In Kassel hat es in den letzten Tagen ein ziemlich spannendes öffentliches Rätselraten gegeben um die Herkunft von inzwischen 60 Skeletten, die auf einer Baustelle auf dem Universitäts-Gelände entdeckt wurden. (www.hna.de/kassel.html) Die Vermutungen der Polizei und verschiedener Hobby-Stadthistoriker richteten sich zunächst auf die Endphase des Zweiten Weltkrieges, man vermutete ermordete Zwangsarbeiter oder Bombentote. *) Auch die frühen 1920er Jahre waren "irgendwie" im Gespräch.
Allerdings wiesen die Skelette keinerlei Verletzungen auf. Auch Beifunde wie Knöpfe, Schnallen oder anderes fehlten gänzlich. Die Skelette waren, was offenbar zunächst wenig beachtet worden war, mit ordentlich gefalteten Händen niedergelegt worden.
Allerdings wiesen die Skelette keinerlei Verletzungen auf. Auch Beifunde wie Knöpfe, Schnallen oder anderes fehlten gänzlich. Die Skelette waren, was offenbar zunächst wenig beachtet worden war, mit ordentlich gefalteten Händen niedergelegt worden.
Anthropologen und Rechtsmediziner der Universität Gießen wurden hinzugezogen. Sie wollten nicht ausschließen, daß die Skelette auch deutlich älter als 50 Jahre sein könnten, allerdings nicht älter als 500 Jahre.
Typhus-Epidemie von 1814
So ziemlich den Ausschlag gegeben haben aber dann überraschend die Nachforschungen des Stadthistorikers Christian Presche, über die gestern, am 25.1., in der Zeitung berichtet wurde, die er selbst aber schon am 22.1. auf seiner Netzseite veröffentlicht hatte. (www.hna.de/kassel.html, Christian Presche) Er fand also nach Bekanntwerden der Skelette sehr schnell einen Kasseler Zeitungsbericht von 1866, der von einer Typhus-Epidemie in Kassel im Jahr 1814 berichtet, als in unmittelbarer Nähe des Fundortes die Typhus-Kranken in einem Militär-Lazarett starben:
„Im Jahr 1814 brach in unserer Vaterstadt in einem ungewöhnlich hohen Grad in Folge der Durchmärsche von bedeutenden Truppenmassen ein sehr heftiger bösartiger Typhus aus, welcher viele Einwohner hinwegraffte. Da das damalige Militär-Hospital, die Charité, nicht mehr zur Unterbringung aller Militärkranken ausreichte, so wurde diese Kaserne [auf dem Platz vor der heutigen Schule Am Wall an der Bremer Straße] sofort zu einem Militärlazareth verwendet, und es findet sich kein Gebäude in Cassel, aus welchem so viele Seelen in das Jenseits hinübergegangen sind, als aus diesem Hause; ja man hatte bei der überhand genommenen großen Sterblichkeit, um die Todten nicht die Treppen heruntertragen zu müssen, an der nordöstlichen Seite, dem Hofe zu, eine sogenannte Rutschbahn angebracht, auf welcher die Leichname in die daruntergefahrenen Kastenwagen, ohne die geringste Bekleidung, gleich weiter zur Ruhestätte befördert wurden.“Diese These hatte Presche also schon am 22.1. auf seiner Netzseite veröffentlicht, während in der HNA und bei der Polizei noch tagelang andere Vermutungen vorherrschend. Schließlich überzeugte sie aber auch den Stadtarchivar Frank-Roland Klaube. Und inzwischen (25.1.) hat die Polizei die Ermittlungen aufgegeben. Die Skelette werden nun als archäologische Funde betrachtet und behandelt.
(Aus Wagner: Die bisherige Schützenkaserne oder das alte Modellhaus, in: Casseler Tages Post 1866, Nr. 1336, zitiert nach Alois Holtmeyer: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. VI, Kreis Cassel-Stadt, S. 545f.)
- Ich frage mich: Müssen es immer erst "mysteriöse" Skelette sein, damit es zu solch einem eifrigen, gemeinsamen öffentlichkeitswirksamen Nachforschen bezüglich wissenschaftsrelevanter Dinge kommt? ...
(Siehe auch: FAZ)
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*) Die Henschel-Werke, in denen noch in den Endtagen des Zweiten Weltkrieges der berühmte deutsche Tiger-Panzer gebaut wurde und von dort fast täglich neu an die kämpfenden Divisionen in Westdeutschland geliefert wurde, lagen ganz in der Nähe. (Buch: "Panzer aus Kassel", 1994; Netzseiten: 1, 2)
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