Sonntag, 9. Mai 2021

Die Fundamente Europas - Sie wurden in einer Umbruchzeit gelegt (3.500 bis 2.700 v. Ztr.)

Multiethnische Großreiche und ihre großräumigen Kriegszüge

Seit zwei Jahren warten wir darauf, daß endlich die archäogenetische Studie zur Urheimat der Indogermanen von der Arbeitsgruppe rund um David Reich veröffentlicht wird.

Auf die Ergebnisse derselben hatte der US-amerikanische Archäologe David Anthony schon vor zwei Jahren in einem Aufsatz hingewiesen (siehe voriger Blogbeitrag). Wir haben deshalb in den letzten Tagen einen namhaften deutschen Archäologen auf diesem Forschungsgebiet angeschrieben und erfahren, daß bezüglich dieser Thematik "einige Publikationen gerade in Arbeit sind". Außerdem aber soll ein großer Aufsatz des US-amerikanischen Archäologen David Anthony zur Thematik kurz vor der Publikation in einer führenden archäologischen Zeitschrift stehen.**) Auf der Academia-Seite von David Anthony werden wir dazu zwar noch nicht fündig. Wir stoßen dort aber auf einen schon im Januar 2021 eingestellten Aufsatz, der ebenfalls viel Neues für uns enthält (1). Dieser Aufsatz soll im vorliegenden Blogbeitrag ausgewertet werden.

Abb. 1: Die Eroberung der Cucuteni-Tripolje-Kultur in der heutigen Ukraine und in Siebenbürgen durch die Indogermanen bildete den Ausgangspunkt für die Ausbreitung der Indogermanen nach Norden, Westen, Süden und Osten (aus siehe: 11)

Er ist mit der Frage befaßt: Wie kann man sich den Modus der Ausbreitung der Indogermanen über Europa hinweg während der vielen Jahrhunderte des Spätneolithikums und der Frühbronzezeit genauer vorstellen? 

Diese Frage spielt ja ebenfalls in Diskussionen rund um das Buch von Vladimir Dergachev von 2007 eine Rolle (s.a.: 2). Und auch der oft so treffende Metaphern verwendende deutsche Archäologe Volker Heyd hatte zu diesem Thema 2016 einen größeren Aufsatz veröffentlicht (3). Der Aufsatz von David Anthony kann aber - wiederum aufgrund neuer archäogenetischer Erkenntnisse - mit sehr viel konkreterem aufwarten als dies bislang in der Forschung möglich gewesen ist.

Anthony schreibt in seiner Studie (Anthony 2021) (1):

Einer der bemerkenswertesten Aspekte der Ausbreitung der Jamnaja-Kultur nach Mitteleuropa hinein war der Umstand, daß Menschen, die vornehmlich der einwandernden Schnurkeramik-Kultur angehörten und Menschen der örtlichen Kugelamphoren-Kultur genetisch getrennt voneinander blieben über Jahrhunderte hinweg (Wang et. al. 2018), indem sie sich in unterschiedlichen Teilen derselben Landschaft ansiedelten (Czebreszuk and Szmyt 2011; Machnik 1999).
One of the remarkable aspects of the Yamnaya migrations into central Europe was that  people of the largely-immigrant-descended Corded Ware and mostly local Globular Amphorae cultures remained genetically quite distinct for centuries (Wang et al. 2018) while occupying different parts of the same landscape (Czebreszuk and Szmyt 2011; Machnik 1999).

Tatsächlich paßt diese Erkenntnis hervorragend zu den Eindrücken, die wir zum kulturellen Umbruch auf der jütländischen Halbinsel in Zusammenhang mit der dortigen Zuwanderung der Kugelamphoren-Kultur um 3.000 v. Ztr. in den letzten Jahren gesammelt hatten (4), und die wir in diesen Blogbeitrag unten noch einmal übernehmen wollen. Es schien uns schon dort, als ob ein großes Heer in die jütländische Halbinsel zugewandert sei, das sich aus unterschiedlichen kulturellen, ethnischen Gruppen zusammen setzte, die dann auch in unterschiedlichen Gegenden der jütländischen Halbinsel mehr oder weniger getrennt voneinander angesiedelt wurden, zum Teil neben noch verbliebenen einheimischen Bevölkerungen (4).

Jahrhundertelange Parallel-Gesellschaften

Es erinnert uns dies an die Herkunftsregionen bestimmter entscheidender Fundgegenstände auf dem Schlachtfeld der Tollense in Mecklenburg (1300 v. Ztr.), die auch einesteils aus dem südöstlichen und andernteils aus dem westlichen Mitteleuropa stammten, also aus zwei unterschiedlichen kulturellen Großregionen. Daraus hatte sich ein kriegerisches Szenario gegeben, das wir anhand einer Studie des dänisch-schwedischen Archäologen Kristian Kristiansen in einem Blogartikel umrißhaft gezeichnet hatten (Titel: "Der große europäische Krieg, der zum Seevölkersturm führte")(5).

Weiterhin häufen sich in den letzten Jahren Hinweise darauf, daß wir es schon im Mittelneolithikum in ganz Europa mit Königreichen, mit einem Hochadel, mit staatlichen Strukturen und mit Großreichen zu tun haben könnten (6-8).

Es könnte also schon ab dem Mittelneolithikum Großreiche gegeben haben, die Stämme unterschiedlicher kultureller und genetischer Herkunft (oder unterschiedlicher Herkunftsanteile) unter ihrer Herrschaft vereinigten. Dabei könnte die ethnische Herkunft des Herrschers oder der Herrscher-Familie zweitrangig gewesen sein für die mittelfristigen populationsgenetischen Auswirkungen, die sich einerseits aus internen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Großreichen, wie auch aus expansiven Eroberungszüge derselben nach außen hin mit sich bringen konnten.

Damit soll gesagt werden: Indogermanische Söldner (genauer: Söldner mit "Steppen-Genetik") können unter einer Herrscherfamilie anatolisch-neolithischer Herkunft gedient haben wie umgekehrt Söldner anatolisch-neolithischer Herkunft unter einer indogermanischen Herrscherfamilie gedient haben können. Und bekanntlich konnten indogermanische Adelsfamilien schon sehr früh auch in anatolisch-neolithische Adelsfamilien einheiraten (zum Beispiel bei den Herrschern von Varna am Schwarzen Meer um 4.500 v. Ztr.), wodurch es zu unterschiedlichen Herkunftsanteilen in den nachfolgenden Generationen in diesen Herrscherfamilien kommen konnte.

Ethnien leben auf engem Raum zusammen, ohne sich zu vermischen

Zu dieser Beobachtung würde passen, daß die Archäologen ja auch in Mitteldeutschland (z.B. in Hessen) schon seit Jahrzehnten so verwunderlicher Weise ein ihnen bislang so rätselhaftes, vergleichsweise enges, paralleles, "verzahntes" Nebeneinanderher-Existieren von Angehörigen der Schnurkeramik-Kultur und Angehörigen der Glockenbecher-Kultur beobachtet haben. Noch eine Studie von 2016 "raunt" diesbezüglich dunkel von einem "dialektischen Verhältnis" zwischen beiden Kulturen, ohne dieses "Verhältnis" verständlich und eingängig erklären zu können (9). Ein solches oft friedliches Nebeinander-Siedeln unterschiedliche Stämme, die auch über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg voneinander kulturell und genetisch getrennt bleiben, kann ja insbesondere in Großreichen unter einem Großkönig sehr gut möglich sein und ist in diesen nicht selten - historisch bezeugt - verwirklicht worden.*)

Auch zum Beispiel auf der Halbinsel Krim kann noch in der Antike mittels der Archäologie und der antiken Schriftquellen beobachtet werden (10), wie hier über die Jahrhunderte hinweg neben den griechischen Stadtstaaten, also den griechischen Kolonien an der Küste im Inland sich skythische Stämme ansiedeln konnten, regiert von einem König der Skythen, die im Austausch ebenso wie im Krieg mit diesen Städten stehen könnten. Und es kann beobachtet werden, wie die Skythen in der Endzeit von den Sarmaten dabei entweder militärisch unterstützt oder militärisch besiegt werden konnten, was beides auch eine Ansiedlung von Sarmaten auf der Halbinsel Krim mit sich bringen konnte. Damit hatte man dann mindestens drei Herkunftsgruppen, die auf der Halbinsel Krim gleichzeitig in der Antike nebeneinander lebten. Wobei die Fernhandels-Verbindungen zum Beispiel der Sarmaten - bis nach China hinein und bis nach Ägypten - noch einmal ganz andere sein konnten als die zuvor am Ort ansässigen Einwohner (10).

Jedenfalls: In solchen Großreichen kann dann auch über die Jahrhunderte hinweg die ethnische Zugehörigkeit der herrschenden Schicht und des Königshauses unterschiedlicher Art sein. Man kann hier gerne auch an die Endzeit des römischen Reiches denken. Kaiser und Heerführer provinzialrömischer Herkunft wechselten ab mit Heerführern germanischer Herkunft, die sich schließlich von ihren Stämmen auch zu Königen ausrufen lassen konnten und die entweder die Oberherrschaft des oströmischen Kaisers in Byzanz durch Steuer- und Tributzahlungen anerkannt haben - oder auch nicht. Was jeweils Folgen haben konnte - oder auch nicht.

Auch in der Endzeit des römischen Reiches gab es Schwerpunkte für die Ansiedlung germanischer Stämme auf provinzialrömischen Gebiet.

Und ähnliche Ansiedlungsmuster scheinen sich auch in der Auseinandersetzung der indogermanischen Steppen-Hirtenvölker mit der ihnen westlich gelegenen, reichen Cucuteni-Tripolje-Kultur ergeben zu haben (3, 11): Indogermanische Stämme wurden innerhalb des Siedlungsgebietes der Bauern- und Stadt-Kulturen angesiedelt und lebten mehr oder weniger friedlich neben den einheimischen Bauern. Natürlich konnten die angesiedelten Krieger auch als Söldner genutzt werden zu Kriegen zwischen einzelnen bäuerlichen Teilstämmen (Fürstentümern, Städten) der Cucuteni-Tripolje-Kultur. Und natürlich konnte sich durch ihre Ansiedlung über die Jahrhunderte hinweg auch die vorherrschende Wirtschaftsweise der bäuerlichen Kultur selbst ändern, von schwerpunktmäßigem Ackerbau zu schwerpunktmäßiger Herdenhaltung (11). Auch konnte sich die Kultur durch erste Einmischungen der Zuwanderer sowohl genetisch und kulturell neu formieren (11). Das brauchte dann aber - über die Jahrhunderte hinweg - nicht die letzte Zuwanderung gewesen sein.

Ähnliches ist nun also auch für einen inzwischen gut erforschten, frühen Siedlungsraum der schnukeramischen Kultur zu beobachten, nämlich für die Landschaft Kujawien (Wiki). Diese liegt südlich der Weichsel zwischen den nachmaligen Städten Bromberg, Thorn und Leslau (Włocławek). Und diese Landschaft sollte auch noch in späteren Jahrtausenden ein Kernraum der Siedlungstätigkeit von zuwandernden Völkern werden (zum Beispiel der Goten oder der Wikinger). Die Landschaft liegt in den einstigen deutschen Provinzen Westpreußen und Posen und wurde nach 1200 zusätzlich zu der dort einheimischen polnischen Bevölkerung auch von Deutschen besiedelt. Die Provinzen wurden mal vom Deutschen Ritterorden beherrscht (bis 1466), mal vom polnischen König (bis 1772), mal vom König von Preußen (bis 1918). Die Ethnien lebten in den genannten Jahrhunderten dennoch meistens friedlich nebeneinander.*) So womöglich auch schon zwei unterschiedliche Ethnien in diesem Raum im Spätneolithikum. Vielleicht haben ja die Vorfahren der Polen seit jener Zeit des Spätneolithikums bis heute in genetischer und sprachlicher Kontinuität in diesem Raum gelebt. Anthony jedenfalls schreibt über die Zeit um 3.000 v. Ztr. (1):

Die Zuwanderer brachten eine neue Wirtschaftsweise mit sich. In die Landschaft Kujawien konnten die Archäologen infolge des Baus von Autobahnen und Gasleitungen umfangreiche Untersuchungen vornehmen. Die Schnurkeramik brachte hierher ein größeres Ausmaß von Siedlungsmobilität als eine solche jemals zuvor daselbst bestanden hatte (Czebreszuk and Szmyt 2011: Fig.11). Die Kontinuität von Siedlungen ist bewertet worden anhand des Zählens von drei Kategorien von Merkmalen: Bodenvertiefungen (Pfostenlöcher, Gruben), Tierknochen und Keramikscherben. Die kurzzeitigen Schnurkeramik-Siedlungen hatten weniger Bodenvertiefungen, weniger Tierknochen und deutlich weniger Keramikscherben pro Quadratmeter als jede vorhergehende oder jede nachfolgende archäologische Kultur, einschließlich der zeitgleichen und genetisch unterschiedlichen Kugelamphoren-Kultur, die die Landschaft Kujawien mit den Schnurkeramik-Herdenhaltern teilte.
A new economy also was imported by the migrants. In the Kujavia region in Poland, where large surface areas were stripped by archaeologists in connection with highway and pipeline construction, the Corded Ware economy introduced a higher level of settlement mobility than had existed before (Czebreszuk and Szmyt 2011: Fig.11). Settlement stability was measured by counting three classes of material culture: pit features, animal bones, and pottery sherds. Ephemeral Corded Ware settlement sites had fewer pit features, fewer animal  bones, and markedly fewer pottery sherds per square meter than any previous or succeeding archaeological culture, including the contemporary and genetically distinct Globular Amphorae culture, which shared the Kujavia landscape with the Corded Ware pastoralists.

Anthony weiter (1):

Das Volk der Schnurkeramiker war genetisch unterschiedlich, führte ein neues Ausmaß von Herdenhalter-Mobilität in dieser Landschaft ein, es beanspruchte andere Teile der Landschaft und es blieb während des ersten Drittels des dritten Jahrtausends v. Ztr. größtenteils über Jahrhunderte hinweg von den meisten der einheimischen Gemeinschaften getrennt.
The Corded Ware population was genetically distinct, it introduced a new level of pastoral mobility to this region of Poland, it claimed a different part of the topography, and it remained largely separate from most of the local communities for centuries during the early third millennium BCE.

Die Schnurkeramiker hätten sich vom Karpatenbecken aus in die Berge der Slowakei Richtung Norden ausgebreitet (1):

Archäogenetische Gesamtgenom-Sequenzierungen bezeugen, daß die Heiratsnetzwerke der einwandernden Schnurkeramiker und der örtlichen Kugelamphoren-Kultur über 500 Jahre hinweg getrennt voneinander blieben, obwohl sie in derselben Gegend lebten.
Whole genomes testify that immigrant Corded Ware and local Globular Amphorae mating networks remained largely distinct and separate for 500 years while they shared the same landscapes.

Diese neuen Angaben lasse in der Tat tief in die Geschichte blicken. Sie eröffnen Perspektiven auf das, was in der Zeit des Spätneolithikums und der Bronzezeit möglich gewesen ist. Und zu diesen Ausführungen paßt geradzu nahtlos das, was wir schon in einem früheren Blogartikel (4) veröffentlicht hatten, was aber thematisch genau auch in diesen Blogartikel hinein paßt. Es soll hier auch noch einmal eingestellt sein.

Bewirken die Indogermanen den Rückgang der Wälder?

Ob diesen Erkenntnissen auch noch eine andere Erkenntnis zugeordnet werden kann, nämlich daß die herdenhaltenden Indogermanen zum Rückgang der Wälder beigetragen haben, wo immer sie hingekommen sind? Immerhin könnte damit plausibel gemacht werden, daß sie neben den Ackerbau treibenden Kulturen deshalb "Platz" fanden zu leben, weil sie sich diesen eben dort schufen, wo es zuvor Wälder gegeben hat. Jedenfalls legt das eine Studie nahe, die 2020 erschienen ist (15). In dieser wurde die Verbreitung und Häufigkeit von Pflanzen-Pollen in einer vorgeschichtlichen Epoche untersucht (15):

Jüngste Pollen-basierte Studien legen nahe, daß es einen dramatischen Rückgang von Laubwäldern gegeben hat zwischen 6.000 v. Ztr. und heute. Dieser Rückgang intensivierte sich um 200 v. Ztr. als diese Wälder über den gesamten Kontinent hinweg durch Wiesen und Ackerland ersetzt worden sind. Dieser Prozeß vollzog sich allerdings nicht in der gleichen Geschwindigkeit in allen Regionen. Während zum Beispiel ein beträchtlicher Rückgang an Laubwäldern ab 2.000 v. Ztr. in Mitteleuropa festzustellen ist, waren die Regionen nahe des Atlantik schon früher zu halboffenen Landschaften umgewandelt worden aber im südlichen Skandinavien gab es einen viel weniger starken Rückgang derr Bewaldung, zumindest bis zum Mittelalter.
Recent pollen-based studies suggest that a dramatic reduction of broad-leaf forests occurred from about 6,000 BC until the present. This deforestation intensified from around 2,200 BP, resulting in a replacement of these forests by grassland and arable land throughout the continent (18, 19). These processes, however, did not occur at the same rate throughout all regions. For example, while considerable decreases in broad-leaf forests occurred in central Europe starting around 4,000 BP, the Atlantic seaboard was predominantly occupied by semiopen vegetation since well before this time, while southern Scandinavia experienced less significant reductions in forest cover, at least until the Middle Ages (19–21).

Und (15):

Wir stellen keinen starken Rückgang der Bewaldung im nördlichen und in Mitteleuropa vor der Bronzezeit fest. (...) Das Vorherrschen von Jäger-Sammler-Herkunft ist positiv korreliert mit Laubwald-Vegetation, während das Vorherrschen von Steppen-Herkunft negativ mit Laubwald-Vegetation korreliert und positiv mit Weide- und Ackerland. Ebenso finden wir Korrelationen zwischen dem Klima und der Veränderung der Pflanzendecke.
We did not observe a strong decrease in forest vegetation in Northern and Central Europe until the Bronze Age. (...) We generally fit HG ancestry as positively associated with broad-leaf vegetation, while YAM ancestry was negatively associated with broad-leaf forest vegetation and positively associated with grassland and arable land. We also found associations between climate and changes in land-cover type.

Vor zehn Jahren hatten wir unseren Artikel veröffentlicht "3.100 v. Ztr. - Der Rinderwagen in der Weltgeschichte". Er handelte von damals neu gedeutete n Rinderwagen-Gräbern in Norddänemark. 

Völker im Umbruch auf der dänischen Halbinsel - als Beispiel

Wir hatten dort in einer Nebenbemerkung festgehalten (8):

Wagenräder als Grabgut kennt die "Majkop-Kultur" am Westkaukasus schon zwischen 3.700 und 3.000 v. Ztr.. (...) Die neue Studie läßt sogar die Vermutung verschiedener Forscher anklingen, daß die parallelen Erscheinungen von Wagengräbern zwischen Westkaukasus und Norddänemark ähnlich wie die nachfolgende Ausbreitung der Indogermanen (...) auf großflächigen kulturellen oder sogar bevölkerungsmäßigen Ausbreitungsbewegungen beruht haben könnte. 

Zu unserer Überraschung findet sich inzwischen in einer neuen archäologischen Studie, daß diese Rinderwagen-Gräber in Dänemark zeitgleich auftreten mit der Schnurkeramik-Kultur, also mit den Indogermanen (12):

Um 3.100 v. Ztr. breitet sich das Kugelamphoren-Phänomen mit seiner eigenen groben Keramik, Äxten, Dechsel-Typen ebenso wie Rindergräbern vom Südosten ins nördliche Jütland aus. Zur selben Zeit entwickelt sich das Phänomen der Einzelgrabkultur, räumlich verteilt in unterschiedlicher Intensität mit seinen eigenen Formen sozialer Organisation und seinen eigenen Symbolen sowie mit der Betonung auf einem zweiten Monumenten-Boom oder vielleicht auch auf der Rolle von Kriegern.
In 3100 BCE, the Globular Amphora phenomenon, with its own coarse ware, axe and adze types, as well as cattle burials, spreads from southeast to northern Jutland. At the same time, the phenomenon of the SGC develops, spatially in different intensities, with  its own forms of social organization and its own symbols, such as emphases on a second  monumental boom or perhaps on the role of warriors.

Im Süden der dänischen Halbinsel tritt diese Einzelgrabkultur ab 2.950 v. Ztr. auf, im Norden der dänischen Halbinsel ab 2.750 v. Ztr. (Abb. 1).

Der Begriff "Dunkle Jahrhunderte" (Wiki) wird auf eine Phase der Geschichte Griechenlands zwischen 1200 und 800 v. Ztr. angewendet. Für diese Zeit nach dem "Seevölkersturm" beobachten Archäologen fundarme Jahrhunderte in Griechenland. Diese Jahrhunderte markieren dort den Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit, den Untergang des mykischen und die Entstehung des klassischen Griechenland. Ähnliche "Dunkle Jahrhunderte" werden nun auch im Zusammenhang der Zuwanderung der Indogermanen nach dem heutigen Norddeutschland und Dänemark festgestellt (12):

Neue Studien über die Umweltveränderungen, das Ausmaß der Bewaldung, die Zahl der Großbauten (Monumente) und allgemein über den wirtschaftlichen Wandel haben eine Periode aufscheinen lassen zwischen 3.100 und 2.800 v. Ztr., in der keine neuen Monumente errichtet werden, und in der ein Rückgang des menschlichen Einflusses auf die Landschaft sowohl im nördlichen Deutschland als auch im südlichen Teil der dänischen Halbinsel festzustellen ist.
Original: New studies on environmental change, the degree of opening up of the land, the quantities of monuments, and economic change have shown a period between ca. 3100 and 2800 BCE without monumental building activity and a decrease in human impact on the environment in northern Germany and the southern part of  the Cimbrian peninsula.

Fast ein ähnlicher Vorgang wie er nach 3.500 v. Ztr. für die Cucuteni-Tripolje-Kultur festzustellen is.!

Auf diesen "Hiatus", bzw. Bevölkerungsrückgang in Europa während der Zeit der Ankunft der Indogermanen wird neuerdings auch von Seiten des Archäogenetikers Johannes Krause in seinem inhaltsreichen Buch "Die Reise unserer Gene" hingewiesen (13). Genau in diese Zeit der "Dunklen Jahrhunderte" fällt nun das Auftreten eines (neuen) Keramiktyps, der schon in den 1950er Jahren nahe des dänischen Ortes Store Valby gefunden wurde. Er wird deshalb "Store Valby Keramik" genannt. Diese Keramik war in ganz Dänemark, ebenso in Ostholstein ("Wagrien") und bis nach Dithmarschen verbreitet.

Abb. 2: Chronologische Einordnung der "Store-Valby-Übergangsgesellschaften auf der dänischen Halbinsel (aus: 12)

Dieser Keramiktyp wird in einer neuen Studie deutscher Archäologen als Keramiktyp der Zeit des Übergangs, der Zeit der "Dunklen Jahrhunderte des Nordens" gekennzeichnet. Und man glaubt, mit diesem fehlenden Puzzleteil nun die Kulturabfolge in diesem Raum noch genauer zeitlich, räumlich und kulturell einordnen zu können (s. Abb. 2). Dabei ist zu berücksichtigen, daß in nördlichen Teilen der jütländischen Halbinsel bis 2.700 v. Ztr. interessanterweise sogar noch die Grübchenkeramik-Kultur ("Pitted Ware Societies"; Abb. 2) fortbestand, also die Kultur jenes Jahrzehntausende Jahre alten Volkes westeuropäischer Jäger, Sammler und Fischer, das sich für den westlichen Ostseeraum hier mit seinen letzten Rückzugsorten bis zur Ausbreitung der Indogermanen hielt. (Etwas später ging dieses Volk auch im östlichen Ostseeraum unter.) Das Ergebnis der Studie lautet nun für die Viehzucht und ackerbautreibenden Kulturen (12):

In der Zeit 3.100 bis 2.900 v. Ztr. hatten die Menschen Zugang zu Keramik der Trichterbecherkultur, der Kugelamphorenkultur und der (regionalen) Store Valby-Keramik.
In  the  period 3100-2900 BCE, people could have had access to Bundsø/Lindø, Globular Amphora and Store Valby ceramics. 

Das könnte heißen, daß in dieser Zeit der "Landnahme" Menschen ganz unterschiedlicher kultureller und ggfs. auch genetischer Herkunft neben einander lebten. Im weiteren Verlauf, in der Zeit von 2.900 bis 2.600 v. Ztr. kam zu der soeben beschriebenen, schon vorhandenen Keramik noch die Keramik der Schnurkeramiker dazu (in Abb. 1 "Single Grave Societies", sprich Einzelgrab-Kultur). Die kulturellen Spuren der Kugelamphorenkultur verlieren sich aber hinwiederum nach 2.700 v. Ztr. im Norden ebenso wie die der Grübchenkeramik-Kultur. Nur die Kultur der Schnurkeramik bleibt übrig.

Unsere Frage, bzw. Vermutung, bzw. Deutung: War das etwaige Großreich der Kugelamphoren-Kultur von den Indogermanen aus dem Osten erobert worden, haben diese Indogermanen Teile des Heeres des Großreiches der Kugelamphoren-Kultur in ihr eigenes Heer aufgenommen und haben wurden während der Landnahme auf der dänischen Halbinsel unterschiedlichen Heeresteilen unterschiedliche Siedlungsräume zugeordnet? Das ist jedenfalls das, was sich uns in diesen Zusammenhängen schemenhaft andeutet.

2.800 v. Ztr. - Die Indogermanen sind da

Erst als also die Indogermanen ab 2.800 v. Ztr. als Schnurkeramiker - womöglich in großen Heerzügen gemeinsam mit Kriegern der Kugelamphoren-Kultur - den westlichen Ostseeraum erobern, verlieren sich dort die kulturellen und genetischen Spuren der großartigen Völkergruppe der westeuropäischen Fischer, Jäger und Sammler, die sich dort lange als Ertebolle-Kultur (Wiki) und zuletzt als Grübchenkeramische Kultur ("pitted ware culture") (Wiki) gehalten hatte.

Zu dieser Zeit brachten die Schnurkeramiker den Ackerbau auch nach Finnland, also in den östlichen Ostseeraum. 

Es deutet inzwischen immer mehr darauf hin, daß hier sowohl in Form der anatolisch-neolithischen Trichterbecher- und Kugelamphoren-Kultur wie auch auf Seiten der Indogermanen staatliche Strukturen vorlagen, wie sie am ehesten in der Eisenzeit "Altitaliens" greifbar werden, das heißt, mit einer kriegerischen Adelsschicht, die sich Steinstelen als Grabsteine setzte, freien "Patriziern" und dem einfachen Volk, sowie auch Sklaven und Kriegsgefangene.

2.700 v. Ztr. - Die letzten einheimischen Fischer auf Gotland nehmen die indogermanische Streitaxt-Kultur an

Auf der Insel Gotland haben zwischen 3.300 v. Ztr. und 2.700 v. Ztr. Menschen der bäuerlichen Trichterbecherkultur gelebt, die mehrheitlich anatolisch-neolithischer genetischer Herkunft waren. Im Verlauf des Untergangs dieser bäuerlichen Trichterbecherkultur durch die Zuwanderung der Schnurkeramischen Kultur von Süden her bis nach Dänemark hinein, wurde diese Kultur ab 2.700 v. Ztr. noch einmal ersetzt von jenem im skandinavischen Raum schon viel länger einheimischen Fischer-Volk mesolithischer, genetischer Herkunft. Es war dies das Volk der Grübchenkeramischen Kultur. Was für ein verrückter Vorgang!

Die Archäologen hatten nämlich schon länger beobachtet, daß diese Grübchenkeramische Kultur auf Gotland zwischen 2.900 und 2.500 v. Ztr. etwa zur Hälfte Grabsitten und Grabausstattungen jener indogermanischen Streitaxt-Kultur angenommen hatte, die sich in dieser Zeit rund um den Ostsee-Raum ausgebreitet hat. Eine archäogenetische Studie von 25 Skeletten der Insel Gotland aus dem Juni 2020 zeigt nun auf, daß die dortigen Menschen der Grübchenkeramischen Kultur, die teilweise mit Streitäxten und in Hockerstellung begraben wurden, aus genetischer Sicht von skandinavischen Fischer-, Jäger und Sammler-Populationen abstammen (14) (Abb. 3). Vielleicht waren diese Menschen als "Verbündete" des Königs oder Fürsten der Streitaxt-Kultur sehr bewußt von anderen Gegenden her um- und auf Gotland angesiedelt worden.

Abb. 3: Die kulturell von der Streitaxt-Kultur beeinflußten Grübchenkeramischen Gräber auf Gotland (rote und orangene Dreiecke) waren genetisch identisch mit sonstigen Grübchenkeramischen Gräbern in Skandinavien. Insgesamt standen diese letzten Jäger und Sammler Skandinaviens genetisch den westeuropäischen Jägern und Sammlern näher als den osteuropäischen (aus: 14).

Zwölf der von der Insel Gotland sequenzierten Skelette waren jedenfalls in der typischen Rückenlage der Grübchenkeramischen Kultur bestattet, elf dieser Skeletten waren in der typischen Hockerlage der Streitaxt-Kultur bestattet. Letzteren war auch eine entsprechende typische Streitaxt beigegeben worden. Alle diese Skelette wiesen aber einheitliche, einheimische mesolithische, skandinavische Genetik auf. Trotz ihrer Streitaxt-Grabkultur hatten alle diese Menschen sich vornehmlich von Meerestieren ernährt, was untypisch ist für die Herdenhalter der Streitaxt-Kultur (14).

Manches spricht dafür, daß diese kulturell von der Streitaxt-Kultur überformten Menschen auf Gotland aus dem 3. Jahrtausend v. Ztr. als die geschichtlich letzten Vertreter der einstmals so großen Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler angesprochen werden können (4). Aber das ist nicht Thema des vorliegenden Blogbeitrages. 

Sein Thema ist: Alte Völker gehen, neue Völker kommen. Dadurch wird die Kultur und Genetik Europas in einer solchen Weise umgeformt wie sie dann in den Grundzügen bis heute weiter bestanden hat, ohne daß es seither noch einmal zu einer sehr großen, europaweiten Umwälzung gekommen wäre.

/ Ergänzt durch Ausführungen 
zu Lit.angabe 15: 18.6.2021 /

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*) Zum Beispiel in den ehemals deutschen Provinzen Westpreußen und Posen hat es ein solches Zusammenleben mehrerer Ethnien auf engem Raum über 800 Jahre hinweg gegeben, ähnlich in Siebenbürgen oder im Sudentenland.
**) 16.9.21: Soeben ist eine Veröffentlichung in "Nature" unter anderem von David Reich und David Anthony erschienen (Nature, 15.9.21), in der wir wenigstens den Titel erfahren:
- Anthony, D. W. et al. The Eneolithic cemetery at Khvalynsk on the Volga River. Praehistorische Zeitschrift (in the press).
Außerdem enthält diese Veröffentlichung natürlich Spannendes aus erster Hand, das wir anderwärts auswerten.

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  1. Anthony, David: Migration, ancient DNA, and Bronze Age pastoralists from the Eurasian steppes. In: Daniels, Megan (ed.), Homo Migrans: Modeling Mobility and Migration in Human History. Albany: SUNY-Press, IEMA Distinguished Monograph Series. In press, Januar 2021 (Academia
  2. Dergačev, V. A. Kulturelle und historische Entwicklungen im Raum zwischen Karpaten und Dnepr. Zu den Beziehungen zwischen frühen Gesellschaften im nördlichen Südost-und Osteuropa. na, In: B Hänsel, J Machnik: Das Karpatenbecken und die osteuropäische Steppe: Nomadenbewegungen und Kulturaustausch in den vorchristlichen Metallzeiten (4000–500 v. Chr.),  Rahden/Westf, 1998 (im Internet offenbar nicht verfügbar)
  3. Heyd, Volker M. (2016). Das Zeitalter der Ideologien: Migration, Interaktion & Expansion im prähistorischen Europa des 4. und 3. Jahrtausend v. Chr.. In: M. Furholt, R. Grossmann, & M. Szmyt (Eds.), Transitional Landscapes? The 3rd Millennium BC in Europe: Proceedings of the International Workshop "Socio-Environmental Dynamics over the Last 12.000 Years: the Creation of Landscapes III (15th-18th April 2013)" in Kiel. (Vol. 292, pp. 53-85). (Universitatsforschungen zur Prahistorischen Archaologie; Vol. 292). Bonn: Habelt (freies pdf)
  4. Bading, Ingo:  Die westeuropäischen Fischer, Jäger und Sammler - Eine großartige europäische Völkergruppe - Ihre Geschichte und ihr Ende, 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/06/die-westeuropaischen-jager-und-sammler.html
  5. Bading, Ingo: Der große europäische Krieg, der zum Seevölkersturm führte, 18. Oktober 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/10/volker-und-groreiche-in-bewegung-europa.html 
  6. Bading, Ingo:  Königreiche im Elb-Saale-Gebiet - Seit dem Mittelneolithikum und in der Bronzezeit Herrschaftszentren und Reiche, 9-2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/07/das-fruhbronzezeitliche-konigreich-im.html
  7. Bading, Ingo:  "Eine dynastische Elite in der Megalithkultur" Europas (3.500 v. Ztr.) - Waren die Megalith-Gräber Grablegen von Großkönigen? - Königsdynastien und ihre Städte im europäischen Mittelneolithikum (4200 bis 3100 v. Ztr.), 6/2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/05/die-hausmaus-breitete-sie-sich-mit-dem.html
  8. Bading, Ingo:  3.100 v. Ztr.: Der Rinderwagen in der Weltgeschichte - Prozessionen an Königsgräbern lassen um 3.100 v. Ztr. staatliche Strukturen in Norddänemark erkennen, 2010, https://studgendeutsch.blogspot.com/2010/10/3100-v-ztr-der-rinderwagen-in-der.html
  9. Ralph Großmann: Das dialektische Verhältnis von Schnurkeramik und Glockenbecher zwischen Rhein und Saale (= Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie. Band 287 = Human Development in Landscapes. Band 8). Habelt, Bonn 2016 (freies pdf)
  10. Zuhar', Vitalij M.: Späte Skythen und Sarmaten. In: Rolle, Renate; Müller-Wille, Michael; Schietzel, Kurt (Hrsg.): Gold der Steppe - Archäologie der Ukraine. [Archäologisches Landesmuseum der Christian-Albrechts-Universität Schleswig und Archäologisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR Kiev. In Zusammenarbeit mit dem Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Georg-August-Universität Göttingen und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Wachholtz, Neumünster 1991, S. 209-214
  11. Bading, Ingo:  Die Indogermanen kommen nach Siebenbürgen (3500 v. Ztr.), 12-2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/12/die-indogermanen-foderaten-fruher.html
  12. Brozio, Jan Piet et al. The Dark Ages in the North? A transformative phase at 3000–2750 BCE in the western Baltic: Brodersby-Schönhagen and the Store Valby phenomenon. Journal of Neolithic Archaeology, [S.l.], v. 21, p. 103–146, dec. 2019. ISSN 2197-649X. Available at: <http://www.jna.uni-kiel.de/index.php/jna/article/view/181>. Date accessed: 19 dec. 2019. doi: https://doi.org/10.12766/jna.2019.6.
  13. Krause, Johannes: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Berlin 2019 
  14. The Neolithic Pitted Ware culture foragers were culturally but not genetically influenced by the Battle Axe culture herders. Alexandra Coutinho, Torsten Günther, Arielle R. Munters, Emma M. Svensson, Anders Götherström, Jan Storå, Helena Malmström, Mattias Jakobsson. American Journal of Physical Anthropology, First published: 04 June 2020 https://doi.org/10.1002/ajpa.24079, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ajpa.24079?campaign=wolearlyview
  15. The spatiotemporal spread of human migrations during the European Holocene. Fernando Racimo, Jessie Woodbridge, Ralph Fyfe .... Marc Vander Linden. In: PNAS, April 2020, DOI: 10.1073/pnas.1920051117 (Rg)

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