4.100 v. Ztr. - Fürsten der Chwalynsk-Kultur erobern mit ihren Heeren die Untere Donau, ihre Krieger vermischen sich zu 50 % mit den einheimischen Bauern
An der Unteren Donau im heutigen Rumänien und Bulgarien gab es die bedeutende mittelneolithische Gumelniţa-Kultur (4.600 bis 4.250 v. Ztr.) (Wiki). Sie bestand zeitgleich zur ebenfalls großartigen Cucuteni-Tripolje-Kultur im Osten der Karpaten und war aus derselben anatolisch-neolithischen Völkergruppe hervor gegangen (Abb. 1a). Sie wies eine hohe Siedlungsdichte auf.
Sie ging aber viele hundert Jahre früher unter als die Cucuteni-Tripolje-Kultur östlich der Karpaten. Eine der Großsiedlungen der Gumelniţa-Kultur war der Siedlungshügel Magură Gorgana bei Pietrele (Wiki) in Rumänien (4550-4250 v. Ztr.) am Nordufer der Unteren Donau. Dieser Siedlungshügel liegt 230 Kilometer nordwestlich von Warna und 50 Kilometer südlich von Bukarest (GMaps). Seit 2002 wird er von deutschen Archäologen rund um Svend Hansen (Berlin) ergraben (DaInst2020).
4.500 v. Ztr. - Ein dünner Schleier indogermanischer Ausbreitung donauaufwärts
Eine gerade neu erschienene archäogenetische Studie zeigt auf, daß sich vereinzelte Angehörige dieser Kultur schon früh mit Angehörigen der Indogermanen der Chwalynsk-Kultur von der Mittleren Wolga vermischt haben (Abb 1a), ein Geschehen, das schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog Thema war (z.B. Stgen2021, Stgen2022). Sozusagen ein erster dünner Schleier von indogermanischer Ausbreitung ab 4.700 v. Ztr. bis in die Donau-Region von Ungarn hinein.
4.100 v. Ztr. - Die Indogermanen kommen massiv ins Donau-Delta
Die grundlegendere Neuerkenntnis dieser Studie ist, daß die der Gumelniţa-Kultur ab 4.100 v. nachfolgende Cernodova-Kultur (4100 bis 3.200 v. Ztr.) (Wiki) von Menschen getragen wurde, die vergleichsweise einheitlich mehr oder weniger als 50 % indogermanische Steppengenetik aufgewiesen haben (1) (Abb. 1b). Es sind insbesondere Skelette des Fundortes Kartal (4150-3400 v. Ztr.) im Donau-Delta am nördlichen Rand der vormaligen Gumelniţa-Kultur untersucht worden. Dieser gehörte zur Cernodova-Kultur. Die deutschen Archäogenetiker aus Leipzig schreiben (1):
Ein Hauptergebnis unserer Studie legt einen frühen Kontakt und eine Vermischung zwischen kupferzeitlichen Bauern-Gruppen des südöstlichen Europa mit spätneolithischen Gruppen aus der Steppenzone der heutigen südlichen Ukraine nahe, beginnend vermutlich ab der Mitte des fünften Jahrtausends v. Ztr., als sich die Siedlungsdichte weiter nach Norden verlagerte und die Region der Unteren Donau in Verbindung kam mit der Steppenregion an der Küste und mit Gruppen der Cucuteni-Tripolje-Kultur in der Waldsteppe.A principal finding from our study indicates early contact and admixture between CA farming groups from SEE and Eneolithic groups from the steppe zone in today’s southern Ukraine, possibly starting in the middle of the fifth millennium BC when settlement densities shifted further north, connecting the lower Danube region with the coastal steppe and Cucuteni–Trypillia groups of the forest–steppe.
In diesen neuen Sequenzierungen von Kartal, die auf die Zeit nach 4.100 v. Ztr. weisen, wird also eine zweite, deutlich massivere Einwanderungs-Welle von indogermanischen Steppen-Gruppen sichtbar. Weiter heißt es (1):
Während des vierten Jahrtausend v. Ztr. kam es in der nordwestlichen pontischen Raum zu verstärktem Kontakt mit spätneolithischen Gruppen der Steppe, während diese wiederum auch Kontakt mit Gruppen im Nordkaukasus wie der Maikop-Kultur hatten, was sich alles in den hier vorgelegten Genom-Daten widerspiegelt.During the fourth millennium BC, the northwestern Pontic region experienced intensified contact with Steppe Eneolithic groups, while these in turn also had contact with groups in the North Caucasus, such as Maykop, all of which are mirrored by the genomic data presented here.
Diese Erkenntnis wirft natürlich auch einen neuen Blick auf jenen Eroberungszug, jene Militärinvasion der Maikop-Kultur um 3.500 v. Ztr. über das gesamte Gebiet der Cucuteni-Tripolje-Kultur hinweg, wie sie letztes Jahr von dem moldawischen Archäologen Valentin Dergachev jüngst herausgearbeitet worden war (Studgen2022). Diese war also - von dem Geschehen im Donau-Delta her gesehen - kein besonders "frühes", sondern schon ein vergleichsweise "spätes" Eroberung-Geschehen. Diesem war jedenfalls schon die vergleichsweise massive Eroberung der Unteren Donau-Region durch Angehörige, bzw. Nachkommen der Chwalynsk-Kultur voraus gegangen.
Nach den Daten, die bis heute vorliegen, war also die Einmischung indogermanischer Steppengenetik um 4.100 v. Ztr. innerhalb der Cucuteni-Tripolje-Kultur noch deutlich geringer. Die Cucuteni-Tripolje-Kultur begann in jener Zeit auch eine zweite Blütezeit, während es an der Unteren Donau schon zu viel umwälzenderen kulturellen und genetischen Umbrüchen gekommen ist.
Karpaten-Jäger-Sammler als Verbündete der Indogermanen?
Ein weiteres Ergebnis dieser neuen archäogenetischen Studie der Forscher rund Ringbauer, Stockhammer, Svend Hansen, Johannes Krause und Wolfgang Haak (Penske et al 2023) ist, daß in der mittelneolilthischen Siedlung Magură Gorgana bei Pietrele in Ausnahmefällen auch Menschen lebten (hier ein Individuum, das "PIE060" benannt wird), die neben der sonst für diese Region für das Mittelneolithikum typischen und gut bekannten anatolisch-neolithischen genetischen Herkunft um die 35 % westeuropäische Jäger-Sammler-Herkunft aufwiesen (1) (s. Abb. 1a).
Man möchte annehmen, sie stammten von den Karpaten-Jäger-Sammlern ab, die ja zwischen Böhmen und Griechenland über viele Jahrtausende an den Ethnogenesen zahlreicher Völker und Kulturen dieser Region Anteil hatten, da sie sich offenbar in den Höhenlagen der Karpaten über lange Zeiträume hinweg unvermischt erhalten haben. Es könnte sich unserer Meinung nach um dieselbe Herkunftsgruppe handeln, die ursprünglich als "Körös-Jäger-Sammler" bezeichnet worden war (s. z.B. Stgen2021, Stgen2022). Die Forscher schreiben (1):
Die Herkunftsmodellierung (...) unterstützt ein Zwei-Wege-Modell (Abb. 3d ) mit südosteuropäisch-neolithischer Herkunft (SEE N) (ca. 65 %) und Jäger-Sammler-Genetik vom Eisernen Tor oder KO1 (osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik von Kosteniki) (ca. 35 %) als besten Annäherungen. (...) Was darauf hindeutet, daß PIE060 aus einer Gemeinschaft außerhalb von Pietrele stammte, die kürzlich Kontakt mit Jäger-Sammlern hatte. Tatsächlich wurde von Individuen mit ähnlich hohen Anteilen an Jäger-Sammler-Abstammung auch aus nahegelegenen Orten wie Malak Preslavets (ca. 70 km) und Dzhulyunitsa (ca. 140 km) berichtet.Ancestry modelling with qpAdm supports a two-way model (Fig. 3d) with SEE N (around 65%) and Iron Gates HG or KO1 (around 35%) as the best proxies. Using DATES33 to determine the time of admixture between SEE N and Iron Gates HG as a local HG ancestry, we obtained an admixture estimate of 16.3 ± 13.4 generations (Z = 1.213), which corresponds to around 81–832 years before the mean 14C date of PIE060, when a generation time of 28 years is assumed34. A flat decay curve (Extended Data Fig. 3a) supports the interpretation of a recent admixture date, which suggests that PIE060 came from a community outside Pietrele with recent contact with HGs. Indeed, individuals with similarly high amounts of HG ancestry have been reported from nearby sites in Malak Preslavets (around 70 km) and Dzhulyunitsa (around 140 km)29.
Man könnte auch hier der These nachgehen, die wir hier auf dem Blog schon mehrfach formuliert und verfolgt haben, nämlich daß einheimische Jäger und Sammler als "Randkulturen" und "Unterschichten" der großen mittelneolithischen Bauernkulturen und Königreiche sich mit den halbnomadischen Indogermanen von auswärts verbündet haben und es auf diese Weise zum vergleichsweise frühen Zusammenbruch der mittelneolithischen Gumelniţa-Kultur gekommen ist.
In der neuen Studie fanden sich für die frühe Bronzezeit auch Menschen, die nur Karpaten-Jäger-Sammler-Genetik und Steppen-Genetik aufwiesen (s. Abb. 1c), was auch ein Hinweis auf das Bestehen eines solchen "Bündnisses" angsesehen werden könnte.
4.100 v. Ztr. - Entstehungszeit des indogermanisch-ägäischen Götter-Pantheons?
Diese neuen Erkenntnisse unterstreichen noch einmal die bedeutende Rolle, die schon frühe Wellen der indogermanischen Westausbreitung für die betroffenen Kulturen haben konnten, auch für die östlich benachbarte Cucuteni-Tripolje-Kultur. Womöglich erwies sich aber die Cucuteni-Tripolje-Kultur noch für mehrere Jahrhunderte - bis 3.500 v. Ztr. - als kulturell und militärisch stabiler und anpassungsfähiger im Vergleich zu der zeitgleichen Gumelniţa-Kultur in Rumänien, die eben schon vor 4.100 v. Ztr. vollständig scheint zusammen gebrochen zu sein und von der indogermanisierten Cernodova-Kultur ersetzt worden ist, die nun schon ein ganz anderes kulturelles und genetisches Gepräge aufwies.
Man möchte auch meinen, daß jene indogermanische-mediterrane Mischkultur, als die sich uns die antiken Griechen in klassischer Zeit religiös, sprachlich, kulturell und genetisch zeigen, ihre Wurzeln haben könnten in einer Geschichte, die bis in das Geschehen um 4.100 v. Ztr. zurück weist. Ab 4.100 v. Ztr. könnte sich jedenfalls erstmals der Götter-Pantheon der Ägäis-Bauern mit dem Götter-Pantheon der Indogermanen von der Mittleren Wolga vermischt haben, grob gesagt: Zeus einerseits mit Apollon und Dionysos andererseits.
"500 Jahre früher als erwartet"
In der Presseerklärung des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig äußert sich die Erstautorin ähnlich überrascht von ihren Ergebnissen wie wir es sind (MPG2023):
„Die größte Überraschung für uns war, daß wir eine Beimischung der typischen genetischen Steppensignatur nun mehr als 500 Jahre früher als erwartet fanden“, sagt Erstautorin Sandra Penske vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
In der Studie selbst wie auch in der Presseerklärung wird ausdrücklich betont, daß es aktuell keine Beweise gäbe dafür, daß es die Indogermanen waren, die die mittelneolithische Kultur im Donauraum zum Zusammenbruch gebracht hätten.
Das ist ja sehr nett von Seiten der Forscher. Aber wer möchte das glauben? Sie haben scheinbar einfach ein Problem damit, auch noch in diesem Punkt Marija Gimbutas recht zu geben, nachdem sie ihr schon sonst so viel Recht hatten geben müssen. Aber das wirkt dann wahrlich ein wenig kleinkariert.
Gewiß, so viel dürfte stimmen: Damit Großkulturen zusammen brechen, bedarf es mehr als nur einer Bedrohung von außen. Sie müssen auch von innen heraus - sozusagen - "reif zum Zusammenbruch" sein. Aber daß das Waffenarsenal, das die Indogermanen jener Zeit in so besonders auffälliger Weise - und im Gegensatz zu allen anderen Kulturen ihrer Zeit - mit sich führten, überhaupt nichts mit diesem Zusammenbruch zu tun gehabt haben soll, das möchte einem wahrlich nicht als besonders wahrscheinlich in den Sinn kommen .....
Aber vielleicht standen an den Bahnsteigen der ankommenden Indogermanen im Bereich der Unteren Donau um 4.100 v. Ztr. ebenfalls viele Menschen, schwenkten Fahnen und riefen: "Refugees welcome". Alles ist möglich. (Wir könnten uns ja vorstellen, daß das die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Karpaten-Jäger-Sammler waren ...)
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- Penske, S., Rohrlach, A.B., Childebayeva, A. et al. Early contact between late farming and pastoralist societies in southeastern Europe. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06334-8, Published 19 July 2023, https://www.nature.com/articles/s41586-023-06334-8.
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