Ein urtümliches Blasinstrument in der Menschheitsgeschichte
Muschelhörner (Wiki) - Muschelhörner? Was sind denn das für Dinger ... ? Auf jeden Fall ungewöhnlich anzusehen.
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| Abb. 1: Muschelhorn-Bläserin - Eine Polynesierin von der Insel Raratonga (Cook Inseln) |
Auf solche Muschelhörner mag noch noch nicht jeder aufmerksam geworden sein. Wenn man sich mit ihnen ein wenig beschäftigt, wird man allerdings vertrauter mit ihnen und man erhält über sie auch einen tieferen Blick in die Geschichte menschlicher Kulturen.
In Europa mögen noch am bekanntesten sein die Waldhörner. Diese sind heute in der Regel aus Metall und auf ihnen können Naturtöne (Wiki) gespielt werden. Mit einem solchen Waldhorn hat auch die Trompeten-Karriere des Verfassers dieser Zeilen begonnen. Außerdem gibt es traditioneller Weise in Europa die unterschiedlichsten Arten von Hifthörnern (Wiki), Alphörnern (Wiki), oft Rinderhörner, Büffelhörner, sowie Natur- bzw. Holztrompeten (Wiki) unterschiedlicher Machart. Solche mögen zum Beispiel Schäfern, Hirten, Jägern oder Kriegern zur Lauterzeugung gedient haben.
Nun aber Muschelhörner! Auf diesen kann man in der Regel nur einen Naturton spielen, ggfs. kann er variiert werden. Und es gibt doch wahrhaftig auch mancherlei Menschen innerhalb der westlichen Kultur, die von klein auf gelernt haben, Muschelhörner zu spielen, zum Beispiel Menschen, die in Key West, an der Südspitze von Florida leben (Yt2013). Das ist ja auch nahe liegend, wenn man in der Nähe von Meeresufern lebt, wo man leicht zum Sammler schöner, großer, auffälliger Muscheln werden kann.
In einer neuen archäologischen Studie lesen wir, daß die Schalen von Muscheln und Meeresschnecken schon seit der Eiszeit von Menschen zur Laut-Erzeugung genutzt werden, und daß sie im Neolithikum nicht nur in Meeresnähe, sondern auch zum Beispiel bis nach Mitteleuropa hinein verbreitet waren (1).
Auf dem deutschen Wikipedia findet sich ein schöner Überblick über die archäologischen und völkerkundlichen Erkenntnisse zur Nutzung und Verbreitung von Muschelhörnern (Wiki).
Solche wurden traditionellerweise zum Beispiel auch auf der Insel Raratonga in Polynesien verwendet (Abb. 1). Ebenso werden sie in der traditionellen koreanischen Musik verwendet. Hier heißen sie "Nagak" (Wiki). Man kann sie etwa bei der Wachablösung der Königlichen Garde an einem der königlichen Paläste in Seoul in Korea sehen und hören (Abb. 2) (Yt2024, Inst2024).
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| Abb. 2: Muschelhorn-Bläser im Rahmen der traditionellen, täglichen Wachablösung der Königlichen Garde in Seoul, in Gyeongbokgung, bei einem der königlichen Paläste (Wiki) |
Auf Englisch werden Muschelhörner "Conch", bzw. "Conch Shell Horn" genannt. Mit einem solchen Muschelhorn können Signale gegeben werden oder es kann urtümlicher Lärm gemacht werden.
Manche Menschen sprechen dem Anhören und auch dem Blasen solcher Muschelhörner heilende, wohltuende Wirkung zu. Es scheint, als ob der Mensch in den unterschiedlichsten Kulturen Muschelhörner auch im Zusammenhang mit religiösen Ritualen verwendet hat. Gehen wir einige Beispiele chronologisch durch.
Pyrenäen (17.000 vor heute)
In der Höhle Marsoulas (Wiki), gelegen in den französischen Pyrenäen, fand sich - neben Höhlenmalerei aus der Zeit des Magdalenien - auch ein Muschelhorn aus der Zeit um 17.000 v. Ztr. (ScMag2021). In einem Bericht darüber wird auch eine Hörprobe gegeben (NPR2021).
Katalonien (um 4.000 v. Ztr.)
In der genannten neuen Studie aus diesem Jahr 2025 werden zwölf Muschelhörner aus dem Mittelneolithikum Kataloniens behandelt aus der Zeit um 4.000 v. Ztr. (1).
Das ist die Zeit der ersten hierarchisch gegliederten Staaten, Fürstentümer und Königreiche in Europa.
Minoische Kultur (1.600 v. Ztr.)
Im Zusammenhang mit der minoischen Kultur fanden sich auf Kreta Muschelhörner oder Nachbildungen von Muschelhörnern aus Ton (Resg2013).
Mykene (1.600 v. Ztr.), Ninive und Hesiod (700 v. Ztr.)
Naheliegend, daß Muschelhörner dann auch in Mykene genutzt wurden. Ein solches fand sich in Gräbern aus der Zeit um 1600 v. Ztr.. Und zwar sogar in Ton nachgebildet (Wiki):
Ein Ton-Schneckenhorn nach dem Vorbild einer Charonia variegata wurde im Gräberrund A der altgriechischen Stadt Mykene aus dem 16. Jahrhundert v. Ztr. gefunden.
Muschelhörner finden auch Erwähnung bei dem griechischen Dichter Hesiod, der um 700 v. Ztr. gelebt hat.
Nach diesem ist Triton (Wiki) ...
... ein Gott am Meeresgrund, der im goldenen Palast seiner schönen Mutter Amphitrite und seines Vaters Poseidon wohnt. Er wird als schreckenerregend und mit seinem Schneckenhorn als Frauenverführer beschrieben. Auf Darstellungen erscheinen neben den Tritonen mit fischartigem Unterkörper gelegentlich auch Tritoninnen, die sich aber meist wie Nereiden verhalten und mit den Tritonen durch die Meere schwimmen.
Auf diesen Hesiod gehen dann offenbar die unzähligen Tritonen-Darstellungen der europäischen Barock-Malerei und -Bildhauerei zurück, von denen wir weiter unten einige Beispiele bringen.
Aus der Zeit um 700 v. Ztr. fand sich ein Schneckenhorn auch in Ninive, der damaligen Hauptstadt von Assyrien.
Pompeji (79 n. Ztr.)
Weiterhin lesen wir über Pompeji (Wiki):
In den Trümmern (...) wurden 52 Schneckenhörner der Art Charonia lampas gefunden, neun weitere in Herculaneum und ein Exemplar im gleichfalls verschütteten Nachbarort Boscoreale. Nicht bei allen war die Spitze abgebrochen, aber ein großer Teil dürfte als Blasinstrument verwendet worden sein. Bei vier Hörnern ist die Anblasöffnung sorgfältig geglättet und zu zwei weiteren gehört ein Mundstück aus Bronze. Auf zwei Mosaiken aus Pompeji sind ebenfalls Schneckenhörner zu sehen.
Und (Wiki):
In den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid hat (...) die Sintflut alles Land mit Wasser bedeckt, aus dem nur noch der Gipfel des Parnass herausragt. Dort blieben als einziges Menschenpaar Deukalion und Pyrrha am Leben. In dieser Situation bat der römische Meeresgott Neptun den Triton, aus der Tiefe des Meeres aufzusteigen und die Wassermassen mit seinem Schneckenhorn zurückzurufen. Mit diesem machtvollen Signal, das bis in alle Weltgegenden zu hören war, wies Triton die Fluten an, sich zurückzuziehen, damit das Land wieder hervortreten konnte. Das Schneckenhorn wird als so mächtig geschildert, daß sein Ton das Schicksal der Menschen zu entscheiden vermag. Von seiner mit dem Meer und mit Göttern verbundenen magischen Rolle, die dem Schneckenhorn bei Seefahrern zukam, übertrug sich die rituelle Bedeutung auf andere Zusammenhänge. Die magische Schutzfunktion neben der Signalwirkung zeigt sich noch bei der Verwendung als Kriegstrompete in der Antike. Auf Latein nannte man das Schneckenhorn bucina marina („Horn/Trompete des Meeres“) nach dem Namen bucina, den die Römer allgemein für Naturtrompeten aus Metall verwendeten.
Das Schneckenhorn spielt auch im indischen Bereich eine Rolle, so daß man schlußfolgern könnte, daß es auch schon bei den Urindogermanen eine Rolle gespielt hat.
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| Abb. 3: Peter Paul Rubens (1577-1640) - Triton und Nereide |
Seit der Barock-Zeit ist das Muschelhorn im Zusammenhang mit dem Triton-Mythos ein beliebtes Motiv in der Malerei und Bildhauerei geworden.
Meistens sind das Muschelhorn und der Muschelhorn-Bläser nur schmückendes Beiwerk. Vielleicht werden sie von den Künstlern als zusätzlicher Hinweis genutzt auf die Naturhaftigkeit des Menschen, auf die Triebhaftigkeit, auf die Verführbarkeit.
Vielleicht verstärkt das Muschelhorn auch den Rückblick aus einer schon zivilisierter gewordenen Welt in eine Welt, die einem "triebhafteren" Urzustand noch näher stand.
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| Abb. 4: Neptun und Triton (Wiki) - Entstanden 1622/23 - Frühe Skulptur des italienischen Bildhauers Gian Lorenzo Bernini (1598-1680 (Wiki), heute im Victoria und Albert-Museum in London - Ursprünglich geschaffen für einen Brunnen in Rom |
Auf das Motiv greifen zurück: Raffael in seinem berühmten Gemälde Galathea, Peter Paul Rubens (s. Abb. 3), der italienische Bildhauer Bernini (s. Abb. 4), der italienische Maler Sebastiano Ricci (s. Abb. 5).
Auch der italienische Bildhauer Giacomo Antonio Ponsonelli (1654–1735) (Wiki) hat in Valencia einen sehr schönen Tritonen-Brunnen geschaffen, in der das Muschelhorn sozusagen den Mittelpunkt bildet (WikiC).
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| Abb. 5: "Triumph der Meeresvenus" des italienischen Malers Sebastiano Ricci (1659-1734), entstanden um 1713, Getty Museum (Wiki) - Ausschnitt |
Seit 1732 entstand der Trevi-Brunnen in Rom, der dieses Motiv verwendet (Abb. 6). Und so könnten noch unzählige weitere, herrliche Beispiele gebracht werden (Überblick: FineAmerica).
Überall wo der Meeresgott Triton, Nereiden oder die Meeresvenus als Motive der Maler auftreten, sind solche Muschelhörner nicht weit.
Wir wissen aber jetzt, daß diese Muschelhörner gar nichts Ausgedachtes der Maler oder Bildhauer waren, sondern daß sie auf uralte Traditionen in menschlichen Kulturen weltweit zurück gehen, in Europa bis zurück in die Zeit der Eiszeit-Jäger.
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| Abb. 5: Trevi-Brunnen in Rom (1732-1762) (Wiki) |
Und wir hatten noch nicht erwähnt, daß das Muschelhorn auch im vorkolumbianischen Amerika verbreitet war.
Das Motiv der Tritonen, die auf Schneckenhörnern blasen, blieb beliebt bis hin zu solchen deutschen Malern wie Arnold Böcklin oder Hans Thoma.
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- López-Garcia M, Díaz-Andreu M. Signalling and music-making: interpreting the Neolithic shell trumpets of Catalonia (Spain). Antiquity. 2025;99(408):1480-1497. doi:10.15184/aqy.2025.10220 (Antiquity2025)






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