommen Maschinengewehrfeuer. In der Nacht mußten die Jäger etwas zurück, so lag unsere Feuer-Leitung der Hauptkampflinie entlang. Ein etwa 150 m eingesehenes Stück mußten wir überqueren. Feind nimmt uns mit Maschinengewehren unter Feuer. Ich habe die Kabeltrommel. Ein Jäger-Maschinengewehr hält den Russen nieder. Rettete uns dieser Maschinengewehr-Schütze das Leben? Vorgeschobener Beobachter, Unteroffizier Gutmann sah es als Tapferkeit. Bei Konstantinowka. Den ganzen Tag Marsch. Wettlauf mit der Zeit. Ganz ebenes Gelände, Kilometerweit kein Baum, kein Haus "Nogaische Steppe". Links von uns 51. russische Panzerarmee überholt uns. (…) 
Links offene Flanke. Wieder den ganzen Tag Gewaltmarsch. 51. russische Panzerarmee stößt in Richtung Dnjepr. Zunehmende Verschlechterung. Leuchtzeichen hinter uns, bei Nacht.
29.10 Feind überquert Rollbahn Cherson-Perekop schneidet auch uns ab. Er ist schon 70 Kilometer hinter uns. Gros der 4. Gebirgs-Division, 4. Rumänische Brigade, Gruppe Fett (genannt nach ihrem Kommandanten), Teile des 668. Grenadier Regiment Panzerabwehrgeschütze, 5 Hornissen, Panzerjäger Abt. 93 mit ...
30.10. .. etlichen Sturmschützen im Kessel. Auch etliche versprengte Gruppen. Trosse werden von feindlichen Panzern überfahren. Igel um Askanja Nowa.

Um sich wenigstens im groben die Geographie klar zu machen, sei an dieser Stelle noch einmal eine Karte von diesen Rückzugskämpfen eingestellt (s. Abb. 5).

Abb. 5: Die überholte und eingeschlossene 4. Gebirgsdivision kämpft sich bis Februar 1944 zurück zum deutschen Brückenkopf bei Cherson (aus Paul Carell/Verbrannte Erde)

Lindner schreibt weiter (TbLindner):  

31.10. Hauchdünne Chance nach Westen durchzubrechen. Nachmittag Formierung zum Durchbruch. In Marschkolonnen. Marschzahl 16 Westen. Die vorderen Bataillone waren mit etlichen Hornissen und Sturmschützen verstärkt. Voraus 2. Bataillon 91. Nördliche Gruppe. Das Antreten vollzog sich unter schweren feindlichen Artilleriegranaten-Salven (Stalin-Orgel) und Panzerfeuer. Kurz vor dem Durchbruch traf ich wieder Franz Strasser, Erhard, ein Obertrumer. Sahen die Jäger in Marschkolonnen in einem Kilometer Entfernung dahinziehen. Das feindliche Feuer verstärkt sich.
31.10. Die nördliche Gruppe Gebirgsjäger-Regiment 91 und eine rumänische Gruppe traten auf die Orte Tschapinka und Petrowka an. Gebirgsjäger-Regiment 13 in Richtung Stassny. Sämtliche übrigen Verbände in der Mitte, so auch 5. Batterie Angreifende Bataillon haben große Verluste. Hauptmann Wolferseder 2. Bataillon 91 gefallen, desgleichen sein Adjutant. Verwundete werden so weit als möglich mitgenommen. Gruppe Fett wehrt 20 feindliche Panzer ab. 13 abgeschossen. Schweres Feuer auf die Kolonnen. Ab 4 Uhr Nachmittag geht es im Laufschritt auf offenem Gelände. Aus den Orten, die nur noch vom Feind besetzt waren, heftige 762 und Stalinorgel-Feuer. Unsere Zugtiere, die im Tandem die Geschütze zogen, erhielten Treffer und die Tragtierführer. Unser Batteriekoch, Unteroffizier Istler gefallen. Franz Winkelhofer verwundet. Hatten mehrere Tote und Verwundete. Die Geschütze der 5. Batterie wurden gesprengt. Etliche Stunden geht es im Laufschritt durch den aufgerissenen Ring. Unsere Rucksäcke gehen verloren. Marschrichtung Westen. Die Jägerbataillone greifen weiter an. Gebirgsjäger-Regiment 13 über Stassny hinaus. Gebirgs-Jäger 91 bei Krassnaja Polanka. Überrennen die Russen, aber mit großen Verlusten. 4. Abteilung Artillerie-Regiment 94 bildet Nachhut. Aber noch massives Feuer auf den Kolonnen. Es war schon Nacht, als wir auf die ersten Sicherungen der 13. deutschen Panzer-Divisionen bei Novi Gai trafen (13. Panzer-Division hatte nur noch bei 20 Panzer). Halt bei Buinj. Todmüde, es war schon Nacht. Etliche Stunden Schlaf. Seit Tagen keine Rast. Nur kurzes Halten zum Essen. Feldküche kochte.
?.11. Auf Marsch. In russischer Kälte Schlaf. Morgens ging es wieder weiter. Unsere vier Mann werden nicht geweckt. Die Gefechtsbatterie (ohne Geschütze) war schon weg, als wir wach wurden. Hatten noch großes Glück. Um 7 Uhr im nächsten Dorf, noch Sicherungen der 13. Panzerdivision. Unsere Einheit hatte uns schon abgeschrieben, nach dem großen Durcheinander. Im nächsten Dorf trafen wir zu unserem Haufen. Marsch bis Bolschoj Kopani. (…)
2.11. 250 Kilometer seit 26. Oktober eine ungeheure Marschleistung, zum Umfallen müde. Es schmerzten die Füße (angeschwollen) teils voll Blasen, wir hatten ja nicht Zeit, die Schuhe auszuziehen.
3.11. Marsch bis Rdenskoje. Auffangstellung. Russe war mit dem Gros der Panzerverbände zur Landenge Perekop gestoßen. Er schneidet dadurch die ganze Krim ab. Unsere auf der Krim verbliebenen Divisionsteile, hauptsächlich Trosse und Verpflegungseinheiten u.a.m. Sanitäter-Kompanie hatte später harte Gefechte als Alarmeinheiten zu bestehen (Zur Verteidigung der Krim). Mehrere Obertrumer blieben für immer dort. Brandstätter Eduard, Mariacher Sepp. Vermißt wurden Noppinger Sepp, Lindner und andre aus Hallwang u.a.m. Die Überlebenden wurden später von Eupatoria, nach Rumänien, verschifft und kamen dann wieder zu unserer Division.
4.11. Bildung des ungefähr 20 x 7 Kilometer großen Cherson Brückenkopfes, jenseits des mächtigen Dnjepr (1 Kilometer breit) mit Konka (ein Flußarm)
5.11. bis Weihnachten. Verteidigung des Brückenkopfes. Häufige Angriffe des Feindes, mit Panzern unterstützt, dann wieder in den Lagunen, am Konka Fluß und Dnjepr Auen, versucht den Brückenkopf einzudrücken. Dünengelände, feiner Flugsand verlegte die Maschinenpistolen und Gewehre. Teile von unserer Batterie hatten Sicherung diesseits des Flusses und am Ingulez, der hier in den Dnjepr mündet. Wir hatten noch keine Geschütze, waren bei einer Alarmeinheit. Viel Wache besonders in der Nacht. Zur Unterstützung war Zwillingsflack eingesetzt. Unteroffizier Gutmann auf vorgeschobener Beobachtung gefallen. Unteroffizier Hellmich bei Sicherung gefallen. 3. Bataillon 13 verhindert ein Abschneiden der Front in den Konka-Auen. Erstmals gibt es neue Panzerfaust.
24.11. Feind landet hinter der Konka, ein Flußarm. Durch Lagunen und Schilf bis zum Bahndamm Aleschki. Gegenstoß der 91. Jäger. Feind muß zurück in den Sumpf. Dort hielt er sich mehrere Tage. Durch Umgruppierung mit den 13. Jägern. Gemeinsam wurde dann Feind aufgerieben. So leicht schreibt sich das, welche Opfer es aber gekostet hat?
Anfang Dezember mußten wir einen Spähtrupp mit Sturmbooten machen in die Konka-Auen. Wir sahen Gott sei Dank keine Russen. Außer den vielen Posten (Wachen) bei der Alarmeinheit hatten wir eine ruhige Kugel diesseits des Stromes.
15.12. Großangriff der Russen auf Brückenkopf. Front kommt in Bewegung
Russisches Bataillon mit Panzern unterstützt. Starkes Artilleriefeuer. Schlachtflieder Jl 2 greifen im Erdkampf ein mit Bordkanonen.
16.12. Nach stundenlangem mörderischen Kampf bleibt der Angriff in den Dünen liegen. 12 Panzer feindlich abgeschossen. Wirksam unterstützt durch die Ar. des Rgt. 94.
17.12. Feind gibt nicht auf, greift fast pausenlos an. Großer Einsatz von Munition und Material. 26 feindliche Panzer abgeschossen. In Stuka 87 als fliegende Panzerjäger mit 3,7 Bordkanone ausgerüstet, greifen feindliche Panzer an.
18.12. Wieder starker Gefechtslärm. (…) Um 22.25 wird auf höherem Befehl, die fast einen Kilometer lange Eisenbrücke über Dnjepr und Konka gesprengt. Keine feste Verbindung mit dem Kampf-Bataillon mehr, Fluß ist teilweise zugefroren. Jenseits stauen sich die Kolonnen. Alles muß nun mit Fähren über den Strom gebracht werden. Das Eis war teilweise zu schwach. Forderte auch wieder Verluste von Menschen und Material. Die lange Eisenbahnbrücke über den Strom wurde von der Organisation Todt erbaut. Kostete Unsummen von Reichsmark, war kaum erbaut, auch gedacht für den Rückzug der Krimarmee: Daraus wurde nichts. Feind schnitt den Weg ab. Das Gesetz des Handelns lag schon länger nicht mehr bei uns.
19.12. Verkleinerung des Brücken-Kopfes um Bahnhof Aleschki und beginnend teilweise Räumung.
20.12. 6.15 geht Nachhut der 13. Jäger über den Strom. Sieben Wochen aufreibender Kampf. Für was? Auch wieder Verluste.
29.12. Sicherung und Verteidigung diesseits des Stromes. Abwehr russischer Übersetzversuche.
25.12. Weihnachten in der Stadt Cherson. Sämtliche Mannschaft der Batterie wieder beisammen. Auch hatten wir schon wieder Geschütze (5 Batterie) Feldgottesdienst. Marketender Waren.

Ein aufregender, wenn nicht aufwühlender Bericht. Lindner hat als einfacher Soldat immer auch die größere Lage im Blick. Soweit zur deutschen 4. Gebirgsdivision. 

Die Verteidigung der Südfront des Brückenkopfes Nikopol

Die oberösterreichische 3. Gebirgsdivision verteidigte in dieser Zeit das Südufer des Dnjepr gegenüber von Nikopol Richtung Süden (s. Abb.). 

Abb. 6: Verteidigung des linken Dnjepr-Ufers, 1. November 1943

Die deutsche Aufstellung südlich von Nikopol ist der Lagekarte vom 1. November 1943 zu entnehmen. Von Osten nach Westen verteidigten hier (Abb. 6):

  • die mecklenburgischen 302. Inf. Division,
  • die oberösterreichische 3. Gebirgs-Division,
  • die Nürnberger 17. Infanterie-Division,
  • die 335. Infanterie-Division,
  • die hessische 9. Infanterie-Division
  • die 97. Jäger-Division

Alle diese Divisionen sollten beim Ausbruch aus dem Nikopoler Brückenkopf im Februar 1944 bei Bolshaja Kostromenka (Groß-Kostromenka) noch einmal eine wichtige Rolle spielen. Es handelt sich im Wesentlichen um dieselben Divisionen, die schon den "Ostwall" an der Molotschna verteidigt hatten. Die 73. Inf.-Division schließlich wurde bei Bolschaja (Groß-)Lepaticha am Dnjepr-Ufer in Reserve gehalten.  

Abb. 7: An der Südfront des Brückenkopfs Nikopol - Im Bereich der 55. Grenadier-Regiments, das der 17. Infanterie-Division unterstellt war (Reibt)

Die Südfront des Brückenkopfes Nikopol wurde unter anderem über Kamenka (GMapsWiki) an der Südseite der Dnjepr-Senke von Nikopol aus versorgt. Die Brücke bei Kamenka ermöglichte auch die Versorgung der deutschen Division auf der Südseite des Dnjepr. Und sie ermöglichte die Rücknahme der Divisionen auf die Nordseite kurz vor der Räumung des Brückenkopfes Nikopol im Februar 1944. So ist es auch in der Ortsgeschichte festgehalten (Wiki):

Während des Großen Vaterländischen Krieges (1941-1945) bauten die Deutschen 1943 mit Hilfe der örtlichen Bevölkerung eine Brücke zwischen Nikopol und Kamenka-Dneprovskaya, um die am linken Ufer stationierten verteidigenden Armeen schnell mit Gütern über den Dnjepr versorgen zu können.

Dieser Umstand ist auch gut einer Karte der 15. Flak-Division vom 7. Oktober 1943 zu entnehmen. Da finden sich sogar drei Übergänge eingezeichnet, wobei es sich auch um Fähren gehandelt haben kann (Abb. 7).

Abb. 8: Deutsche Brücke von Kamenka nach Nikopol über die Dnjepr-Senke hinweg (wwii)

Im Gegensatz zu den heißen Abwehrkämpfen an der Süd- und an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol lagen die behelfsmäßigen Brücken und Fähren über den Dnjepr noch im Etappengebiet. Deshalb konnte es hier noch vergleichsweise friedlich zugehen wie Filmaufnahmen entnommen werden kann (vielleicht aufgenommen von Kriegsberichterstatter Goetz Hirt-Reger aus Baden bei Wien, vielleicht auch aufgenommen von anderen) (1) (Abb 8 und 9).

Abb. 9: Der Dnjepr irgendwo in der Region rund um Nikopol, wohl Ende 1943 (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH) - Offenbar Blick auf das Südufer - von wo die Leiche eines deutschen Gefallenen durch eine eisfreie Rinne geholt wurde

An den Fronten aber fielen die Soldaten und das nicht nur vereinzelt. Am 28. November fiel etwa der Obergefreite Karl Klocke aus Wüsten bei Bad Salzuflen in Westfalen (Abb. 11) (wois). Er fiel neun Kilometer südostwärts von Dnjeprowka. Dnjeprowka lag im Verteidigungsbereich der oberösterreichischen 3. Gebirgsdivision, allerdings in der Nähe zur Divisionsgrenze zur anschließenden 302. Infanterie-Division.

Abb. 10: Der Dnjepr bei Nikopol, wohl Ende 1943 - (Aufnahmen aus dem Filmarchiv Karl Höffkes, AKH) - Offenbar Blick auf das Südufer

Eine Ortschaft neun Kilometer südostwärts (GMaps) von Dnjeprowka (ukr. Dniprowka [Saporischschja]) (WikiukrGMaps) ist das Dorf Podowe (Saporischschja) (GMaps). Auf dem Friedhof seines westlichen Nachbardorfes Sapowitne (Saporischschja) findet sich eine sowjetische Kriegsgräberstätte (GMaps), wo Soldaten jener Zeit bestattet sind. 

Über die Kämpfe der oberösterreichischen 3. Gebirgsdivision in diesem Raum lesen wir (Wiki):

Bis zum 14. November 1943 wurde die Division in den Brückenkopf von Nikopol an den Dnjepr zurückgedrängt. (...) (Es folgte die) Verteidigung des Brückenkopfes von Nikopol. (...) Das Divisionshauptquartier lag zeitweise in Dnjeprowka, während der Verteidigungsbereich Gebirgsjäger südöstlich davon verlief. Linker Nachbar war die 302. Infanterie-Division, rechter Nachbar die 17. Infanterie-Division. Der Korpsgefechtsstand befand sich im nordwestlich gelegenen Nikopol.
Der Brückenkopf selbst wurde erst ab 20. November attackiert. In dem mehr als zehn Tage dauernden Kämpfen mußte auch die in der Tiefe bereitgehaltene 24. Panzer-Division eingreifen. In Zusammenarbeit mit dieser ostpreußischen Panzer-Division gelang es der 3. Gebirgs-Division unter hohen eigenen Verlusten alle Angriffe der Roten Armee abzuwehren. Am Ende der Schlacht wurden vor der Front der Gebirgs-Division 146 abgeschossene sowjetische Panzer und 2000 tote Rotarmisten gezählt. Ein weiterer Großangriff fand in der Zeit vom 19. Dezember bis Weihnachten 1943 statt. Auch hier war der Einsatz der 24. Panzer-Division notwendig, mit deren Hilfe es den hart bedrängten Gebirgsjägern gelang, ihre Stellungen zu halten bzw. wieder zurückzuerobern.

Gerade als am 30. Januar der entscheidende sowjetische Großangriff von Norden her auf die Sehnenstellung des Brückenkopfes Nikopol beginnen sollte, wurde die wertvolle 24. Panzer-Division aus dem Brückenkopf Nikopol abgezogen, weil sie andernorts dringend gebraucht wurde. 

Abb. 11: Südfront des Brückenkopfes Nikopol am 1. Januar 1944 (LexdWehrm)

Am selben 19. Dezember 1943 mußten auch schwere Angriffe an der Nordfront des Brückenkopfes abgewehrt werden wie wir gleich weiter unten sehen werden. Die Sowjets stießen sich auf beiden Seiten die Köpfe ein, was dazu führte, daß sie ihre Kräfte umgruppierten und nun ab 30. Januar 1944 von Norden her die Sehnenstellung ins Visier genommen haben.

Abb. 12: Obergefreiter Karl Klocke (geb. 1920, gefallen am 28. November 1943 neun km südostwärts von Dneprowka - Er stammte aus Westfalen aus der Ortschaft Wüsten (wois)

Auch schwere Luftkämpfe gab es über dem Brückenkopf Nikopol. Der Jagdflieger Leutnant Johannes Bunzek aus Groß-Strehlitz in Oberschlesien, Angehöriger der 7./JG 52, hatte von Januar bis Dezember 1943 75 Feindflugzeuge abgeschossen, bis ihn über Nikopol das Schicksal ereilte (JG52):

Am 11. Dezember 1943 stieß er beim Angriff auf Il-2 über dem Brückenkopf von Nikopol südwestlich Werbljushka mit einem von ihm abgeschossenen La-7-Jäger zusammen, wobei seine eigene Maschine in der Luft explodierte und er dabei den Tod fand.

Nachträglich wurde ihm das Ritterkreuz verliehen.

Der Kompagnie-Führer Herbert Schrödter an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943

Die Berliner 257. Infanterie-Division (s. balsi) stand seit 8. Dezember 1943 55 Kilometer westlich von Saporoschje und etwa 50 Kilometer nördlich von Nikopol in Verteidigung des heute nicht mehr vorhandenen Dorfes Boshidar (GMaps) (FdW) (TbSchrödter). Dieses Dorf lag nur drei Kilometer östlich von "Netschajews Grab", dem offenbar in der sowjetischen Kriegsgeschichtsschreibung und in der ukranischen geschichtlichen Erinnerung größere Aufmerksamkeit zugesprochen wird (siehe gleich).

Hier verteidigt der Berliner Lehrersohn und Oberleutnant Herbert Schrödter mit seiner Kompanie. Die vorderste Schützenlinie ist nur alle 50 bis 100 Meter durch ein Schützenloch gesichert. Am 19. Dezember brechen 25 T34 durch diese Schützenlinie hindurch und rollen in das Dorf Boshidar hinein. Dort befindet sich in einem der Bauernhäuser der Bataillonsgefechtsstand. Auf diesem hält sich zu diesem Zeitpunkt auch Schrödter gerade auf. Er erlebt aus nächster Nähe mit, wie die im Dorf gut getarnt in den Gärten stehenden neun deutschen Geschütze gleichwertigen Kalibers es mit diesen Panzern aufnehmen. Da sie gut getarnt sind, werde sie offenbar von keinem der sowjetischen Panzer erkannt. So gelingt es ihnen, nach und nach 23 der 25 Panzer auf kürzeste Entfernung abzuschießen (TbSchrödter).  

Abb. 13: Deutscher Soldatenfriedhof im Brückenkopf Nikopol, Dezember 1943 (Reibt)

Der 23. Panzer war dann doch noch mitten durch die Dorfstraße geprescht und hatte unerfahrene aus der Frontlinie fliehende deutsche Soldaten auf freiem Feld verfolgt und mit dem Maschinengewehr nieder gemäht. Dann war er in das Dorf zurück gekehrt. Dort ist er dann schließlich doch noch abgeschossen worden. Am Folgetag wurden auf gleichen Weise noch einmal 11 von 15 Panzern abgeschossen. Diesmal hatten sie von der linken Flanke her angegriffen. Rückblickend hieß es zu diesen Abwehrerfolgen im Divisionsbefehl vom 14. Januar 1944 (Vexilli):

In der zweiten Dezemberhälfte stand der linke Flügel der Division im Brennpunkt schwerer Abwehrkämpfe. Hier versuchte der Feind, einen entscheidenden Durchbruch in Richtung Nikopol zu erzwingen. Er trat am Morgen des 19. Dezember 1943 mit zwei Garde-Schtzn.Div., Teilen zweier weiterer Divisionen, Teilen eines Pz.-Korps mit etwa 100 Panzern, dazu drei Sturm-Pi.Batl. unterstützt von mehreren Granatwerfer- und Salvengeschütz-Rgt. im wesentlichen gegen den Abschnitt der zwei Bataillone des Gren.Rgt. 477 zum Groß-Angriff an.
Das II./Gren.Rgt. 477 unter Führung von Hptm. Schlegtendal kämpfte bis zum letzten Mann um Ljubimowka und erlag nur der ungeheuren feindlichen Übermacht.
Das III./Gren. Rgt. 477 bewährte sich erneut unter Führung von Hptm. Gust als Eckpfeiler der HKL und hielt in hin- und herwogenden Gefechten im Nahkampf mit feindlichen Panzern und Infanterie Boshidar und die Höhe westl. davon. (...)
66 abgeschossene russische Panzer sind Zeugen unseres Abwehrsieges bei Boshidar und Ljubimowka.

Ljubimowka liegt westlich von "Netschajews Grab", das bei diesem Anlaß also genommen worden war. Herbert Schrödter, Oberleutnant und Chef einer Kompanie des letzteren Regiments, schrieb am 25. Dezember ein wenig in Weihnachtsstimmung in sein Tagebuch (Vexilli):

Tagelang hat uns die rote Flut berannt und bestürmt. Wir haben ihr standgehalten. Zwar hat der Feind beim linken Nachbarn Gelände gewonnen und steht in unserer Flanke, aber wir sitzen noch in Boshidar. Er hat uns mit schwerer Artillerie betrommelt, aber es half ihm nichts. Er hat fast ein ganzes Panzerkorps geopfert. Wir haben es ihm zerschlagen. Er hat uns, vor allem unserem linken Nachbarn, schwere Verluste zugefügt, aber wir weichen nicht.

Den ganzen Tag über hatte Schrödter erregt auf einen neuen Sturmangriff der Sowjets gewartet, der dann aber doch nicht mehr angegriffen hat (Vexilli). Am 28. Dezember mußte das Dorf Boshidar aufgegeben werden (Vex):

Wir selbst haben unsere Stellungen zwar behauptet, aber der Feind steht links so tief in unserer Flanke, daß er unseren vorspringenden Frontkeil abzuschnüren droht. Wir müssen also zurück.

Am 28. Dezember 1943 verließ das Bataillon bei dichtem Nebel das Dorf Boschidar (TbSchrödter).

Abb. 14: Tagebuch Herbert Schrödter: "So verließ ich mit meiner Nachhut das Dörfchen Boshidar in dichtem Nebel" - Am 28. Dezember 1943 (Vexilli)

Schrödter fand sogar noch Zeit, eine Fotografie seiner Nachhut anzufertigen (Abb. 12). Die Einheiten gingen nach Süden auf das nur wenige Kilometer entfernte Kitaigorodka (ukr Kytajhorodka) (GMaps) zurück.

"Ari-Pickel" oder "Netschajews Grab" an der Nordfront des Brückenkopfes Nikopol, 19. Dezember 1943

Nur wenige Kilometer westlich von Boshidar und Kitaigorodka lag nun "Netschajews Grab" (Wiki) (GMaps), dem im ukrainischen geschichtlichen Gedächtnis einige Bedeutung zugesprochen wird. Schrödter hatte erwähnt, daß dem Feind in dem dortigen Abschnitt ein tieferer Einbruch gelungen war. Aber die sowjetischen Quellen sprechen auch hier von den furchtbarsten Kämpfen - sowjetischer Angriff und deutscher Gegenangriff, sowjetischer Angriff und deutscher Gegenangriff mehrmals im Wechsel.

Bei "Netschajews Grab" handelt es sich um ein skythisches Hügelgrab aus dem 4. Jahrhundert v. Ztr., das auch archäologisch höchstes Interesse auf sich gezogen hat, und das sich im 19. Jahrhundert auf dem Landbesitz der Familie Netschajew befunden hatte. Daher stammt der Name. Der Grabhügel liegt 50 Kilometer nördlich von Nikopol - und damit einmal erneut mitten in der Urheimat der Späten Urindogermanen, der Jamnaja-Kultur ab 3.300 v. Ztr. und ihrer Vorgängerkultur, der Sredni-Stog-Kultur, der Vorfahren der 1944 hier auf beiden Seiten kämpfenden Soldaten. Ukrainische Archäologen, die sich mit diesem Grabhügel beschäftigen, referieren auch die Schicksale dieses Grabhügels während des Zweiten Weltkrieges. Sie schreiben (Daragan/Polin2021):

Eine besonders tragische Rolle spielte der Hügel während des Großen Vaterländischen Krieges, als er einer der wichtigsten Stützpunkte der Wehrmachtstruppen bei der Offensive der Roten Armee Nikopol-Kriwoi Rog im Dezember 1943 - Januar 1944 war, bei der die Kriwoi Rog-Nikopol-Gruppe besiegt wurde, und bei der diese um jeden Preis versuchte, das Mangan- und Eisenerzbecken von Nikopol und Krivoy Rog zu halten.

Wie wir den Schilderungen aus dem Tagebuch von Herbert Schrödter entnehmen können (siehe gleich), spielte dieser Grabhügel - zumindest auf deutscher Seite in keiner Weise die Rolle, die ihm hier zugesprochen wird ("wichtigster Stützpunkt"). Weiter heißt es (Daragan/Polin2021):

Mehr als eineinhalbtausend sowjetische Soldaten wurden in den Kämpfen um Netschajew's Grab getötet. Der Hügel selbst, insbesondere seine Spitze, war mit Unterständen und Verbindungsgängen sowie Hunderten von Granatenkratern übersät. (...) Alle Fakten deuten darauf hin, daß es sich bei dem Hügel früher um einen der größten skythischen Königshügel in der nördlichen Schwarzmeerregion handelte, er hatte eine Höhe von mindestens 20 Meter. 

Rund um Netschajews Grab tobten die Kämpfe zwischen dem 5. Dezember 1943 und dem 15. Januar 1944.

Zwischenbetrachtung

Und einmal erneut lesen sich die sowjetischen Erinnerungen an diese Kämpfe - sozusagen - "erregter", "nervöser" und damit zugleich auch "pathetischer" und "überspannter" als sich üblicherweise deutsche Erinnerungen an diese Kämpfe lesen, auch etwa die von Herbert Schrödter. Deutscherseits wurde auch in schwersten Lagen, in denen schon fast alles verloren scheint, Ruhe bewahrt. Bis natürlich auf die Ausnahmen unerfahrener oder sehr kraß abgekämpfter Soldaten und Einheiten. Bei Schrödter finden sich auch dafür Beispiele (siehe unten). Man kann aber allen sowjetischen Berichten - und auch noch dem heutigen pathetischen Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen Sowjetsoldaten - entnehmen, daß den sowjetischen Soldaten aller Ränge im Grunde voll bewußt war, daß sie jederzeit "verheizt" wurden. Und zwar oft genug "bedenkenlos".

Zugleich aber war ihnen bewußt, daß "Aufmucken" dagegen überhaupt nichts nützte, weder ganz unten, noch ganz oben. Die Tuchatschewski-Krise des Jahres 1938 und die ständige Überwachung durch Parteibonzen und Kommissare innerhalb der Roten Armee hatte die Soldaten aller Ränge zutiefst eingeschüchtert. Sie befanden sich also insgesamt in einer ganz anderen seelischen Lage als die große Mehrheit der deutschen Soldaten. Deshalb lesen sich auch noch heute viele russische oder ukrainische Berichte und Darstellungen von diesen Kämpfen so "gezwungen", so "geschwollen", so "übertrieben", "überspannt". Es spricht nicht ansatzweise echte Ehrlichkeit aus ihnen. 

Die Molotschna-Linie nennen sie ein "zweites Verdun", "Netschajews Grab" nennen sie "einen der wichtigsten Stützpunkte der Wehrmachtstruppen". Man hat noch heute insgesamt nicht den Eindruck, als ob Ukrainer und Russen zu einer entspannten, gelassenen und ruhigen Betrachtung der damaligen Ereignissen gefunden hätten. Belege für eine solche Haltung konnte der Autor dieser Zeilen jedenfalls bislang nicht finden. Im nächsten Beitrag werden wir etwa noch das Foto eines heutigen Denkmals auf einer sowjetischen Kriegergräberstätte bringen: Was für ein übertriebenes, hohles Pathos - noch heute. Im Grunde die einzige Rechtfertigung für dieses Pathos könnte man darin sehen, daß die Sowjetunion damals mit den "westlichen Demokratien" verbündet war. Aber ist das wirklich eine Rechtfertigung? - Wir lesen weiter, was die beiden ukrainischen Archäologen schreiben, wobei sogar diese nüchtern arbeitenden Wissenschaftler noch eher einen  ideologischen Zungenschlag drauf haben als ruhige Sachlichkeit (nach Google-Übersetzer) (Daragan/Polin2021):

Die „Höhe 167,3“ des Netschajew-Grabes war einer der wichtigsten Verteidigungspunkte der feindlichen Nikopol-Gruppe und stellte sich als „Schlüssel“ zu Nikopol und diesem Teil der Front heraus. Die brutale Besetzung dieser Höhe dauerte vom 5.12.1943 bis zum 15.01.1944 praktisch ununterbrochen.

Wozu hier das Wort "brutal"? Krieg ist sowieso "brutal", seinem Wesen nach. Aber warum sollte es gerade hier noch brutaler zugegangen sein als anderwärts? Über den 6. Dezember 1943 schreiben sie (evraz):  

Am folgenden Tag wurden jedoch die beiden sowjetischen Bataillone, die Netschajews Grab besetzten, umzingelt infolge des mächtigen Angriffs des Feindes aus dem Westen. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember konnten sie aus der Schule (?) ausbrechen. Netschajews Grab ergab sich dem Feind. Bis zum 18. Dezember 1943 dauerten heftige Stellungskämpfe im Bereich rund um den Hügel ununterbrochen an.

Am 19. Dezember, am selben Tag, an dem die 25 Panzer bei Herbert Schrödter wenige Kilometer weiter östlich durchgebrochen waren und abgeschossen werden konnten, wurde auch die Gegend um "Netschajews Grab" erneut massiv angegriffen. Hier aber war der sowjetische Angriff deutlich erfolgreicher als etwas weiter östlich (evraz): 

Am 19. Dezember 1943 wurde in der Region von Netschajews Grab eine Offensivoperation gestartet, um die tief gestaffelte Verteidigung des Feindes in Richtung Nikopol zu durchbrechen. Am selben Tag wurde die Höhe von 167,3 Netschajews Grab erneut im Sturm erobert.

Von "tief gestaffelt" kann - wie so oft (und wie auch schon an der Molotschna) - gar keine Rede sein. Vielmehr war die deutsche Verteidigung vermutlich einfach straffer und besser organisiert und hat wesentlich und punktgenauer auf das Angriffs-Geschehen reagiert. Deutscherseits wurde - wie auch sonst an der Front üblich - die Rückeroberung befohlen (evraz):

Am 21. Dezember wurde die Anhöhe jedoch durch den Gegenangriff des Feindes an der Flanke der vorrückenden Gruppe der Roten Armee vom Feind erobert. Vom 22. Dezember 1943 bis zum 15. Januar 1944 kam es zu ständigen und erfolglosen blutigen Kämpfen mit dem Ziel, das die Anhöhe umgebende Land zu erobern, das bei Frühlingswetter für den Feind über eine Entfernung von bis zu 30 km sichtbar war. Aufgrund der zunehmenden Erschöpfung und der geringen Anzahl sowjetischer Truppen im Raum von "Netschajews Grab" wurden die aktiven Kampfhandlungen von nun an bis Ende Januar 1944 eingestellt.

Also nicht nur die deutschen Truppen, auch die sowjetischen waren zutiefst erschöpft. Der Schwerpunkt der Angriffstätigkeit wurde sowjetischerseits ab diesem Zeitpunkt auch weiter nach Westen verlegt. Dort sollte der Brückenkopf Nikopol an seiner Basis abgeschnürt werden. Auch das gehört zur Schieflage der Darstellung der ukrainischen Archäologen: Nicht die Deutschen wählten die Angriffsschwerpunkte, nein, inzwischen führte diesbezüglich längst die sowjetische Seite "Regie". Sie wollte entweder an dieser oder an jener Stelle durchbrechen. Deutscherseits wurde immer nur gehalten, solange es ging. 

Abb. 15: Gebirgsjäger der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, Oktober 1943 (Fb) - Sie geben ein "gutes Bild" ab, sind aber genauso reihenweise gefallen wie weniger "kernig" aussehende Soldaten anderer Divisionen

Ab 30. Januar 1944 ging genau dieses Halten weiter westlich bei der deutschen 62. Infanterie-Division  nicht mehr. Sie stand dort zwischen den Flüssen Ssakssagan und Kamenka. Und hier gelang dann überraschend der entscheidende sowjetische Durchbruch. Er konnte deutscherseits nun nicht mehr zurück geworfen werden und in den Folgetagen mußte der Brückenkopf insgesamt aufgegeben werden (dazu mehr im nächsten Beitrag). 

Angriffe bei der 3. Gebirgsdivision an der Südfront des Brückenkopfes Nikopol, 30. Dezember 1943

Für die spätere Kriegsgeschichtsschreibung verfaßte der an führender Stelle in den Kämpfen von Nikopol beteiligte deutsche Major Dr. Frenck im Mai 1944 eine erste Darstellung der Kämpfe aus deutscher Sicht. Er hielt fest (Frenck 1944, S. 7):

Den ersten vergeblichen Ansatz zur Durchführung ihres Operationsplanes hatten die Sowjets zwischen dem 30.12.43 und 1.1.44 gemacht. Die beiden Korps im Brückenkopf Nikopol wiesen die Angriffe ohne nennenswerten Geländeverlust zurück. Die Wiedergewinnung von Nowo Troizkij kostete die 3. Geb.Div. damals allerdings weit mehr Opfer als alle späteren Kämpfe.

Auf einer Karte ist zu sehen (Reibt): Die 3. Gebirgsdivision verteidigte südlich von Dnjeprowka die kleinen Dörfer Zwitkowe (GMaps) und Hurtkowe (GMaps) in Richtung Süden. Vielleicht hundert Meter nördlich von Zwitkowe lag der Flecken Nowo Troizkij, bis wohin die sowjetische Fronlinie nach Norden ausgebuchtet war. Dort gibt es heute keine Gebäude mehr. 

Abb. 16: Nordfront des Brückenkopfes Nikopol am 1. Januar 1944 (LdW) - Ganz links die 62. Infanterie-Division zwischen den Flüssen Ssakssagan und Kamenka

In der Liste der heutigen ukrainischen Dörfer mit diesem Namen findet sich dieser Flecken ebenfalls nicht (Wiki). Die Gebäude dort werden während des Kampfes zerstört und nicht wieder aufgebaut worden sein. Auf dem Friedhof des westlichen Nachbardorfes befindet sich ein Massengrab und eine Gedenkstätte (GMaps).

"Meine Kompagnie wurde aufgerieben"

Am 4. Januar 1944 schreibt ein "Willy" - Angehöriger einer nicht genannten Einheit - aus dem "Brückenkopf Nikopol" an "Frl. Erika Hölzl" in Berghausen in Oberbayern (Reibt):

Liebe Erika!
der Menschenmangel und der ständige Einsatz macht es fast unmöglich, oft und viel zu schreiben. Am 27.12. kam ich wieder zu meiner alten Einheit und somit wieder in den vordersten Graben. Seit dem ist schon vieles geschehen.
Meine Kompagnie wurde aufgerieben bis auf sieben Mann. Ich bin heute einer ältesten "Kämpfer" der Einheit geworden. Das ist leicht verständlich. Die ununterbrochenen Angriffe der Russen erfordern eine Masse von Leuten. Ein Beispiel am 31. zum 1. Januar griff er in Divisions-Stärke auf einem kleinen Abschnitt unseres Bataillons an. Nach großem Kampf und Gegenstößen wurde der Russe, der in unsere Stellung eingebrochen war, wieder rausgeworfen.
Alles Erlebte ist schwer zu schildern oder in Worte zu kleiden. Ich hoffe nur eines, daß es mich bald erwischt und ich somit die Heimat wiedersehe. In diesem Sinne grüße ich Dich recht lieb und wünsche ein baldiges Wiedersehen.
Nochmals innige Grüße Dein Willy

Er macht wahrlich nicht viele Worte um das Erlebte. Aber man hat eine klare Vorstellung von dem, was er erlebt hat. 

Zurück zur Nordfront des Brückenkopfes (Abb. 13). Am 10. Januar 1944 befindet sich Oberleutnant Schrödter mit seinen Einheiten einige Kilometer südlich von Kitaigorodka (Wiki). Er schreibt unter anderem in sein Tagebuch  (TbSchrödter):

Unser Kommandierender General, General Schörner, hat sich etwas Neues ausgedacht. Er gibt laufend Berichte zur Lage heraus, die sofort allen Kompanieangehörigen bekanntzugeben sind. Da diese Blätter aber erst abends kommen, brauche ich die halbe Nacht, um sie in allen Bunkern vorzulesen. Man kann es nicht riskieren, diese Verlesungen einmal auszulassen. Schörner taucht oft mitten in der Nacht an der Front auf, und Nichtbefolgen seiner Befehle bedeutet u. a. Todesstrafe. Nach dem Hörensagen hat Schörner schon Soldaten wegen geringerer Vergehen erschießen lassen. Über ihn laufen die tollsten Gerüchte herum. Er ist gefürchtet. Aber wo Schörner ist, steht die Front.

Der Folgetag, der 11. Januar, ist einer der wenigen, an denen Oberleutnant Schrödter in seinem Tagebuch einmal landschaftliche Eindrücke festhält (TbSchrödter):

Im Morgendämmer steige ich aus dem Bunker und erlebe einen Sonnenaufgang, wie ich ihn in solcher Pracht nur noch während meiner Seefahrtzeit auf den Meeren erlebt habe. Die grenzenlose, weite, baumlose Schneelandschaft liegt in blendendem Weiß unter einem zartblauen Himmel. Der östliche Horizont glüht in allen Farben des Rot vom blassen Gelb bis zum brennenden Dunkelrot. Seine brennende Lichtfülle bricht sich in Milliarden von Schneekristallen, die glitzernd und gleißend wie funkelnde Brillanten das Sonnenlicht in winzigen, flimmernden Sternchen tausendfältig zurückstrahlen. Ein hinreißender, überwältigender Anblick. 

Vielleicht sind es solche Sonnenaufgänge gewesen, die unsere Vorfahren, die Urindogemanen dazu gebracht haben, Eos, der Göttin der Morgenröte, besondere Verehrung angedeihen zu lassen. Vielleicht auf jenen Grabhügeln mit flacher oberer Plattform, die als ihre Heiligtümer interpretiert werden (Stgen2024). 

Stellung vor "Netschajew's Grab", 15. Januar 1944

Ab 13. Januar 1944 werden die Einheiten, denen Schrödter angehört, um wenige Kilometer nach nach Westen verschoben. Am Morgen des 15. Januar 1944 schaut Schrödter morgens aus dem Bunker, den er in der Nacht bezogen hat, weiß, daß er sich einen Kilometer hinter der Hauptkampflinie befindet und sieht 200 Meter hinter sich den sogenannten "Ari Pickel". So nennt er ihn ziemlich nüchtern. Es handelt sich um "Netschejew's Grab" (TbSchr):

Schräg hinter mir ragt der steile Hügel des „Ari-Pickels“ aus der Ebene. Zwei Mann sitzen da oben drin, ein Leutnant und ein Gefreiter. Viele graue Flecken auf der weißen Schneedecke zeugen von dem Beschuß, den die B-Stelle erleiden muß. Aber dicke Stahlplatten schützen die Beobachter. (...) Ich benutze die Zeit, um einmal auf die B-Stelle im „Ari-Pickel“ zu klettern und mir einiges erklären zu lassen und durch das Scherenfernrohr zu gucken. Im Allgemeinen lieben die Artilleriebeobachter keinen Besuch, weil sie mit Recht befürchten, daß ihre B-Stelle dadurch erkannt würde.

An diesen Ausführungen wird deutlich, als wie unspektakulär "Netschajew's Grab" von deutscher Seite aus angesehen worden ist, sie sahen in ihm einen "Ari-Pickel", weiter nichts. Andernorts wären Kirchtürme oder Wassertürme für denselben Zweck genutzt worden. Damit wird erst deutlich wie überspannt noch heutige ukrainische Darstellungen zu diesem Thema sind. Man könnte die Kämpfe rund um diesen Grabhügel auch einfach exemplarisch darstellen für Kämpfe wie es sie überall an der Front gegeben hat. Aber dann würde womöglich der "Pathos" entfallen müssen und es würde einfach nur gesagt werden müssen, daß es allüberall nur ein dumpf-resigniertes, abgestumpftes, erbärmliches Kämpfen und Sterben war. Hüben wir drüber. Halten wir noch die letzten Worte der Archäologen über das Schicksal von Netschajew's Grab im Zweiten Weltkrieg fest (evraz)  

Der Feind verließ bereits am 1. Februar 1944 die Stellungen im Bereich von 167,3 Netschajew's Grab und startete einen Angriff auf Lukievka - Chkalovo - Nikopol. „Höhe 167,3 Netschajews Grab“ wurde endgültig und unwiderruflich befreit.

Es handelte sich allerdings bei dem hier genannten "Angriff" nicht um einen Angriff, sondern um einen Gegenangriff auf die weiter westlich durchgestroßenen Panzermassen, deren Durchbruch den Brückenkopf von Nikopol schließlich zum Einsturz bringen sollte. Deshalb wurden auch die deutschen Truppen bei Netschajews Grab zurück genommen. Die ganze Zeit über war die Rote Armee im Angriff, nicht die deutsche. Die Brutalität, die vom sowjetischen Staats- und Parteiapparat ausging und sich auf jeden einzelnen Soldaten, auf jeden einzelnen Bürger auswirkte, wird aber noch heute - in psychologischer Umkehrung - der deutschen Besatzung zugesprochen. Diese hatte freilich einiges dazu getan, sich ebenfalls bei den Ukrainern verhaßt zu machen. Aber dieser Umstand erklärt nicht die völlig übertrieben-pathetische Art der Darstellung. Wenn dieser Umstand im Vordergrund stünde, könnte viel nüchterner über alles geschrieben werden (so wie es ja beispielsweise auch die Kriegsgeschichtsschreibung und das Gedenken der westlichen Demokratien in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg tut). 

Verlegung per Bahn nach Kriwoi Rog, 29. Januar 1944

Inzwischen folgen wir Oberleutnant Schrödter, der mit seinen Einheiten ab 29. Januar über den Bahnhof Nikopol und mit Hilfe eines Transportzuges nach Kriwoi Rog am Inguletz verlegt wird. Dabei übernachten sie am Bahnhof Nikopol. Schrödter berichtet über den nächsten Morgen (TbSchr):

Ich betrete die Bahnhofshalle. Da fällt mein Blick auf ein großes Plakat an der Wand: „Am .. wurden .. erschossen, weil sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub einen Tag unerlaubt in Nikopol aufgehalten haben ... gez. Schörner.“ Das ist eine deutliche Warnung. Typisch Schörner. Hoffentlich kann Schörner, wenn er einmal vor dem Herrgott steht, alle Erschießungen verantworten, die er befohlen hat. 

Der Sohn, der das Tagebuch seines Vaters bearbeitet ins Internet gestellt hat, schreibt als Anmerkung dazu: Schörner ist nach dem Krieg vor Gericht gestellt worden. Man hat ihm nur eine juristisch anfechtbare Erschießung nachweisen können. Das hätte daran gelegen, daß Schörner immer einen Kriegsgerichtsrat an seiner Seite mitgeführt hätte.

Schrödters Bataillon ist auf den Bahnhof Nikopol in einer Dreiviertelstunde verladen. Es wird am Bahnhof Kriwoi Rog wieder ausgeladen und maschiert durch die Stadt, um bei dem Dorf Losowatka (Wiki) nördlich von Kriwoi Rog neue Stellungen zu beziehen.

Industrie- und Bergbaugebiet Kriwoi Rog

Zwischenbemerkung: In Kriwoi Rog wird in den letzten Jahren die Geschichte der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 aufgearbeitet (7-11). Bis zum November 1941 hatte es eine enge Zusammenarbeit der Deutschen mit den ukrainischen Nationalisten gegeben. Diese haben auch den ersten Bürgermeister für Kriwoi Rog unter deutscher Besatzung stellten. Die Amtssprache wurde Ukrainisch und das ukrainische Kulturleben wurde sehr gefördert (7). Im November ist scheinbar - begründet oder unbegründet - der Verdacht aufgekommen, daß größere Teile der ukrainischen Nationalisten für den NKWD arbeiten würden. Die führenden ukrainischen Nationalisten wurden daraufhin von deutschen Einsatzkommandos festgenommen, vernommen und - - - erschossen. Ab Winter 1942 gab es ein Wende in der deutschen Besatzungspolitik, Ziel sollte es von nun an sein, daß es keine Bildung für Ukrainer über das 14. Lebensjahr hinaus geben sollte. Man sieht den Berichten der ukrainischen Lokalhistoriker (7-11) aber an, daß sie sich insgesamt um differenzierte Betrachtung bemühen.  

Abb. 17: Bergbau- und Industrie-Gebiet rund um Kriwoi Rog (aus Obermaier1942)

Zurück zu Oberleutnant Schrödter. Ab 11. Februar beginnt das scheußliche Tauwetter, das dem Rückzug der Armeegruppe Schörner so viele unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet. Schrödter berichtet, daß sich die sowjetischen Scharfschützen die deutschen Kompagnie-Führer vornehmen und zwei durch Kopfschuß fallen. Er hofft, daß er aufgrund seiner Kriegserfahrung verschont bleibt. Am Abend des 15. Februar brechen die Sowjets plötzlich in den Graben seiner Kompagnie ein. Er rollt den Graben auf, findet aber keine russischen Soldaten mehr in ihnen. Doch zwei deutsche Gefangene haben sie mitgenommen, darunter den Spieß seiner Kompagnie, mit dem er gerade vorher noch gesprochen hatte (TbSchr):

Vor zwanzig Minuten saß er noch in meinem Unterstand, jetzt sitzt er drüben. Nur knapp einhundert Meter entfernt steht die ganze deutsche Front und kann ihm nicht helfen!

Zwei Nächte später, am 17. Februar 1944 mitten in der Nacht erfolgt für Schrödter ein böses Erwachen. 

Aufrollen eines Grabens nördlich Kriwoi Rog, 17. Februar 1944

Draußen tobt einer der wildesten Schneestürme dieses Winters und fegt den deutschen Soldaten den Schnee mit Wucht ins Gesicht. Sie können kaum sehen, geschweige denn hören. Schrödter ist zu diesem Zeitpunkt mit seiner Kompagnie gerade in Reservestellung. Der Regimentskommandeur gibt ihm den Auftrag (TbSchr): 

„Der Russe ist im Abschnitt der 11. Kompanie eingebrochen und hat den Graben in etwa zweihundert Metern Breite besetzt. Sie müssen ihn wieder hinauswerfen. Beeilen Sie sich!“

Nur sehr verhalten spricht zwischen den Erinnerungszeilen die Nervosität Schrödters mit hindurch (TbSchr): 

Ich steige im jagenden Wirbel der Schneeflocken zur 10. Kompanie hinunter und gehe in den altbekannten Bunker. (...) Leutnant von Arnim (...) berichtet mir, daß die Sowjets bereits die Einbruchstelle bei der 11. Kompanie erweitert hätten und in seinen Kompanieabschnitt eingedrungen waren und einen Teil seines Grabens besetzt hatten. Leutnant X hat sie aber inzwischen mit seinem Pionierzug im Gegenstoß wieder hinausgefeuert. Ich drehe mich nach dem Leutnant um. Es ist der Leutnant mit der Hornbrille, mit dem ich aus Meseritz gekommen war. Er sitzt in einer Ecke auf dem Boden und zieht schweigend und lässig an seiner Zigarette.
Der Abschnitt der 10. Kompanie ist also feindfrei. Er reicht bis an den kleinen Hügel, in dem sich noch ein Bunker befindet. An dem Hügel macht der Graben einen fast rechtwinkligen Knick nach rückwärts, und von da ab sitzt der Iwan noch im Graben. Es ist dieselbe Stelle, an der damals der Stoßtrupp eingedrungen war und meinen Spieß erwischt hat. Unser derzeitiger Bataillonsabschnitt eignet sich auch besonders gut für solche Überfälle, denn die beiden Frontlinien kommen sich hier ganz besonders nahe. An manchen Stellen ist der russische Graben kaum mehr als dreißig Meter entfernt.
Also los! Ich folge dem Graben in Richtung auf den Hügel hin. Hinter mir stapfen die Männer durch den Schnee. Der Graben bietet keinen Schutz mehr, denn er ist völlig zugeweht. Aber das dichte Schneetreiben deckt uns vor Feindsicht. Immer wieder steigen wir über die frischen Leichen von Rotarmisten, die vor einer Stunde bei dem Gegenstoß des Pionierzuges gefallen sind. Es sind junge Kerle dabei. Die Pioniere haben ja ordentlich aufgeräumt!
Wir haben den Hügel erreicht. (...) Der zweite Zug setzt inzwischen zum Angriff an. Der Zugführer ist Ritterkreuzträger, ein Gruppenführer trägt das EK I. Es ist derselbe Unteroffizier, der damals im Christischtscher Wald das MG-Nest der Roten mit einer Wurfgranate aus der Leuchtpistole vernichtet hat.

Schrödter folgt dem angreifenden Zug in den nächsten Bunker (TbSchr):

Da liegt ein Verwundeter: Der Unteroffizier mit dem EK I. Er hat einen Durchschuß durch beide Oberschenkel. Ob er nun hier liegen bleiben soll, fragt er. Ich lasse ihn gleich von zwei Männern forttragen, aber die beiden fehlen mir nun auch. Ich arbeite mich durch den Sturm vorwärts. Der erste Bunker ist genommen. Beim zweiten kommen mir zwei Männer entgegen und schreien durch den Sturm: „Zwei Mann gefallen, durch Paktreffer!“ Dieser verdammte Schneesturm. Es ist wieder die alte Geschichte. Der Russe greift mit Rückenwind an, und wir haben den schneidenden Ostwind und den treibenden Schnee im Gesicht. Er bläst uns derart an, daß wir nur für Sekunden die Augen öffnen können. Der Russe aber sitzt in unseren Bunkern in Deckung und schießt uns einfach ab, sobald der Wind die wirbelnden Schneemassen wie einen Vorhang hebt und die Sicht für einen Augenblick freigibt.
Zwei Bunker haben wir schon. Aber der Pak-Treffer hat den Männern einen Schock versetzt. Es stockt etwas. (...) Wir sollen Bunker stürmen, die man nicht sieht! Aber der Iwan muß raus aus dem Graben. Wenn wir es bis zum Abend nicht geschafft haben, bringt er in der Nacht Verstärkung heran, und dann wird die ganze Stellung unhaltbar.
Ich dränge die Männer vorwärts. Mir fällt auf, daß es so wenige sind. Da erkenne ich einen fast verschneiten Bunkereingang. Wie von einer plötzlichen Eingebung getrieben, zwänge ich mich durch den engen Einstieg und lasse mich hinuntergleiten. Sieh da! Hier sitzen vier Landser und warten gleichmütig den Lauf der Dinge da oben ab. Ich brülle sie wütend an und jage sie hinaus. Vorwärts, angreifen! Nun geht es langsam vorwärts, ran an den dritten Bunker. Aber wo liegt er wohl? Der Graben ist längst zugeweht. Man kann nicht mehr erkennen, wo er einmal langlief. Ich versuche, mir den Stellungsplan und den Grabenverlauf ins Gedächtnis zu rufen. Hier muß etwa die Stelle sein, wo der Graben eine Biegung zum Feind hin macht. Aber zu sehen ist nichts. Wenn ich die Augen öffnen will, schlägt mir der Schnee hinein. Es ist schon mehr ein Kampf gegen den Schnee als gegen den Iwan. Wir stapfen weiter, stürzen, bleiben eine Weile liegen, um Kraft und Atem zu schöpfen. Die Männer zögern. Die gefallenen Kameraden sind nicht mehr zu sehen. Der Schnee hat sie schon begraben.
Die MGs geben keinen Schuß mehr von sich. Die Schlösser sind eingefroren. Die Muni-Schützen, die ihre Kästen einen Augenblick abstellen, finden sie nur mit Mühe wieder. Sie sind in den lockeren Schnee eingesunken und in kurzer Zeit zugeweht. Meine MPi ist völlig vereist. Diese Mistdinger taugen überhaupt nichts. Mein Tarnanzug ist durchgeweicht. Der Schnee ist in Stiefel und Ärmel gedrungen und hat sich in Wasser aufgelöst. Die Handschuhe sind klatschnaß, die Finger steif. Den Männern geht es ebenso. Sie sind kaum noch vorwärts zu kriegen.
Es fällt schon lange kein Schuß mehr. Kann uns der Iwan auch nicht mehr sehen? Oder hat er sich schon zurückgezogen? Oder gehen wir in der falschen Richtung vor? Und die Pak? Wo steht die verfluchte Pak? Der russische Graben ist hier höchstens hundert Meter entfernt.
Nach einiger Zeit finden wir den dritten Bunker doch noch. Er ist leer. Also hat sich Iwan anscheinend doch abgesetzt. Jetzt fehlt nur noch ein Bunker, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe.
Nach einiger Zeit finden wir den dritten Bunker doch noch. Er ist leer. Also hat sich Iwan anscheinend doch abgesetzt. Jetzt fehlt nur noch ein Bunker, wenn ich die Karte richtig im Kopf habe.

Auch diesen Bunker finden sie schließlich. Und auch dieser Bunker ist leer. Zwei Tage später sollte es für Schrödter allerdings nicht mehr so glimpflich abgehen.

Aufrollen eines Grabens nördlich Kriwoi Rog, 21. Februar 1944

Am 21. Februar aber beginnt nämlich dasselbe Spiel aufs Neue (TbSchr):

An dem großen Strohschober in unserer zweiten Linie oben am Rand des Hanges kommen mir die ersten Männer des Zuges entgegen, die der Russe nun schon zum zweiten Mal aus dem Graben geworfen hat. Allen voran der Feldwebel, der den Zug „führt“. Ich befehle ihm, sich dem Gegenstoß anzuschließen. Seine Männer machen zögernd kehrt, aber der Feldwebel macht Einwände. Ich erkenne sofort, daß dieser schlappe Haufen völlig demoralisiert ist. Der Feldwebel ist ein Feigling. Darum hat auch der Zug versagt, weil sein Führer nichts taugt. So lasse ich sie denn lieber zurückgehen und steige mit meinen Männern allein den Hang hinunter.
Der zweite Gegenstoß beginnt. Meine Uhr zeigt 6 Uhr. Es ist schon hell. Der Himmel ist klar. Die Luft ist kalt. Die Sicht ist ausgezeichnet. Es ist die scheußlichste Angriffsposition, die man sich denken kann. Die Bolschewiken sitzen in den Bunkern und im Schutz des Grabens, während wir über eine völlig freie, verschneite Fläche angreifen müssen, die außer dem tiefen Schnee keinerlei Deckung bietet. Außerdem ist der Hang zum Gegner hin noch leicht geneigt, so daß er auch den letzten Mann deutlich auf der glatten, weißen Schneefläche sehen kann.
Da geht es auch schon los! Bruch-bruch-brach! Granatwerfer! Wir sind also erkannt. Kein Wunder, mit unserer grünbunten Tarnbekleidung heben wir uns bestens von der weißen Schneedecke ab. Schon beim ersten Einschlag lagen wir flach im Schnee. Jetzt ist eine kleine Pause entstanden. Sie korrigieren ihre Schießwerte. Ehe die nächste Salve kommt, müssen wir hier weg sein. Da ich vorn an der Spitze liege, drehe ich mich um und will den Männern einen Befehl zurufen. Da laufen doch wahrhaftig schon welche zurück! Ich donnere sie an, daß sie sich sofort hinwerfen und wieder zurück gekrochen kommen. Das sind die Kerle, die im Bruchteil einer Schrecksekunde eine Panik auslösen und alles mit zurück reißen. Rumm-wumm – eine neue Serie von Einschlägen. Zwischen den Einschlägen brülle ich: „Ran an den Graben, dann können uns die Werfer nicht fassen!“ Und dann: „Gruppenweise vorarbeiten! Sprung auf, marsch-marsch!“ Ich springe auf und laufe vorwärts. Ein paar beherzte Landser springen sofort mit. Gutes Beispiel wirkt besser als Erklärungen. Wir arbeiten uns sprungweise vor. Noch zweihundert Meter. Das Granatwerferfeuer hat aufgehört. Vom Graben her fallen nur vereinzelte Schüsse. Ich erkenne ihn auch noch gar nicht. Da das Vorarbeiten durch den tiefen Schnee sehr anstrengend ist, stehe ich einfach auf und gehe vorwärts. Es bleibt ruhig. Auch die Männer folgen mir nun aufrecht gehend. So nähern wir uns dem Graben, die Waffen schußbereit haltend.
„Vorsicht, Herr Leutnant, die Russen haben ein MG im Graben!“ Der Ruf kommt schräg von vorn. Da erkenne ich sie auch schon. Schräg links, fünfzig Meter entfernt, liegen drei deutsche Landser hinter einer kleinen, flachen Schneewehe. Drei Landser mit einem leichten Maschinengewehr (lMG). Sie haben bei dem überraschenden Angriff der Russen heute Nacht den Graben nach rückwärts verlassen, sind aber gleich wieder hinter dieser kleinen Schneewelle in Stellung gegangen und haben die Sowjets von hier aus in Schach gehalten. So liegen sie seit drei Stunden hier im Schnee, fünfzig Meter vor dem besetzten Graben, die Mündung ihres MG auf die Einbruchstelle gerichtet, und schießen auf alles, was sich im Graben bewegt.
Mit ein paar Sprüngen bin ich bei ihnen und werfe mich neben sie in den Schnee. Von hier kann ich das besetzte Grabenstück ziemlich gut übersehen. Ich erkenne auch das russische schwere Maschinengewehr. Es steht genau an der Stelle, an der ich auf den Graben gestoßen bin. Um das MG herum liegt ein Wall von Toten. Ich zähle zwölf Leichen. Das war die Arbeit der drei mutigen Männer! Dieses MG war die stärkste Waffe, die die Russen im Augenblick zur Verfügung hatten. Wenn sie es zum Einsatz bringen könnten, hätte ich einen verdammt schweren Stand. Deshalb versuchen die Iwans immer wieder unter Lebensgefahr, es in Stellung zu bringen. Aber sobald ein Rotarmist versuchte, an das MG heranzukommen, jagten die drei ihre Garben dazwischen. Es war ein erbitterter Kampf. Drei Männer legen eine zwanzigfache Übermacht lahm, weil sie Mut haben!
Mein Plan ist schon fertig. Zuerst muß das MG genommen werden. Ein paar kurze Befehle: „1. Zug greift den ersten Bunker rechts an! MG Möller schirmt gegen den zweiten Bunker rechts ab! Kompanietrupp zu mir, wir nehmen das MG! Fertig – Angreifen!“ Ich krieche mit meinem Kompanietrupp in einem kurzen Bogen seitlich auf das MG zu. Die drei Männer mit dem lMG geben mir Feuerschutz. Ratternde Feuerstöße klatschen zwischen tote und lebendige Russen an ihrem MG/08. Gewehrschüsse peitschen uns entgegen. Wir erwidern das Feuer, abwechselnd kriechend und schießend. Die Roten lassen von dem MG ab und ziehen sich in den Bunker zurück, von wo aus sie sich erbittert zur Wehr setzen. Ein Sprung – ich bin an dem russischen MG. Das erste Beutestück. Die Iwans haben nun ihre stärkste und gefährlichste Waffe verloren. Ein schwerverwundeter Iwan versucht, zu den russischen Stellungen zurück zu kriechen. Ich lasse ihn gewähren. Er kommt vor Schwäche kaum vorwärts und wird es sowieso nicht schaffen.
Ich krieche nun mit meinen Männern zwischen den erdbraunen Leichen hindurch auf den ersten Bunker zu. Mein 1. Zug ist ja schon im Begriff, ihn frontal anzugreifen, und ich kann ihn nun, da ich schon im Graben bin, auch noch von der Seite angreifen. Der Graben ist zwar zugeschneit, aber infolge des eingesackten Schnees markiert er sich als schmale, langgestreckte Rinne. Wir haben den Bunker jetzt in die Zange genommen, denn wir liegen fast im Halbkreis um ihn herum. Neben mir liegt mein treuer Melder, schräg vor mir zwei Mann mit einem lMG, hinter mir einige andere und der Sani. Flach in den Schnee gedrückt, die weitgeöffneten Augen aufmerksam auf den Bunker gerichtet, die Waffen schußbereit haltend, pirschen wir uns heran, näher und näher.
Die Roten haben kaum noch Bewegungsfreiheit. Sie sind auf den Bunker zusammengedrängt und auf das kleine Grabenstück daneben, das für den Posten schneefrei gehalten wird. Sobald ein Iwan den Kopf über den Grabenrand erhebt, peitschen ein paar Schüsse von uns herüber. Die Russen wehren sich und schleudern aus der Deckung Handgranaten gegen uns. Schießen können sie nicht mehr, denn ehe sie ihr Gewehr in Anschlag bringen können, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren.
Da ruft mich die MG-Bedienung an, die schräg rechts vor mir liegt. Ich blicke hinüber. Der Schütze 2 hebt seinen Arm. Er ist blutrot und hat eine seltsame Form. Knochen zerschossen. Der erste Verwundete. Ich schicke ihn durch eine Handbewegung nach hinten, und er kriecht zurück. Hinter mir liegt ja der Sani. Ich drehe mich um und sehe ihn schon. Er hebt seine Nase über eine Schneewehe und lugt wie ein Hase über die Deckung.
Der Schuß kam drüben von dem zweiten Bunker. Der ist ja auch voller Iwans, die ihren bedrängten Kameraden Feuerunterstützung geben. Ich warne daher durch Zuruf: „Achtung vor dem zweiten Bunker rechts!“ Gleichzeitig treibe ich zur Eile: „Ran an den ersten Bunker - Hurraaah!“ Wir springen geschlossen auf den Bunker zu. Die Russen antworten mit einer Serie von Handgranaten, die sie uns entgegenschleudern. Mit einem dumpfen, erstickten Ton explodieren sie in der tiefen Schneedecke. Wieder stürzt einer meiner Männer verwundet in den Schnee.
Die Salve hat uns wieder auf den Boden gezwungen. Immerhin sind wir jetzt auf dreißig Meter heran. Einbruchsentfernung.
Bevor ich zur letzten Phase, dem Einbruch in den Graben, fertig machen kann, zieht mein Melder neben mir noch eine Handgranate ab und wirft sie hinüber. Sie fliegt im Bogen auf den Graben zu und will in den Postenstand fallen. In demselben Augenblick aber hebt gerade ein Iwan plötzlich den Kopf, um schnell einen kurzen Blick über den Grabenrand zu werfen. Da knallt ihm die Handgranate genau auf den Stahlhelm, prallt ab und springt in kurzem Bogen weiter auf den hinteren Grabenrand , wo sie donnernd zerkracht. Der Iwan war blitzschnell verschwunden. Aber die Situation war von so origineller Komik, daß wir später darüber schallend gelacht haben.
Mein Melder ist nicht zu bremsen. Er zieht noch eine Handgranate ab, springt auf und wirft sie im Laufen zum Iwan hinüber. Ich rufe ihn zurück. Der ist imstande und springt allein in den Graben.
„Fertigmachen zum Einbruch!“ Alte Hasen wissen, was sie jetzt zu tun haben: Handgranate bereitlegen, auf Kommando gleichzeitig werfen und im Augenblick der Detonation bei „Sprung auf-marsch-marsch!“ die letzten zwanzig bis dreißig Meter im Laufschritt, aus allen Waffen schießend, auf den Graben bzw. die feindliche Stellung zustürmen. (Die Methode kann aber je nach Lage wechseln.) Ich hebe meine MPi, um nochmal auf den Bunker zu feuern. Da versagt sie. Beim Robben durch den tiefen Schnee ist sie in den Schnee geraten und streikt.
Immer das alte Lied mit unseren Waffen. Dem russischen Winter sind sie nicht gewachsen. Vor allem diese MPi taugt nichts. Im Sommer geht sie zu leicht los und im Winter bei großer Kälte versagt sie. Die russische MPi schießt bei jedem Wetter! Ähnlich ist es mit unserem MG 42. Eine hervorragende Waffe mit hoher Schussfolge und entsprechend vernichtender Wirkung – wenn sie schießt! Aber bei den eisigen Temperaturen tut sie das oft nicht!
Während mir dieser Gedanke blitzartig durch den Kopf geht, und ich meine Maschinenpistole vor Wut am liebsten weggeschmissen hätte, da heben sich plötzlich drüben im Graben zwei Hände. Sie ergeben sich! Wir stellen das Feuer ein, ich rufe die Russen an, und dann kommen sie heraus. 2 – 4 – 6 – 8 Mann. Ich hebe, auf dem Bauch liegend, vor Freude den Arm und rufe: „Hurra, wir haben gewonnen!“ Der vorderste Rotarmist kommt auf mich zu. Er beugt sich zu mir nieder, streckt mir beide Hände entgegen und sagt: „Sspassiba, pan, sspassiba!“ (ukrainisch: "Danke, Herr, danke!") Er ist glücklich, daß er am Leben bleibt. Nun wollen sie auch gleich nach hinten, von der Front weg, und fragen mich wiederholt: „Nasad, pan?“ ("Nach hinten, Herr?") Aber ich gebe dem Sani Befehl, sie zunächst in die Grube hinter dem abgeschossenen Tigerpanzer zu bringen und dort zu warten, bis wir auch die übrigen Bunker ausgeräumt haben. Er kann ja inzwischen die Verwundeten versorgen.
Nun ran an den zweiten Bunker! Wir robben uns an den Unterstand heran. Um ihn besser sehen zu können, erhebt sich einer meiner Männer und stellt sich aufrecht auf den Hügel des eben eroberten Bunkers. Ehe ich ihn anrufen kann, kracht ein Schuß, und der Soldat bricht lautlos zusammen. So ein Leichtsinn! Wie kann man sich da oben in voller Größe als Zielscheibe hinstellen, wenn der Gegner in sechzig Metern Entfernung auf der Lauer liegt und um sein Leben kämpft! Es ist ein Jammer, denn auch dieser Mann war einer der besten und anständigsten Soldaten meiner Kompanie. Und die werden sowieso immer seltener.
Der Sani ist schon neben mir. „Herr Leutnant, geben Sie mir Feuerschutz, ich hole ihn zurück!“ Ich will mich aber nicht in Einzelaktionen zersplittern, zumal der Mann wahrscheinlich tot ist. Deshalb sage ich: „Nein, wir müssen alle vorwärts, dann kommt er ohnehin hinter uns zu liegen. Dann können Sie sich um ihn kümmern!“
Ich feuere die Männer nochmals an: „Vorwärts, ran an den zweiten Bunker!“ Wir schieben uns durch den Schnee näher heran. Dabei müssen wir uns flach in den Schnee drücken, denn der Iwan schießt auf alles, was sich bewegt. Wieder ein Verwundeter! Wir müssen schneller voran. Am besten in einem Anlauf ran, aus allen Knopflöchern feuern und drauf! Ich schätze die Entfernung. Es ist nicht mehr weit. Also: „Auf-marsch-marsch!“ Mit ein paar schnellen Sätzen springe ich vorwärts. Da fühle ich plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Fuß, knicke um und sinke in den Schnee. Ich meine sogar, ich hätte es knacken gehört. Aber es war doch kein Schuß gefallen!? Der Fuß schmerzt. Ich will mich aufrichten, sinke aber wieder zurück. Fuß gebrochen oder verwundet? Ich weiß es nicht. Ist jetzt auch egal. Ich krieche nun auf allen Vieren auf den Bunker zu. Rechts fällt ein Mann, schwer getroffen. Das sieht man schon an der Art, wie er fällt und liegen bleibt. Man bekommt einen Blick dafür. Mein Fuß schmerzt rasend, aber der Kampf nimmt alle meine Sinne und Gedanken in Anspruch. Ich registriere nur im Unterbewußtsein, daß ich mich vor Schmerzen immer von einer Seite auf die andere wälze, während ich den Kampf leite. Jetzt kann ich vor Schmerzen auch nicht mehr weiterkriechen und bleibe liegen. Inzwischen sind wir so nahe an den Bunker herangekommen, daß wir ihn stürmen können. Ich kommandiere: „Handgranaten fertigmachen zum Einbruch!“ Aber die Handgranaten sind alle! So eine Schweinerei! Das hat mir noch gefehlt! Aber da kommt mir zum Glück blitzartig ein Gedanke. Ich verfalle auf eine List. Beim ersten Bunker hatten wir unser etappenweises Vorpreschen immer mit Hurra-Rufen begleitet, und die Russen hatten sofort mit einer Salve von Handgranaten geantwortet. Versuchen wir es hier einmal auf eine etwas andere Weise. Einmal muß ihr Vorrat ja erschöpft sein, und dann haben wir leichtes Spiel. Auf mein Kommando brüllen wir also alle „Hurra!“, bleiben aber ruhig am Boden liegen. Prompt antworten die Russen mit einer Serie von Würfen. Es sind dicke, übergroße Handgranaten dabei. Jedesmal, wenn wir jetzt brüllen, fliegt eine Kaskade von Handgranaten aus dem Unterstand auf uns zu, verpufft aber immer wirkungslos im Schnee. Die Sowjets wagen nicht mehr, den Kopf über die Deckung zu erheben, weil sie von unserem Gewehrfeuer niedergehalten werden. Sie werfen ihre Granaten auf gut Glück in unsere Richtung, ohne jemand zu treffen.
Dann gehen wir ran an den Bunker. Der erste Landser steht dicht davor, als noch einmal eine Handgranate auf ihn zu fliegt. Der Deutsche aber dreht, aufrecht stehend, nur den Oberkörper zur Seite, bis die Handgranate explodiert ist, und geht dann auf den Bunker los. Wir knallen noch ein paar Feuerstöße auf den Unterstand, die Iwans werfen noch einige Handgranaten, aber dann ist ihr Widerstand gebrochen. Mit erhobenen Händen kommen drei Iwans heraus. Natürlich sind das nicht alle. „Skolko ischtscho tam?“ (Wie viele sind noch da?), radebreche ich. Sie antworten, daß noch einige unten seien, die sich nicht herauswagten. Ich befehle einem Iwan, sie herauszurufen. Wir täten ihnen nichts. Der Russe wendet sich zum Bunker und ruft: „Sowjetski kamerati, iditje ssuda. Niemietski soldati nie streljajut!“ ("Sowjetische Kameraden, kommt her, die deutschen Soldaten schießen nicht!") Nach einigem Zögern kommen dann noch die letzten drei Iwans herausgekrochen.
Ich schicke sie ebenfalls zu dem Loch hinter dem Panzerwrack. Diese Grube sollte wohl mal ein Unterstand werden. Dort haben sich inzwischen vierzehn Gefangene gesammelt. Ich kommandiere einen Landser ab, der die Gefangenen zum Bataillon hinaufbringen soll. Während diese Gruppe langsam den Hang hinaufsteigt, wende ich mich dem nächsten Bunker zu.
Drei Bunker sind noch zu nehmen. Mein Fuß schmerzt jetzt nicht mehr so sehr. Wie ein Hund krieche ich auf allen vieren durch den Schnee. Meine MPi ist hoffnungslos vereist. Ich will nun den dritten und vierten Bunker gleichzeitig angreifen. Mit Hurra eröffnen wir den Sturm. Unsere Gewehrkugeln schlagen in die Deckung und in das Holz des Unterstandes. Russische Handgranaten explodieren mit dumpfem Knall. Wenn die Roten den Kopf zu heben wagen, prasseln ihnen unsere Kugeln um die Ohren. Da sie nichts mehr sehen, ist ihr Widerstand ziellos und schwach. Wir gehen einfach auf die Bunker los, und wenn die Iwans Handgranaten werfen, drehen sich die Landser einfach nur zur Seite, um die Splitter nicht in den Bauch zu kriegen. Einer meiner Männer wird aber doch noch verwundet. Dann muß sich auch diese Bunkerbesatzung ergeben. Wieder kommen sechs Russen mit erhobenen Händen heraus.
Im vierten Bunker rührt sich nichts. Ob sie uns täuschen wollen? Da meldet sich Grenadier Schlodder: „Herr Leutnant, den nehme ich allein!“ Er kriecht von der Seite her an den Bunker heran bis auf die Decke, zieht eine Handgranate ab und lässt sie in den Bunkerschornstein fallen. Dann springt er an den Eingang. Drinnen explodiert die Handgranate mit gedämpftem Krachen, und in demselben Augenblick stößt der Grenadier die Bunkertür auf und springt hinein. Der Bunker ist leer. Die Iwans waren unbemerkt geflüchtet.
Ich sage Schlodder ein paar Worte der Anerkennung. Er ist der Typ eines schnodderigen Berliners. Ein richtiger Rabauke, aber für solche Unternehmen genau der richtige Mann. „Herr Leutnant, Sie denken woll, ick bin Unteroffizier? Nee, nee, hier, ick bin einfacher Landser!“ Mit diesen Worten zieht er seine Wintertarnjacke von der Schulter und zeigt mir seine einfache Schulterklappe. Es soll wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, aber ich nehme mir vor, ihn zu einer Auszeichnung einzureichen.
Auch der fünfte Bunker ist leer. Schlodder wollte hier sein Bravourstück nicht wiederholen. Ist auch besser. Man soll das Schicksal nicht herausfordern. Außerdem ist es schade um die Bunkeröfen, die dabei natürlich kaputt gehen, und die wir ja noch brauchen.
Der Gegenstoß ist beendet. Ich krieche, immer noch auf allen vieren, zum Tigerwrack zurück, lasse mich in die Grube gleiten und sitze nun vor den Gefangenen. Auch meine Männer sammeln sich hier. Die Iwans hocken in ihren dicken, braunen Wintermänteln vor mir und sehen mich erwartungsvoll an. Nur einer fragt mich nochmals etwas unsicher: „Nasad, Pan?“ ("Zurück, Herr?") Als ich ihm bestätige: „ Da, da, tschaß nasad!“ ("Ja, ja, in einer Stunde!"), geht eine Welle der Erleichterung durch den Haufen. Sie werden munter, und die ersten schicken sich an, aus der Grube zu klettern. Aber ich rufe sie zurück. Ich will erst noch einiges von ihnen hören.
Es sind Strafnikis, Angehörige eines Strafbataillons. Sie hatten vorgestern auch schon hier angegriffen. Sie waren 120 Mann und hatten 40 Mann verloren. Heute früh mußten sie mit den restlichen 80 Mann den Angriff wiederholen. Auch dieser Angriff kostete sie wieder fast 20 Tote und 21 Gefangene. Und nun hocken sie hier und sind froh, daß sie das Leben haben. Aber so ganz geheuer ist es ihnen hier vorn nicht. Ich spüre, wie es sie „nach hinten“ zieht.
Ein Russe sitzt völlig apathisch auf dem Grubenrand. Sein Unterschenkel ist von einer Kugel zerschmettert und blutüberströmt. Er hat Durst und bittet mich um Wasser. Aber ich habe nichts zu trinken. Jetzt erkenne ich ihn. Es ist derselbe, der vorhin zurück zu kriechen versuchte. Er hat es als aussichtslos aufgegeben und ist zurückgekommen. Nun sitzt er still und zusammengesunken da. Einige Minuten sind vergangen, als der Schwerverwundete plötzlich laut aufjammert. Seine verkrampfte Hand beginnt, wie in einem epileptischen Anfall, schnelle Kreise vor seinem Gesicht zu beschreiben. Dabei stößt er auf- und abschwellende unartikulierte Laute aus. ... uahuähuähuahuahuaaahhoooo ... Delirium. Immer matter wird die Stimme. Dann sinkt der Oberkörper langsam nach hinten und fällt leblos zurück. Seine Kameraden blicken betroffen und erschüttert auf dieses Sterben. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.
Ich schicke die letzten sechs Gefangenen mit dem Sanitäter und zwei Mann zurück. Unter den Gefangenen sind noch einige Schwerverwundete. Mit dem eben Verstorbenen habe ich also 21 Gefangene gemacht.
Ich lasse nun die eroberten Bunker wieder besetzen. Die Meldung über den erfolgreich beendeten Gegenstoß habe ich dem Sani mitgegeben: Feindverluste: 20 Tote, 21 Gefangene. Beute: 1 sMG, 25 Gewehre. Eigene Verluste: 2 Tote, 4 Verwundete.
Die beiden Gegenstöße haben mich 4 Tote und 8 Verwundete gekostet. Das ist trotz des Erfolges teuer bezahlt.

Ein "übliches" Kampfgeschehen wie es sich in diesen Jahren an allen Teilen der Ostfront abspielt. Während des Ausruhens vom Kampf stellt sich heraus, daß sich Schrödter während des Kampfes den Fuß gebrochen hat. Sein Fronteinsatz ist damit einmal erneut für mehrere Monate beendet. Mit Lazarettzügen wird er innerhalb mehrerer Wochen nach Deutschland zurück transportiert.

Im dritten und letzten Beitrag zur "Schlacht am Unteren Dnjepr 1943/44" sollen die Abschnürung und Räumung des Brückenkopfes Nikopol in den beiden Wochen zwischen 30. Januar und 16. Februar 1944 behandelt werden. 

_____________

  1. Mit der Kamera an der Ostfront. Ein Film von Karl Höffkes aus dem Jahr 2010. Ausschnitte aus Teil 2: Im Jahr 1943 (Yt) (Yt); v.a. Material Nr 1574 (AKH)
  2. Deutsche Wochenschau von Ende 1943 über den Rückzug in den Brückenkopf Nikopol (Yt)
  3. Deutsche Wochenschau aus dem Dezember 1943 oder Januar 1944 über die Verteidigung des Brückenkopfes Nikopol (Yt) (Yt)
  4. Tagebuch Obergefreiter Matthäus Lindner (Salzburg), 4. Gebirgsdivision, Dezember 1943 (TbLindner)
  5. Tagebuch Leutnant Herbert Schrödter (Berlin), 257. Infanteriedivision, Dezember 1943/Januar 1944 (TbSchrödter)
  6. Obermaier, Franz: Ukraine - Land der schwarzen Erde. Wiener Vlgs. Wien 1942
  7. Katya Koshevaya: Die Behörden von Krywyj Rih während der deutschen Besatzung. (kryvyi-rih-yes2022)
  8. Maria Lysohor: Wie es den Einwohnern von Krywyj Rih während der Kriegsjahre gelang, sich kulturell und pädagogisch zu bereichern (kryvyi-rih-yes2023)
  9. Wie Kriwoi Rog während der Besatzung aussah (1941-1944) (HistoryKR2023)
  10. Kriwoi Rog durch die Linse eines deutschen Soldaten (1941-1944) (Rudana2019)
  11. Tatsächlich wurde Kriwoi Rog vollständig von den Besatzern befreit (HistoryKR2022)

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