Dienstag, 28. Mai 2019

"Sei dir selbst keine Schande!" - Das Volk der Fulbe in Afrika

Sie haben 21 % europäische Gene - Woher kamen diese Gene? Welche Folgen haben sie?

Genetisch stammt das afrikanische Volk der Fulbe (engl. Fulani) (Wiki, engl) nach neueren Studien (1) zu 74% aus Westafrika (also von den Bantu-Völkern), zu 21% aus Europa und zu 4,1% aus Ostafrika.*) Auf die europäische Herkunft wird zugleich zurückgeführt, daß die Fulbe eine genetisch verschaltete Fähigkeit besitzen, als Erwachsene Rohmilch verdauen zu können, die - auch genetisch - völlig identisch ist zu der gleichen europäischen Fähigkeit. Eine solche Fähigkeit ist jedoch bei Völkern in Ostafrika und bei arabischen Völkern völlig anders verschaltet, dort also konvergent evoluiert, während sie bei Europäern und Fulbe auf gemeinsamer genetischer Abstammung beruht (1).

Abb. 1: Zwei Männer der Wodaabe, eines Unterstammes der Fulbe; Fotograf: Dan Lundberg (Wiki)

Eine neue Studie hat nun gefragt, wann und wo genauer diese europäische Einmischung stattgefunden hat, die zur Ethnogenese, sprich Volkwerdung der Fulbe führte (1). Sie stellt zwei europäische genetische Einmischungsereignisse fest, und zwar um 200 n. Ztr. und um 1700 n. Ztr..**)  Bislang kann aber noch nichts Genaueres gesagt werden. Insgesamt könnte die genetische Signatur dieser Einmischung nämlich auch auf Einmischung von Berber-Völkern aus Nordafrika hinweisen. Diese könnten schon im Neolithikum durch Südwanderung europäischer Völker entstanden sein, wie vielfach in der Forschung angenommen wird. Jüngste Ancient-DNA-Forschungen fanden ja auch wenige Anteile schwarzfrikanischer Genetik im neolithischen Spanien, worauf schon andernorts hier auf dem Blog hingewiesen wurde.

Abb. 2: Einige Klans der Wodaabe haben sich zu einem Gerewol-Fest versammelt, 1997; Fotograf: Dan Lundberg (Wiki)

Nach derzeitigem Forschungsstand sind also noch allerlei historische Szenarien denkbar, anhand derer die europäische Einmischung erklärt werden kann. Auch die portugiesischen Seefahrer des 17. Jahrhunderts können eine Rolle spielen, aber ebenso das Volk der Phönizier oder - vielleicht? - auch das germanische Volk der Wandalen, das in der Spätantike hundert Jahre lang in Nordafrika lebte und herrschte.


Abb. 3: Das Verbreitungsgebiet der Fulbe - südlich der Sahara (Wiki)

Im ersten Zugriff scheint einem die Art des früheren Vermischungsereignisses**) am ehesten auf die Phönizier zu passen, die mit ihren Schiffen sicher bis Westafrika gekommen sind. Schon bei den Tuareg hielt sich die Sage - und gibt es manche Hinweise für die Vermutung -, daß sie von Karthagern abstammen, die nach der Zerstörung von Karthago durch die Römer in die Wüste geflohen sind. Ein ähnlicher Zusammenhang wäre auch bezüglich der Fulbe annehmbar.

Wie es sich damit aber nun genauer verhält, werden künftige Forschungen zeigen müssen, vermutlich wird auch hier erst Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung einigermaßen abschließende Ergebnisse liefern.

Es sei noch einmal erinnert: 146 v. Ztr. wurde die phönizische Großmacht Karthago von den Römern endgültig zerstört (Wiki). 435 bis 534 n. Ztr. herrschten in Nordafrika die Wandalen. 

Der Ehrenkodex der Fulbe

Wirft man nun, angeregt von diesen neuen Forschungsergebnissen, ein Blick auf das Volk der Fulbe, betritt man eine aufregende kulturelle und geschichtliche Welt. Die Fulbe haben ursprünglich als Nomaden gelebt und Kamele geritten so wie das Berber-Volk der Zentralsahara, die Tuareg. Die Fulbe haben vor der europäischen Kolonisierung südlich der Sahara auch Staaten gegründet. Sie besaßen in Westafrika, so ist auf Wikipedia zu erfahren, sogar "eine Vormachtstellung". Es sei diesbezüglich Wikipedia zitiert (Wiki):

Die ethnische Herkunft der Fulbe ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die frühen europäischen Ethnologen des 19. und 20. Jahrhunderts waren sich über den Ursprung der Fulbe sehr uneinig. Einige Theorien (...) sagten ihnen (...) sogar europäischen Ursprung nach. (...) Eine weitere Erklärung für die europäischen Versuche, die Fulbe ethnogenetisch zu lokalisieren, liegt in dem Umstand, daß sie zur Zeit der Kolonialisierung eine Vormachtstellung in Westafrika innehatten. Die Europäer versuchten, diese militärische Überlegenheit mit einer hypothetischen Überlegenheit der "weißen Rasse" in Einklang zu bringen. Die Fulbe stellten in diesem Fall einen "entarteten" Vertreter dieser Rasse dar, der allerdings aufgrund seiner Herkunft immer noch ein Minimum an Überlegenheit gegenüber den Schwarzen aufweisen mußte. 

Die Fulbe kannten, so ist zu erfahren - wie die Tuareg - ein Kastensystem mit Adligen, Handwerkern und Sklaven. Die Fulbe besitzen einen Ehrenkodex, den "Pulaaku", an den sie sich - traditionell - unbedingt zu halten haben. Man darf ihn begeisternd nennen, er gründet auf drei Säulen, für einen Angehörigen der Fulbe (Einzahl "Pullo") gilt:

  • Selbstbeherrschung - ein Pullo soll sich immer ruhig verhalten und darf sich nicht seinen Emotionen hingeben
  • Zurückhaltung und vor allem Ehrlichkeit, die für den Pullo von großer Bedeutung ist
  • Geist ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Pullo – ein Pullo soll weise und gebildet sein, denn nur der Weise kann sich selbst beherrschen und bescheiden leben. 

Aus den drei Grundsätzen lassen sich folgende Regeln ableiten:

  • Sei dir selbst kein Anlaß zur Schande!     
  • Habe keine Furcht!
  • Lüge nicht!

Oder, auch dem englischen Wikipedia-Artikel (Wiki):

The Fulani follow a code of behavior known as pulaaku, which consists of the qualities of patience, self-control, discipline, prudence, modesty, respect for others (including foes), wisdom, forethought, personal responsibility, hospitality, courage, and hard work.

Für den Unterstamm der Fulbe, die Wodaabe heißt es darüber (Wiki):

Ihr Verhaltenskodex betont Zurückhaltung und Bescheidenheit (semteende), Geduld und Seelenstärke (munyal), Sorge und Voraussicht (bakkilo) sowie Loyalität (amana). Die 45.000 Mitglieder der Gemeinschaft legen Wert auf Schönheit und Charme, die die Grundlage eines ungewöhnlichen und einzigartigen Brautwerbungsrituals bilden, das geerewol, bei dem die Männer in einem dreitägigen Tanzwettbewerb um den Titel des Schönsten wetteifern. Das geerewol ist auch das Dankfest für den üppigen Graswuchs der Regenzeit.

Bei dem Geerewol-Fest werden die Schönheit  und die Fähigkeiten der heiratsfähigen Männer durch die heiratsfähigen Frauen beurteilt.

Während in der Kultur der Tuareg das Kamel - sozusagen - "allesbestimmend" ist, auch für das Verständnis vieler sprachlicher Eigenheiten, ist dies bei den Fulbe die Kuh.

Die Unterstämme beider Völker haben zu unterschiedlichen Zeiten den Islam angenommen (Wiki), was mitunter die Feindschaft zwischen Tuareg-Stämmen und Fulbe-Stämmen verstärkt zu haben scheint, aber auch von Einzelstämmen der Fulbe untereinander.

Die Fulbe haben als Hirtenvölker bis heute auch viele Konflikte mit seßhaften Völkern, an die sie angrenzen. Insgesamt wird erkennbar, daß die Fulbe eine ähnlich spannende Kultur und Geschichte haben wie die Tuareg (2, 3).

Ergänzung 5.7.2024: Eine neuere Studie bestätigt die europäische Einmischung, kann sie aber erneut nicht konkreter zeitlich eingrenzen und auch nicht die Herkunftsbevölkerung konkreter benennen. (4)

____________________________
*) "The Fulani from Ziniaré in Burkina Faso have ancestry fractions of 74.5% West African, 21.4% European and 4.1% East African." (1)
**) Ergebnis: "We found evidence for two admixture events between groups with West African and European ancestries (Table S2). The first admixture event is dated to 1828 years ago (95% CI: 1517-2138) between a parental population/s related to the West African ancestry groups in our dataset  (Jola, Gurmantche, Gurunsi and Igbo) and a parental population carrying European ancestry (related to North-Western Europeans (CEU), Iberians (IBS), British (GBR), Tuscans (TSI), and Czech&Slovaks (CS) in our dataset). The second admixture event is dated to more recent times - 302 years ago (95% CI: 237-368) - and occurred between a West African group, with broadly similar ancestries compared to the first admixture event, and a European  group.  However, this European  group is more related to  present-day southwestern Europeans (Iberians (IBS) and Tuscans (TSI))." (1)

____________________________________
  1. Population history and genetic adaptation of the Fulani nomads: Inferences from genome-wide data and the lactase persistence trait. By: Mario Vicente, Edita Priehodova, Issa Diallo, Eliska Podgorna, Estella S Poloni, Viktor Cerny, Carina M. Schlebusch. Auf: bioRxiv 650986; doi: https://doi.org/10.1101/650986 This article is a preprint and has not been peer-reviewed, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/650986v1
  2. Meinecke, Erich: Die Tuareg - ein Volk wie aus einer anderen Welt. Europäer erleben den Orient. Februar 2001, 1. Teil: https://fuerkultur.blogspot.com/2001/02/die-tuareg-ein-volk-wie-aus-einer.html, 2. Teil: https://fuerkultur.blogspot.com/2001/02/die-tuareg-ein-volk-wie-aus-einer_16.html
  3. Bading, Ingo: Zwei junge Ziegenhirtinnen bei den Tuareg in der Sahara. 2. August 2007, http://studgendeutsch.blogspot.com/2007/08/zwei-junge-ziegenhirtinnen-bei-den.html
  4. Population History and Admixture of the Fulani People from the Sahel. By Cesar A Fortes-Lima, Mame Yoro Diallo, Vaclav Janousek, Viktor Cerny and Carina M Schlebusch. bioRxiv. posted 28 June 2024.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bezüglich Fahrten der Karthager an der Westküste möchte ich auf drei Expeditionen verweisen: zirka 600 v. chr. sollen phönizier von Necho beauftragt worden sein vom roten Meer beginnend Afrika zu umrundet. 150 Jahre später gab es eine zweite Expedition diesmal von der anderen Seite, der Straße von Gibraltar beginnend. und die dritte und nach meinem Empfinden wahrscheinlichste Ursache für das von dir geschilderte Problem ist die Expedition Hanno des Seefahrers 470 v. Chr.

Ingo Bading hat gesagt…

Ja, vielen Dank. So etwas Ähnliches hatte ich auch in Erinnerung.
Der Buchautor Jacques de Mahieu (1915-1990) vermutet ja sogar, daß die Phönizier bis nach Südamerika gekommen wären ("Des Sonnengottes große Reise" und andere Bücher).

https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_de_Mahieu

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