Eine neue Studie
Die Ethnogenese, die Geschichte und der Untergang des großen Volkes der Cucuteni-Tripolje-Kultur (4.800 bis 2.750 v. Ztr.) (Wiki) östlich der Karpaten und auf den Schwarzerdeböden der Ukraine - samt ihrer "Megasites" - war schon mehrfach Thema hier auf dem Blog (Stgen2017, Stgen2019, Stgen2021, Stgen2021, Stgen2021). Nicht zuletzt deshalb, weil dies die erste seßhafte, komplex-arbeitsteilige Gesellschaft gewesen ist, auf die das Volk der Urindogermanen der Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga und vom Don aus auf seinem Weg der demographischen Ausbreitung gen Westen gestoßen ist.
Noch vor dem Höhepunkt der Ausbreitungsgeschichte der Cucuteni-Tripolje-Kultur hat sich indogermanische Steppen-Herkunft zu etwa 20 % in die Angehörigen dieser Kultur eingemischt. Dieser Vorgang scheint - so der Archäologe Vladimir Dergachev und andere - nicht ohne Krieg abgelaufen zu sein.
Nun ist eine neue archäogenetische Studie zur Geschichte dieser Kultur erschienen (1):
Die ältesten Siedlungsorte der Cucuteni-Kultur sind am Fuße der Karpaten gefunden worden und (...) datieren auf 4.800 v. Ztr.. Die Cucuteni-Kultur entstand aus dem Zusammenwirken mehrerer neolithischer Gruppierungen an der Donau, was sich in der Ähnlichkeit des Hausbaus, von Keramik-Stilen und von Steinwerkzeugen wiederspiegelt.The earliest CTCC sites are found in the piedmont of the Carpathian Mountains and the earliest radiocarbon dates (from the Precucuteni 2 period) date to around 4800 BCE. The CTCC originated from the interaction of several Danubian Neolithic groups, with evidence for similarities in house construction, ceramic styles, and lithic artifact production.
Weiterhin wird in der Einleitung ausgeführt (1):
Während der mittleren bis späten Phasen der Tripolje-Kultur (4.100 bis 3.400 v. Ztr.) begründeten einige Gruppen außerordentlich große Siedlungen in der Mittleren Ukraine, die oft als Riesen-Siedlungen oder Megasites bezeichnet werden, und die 100 bis 320 Hektar umfaßten.During the middle-to-late periods of the Trypillia culture (Trypillia BII to CI; 4100–3400 BCE), some CTCC groups established extremely large settlements in Central Ukraine, often referred to as “giant-settlements'' or “megasites,” which attained sizes of 100–320 ha. Rapid demographic growth within the CTCC around the turn of the fourth millennium BCE necessitated the exploitation of new territories, precipitating migrations to previously peripheral areas.
Und (1):
Interessanterweise wurden die Megasites um etwa 3.400 v. Ztr. im wesentlichen aufgegeben. Die Ursache dafür steht unter Debatte, eine Hypothese ist eine Zunahme an Konflikt aufgrund der Westausbreitung von Steppen-Populationen. Eine solche Hypothese könnte Unterstützung finden in den häufigen Hinweisen auf gewaltsamen Tod, die in der Verteba-Höhle gefunden worden sind.Interestingly, after around 3400 BCE, the Trypillian mega-sites were largely abandoned. The cause of this abandonment has been widely debated, one hypothesis is an increase in conflict due to the westward expansion of steppe populations. Such a hypothesis may find corroboration in the frequent evidence of violent death discovered in Verteba cave.
So ist der bisherige Forschungsstand in der Einleitung referiert worden. Zur Datierung der 18 neu sequenzierten Menschenfunde aus der Verteba-Höhle am Sereth im Osten der Karpaten wird ausgeführt (1):
Sechs Funde (...) datieren auf 3.790 bis 3.535 v. Ztr., eines auf 1.960 bis 1.770 v. Ztr. und eines auf 980 bis 825 v. Ztr..Eight of the samples were directly radiocarbon dated and we determined that six (VERT-035, VERT-106, VERT-031, VERT-100, VERT-104 and VERT-015) date to 3790–3535 cal BCE (2σ; Late Eneolithic), one individual (VERT-113) from Site 7 dates to 1960–1770 cal BCE (Middle Bronze Age; MBA) and one from Site 17 (VERT-114) dates to 980–825 cal BCE (Late Bronze Age; LBA).
Eine weite Zeitspanne, in der diese Höhle genutzt worden ist. Im zweiten und ersten Jahrtausend v. Ztr. natürlich von ganz anderen Kulturen als zuvor, denn da war die Cucuteni-Tripoje-Kultur längst untergegangen (nämlich etwa um 2.750 v. Ztr.). Wir haben es aber in der großen Mehrheit mit Menschenfunden zu tun der mittleren bis späten Phase der Tripolje-Kultur, also der Zeit der Megasites.
Aus der Grafik in Abbildung 1 können wir nun die Herkunft dieser Menschen auslesen: Die Bandkeramiker des Frühneolithikums, die sich bis in den Ostkarpaten-Raum ausgebreitet hatten, waren zu etwa 8 Prozent mit westeuropäischen Jägern und Sammlern vermischt (gelb und rot). Sie und ihre Ausgangspopulationen finden sich in allen dargestellten Menschenfunde aus Ungarn ("Hungary"). Auffallenderweise weist ein spätneolithisches Individuum aus Ungarn schon eine geringe Einmischung von Steppen-Genetik auf (hell- und dunkelblau). Wir hatten ja schon die erstaunliche Tatsache festgestellt, daß sich diese Steppen-Genetik von der Mittleren Wolga aus um 4.500 v. Ztr. innerhalb nur weniger Jahrhunderte bis in den Donauraum Ungarns ausgebreitet hatte (zuletzt: Stgen2022).
Die Menschenfunde aus der Verteba-Höhle haben einen für das europäische Mittelneolithikum typischen, gegenüber der Bandkeramik leicht erhöhten Anteil westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik (bis zu 18 %). Und sie weisen - bis auf ein Individuum - in unterschiedlichen Anteilen Steppen-Genetik auf. Und zwar - in der Grafik - bis zu 25 %. Ganz oben in der Grafik kommen dann zwei zeitlich später datierte Menschenfunde der Verteba-Höhle zur Darstellung, die in der Studie folgendermaßen charakterisiert werden (1):
Die Hauptkomponenten-Analyse zeigt die große Ähnlichkeit der 18 neu sequenzierten Tripolje-Angehörigen mit den vier schon zuvor aus der Verteba-Höhle sequenzierten auf. Deshalb haben wir alle 22 Individuen gemeinsam als Verteba-Tripoljer bezeichnet und im weiteren gemeinsam analysiert. Die beiden bronzezeitlichen Individuen sind klare "Abweichler". Das Individuum VERT-114 fällt in die genetische Glockenbecher-Vielfalt und scheint genetisch tschechischen, ungarischen und polnischen Glockenbecher-Gruppen nahe zu stehen. Individuum VERT-113 scheint genetisch europäischen Schnurkeramik und Srubnava-Populationen nahe zu stehen, die eine starke Nähe zu Steppen-Menschenfunden aufzeigen.The PCA also evidenced the extreme similarity between the 18 newly reported Trypillians and the other four Trypillians from Verteba Cave previously sequenced, therefore all these 22 individuals were labeled together as Verteba_Trypillia and further analyzed together. The two Bronze Age individuals are clear outliers. Individual VERT-114 falls within the Bell-Beaker diversity and appears to have a position close to the Czech, Hungarian and Polish Bell-Beaker groups. Individual VERT-113 appears close to European Corded-Ware and Srubnaya populations, showing a strong affinity to steppe samples.
Für die Tripolje-Bevölkerung wird als Herkunft festgestellt (1):
40% anatolisch-neolithisch, 20% westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik, 40% Kaukasus-Jäger-Sammler-Genetik.40% of Anatolia Neolithic-related ancestry, 20% of WHG and 40% of CHG.
Der hier genannte, auffallend hohe Anteil von Kaukasus-Jäger-Sammler-Genetik findet sich allerdings in der Grafik in Abbildung 1 nicht wieder. Diesen Widerspruch können wir vorderhand hier nicht klären. Die Herkunft der westeuropäischen Jäger-Sammler-Komponente kann, so wird weiterhin ausgeführt, am besten auf die Körös-Jäger-Sammler zurück geführt werden und nicht auf Jäger-Sammler-Gruppierungen, die vor dem Neolithikum in der Ukraine gelebt haben (1).
Die Körös-Jäger-Sammler spielten übrigens auch bei der Ethnogenese des Volkes der Jordansmühler Kultur in Bömen und Schlesien ab 4.300 v. Ztr. eine Rolle (Stgen2021).
Zum Phänotyp der Tripolje-Menschen wird gesagt (1):
Abgesehen von zwei Individuen wies die Mehrheit der Individuen in der Verteba-Höhle jene Variante von SNP rs12913832 auf, die mit blauen Augen in Verbindung steht, die anderen beiden jene, die mit dunklen in Verbindung steht.Except for two individuals, the majority of individuals from Verteba cave have the variant of SNP rs12913832 associated with blue eyes and the other two associated with dark ones.
Womöglich waren uns die Menschen der Cucuteni-Tripolje-Kultur in ihrer Mehrheit phänotypisch viel ähnlicher als man so ohne weiteres hätte denken können. Zu unserer schon früher aufgeworfenen Frage, wie viele Generationen die Einmischung der Steppen-Genetik bei den Tripolje-Leuten zurück liegen könnte, wird folgendes ausgeführt (1):
Die Steppen-Herkunft war in den Verteba-Individuen geringer als in Moldavien. Das könnte mit dem jeweiligen Alter der Individuen zusammen hängen. Und das könnte nahe legen eine kontinuierliche Einmischung von Osten nach Westen, die die Steppen-Genetik während des vierten Jahrtausends v. Ztr. allmählich erhöht haben könnte.We also observe the presence of steppe-related ancestry in these individuals, as was revealed in Moldova, although the proportion in the Verteba individuals is lower, which could correlate with the age of the individuals suggesting a continuous pulse from the East to the West gradually increasing the Yamnaya-related ancestry during the fourth millenium BCE.
Das wäre ein Szenario, mit dem wir hier auf dem Blog nicht so ohne weiteres gerechnet hatten bislang. Da die Indogermanen in Moldawien, in der Donaumündung, ja, in Ungarn genauso früh aufgetreten sind wie am Ostrand der Cucuteni-Tripolje-Kultur und da kriegerische Auseinandersetzungen beobachtbar sind innerhalb dieser Kultur von Beginn des Auftretens der Indogermanen ab etwa 4.500 v. Ztr. an, möchten wir weiterhin nicht ausschließen, daß diese Einmischung schon vergleichsweise früh, und zwar schon ab dem mittleren 5. Jahrtausend erfolgt ist. Aber vielleicht handelt es sich doch um einen kontinuierlicheren Prozeß der Einmischung als bislang erwartet.
Zu dieser Frage wird man weitere Studien in der Zukunft abwarten müssen. Beziehungsweise müßten wir uns noch genauer mit den Datierungen der jeweiligen hier untersuchten Individuuen beschäftigen, um uns von dieser These noch mehr überzeugen zu lassen. Interessant genug ist sie immerhin.
Haben die Glockenbecher-Leute östlich der Karpaten 1000 Jahre länger fortbestanden?
Das genannte Individuum Vert-114 aus dem 1. Jahrtausend v. Ztr., das genetisch Glockenbecher-Gruppen nahestand, wird auch auf Verwandtschaft mit den erst gestern im Blogartikel behandelten Kimmerern, bzw. Skythen untersucht (1):
Wir untersuchten ebenso mögliche Verbindungen dieses Individuums mit den Kimmerern, die sich in der heutigen Ukraine etwa ab 1.000 v. Ztr. bemerkbar machten, womit sie zeitgleich zu VERT-114 standen.We also explored the possible connections between this individual and the Cimmerians, who established themselves in present-day Ukraine around the year 1000 BCE, being contemporary to VERT-114.
Es hätte sich aber eine größere genetische Nähe zu den Glockenbecher-Gruppen als zu den zeitgleichen Kimmerern gezeigt. So wird es auch noch einmal im Diskussionsteil ausgeführt (1):
Die Herkunftsanteile von VERT-114 legen eine Verbindung zu Glockenbecher-Gruppen nahe, obwohl es fast tausend Jahre jünger ist als das Ende der Glockenbecher-Kultur und obwohl es eher zeitgleich zu Kimmerern oder Skythen liegt. Dennoch (...) scheinen unsere Ergebnisse eher eine Ähnlichkeit mit Glockenbecher-Gruppen als mit Kimmerern nahezulegen.The genomic composition of VERT-114 suggests a relationship with Beaker-related populations, despite being almost 1000 years younger than the end of the Bell Beaker phenomenon, and with a date that would be more coincident with the Cimmerians or Scythians. However, no qpAdm models with these cultures work and the f4 results do seem to confirm the similarity with the Bell Beakers over the Cimmerians.
Die östlichste Ausbreitung der Glockenbecher-Kultur scheint bislang nur in den Westkarpaten festgestellt worden zu sein. Deshalb muß dieses Ergebnis zusätzlich überraschen. Auch hier wird man weitere Forschungen abwarten müssen. Ein vielfältiges Kommen und Gehen unterschiedlicher indogermanischer Völker innerhalb der Ukraine nach dem Untergang der Cucuteni-Tripolje-Kultur scheint sich hier anzudeuten. Diesem könnte man sicherlich anhand anderer archäogenetischer Studien noch genauer nachgehen: Soweit wir das bislang überblicken, sind hier festzustellen: Schnurkeramiker, Glockenbecher-Leute (?), Kimmerer, Skythen, Sarmaten und Goten. Aber diese List ist sicherlich noch nicht vollständig.
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- Gelabert, P., Schmidt, R. W., Fernandes, D. M., Karsten, J. K., Harper, T. K., Madden, G. D., ... & Pinhasi, R. (2022). Genomes from Verteba cave suggest diversity within the Trypillians in Ukraine. Scientific reports, 12(1), 4.5.2022, 1-12, https://www.nature.com/articles/s41598-022-11117-8.
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