Von dem Archäogenetiker David Reich und dem Archäologen der Urindogermanen David Anthony sind noch viele Aufschlüsse angekündigt und zu erwarten über die Ethnogenese der Urindogermanen an der Mittleren Wolga innerhalb der Chwalynsk-Kultur um 4.600 v. Ztr.. Schon häufiger in den letzten beiden Jahren haben wir dieser Erwartungen hier auf dem Blog Ausdruck verliehen (siehe Label "Chwalynsk-Kultur") (z.B.: 1).
Abb. 1: Drei Phasen: a) ohne Verzehr von Milchprodukten (4.600 is 4.000 v. Ztr.), b) und c) mit Verzehr von Milchprodukten (3.300 bis 1.700 v. Ztr.) (aus: 2) |
Eine neue Studie von diesen beiden Autoren zum Thema ist erschienen (2-4, 6). Sie treten - wie gewöhnlich - gemeinsam mit vielen Koautoren auf. Aber über die entscheidenden Fragen zur Ethnogenese der Urindogermanen geht diese Studie wiederum mit nur einem Satz hinweg.
Wir erfahren in dieser Studie über die Ethnogenese der Urindogermanen nichts Neues. Die spektakuläre Erkenntnis, daß diese Urheimat endlich gefunden worden ist, wird erneut nicht heraus gestellt. Immerhin - es wird verwiesen auf eine neue Studie, die dazu demnächst in der "Prähistorischen Zeitschrift" erscheinen soll (5). Daß dort eine wichtige Studie "bald" erscheinen soll, ist dem Verfasser dieser Zeilen aber auch schon im Mai 2021 von Seiten eines der beteiligten Archäologen in persönlicher Mitteilung angekündigt worden. Selbst diese angekündigte Studie läßt schon Monate auf sich warten.
Proteine im Zahnstein erhalten? - Und wenn ja: welche?
Die Entstehungsgeschichte dieser Studie faßt ihr Hauptautor auf Twitter recht gut zusammen (6):
... Im letzten Jahr haben wir in einer Forschungsstudie zu alten Proteinen herausgefunden, daß die Menschen in der Mongolei vor 5000 Jahren Milch(produkte) genossen haben und in einer nachfolgenden archäogenetischen Studie ist aufgezeigt worden, daß diese Milchprodukte verzehrenden Menschen westliche Steppen-Genetik aufwiesen. .... Ich reiste nach Rußland, um mich mit meinen Koautoren zu treffen und um Zahnstein von Individuen der Jamnaja-Kultur zu sammeln. Aufregender Weise konnten wir Zahnstein auch aus der Zeitperiode davor und danach sammeln. ...In 2015 a paper (led by Allentoft) demonstrated that in the Early Bronze Age the Yamnaya, from the Pontic-Caspian region, expanded both into Europe and across the steppe to the east - as far as Mongolia. Then, last year, in a separate ancient protein paper we found that the people in Mongolia 5000 years ago were drinking milk, and through a subsequent and related aDNA paper found that these milk drinking individuals also had western steppe ancestry. We hypothesised that it was the incorporation of milking to subsistence strategies that enabled the Yamnaya to transverse the steppe, a vast landscape covered with pasture grasses that are perfect for animals, but often lacking in resources for human sustenance. People moving with herds of dairy animals would have benefitted from the renewable resources provided by milking animals. Apart from calories, milk also provides a source of hydration, which was essential on the arid steppe. To test this, I travelled to Russia to meet with my co-authors and sample dental calculus from western steppe Early Bronze Age Yamnaya individuals. Excitingly, we were able to sample from the time period before, during, and after the Yamnaya cultural horizon.The previous Eneolithic people (~4600-3500BC), the Khvalynsk, were hunter/gatherer/fishers, that occasionally ate domesticated animals. During this period in nearby Europe people were farming and dairying, demarking a “frontier” differentiating subsistence between the regions. While the Khvalynsk and Yamnaya populations are genetically very similar, the Yamnaya also have and added 10-18% input of Anatolian farmer ancestry. The Yamnaya also had very different stable isotope values than previous groups, indicating a dramatic shift to a diet focused on domesticated animals. However, meat and milk are impossible to differentiate with this method. Protein analysis has offered us a unique way to determine the types of animal products people were consuming. We found that milk was absent in the Eneolithic group, and became ubiquitous in the Yamnaya period. We found proteins specific to sheep, goat, cow, and excitingly – HORSE. The find of horse milk at 3000 BC (5000 years ago) in eastern Europe presents the first direct and unequivocal evidence for horse milk consumption. This evidence cannot shed light on whether horses were ridden, but does show a clear sign of domestication.We also analyzed the calculus from two individuals from the site of Botai, famous for possible horse domestication and milking, yet we did not recover any dairy proteins from those samples.
In der Studie (2) konnte geklärt werden anhand der Analyse der verbliebenen Proteine im Zahnstein der Menschenskelette, daß die Menschen der Chwalysnk-Kultur an der Mittleren Wolga im 5. Jahrtausend (4.600 bis 4.000 v. Ztr.) noch keine Milchprodukte verzehrt haben. Weder rohe Milch, noch verarbeitete Milch, also auch keinen Joghurt, keinen Käse. Und dies auch weder von Schafen oder Ziegen, noch von Kühen oder Pferden.
Bei 10 von 11 Individuen, für die Proteine überhaupt hatten nachgewiesen werden können im Zahnstein, da sie sich darin erhalten hatten, konnten keine Proteine nachgewiesen werden, die von Milchprodukten stammen (2).
Wir wissen ja schon, daß die Menschen der Chwalynsk-Kultur, an den Ufern der Wolga lebend, viel Fisch gegessen haben. Und viel Fleisch von Herdentieren und von gejagtem Wild. Womöglich auch von Wildgräsern. Nun wissen wir noch zusätzlich: Sie aßen keine Milchprodukte.
Das ist immerhin ein wichtiges Ergebnis. Man wird schlußfolgern können,
daß auch die ersten Indogermanen in der Mongolei, die von der
Chwalynsk-Kultur abstammen, die der Afanasjewo-Kultur zugehörte, noch keine Milchprodukte
verzehrt haben und daß das um 3000 v. Ztr. erst die nachfolgende
Andronowo-Kultur gewesen sein wird.
Milchprodukte in der Steppe - Erst seit 3.300 v. Ztr.
Erst ab der Zeit 3.300 bis 2.500 v. Ztr., hier genannt "Frühe Bronzezeit" kann ein solcher Verzehr von Milchprodukten klar und weit verbreitet in der Ukraine nachgewiesen werden. Da hatte sich die dortige Jamnaja-Kultur offenbar schon zu geringeren Anteilen mit anatolisch-neolithischer Herkunft vermischt, die wohl von der Kugelamphoren-Kultur stammte. Aus dieser Kultur könnte dann auch die Gewohnheit, Milchprodukte zu gewinnen, zu verarbeiten und zu verzehren stammen.
In allen 15 Individuen, in deren Zähnen sich überhaupt erhaltene Proteine nachweisen ließen, ließen sich auch Proteine nachweisen, die Hinweise darstellen auf den Verzehr von Milchprodukten (2). Es konnten Proteine als herstammend von Schafen, Ziegen oder Kühen nachgewiesen werden. Aber nur in zwei Individuen auch solche von Pferden. Milchprodukte aus Pferdemilch wurden also nur regional verzehrt. Dieser Brauch war nicht sehr weit verbreitet.
Und all das findet statt tausend Jahre nach der Ethnogenese der Urindogermanen, etwa zeitgleich mit der Ethnogenese und Ausbreitung der Schnurkeramiker- und Glockenbecher-Kulturen aus noch unbekannten Populationen heraus, die zwar genetisch klar von der Chwalynsk-Kultur abstammten, die aber zeitgleich zur Jamnaja-Kultur in der Ukraine lebten (welche ebenfalls von der Chwalynsk-Kultur abstammte).
Shintashta-Kultur: Milch, aber keine Stuten-Milch
Für die Zeit 2.500 bis 1.700 v. Ztr, hier genannt Späte Bronzezeit, konnte gar kein Verzehr von Milchprodukten nachgewiesen werden, die von Pferdemilch stammten, obwohl sonst der Verzehr von Milchprodukten ähnlich verbreitet war wie in der Frühen Bronzezeit in der Ukraine (2). Und hier handelt es sich schon um jene berühmte Shintashta-Kultur, die eine der ersten Kulturen war, die Streitwagen benutzte, und in der nachweisbar das Pferd tatsächlich eine große kulturelle Rolle spielte.
Immer mehr lernen wir, daß die Rolle der Milch in vielen Jahrtausenden der Kulturgeschichte der Menschheit, insbesondere auch in der Steppe viele Jahrzehnte lang von der Forschung hoffnungslos überschätzt worden war. Das liegt daran, daß man beobachtet hatte, daß die heutigen Europäer aufgrund genetischer Selektion rohe Milch verdauen können, was Asiaten und Afrikaner in dem Umfang nicht können. Aber seit wenigen Jahren wissen wir, daß diese genetische Fähigkeit sich erst seit der Eisenzeit ausgebreitet hat in Europa.
Auf die "große" archäogenetische Studie zur Ethnogenese der Urindogermanen an der Mittleren Wolga warten wir weiter .... (5).
Ergänzung 8.11.21: In einem Interview vom Mai 2021 fragt der Humangenetik-Blogger Razib Khan genau nach dieser archäogenetischen Studie zur Ethnogenese der Urindogermanen (7) (49:00).
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- Bading, Ingo: Die Fundamente Europas - Sie wurden in einer Umbruchzeit gelegt (3.500 bis 2.700 v. Ztr.) - Multiethnische Großreiche und ihre großräumigen Kriegszüge, 9. Mai 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/05/das-fundament-europas-in-einer.html
- Wilkin, S., Ventresca Miller, A., Fernandes, R. et al. Dairying enabled Early Bronze Age Yamnaya steppe expansions. Nature (2021). 15.9.2021, https://doi.org/10.1038/s41586-021-03798-4
- Nomadische Völker stärkten sich mit Tiermilch, 15.9.21, https://www.derstandard.de/story/2000129675094/nomadische-voelker-staerkten-sich-mit-tiermilch
- 15.9.21, https://www.shh.mpg.de/2046463/milk-and-migration?c=1936384
- Anthony, D. W. et al. The Eneolithic cemetery at Khvalynsk on the Volga River. Praehistorische Zeitschrift (in the press)
- Shevan Wilkin: 15.9.21, https://twitter.com/ShevanWilkin/status/1438157138044534789
- Razib Khan's Unsupervised Learning - David Anthony - The origin of Indo-Europeans, Podcast, 21. Mai 2021, https://www.listennotes.com/de/podcasts/razib-khans/david-anthony-the-origin-of-Cs4pzYGPiqK/
2 Kommentare:
Hallo Herr Bading,
Sie sind schon selbst mal drauf eingegangen, um diesen Gedanken wieder ad acta zu legen.
Die These von Frau Böhme könnte sich weiter erhärten. Sprich - unser Vorfahr hat in Europa den stabilen aufrechten Gang gelernt.
Das ist nicht unwahrscheinlich da ja an den Rändern eher Steppen entstanden sein könnten.
https://www.ancient-origins.de/nachrichten-evolution-menschliche-urspruenge/lucy-und-fossile-007279
Mit besten Grüßen,
Helmut
Erstens gehört der Verweis inhaltlich nicht zu diesem Artikel, zweitens ging die Nachricht von diesem Mainzer Fund schon im Oktober 2017 durch die Presse, wobei man sich auf einen Artikel bezog, der ohne Review-Verfahren erschienen war (1, 2). Wer sie 2021 erneut aufwärmt, muß dazu schreiben, daß die Fachwelt, darunter Frau Böhme, den gefundenen Zahn ganz anders einordnen (2, 3).
1. https://www.researchgate.net/publication/320518472_A_new_great_ape_with_startling_resemblances_to_African_members_of_the_hominin_tribe_excavated_from_the_Mid-Vallesian_Dinotheriensande_of_Eppelsheim_First_report_Hominoidea_Miocene_MN_9_Proto-Rhine_Riv
2. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/umstrittener-fund-vater-rhein-die-wiege-der-menschheit-a-1174645.html
3. https://www.zm-online.de/archiv/2017/22/gesellschaft/eine-provinzposse-keine-weltsensation/
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