Mittwoch, 1. September 2021

Die Arabische Halbinsel - Wiege der außerafrikanischen Menschheit

Vor 125.000 Jahren kamen die ersten anatomisch modernen Menschen in den Raum zwischen der Levante und dem Golf von Oman, auf die arabische Halbinsel.
- 50.000 Jahre weitere Jahre lang breiteten sie sich nicht weiter nach Norden und Osten aus.
- In der Zeit auf der arabischen Halbinsel geschah genetisch sehr viel.

Abb. 1: Evolution in Arabien vor 50.000 Jahren (Wiki)
Eine neue Studie zeigt an den bislang genetisch sequenzierten Skelettresten von frühen anatomisch modernen Menschen in Europa und weltweit auf, daß die Ausbreitung von Afrika, bzw. genauer: von der arabischen Halbinsel aus nach Südasien und Südostasien, Nordostasien und Europa mit massiven genetischen Neuanpassungen einher ging.

Diese Neuanpassungen hätten sich vollzogen innerhalb der 50.000 Jahre, in denen die "Out-of-Africa"-Populationen - höchstwahrscheinlich - nur auf der Arabischen Halbinsel lebten (1):

In direktem Kontrast zu Studien an modernen menschlichen Genomen können wir für 57 Mutationen ausgeprägte Verschiebungen in der Häufigkeit derselben ("hard selective sweep") innerhalb der auswandernden Populationen feststellen, die alle auf eurasische Populationen beschränkt waren und in Yoruba-afrikanischen Populationen nicht vorhanden sind. Während einige der 56 entdeckten, ausgeprägten Häufigkeitsverschiebungen ("hard selective sweep") sehr weit verbreitet sind, ist keine von ihnen in allen auswandernden eurasischen Populationen vorhanden. ... Dies legt nahe, daß die Häufigkeitsverschiebungen am ehesten nach der Trennung der anatomisch-modernen-Out-of-Afrika-Gründerpopulation von den afrikanischen Gruppen eintraten, daß sie aber wahrscheinlich vor der nachfolgenden Ausbreitung über Eurasien hinweg noch nicht abgeschlossen waren.
In direct contrast to studies of modern human genomes, we were able to identify 57 hard sweeps (Extended Data Fig. 3, Extended Data Table 2) in the ancient populations with high-confidence (study-wide false positive rate <11%; ref. 7), all of which were limited to Eurasian populations and absent in the YRI African population. While some of the 56 detected hard sweeps were very common, none were present in all of the ancient Eurasian populations, and they were almost entirely absent amongst other contemporary African populations. This suggests that the sweeps most likely arose after the separation of the founding AMH OoA population from African groups, but were probably not fixed prior to the subsequent dispersal of this population across Eurasia.

Da eine dieser Häufigkeitsverschiebungen nicht genau genug untersucht werden konnte, beschränkten die Forscher ihre Auswertung auf 56 untersuchte. Sie schreiben weiter (1):

Die Ausbreitung über Eurasien scheint sich eine beträchtliche Zeit (etwa 50.000 Jahre) nach der geschätzten Trennung der Out-of-Africa-Population von anderen afrikanischen Populationen ereignet zu haben. Dieser Zeitrahmen stimmt überein mit weit verbreiteten Belegen seit der Zeit vor 125.000 Jahren für frühe anatomisch moderne menschliche Gruppen über die arabische Halbinsel hinweg von der Levante bis zum Golf von Oman. Wir bezeichnen diesen langen Zeitraum als die "Zeit in Arabien" ("Arabian Standstill").
The Eurasian dispersal appears to have occurred a considerable period (~50,000 years) after the estimated ~100ka genetic separation of the OoA population from other African populations. This timing is consistent with widespread evidence of early AMH groups from around 125ka throughout the Arabian Peninsula, from the Levant to the Gulf of Oman. We refer to this apparent prolonged delay as the Arabian Standstill (Supplementary Information 2), and during this period previous genetic studies have suggested the OoA population split into the now extinct Basal Eurasians, and the Main Eurasians which subsequently admixed with Neandertals and dispersed globally.

(Im englischen Originalwortlaut der Studie wird hier der Begriff "Arabian Standstill" verwendet. Übersetzt als "Arabischen Stillstand" klingt das aber doch nicht neutral genug, vielmehr ein wenig abwertend. Es klingt sogar falsch, wo doch die 50.000 Jahre zumindest genetisch - und vermutlich doch auch kulturell - keineswegs ein bloßer "Stillstand" waren. In dieser Zeit fand in jedem Fall vielfältiges menschliches und kulturelles Leben statt. Vermutlich sogar in vielfältigen Sprachgruppen, vielleicht vergleichbar mit den Verhältnissen noch vor 50 Jahren auf Papua-Neuguinea. Die Forscher schreiben weiter (1):

In Europa traten die ausgeprägtesten Häufigkeitsverschiebungen vor Beginn des Holozäns (9.500 v. Ztr.) auf. Sie gingen dann stark zurück, am ausgeprägtesten während der Bronzezeit (vor 5000 Jahren), die inzwischen als eine Zeit umfangreicher Bevölkerungsvermischung bekannt geworden ist.
In Europe, the highest sweep frequencies occurred prior to the onset of the Holocene before decreasing markedly, most notably during the Bronze Age (from 5ka) which is a known period of extensive population admixture.

Etwa die Hälfte der gefundenen Häufigkeitsverschiebungen werden auf die "Zeit in Arabien" datiert, denn sie sind noch heute über ganz Eurasien weit verbreitet, bis nach Ozeanien hinein (1). So wie bislang schon der Neandertaler- und Denisova-Herkunftsanteil in modernen Menschen genutzt wurde, um das Geschehen der Ausbreitung der anatomisch modernen Menschen zeitlich und räumlich einzugrenzen, so glauben die Forscher, daß auch die genannten 56 Häufigkeitsverschiebungen von Mutationen zu einer solchen Datierung herangezogen werden können. Aufgrund dessen nehmen sie an, daß jene Ausbreitung über Eurasien hinweg, die noch zur heute bestehenden genetischen Vielfalt der Menschheit beitrug, erst vor 55.000 bis 50.000 Jahren stattfand, daß etwaig vorzufindende frühere Ausbreitungsbewegungen also größtenteils wieder ausgestorben sind. Aus der Zeit vor 50.000 vor heute häufen sich auch die Menschenfunde in Süd- und Südostasien, so schreiben sie.

Die Forscher schreiben weiter (1):

... Genome der Erstbesiedlung Europas und Asiens (IUP) (vor 45.000 bis 40.000 Jahre) beinhalten die frühest feststellbare Häufigkeitsverschiebung und zwar bezüglich von acht Mutationen, während die frühesten westeurasischen Individuen, die vor 38.000 bis vor 18.000 Jahren lebten, weitere zehn Mutationen mit massiven Häufigkeitsverschiebungen zeigen. ... In Individuen der Aurignacien-Kultur, ... in Individuen der Gravettien-Kultur ... und am Ende des Höhepunktes der Letzten Eiszeit in der MagdalenienKultur, die durch das El Miron-Skelett repräsentiert wird, das 19.000 Jahre alt ist. ... Das Phänomen der Massiven Häufigkeitsverschiebungen (hard selective sweep) stimmt jeweils überein mit genetischen Umbrüchen zwischen den Erstbesiedlern (IUP), den Populationen des Aurignacien und des Gravettien .... Individuen der späteiszeitlichen Epigravettien-Kulturen (z.B. Villabruna und Azilian Bichon, beide vor 14.000 Jahren) weisen weitere sechs Häufigkeitsverschiebungen auf, von denen der Eindruck entsteht, daß sie schon früher stattgefunden hatten in Populationen weiter im Osten, vornehmlich außerhalb des untersuchten Gebietes, daß sie sich aber geographisch Richtung Westen ausbreiteten, wodurch sie um diese Zeit herum in das Blickfeld dieser Studie gelangen.
Genomes from the first (Initial Upper Paleolithic) European and Asian AMH populations (~45-40ka; ref. 21) contain the earliest observations of eight sweeps, while early West Eurasian individuals dated between 38-18ka record a further ten sweeps (Fig. 1, Extended Data Table 3). The sweeps in western Eurasian specimens appear to group into four distinct time bins, which correlate with early European archaeological cultures (Fig. 1). After the Initial Upper Paleolithic, nine further sweeps were detected in two specimens (Kostenki14, 38ka, and GoyetQ116-1, 35ka) associated with the Aurignacian Culture (~43-35ka), often referred to as the first pan-European technocomplex. Further single sweeps appear in individuals associated with the subsequent Gravettian Culture (35-25ka; represented by the Sunghir 1-4, 35-33ka, and Věstonice16, 31ka, individuals; refs. 22,23), and towards the end of the Last Glacial Maximum in the Magdalenian cultures as represented by the El Mirón specimen (19ka). The pattern of shared sweep signals are consistent with previously recognized genetic replacements between the IUP, Aurignacian, and Gravettian populations (Extended Data Table 4; Supplementary Information 2), which also occur close in time to two major geomagnetic events (the Laschamps and Mono Lake excursions, respectively) suggested to have caused rapid environmental shifts. Individuals from late-glacial/Epigravettian cultures (e.g. Villabruna and the Azilian Bichon, both ~14ka) contain a further six sweeps which appear to have originated earlier in populations to the east, largely outside the sampling area, but spread geographically westward into view of this study around this time.

Ein Teil der gefundenen Mutationen liegt in der Nähe von Genen, von denen festgestellt wurde, daß sie noch in heutigen arktischen Populationen unter Populations-spezfischer Selektion stehen.

Diese gruppieren sich um drei funktionale Kategorien: 31 % Gene neurologischer Art, 31 % Entwicklungsgene (z.B. Körpergröße), sowie 28 % Stoffwechsel-Gene. Dieselbe Verteilung ergibt sich für Neandertaler-Gene, die in diesen Populationen als vorteilhaft unter positiver Selektion stehen (1).*)

Von einigen dieser Gene ist bekannt, daß sie bei Säugetieren die Anpassung des Fettstoffwechsels an kalte Lebensräume bewirken.

Bei den Entwicklungsgenen sind unter anderem Gene betroffen, die die Entwicklung von Zilien beeinflussen, also von Haaren, und zwar nicht nur auf der Körperoberfläche, sondern auch in der Lunge (Flimmerhärchen), wo sie wichtig sind für die Kälte-Anpassung der Lunge.

Im Bereich der Kategorie Neurologie finden sich auffallend viele Gene, die mit Entwicklungsverzögerung ("retardation") zu tun haben. Die Reifeentwicklung von Kindern verläuft ja auch auf der Nordhalbkugel anders als in afrikanischen Populationen.

Vor 80.000 Jahren hat es auch auf der arabischen Halbinsel eine Abkühlung des Klimas gegeben. Dasselbe bewirkte der Ausbruch des Mount Toba in Indien vor 74.000 Jahren.

Von der Forschung wird also die arabische Halbinsel immer mehr als eine zweite "Wiege der Menschheit" in Betracht gezogen (2-4). So wie die Sahara kennt auch die arabische Halbinsel Epochen, in denen es dort sehr viel weniger Wüste gegeben hat als heute.

Die Bedeutung des Wechsels von Durchlässigkeit und Undurchlässigkeit dieser Wüstenzone für die Evolution der Menschenaffen und Vormenschen in Europa und Asien einerseits und Afrika andererseits wird auch von der deutschen Paläoontologin Madelaine Böhme zum Thema gemacht (siehe frühere Blogbeiträge).

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*) "The 32 ancient Eurasian driver genes revealed a pattern of gene classes and biological functions strongly reminiscent of loci previously identified as being under population-specific selection in multiple present-day Arctic human populations (Supplementary Information 3). Both the ancient Eurasian driver genes and a set of 49 high-confidence selected (i.e. candidate) genes from modern Arctic human populations grouped with marked concordance around three functional categories: neurological (31% and 33%, respectively); developmental (both 31%); and metabolic (28% and 16%) (Tables 1, Extended Data 5). Furthermore, a similar level of functional concordance was also observed with a set of 54 adaptively-introgressed Neandertal and Denisovan candidate loci identified in modern OoA populations (neurological 35%, developmental 33% and metabolic 22%)."

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  1. Genetic and climatic factors in the dispersal of Anatomically Modern Humans Out of Africa. R Tobler, Y Souilmi, C Huber, N Bean, C Turney… - Preprint, 2021, https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-800178/v1
  2. Michael Marshall: The other cradle of humanity: How Arabia shaped human evolution  New evidence reveals that Arabia was not a mere stopover for ancestral humans leaving Africa, but a lush homeland where they flourished and evolved Humans. New Scientist, 18 August 2021, https://www.newscientist.com/article/mg25133480-700-the-other-cradle-of-humanity-how-arabia-shaped-human-evolution
  3. Groucutt, H.S., White, T.S., Scerri, E.M.L. et al. Multiple hominin dispersals into Southwest Asia over the past 400,000 years. Nature (2021), 1.9.2021, https://doi.org/10.1038/s41586-021-03863-y
  4. Knauer, Roland: Arabien war ein Hotspot der Menschheitsgeschichte. In: Spektrum der Wissenschaft, 1.9.2021, https://www.spektrum.de/news/ausbreitung-des-menschen-schon-fruehmenschen-lebten-in-arabien/1917769

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