Montag, 21. Juli 2025

Vom Stolz der Menschenseele

Und was dieser mit Traumaheilung zu tun hat

Adler - Ausdruck von Stolz

Die Herangehensweise des Traumatherapeuten Gopal Norbert Klein im Zusammenhang mit der Heilung von Kindheitstraumata ist schon seit mehr als einem Jahr Thema hier auf dem Blog (s. z.B. Stg24). Gopal stammt aus Wiesbaden und Gießen. Er hat selbst ein Kindheitstrauma erlebt. Er hat sich in Auseinandersetzung mit diesem zum Traumatherapeuten entwickelt. Er scheint uns wesentliche Antworten auf all die ungelösten Fragen zu geben, die der Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Vortrag "Wie das Gehirn die Seele macht" von 2013 noch als weitgehend ungeklärt dargestellt hatte.

Nämlich: Kann man Kindheitstraumata überhaupt heilen. Gopal sagt: Ja. Und zwar: "Durch Kontakt". Das ist die wesentliche Botschaft. Durch Kontakt, durch "ehrliches Mitteilen" und durch Hören auf das, was gesagt wird und wie sich mitgeteilt wird. Wenn man sich auf diesen Weg begibt, kann man immer wieder neue Entdeckungen machen. 

Immer einmal wieder sehen wir deshalb in die Video's oder Interviews mit Gopal Norbert Klein hinein. Das hier eingestellte Video (1) habe ich mir vor einigen Wochen - zunächst ein wenig gleichgültig - angesehen. An der Stelle, wo ich es einsetzen lasse (bei Minute 6), habe ich schon damals ein bisschen mehr aufgehorcht. Ich habe mir gedacht: Wow, mit was für krassen Fällen Therapeuten beschäftigt sein können. 

Aber so wirklich auf eigene Erfahrungen habe ich das damals nicht beziehen können oder höchstens - wie ich mir damals dachte - "in groben Zügen".

Zum Beispiel hatte ich bis dahin nie so recht für mich verstanden, wie ich mir die Strategie "Manipulation" in Aktion und Reaktion eigentlich konkret vorstellen sollte. So dachte ich damals. Traumatherapeuten sprechen ja von drei bis vier verschiedenen, tief in der tierlichen Evolution und damit im Stamm- und Zwischenhirn angelegten, körperlichen und seelischen Strategien, mit "Todesgefahr" umzugehen: Angriff, Verteidigung und Totstellen (Erstarrung), sowie - mitunter als vierte Strategie genannt: Manipulieren. Die drei erstgenannten kann man sich ja ohne Schwierigkeiten vorstellen. Aber was soll "Manipulieren" in Todesgefahr bedeuten? Hier war nun einmal ein sehr konkreter Ausschnitt von "Manipulationsmöglichkeiten" sehr anschaulich beschrieben: Den Gegner oder das projizierte "gefährliche" Gegenüber in die Irre führen, Tarnen und Täuschen, Antäuschen, Ausweichen, Angriffe ins Leere laufen lassen, Tricksen. Und zwar kann das alles für alle Beteiligten völlig unbewußt stattfinden. Es wird aber schon deutlich, daß für die Überlebensstrategie Manipulation schon etwas mehr gebraucht wird als nur Stamm- und Zwischenhirn. Da kommen offenbar auch höhere Gehirnregionen mit ins Spiel, die verdammt schnell reagieren können.

Vor einigen Tagen jedenfalls kam mir genau dieses Video wieder in den Sinn. Es hatte einige Enttäuschungen in meinem Leben gegeben. Alte Strategien (Handlungsstrategien) "fruchteten" nicht mehr. Tagelang fühlte ich mich deshalb wie ohnmächtig, funktionierte nur noch wie eine Maschine, wollte über nichts mehr nachdenken. Bis allmählich so der eine oder andere neue, weiterführende Gedanke "wie von selbst" in die Wahrnehmung kam.

Und in diesem Zusammenhang fiel mir dann auch dieses Video wieder ein. Und plötzlich machte alles so viel mehr Sinn. Das, wovon in diesem Video die Rede ist, war - und ist - meine Jahre lange Erfahrung gewesen. Nein, meine Jahrzehnte lange Erfahrung gewesen mit nahen Angehörigen.

Ich habe jetzt lange auf Youtube gesucht, um dieses Video wieder zu finden.

Ich finde: In diesem Video kommt der Gopal auf Themen zu sprechen, von denen er sonst relativ selten - zumindest so direkt und anschaulich - spricht. Aber für mich sind diese Dinge ein wichtiger Schlüssel.

Es ist der Menschenstolz der Menschenseele

Und indem ich die Inhalte dieses Videos weiter dachte, schrieb ich mir vor zwei Tagen (am 19. Juli 2025) auf:

Jemand müßte dem Gopal Norbert Klein einmal sagen, daß es der Menschenstolz der Menschenseele ist, der sich in der Nähe des Erlebensbereiches der Menschenwürde bewegt (von der schon im Artikel 1 des Grundgesetzes die Rede ist), und die zum Beispiel von der Psychiaterin Mathilde Ludendorff oder von dem Philosophen Peter  Sloterdijk als so wesentlich angesehen werden (von Mathilde Ludendorff "Gottesstolz" genannt, Sloterdijk spricht von "thymotischen Energien"), daß diese Erlebensbereiche von Stolz und Würde sehr oft Heilungsvorgänge verhindern, weil sie alle die manipulativen Vorgänge, die Heilungen verhindern, befördern, daß sie aber auch, wenn es in glücklicher Zeit zu ehrlicher Mitteilung dieser Erlebensbereiche kommt, erste authentische, ehrliche Mitteilungen in die Kommunikation einfließen läßt. Oft zunächst als Empörung. Was dann wiederum heilsam sein könnte. Der Gottesstolz möchte immer Herr der Situation bleiben, sehr, sehr gerne auch einmal auf Kosten ehrlicher Mitteilung und auf Kosten der Wahrheit und damit - unbewußt - auf Kosten körperlicher und seelischer Gesundheit. Nämlich indem er sich selbst und andere "manipuliert".

Und ganz genau so beschreibt auch die Psychiaterin Mathilde Ludendorff den Gottesstolz (2) (Archiv). Nämlich daß er in traumatischen Zusammenhängen "Boten" an das Unbewußtsein sendet, die dann Traumafolgen bewirken auf körperlicher und seelischer Ebene. Und auf diesen Ebenen können sie oft Jahrzehnte lang völlig unverändert in immer derselben Weise fortwirken. Weil ein bestimmtes Erleben oder Verhalten ins Unterbewußtsein "verdrängt" worden ist, statt mitgeteilt und ausagiert worden ist. 

Der Gottesstolz ist womöglich wirklich etwas sehr besonderes. Und diejenigen, die ihm zuhören, sind heilig, die ihm zuhören sowohl dann, wenn er auf dem manipulativem Wege unterwegs ist wie auch dann, wenn er ehrlich mitteilt und sich - dadurch  - womöglich stolz und gottnah in die Höhe reckt.

Fast "ohne Rücksicht auf Verluste" zerstört dieser Gottestolz oder möchte Gottnähe bewirken, immer aber möchte er Herr der Situation bleiben. Ihm ist es - mitunter - "unerträglich", sich "unterwürfig", ohnmächtig zu zeigen, sich der Situation nicht gewachsen zu zeigen. Der Gottesstolz ist ein Recke aus uralten Zeiten, schon aus jeder uralten Isländer-Saga leuchtet er strahlend hervor.

Abb. 2: Gorch Fock (1880-1916)

So schrieb ich in groben Zügen vor zwei Tagen (heute noch mal etwas überarbeitet, weil einem ständig neue Gedanken dazu kommen).

Gorch Fock

Und heute kommt mir auch noch in den Sinn: Der Hamburger Schriftsteller Gorch Fock (1880-1916) hatte eine Ahnung von den Wirkungen dieses Stolzes - in seiner Freiheit ebenso wie in seinen Verzerrungen - als er irgendwann als Eintrag in sein Tagebuch niederschrieb:

"Mein Herz, sei streng und halt dich frei von Dünkel und von falschem Stolz! Sei gütig, mein Herz, und beschenke dich immer mehr mit echtem, freiem Stolz."

Es war dieses Zitat, was ich mir schon in meiner Jugend mit 17 oder 18 Jahren als bedenkenswert aufgeschrieben hatte. Als ein Wort, an dem man sein Leben ausrichten konnte.

Peter Sloterdijk

Zum erwähnten Philosophen Peter Sloterdijk: Wir haben mindestens zwei Beiträge veröffentlicht zu seiner Sicht auf "thymotische Energien". Wir haben dabei hervorgehoben, daß Sloterdijk seine Sicht prägnanter in einem Cicero-Interview geäußert hat als in seinem ganzen Buch "Zorn und Zeit" (Stg07a, Stg07a). 

Mathilde Ludendorff

Noch einige Zitate, aus denen hervor geht, wie Mathilde Ludendorff das Wesen des Gottesstolzes sieht, erkennbar für sie etwa auch in der Umwertung des von den Germanen erlebten und gelebten Gottesstolzes in christlicher Zeit (2, S. 139):

Gegenüber dem aus dem Erleben der Gottgemeinschaft geborenen starken Gottesstolz unserer Ahnen, den er in seinem Unterbewußtsein als Erbgut trägt, schützt er sich durch fortwährende Beteuerung der "Demut vor Gott", des „Unwürdigseins der Gnade, des "Allzumal-Sünder-Seins". Dem aus diesem Gottesstolz und der Gottgemeinschaft geborenen Vertrauen auf die eigene Kraft zur Vollkommenheit gegenüber beteuert er seine "Ohnmacht", fleht auf den Knien um "Erbarmen und Gnade". Dem aus dem Gottesstolz geborenen Erbgut des heldischen Wollens, sich in kraftvollster Abwehr der feindlichen Mächte sein Schicksal zu gestalten, sucht er sich zu entziehen durch fortwährendes Beteuern, man müsse das "vom Herrn gesandte Schicksal geduldig und demütig hinnehmen". (...) So stellt also ein solcher Mensch mit der Treue einer Lichtbildplatte das Gegenteil („Negativ"), das Kontrastbild des Erbgutes in seinen Wertungen dar.

Es sollen noch weitere Zitate gebracht werden, die das vielfältige Wirken des Gottesstolzes in der Menschenseele aus ihrer Sicht verständlich machen können. 

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  1. Gopal Norbert Klein: Wie du jede Psychotherapie scheitern läßt: Kontextwechsel, Kulissenschieben, Reframing. Traumaheilung & Medialität, 12.02.2024 (Yt)
  2. Ludendorff, Mathilde: Des Menschen Seele. Ersterscheinen 1925 (Archive)
  3. Gorch Fock - Sterne überm Meer. Tagebuchblätter und Gedichte. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Aline Bussmann. Glogau 1918 (GB)

Freitag, 4. Juli 2025

Im Wald bei Altenstadt in der Wetterau

Zeugnisse der Französischen Revolution seit 4.700 v. Ztr.
- Weiteres zu den Jade-Beilen des Mittelneolithikums

Dieser Blogartikel ist der dritte
einer dreiteiligen Reihe 

1933 kam in Altenstadt in der Wetterau (Wiki), gelegen 16 Kilometer südöstlich jener Stadt Friedberg in der Wetterau (GMaps), nach der die "Friedberg-Planig-Kultur" der Zeit um 4.600 v. Ztr. benannt worden ist (Stg25), der örtliche Reichsarbeitsdienst auf die offenbar sehr "glorreiche" Idee, einen großen Stein inmitten des Waldes nahe dem Kloster Engelthal zu sprengen. Dieser große Stein war gelegen auf einer Anhöhe, die "Haale Berg" genannt wurde (Abb. 1).

Abb. 1: Der Felsen im Wald bei Altenstadt in der Wetterau vor seiner Sprengung im Jahr 1933 (aus: 2017)

Dieser Felsen war den Menschen, die in früheren Jahrtausenden hier lebten, offenbar heilig. Seither ist er aber nur noch in gesprengter Form zu besichtigen (s. GMaps). Sprachbewußten Menschen hätte immerhin schon 1933 bewußt gewesen sein können, daß der Name "Haale Berg" von "Heiliger Berg" abgeleitet sein könnte. Wenn dem so wäre, hätte sich eine Ahnung der religiösen Bedeutung dieses Berges über diese Namengebung sogar bis heute in der Bevölkerung erhalten - allerdings ohne daß diese Ahnung scheint Einfluß genommen zu haben auf das Handeln des Reichsarbeitsdienstes im Jahr 1933. 

Jedenfalls wurden bei der Sprengung mehrere Steinbeil-Klingen aus Jade entdeckt, die an diesem Felsen von Menschen des 5. Jahrtausends v. Ztr. niedergelegt worden waren - vermutlich in heiliger Andacht und Ehrfurcht vor der Gottheit, die man in diesem Felsen gesehen haben mochte (Abb. 2). Hat man in diesem Stein den Wal-Gott gesehen, der im Mittelneolithikum an manchen Orten eine Rolle spielte (s. letzter Beitrag)?

Heilige Steine werden wohl von Naturvölkern weltweit verehrt, sie wurden spätestens seit dem Mittel- und Spätneolithikum über ganz Europa hinweg und bis nach Arabien hinunter verehrt (Stg19), und so auch hier im Wald bei Altenstadt in der Wetterau.

Die meisten Bestandteile dieses Fundes vom "Haale Berg" bei Altenstadt in der Wetterau verbrannten höchstwahrscheinlich 1945 in einem provisorischen, nur sechs Kilometer entfernt gelegenen archäologischen Glauberg-Museum (dem "Jakob Sprenger-Haus"). Oder sie gingen auf andere Weise verloren. Zuverlässig erhalten scheint bislang jedenfalls nur eines der dort gefundenen Steinbeil-Klingen. Der ganze Fund war auch bis 1990 niemals gründlich wissenschaftlich publiziert worden (Baitinger2017):

Einen entscheidenden Wendepunkt bildete 1991 ein Beitrag von Manfred Menke, der als Vorarbeit zu einem geplanten "Corpus der  Jadeitbeile in Hessen" verstanden werden sollte.

Irrtümlicherweise wurden in diesem Beitrag aber nun die Steinbeil-Funde vom Haale Berg bei Altenstadt identifiziert mit ...

... drei im Schloßmuseum zu Büdingen  aufbewahrten Beile(n). (...) Mit M. Menkes Artikel war der Fundkomplex - fast 60 Jahre nach seiner Entdeckung - scheinbar endlich in  angemessener Form in die Fachliteratur eingeführt worden, und tatsächlich beziehen sich sämtliche seither erschienenen Publikationen auch auf diesen Beitrag. Dies gilt ebenso und besonders für die europaweite  Gesamtaufnahme von Jadebeilen, die Pierre Pétrequin und seine Mitarbeiter seit den 1990er und in den  2000er Jahren durchgeführt haben. Das Depot stand Pate für den relativ späten "Beiltyp Altenstadt", den  eine flache, dreieckige Klinge mit geraden oder allenfalls leicht konvexen Kanten und einer breiten Schneide  kennzeichnet; der »Typ Altenstadt« ist etwas breiter und nicht ganz so lang gestreckt wie der »Typ Greenlaw«, mit dem er jedoch eine »famille typologique« bildet. Verbreitet sind solche Beile insbesondere in Großbritannien, Nordostfrankreich, Belgien sowie in West- und Mitteldeutschland; datiert werden die in  Deutschland gefundenen Exemplare nach 4300-4200 v. Chr., also in die Zeit der Michelsberger Kultur. Als charakteristischer Vertreter für den "Typ Altenstadt" steht das Beil, dessen im Feuer verzogene Kunststoffkopie den Brand des Glauberg-Museums überdauert hat. Diese Wahl erweist sich im Nachhinein als überaus glücklich, weil es das einzige der von M. Menke publizierten Beile ist, das tatsächlich aus dem  Depot von Altenstadt stammt, wohingegen die drei anderen Stücke nicht zu diesem Komplex gehören.

Dieser Umstand wird 2017 anhand eines Kataloges des Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz aus den 1930er Jahren aufgezeigt. 

Abb. 2: Die Jade-Beile gefunden 1933 unter einem Felsen im Wald bei Altenstadt in der Wetterau, die größtenteils 1945 verloren gegangen sind, hier nach Zeichnungen des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz (aus: 2017)

Dort war der Altenstädter Depotfund nämlich mitsamt Abbildungen (Abb. 2) verzeichnet worden (2017):

Die drei im Büdinger Schloßmuseum aufbewahrten Beile gehören nicht zum Depot aus Altenstadt, sondern stellen tatsächlich einen eigenständigen Fundkomplex aus dem »Büdinger Land« dar, wie es K. Dielmann 1956 postuliert hat. Ihre Zuweisung an das Altenstädter Depot durch M. Menke war ein Irrtum, der sich anhand der Inventare des RGZM korrigieren läßt, sodaß das Depot von Altenstadt - 84 Jahre nach seiner Entdeckung - nun in korrekter Weise wiedergewonnen werden kann. 

Wie also in den Zitaten ausgeführt, leitet sich von einem der Beil-Klingen des Altenstädter Depots - aufgrund der Arbeiten des französischen Archäologen Pierre Pétrequin - ein vielleicht schon mit der Friedberg-Planig-Kultur, aber auch mit der Michelsberger Kultur europaweit verbreiteter Jadebeil-Typ ab, nämlich die Jade-Beil-Form "Typ Altenstadt" (s. Abb. 3). Altenstadt in der Wetterau liegt - wie schon erwähnt - nur sechs Kilometer westlich des Glauberges und des dortigen Keltenmuseums (Baitinger2017):

Die wahrscheinlich sakral motivierte Niederlegung unter einem großen Steinblock bei Altenstadt würde gut ins Bild passen, weil die Deponierung solcher Beile auch andernorts oft "an große natürliche Steinblöcke, aufgerichtete Menhire, Flußufer, Wasserfälle oder Moore gebunden" ist. Auch in der Wetterau lassen sich ähnliche Befunde aus der Jungsteinzeit anführen: Im unweit von Altenstadt gelegenen Ortenberg (Wetteraukreis) kam 1922 unter einem Felsblock ein aus drei Steinbeilen bestehendes Depot zutage, in Rockenberg (Wetteraukreis) wurde 1900 unter einem Findling ein Hort aus neun Feuersteinklingen entdeckt.

Auf die Fund- und Überlieferungsumstände des Altenstädter Depotfundes wird auf diesem Blog deshalb so ausführlich eingegangen, weil die Erforschung der Jade-Beile des Mittelneolithikums durch den französischen Archäologe Pierre Pétrequin seit 2007 im sogenannten "Jade-Projekt" zu einem völlig neuen Bild des Mittelneolithikums in Europa insgesamt geführt hat (Stg25). 

Weiteres zu den Forschungen von Pierre Pétrequin 

Es ging bei dem "Projekt Jade" seit 2007 um (1) ... 

... die Geschichte und Art der Nutzung grüner Gesteine aus den Alpen, ihren Produktionsweg ("Chaîne Opératoire") bei der Herstellung und bei der späteren Veränderung, ihre Verbreitung und Verwendung als Objekte, sowie ihre symbolische und ideologische Bedeutung sowohl in Bezug auf die Objektformen wie auch in Bezug auf die Materialauswahl. Das Projektteam analysierte zerstörungsfrei etwa 2100 große Axt- und Dechselklingen (sowie andere Artefakte) in ganz Europa sowie etwa 2500 Proben von Rohmaterial und Bearbeitungsabfällen und stellte so eine umfassende Referenzsammlung zusammen; es führte systematische Prospektionen und Ausgrabungen in hochgelegenen Abbaugebieten und Bearbeitungsstätten in den Westalpen durch; es trug alle Informationen zu Datierung, Fundkontexten und Darstellungen zusammen und es bewertete die Gesellschaften, die diese Objekte verwendeten, neu.
... the history and nature of the exploitation of green Alpine stones, the chaîne opératoire of artefact manufacture and subsequent modification, the circulation and use of the objects and the symbolic and ideological significance both of the object forms and of the choice of material. The project team non-destructively analyzed some 2100 large axe- and adze-heads (plus other artefacts) across Europe, along with around 2500 specimens of raw material and working debris, thereby forming a comprehensive reference collection; undertook systematic prospection for, and excavation of, high-altitude source areas and working sites in the Western Alps; collated all information about dating, depositional contexts and representations; and reassessed the societies that used these objects.

Das Rohmaterial der grünen Jade-Gesteine, das in den Westalpen auf Höhen zwischen 1700 und 2400 Meter gefunden wird, ist während des Mittelneolithikums bis zu 200 Kilometer weiter transportiert worden, bevor es weiter verarbeitet worden ist. Angesägtes Rohmaterial fand sich nämlich 200 Kilometer von jenen Regionen entfernt, wo es natürlicherweise als Gestein vorkommt und gesammelt werden kann.

Es mag übrigens in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden, daß die Neolithisierung des eigentlichen Alpenraumes erst ab 4.300 bis 4.100 v. Ztr. geschehen ist, sprich, die demographische Ausbreitung von Bauernvölkern in die Alpen hinein. Daraus könnte auch geschlußfolgert werden, daß es Nachkommen der mesolithischen Jäger und Sammler gewesen sind, die diese Jade-Gesteine ursprünglich gesammelt haben.

Abb. 3: Typochronologie der europäischen Jade-Beile 5.500-3-000 v. Ztr. (aus 1) - Französische "vers" heißt "etwa

Anhand von auf den ersten Blick geringen Form-Unterschieden zwischen einzelnen Jade-Beilen konnte eine Typochronologie erstellt werden (Abb. 3).

Die Typen-Namen sind - wie schon einleitend illustriert - oft viele Jahrzehnte alt. Sie beziehen sich auf Jade-Beile, die an den unterschiedlichsten Orten Europas gefunden worden sind. Also etwa auch in "Durrington Walls" (Wiki) in Südengland bei Stonehenge. Das ist eine proto-urbane, spätneolithische Siedlung des 4. Jahrtausends v. Ztr. (also vom Mittelneolithikum aus gesehen viele Jahrhunderte jünger). Dort verwendete Jade-Beil-Typen sind aber auch im Italien schon des 6. Jahrtausends v. Ztr. gefunden worden. Man darf sich von solchen eher willkürlichen Benennungen deshalb nicht beirren lassen. Der "Typ Bégude" wird benannt sein nach dem französischen Dorf La Bégude-de-Mazenc (Wiki) im Rhone-Tal, eine Siedlung, die noch vergleichsweise nahe an den Fundorten der alpinen Jade-Gesteine gelegen war. 

Jade-Beile ... 

... in der Cardial-Kultur Italiens (5.500-4.700 v. Ztr.)

Die ersten Werkzeuge aus Jade-Gestein finden sich in der Cardial-Kultur ab 5.500 v. Ztr., und zwar über ganz Italien verbreitet. In Italien scheint dieses Gestein in dieser Zeit zunächst eher für Alltags-Gegenstände genutzt worden zu sein (1):

Die ersten hergestellten Objekte waren kleine (<13,5 cm) Axt- und Dechselklingen für den „alltäglichen“ Gebrauch, doch im späten 6. Jahrtausend wurden „speziellere“ Artefakte hergestellt: einige lange Dechsel-Klingen vom Typ Bégude und Dechselklingen vom flachen, tropfenförmigen Typ Durrington.
The earliest objects to be made  were small (<13.5 cm) axe- and adze-heads for “everyday” use, but more “special”  artefacts were being made by the late 6th millennium: a few long adze-heads of  Bégude type and adze-heads of flat, teardrop-shaped Durrington type.

Die eigentliche Hoch-Zeit der Jade-Beile begann ab 4.700 v. Ztr..

... in der Lengyel-Kultur nördlich der Alpen (seit 4.700 v. Ztr.)

Nun wurden Werkzeuge aus Jade-Gestein auch in alle Regionen nördlich der Alpen exportiert. Also vor allem auf den Balkan und in die Ukraine, sowie nach Westfrankreich bis hinauf in die Bretagne (1):

Artefakte aus alpinem Gestein finden sich nur deutlich weiter entfernt und auch in ganz neuen Himmelsrichtungen. Mehrere Jade-Beile von den Typen Bégude und flacher Durrington zirkulierten nordwärts bis nach Österreich und in die Slowakei und wurden in Lengyel-Kontexten deponiert in Zusammenhang mit großen zeremoniellen Anlagen mit mehreren konzentrischen Gräben (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 696; 2017, Kap. 18).
Alpine artefacts travelled further, and in new directions (Fig. 6.6). Several adze-heads of Bégude and flat Durrington type circulated northwards as far as Austria and Slovakia, being deposited in Lengyel contexts including large ceremonial enclosures with multiple concentric ditches (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 696; 2017, ch. 18).

Die hier erwähnte Lengyel-Kultur (4.900-4.000 v. Ztr.) (Wiki) ist offenbar ebenfalls eine kulturell reiche und farbenprächtige Bauernkultur gewesen. Hier auf dem Blog hatte uns schon die "Venus von Unterpullendorf" als eines der ältesten Frauenporträts Europas beeindruckt (Stg21), das aus dieser hervorgegangen war. Die Keramik der Lengyel-Kultur hat Verbreitung gefunden bis zu Fischer-Dörfern an der Pommerschen Ostseeküste (Stg17). Die Lengyel-Kultur könnte - vergleichbar der Cucutenni-Tripolje-Kultur in der Ukraine - größere kulturelle und genetische Kontinuität aufgewiesen haben im Vergleich zur Rössener Kultur weiter im Westen.

... in der Cerny- und Carnac-Kultur in Nordfrankreich (seit 4.600 v. Ztr.)  

Wir lesen weiter (1): 

Große Jade-Beile vom Bégude-Typ gelangten zusammen mit alpinen Scheibenringen auch nach Nordwesten in das Pariser Becken und bis 4600 v. Ztr. bis in die Bretagne (über das Languedoc), wo einige Jade-Beile vom Bégude-Typ offenbar zu einem als Bernon bekannten Typ umgeschliffen wurden.
Large Bégude-type adze-heads, along with Alpine disc-rings, also travelled northwestwards into the Paris Basin and, by 4600 BC, as far as Brittany (via Languedoc), where some Bégude-type adze-heads appear to have been repolished into a type known as Bernon (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 108 Alison Sheridan, Pierre Pétrequin, Anne-Marie Pétrequin et al. figs 54 and 72).

Pierre Pétrequin und Koautoren nehmen in ihrem Bericht über den Export von Jade aus den Westalpen nach Italien und Südosteuropa ab 4.700 v. Ztr. vor allem auch Bezug auf die hier auf dem Blog schon behandelten Königsgräber von Warna an der Küste des Schwarzen Meeres im heutigen Bulgarien (Stg21).

... in Warna am Schwarzen Meer (4.500 v. Ztr.)

Sie schreiben (2019, S. 109f):

... Die Verwendung umgestalteter Beilklingen aus den Alpen wurde auf dem Friedhof Warna I in Warna bis ins 45. Jahrhundert hinein fortgesetzt (Abb. 6.7: Pétrequin et al. 2012, Kap. 6). In Warna waren die Jade-Gesteine aus den Alpen nur eines von mehreren kostbaren, meist exotischen Materialien, die hochrangigen Toten begegeben wurden; zu den anderen gehörten Gold, hochwertiger Feuerstein, Obsidian und Spondylus-Muscheln. Die größte Konzentration alpiner Exporte in Südosteuropa stellt die Sammlung von mindestens 28 Axt- und Dechselköpfen unterschiedlicher Größe und Art alpiner Herkunft dar, die in Svoboda in Bulgarien niedergelegt wurden (Pétrequin et al. 2012, 1246‒1252). All diese Exporte aus den Alpen - darunter ein großer Anteil langer Axt- und Dechselklingen - waren eindeutig kostbare, exotische Besitztümer von Eliten innerhalb stark geschichteter Gesellschaften. Die Gesamtzahl der Alpenexporte nach Ost- und Südosteuropa war jedoch in dieser Zeit deutlich geringer als die Zahl der Exporte nach Frankreich. Vermutlich ist das darauf zurückzuführen, daß Kupfer in Ost- und Südosteuropa neben Gold das wichtigste Prestigematerial war: Tatsächlich haben wir es mit einem „Europa der Jade“ im Westen zu tun, wo Alpen-Jade das begehrteste Material war, und einem „Europa des Kupfers“ im Osten, wo Kupfer seinen Platz einnahm und zu schweren Werkzeugen und Schmuck verarbeitet wurde (Pétrequin et al. 2002; 2012, Kap. 27; 2017, Kap. 21, Abb. 12).
... The use of remodelled Alpine axeheads at Varna continued into the 45th century, at the Varna I cemetery (Fig. 6.7: Pétrequin  et al. 2012, ch. 6). At Varna the Alpine jades were just one of a series of precious,  mostly exotic materials that were buried with the high-ranking dead, the others  including gold, high-quality flint, obsidian and spondylus shell. The largest concentration of Alpine exports in southeast Europe is the set of at least 28 Alpine axe- and  adze-heads of various sizes and types, deposited at Svoboda, Bulgaria (Pétrequin et al.  2012, 1246‒1252). All these exports from the Alps - which include a high proportion  of long axe- and adze-heads - were clearly the precious, exotic possessions of elites  within markedly ranked societies. The overall number of Alpine exports to eastern and southeast Europe was, however, dramatically lower than the number travelling to France at the time. This is probably due to the fact that copper was the principal prestige material of choice in eastern and southeast Europe, along with gold: in effect, we are dealing with a “Europe of jade” in the west, where Alpine jades were the most sought-after material, and a “Europe of copper” in the east, where copper took its place, being made into heavy tools and jewellery (Pétrequin et al. 2002; 2012, ch. 27;  2017, ch. 21, fig. 12).

Das Kupfer-Beil spielt ja auch in der Geschichte des Frühen Urvolks der Indogermanen an der Mittleren Wolga eine Rolle, die in eben jener Zeit begann, als das Jade-Beil in der Bretagne Bedeutung bekam.

Von Archäologen ist mehrfach die Vermutung geäußert worden, die außerordentlich weite und schnelle Ausbreitungsbewegung der Urindogermanen von der Mittleren Wolga bis an das Schwarze Meer und bis zur Mittleren Donau nach Ungarn könne davon geleitet gewesen sei, in jene Länder zu kommen, wo das Kupfer ursprünglich herstammte, das bis an die Wolga gehandelt worden ist.

Jedenfalls können bei den Ethnogenesen an der Mittleren Wolga und in der Bretagne ähnliche Motive, Muster, Beweggründe und Mechanismen eine Rolle gespielt haben: Einheimische Jäger und Sammler treffen auf Bauernkulturen und bilden hierarchisch gegliederte Gesellschaften aus. Dabei bildet einerseits das Kupfer-Beil an der Wolga ein Faszinosum, während in der Bretagne das Jade-Beil ein Faszinosum bildet und zum begehrten Prestige-Objekt wird. 

... in der Carnac-Kultur in der Bretagne

Pétrequin und Koautoren schreiben weiter (1):

Die Entstehung einer hochdifferenzierten Gesellschaft am anderen Ende Europas, im Morbihan in der Südbretagne, ist mit der Nachfrage nach einer großen Zahl hochwertiger Axt- und Dechselklingen (insbesondere aus hellgrünem Porco-Jadeitit) sowie Scheibenringen aus den Alpen verbunden (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 698‒699, Kap. 16). Wie in Warna wurde diese Gesellschaft von einer kleinen Anzahl von Männer kontrolliert, die Exoten von nah und fern anlocken konnten. Anders als in Warna dienten die Objekte aus den Alpen jedoch nicht einfach als Statussymbole, sondern als heilige Objekte, die im komplexen Glaubens- und Bräuchesystem dieser Gesellschaft eine Rolle spielten, wie unten erläutert. Die Herrscher des Morbihan waren für die Errichtung riesiger Menhire und Steinsetzungen verantwortlich, die nach ihrem Tod in gewaltigen Hügeln vom Typ „Carnac“ wie dem Tumulus Saint-Michel begraben wurden. Die alpinen Axtklingen - zusammen mit Fibrolit-Axtköpfen und grünem Variszitschmuck, die beide aus Spanien importiert wurden - spielten eine wichtige Rolle in den Ritualen zur Festigung und Reproduktion dieser sozialen Ordnung. Den Anführern des Morbihan gelang es, einige der längsten bekannten Axtklingen aus alpiner Jade zu erwerben (Abb. 6.8) - darunter das längste, ein 46,6 cm lange Axtklinge vom Typ Rarogne, die zusammen mit mehreren anderen alpinen Axtklingen im Carnac-ähnlichen Hügel Mané er Hroëck niedergelegt wurde (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, Abb. 41 und 42). Sie waren auch für die Organisation der mühevollen Weiterbearbeitung vieler der alpinen Importe verantwortlich: Sie wurden dünner gemacht, um ihre Lichtdurchlässigkeit zu erhöhen, einige wurden perforiert, damit sie aufgehängt werden konnten, und sie wurden glasglänzend poliert. (Die visuelle Wirkung und Besonderheit dieser glasartigen Politur läßt sich am besten anhand neu hergestellter, experimenteller Axtklingen aus Alpenjade ermessen, deren Glanz auch durch langfristige Patinierung nicht getrübt wurde: Pétrequin et al. 2017, Kap. 2, Abb. 9, 12, 16 und 19 und S. 68.) Auf diese Art schufen sie Axttypen, die unverwechselbar und sofort als zu diesem Teil Frankreichs gehörend erkennbar waren, etwa den Typ Tumiac (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 649‒650 und Abb. 89). Diese werden zusammenfassend als Axtkklingen vom Carnac-Typ bezeichnet. Unter den Axttypen aus Alpengestein, die im Morbihan gefunden wurden, gibt es solche mit verbreiterten Klingen - ein Merkmal, das vermutlich, wie oben erwähnt, von der Form der Kupferaxtköpfe in Ost- und Südosteuropa beeinflußt wurde. Während einige - vom Typ Rarogne - in der Gegend des Monte Viso hergestellt wurden (Pétrequin et al. 2012, Abb. 80 und 81), wurden andere im Morbihan so umgeformt, daß sie Kupferäxten ähnelten (Pétrequin et al. 2012, 643‒648 und Abb. 84 und 85). Daß die Elite des Morbihan Kupferäxte kannte, die in über 2500 km Entfernung gebräuchlich waren, könnte auf indirekte Fernverbindungen - über die alpinen Jadearbeiter in Norditalien - mit den Kupfernutzern in Ost- und Südosteuropa zurückzuführen sein (Pétrequin et al. 2012, Kap. 27, Abb. 21). Die Verbindungen der Herrscher des Morbihan mit Iberien - Verbindungen, die grüne Variszitperlen und Fibrolit-Axte über lange Seereisen nach Norden brachten (Pétrequin et al. 2012, Kap. 16, 973‒976 und Abb. 34) - führten auch zum Auftreten alpiner Axte in dieser Zeit auf der Iberischen Halbinsel. Diese gehören meist zum Carnac-Typ (Pétrequin et al. 2012, Kap. 18 und 21; 2017, Kap. 21, Abb. 30) und sind nur wenige.
Fourthly, the emergence of a highly-differentiated society at the opposite end  of Europe in the Morbihan area of southern Brittany is associated with the demand  for a large number of top-quality axe- and adze-heads (especially of light green  Porco jadeitite), along with disc-rings, from the Alps (Pétrequin et al. 2012, ch. 11,  698‒699, ch. 16). As in Varna, this society was controlled by a small number of men who were able to attract exotica from far and wide, although unlike in Varna, the Alpine objects were deployed not simply as status symbols, but as sacred objects that  played a role in this society’s complex system of beliefs and practices, as discussed  below. The Morbihan rulers were responsible for the erection of huge standing stones and stone settings, and when they died they were buried in massive “Carnac”-type mounds such as the Tumulus Saint-Michel. The Alpine axeheads - along with fibrolite axeheads and green jewellery of variscite, both imported from Spain - featured prominently in the rituals associated with reinforcing and reproducing this social order. The Morbihan leaders succeeded in acquiring some of the longest known Alpine jade axeheads (Fig. 6.8) - including the very longest, a Rarogne-type axehead 46.6 cm long, that was buried along with several other Alpine axeheads in the Mané er Hroëck Carnac-type mound (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, figs 41 and 42). They were also responsible for organising the laborious re-shaping of many of the Alpine imports, thinning them to enhance their translucency, perforating some so that they could be suspended, and polishing them to a glassy polish. (The visual impact and  distinctiveness of this glassy polish can best be appreciated by viewing newly-made, experimental axeheads of Alpine jades, whose sheen has not been dulled by long￾term patination: Pétrequin et al. 2017, ch. 2, figs 9, 12, 16 and 19 and p. 68.) In this  way they created axehead types that were distinctive and immediately recognisable as belonging to this part of France, such as the Tumiac type (Pétrequin et al. 2012,  ch. 11, 649‒650 and fig. 89). These are collectively known as Carnac-type axeheads. Among the types of axehead made of Alpine rock that have been found in the Morbihan are ones with  expanded blades ‒ a feature arguably influenced by  the shape of copper axeheads in east and southeast  Europe, as noted above. While some ‒ the Rarogne  type ‒ had been made in the Monte Viso area (Pétrequin et al. 2012, figs 80 and 81), others were re-shaped in the Morbihan to make them resemble  copper axeheads (Pétrequin et al. 2012, 643‒648 and figs 84 and 85). The awareness, among the  Morbihannais elite, of copper axehead shapes that were current over 2500 km away may well be due to indirect long-distance connections ‒ via the Alpine jade workers of northern Italy ‒ with the copper users of eastern and southeast Europe (Pétrequin et  al. 2012, ch. 27, fig. 21). The connections that the Morbihan rulers had with Iberia ‒ connections that brought green variscite beads and axeheads of fibrolite northwards, via long-distance sea journeys (Pétrequin et al. 2012,  ch. 16, 973‒976 and fig. 34) ‒ also resulted in the  appearance of Alpine axeheads in Iberia during this  period. These are mostly of Carnac types (Pétrequin  et al. 2012, chs 18 and 21; 2017, ch. 21, fig. 30) and  they are few in number. 

In dieser Zeit wurde ein neuer Jade-Beil-Typ beliebt.

... vom Typ Altenstadt (ab 4.500 v. Ztr.)

Pétrequin und Koautoren führen weiter aus (1): 

Die fünfte und letzte wichtige Entwicklung in dieser Zeit war das Nachpolieren importierter alpiner Axte im Pariser Becken und wahrscheinlich auch in Burgund. In vielen Fällen geschah dies, um große, konvexe, tropfenförmige Äxte von Durrington – und insbesondere jene aus Jadeitit – in Kopien der beliebten und neuartigen Altenstadt-Form umzuwandeln, wie oben beschrieben (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 669‒671). In einigen Fällen schliffen sie importierte Axtklingen nach, um entlang der Mitte jeder breiten Fläche einen Grat (manchmal Y-förmig) zu erzeugen (Abb. 6.8 und 6.9; Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 686‒689 und Abb. 125‒127); dies und ihre glasartige Politur verstärkten den optischen Effekt, wenn Sonnenlicht auf die Axtklingen fiel. Der Anteil der Beilklingen vom Altenstadt-Typ aus Jadeitit beträgt bemerkenswerte 93 % (Pétrequin et al. 2012, 671) - eine Tatsache, die die Bedeutung dieser Beil-Klingen als „Objektzeichen“ von hohem gesellschaftlichen Wert unterstreicht. So wurden, wie im Morbihan, einige wertvolle importierte Axtklingen aus den Alpen umgestaltet, um den kulturellen Vorlieben der Elitemitglieder der Gesellschaft zu entsprechen, die sie benutzten. Darüber hinaus lassen sich Beispiele für eine sukzessive Neupolitur in verschiedenen Gebieten identifizieren. So wurden einige Axtklingen vom Durrington-Typ im Pariser Becken, 550 km vom Ursprungsgebiet entfernt, in die Altenstadt- (und Greenlaw-)Form neu poliert und gelangten dann in das 900 km vom Ursprungsgebiet entfernte Morbihan, wo sie neu geschliffen und zu Axtklingen vom Tumiac-Typ neu poliert wurden (Pétrequin et al. 2012, Abb. 118).
The fifth and final key development during  this period was the repolishing of imported Alpine axeheads in the Paris Basin, and probably also in Burgundy. In many instances this was in order to convert large, convex, teardrop-shaped Durrington axeheads ‒ and in particular, those of jadeitite ‒ into  copies of the popular and novel Altenstadt form as  described above (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 669‒671; ch. 16, fig. 1). In some cases they re-ground imported axeheads so as to create a ridge (sometimes Y-shaped) along the centre of each broad face (Figs 6.8 and 6.9; Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 686‒689 and figs 125‒127); this, and their glassy polish, enhanced the visual effect when sunlight fell on the axeheads. The proportion of Altenstadttype axeheads made of jadeitite is a remarkable 93% (Pétrequin et al. 2012, 671) ‒ a fact that underlines the importance of these axeheads as “object-signs” of high social value. Thus, as in the Morbihan, some precious imported Alpine axeheads were transformed in order to accord with the cultural preferences of the elite members of society who used them. Moreover, examples of successive repolishing in different areas can be identified, with some Durrington-type axeheads being repolished into Altenstadt (and Greenlaw) form in the Paris Basin, 550 km from the source area, and then travelling to the Morbihan, 900 km from the source area, where they were reground and repolished into Tumiac-type axeheads (Pétrequin et al. 2012, fig. 118).

Weiter erfahren wir (1):

Insgesamt wurden über 60 Exemplare unter den gewaltigen Grabhügeln von Carnac gefunden (Pétrequin et al. 2012, 1398 und Abb. 41). Die Nachfrage nach großen alpinen Axtklingen war im Morbihan so groß, daß etwa 19 % aller westeuropäischen Exemplare (199 von 1040) dort gefunden wurden (Pétrequin et al. 2012, 1396).
The total of over 60 found under the massive Carnac mounds (Pétrequin et al. 2012, 1398 and fig. 41). Such was the demand for large Alpine axeheads in the Morbihan that some 19% of all examples from Western Europe (199 out of 1040) have been found there (Pétrequin et al. 2012, 1396).

Pétrequin und Koautoren kommen auch auf die Felsgravur von Buthier zu sprechen (1):

Daß es auch anderswärts ähnliche, von der Mythologie des Morbihan beeinflußte Mythologien gab, zeigt sich am deutlichsten an dem bemerkenswerten verzierten Findling in Buthiers (Seine-et-Marne), auf dem eine göttliche Figur - mit ziemlicher Sicherheit männlich - neben einer alpinen Axtklinge mit Stiel abgebildet ist, dessen Stielende von einem Scheibenring umgeben und mit Eberhauern als Jagdtrophäen verziert ist (Abb. 6.10; Pétrequin et al. 2017, Kap. 29, 884‒886 und Abb. 2). Auf der anderen Seite der Figur sind zwei Boote dargestellt - vermutlich eine Anspielung auf die Boote, die die Elite des Morbihan für ihre Fernreisen nutzte, übertragen in die Welt der Mythen und Legenden (Pétrequin et al. 2017).
That similar mythologies existed elsewhere, influenced by that of the Morbihan, is  most clearly shown in the remarkable decorated boulder at Buthiers (Seine-et-Marne),  where a divine figure – almost certainly male – is shown beside a hafted Alpine axehead, the end of the haft encircled by a disc-ring and embellished with hunting-trophy  boars’ tusks (Fig. 6.10; Pétrequin et al. 2017, ch. 29, 884‒886 and fig. 2). On the other  side of the individual is a representation of two boats – probably an allusion to the boats used by the Morbihan  elite in their long-distance  travels, but translated into the world of myth and legend  (Pétrequin et al. 2017).

Wie schon im letzten Beitrag ausgeführt, könnten die genannten Boote auch etwas mit dem Walfang zu tun gehabt haben, auf den in der Untersuchung von Urs Schwegler hingewiesen worden ist.

Wir finden also um 4.700 v. Ztr. reich ausdifferenzierte Gesellschaften in Europa vor, die fast vergleichbar sind mit jenen Gesellschaften, die zur gleichen Zeit an Euphrat und Tigris in Mesopotamien oder am Nil in Ägypten vorgefunden werden. Die Ausbildung hierarchischer Gesellschaften vollzog sich in Europa und im Vorderen Orient also nicht ganz so kraß zeitversetzt wie man sich das viele Jahrzehnte lang vorgestellt hat. Im Grunde hatte man traditionell die frühesten "großstaatlichen" Strukturen bei den Kelten in der Eisenzeit ab 500 v. Ztr. angenommen, und von denen Julius Caesar im 1. Jahrhundert v. Ztr. berichtet.

Die Geschichte hierarchischer Gesellschaften erweitert sich in Mittel- und Nordeuropa um nicht weniger als 4000 Jahre. 

______________

  1. Sheridan, Alison; Pétrequin, Pierre et al.: Fifty shades of green: the irresistible attraction, use and significance of jadeitite and other green Alpine rock types in Neolithic Europe. A Taste for Green: A global perspective on ancient jade, turquoiseand variscite exchange. Oxford, Oxbow (2019): 97-120 (Resg)
  2. Pierre Pétrequin, Serge Cassen, Michel Errera, Sheridan, Alison: The Europe of jade. From the Alps to the Black Sea. Sidestone Press, Leiden 2017
  3. Pierre Pétrequin: JADE, grandes haches alpines du néolithique européen, in Films du CRAVA (archéologie, ethnologie). CERIMES. (2009, 1 janvier). [Vidéo]. Canal-U. https://doi.org/10.60527/xxd7-g789. (Consultée le 27 juin 2025) (Yt) (CanalUTV)
  4. Holger Baitinger: Das jungneolithische Steinbeildepot von Altenstadt (Wetteraukreis) - neue Erkenntnisse zu einem alten Fundkomplex. Archäologisches Korrespondenzblatt 2017 (Heidelberger OJS-Journale - freies pdf: Heidelbg)

Die Französische Revolution 4.700 v. Ztr.

Die frühesten Großgräber - Machtdemonstration von Jägern im Angesicht von Bauern
- Vormalige Jäger-Sammler-Völker im Angesicht festgefügter bäuerlicher Gesellschaften
- Die Cerny-Kultur in Frankreich (4.700-4.300 v. Ztr.) - Die erste Kultur Europas mit Großgräbern
- Jade-Beile waren in ihr "exotische, kostbare Besitztümer von Eliten"

Dieser Blogartikel ist der zweite
einer dreiteiligen Reihe 

Für uns hier auf dem Blog bekommt das Neolithikum Frankreichs (Wiki) mit den Erkenntnissen, die im letzten Beitrag in einem ersten Angang referiert worden sind rund um die Jade-Beile und rund um die ersten Großgrabanlagen Europas, eine ganz neue, unvorhergesehene geschichtliche Bedeutung (Stg25). Womöglich könnte es sogar viel Sinn machen, von einer ersten "Französischen Revolution" um 4.700 v. Ztr. zu sprechen (s. Abb. 2), und zwar ausgerechnet zur selben Zeit, als an der Mittleren Wolga das frühe Urvolk der Indogermanen entsteht. 

Abb. 1: Der "West Kennet Long Barrow" aus Südengland, 3.700 v. Ztr., fotografiert von Nick Dawson 2010 (Flickr) - In Ermangelung von Bildrechten für gute Nachbildungen eines Großgrabes vom "Passy-Typ" des Pariser Beckens

Soll man sagen: In Frankreich begann um 4.700 v. Ztr. in einer ersten Französischen Revolution genau jene gesellschaftliche Ungleichheit, die in der Französischen Revolution von 1789 - der Absicht nach - beendet werden sollte?

Es war die Erforschung der Jade-Beile des Mittelneolithikums durch den französischen Archäologen Pierre Pétrequin (geb. 1943) - seit 2007 im sogenannten "Jade-Projekt", die zusammen mit der Erforschung der "Grabmonumente vom Passy-Typ" (Wiki) im Pariser Becken, in der Normandie und auch in der Wetterau in Deutschland, der ältesten Großgrabanlagen in Europa, zu einem neuen Bild des Mittelneolithikums in Frankreich und Europa nach dem Untergang der Bandkeramik führen.

Diese ältesten Grabmonumente Europas "vom Passy-Typ" unterscheiden sich dadurch von den späteren, daß sie "nichtmegalithisch" sind, also daß keine großen Steine für ihre Errichtung benutzt wurden. Deshalb auch die Bezeichnung "Nichtmegalithische Langhügel" (Wiki). Diese sind das wichtigste Kennzeichen der  Cerny-Kultur (4.700-4.300 v. Ztr.) (Wiki) des Pariser Beckens, finden sich aber auch in der Normandie, im Rhone-Tal oder bei Friedberg in der Wetterau. Und es wird sie sicherlich auch im Elsaß gegeben haben - wo sie nur noch nicht gefunden wurden oder wahrnehmbar publiziert worden sind. (Soweit das für uns erkennbar ist, hat nämlich der im vorigen Blogbeitrag erwähnte Ausgrabungsbericht von Frank Lorscheider aus dem Jahr 2007 über die bislang älteste Großgrabanlage Deutschlands seit fast zwanzig Jahren keinerlei Spuren in der wissenschaftlichen Literatur hinterlassen. Aber vielleicht irren wir uns. Hoffentlich.) 

Um 3.900 v. Ztr. ist Südengland nach Ausweis der bisherigen archäologischen Forschungen von Bevölkerungen des Pariser Beckens und vom Pas de Calais aus besiedelt worden. Auch von den Kanalinseln und aus der Normandie kamen Siedler. Nur wenige Jahrzehnte später, vielleicht auch ein oder zwei Jahrhunderte später ist Schottland - nun von Menschen aus der Bretagne - besiedelt worden (s. Stg11). Diese trugen - wie die zeitgleichen Bevölkerungen im heutigen Frankreich - 20 % westeuropäische Jäger-Sammler-Herkunft in sich und 80 % anatolisch-neolithische HerkunftDie in England einheimischen westeuropäischen Jäger und Sammler starben dort vollständig aus (und/oder wurden ausgerottet) - der erste umfangreiche genetische Umbruch auf den britischen Inseln (Stg21).

Dieser Vorgang zeigt auch, welche großen wirtschaftlichen und demographischen Expansions-Kräfte in der Cerny-Kultur im Pariser Becken und in der Carnac-Kultur in der Bretagne beschlossen lagen. Sie machen damit auch plausibel, daß sich im Mittel- und Spätneolithikum wiederholt bäuerliche Kulturen vom mittleren Frankreich aus bis in das heutige Deutschland hinein ausgebreitet haben, so etwa die Cerny-Kultur bis in die Wetterau und in das Elsaß (als Hinkelstein- und Friedberg-Planig-Kultur) oder sogar bis nach Sachsen als Rössener Kultur. Später die Michelsberger Kultur, die Anregungen gab zur norddeutschen und skandinavischen Trichterbecher-Kultur und noch später die Glockenbecher-Kultur, die wohl auch im weiteren Umfeld der Aisne entstanden ist (Stg25).  

Abb. 2: Das Alter neolithischer Großgrabanlagen in Europa nach Regionen - Die frühesten finden sich im Pariser Becken (aus 7)

Im Süden Englands gibt es den "West Kennet Long Barrow" (Wiki), der aus der Zeit um 3.700 v. Ztr. stammt. Obwohl für ihn auf der breiten Eingangs-Seite schon Megalithen benutzt worden sind, kann er insgesamt vermutlich eine gute Vorstellung geben auch von "nichtmegalithischen Langgräbern" der Cerny-Kultur im Pariser Becken, in der Normandie, in der Friedberg-Planig-Kultur in der Wetterau und im Elsaß. Die Langgräber dieser Kulturen haben sich - wohl aufgrund ihres noch größeren Alters und aufgrund des Fehlens von großen Steinen - nicht oberhalb der Erdoberfläche erhalten und waren deshalb schwer zu entdecken. Sie wurden in den 1980er Jahren erstmals durch Luftprospektion entdeckt und entpuppten sich - wie gesagt - als die ältesten Großgräber Europas (Abb. 2).

Megalithen und nichtmegalithische Langgräber - Sie bekommen gleichzeitig bedeutungsvolle Zuschreibung

Man wird sagen dürfen: Die großartigen Megalithkulturen Europas: Sie nahmen vom Pariser Becken aus ihren Anfang. Der lang gesuchte Ursprungsort ist gefunden, und zwar in "nichtmegalithischen Langgräbern". Man muß sich klar machen: Von der Cerny-Kultur im Pariser Becken um 4.700 v. Ztr. aus sieht eine so großartige Megalithkultur wie die Trichterbecher-Kultur, die ab 4.300 v. Ztr. im Ostseeraum entstanden ist, vergleichsweise "jung" aus. Ihr Entstehen im Ostseeraum ist ohne die Vorgeschichte in Frankreich in Form der Cerny-Kultur und in Form der späteren Michelsberg-Kultur nicht denkbar.

Die Langgräber der Cerny-Kultur und damit auch der Friedberg-Planig-Kultur am Rhein sind noch von der "spitzen", schmalen Seite her genutzt worden und von dieser her begangen worden, nicht von der breiten, "hinteren" Seite her - wie bei vielen Megalithgräbern des 4. Jahrtausends v. Ztr.. Von den Cerny-Gräbern vom Passy-Typ gibt es im übrigen auch sehr schöne Rekonstruktionen (s. z.B. Inrap2014).

Aber auch die früheste, "symbolische" Benutzung von Steinen - in Zusammenhang mit Gräbern oder auch unabhängig von ihnen - wird bei derzeitigem Forschungsstand auf die Zeit ab 4.700 v. Ztr. datiert (6). Es gibt hier viele Übergangsformen und auch die Datierung solcher Megalithen ist - unter anderem weil sie in späteren Jahrhunderten und Jahrtausenden wieder benutzt worden sein können - sehr schwierig. Zusammenfassend schreiben die Forscher (6):

Derzeit scheinen in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel die zuverlässigsten, sich ähnelnden Elemente, die in Zusammenhang stehen mit der Errichtung solcher Strukturen, selten vor 4700 v. Ztr. aufzutreten. In Westfrankreich sind solche Steine ​​nur ein Bestandteil eines Integrationsprozesses, der sich über das gesamte 5. Jahrtausend v. Ztr. erstreckte und vielfältige Kombinationen aufwies, die vielleicht denen auf der Iberischen Halbinsel ähneln. Langfristige Sichtweisen unterstreichen die über mehrere Jahrtausende bestehende Komplementarität zwischen symbolischen Darstellungen, die im Freien oder solchen, die an den Wänden natürlicher oder künstlicher Höhlen freigelegt wurden. Ebenso wenig gibt es einen Grund, die ältesten Menhire im Freien von den ältesten megalithischen Grabstätten zu trennen. In jedem Fall nahmen die Toten (die „Ahnen“) einen Platz im Land der Lebenden ein, der diesen in dieser Form weder von den letzten Jägern und Sammlern noch von den allerersten Bauern im weiteren Europa gegeben worden ist.
In France and in the Iberian Peninsula, the most reliable recurring elements for the construction of such structures seem, for the moment, rarely to occur prior to 4700 BCE. In western France, such stones are only one component of an integration process observed throughout the 5th millennium BCE with multiple combinations similar, perhaps, to the Iberian Peninsula. Here, long-term approaches highlight the complementarity, over several millennia, of symbolic representations exposed in the open air or on the walls of natural or artificial cavities; there is similarly no reason to dissociate the oldest standing stones in the open air from the oldest megalithic burial zones. In any case, the dead (the ‘ancestors’) came to occupy a place in the land of the living that neither the last hunter-gatherers nor the very first farmers more widely in Europe seemed to give them.

Aber um die Zusammenhänge noch besser verstehen zu können, ist es wichtig, sich die Abfolge der neolithischen, bäuerlichen Kulturen in Frankreich zu verdeutlichen (Neolblog2016).

Vorläufer: Die Villeneuve-Saint-Germain-Kultur (5.100-4.700 v. Ztr.)

Sie ist eine sehr spannende. Sie wirft nämlich auch viel Licht auf die Abfolge der bäuerlichen Kulturen des Mittelneolithikums in Deutschland, insbesondere auf die Entstehung der dortigen Rössener Kultur und ihrer Vorläufer-Kulturen, der Hinkelstein-Kultur (5000 bis 4900 v. Ztr.), der Großgartacher Kultur (4900 bis 4700 v. Ztr.), der Friedberg-Planig-Kultur (um 4.600 v. Ztr.). Die Rössener Kultur selbst besteht dann bis etwa 4600/4550 v. Ztr.. Parallel entsteht in Österreich und der Slowakei die Lengyel-Kultur.

Die erste bäuerliche Kultur Mitteleuropas, die Linearbandkeramik (5.700-4.900 v. Ztr.) (Wiki) hatte sich vom Wiener Becken aus über ganz Mitteleuropa bis in die Ukraine und bis in das Pariser Becken hin ausgebreitet. Sie hatte die Grundlagen für alles folgende gelegt, sowohl genetisch wie kulturell. In Frankreich wird sie auch "Culture Rubanée" genannt (Wiki). Das Rhone-Tal aufwärts hat sich zeitgleich im Süden Frankreichs die Cardial-Kultur ausgebreitet. Die Menschen dieser Kultur hatten von Anfang an einen höheren Jäger-Sammler-Herkunftsanteil in ihren Genen, aber auch - wie die Bandkeramik - überwiegend anatolisch-neolithische, sprich jene mediterrane Genetik, die sich bis heute im Mittelmeerraum gehalten hat.

Abb. 3: Die Villeneuve-Saint-Germain-Kultur (5.100-4.700 v. Ztr.) im Pariser Becken breitet sich als Hinkelstein-, Großgartach- und Friedberg-Planig-Kultur - womöglich - bis nach Südwestdeutschland aus (aus: Neolblog2016)

In Nordfrankreich waren also die Bauern jener Zeit - zumindest bis 5.100 v. Ztr. - genetisch "mediterraner" als in Südfrankreich. Ab 5.100 v. Ztr. ging dann - offenbar aus dem Zusammentreffen dieser beiden Kulturen in Nordfrankreich - die Villeneuve-Saint-Germain-Kultur (5.100-4.700 v. Ztr.) (Wikifranz) hervor, etwa zeitgleich zur Entstehung der Hinkelstein- und Großgartach-Kultur am Mittelrhein und in Südwest-Deutschland. Wir werden damit darauf aufmerksam, daß das Ende der eigentlichen Bandkeramik in Westeuropa nicht erst ab 4.900 v. Ztr. erfolgte, sondern vermutlich schon zweihundert und einhundert Jahre früher, schon ab 5.100 v. Ztr. und ab 5.000 v. Ztr.. So lesen wir etwa über die süddeutsche Großgartacher-Kultur (Wiki):

Die Großhäuser im Mittelneolithikum mit bis zu 65 m Länge stehen noch in der Tradition der bandkeramischen Langhäuser. Sie sind aber nicht mehr längsrechteckig, sondern besitzen leicht gebogene Längswände und unterschiedlich lange Schmalseiten. Der Grundriß ist schiffsförmig.

Das ist also keineswegs mehr klassische Bandkeramik. Über die zeitgleiche Villeneuve-Saint-Germain-Kultur in Frankreich lesen wir (Wiki):

Die Villeneuve-Saint-Germain-Gruppe (...) ist eine Kulturgruppe des Frühneolithikums in Frankreich - zeitgleich mit der zweiten Phase der Bandkeramik-Kultur - mit der sie die Langhausarchitektur teilt. Die Verzierungen der Keramik (Girlanden) verbinden diese Gruppe mit der Bandkeramik-Kultur; die Herstellung von Steinarmbändern und Druckabschlägen verbindet diese Gruppe mit der mediterranen Cardial-Kultur. Diese kulturelle Fazies entwickelte sich im Norden Frankreichs, insbesondere im Pariser Becken, in Südbelgien, wo sie Blicquien genannt wird. Sie erstreckt sich im Westen bis ins Herz der Bretagne (Dillien bei Cléguérec und Bellevue bei Neulliac; Morbihan).

Ihren Namen verdankt diese Kultur dem Fundort Villeneuve-Saint-Germain im Département Aisne. Ob es zu dieser Zeit auch schon zur genetischen Vermischung mit den Bauern der Cardial-Kultur Südfrankreichs gekommen ist oder auch mit einheimischen Jäger-Sammler-Gruppen, ist noch ungeklärt. Es könnte aber nahe liegend sein. Auch rund um die Blätterhöhle in Westfalen sind solche Vermischungs-Prozesse inzwischen bekannt geworden, auch noch aus späterer Zeit.

Abb. 4: Die Cerny-Kultur zeitgleich zur Rössener Kultur und zur Carnac-Kultur in der Bretagne (Neolithique Armoricain) (aus: Neolblog2016)

Es dämmert sofort der Gedanke auf, daß das oben schon erwähnte zeitgleiche Geschehen an Wolga und Seine nicht nur auf Zufall beruhen kann. Die zeitgleichen Vorgänge an der Mittleren Wolga einerseits und in der Südbretagne und im Pariser Becken andererseits "korrespondieren" auf auffällige Weise miteinander - und zwar auf mehreren Ebenen. Sie zeigen auf, daß hier Menschen und Gesellschaften über weite Regionen hinweg unabhängig voneinander ähnliche gesellschaftliche Entwicklungen durchlaufen haben, daß plötzlich das "Bedürfnis" - oder die "Notwendigkeit" oder die "Möglichkeit" - vorhanden war für die Ausbildung erster hierarchisch gegliederter Gesellschaften, und zwar einerseits vom Ostrand Europas ausgehend und andererseits vom Westrand Europas ausgehend.

Ähnliche gesellschaftliche Vorgänge um 4.700 v. Ztr. - In der Bretagne, an der Seine, am Rhein und an der Wolga

Wir lesen über das Gebiet des heutigen Frankreich (Wiki):

Auf der Atlantikseite entstand um 4600 v. Ztr., also im mittleren Neolithikum, die Cerny-Gruppe mit bereits megalithischen Elementen (proto-megalithisch), z. B. bei Passy im Département Yonne in Burgund, wo man Zeremonialflächen oder -einhegungen fand, die durch Palisaden und Gräben abgetrennt wurden (vgl. Einhegung vom Typ Passy). Die Häuser waren stark vom Donauraum beeinflußt, ebenso wie die Keramik. Die Cerny-Gruppe wird im Allgemeinen mit der in Deutschland weit verbreiteten Gruppe der Rössener Kultur parallelisiert.

Die Nichtmegalitischen Langgräber entstanden in Frankreich in jedem Fall "aus dem Nichts", ganz ohne Vorläufer.

Abb. 5: Nichtmegalithische Langhügel der Cerny-Kultur in Frankreich (Passy) und zeitgleiche Grabanlagen in der Normandie, in der Südbretagne und im Rhone-Tal (aus: Chambon2023)

In einer neueren archäologischen Veröffentlichung heißt es unter anderem über "nichtmegalithische Langhügel" der Cerny-Kultur im Pariser Becken und sonst in Frankreich (Chambon2023):

Grabmonumente treten an der Atlantikküste Kontinentaleuropas in der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends auf kurz nach der Ankunft der ersten Bauern. Diese großartigen, zum „Passy“-Phänomen gehörenden Bauten können über 350 m lang sein und wurden zum Gedenken an hochrangige Persönlichkeiten errichtet. Aus der vorhergehenden Periode gibt es keine Hinweise auf die Entstehung dieser Monumente. Sie weisen keine geografische Kontinuität auf, da sie unterschiedlichen kulturellen Substraten entstammen. Dennoch zeichnen sich diese Bauwerke durch die Wiederholung spezifischer Merkmale aus, darunter ihre Anordnung und räumliche Gliederung, sowie durch ein hohes Maß an Geschlechtertrennung und einen Fokus auf die Jagd bzw. das Bogenschießen. Diese Konvergenz spiegelt eine fest verwurzelte Sozialstruktur und Ideologie wider, die von den Gemeinschaften geteilt wurde. Mehr noch, das deutet darauf hin, daß die Nachkommen der beiden Hauptkulturen, die für die Verbreitung der Landwirtschaft in Europa verantwortlich waren - der Linearbandkeramik und der Impresso-Cardial-Kultur -, die am Ende des Kontinents aufeinander trafen und sich mit den Nachkommen der letzten Jäger und Sammler vermischten, ein neues Wertesystem und wahrscheinlich auch ein neues religiöses Universum schufen. Während die mit dem Passy-Phänomen einhergehende Grabmonumenalität in Form von Megalithen weiterlebte, brach das System nach einigen Jahrhunderten schließlich zusammen - was angesichts seines extremen Charakters zu erwarten war.
Funerary monuments appeared shortly after the arrival of the first farmers along the Atlantic Coast of continental Europe, during the first half of the fifth millennium. These enormous constructions, belonging to the ‘Passy’ phenomenon, can measure over 350 m in length and were erected to commemorate high-status individuals. No funerary evidence from the previous period hints at the emergence of these monuments. They do not exhibit any geographical continuity, originating from different cultural substrates. Nevertheless, these structures are characterized by the repetition of specific traits, including their layout and their spatial articulation, as well as a high degree of gender segregation and a focus on hunting or archery. This convergence reflects a well-established social structure and ideology, shared between communities. Moreover, it implies that the descendants of the two main cultures responsible for the spread of agriculture in Europe, the Linearbandkeramik and the Impresso-Cardial, which met at the end of the continent and which absorbed the descendants of the last hunter-gatherers, generated a new value system, and likely a new religious universe. While the funerary monumentality that appeared alongside the Passy phenomenon continued in the form of megaliths, the system eventually collapsed after a few centuries—which was to be expected, given its extreme character.

Nun, zumindest in Südengland scheint sich diese Kultur genetisch und kulturell fortgesetzt zu haben. Ein einzelnes Königsgrab in Passy hat - ebenso wie eine Jade-Steinbeil - eine "spitze" Seite und eine runde Seite. Hier sind schon Erkenntnisse aufgegriffen, die eine archäogenetische Studie des Jahres 2022 über die Bestatteten in Gräbern vom "Passy-Typ" in der Normandie erbracht hatten (Rivolat2022):

Wir gehen davon aus, daß verschiedene, nicht miteinander verwandte Familien oder Clans die Fundstätte über mehrere Jahrhunderte hinweg nutzten. Dreizehn der 14 analysierten Personen waren männlich, was auf ein übergreifendes patrilineares System hindeutet. Eine Ausnahme, eine Frau, die mit einem symbolisch männlichen Artefakt begraben wurde, deutet jedoch darauf hin, daß die Verkörperung des männlichen Geschlechts im Tod erforderlich war, um Zugang zu den monumentalen Bauwerken zu erhalten.
We hypothesize that different, unrelated families or clans used the site over several centuries. Thirteen of 14 of the analyzed individuals were male, indicating an overarching patrilineal system. However, one exception, a female buried with a symbolically male artifact, suggests that the embodiment of the male gender in death was required to access burial at the monumental structures.

Die dort Begrabenen waren relativ einheitlich zu etwa 80 % anatolisch-neolithischer Herkunft und zu 20 % Herkunft westeuropäischer Jäger und Sammler (s. Rivolat2022, Fig. 3). Ein Individuum hat sogar nur sieben Prozent Jäger-Sammler-Genetik, dieses Individuum könnte direkt von Bandkeramikern abstammen. Hier wird eine wesentliche Erkenntnis genannt: "Patriarchales" Denken entsteht um 4.700 v. Ztr. nicht nur an der Mittleren Wolga bei den Urindogermanen, sondern auch an der Seine.

Man betritt ein einzelnes Grab von der spitzen Seite her. Von der spitzen Seite her verzweigen sich auch mehrere, nebeneinander, bzw. hintereinander liegende Familiengräber voneinander, so daß über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg ein ganzes Ensemble von Grabmonumenten entstehen kann (Inrap2014).

Abb. 5a: Balloy, Pariser Becken. Plan des zentralen Teiles der Siedlung mit Langhäusern der Villeneuve-Saint-Germain-Kultur, über die Gräber und Langgräber der Cerny-Kultur errichtet wurden (Hist)

Man könnte sich auch vorstellen, daß der Grundgedanke oder die Grunderfahrung dieser nichtmegalithischen Langgräber ein niedergebranntes Langhaus war, in dem der König eine Feuerbestattung erfahren hat. Genau dieser Grundgedanke bestätigt sich uns durch den Ausgrabungsplan der mittelneolithischen Siedlung bei dem Dorf Balloy im Pariser Becken (Abb. 5a). Er zeigt, daß Grabanlagen der Cerny-Kultur über vormalige Häuser der Langhäusern der Villeneuve-Saint-Germain-Kultur errichtet wurden.

Ob sich hierin nicht schon sogar der Entstehungsprozeß der Cerny-Kultur wiederspiegelt?

Das Dorf Balloy (Wiki) liegt nahe oberhalb der Mündung der Yonne in die Seine (Acad2005). Die Entdeckung der zwischen den beiden Flüssen an der Seine gelegenen mittelneolithischen Siedlung erfolgte 1985 und 1986 durch Luftbildaufnahmen. 1987 und 1994 fanden hier Ausgrabungen statt. Wir lesen (Wiki):

Mittelneolithische Fundstätte bei Gros-Bois, die eine Verbindung mit Burgund und mit dem Rheinbecken zeigt.

Es wäre sehr spannend, über diese Verbindungen bis nach Burgund und bis ins Rhein-Becken mehr zu erfahren. Aber dazu bräuchten wir mehr Französisch-Kenntnisse. Wir werden vermutlich das Thema weiter verfolgen. Vorerst finden wir nur die Inhaltsangabe eines Buches mit dem spannenden Titel: "Körperschmuck in den Gräbern der ersten agropastoralen Gesellschaften im Pariser Becken und im Rheinbecken - Rubané, Hinkesltein und Villeneuve-Saint-Germain" (5). Es handelt sich um ein Buch aus dem Jahr 2009. Wir lesen (5):

Die Ergebnisse verdeutlichen auch die Schwächung der Bande, die die Gemeinschaften des Pariser Beckens und des Rheinbeckens miteinander verbanden als das Rubané zerfiel und den neu entstandenen Kulturgruppen der Hinkelstein und der Villeneuve-Saint-Germain-Kultur Platz machte. Zu Beginn des 5. Jahrtausends v. Ztr. hatten sich die kulturellen Verhältnisse verändert. Das zeigt sich auch in der Art und Weise des Tragens von Körperschmuck.

Es gab also parallele Entwicklungen an der Seine und am Rhein, es gab - nach diesen Worten jedenfalls - keine direkte demographische Ausbreitung von der Seine bis an den Rhein. Die hier aufzudeckenden Zusammenhänge bleiben also weiterhin spannend.

Am Rand der bäuerlichen Welt - Die Walfänger der Bretagne

Aber nicht nur an der Seine, auch in der Bretagne entsteht eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft. Die Bretagne war immer eine der abgelegensten, sagenumwobensten Regionen Europas. In dieser hielten sich vormals vorherrschende Völker, Sprachen und Lebensweisen länger als anderwärts auf dem europäischen Kontinent. Das gilt - bekanntermaßen - für die Geschichte der großen keltischen, indogermanischen Völkergruppe (s. z.B. Stg22). Es gilt das aber natürlich auch schon für die Zeit des Neolithikums davor, in der sich überall in Europa einheimische Restbevölkerungen in Rückzugsräumen gehalten haben, die dann für die Ethnogenese-Prozesse des Mittelneolithikums von Bedeutung wurden.

Auf der wenige Hektar großen bretonischen Felsinsel Téviec (Wiki), die der dortigen Küste vorgelagert ist, wurden 1928 aufsehenerregende mesolithische Gräber gefunden, die dann im Jahr 1999 auf etwa 4.625 v. Ztr. datiert wurden (Abb. 6), also auf die Zeit der Entstehung der ersten hierarchischen, Männer-dominierten Gesellschaft in der Bretagne.

Abb. 6: Die Bestattung zweier erschlagener junger Frauen auf der bretonischen Insel Téviec (um 4625 v. Ztr.) Fotograf Didier Descouens (Wiki)

Es war das eine Zeit, in der es auf dem Festland im heutigen Frankreich den genannten kulturellen Umbruch gab. Die Bandkeramiker hatten sich in das Pariser Becken und - in Form der oben genannten Nachfolgekultur - bis in die Bretagne ausgebreitet. Und aus dieser ging um 4.700 v. Ztr. erstmals eine neue Gesellschaftsform hervor, nämlich hierarchische, Männer-dominierte bäuerliche Gesellschaften mit kulturellen Traditionen, die in vormaliger Jäger-Sammler-Kultur gewurzelt haben könnten (s. Stg25). 

Da sich auf Felsgravuren der Morbihan-Kultur in der Bretagne immer wieder auch Wale dargestellt finden (Schwegler, 35), wird man davon ausgehen können, daß die Menschen der Bretagne Wale gejagt haben und im Wal auch eine Art "göttliches Wesen" gesehen haben könnten. Die Walfänger-Tradition hatte sicherlich schon mesolithische Wurzeln. Um 4.625 v. Ztr. wurden nun zwei junge Frauen der seefahrenden Walfänger, Jäger und Sammler an der Küste der Bretagne, erschlagen und von ihren Angehörigen ehrenvoll bestattet (Abb. 6) (Wiki):

Unter einem großen Muschelhaufen befand sich das Grab von zwei unter 35 Jahre alten Menschen. Sie waren in einer flachen Grube sorgfältig nebeneinander mit aufrechtem Oberkörper und angewinkelten Beinen in Hockhaltung beigesetzt, und von Geweihstangen überwölbt unter Muschelresten begraben, deren hoher Kalkgehalt zur guten Konservierung beitrug. Neben Artefakten aus Flintstein und Wildschweinknochen als Grabbeigaben war an den Skeletten Schmuck erhalten: durchbohrte Meeresmuscheln, die zu Ketten montiert rings um Hals, Arme und Knöchel lagen, sowie Knochenobjekte mit gravierten Linien. Beide Skelette weisen Frakturen durch äußere Gewalteinwirkung auf, womöglich erst postmortal aufgetreten. An einigen Skeletten aus anderen Gräbern finden sich Hinweise auf tödliche oder schwerwiegende Verletzungen, etwa durch Pfeilwunden. Die bei den Grabungen gefundenen Mikrolithen und Geräte, darunter ein sogenannter Lochstab, lehnen sich in etwa dem Tardenoisien an.

Bei der hier erwähnten Kultur des Tardenoisien (Wiki) handelt es sich um die letzten echte Jäger-Sammler-Kultur Nordfrankreichs in der Zeit zwischen 6.000 und 5.000 v. Ztr., die unter anderem anhand der Art ihrer Harpunen erkannt wird.

Vielleicht war damals die Insel noch mit dem Festland verbunden und die Muschelhaufen waren Essensreste neben Wohnbereichen (Wiki). Ob hier die letzten Jäger und Sammler der Bretagne und in Nordfrankreich in einem erbitterten Krieg standen mit der sich in der Bretagne ausbreitenden Bauern-Kultur? Ob es sie waren oder Jäger-Sammler, die sich mit Bauern vermischt hatten, die über niedergebrannten Langhäuser an der Seine erste Grabmonumente errichteten? 

Das hier gefundene Insel-Grab jedenfalls scheint noch völlig in der zuvor über ganz Europa verbreiteten mesolithischen Tradition zu stehen, in der Menschen der Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler ihre Toten über Jahrtausende hin und über tausende von Kilometern entfernt  oft in halb aufrechter Höcker-Stellung begraben haben (Stg21).

Die Jade-Könige in der Bretagne

Jedenfalls entstand just zu dieser Zeit an der Südküste der Bretagne die großartige Carnac-Kultur (Wikienglfranz). Sie war ein Zentrum der Jade-Eliten des frühen Mittelneolithikums im heutigen Frankreich ab etwa 4.700 v. Ztr.. Die Carnac-Kultur wird auch Morbihan-Kultur (Wiki) genannt (denn das Departement an der Südküste der Bretagne heißt Morbihan). Es gibt auch die Bezeichnung "Neolithique Armoricain" nach einem dortigen Höhenzug (s. Abb. 4). Südöstlich der Carnac-/Morbihan-Kultur schloß sich im Pariser Becken die Cerny-Kultur an. Diese wiederum wies kulturelle Ähnlichkeiten mit der Hinkelstein- und "Friedberg-Planig-Kultur" in der Wetterau und im Elsaß auf.

Bei den Carnac-Steinreihen könnte es sich im Wesentlichen - so wie in der Cerny- und in der Friedberg-Planig-Kultur - um lange Familiengräber und zugehörige Zeremonial-Wege handeln, die von Hochadelsfamilien im religiösen und politischen Zentrum des Reiches angelegt worden sind.

Zur Wissenschaftsgeschichte der frühesten Großgräber Europas erfahren wir (8):

Große Grabanlagen aus dem 5. Jahrtausend v. Ztr. im Pariser Becken sind ein bedeutendes Phänomen im westeuropäischen Neolithikum. Sie wurden in den 1980er Jahren zunächst im Yonne-Tal und im oberen Seine-Tal entdeckt (Duhamel/Midgley 2004; Mordant 1997b), eine zweite Konzentration wurde rasch in der Normandie, nahe Caen, entdeckt (Desloges 1997).
Monumental cemeteries dating to the 5th millennium BC in the Paris Basin are a major phenomenon in the West European Neolithic. Identified in the 1980s, first in the Yonne Valley and the upper Seine Valley  (Duhamel/Midgley 2004; Mordant 1997b), a second concentration was rapidly recognized in Normandy, near Caen (Desloges 1997).

Und weiter wird über die Großgräber vom Passy-Typ der Cerny-Kultur berichtet (8):

In Rücksicht auf Alter und Geschlecht der Toten umfassen diese Gräber alle Bevölkerungsschichten: junge und alte Erwachsene, Männer und Frauen, Kinder jeden Alters (Thomas 2011, 471–483). Die zugehörigen Grabbeigaben sind selten und beziehen sich im Allgemeinen auf die Natur, sei es durch Hinweise auf Jagdaktivitäten durch die Hinterlegung von Jagdwerkzeugen (Pfeile, Köcher, Bögen) oder die Verwendung von Materialien wilder Tiere für Schmuck und Werkzeuge (Chambon/Pétillon 2009; Sidéra 1997). Nur wenige der Gräber enthalten Artefakte aus dem häuslichen Kontext oder solche, die typisch sind für die Cerny-Kultur (Bailloud 1979).
Die Grundeinheit dieser Grabanlagen umfaßt mindestens zwei Personen, eine pro Grabanlage, und bis zu zehn in der Hauptgruppe in Balloy (Chambon/Thomas 2014, Abb. 5a). Die beiden "erforderlichen" Personen sind zwei Männer. Der jüngere wird durch Pfeilspitzen als Jäger gekennzeichnet, der ältere wird von einem rätselhaften spitzen Knochenartefakt begleitet, dessen Form dem "Eiffelturm" ähnelt. Kinder finden sich entlang der Mittelachse, während Frauen fehlen oder in Randbereichen bestattet sind (Chambon/Thomas 2010, Abb. 6).
Based on the age and sex of the dead, these graves include all population classes: young and old adults, men and women, children of all ages (Thomas 2011, 471–483). The associated grave goods are rare and generally refer to nature, whether by indicating hunting activity by the deposit of hunting tools (arrows, quivers, bows) or the use of materials from wild fauna for ornamentation and tools (Chambon/Pétillon 2009; Sidéra 1997). Few if any of the graves contain artefacts found in domestic context or those typical of the Cerny culture (Bailloud 1979).
The basic unit of these cemeteries includes at minimum two subjects, one per monument, and up to ten in the main group at Balloy (Chambon/Thomas 2014, fig. 5a). The two »required« subjects are two men, the younger designated as a hunter by the presence of arrowheads as grave goods, the elder accompanied by an enigmatic pointed bone artefact similar in form to the »Eiffel Tower«. Children may be found along the central axis, while women are absent or occupy peripheral areas (Chambon/Thomas 2010, fig. 6).

Hier wie bei den Urindogermanen bekommt man den Eindruck, als ob Jäger-Sammler-Völker im Angesicht der für sie "monumentalen" Häuser der Bauerndörfer "auch" etwas "Monumentales" hätten errichten wollen.

Wie handeln urtümlichere Völker im Gegenüber von Bauernvölkern?

Da sie aber anfangs womöglich noch stärker nomadisch oder halb-nomadisch lebten, konnten diese "Häuser" für sie zunächst nur Grabanlagen sein. So entstanden jedenfalls genau in dieser Zeit erste "große" Grabhügel der Urindogermanen am nördlichen Fuß des Kaukasus im "Gegenüber" der Bauern-Kultur, die im Kaukasus lebte, und später im "Gegenüber" zu der Cucuteni-Tripolje-Kultur, die in der Ukraine lebte. Zumindest bei den Indogermanen waren diese Grabhügel nicht "Familiengrablegen", sondern jeweils jene Nomaden-Gruppe, die in der weiteren Umgegend ihre Tiere weidete, nutzte den einmal angelegten Grabhügel. Wir zitierten schon letztes Jahr über die Zeit 3.900 bis 3.300 v. Ztr. in der Nordschwarzmeer-Steppe (zit. n. Stg24):

Die rituelle Steppenarchitektur dieser Periode erlangt eine beträchtliche Monumentalität, und ihre wichtigsten strukturellen Merkmale ähneln der europäischen megalithischen Bestattungsarchitektur Mittel- und Nordwesteuropas. Die frühesten derartigen Strukturen im Nordschwarzmeerraum erscheinen in der Kontaktzone von Steppe und Tripolje bei Pobuzhzhia (dem südlichen Bug-Becken).

Daraus zogen wir dann die folgenden Schlußfolgerungen für die Ethnogenese der Späten Urindogermanen rund um Michailowka am Mittleren Dnjepr (Stg24):

"Pobuzhzhia" (...) liegt 330 Kilometer nordwestlich von Michailowka am Dnjepr. Wie den Verbreitungskarten der Cucuteni-Tripolje-Kultur zu entnehmen ist, lag das Gebiet am Südlichen Bug schon im östlichen Grenzgebiet der dicht besiedelten Bauern-Kultur. (...) Wir sehen, daß in diesen 600 Jahren der Formierungsphase die Steppenvölker weiter in Bewegung sind, und daß sich insbesondere vom Bereich der Maikop-Kultur aus neue rituelle Formen und "Monumentalarchitektur" ausbreiten, und zwar wird sie zunächst im Grenzbereich zur Cucuteni-Tripolje-Kultur gebräuchlich, bevor sie auch am Unteren Dnjepr und an der Molotschna praktiziert wird. Auch der erste wirklich große Grabhügel ist ja im Kaukasus errichtet worden, womöglich auch "im Angesicht" einer dort festgefügten bäuerlichen Kultur. Es kommt einem der Gedanke, ob monumentale Grabarchitektur nicht überhaupt vor allem anfangs praktiziert wurde als "Machtdemonstration" gegenüber kulturell weiter entwickelten Völkern und Kulturen.

Es folgt hier auf dem Blog noch ein dritter Artikel über die erste Französische Revolution ab 4.700 v. Ztr..

Dieser Blogartikel ist der zweite
einer dreiteiligen Reihe 

______________

  1. Philippe Chambon, Aline Thomas: The First Monumental Burials in the 5th Millennium BC: Unresolved Questions About the Emergence of the ‘Passy Phenomenon’. December 2023, Journal of World Prehistory 36(2-4) (Resg2023)
  2. Johannes Müller, Martin Hinz, Maria Wunderlich (Hg.) (Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU Kiel): Megaliths - Societies - Landscapes. Early Monumentality and Social Differentiation in Neolithic Europe. Volume 1. Proceedings of the international conference mit gleichem Titel (16th–20th June 2015) in Kiel. Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 2019 (pdf)
  3. Emmanuel Ghesquière, Philippe Chambon, David Giazzon, Lamys Hachem, Corinne Thevenet, et al.. Monumental cemeteries of the 5th millennium BC: The Fleury-sur-Orne contribution. Müller Johannes; Hinz Martin; Wunderlich Maria. Early Monumentality and Social Differentiation in Neolithic Europe, Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung (18), Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 2019, S. 177-192 (pdf)
  4. M. Rivollat, A. Thomas, E. Ghesquière, A.B. Rohrlach, E. Späth, M. Pemonge, W. Haak, P. Chambon, & M. Deguilloux, Ancient DNA gives new insights into a Norman Neolithic monumental cemetery dedicated to male elites, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 119 (18) e2120786119, https://doi.org/10.1073/pnas.2120786119 (2022) (PNAS)
  5. Bonnardin, Sandrine: La parure funéraire des premières sociétés agro-pastorales des Bassins parisien et rhénan - Rubané, Hinkesltein und Villeneuve-Saint-Germain (zu Deutsch: Der Körperschmuck in den ersten agropastoralen Gesellschaften des Pariser Beckens und des Rheinbeckens). 2009 (Prehistoire)
  6. Luc Laporte, Primitiva Buenoo-Ramírez: On the altlantic shores. The origins of megaliths in Europe? In: Laporte (L.), Large (J-M.) et Nespoulous (L.), Scarre (C.), Herbet-Steimer (T.) dir: Mégaliths of the world., Archaeopress, p.1173-1198, 2022 (Hal-Scienc)
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