Freitag, 16. Januar 2009

Gruppenselektion und "ethnisch homogene Zwischenhändler-Gruppen"

ResearchBlogging.org
Das Dezember-Heft der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift "Journal of Bioeconomics" ist dem Thema "Gruppenselektion", bzw. Mehr-Ebenen-Selektion (Multi-Level-Selektion) gewidmet. (1) Es entstand auf Anregung des derzeit bekanntesten Vertreters der Gruppenselektions-Theorie, nämlich David Sloan Wilson's. Im Mittelpunkt des Heftes steht der Aufsatz der amerikanisch-chinesischen Wirtschaftswissenschaftlerin Janet Tai Landa (2) über "ethnisch homogene Zwischenhändler-Gruppen als evolutionär angepaßte Einheiten". ("ethnically homogenous middleman group" = EHMG). Mit diesem Thema beschäftigt sich Landa seit den frühen 1980er Jahren und sie hat dazu auch schon im Jahr 2004 am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena referiert.

In Kürze besagt ihre These, daß in einer kulturellen und wirtschaftlichen Umgebung, die von Unsicherheit geprägt ist, es vorteilhaft ist für Zwischenhändler, sich auf zuverlässigere ethnisch ähnliche Handelspartner zu verlassen und sich mit ihnen zusammenzuschließen, also mit solchen, mit denen man möglichst ähnliche ethische und religiöse Grundhaltungen teilt. Durch die ethnische Homogenität, Ähnlichkeit ist gewährleistet, so Landa, daß "tit-for-tat"-Beziehungen nicht so leicht durch Täuscher und Trittbrett-Fahrer unterwandert werden können.

Diese These ist von vornherein so einleuchtend, daß man sich fragt, warum sie offenbar nicht schon lange in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert worden ist. Als Anschauungsbeispiele benutzt Landa anhand eigener Forschungen und wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftshistorischer Literatur:
1. die chinesischen Zwischenhändler in West-Malaysia (2, S. 269), die durch konfuzianische Grundhaltungen zusammengehalten werden,
2. chinesische Zwischenhändler in der heutigen Volksrepublik China (2, S. 270)
3. indische Zwischenhändler, die ethnisch-religiös durch die Religion des Jainismus zusammengehalten werden (der einen asketischen Lebensstil fördert ähnlich der protestantischen Ethik) (2, S. 271)
4. indische Zwischenhändler in Zentralafrika (2, S. 272)
5. indische Händler in Südafrika (2, S. 272)
6. libanesische Händler in Westafrika (2, S. 272)
7. jüdische Händler im mittelalterlichen Europa (2, S. 273)
8. mittelalterliche Juden in Tunesien (2, S. 273)
9. heutige Juden in Antwerpen, Amsterdam und New York (2, S. 274)
Zu letzteren wird die interessante Tatsache angeführt, daß seit vielen Jahrzehnten im Diamant-Handel der drei genannten Städte "Jiddisch" die Umgangssprache ist, und daß es eine Arbeitsteilung gibt zwischen weniger orthodoxen Juden, die den Exporthandel dominieren und streng-orthodoxen, hassidischen Juden, die den Importhandel und den einheimischen Handel dominieren.

Kritische Einwürfe

Im Diskussionteil erörtern Richard A. Epstein, Alexander J. Field, Peter A. Corning, Christopher Boehm, Richard Sosis, Paul Swartwout und Frank Salter die Thesen von Landa, sowohl verhalten kritisch wie verhalten positiv. Mehrere Kommentatoren (etwa Sosis, Swartwout, Salter) kritisieren, daß Landa bisher nicht darauf eingegangen ist, daß in einer evolutionären Theorie Reproduktions-, also Fortpflanzungsentscheidungen und Einflüsse auf diese im Mittelpunkt stehen müssen. Stattdessen brachte Landa ein Zitat, in dem es hieß:
"Nothing in the economic world correspond to the exact process of biological inheritance ..." (2, S. 268)
Dieser Satz erscheint allerdings wirklich ein bischen zu arg einfach gestrickt. Als ob sich Wirtschaftswissenschaftler nicht sehr zentral und basal - oft als Einführung von wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesungen - zunächst einmal mit der Demographie der von ihnen untersuchten Volkswirtschaften beschäftigen müßten und würden. Ohne Menschen, Arbeitskräfte, keine Wirtschaft, keine soziale Absicherung. Der Zusammenhang ist ja in den letzten Jahrzehnten immer unübersehbarer geworden. Und Arbeitskräfte, Menschen haben unterschiedliche biologische Merkmale und kulturelle Merkmale, oft solche, die über Prägung schon in früher Kindheit erworben werden (muttersprachliche, sozialpsychologische Prägungen und anderes).

Und dementsprechend geht auch Frank Salter vom Max-Planck-Institut für Verhaltenswissenschaften folgerichtig einen Schritt weiter und macht darauf aufmerksam, daß auch Erbmerkmale wie Intelligenz oder Gewissenhaftigkeit "Humankapital" darstellen, also Humankapital, das unmittelbar im Rahmen evolutionären Denkens in Rechnung gestellt werden kann. Denn menschliche Gesellschaften sind von diesem Humankapital, das durch simple biologische Vererbung und frühkindliche Prägung weitergegeben wird, beeinflußt.

Literatur:

1. Janet Tai Landa, David Sloan Wilson (2008). Group selection: Theory and evidence. An Introduction to the Special Issue Journal of Bioeconomics, 10 (3), 199-202 DOI: 10.1007/s10818-008-9049-2

2. Janet T. Landa (2008). The bioeconomics of homogeneous middleman groups as adaptive units: Theory and empirical evidence viewed from a group selection framework Journal of Bioeconomics, 10 (3), 259-278 DOI: 10.1007/s10818-008-9043-8
3. Frank Salter (2008). Genes and homogeneous trading groups: A comment on Janet Landa’s target paper Journal of Bioeconomics, 10 (3), 303-306 DOI: 10.1007/s10818-008-9047-4

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