Dienstag, 25. September 2018

Formierungsprozesse der ersten Bauernvölker in Anatolien (11.000 bis 5.000 v. Ztr.)

Die Entstehung der weltgeschichtlich so bedeutenden anatolisch-neolithischen Völkergruppe
Jene, die die Zivilisation des Neolithikums über ganz Europa verbreitet hat

Anatolien. Das große und reiche Anatolien (Wiki). Dieser Raum hat das Entstehen, die Blüte und den Verfall so unzählig vieler Völker, Kulturen, Königreiche und Sprachen von frühester Zeit der Menschheitsgeschichte an erlebt (Wiki, Wiki). 

Man tauche hinein in die Geschichte der Völker so vieler Jahrtausende und man wird sehen, daß eine Beschäftigung mit dem deutschen Archäologen Heinrich Schliemann und mit seinen Ausgrabungen in Troja und daß ein Lesen von solchen Klassikern wie "Götter, Gräber und Gelehrte", in denen über die Ausgrabung der Königsstadt der Hethiter, Hattusa, berichtet wird, nur erste Andeutungen geben können, von jenem kulturellen Reichtum, von dem es hier Kenntnis zu nehmen gilt, von dem einen Eindruck zu verschaffen wirklich sinnvoll sein könnte für den, der die Geschichte der Menschheit wirklich verstehen will.

Abb. 1: Museum in Şanlıurfa in der Südost-Türkei: Jäger und Sammler in Anatolien (Wiki)

Anatolien. Hier entstand im 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Ausgangspopulation jener Völkergruppe, die ab 6.500 v. Ztr. den Ackerbau rund um das gesamte Mittelmeer, über den Balkan, die Donau hinab ins Wiener Becken und von dort durch ganz Mitteleuropa hindurch bis an die Kanalküste ausbreitete und schließlich - ab 4.400 v. Ztr. als Trichterbecher-Kultur - bis nach Skandinavien, ja, als Cucuteni-Tripolje-Kultur und als Kugelamphorenkultur bis tief in die Ukraine und nach Rußland hinein, eine Völkergruppe, die dann in Europa im indogermanischen Völkersturm des Spätneolithikums, etwa ab 3.800 v. Ztr. genetisch und kulturell nach und nach unterging.

Der höchste Anteil seiner Genetik hat sich bis heute in Sardinien erhalten. Aber wir alle, alle Europäer tragen die Genetik dieser Völkergruppe in uns, in größeren und kleineren Anteilen, um so weiter südlich, um so größer, um so weiter nördlich, um son weniger groß.

In einer neuen Studie von Johannes Krause und Mitarbeitern wird das erste Genom eines Jägers und Sammlers aus Anatolien aus der Zeit um 13.000 v. Ztr. veröffentlicht. Über dieses wird gesagt (1): 

Anatolische Jäger und Sammler unterscheiden sich genetisch von anderen spätpleistozänen Populationen und repräsentieren eine zuvor nicht beschriebene Population.
We find that the Anatolian hunter-gatherers are genetically distinct from other reported late Pleistocene populations and thus represent a previously undescribed population.

Ein bislang den Ancient-DNA-Forschern in diesem Raum noch nicht bekannt gewordenes - genetisch einzigartiges - Volk ist entdeckt worden. Und dieses Volk hat dann auch ab 6.500 v. Ztr. genetisch weitgehend unverändert den Ackerbau und die seßhafte Lebensweise angenommen. Das scheint einhergegangen zu sein mit geringen genetischen Einmischungen (höchstens 10 bis 20 %) von frühen iranischen Jägern und Sammlern (oder Hirten/Bauern) und von westeuropäischen Jägern und Sammlern. Auch die "südanatolisch-levantinischen" Bauern scheinen genetischen Einfluß auf die Formierung dieser Völkergruppe genommen zu haben. Über den anatolisch-neolthischen Jäger-Sammler (AHG) heißt es (1): 

Die Herkunftsgruppe der anatolischen Jäger und Sammler hat die Hälfte ihrer Genetik von der levantinisch-neolithischen Herkunftsgruppe erhalten und die anderen Hälfte von der Herkunftsgruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler. (...) Bemerkenswerter Weise war es zu dieser Vermischung schon fünftausend Jahre vor Einführung des Ackerbaus in dieser Region gekommen und korreliert möglicherweise mit Belegen für menschliche Interaktionen zwischen Zentralanatolien und dem Levanteraum whrend des Epipaläolithikums.
AHG derives around half of his ancestry from a Neolithic Levantine-related gene pool (48.0 ± 4.5 %; estimate ± 1 SE) and the rest from the WHG-related one (tables S4 and S5). These results support a late Pleistocene presence of both ancestries in a mixed form in central Anatolia. Notably, the genetic connection with the Levant predates the advent of farming in this region by at least five millennia and potentially correlates with evidence of human interactions between central Anatolia and the Levant during the Epipalaeolithic.

Fünftausend Jahre vor 6.500 v. Ztr. heißt 11.500 v. Ztr.. Das wäre in Südanatolien, am Oberlauf von Euphrat und Tigris, die Kulturstufe des Natufium, eine schon recht weit entwickelte Kultur mit Halbseßhaftigkeit, in der sich die westeuropäische Hausmaus zu domestizieren begann (zur Hausmaus siehe andernorts hier auf dem Blog).

Für den Bloginhaber hatte es sich schon 1995 allein aufgrund der archäologischen Daten zu den vorkeramischen Kulturen des Fruchtbaren Halbmonds aufgedrängt, daß das levantinische akeramische Neolithikum und sein Vorläufer, das Natufium, durch Zuwanderung von Eiszeitjägern aus Europa entstanden sein könnte, da diese ja aufgrund der fortschreitenden Verwaldung Europas am Ende der Eiszeit auch zunehmend nach Süden ausgewichen sein können. Das war allerdings nur eine ganz vorläufige Vermutung gewesen. Sie konnte ja noch gar nicht die komplexen Vorgänge im Auge haben oder unterstellen, die sich im Norden des Fruchtbaren Halbmonds in jener Zeit abgespielt haben.

Aber zumindest ein Stück weit passen die neuen Forschungsergebnisse zu unserer früüheren Annahme. (1): 

"Die Jäger und Sammler am Eisernen Tor können modelliert werden als eine Vermischung dreier Herkunftsgruppen, nämlich von nahöstlichen Jägern und Sammlern (26% anatolische Jäger und Sammler oder 11 % Natufium-levantinische Herkunfsgruppe), westeuropäische Jäger und Sammler (63 %, bzw. 78 %) und osteuropäische Jäger und Sammler (11 %)."
"We find that Iron Gates hunter-gatherers can be modeled as a three-way mixture of Near-Eastern hunter-gatherers (25.8 ± 5.0 % AHG or 11.1 ± 2.2 % Natufian), WHG (62.9 ± 7.4 % or 78.0 ± 4.6 % respectively) and EHG (11.3 ± 3.3 % or 10.9 ± 3 % respectively)."

Hatte man also bislang gedacht, die Jäger-Sammler am Eisernen Tor in Serbien wären Mischungen aus west- und osteuropäischen Jägern und Sammlern, entdeckt man nun eine genetische Komponente des Nahen Ostens, wobei noch geklärt werden muß, wie diese zustande gekommen sein kann. In der Zusammenfassung der Studie heißt es (1): 

"Wir stellen die hohe genetische Kontinuität (80 bis 90 %) zwischen Jägern und Sammlern und frühen Bauern in Anatolien heraus und entdecken zwei unterschiedliche, dort hinein kommende genetische Komponenten: eine frühe iranisch-kaukasische und eine spätere, die in Beziehung zur Levante steht."
"We find high genetic continuity (~80-90%) between the hunter-gatherer and early farmers of Anatolia and detect two distinct incoming ancestries: an early Iranian/Caucasus related one and a later one linked to the ancient Levant."

Und zu den letzteren (1): 

"Genetische Beiträge von außerhalb der Region, verbunden mit zwei frühen Bauernpopulationen des Fruchtbaren Halbmonds ersetzten jeweils etwa 10 und 20 % der einheimischen Genetik. Die frühere steht in Verbindung mit dem Neolithikum des Iran oder Kaukasus, die spätere in Verbindung mit dem Neolithikum der Levante."
"External genetic contributions, associated with two distinct early farming populations of the Fertile Crescent, substituted about 10% and 20% of indigenous ancestry each. The earlier one is associated with Neolithic Iran/Caucasus and the later one with Neolithic Levant."

Ergänzung 22.1.22: Die Zeitpunkte beider hier erwähnten Einmischungen sind in einer neuen Studie anhand eine neuen Verfahrens ("DATES") genauer bestimmt worden (2):

Wir ziehen die Schlußfolgerung, daß die iranische neolithische Bauern-Komponente um 10.900 v. Ztr. nach Anatolien herein kam, was vor der Einführung des Ackerbaus in Anatolien liegt. 
We infer the Iran Neolithic farmer-related gene flow occurred ~10,900 BCE (12,200-9,600 BCE), predating the origin of farming in Anatolia.

Welche Art von Lebensweise jene Menschen iranischer genetischer Herkunft gelebt haben, deren Genetik sich hier bis nach Anatolien ausgebreitet hat, wäre noch genauer zu klären. Zumindest in Teilen des Zagros-Gebirge, nämlich im östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds, gab es Stämme, die zu jenem Zeitpunkt ähnlich halb seßhaft oder seßhaft lebten ähnlich wie die Menschen ("Natufium-levantinischer" Herkunft) im westlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds. Ihre Lebensgrundlage war eine auf männliche Individuen fokussierte Jagd auf wilde Schafe und Ziegen, sowie die Haltung von wilden weiblichen Schweinen, die man sich mit wilden Ebern paaren ließ (so wie auf Neuginea). Dadurch sind dort auch schon höhere Siedlungsdichten erreicht worden. Ob aber jene "iranischen" Jäger und Sammler, deren Genetik um 11.000 v. Ztr. zur Genetik der anatolischen Jäger und Sammler aus dem Fruchtbaren Halbmond stammten oder aus dem Bereich nördlich von ihm, ist hier noch nicht gesagt. Weiter heißt es (2):

Während der nachfolgenden Jahrtausende vermischten sich diese frühen Bauern mit levantinisch-neolithischen Gruppen, um jene anatolisch-neolithischen Bauern zu formen, die sich dann nach Europa ausbreitete und nach Osten ...
During the subsequent millennia, these early farmers further admixed with Levant Neolithic groups to form Anatolian Neolithic farmers who spread towards the west to Europe and in the east ....

Ob es sich bei den anatolischen Jäger und Sammler schon um "Bauern" handelte, scheint uns eher ungewiß zu sein. Sicher aber ist, daß sie es im Zuge dieses zweiten Vermischungsprozesses wurden. Und weiter heißt es (2):

.... um sich dort mit iranisch-neolithischen Bauern zu vermischen, um die kupferzeitlichen Gruppen von Seh Gabi und Hajji Firuz zu formen. Indem wir das neue Verfahren DATES nutzen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß sich diese kupferzeitlichen Gruppen 7.600 bis 5.700 v. Ztr. geformt haben.
.... to mix with Iran Neolithic farmers forming the Chalcolithic groups of Seh Gabi and Hajji Firuz. Using DATES, we inferred the Chalcolithic groups were genetically formed in ~7,600–5,700 BCE. 

Bei diesem letzten Vermischungsereignis haben wir es ganz offensichtlich mit der Formierung und Ausbreitung der Halaf-Kultur, bzw. der südkauasischen Sholumo-Shomu-Kultur zu tun.


//  Zuerst auf Google+, 25.9.2018;
überarbeitet und erweitert: 22.1.2022  //
 
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  1. Late Pleistocene human genome suggests a local origin for the first farmers of central Anatolia. September 2018.DOI: 10.1101/422295, Autoren: Michal Feldman, Eva Fernandez Dominguez, Luke Reynolds u.a., sowie Johannes Krause, Preprint biorixv (Researchgate)
  2. Reconstructing the spatiotemporal patterns of admixture during the European Holocene using a novel genomic dating method Manjusha Chintalapati, Nick Patterson, Priya Moorjani bioRxiv 2022.01.18.476710; doi: https://doi.org/10.1101/2022.01.18.476710

Freitag, 21. September 2018

Ameisen - Gehirngröße korreliert mit arbeitsteiliger Spezialisierung

Um so monogamer, um so größer das Gehirn (bei Vögeln und Säugetieren). Um so größer die Gruppe, die zusammen hält, um so größer das Gehirn (bei Primaten). So lauten die bisherigen Forschungsergebnisse der Social-Brain-Theorie nach Robin Dunbar.

Ob diese Prinzipien auch für Ameisen, Bienen und andere soziale Insekten gelten? Diese Frage stellt sich schon seit 20 Jahren, seit Robin Dunbar die ersten Ergebnisse veröffentlichte. Damals hielt man es fast für absurd, Gehirngrößen von Insekten zu "messen". Aber genau das geschieht heute. Und heute ist bekannt (worüber ich auf meinem Blog schon berichtete): Um so monogamer, um so leichter der evolutionäre Übergang zu komplex-sozialem, gesellschaftlich-arbeitsteiligem Leben (Boosmas' Monogamie-Prinzip von 2008). Gilt bei diesen dann auch - wie bei Primaten und Menschen: Um so größer die Gruppe, die zusammen hält, um so größer das Gehirn?
 
Abb. 1: Querschnitte durch Gehirne von Ameisen (aus: 1)

Erste Daten scheinen darauf hinzuweisen (1), allerdings ergibt sich noch kein einheitliches Bild. Einige Daten sagen: Um so herausforderungsvoller die Aufgaben in einer komplexer arbeitsteilig gegliederten Gesellschaft, um so größer das Gehirn - aber - nach einer Studie (1) - nicht die Gehirn-Aktivität - bei einer Ameisenart.

Beim Menschen korreliert ja heute die berufliche Spezialisierung mit dem Intelligenz-Quotienten.

Bei Wespen wurde neuerdings festgestellt, daß die Gehirngröße mit der sozialen Dominanz korreliert, das heißt, die Königin hat das größte Gehirn (2).
 
Zuerst auf Google+
21.9.2018
 


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  1. Social complexity influences brain investment and neural operation costs in ants. By J. Frances Kamhi, Wulfila Gronenberg, Simon K. A. Robson, James F. A. Traniello, Published 19 October 2016.DOI: 10.1098/rspb.2016.1949 , http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/283/1841/20161949
  2. Sean O’Donnell, Susan J. Bulova, Sara DeLeon, Meghan Barrett, Katherine Fiocca: Caste differences in the mushroom bodies of swarm-founding paper wasps: implications for brain plasticity and brain evolution (Vespidae, Epiponini). In: Behavioral Ecology and Sociobiology, 13.7.2017, https://link.springer.com/article/10.1007/s00265-017-2344-y
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