Der Film "Drachenläufer" nach dem gleichnamigen, 2004 erschienenen Roman-Bestseller von Khaled Hosseini, der am 17. Januar in den deutschen Kino's angelaufen ist, ist wirklich gut. Ein wirklich guter Film. Man erfährt zum ersten mal (!) etwas von dem traditionellen Denken in den Stämmen Afghanistan's, insbesondere bei den Paschtunen, ein Denken in den Kategorien von Ehre und Respekt, das sich auch bei modern denkenden Paschtunen gehalten hat, selbst bei jenen, die in die USA emigriert sind. Und dieses Denken kann einem auch Achtung abgewinnen, da es Menschen auch veranlassen kann, um gewisser Prinzipien willen sehr edel zu handeln, um gewisser Prinzipien willen ihre Heimat zu verlassen, ihr Leben auf das Spiel zu setzen - mitten aus dem Alltag heraus.
Traditionell-modernes Stammesdenken in Afghanistan
Man erfährt auch, daß dieses Denken bei modern denkenden Afghanen das Denken in den Kategorien von Verachtung der Angehörigen anderer Stämme (hier der Hazara) überwinden kann - eines der Hauptthemen dieses Romans und Films. Es gibt übrigens Vermutungen, daß die Hazara Nachkommen der Mongolen unter Tschingis Khan waren.
Die sowjetische Invasion in Afghanistan wird ganz und gar als das dargestellt, was sie war: abscheulich und hassenswert. Die fanatischen Mullah's und die Taliban werden als das dargestellt, was sie - offenbar - wirklich zu großen Teilen waren und sind: zutiefst abscheulich und hassenswert. Es kommt aber auch zum Ausdruck, daß die Herrschaft der Taliban zu Teilen nur eine Folge der sowjetischen Besatzung und des Widerstandes gegen sie war.
Das eine Extrem wurde mit einem anderen Extrem beantwortet - wie so oft in den letzten hundert Jahren. Und heute hat man in Afghanistan damit immer noch zu tun - mit den Folgen der russischen Besatzung. Auch in Tschetschenien war und ist es nicht anders. Und die Gemäßigten, die aber dennoch das traditionelle Denken in moderne Zeiten retten wollen, so wie offenbar Khaled Hosseini selbst, sowie der Vater und Schwiegervater des Protagonisten im Roman, sie werden zwischen den Mühlsteinen der Geschichte zerrieben.
Der 1967 geborene Khaled Hosseini sagt über seinen Roman (berlinverlage.de):
Ich wollte die Leute daran erinnern, daß es ein Afghanistan vor der sowjetischen Invasion von 1979 gab und daß Afghanistan jahrzehnte lang in Frieden gelebt hatte, ohne daß irgend jemand eine Rakete abfeuerte. (...) Da ich in dieser Zeit - den letzten Jahren der Monarchie, der Geburt der Republik und den ersten Jahren von Daoud Khans Herrschaft - in Kabul gelebt habe, fühlte es sich richtig an, darüber zu schreiben.Der Autor Khaled Hosseini setzt sich inzwischen auch für andere vergewaltigte Völker in der Welt ein. (UNHCR)
Warum - erst - jetzt?
Der Film ist also wirklich gut. Ich frage mich nur eines: Warum jetzt? Warum - erst - jetzt? Als ich vor Jahren auf dem Stand der "Gesellschaft für bedrohte Völker" auf der Buchmesse in Frankfurt half und unser Thema die Unterdrückung der Frau in Afghanistan war, hatte ich sogar Gelegenheit, mir von Afghanen selbst die Situation in Afghanistan erklären zu lassen. - Ich habe dabei damals praktisch nichts verstanden. Es kam mir alles viel zu kompliziert vor. Der Film jetzt gibt mir zum ersten mal einen echten Einblick, so daß ich mir sage: Ja, ich glaube, etwas über die Situation in Afghanistan zu verstehen.
Noch einmal: Warum erst jetzt?
Warum ist eine solche gute filmische Darstellung, die tiefer in das eigentliche innere Leben und Denken der Menschen in Afghanistan einführt, und die zugleich einen solchen Bekanntheitsgrad bekommen hat, nicht schon viel früher, vor Jahren, vor Jahrzehnten in die Kino's gekommen? Warum haben zumindest ähnlich wertvolle Filme von Tschetschenen selbst über das Schicksal ihres eigenen Landes, Filme, die ich selbst zu später Stunde im deutschen Fernsehen zufällig habe sehen können, niemals einen solchen Bekanntheitsgrad erhalten, eine solche Breitenwirkung in der westlichen Welt entfalten können?
Ich mißtraue der "public relations-Industrie" zutiefst. Ich habe den Verdacht, auch dieser Film dient einem sehr vordergründigen politischen Zweck: Er soll den eigentlich sowieso nur noch dumpf bestehenden Widerstand in der westlichen Welt gegen den Einsatz internationaler militärischer Kräfe, unter anderem auch deutscher in Afghanistan psychologisch-emotional unterlaufen. Er soll diesen Einsatz rechtfertigen. Man sagt sich: Jetzt, wo ich etwas mehr über Afghanistan weiß, verstehe ich auch, warum deutsche Truppen dort sein müssen. Warum es gut ist, daß sie dort sind ...
Oh, die "public relations-Industrie" ist eine sehr perfide Angelegenheit und ich mißtraue ihr zutiefst. Der Film ist gut. Und Khaled Hosseini ahnt bestimmt nicht besonders scharf, daß er "benutzt" wird. Oder er duldet es ... Oh, diese perfide "public relations-Industrie". Menschliches Leid wird fast immer erst dann für sie interessant, wenn es zu politischen Zwecken ausgeschlachtet werden kann. Noch einmal: Das ändert nichts daran, daß der Film gut ist. Auch der Roman "Nicht ohne meine Tochter" vor allerhand Jahren war gut, selbst wenn seine Popularität auch damals wahrscheinlich gewissen politischen Zwecken gedient haben dürfte.
So edel wie die Paschtunen in dem Film denkt doch in der "public relations-Industrie" heute keiner mehr ...
Khaled Hosseini in Dafur
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Ergänzung 23.1.07: Aha, wer sagt es denn. - Meldung von heute: "Bundeswehr-Kampfeinsatz in Afghanistan rückt angeblich näher". (Yahoo)
Ergänzung 23.1.07: Aha, wer sagt es denn. - Meldung von heute: "Bundeswehr-Kampfeinsatz in Afghanistan rückt angeblich näher". (Yahoo)
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