Freitag, 3. Mai 2019

Welche Sprache sprach der "Ötzi"?

Das "vorindogermanische Substrat" in der Sprachforschung
- Neue Anstöße durch die Ancient-DNA-Forschung

Daß die Germanische Substrathypothese von der Mehrheit der Wissenschaftler heute nicht mehr vertreten wird, ist dem Autor dieser Zeilen bislang ganz entgangen (1). Noch in seinen neueren Video's hat er gelegentlich als Beispiel den Ausdruck "Weib" als vorindogermanisches Substratwort gebracht.

Der Sprachforschung sind aber dennoch durch die Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung der letzten drei Jahre ganz neue Fragen aufgegeben. Wenn bis zum Mittelneolithikum anatolisch-neolithische Bauernvölker bis hoch nach Skandinavien und England lebten, dann stellt sich ja die Frage, welche Sprachen die gesprochen haben können.

Abb. 1: Rekonstruktion des Gesichtes der Eismumie Ötzi

Die neuen umwälzenden Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung geben also auch der Erforschung der Geschichte der Sprachen in Europa und in der Welt neue Anstöße. Denn wenn man sich bewußt macht, daß es einen ethnisch-genetischen Zusammenhang des Volkes der Trichterbecher-Kultur mit allen neolithischen Kulturen Europas gibt, der zurück reicht bis zu dem ersten anatolisch-neolithischen Bauernvolk um 6.500 v. Ztr., dann wird man zunächst einmal annehmen können, daß es eine ähnliche Sprachverwandtschaft zwischen den vorindogermanischen Völkern in Europa gegeben hat wie zwischen den heutigen indogermanischen Völkern.

Aber natürlich kann man auch vor-neolithischen Sprachbestandteilen in den früh- und mittelneolithischen Sprachen Europas annehmen.

Wenn die mitteleuropäischen Bandkeramiker genetisch zu 93 % aus Nordwestanatolien stammten, wird man davon ausgehen können, daß auch ihre Sprache zumindest beeinflußt war von jener Sprache, die in Anatolien im Neolithikum üblich war.

"Ägäische Sprache"? - Hattische Sprache? - Semitische Sprache?

Zeitgleich mit den Bandkeramikern hat sich die iranisch-neolithische Bauern-Herkunftskomponente vom heutigen Iran aus über Anatolien und den östlichen Mittelmeer-Raum verbreitet bis nach Kreta. Es bildete das sicherlich der letzte Schritt  zur Entstehung jener Bevölkerung, die nachmals die "Pelasger" genannt worden sind (6). Auf Wikipedia wird "Pelasgisch" (2) zu den "Ägäischen Sprachen" (3) gerechnet, zu denen zum Beispiel auch Rätisch und Etruskisch gezählt werden.

/ Ergänzung, 26.12.21: Allerdings scheinen die Bandkeramiker und ihre Vorfahren, die ersten Donau-Bauern (Starcevo-Körös), nach neueren Forschungen nicht aus Anatolien, sondern aus dem Levanteraum zu stammen (St. gen 2021) (9). Damit wären auch sprachgeschichtlich neue Perspektiven aufgeworfen. Die Bandkeramiker und Donau-Bauernkulturen könnten "levantinisch-neolithische" Sprachen gesprochen haben, während die ersten Bauernvölker des Mittelmeerraumes und Frankreichs neolithisch-anatolische Sprachen - wie das Hattische (Wiki) (?) - bzw. "Ägäische Sprachen" gesprochen haben könnten. /

Wenn man sich ganz vorläufig am Rätoromanischen (4, 8) orientiert, wenn man sich an die Sprache der anatolisch-neolithischen Bauernvölker und des Ötzi annähern will, wird man also zunächst am wenigsten falsch machen. 

/ Nach den neueren Erkenntnissen wahrscheinlich doch. :-) Vielleicht macht es eher Sinn, sich bezüglich von "levantinisch-neolithischen" Sprachen zunächst an der semitischen Sprachfamilie (Wiki) zu orientieren. Platt-pakativ könnte also die Frage gestellt werden: Sprachen die ersten Bauern Mitteleuropas eine semitische Sprache oder eine Sprache, die dem Semitischen nahestand? Aber bis zu den frühesten Zeugnissen der semitischen Sprachen hatte es seit 6.500 v. Ztr., seit der vermuteten Abwanderung der Vorfahren der Bandkeramiker aus dem Levanteraum schon wieder so viel Völkergeschichte in der Levante gegeben, so viele neuere Überschichtungen (insbesondere durch die iranisch-neolilthische Herkunftskomponente, die sich auch in der Ägäis ausgebreitet hat im Mittel- und Spätneolithikum), daß da das meiste bis auf Weiteres außerordentlich große Spekulation bleiben wird und muß. /

Auch wenn die "Germanische Substrathypothese" in dem Umfang, in dem sie ab 1930 vertreten worden ist, heute nicht mehr vertreten wird, wird man dennoch auf der Linie ihres Denkens im Ausschlußverfahren noch viel über zahlreiche vorindogermanischen Sprachen in Europa rekonstruieren können. Das läuft unter dem Stichwort "Vorindogermanisches Substrat" (Wiki) (5, 7).

Auch Ötzi dürfte noch eine vorindogermanische Sprache gesprochen haben, er ist ja auch genetisch noch vorwiegend neolithisch-nordwestanatolischer-levantinischer Abstammung. Und das dürfte auch für das Mittelneolithikum Frankreichs gelten, wo immer noch die neolithisch-anatolische Abstammung die überwiegenden Anteile hatte, wenn auch der einheimisch-europäische Abstammungs-Anteil größer geworden war und damit - vielleicht - auch ein sprachlicher Anteil.

Indem man darüber nachdenkt, wird einem erst wieder bewußt, was für eine immense Völkervielfalt da am Ende des Mittelneolithikums untergegangen ist.

In der Substrathypothese ist ja so schön von "Kreolisierung" die Rede. Alle unsere Sprachen sind durch "Kreolisierung" entstanden: Kinder verschiedener Muttersprache spielen auf dem Spielplatz zusammen und bilden eine neue Sprache, um sich untereinander verständigen zu können. So werden vermutlich neue Sprachen immer entstanden sein, das ist gut an der Geschichte der Kreolensprachen erforscht. Derek Bickerton ist da ein wichtiger Name, der sie erforscht hat.


/ Erster Entwurf im Jahr 2018, als solche Fragen
in der Facebook-Gruppe "Archäologie in Deutschland"
aufgeworfen worden waren.
Ergänzung: 26.12.2021 /
 ________________

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Substrathypothese
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Pelasger 
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84g%C3%A4ische_Sprachen 
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCndnerromanisch 
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Vorindogermanisches_Substrat 
  6. Bading, Ingo: Kossinna lacht! 2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/11/kossinna-lacht-er-lacht-und-lacht-und.html
  7. Alfred Bammesberger / Theo Vennemann (Hg., mit Markus Bieswanger / Joachim Grzega): Languages in Prehistoric Europe. Universitätsverlag Winter Heidelberg 2003; Rezension: https://www.donaukurier.de/lokales/eichstaett/5OETZI25-Der-praehistorischen-Sprache-von-OEtzi-auf-der-Spur;art575,325756 
  8. Maier, Yvonne: Ötzis Sprache - Wie kommunizierten die Menschen in der Steinzeit?, 29.11.2017, https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/iq-wissenschaft-und-forschung/oetzi-sprache-steinzeit-iceman-vogel-eis-gletscher-mumie-100.html
  9. Bading, I.: 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/07/korrektur-notwendig-die-ersten.html

1 Kommentar:

Ingo Bading hat gesagt…

Die hier behandelten Bandkeramiker und ihre Vorfahren, die ersten Donau-Bauern (Starcevo-Körös-Kultur) stammen nach neueren Forschungen nicht aus Anatolien, sondern aus dem Levanteraum.

https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/07/korrektur-notwendig-die-ersten.html

Damit wären auch sprachgeschichtlich neue Perspektiven aufgeworfen. Die Bandkeramiker und Donau-Bauernkulturen könnten auch "levantinische" Sprachen gesprochen haben, während die ersten Bauernvölker des Mittelmeerraumes und Frankreichs neolithisch-anatolische, bzw. "Ägäische Sprachen" gesprochen haben könnten.

Platt-pakativ könnte also die Frage gestellt werden: Sprachen die ersten Bauern Mitteleuropas eine semitische Sprache? Aber bis zu den frühesten Zeugnissen der semitischen Sprachen hat es seit 6.500 v. Ztr., seit der vermuteten Abwanderung der Vorfahren der Bandkeramiker aus dem Levanteraum schon wieder so viel Völkergeschichte in der Levante gegeben, so viele neuere Überschichtungen (insbesondere durch die iranisch-neolilthische Herkunftskomponente, die sich auch in der Ägäis ausgebreitet hat im Mittel- und Spätneolithikum), daß da das meiste bis auf Weiteres sicherlich sehr große Spekulation bleiben muß. /

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