Samstag, 29. Januar 2022

Kaukasus-Völker ziehen erobernd nach Süden - Anatolien während der Bronzezeit

Große genetische Kontinuität während des keramischen Neolithikums und der Bronzezeit
- Der Kaukasus als Völkerwiege: Hurriter, Mittani, Hethiter, Lyder, Lyker

Die Genetiker finden während des gesamten keramischen Neolithikums und der Bronzezeit in Anatolien eine Mischbevölkerung vor. Sie ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Anteile iranischer Genetik. Sie trug in sich (1; "Figure 4") ...

  • im Kaukasus 70 % anatolische und 30 % iranische Genetik
  • am Fundort Büyükkaya 75 % anatolische und 25 % iranische Genetik,
  • in Tell Kurdu in der nördlichen Levante 49 % anatolische Genetik, 36 % einheimische Natufium-levantinische Genetik und 15 % iranische Genetik.

Wenn sich Völkerbewegungen während der Bronzezeit aus dem Kaukasus heraus in der Genetik in anderen Teilen Anatoliens wiederspiegeln (Kura-Araxes-Kultur, Hurriter, Mittani, Hethiter, Lyder, Lyker), dann in einer leichten Erhöhung des iranischen, genetischen Anteils vor Ort.

Abb. 1: Fundorte in Anatolien (aus: 1)

Aber grundsätzlich hatte sich die iranische Genetik schon um 6.000 v. Ztr. bis in den Levanteraum verbreitet und umgekehrt auch die anatolische Genetik in kleineren Anteilen nach Osten bis zur Marghiana-Kultur am Tianshan-Gebirge. 

Die Genetiker haben nun begonnen, das Datum der Vermischung der Vorfahren der kupfer- und bronzezeitlichen Bevölkerungen, die man bislang hat sequenzieren können, zu berechnen. Sie finden (nach 1; "Figure 8B") die frühesten Vermischungsdaten für Vorfahren von Individuen von dem Fundort Ikiztepe am (mittleren) Südufer des Schwarzen Meeres und vom Fundort Çamlıbel Tarlasi, 300 Kilometer weiter südlich (Abb. 1) (G-Maps). Das wäre also klar Nord-Anatolien. Hier könnte die Vermischung (nach 1; "Figure 8B") schon 7.800 bis 7.400 v. Ztr. stattgefunden haben.

Die Vermischungsdaten für die Vorfahren der Bevölkerung des Kaukasus liegen (nach 1; "Figure 8B") um 7.300 v. Ztr.. Für die Bevölkerung von Arslantepe im Süden Anatoliens, bzw. in Nordmesopotamien liegen sie erst um 6.000 v. Ztr.. 

Ob sich darin schon ein Szenario andeutet für den Ursprungsraum und den Ablauf dieser Vermischung? Er läge in Nordanatolien in der akeramischen Zeit der Kulturstufe des PPNB. Und er würde wunderbar passen zu der postulierten zeitgleichen Ausbreitung des PPNB vom Zagros-Gebirge über das Schwarze Meer hinweg bis an den Unteren Don, die wir im ersten Teil der vorliegenden Blogartikel-Serie erörtert haben (St gen 1/2022). 

Es wäre dann eine Ausbreitung dieser Mischbevölkerung Richtung Kaukasus (30 % iranische Genetik) einerseits und Richtung Süden (15 % iranische Genetik) andererseits zu unterstellen. Im Süden, das heißt im nördlichen Mesopotamien ist um 6.500 v. Ztr. die Halaf-Kultur entstanden. In all diesen Regionen könnte es bei dieser Gelegenheit zum Hereinkommen des iranischen genetischen Anteils gekommen sein. Die Datierung der Vermischung liegt für das Südufer des Schwarzen Meeres (Ikiztepe) in einer weiteren Berechnung (1; "Figure S") übrigens noch deutlich früher als bei den anderen Fundorten.

Daß sich hier recht deutliche zeitliche Unterschiede für die berechneten Vermischungsdaten ergeben und was sie implizieren könnten, wird in der Studie dann leider - offenbar - gar nicht weiter erörtert. Im Diskussionsteil wird über das Vermischungsereignis folgendes ausgeführt (1):

Das plötzliche Auftreten des neolithischen Lebensstils im südlichen Kaukasus und die Einführung von auswärtigen domestizierten Tieren und Pflanzen-Arten um 6.000 v. Ztr. legt eine gewisse Art von Interaktion nahe, die das Eindringen neolithischer Populationen aus benachbarten Regionen mit einschließt, von denen das südöstliche Anatolien - zusammen mit dem Zagros und dem Kaspischen Gürtel - eine der geeignetsten Kandidaten sein könnte. Damit in Zusammenhang dürfte stehen, daß die genetische Struktur der domestizierten Ziegen-Populationen innerhalb des Nahen Ostens zusammen brach und daß im Chalkolitikum die Ziegenherden über die gesamte Region hinweg abstammten von sowohl östlichen wie westlichen neolithischen Populationen. ....
In the Southern Caucasus, the abrupt appearance of a Neolithic lifestyle and the introduction of exogenous domesticated animal and plant species ca. 6000 BCE suggests some type of interaction with, and eventually intrusion of Neolithic populations from the neighboring regions, among which Southeastern Anatolia - along with Zagros and the Caspian belt - could be one of the most suitable candidates (Chataigner et al., 2014). Related to these events, the genetic structure of domesticated caprine populations within the Near East began to break down, and by the Chalcolithic period, goat herds across the region were found to harbor ancestries both from eastern and western Neolithic populations (Daly et al., 2018 , Kadowaki et al., 2017). Although the exact timing of this admixture is not known, the parallel between human and livestock genetic histories suggests that livestock moved not only through trade networks but also together with people, as well as their material culture, ideas, and practices. This is indicated, for instance, by the circular Neolithic architecture of the Southern Caucasus (Baudouin, 2019, Lyonnet et al., 2016), which is reminiscent of the Halaf traditions, that were developing during the early 6th millennium in North Mesopotamia and along the Anatolian stretches of the Tigris and Euphrates river valleys.

Mit den genetisch unterschiedlichen, domestizierten Ziegen-Populationen im Nahen Osten während der akermischen Zeit, sowie mit ihrer genetischen Vereinheitlichung zu Beginn des keramischen Neolithikums in Anatolien haben wir uns hier auf dem Blog schon beschäftigt.

In unserer vierteiligen Blogartikel-Serie  "Völker zwischen Kaukasus und Levante im Neolithikum und in der Bronzezeit" hatten wir im ersten Teil Einblicke in den Kenntnisstand zur Archäologie des Zagros-Gebirges und Anatoliens 9.000 bis 5.000 v. Ztr. gegeben (1. Teil), im zweiten Teil die archäogenetische Wang et al-Studie des Jahres 2019 über den Kaukasus als Jahrtausende lange Völkerscheide behandelt (2. Teil). Im dritten Teil hatten wir eine noch ältere Studie behandelt, die das Geschehen schon ähnlich charakterisierte (3. Teil). In diesem vorliegenden vierten Beitrag werden nun abschließend - und in groben Umrissen - zwei noch jüngere archäogenetische Studien aus dem Jahr 2020 ausgewertet (1, 2).  

Die Forscher schreiben anhand der archäogenetischen Auswertung von Sequenzierungsdaten von etwa 10 bis 20 neolithischen und chalkolitischen (kupferzeitlichen) Individuen aus Anatolien und aus dem Südkaukasus (1):

Wir finden, daß die Völker Nord- und Zentralanatoliens, sowie in den Ebenen südlich des Kaukasus (genetisch) miteinander in enger Verbindung stehen; sie formten einen genetischen Gradienten, der vom westlichen Anatolien bis in den südlichen Kaukasus und ins Zagros-Gebirge im heutigen nördlichen Iran reichte. Dieser Gradient formte sich nach einem Vermischungsereignis, das diese beiden Regionen um etwa 6.500 v. Ztr. miteinander verband.
We find that mid-6th millennium populations from North/Central Anatolia and the Southern Caucasian lowlands were closely connected; they formed a genetic gradient (cline) that runs from Western Anatolia to the Southern Caucasus and Zagros in today’s Northern Iran. This cline formed after an admixture event that biologically connected these two regions ca. 6500 BCE.

Diese Worte kann man nun gut verstehen und einordnen, nachdem man die drei vorhergehenden Blogartikel dieser Reihe zur Kenntnis genommen hat. Deshalb sind diese drei anderen auch geschrieben worden. Wir mußten uns dafür mit Epochen und Räumen vertraut machen, mit denen wir uns hier auf dem Blog bislang noch nicht beschäftigt hatten. 

Es wäre gerne noch einmal zu fragen, ob es einen so gleichmäßigen Vermischungs-Gradienten über so weite Räume hinweg in anderen Bauernkulturen des Neolithikums auch gegeben hat. Am ehesten wäre ein solcher vergleichbar wohl mit der allmählichen Vermischung der nord- und der südchinesischen Herkunftskomponente während des Neolithikums und der Bronzezeit, aus der die heutigen Han-Chinesen hervorgegangen sind (siehe andere Beiträge hier auf dem Blog).

Es ist für das neolithische Anatolien von einem Vermischungsereignis die Rede, das zeitlich nach der Herkunftsgruppe "Levant_N" (in Abb. 3 von Teil 2: St gen 1/2022) lag, bzw. das nach dem Untergang derselben erfolgte. Und es könnte dieses Vermischungsereignis jeweils stattgefunden haben mit den vor Ort lebenden Jägern und Sammlern im Norden des Fruchtbaren Halbmonds, also in Nordanatolien. Die dabei entstandenen Mischungsverhältnissen haben dann während der gesamten Bronzezeit fortbestanden und formen noch heute Grundzüge der Genetik der vorderorientalischen Völkern (s. Abb. 3 von Teil 2). Die Forscher beschreiben ihre komplexen statistischen Auswertungen unter anderem folgendermaßen (1):

Wir beobachten, daß ein frühes kupferzeitliches Individum in Zentralanatolien (Büyükkaya_EC) und ein spätneolithisches aus den Ebenen südlich des Kaukasus sich genetisch unterscheiden von einem neolithischen Individuum am Marmara-Meer (Barcın_N) dadurch, daß sie mehr Allele mit Kaukasus-Jäger-Sammlern teilen und mit der iranisch-neolithischen Völkergruppe als mit dem Individuum am Marmara-Meer, während sie zugleich weniger Allele mit westeuropäischen Jägern und Sammlern, mit frühen europäischen Bauern und mit einem epipaläolithischen Individuum aus Anatolien teilen, ebenso weniger mit einem solchen aus der Levante.
We observe that Büyükkaya_EC and Caucasus_lowlands_LN differ from Barcın_N by sharing more alleles with Caucasus hunter-gatherers (CHG; Satsurblia and Kotias Klde caves) and Iran_N (Ganj Dareh site in Zagros mountains) than with Barcın_N (+2.2 to +5.5 SE), while sharing less alleles with hunter-gatherers from Western Europe (WHG) (≤−4.3 SE), Early European Farmers (EEF) (≤−3.6 SE), the Epipaleolithic Pınarbaşı individual from Anatolia (≤−6.8 SE), and with the Neolithic/Epipaleolithic Levant (−1.3 to −9.4 SE). 

Schon für diese Zeit wird also in Mittelanatolien und im Südkaukasus eine Einmischung von 24 bis 31 % iranisch-neolithischer Genetik festgestellt. Ein neolithisches Individuum von Tepecik in Mittelanatolien weist nach dieser Studie 22 % iranisch-neolithische Genetik auf.

Die Menschen des Frühen Chalkolitikum im Tell Kurdu in der nördlichen Levante weisen zu 36 % genetische Kontinuität zu den vorkeramischen städtischen PPNB-Kulturen des Fruchtbaren Halbmonds auf, das ist der größte Anteil, der für diesen Zeitraum in Bevölkerungen des Vorderen Orients beobachtet wird. Es handelt sich also um die Natufium-levantinische Genetik (1):

... Tell Kurdu_EC weist mehr genetische Nähe zu vorkeramischen neolithischen Levantinern (Levant_N) auf als zu jeder anderen neolithischen oder frühchalkolitschen anatolischen Bevölkerung, einschließlich eines 1000 Jahre jüngeren Individuums aus derselben Gegend (Tell Kurdu im Mittelchalkolithikum). (...) Wir können frühchalkolitische Individuen von Tell Kurdu als Dreifachmischung modellieren: Marmara-neolithisch (Barcin_N), 15,5 % iranisch-neolithisch und 36,6 % levantinisch-neolithisch.
TellKurdu_EC does not fall on this cline of mixed Barcin_N-Iran_N ancestries but shows extra affinity with ancient Levantine populations. Accordingly, f4-statistics of the form f4(Mbuti, Levant_N; X, TellKurdu_EC) ≥3.3 SE, show that TellKurdu_EC has more affinity with the pre-pottery Neolithic Levantines (“Levant_N”) than with any other Neolithic-Early Chalcolithic (“N-EC”) Anatolian population including an almost 1,000-year younger individual from the same area (TellKurdu_MC). When compared to Barcın_N, TellKurdu_EC has significantly (<−4 SE) less affinity with Mesolithic hunter-gatherers from Western, Eastern, and Southeastern Europe (WHG, EHG, and Iron_Gates, respectively). The admixture model with Barcın_N+Iran_N/CHG used above is not supported for TellKurdu_EC (p < 1.47 × 10−5). Instead, we can successfully model TellKurdu_EC as a three-way mixture of Barcın_N, Iran_N (or CHG), and Levant_N (p = 0.298; 15.5% ± 3.7% from Iran_N and 36.6% ± 7.1% from Levant_N; Figure 4).

Das führten wir schon eingangs aus. Spätestens bis zum Frühchalkolitikum hat sich also iranische Genetik bis in den nördlichen Levanteraum ausgebreitet, wo sie einen Herkunftsanteil von 15 % stellt. Im Diskussionsteil schreiben die Forscher (1):

Wir charakterisieren einen spätneolithisch/frühchalkolithischen genetischen Gradienten, der von Westanatolien (z.B. rund um das Marmara-Meer) bis zu den Ebenen südlich des Kaukasus reicht, der geformt wurde durch einen Vermischungsprozeß, der mit Beginn des Spätneolithikums einsetzte (um 6.500 v. Ztr.). Das östliche Ende dieses Gradienten reicht über das Zagros-Gebirge (des Irans) hinaus mit winzigen Anteilen anatolischer (z.B. westlich-anatolischer) Herkunft, die sich bis in das chalkolitische und bronzezeitliche Zentralasien hinein erstrecken. Im Süden findet sich die anatolische Herkunft in neolithischen Bevölkerungen des südlichen Levanteraums, im Norden in den chalkolitischen und bronzezeitlichen Bevölkerungen des Kaukasus (vornehmlich gebirgige Gegend), wahrscheinlich als das Ergebnis einer spätneolithischen Vermischung.
We describe a Late Neolithic/Early Chalcolithic (6th millennium BCE) genetic cline stretching from Western Anatolia (i.e., area around the Sea of Marmara) to the lowlands of the Southern Caucasus that was formed by an admixture process that started at the beginning of Late Neolithic (∼6500 years BCE). The eastern end of this cline extends beyond the Zagros mountains with minute proportions of Anatolian (i.e., Western Anatolian-like) ancestry reaching as far as Chalcolithic and Bronze Age Central Asia (Narasimhan et al., 2019 ). To the south, Anatolian ancestry is present in the Southern Levantine Neolithic populations (Lazaridis et al., 2016 ), and to the north, in the Chalcolithic and Bronze Age populations from the Caucasus (mainly mountainous area) (Allentoft et al., 2015 , Lazaridis et al., 2016, Wang et al., 2019 ), most likely as a result of the Late Neolithic admixture.

Wir haben es also mit der Völkergruppe der anatolisch-europäisch-neolithischen Bauern im Westen (Bosporus) und der Völkergruppe der iranisch-neolithischen Bauern im Osten zu tun, wobei das Büyükkaya-Indidivuum in Zentralanatolien der anatolisch-neolithischen Völkergruppe näher steht als der iranisch-neolithischen. Es steht genetisch zugleich auf der Mitte zwischen Südkaukasus und Levante. Die Forscher schreiben (1):

Die neolithische Rundhaus-Architektur des südlichen Kaukasus erinnert an die Halaf-Traditionen, die während des 6. Jahrtausends in Nordmesopotamien und entlang der in Anatolien gelegenen Bereiche der Täler von Tigris und Euphrat entwickelt worden waren.
The circular Neolithic architecture of the Southern Caucasus (Baudouin, 2019 , Lyonnet et al., 2016 ), is reminiscent of the Halaf traditions, that were developing during the early 6th millennium in North Mesopotamia and along the Anatolian stretches of the Tigris and Euphrates river valleys.

Auch dieser Satz ist nach Erarbeitung der ersten beiden Blogartikel dieser Reihe nachvollziehbar. Vom 6. Jahrtausend bis zum Beginn der Bronzezeit hat sich dann die Genetik in Anatolien nicht mehr wesentlich verändert, sondern weist Kontinuität auf.

Die Unklarheit hier auf unserem Blog über den Zeitpunkt und die Art der Ausbreitung der iranisch-neolithischen Herkunftskomponente bis ins westliche Anatolien ist damit also nun beseitigt. Diese Ausbreitung ist auf das 8. und 7. Jahrtausend v. Ztr. zurück datiert (!!!) und auf die Zeit der Entstehung und Ausbreitung der ersten neolithischen Kulturen in Nordanatolien, sowie der Halaf-Kultur in Südanatolien/Nordmesopotamien.

Übrigens muß die Ausbreitung der Cardial-Kultur rund um die Küsten des Mittelmeeres vom westlichen Anatolien aus und der Balkan- und Donau-neolithischen Kulturen Richtung Norden begonnen haben, bevor die iranische genetische Komponente die Mittelmeerküste Anatoliens erreicht hat. Denn eine iranische genetische Komponente findet sich ja in diesen Völkergruppen während des Früh- und Mittelneolithikums nicht.

2.900 v. Ztr. - Die Hurriter (Kura-Araxes, Mittani) - 1.800 v. Ztr. - Die Hethiter, Lyder, Lyker

Über die erneute, zusätzliche Ausbreitung iranischer Genetik mit der Kura-Araxes-Kultur vom Kaukasus aus wird eine der beteiligten Forschereinnen angeführt (3):

"In den bronzezeitlichen Populationen der frühen städtischen Zentren Alalakh und Ebla in der heutigen Südtürkei und Nordsyrien konnten wir neue genetische Spuren nachweisen, die nur durch den (genetischen) Einfluß von externen Gruppen zu erklären sind."

Und es wird dazu weiter ausgeführt (3):

Antike Texte berichten über die Migration von Bevölkerungsgruppen wie "Amoritern" und "Hurritern". Woher die Einwanderer in die nördliche Levante kamen, können die Forscher nur vermuten. Nahe liegt hier Mesopotamien, der heutige Irak, aus dem bislang jedoch noch kaum alte menschliche Genome bekannt sind.

Nach der parallelen Studie stammen diese neu hinzu kommenden Völker aus dem Bereich des Kaukasus (2) (siehe gleich). Eine einzelne Frau, die genetisch direkt aus Zentralasien stammte, fand sich in der bronzezeitlichen Siedlung Alalakh in der Südtürkei auf den Boden eines Brunnens geworfen, und zwar in der Zeit um 1.600 v. Ztr. (3). Diese Frau ist aber bislang der einzige Nachweis dafür, daß Menschen von außerhalb der anatolischen Völkergruppe nach Anatolien hinein gekommen sind.

Die zweite Studie (2) (Agranat-Tamir 2020), die viele neu sequenzierte Menschenfunde aus dem südlichen Levanteraum aus dem Neolithikum und der Bronzezeit auswertet, ist bezüglich der Herkunft der Zuwanderer deutlicher als die erstgenannte (2):

Wir stellten fest, daß schon die ältesten Individuen unserer Sammlung aus der Mittleren Bronzezeit beträchtliche Zagros-ähnliche Herkunft in sich trugen, was einen Genzufluß in die Region nahelegt, der vor etwa 2.400 v. Ztr. eingesetzt hat. Dies stimmt überein mit der Hypothese, daß Menschen der Kura-Araxes-Kultur des 3. Jahrtausends v. Ztr. den südlichen Levanteraum nicht nur kulturell, sondern in einem gewissen Ausmaß auch genetisch geprägt haben. Unsere Daten legen auch eine Zunahme dieses Zagros-Herkunftsanteils nach der Mittleren Bronzezeit nahe.
We observed that the oldest individuals in our collection, from the Intermediate Bronze Age, already carried significant Zagros-related ancestry, suggesting that gene flow into the region started before ca. 2400 BCE. This is consistent with the hypothesis that people of Kura-Araxes archaeological complex of the 3rd millennium BCE might have affected the Southern Levant not only culturally, but also through some degree of movement of people. Our data also imply an increase in the proportion of Zagros-related ancestry after the Intermediate Bronze Age.

Drei Ausnahmefälle in Megiddo diesbezüglich konnten archäologisch gut auf 1550 v. Ztr. datiert werden. Diese trugen nur 9 bis 27 % neolithische Levante-Herkunft in sich:

Die einzige passende nordöstliche Ausgangsbevölkerung für diese beiden Individuen ist das gleichzeitige Mittel- bis Spätbronzezeitliche Armenien. (...) Zusammengefaßt zeigen unsere Analysen, daß der Genzufluß in die Levante hinein, von Menschen, die verwandt waren mit denen im Kaukasus oder im Zagrosgebirge schon während der Mittleren Bronzezeit begann, und daß er episodisch oder kontinuierlich nachklang, zumindest in Inland-Orten während der Mittleren bis Späten Bronzezeit.
The only working northeast source population for these two individuals is the contemporaneous Armenia_MLBA. (...) Altogether, our analyses show that gene flow into the Levant from people related to those in the Caucasus or Zagros was already occurring by the Intermediate Bronze Age, and that it lingered, episodically or continuously, at least in inland sites, during the Middle-to-Late Bronze Age.

An anderer Stelle wird über diese Studie berichtet (4):

Die weitere genetische Veränderung, die die Wissenschaftler entdeckten, vollzog sich nicht so graduell. Sie sahen sich untersuchte Menschenfunde der antiken Städte Alalakh und Ebla in der heutigen südlichen Türkei und im nördlichen Syrien an und entdeckten, daß um 2.000 v. Ztr. die nördliche Levante ein vergleichsweise plötzliches Hereinkommen von neuen Menschen erlebte. Die genetische Veränderung deutet auf eine Masseneinwanderung. 
The other shift researchers detected wasn’t as gradual. They looked at samples from the ancient cities of Alalakh and Ebla in what is today Southern Turkey and Northern Syria, and saw that around 4,000 years ago the Northern Levant experienced a relatively sudden introduction of new people. The genetic shifts point to a mass migration.

Der Begriff "mass migration" fällt in der Studie selbst zwar nicht, der Bericht ist aber am Institut selbst entstanden. Wir lesen dazu andernorts (Orlando, Cell 2020) (5):

Drei Individuen vom Tell Meddigo trugen eine größere Zagros-Herkunft in sich als die restlichen Menschen vor Ort. Beim derzeitigen Datenstand kann diese Herkunft am ehesten zurückgeführt werden auf Menschen, die Armenien besiedelt haben und nicht den Iran, und zwar nicht vor der Mittleren Bronzezeit. (...) Dies legt direktere Verbindungen mit dem südlichen Kaukasus während der ersten Hälfe des 2. Jahrtausends v. Ztr. nahe.
For three individuals from Tel Meddigo, the Zagros-related ancestry fraction was higher than in the other individuals and, with current data, was best approximated from sources inhabiting Armenia, and not Iran, no earlier than the middle Bronze Age. (...) This supports direct connections with the southern Caucasus during the first half of the second millennium BCE. 

Es wird ausgeführt, daß noch archäogenetische Daten zu den so wesentlichen geschichtlichen Vorgängen in Mesopotamien (Uruk, Babylon, Akkad) fehlen. Um sich an den Zeitpunkt und den Ausgangsort der hinzukommenden Genetik anzunähern, formlieren die Forscher folgenden Gedankengang (Agranat-Tamir 2020):

Die Archäologie weist für die erste Hälfe des 3. Jahrtausends v. Ztr. auf kulturelle Ähnlichkeiten hin zwischen der Kura-Araxes-Kultur im Kaukasus und der Khirbet Kerak-Kultur in der Südlevante und in Textüberlieferungen sind im 2. Jahrtausend v. Ztr. einige nicht-semitische Hurrische Personennamen dokumentiert, zum Beispiel im Amarna-Archiv des 14. Jahrhundert v. Ztr.. Deshalb kamen wir auf den Gedanken, daß die kupferzeitliche Zagros-Herkunftskomponente über den Kaukasus in die südliche Levante gekommen sein könnte (und sogar nähergelegene nordöstliche Gebiete des antiken Nahen Ostens, obwohl wir noch keine archäogenetischen Sequenzierungen aus dieser Region vorliegen haben). Diese Ausbreitung muß nicht auf ein einziges, kurzes Ereignis beschränkt gewesen sein, sie könnte mehrere Wellen während der Bronzezeit in sich geschlossen haben.
Archaeology points to cultural affinities between the Kura-Araxes (Caucasus) and Khirbet Kerak (Southern Levant) archaeological cultures in the first half of the 3rd millennium BCE (Greenberg and Goren, 2009), and textual evidence documents a number of non-Semitic, Hurrian (from the northeast of the ancient Near East) personal names in the 2nd millennium BCE, for example in the Amarna archive of the 14th century BCE (Na’aman, 1994b). We therefore reasoned that the Chalcolithic Zagros component might have arrived into the Southern Levant through the Caucasus (and even more proximately the northeastern areas of the ancient Near East, although we have no ancient DNA sampling from this region). This movement might not have been limited to a short pulse, and instead could have involved multiple waves throughout the Bronze Age.

Die Daten legen also eine Zuwanderung der Kura-Araxes-Kultur aus dem Südkaukasus in den Südlevanteraum nahe in einer Zeit nach der Begründung der Großreiche und ihrer Schriftkulturen in Uruk und Ägypten, also nach 3.200 v. Ztr..

Im Großen und Ganzen bestätigt diese Studie - soweit wir es verstehen - das, auf was wir hier in diesem Blogartikel und anderwärts schon aufmerksam geworden waren, nämlich auf einen erneuten Zufluß von iranisch-neolithischer Genetik in den östlichen Mittelmeerraum (und von dort dann sogar in den westlichen Mittelmeerraum). Von ausgesprochenen Indogermanen (Yamnaja-Genetik) im östlichen Mittelmeerraum scheinen weitgehend immer noch die erwarteten Spuren zu fehlen.

2.900 v. Ztr. - Die indogermanisch mitgeprägten Mittani kommen nach Nordmesopotamien

Werfen wir nun einen Blick hinüber zur Archäologie. Das Gebiet der Kura-Araxes-Kultur (4.000 bis 2.000 v. Ztr.) (Wiki) im Südwesten des Kaukasus deckt sich sehr weitgehend mit dem der vorhergehenden Shulaveri-Shomu-Kultur und scheint auch aus ihr hervor gegagen zu sein unter kulturellen Einflüssen aus Nordmesopotamien. Diese Kultur hat sich dann um 3.100 und 3.000 v. Ztr. sehr schnell erobernd bis nach Syrien und Palästina ausgebreitet.

Über die kulturellen Ursprünge der Maikop-Kultur im Norden des Kaukasus gibt es noch sehr unterschiedliche Meinungen unter den Archäologen, da kulturelle Einflüsse von allen Richtungen festgestellt werden können, von Mesopotamien aus, vom Iran aus, vom Balkan aus, vom Nordschwarzmeer-Gebiet aus. So schreibt Mariya Ivanova 2012.

Die Leyla-Tepe-Kultur (4.350-4000 v. Ztr.) (Wiki), existierend südlich und südöslich vom Kaukasus im heutigen Georgien und Aserbeidschan, bis zu 1000 Kilometer entfernt von der Stadt Maikop nordwestlich des Kaukasus (G-Maps), wird von manchen Forschern als Ausgangspunkt der Maikop-Kultur angesehen. Sie weist auch Ähnlichkeiten der Kulturgüter auf mit solchen von Tell Khazneh I aus dem 4. Jahrtausend v. Ztr. in Syrien:

Die Leyla-Tepe-Keramik ähnelt der "Chaff-Faced"-Ware des nördlichen Syrien und Mesopotamien. Diese ist besonders gut bezeugt in der Amuq F-Phase. Ähnliche Keramik wurde ebenso in Kultepe in Azerbeidjan gefunden.
Leyla-Tepe pottery is very similar to the 'Chaff-Faced Ware' of the northern Syria and Mesopotamia. It is especially well attested at Amuq F phase. Similar pottery is also found at Kultepe, Azerbaijan.

Die Ergebnisse zu einer Ausgrabung dieser Kultur im Jahr 2012 wurden 2016 veröffentlicht unter dem Titel:

... Ostanatolische kupferzeitliche Traditionen im Kaukasus
Potter's Marks on Leilatepe Culture Pottery: Eastern Anatolian Chalcolithic Traditions in the Caucasus

In der Zusammenfassung heißt es (Researchg):

.... Die nordkaukasische Maikop-Kultur entstand als das Ergebnis von Wanderungen von Stämmen der Lailatepe-Kultur nach Norden. ....
Late Chalcolithic elements found on several ceramics of the Lei-latepe culture in the South Caucasian region are analyzed and compared to marks on ceramics from Arslan-tepe and the Maikop culture. (...) This study looks at the Northern Caucasian Maikop archaeological culture (that) was formed as a result of migration of the Leilatepe culture tribes to the North. Common peculiarities for both cultures are red-pink, round-based pots bearing marks and some specific features of funeral customs. From this view point, the early Maikop sites are more typical Late Chalco-lithic Leilatepe type than the early Bronze.

Tausend Jahre später dann, in der Frühen Bronzezeit (3.000 bis 2.800 v. Ztr.) finden Archäogenetiker Hinweise auf einen Zufluß zusätzlicher iranischer Genetik in Arslantepe (Wiki). Das ist zur gleichen Zeit, in der sich die indogermanische Glockenbecher-Kultur in Spanien, England und Italien ausbreitet, auf Sardinien und in Spanien zweitweise ohne daß damit nennenswerte Steppengenetik sich ausbreitet. Vielleicht haben wir ein ähnliches Phänomen in Anatolien zu gleicher Zeit vorliegen.

Es ist jedenfalls naheliegend, den erneuten Zufluß an iranischer Genetik mit den Mittani (Wiki) in Verbindung zu bringen. Die Mittani haben den Streitwagen im Vorderen Orient eingeführt und weisen sprachlich einige indogermanische Charakteristika auf (Worte für Pferde zum Beispiel). Sie breiten sich dann - einmal erneut - aus der Kernregion des vormaligen Fruchtbaren Halbmonds heraus aus. Aber offensichtlich sind sie nach dorthin vom Kaukasus aus gekommen. Über Arslantepe lesen wir (Wiki):

Um 3000 v. Chr. wurde der Palast in einem verheerenden Feuer zerstört, was zum Ende der bisherigen Machtstrukturen führte. In der folgenden Phase der frühen Bronzezeit 1 (3000-2800 v. Chr.) war der Hügel zunächst von Gruppen von nomadischen Viehhaltern aus dem ostanatolischen bis transkaukasischen Raum bewohnt. Sie bauten Hütten aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk, die Keramik beschränkte sich auf handgemachte rot-schwarze Ware. Gelegentlich werden die neuen Bewohner der südkaukasischen Kura-Araxes-Kultur zugerechnet. Nach einer Übergangszeit zeigt sich jedoch eine erneute Machtkonzentration durch den Bau einer vier Meter dicken Befestigungsmauer um den höchsten Teil, die aus Lehmziegeln auf Steinfundamenten errichtet war. Auch die Siedlung außerhalb der Mauern an den Hängen bestand jetzt wieder aus Lehmziegelhäusern mit bis zu drei Räumen. In den Räumen und auf den dazwischenliegenden Höfen konnten landwirtschaftliche Tätigkeiten nachgewiesen werden, aber auch Spuren von Metallverarbeitung. In dieser Zeit taucht auch vermehrt wieder die auf der Töpferscheibe erstellte, helle Keramik der Uruk-Art auf.
Am Anfang dieser Periode, zwischen 3000 und 2900 v. Chr., wurde außerhalb der Befestigung das sogenannte Königsgrab angelegt. Es liegt auf der Sohle einer fünf Meter durchmessenden Grube, die ursprüngliche Tiefe läßt sich auf Grund von späteren Änderungen nicht rekonstruieren. Es handelt sich um ein Steinkistengrab mit einer Seitenlänge von etwa zwei Metern. Die Kiste enthielt den Leichnam eines Erwachsenen, mit angezogenen Knien auf der rechten Seite liegend. Das Grab war mit reichen Beigaben ausgestattet. Dazu gehörten Tongefäße und Schmuck aus Karneol, Bergkristall, Silber und Gold sowie eine Ansammlung von Metallgegenständen hinter seinem Rücken. Sie besteht aus Waffen, Werkzeugen und Schmuck aus Arsenkupfer, Kupfer-Silber-Legierungen, Gold und Silber. Im Unterschied zu den Schwertern der Periode VI A handelt es sich bei diesen nicht um Repräsentationsobjekte, sondern um verwendbare Waffen. Auf der Deckplatte des Grabes wurden vier Skelette von Jugendlichen gefunden. Zwei davon, ein männliches und ein weibliches, lagen am Kopfende des Grabes und waren mit Schmuckstücken ausgestattet, Kupfernadeln, einem Diadem und einer Haarspirale aus einer Kupfer-Silber-Legierung ähnlich den Grabbeigaben. Möglicherweise handelt es sich hier um Verwandte des Bestatteten. Die anderen beiden, die am Fußende lagen, waren beide weiblich und trugen keinen Schmuck, vielleicht waren es Bedienstete. Die reiche Ausstattung des Bestatteten sowie die offensichtliche Anwesenheit von Menschenopfern deuten darauf hin, daß es sich um eine hochgestellte Persönlichkeit, wohl einen Herrscher, gehandelt hat.

Und weiter:

Nachdem die Bauten der letzten Periode durch ein erneutes Feuer zerstört wurde, war der Siedlungsort zunächst für einige Zeit verlassen. Während der frühen Bronzezeit II, zwischen 2750 und 2500 v. Chr., siedelten erneut Nomaden auf dem Hügel. Ähnlich der frühen Periode VI B hinterließen sie schnell vergängliche Bauten. Daneben bauten sie wenige runde Lehmhütten oder, noch seltener, halb unterirdische Häuser mit Vorbauten und Abfallgruben. In einer etwas späteren Phase entstand im höheren Teil ein mehrräumiges Terrassengebäude, in dessen rechteckigen Räumen unter anderem hufeisenförmige Herdstellen vorhanden waren. Das Gebäude zeigt auch Spuren von Reparaturarbeiten, so daß es wahrscheinlich über längere Zeit von einer Familie oder Sippe bewohnt war, während außerhalb saisonweise die nomadischen Bewohner lebten. Die Keramik war ausschließlich handgemacht, ähnlich der vorherigen rot-schwarzen Ware. Daneben gab es einen Typ von heller, polierter Ware, die mit roten und braunen geometrischen Motiven bemalt war. Mit dieser Periode endete zunächst die Vormachtstellung des Ortes, die Verbindungen nach Mesopotamien und Syrien wurden aufgegeben zugunsten von Beziehungen nach Ostanatolien.

Die Archäogenetiker sprechen von einer (1)

... Spärlichkeit mittel- und spätbronzezeitlicher Gräber in Anatolien. In dieser Hinsicht stellt der Fundort Alalakh im Amuq-Tal in der Türkei mit seinen mehr als 300 Gräbern, die auf diese Epoche datiert werden, einen Ausnahmefall für archäogenetische Studien dar.
... due to the scarcity of Middle and Late Bronze Age (LBA) burials. In this regard, the site of Alalakh in the Amuq Valley (Turkey), with more than 300 burials dated to that period, represents an exceptional case for the application of aDNA studies. 

In der hier erwähnten Mittleren Bronzezeit bestand in Alalakh schon das Reich der Mittani (Wiki), das sich um 1600 v. Ztr. zwischen dem Großreich der Hethiter im Norden und dem Großreich der Ägypter im Süden behauptete.

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  1. Eirini Skourtanioti, ... Wolfgang Haack, Johannes Krause: Genomic history of neolithic to bronze age Anatolia, Northern Levant, and Southern Caucasus. Cell 181(5), Mai 2020, 1158-1175. https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.04.044, https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)30509-2
  2. Agranat-Tamir et al. (David Reich), The Genomic History of the Bronze Age Southern Levant, 2020, Cell 181, 1146–1157, May 28, 2020, https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.04.024, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867420304876 (pdf)  
  3. Menschliche Mobilität und die frühen Staaten im Vorderen Orient, 28.5.2020, https://www.shh.mpg.de/1708395/anatolian-dna 
  4. Juan Siliezar: Movement and mingling of peoples in West Asia 8,500 years ago, 29.5.2020 (Harvard Gazette
  5. Ludovic Orlando: Filling Important Gaps in the Genomic History of Southwest Asia. Cell, Volume 181, Issue 5, 28 May 2020, Pages 966-968, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867420305729
  6. Ivanova, Mariya 2012. Kaukasus und Orient: Die Entstehung des "Maikop-Phänomens" im 4. Jahrtausend v. Chr. In: Praehistorische Zeitschrift 2012; 87(1): 1-28
  7. Korobov, D., & Borisov, A. (2013). The origins of terraced field agriculture in the Caucasus: New discoveries in the Kislovodsk basin. Antiquity, 87(338), 1086-1103. doi:10.1017/S0003598X00049887

Samstag, 22. Januar 2022

Anatolien - Formierungsprozesse der ersten Bauernvölker (13.000 bis 5.000 v. Ztr.)

11.000 v. Ztr. - Erste iranische Genetik kommt nach Anatolien 
7.600 bis 5.700 v. Ztr. - Südanatolisch-levantinische Genetik kommt nach Anatolien
- Die Entstehung der anatolisch-neolithischen Völkergruppe
- Jene Völkergruppe, die das Neolithikum über ganz Europa verbreitet hat

Anatolien. Das große und reiche Anatolien (Wiki). Dieser Raum hat das Entstehen, die Blüte und den Verfall so unzählig vieler Völker, Kulturen, Königreiche und Sprachen von frühester Zeit der Menschheitsgeschichte an erlebt (Wiki, Wiki). 

Man tauche hinein in die Geschichte der Völker so vieler Jahrtausende und man wird sehen, daß eine Beschäftigung mit dem deutschen Archäologen Heinrich Schliemann und mit seinen Ausgrabungen in Troja und daß ein Lesen von solchen Klassikern wie "Götter, Gräber und Gelehrte", in denen über die Ausgrabung der Königsstadt der Hethiter, Hattusa, berichtet wird, nur erste Andeutungen geben können, von jenem kulturellen Reichtum, von dem es hier Kenntnis zu nehmen gilt, von dem einen Eindruck zu verschaffen wirklich sinnvoll sein könnte für den, der die Geschichte der Menschheit wirklich verstehen will.

Abb. 1: Ein Wildschwein als Zeremonialgefäß, Hacılar, südwestliche Türkei, um 6.000 v. Ztr. (5) - Hacılar war Siedlungsort seit dem 8. Jahrtausend v. Ztr. - Ausgestellt im "Museum für die Anatolischen Kulturen" in Ankara

Anatolien. Hier entstand im 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Ausgangspopulation jener Völkergruppe, die ab 6.500 v. Ztr. den Ackerbau rund um das gesamte Mittelmeer, über den Balkan, die Donau hinab ins Wiener Becken und von dort durch ganz Mitteleuropa hindurch bis an die Kanalküste ausbreitete und schließlich - ab 4.400 v. Ztr. als Trichterbecher-Kultur - bis nach Skandinavien, ja, als Cucuteni-Tripolje-Kultur und als Kugelamphorenkultur bis tief in die Ukraine und nach Rußland hinein, eine Völkergruppe, die dann in Europa im indogermanischen Völkersturm des Spätneolithikums, etwa ab 3.800 v. Ztr. genetisch und kulturell nach und nach unterging.

Der höchste Anteil seiner Genetik hat sich bis heute in Sardinien erhalten. Aber wir alle, alle Europäer tragen die Genetik dieser Völkergruppe in uns, in größeren und kleineren Anteilen, um so weiter südlich, um so größer, um so weiter nördlich, um so weniger umfangreich.

In einer archäogenetischen Studie von Johannes Krause und Mitarbeitern aus dem Jahr 2018 wurde das erste Genom eines Jägers und Sammlers aus Anatolien aus der Zeit um 13.000 v. Ztr. veröffentlicht (Wiki). Über dieses wird gesagt (1): 

Anatolische Jäger und Sammler unterscheiden sich genetisch von anderen spätpleistozänen Populationen und repräsentieren eine zuvor nicht beschriebene Population.
We find that the Anatolian hunter-gatherers are genetically distinct from other reported late Pleistocene populations and thus represent a previously undescribed population.

Ein bislang den Ancient-DNA-Forschern in diesem Raum noch nicht bekannt gewordenes - genetisch einzigartiges - Volk ist entdeckt worden. Und dieses Volk hat dann auch ab 6.500 v. Ztr. genetisch weitgehend unverändert den Ackerbau und die seßhafte Lebensweise angenommen.

Aber noch zuvor scheint es zu genetischen Einmischungen (höchstens 10 bis 20 %) von frühen iranischen Jägern und Sammlern (oder Hirten/Bauern) gekommen zu sein und auch von westeuropäischen Jägern und Sammlern. Auch die "südanatolisch-levantinischen" Bauern scheinen genetischen Einfluß auf die Formierung dieser Völkergruppe genommen zu haben. Über die anatolisch-neolithischen Jäger-Sammler (AHG) heißt es (1): 

Die Herkunftsgruppe der anatolischen Jäger und Sammler hat die Hälfte ihrer Genetik von der levantinisch-neolithischen Herkunftsgruppe erhalten und die anderen Hälfte von der Herkunftsgruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler. (...) Bemerkenswerter Weise war es zu dieser Vermischung schon fünftausend Jahre vor Einführung des Ackerbaus in dieser Region gekommen und korreliert möglicherweise mit Belegen für menschliche Interaktionen zwischen Zentralanatolien und dem Levanteraum während des Epipaläolithikums.
AHG derives around half of his ancestry from a Neolithic Levantine-related gene pool (48.0 ± 4.5 %; estimate ± 1 SE) and the rest from the WHG-related one (tables S4 and S5). These results support a late Pleistocene presence of both ancestries in a mixed form in central Anatolia. Notably, the genetic connection with the Levant predates the advent of farming in this region by at least five millennia and potentially correlates with evidence of human interactions between central Anatolia and the Levant during the Epipalaeolithic.

Fünftausend Jahre vor 6.500 v. Ztr. heißt 11.500 v. Ztr.. Das wäre in Südanatolien, am Oberlauf von Euphrat und Tigris, die Kulturstufe des Natufium, eine schon recht weit entwickelte Kultur mit Halbseßhaftigkeit, in der sich die westeuropäische Hausmaus zu domestizieren begann (zur Hausmaus siehe andernorts hier auf dem Blog), und in der man Bergheiligtümer wie Göbekli Tepe zu errichten begann.*) 

11 % osteuropäische Jäger-Sammler-Genetik in Serbien (7.000 v. Ztr.)

Über die mesolithische Jäger und Sammler-Kultur am Eisernen Tor im heutigen Serbien (Wiki), repräsentiert nicht zuletzt durch den Ausgrabungsort "Lepenski Vir" (Wiki), heißt es in der Studie von 2018 (1): 

Die Jäger und Sammler am Eisernen Tor können modelliert werden als eine Vermischung dreier Herkunftsgruppen, nämlich von nahöstlichen Jägern und Sammlern (26% anatolische Jäger und Sammler oder 11 % Natufium-levantinische Herkunfsgruppe), westeuropäische Jäger und Sammler (63 %, bzw. 78 %) und osteuropäische Jäger und Sammler (11 %)."
"We find that Iron Gates hunter-gatherers can be modeled as a three-way mixture of Near-Eastern hunter-gatherers (25.8 ± 5.0 % AHG or 11.1 ± 2.2 % Natufian), WHG (62.9 ± 7.4 % or 78.0 ± 4.6 % respectively) and EHG (11.3 ± 3.3 % or 10.9 ± 3 % respectively)."

Hatte man also bis 2018 gedacht, die Jäger-Sammler am Eisernen Tor in Serbien wären Mischungen aus west- und osteuropäischen Jägern und Sammlern, entdeckte man nun eine genetische Komponente des Nahen Ostens, wobei bis heut enoch nicht ganz klar ist, wie das einzuordnen ist. In der Zusammenfassung der Studie von 2018 heißt es (1): 

Wir stellen die hohe genetische Kontinuität (80 bis 90 %) zwischen Jägern und Sammlern und frühen Bauern in Anatolien heraus und entdecken zwei unterschiedliche, dort hinein kommende genetische Komponenten: eine frühe iranisch-kaukasische und eine spätere, die in Beziehung zur Levante steht.
We find high genetic continuity (~80-90%) between the hunter-gatherer and early farmers of Anatolia and detect two distinct incoming ancestries: an early Iranian/Caucasus related one and a later one linked to the ancient Levant.

Und zu den letzteren (1): 

Genetische Beiträge von außerhalb der Region, verbunden mit zwei frühen Bauernpopulationen des Fruchtbaren Halbmonds ersetzten jeweils etwa 10 und 20 % der einheimischen Genetik. Die frühere steht in Verbindung mit dem Neolithikum des Iran oder Kaukasus, die spätere in Verbindung mit dem Neolithikum der Levante.
External genetic contributions, associated with two distinct early farming populations of the Fertile Crescent, substituted about 10% and 20% of indigenous ancestry each. The earlier one is associated with Neolithic Iran/Caucasus and the later one with Neolithic Levant.

11.000 v. Ztr. - Iranische Genetik kommt nach Anatolien

Inzwischen sind die Zeitpunkte beider hier erwähnter Einmischungen in einer neuen Studie anhand eines neuen Verfahrens ("DATES") genauer bestimmt worden (2):

Wir ziehen die Schlußfolgerung, daß die iranische neolithische Bauern-Komponente um 10.900 v. Ztr. nach Anatolien herein kam, was vor der Einführung des Ackerbaus in Anatolien liegt. 
We infer the Iran Neolithic farmer-related gene flow occurred ~10,900 BCE (12,200-9,600 BCE), predating the origin of farming in Anatolia.

Welche Art von Lebensweise jene Menschen iranischer genetischer Herkunft gelebt haben, deren Genetik sich hier bis nach Anatolien ausgebreitet hat, wäre noch genauer zu klären. Entspricht sie der Lebensweise wie sie in der obigen Abbildung (Abb. 2) zur Darstellung kommt?

Abb. 2: Museum in Şanlıurfa in der Südost-Türkei: Jäger und Sammler in Anatolien (Wiki)

Zumindest in Teilen des iranischen Zagros-Gebirge, und zwar in jenem Teil, der sich mit dem östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds deckt, gab es Stämme, die zu jenem Zeitpunkt schon ähnlich halb seßhaft oder seßhaft lebten ähnlich wie die Menschen ("Natufium-levantinischer" Herkunft) im mittleren und westlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds, wie vor wenigen Tagen hier auf dem Blog dargestellt (3). Die Lebensgrundlage im Zagros-Gebirge war eine auf männliche Individuen fokussierte Jagd auf wilde Schafe und Ziegen, sowie auf die Haltung von wilden, weiblichen Schweinen, die man sich mit wilden Ebern paaren ließ (so wie zum Teil bis heute auf Neuginea). Dadurch sind dort auch schon höhere Siedlungsdichten erreicht worden. Ob aber jene "iranischen" Jäger und Sammler, deren Genetik um 11.000 v. Ztr. zur Genetik der anatolischen Jäger und Sammler hinzu kommt, aus dem Fruchtbaren Halbmond stammten oder aus dem Bereich nördlich von ihm, darüber ist an dieser Stelle noch gar nichts gesagt. Weiter heißt es (2):

Während der nachfolgenden Jahrtausende vermischten sich diese frühen "Bauern" mit levantinisch-neolithischen Gruppen, um jene anatolisch-neolithischen Bauern zu formen, die sich dann nach Europa ausbreitete und nach Osten ...
During the subsequent millennia, these early farmers further admixed with Levant Neolithic groups to form Anatolian Neolithic farmers who spread towards the west to Europe and in the east ....

Daß es sich bei den hier angeführten anatolischen Jäger und Sammler schon um "Bauern" oder Hirten gehandelt hat, scheint uns bislang keinesfalls sicher zu sein.

7.600 bis 5.700 v. Ztr. - Südanatolisch-levantinische Genetik kommt nach Anatolien

Sicher aber ist, daß sie es im Zuge des zweiten hier genannten Vermischungsprozesses zur Ausbildung neolithischer Lebensweise gekommen ist. Dazu heißt es weiter (2):

.... um sich dort mit iranisch-neolithischen Bauern zu vermischen, um die kupferzeitlichen Gruppen von Seh Gabi und Hajji Firuz zu formen. Indem wir das neue Verfahren DATES nutzen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß sich diese kupferzeitlichen Gruppen 7.600 bis 5.700 v. Ztr. geformt haben.
.... to mix with Iran Neolithic farmers forming the Chalcolithic groups of Seh Gabi and Hajji Firuz. Using DATES, we inferred the Chalcolithic groups were genetically formed in ~7,600–5,700 BCE. 

Das ist genau jene Zeit, die wir für die Formierung und Ausbreitung der Halaf-Kultur, bzw. der südkauasischen Shulaveri-Shomu-Kultur voraussetzen müssen und es würde auch dazu passen, daß sich PPNB-Kulturelemente vom Zagros-Gebirge am Ostufer des Schwarzen Meeres und am Unterlauf des Don gefunden haben. Dies deutet doch auf sehr weit ausgreifende Aktivitäten der akeramischen neolithischen Bevölkerungen im Zagros-Gebirge (3). 

Abb. 3: Die Lage von Aşıklı Höyük (Wiki)

 

Domestizierung der Schafe und Ziegen in der Mittleren Türkei ab 8.400 v. Ztr.

Ergänzung 17.3.2022: Die Siedlung Aşıklı Höyük (Wiki, engl) lag in der Mittleren Türkei am nördlichen Rand des Fruchtbaren Halbmonds und gehörte in die Kulturstufe des akeramischen Neolithikums, war auch älter als der viel bekanntere Siedlungsort Catalhöyük. Ab 8.400 v. Ztr. begann in Aşıklı Höyük - autochthon - die Domestizierung von Schafen und Ziegen (4): 

Das erste Stadium ... war eine "Einfangen-und-Wachsenlassen"-Strategie, die das jahreszeitlich gebundene Einfangen von wilden Zicklein/Geißlein/Lämmern mit einschloß aus den umliegenden Höhenlagen und das Aufziehen derselben über mehrere Monate hinweg, bevor sie innerhalb der Siedlung geschlachtet wurden. Das zweite Stadium verband die Reproduktion von Schafen und Ziegen am Siedlungsort mit fortdauerndem Einfangen von jungen Ziegen. Das dritte Stadium weist die Merkmale einer Herden-Haltung in großem Stil auf ... Der Übergang vollzog sich allmählich. Aber er brachte über die Zeit hinweg frühe domestizierte Formen mit sich und umfangreiche Unterschiede in der Organisation der menschlichen Arbeit, der Siedlungsform und der Abfall-Anhäufung. Aşıklı war ein unabhängiges Zentrum der Ziegen-Domestikation und unterstützt damit das evolutionäre Modell, das einen vielfältigen Ursprung der domestizierten Ziegen annimmt.
The earliest mode was embedded within a broad-spectrum foraging economy and directed to live meat storage on a small scale. This was essentially a “catch-and-grow” strategy that involved seasonal capture of wild lambs and kids from the surrounding highlands and raising them several months prior to slaughter within the settlement. The second mode paired modest levels of caprine reproduction on site with continued recruitment of wild infants. The third mode shows the hallmarks of a large-scale herding economy based on a large, reproductively viable captive population but oddly directed to harvesting adult animals, contra to most later Neolithic practices. Wild infant capture likely continued at a low level. The transitions were gradual but, with time, gave rise to early domesticated forms and monumental differences in human labor organization, settlement layout, and waste accumulation. Aşıklı was an independent center of caprine domestication and thus supports the multiple origins evolutionary model.

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*) 1995, als der Bloginhaber sich sehr gründlich mit den vorkeramischen Kulturen des Fruchtbaren Halbmonds beschäftigte, hatte er die Vermutung, daß sie durch Zuwanderung von Eiszeitjägern aus Europa entstanden sein könnten, da diese ja aufgrund der fortschreitenden Verwaldung Europas am Ende der Eiszeit auch zunehmend nach Süden ausgewichen sein könnten. Inzwischen schält sich aber wohl doch heraus, daß sich diese Annahme nicht bestätigt. Denn die Völkergruppen der west- und der osteuropäischen Jäger und Sammler haben sich ja ab 11.000 v. Ztr. auch bis in den Ostseeraum und nach Skandinavien ausgebreitet und dort zum Teil miteinander vermischt und haben das wenige Jahrtausende später auch im Baltikum gemacht und auf dem Balkan. Von einer großen Ausweichbewegung der westeuropäischen Jäger und Sammler nach Süden kann nach derzeitigem Kenntnisstand sicherlich nicht die Rede sein. Die Menschen scheinen sich vielmehr vor Ort nach und nach an die neuen Lebensumstände - an den damaligen Klimawandel - angepaßt zu haben.
Eine solche Dynamik von Kulturen, die sich von Süden nach Norden ausbreiten oder von Kulturen, die sich von Norden nach Süden ausbreiten oder von Osten nach Westen, wie sie einen großen Teil der Menschheitsgeschichte seit der Seßhaftwerdung bestimmt, eine solche Dynamik scheint es vor dem Übergang zu dieser noch nicht gegeben zu haben.

//  Zuerst auf Google+, 25.9.2018;
überarbeitet und erweitert: 22.1.2022;
ergänzt um [5]: 1.5.22  //
 
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  1. Late Pleistocene human genome suggests a local origin for the first farmers of central Anatolia. September 2018.DOI: 10.1101/422295, Autoren: Michal Feldman, Eva Fernandez Dominguez, Luke Reynolds u.a., sowie Johannes Krause, Preprint biorixv (Researchgate)
  2. Reconstructing the spatiotemporal patterns of admixture during the European Holocene using a novel genomic dating method Manjusha Chintalapati, Nick Patterson, Priya Moorjani bioRxiv 2022.01.18.476710; doi: https://doi.org/10.1101/2022.01.18.476710 
  3. Bading, Ingo: Das Zagros-Gebirge in der Völkergeschichte, Januar 2022, https://studgendeutsch.blogspot.com/2022/01/das-zagros-gebirge-in-der.html
  4. Stiner, M. C., Munro, N. D., Buitenhuis, H., Duru, G., & Özbaşaran, M. (2022). An endemic pathway to sheep and goat domestication at Aşıklı Höyük (Central Anatolia, Turkey). Proceedings of the National Academy of Sciences, 119(4), https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2110930119
  5. Hacılar, TurkishArchaeoNews @turarchaeonews, 4.3.2022, https://twitter.com/turarchaeonews/status/1499717291008741380

Donnerstag, 20. Januar 2022

Der Kaukasus als Völkerscheide

Woher stammt die iranische genetische Komponente im Urvolk der Indogermanen?
- Neue Studien zur Archäogenetik der Jahre 2019 bis 2021
2. Teil der Blogartikel-Serie "Völker zwischen Kaukasus und Levante im Neolithikum und in der Bronzezeit"

Im ersten Teil dieser Blogartikel-Serie (St gen 1/2021) haben wir wenige, grundlegendere Einblicke in den Kenntnisstand der Archäologie über die Völkergeschichte zwischen Kaukasus, Zagros-Gebirge und Levante-Raum zwischen dem 10. und dem 6. Jahrtausend v. Ztr. gegeben. Ausgangspunkt war eine jüngst erschienen Studie von Svend Hansen und Mitarbeitern zu einem so entlegenen Thema wie dem Fischkonsum der frühsten Bauern südlich des Kaukasus.

Das Grundmuster der genetischen Geschichte der ersten bäuerlichen Kulturen und Völker zwischen Kaukasus und Levanteraum hatten wir hier auf dem Blog bis heute für uns noch nicht abschließend klären können. Spätestens seit - so überraschend - iranisch-neolithische Genetik in der bronzezeitlichen minoischen Kultur auf Kreta gefunden worden war und in weiten Teilen des Mittelmeerraumes, waren hier Fragen aufgeworfen. Wie konnte diese iranisch-neolithische Genetik in den Westen kommen? Außerdem ist sehr bald auch anatolisch-neolithische Genetik vergleichsweise früh und weit im Osten, z.B. südlich des Kaukasus und weit darüber hinaus gefunden worden. Wie konnte diese so früh so weit nach Osten kommen? Und bei Beschäftigung mit diesen Fragen taucht dann die weitere Frage am Horizont auf: Woher stammt die iranische genetische Komponente im Urvolk der Indogermanen? Vom Zagros-Gebirge? Vom Südufer des Kaspischen Meeres? Aus Nord-Anatolien? Oder doch aus dem Kaukasus?  

Abb. 1: Verbreitung der Halaf-Kultur und der Shulaveri-Kultur ab 6.500 v. Ztr. (aus 1)

Dieser Frage, so führten wir aus, gehen die Archäogenetiker im "Jamnaja-Herkunfts-Projekt" des Labors von David Reich gegenwärtig nach.

Wer wissen will, ob jener iranisch/kaukasische genetische Herkunftsanteil, der zur einen Hälfte das Urvolk der Indogermanen an der Mittleren und Unteren Wolga bildete, aus (vorkeramischen?) Jäger-Sammler-/Bauernkulturen des südwestlichen (?) Kaukasus stammte oder aus einer Region am Südufer des Kaspischen Meeres oder aus dem Zagros-Gebirge, der kann die Lösung dieser Frage besser eingrenzen, wenn er danach fragt, woher denn jene ersten Bauernkulturen südlich vom Kaukasus eigentlich stammten und in welchen Jahrtausende langen Beziehungen sie zu Völkern in der Steppe nördlich des Kaukasus standen. Zu dieser Frage sind aus den archäogenetischen Forschungsgruppen rund um Johannes Krause, David Reich und Wolfgang Haack schon in den Jahren 2019 und 2020 drei wichtige Studien erschienen. Auf diese und ihre Bedeutung werden wir hier auf dem Blog aber erst jetzt wirklich voll aufmerksam (1-3).

Wir haben es - wie im ersten Teil angedeutet - südlich des Kaukasus mit der Shulaveri-Shomu-Kultur (Wiki) zu tun, die es dort vom 6. bis 4. Jahrtausend v. Ztr. insbesondere im heutigen Georgien gegeben hat. Sie bewohnte dort Siedlungen mit eng nebeneinander gebauten runden Lehmhäusern und war die erste Kultur der Weltgeschichte (oder eine der ersten), die Wein anbaute und diesen in großen, eindrucksvollen Bottichen verarbeitete (für das Zagros-Gebirge ist Weinanbau zeitgleich oder wenig später nachgewiesen).

Alle archäologischen - und nun auch erste archäogenetische Daten (1) - deuten darauf hin, daß diese Shulaveri-Shomu-Kultur genetisch und kulturell in Zusammenhang steht mit der Halaf-Kultur (6.100-5.100 v. Ztr.) (Wiki), die sich vom heutigen nördlichen Syrien, dem heutigen nördlichen Irak und von der heutigen Südtürkei aus ausgebreitet hat (Abb. 1). Und wenn wir so weit sind, stellt sich natürlich die Frage, wie denn die diese Halaf-Kultur entstanden ist.

Exkurs: Natufium, PPNA, PPNB

Zum besseren Verständnis soll zunächst ein wenig weiter ausgeholt werden: Ackerbau, Seßhaftigkeit, domestizierte Pflanzen- und Tierarten stammen zu großen Teilen aus dem Fruchtbaren Halbmond und aus den dortigen akeramischen Kulturen der Zeit zwischen 12.000 bis 7.500 v. Ztr.. Wissenschaftlich werden diese Kulturen Kabarien - Natufien - PPNA und PPNB genannt (Abb. 2). Im Zagros-Gebirge, das den östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds dominiert, heißen die entsprechenden archäologischen Kulturen: Zarzian (18.00 bis 8.000 v. Ztr.) (parallel zu Kabrien und Natufien) und M’lefatien (parallel zu PPNB). (Allerdings fehlen zu letzteren beiden Kulturen noch Wikipedia-Artikel.) Der Kernraum des Fruchtbaren Halbmonds befindet sich an den Oberläufen von Euphrat und Tigris in der heutigen Südtürkei. Die Menschen lebten dort anfangs (im Natufium) in einer Art Halbseßhaftigkeit vom Sammeln wilden Getreides und von der Massenjagd auf wilde Gazellenherden während ihrer jährlichen Nord-Süd-Wanderungen. Ein bekannter Fundort ist natürlich auch das berühmte Bergheiligtum vom Göbekli Tepe. Aber es gibt zahllose weitere, eindrucksvolle Fundorte, etwa am Flußlauf des Euphrat (z.B. Abu Hureyra).

Abb. 2: Der Fruchtbare Halbmond (Wiki)

Während des Natufiums und des PPNA baute man in diesen Kulturen runde Lehmhäuser, im PPNB breitete sich zumindest im westlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds eine neue Kultur aufwendig errichteter rechteckiger Häuser aus, die Terrazzo-Fußböden aufwiesen und die zu Städten anwuchsen, die zehntausend Einwohner haben konnten. Diese Städte wurden von Stadtdespoten regiert, deren Gesichter sich in Form der "plastered skulls" erhalten haben. Zur Haltung von domestizierten Schafen und Ziegen ging man aber erst während des Untergangs der Kultur des PPNB über, als man die Gazellen offenbar überjagt hatte und die zahlreiche Bevölkerung nicht mehr mit diesen Massenjagden - und der nachfolgenden Trocknung des Fleisches - ernähren konnte. 

Wir wir schon im 1. Teil ausführten, könnten die domestizierten Schafe und Ziegen vom Zagros-Gebirge stammen, während das domestizierte Getreide aus dem Karacadağ-Gebirge (Wiki) im zentralen Teil des Fruchtbaren Halbmonds stammt.

Auch noch eine so berühmte und auch religiös eindruchsvolle Siedlung wie Çatalhöyük (7.500 bis 5.700 v. Ztr.) (Wiki) in Westanatolien ist offenbar dem Kulturraum und der Völkergruppe des PPNB zuzuordnen (Abb. 2). Wobei die Besiedlung womöglich auch hier schon um 7.000 v. Ztr. beendet worden sein könnte, es eine Siedlungslücke gegeben haben könnte und eine neue Besiedlung ab 6.000 v. Ztr. eingesetzt haben könnte, diesmal - gegebenenfalls - von neuen Menschen und neuen Kulturgruppen getragen.

Jedenfalls gehörten die Menschen, die diese frühen, stadtartigen Kulturen des Natufium, des PPNA und des PPNB getragen haben, aus genetischer Sicht im wesentlichen der "Natufium / levantinischen" Herkunftgruppe an. Und diese Kultur ist nach 7.000 v. Ztr. untergegangen. "Aufstieg und Fall der Stadt Ain Ghazal" hieß einmal in den 1990er Jahren ein eindrucksvoller Bericht über eine solche Stadt in der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" (4/1994) verfaßt von dem Archäologen-Ehepaar Rollefson, die dort ausgegraben haben. (Dieser Aufsatz war einstmals der erste Zugang des Autors dieser Zeilen zu dieser ganzen Thematik.)

Eine neue Kultur ab 6.500 v. Ztr.

Doch nun weiter: Ab 6.500 v. Ztr. breitet sich eine ganz neue Kultur aus. Es war dies die oben schon genannte Halaf-Kultur (6.100-5.100 v. Ztr.) (Wiki). Sie ist benannt nach dem Siedlungshügel Tell Halaf (Wiki) im Nordosten Syriens, etwa auf halbem Weg zwischen den Oberläufen von Euphrat und Tigris. Sie ist zwischen 1899 bis 1927 von dem Kölner Bankierssohn Max von Oppenheim (1860-1946) (Wiki) ergegraben worden. (von Oppenheim war väterlicherseits jüdischer Herkunft, stammte mütterlicherseits aus einer Kölner Bankiersfamilie und war katholisch getauft.) Der Ursprungsraum der Halaf-Kultur liegt in genau derselben Region wie die Ursprungsräume der vorkeramischen Kulturen, nämlich im Kernraum des Fruchtbaren Halbmonds. Es ist dies die Zeit, in der sich zeitgleich Bauernkulturen über ganz Anatolien, auf dem Balkan und rund um das gesamte Mittelmeer ausgebreitet haben. Es ist dies eEin Zeitraum, in dem gleichzeitig sehr viel passiert ist, was womöglich in seinen regionalen Details noch längst nicht vollständig überblickt werden kann und verstanden worden ist. 

Die Formierung völlig neuer Völker und Völkergruppen, die dann Jahrtausende lang die Weltgeschichte bestimmen sollten - bis hoch nach Skandinavien und Schottland, bis an die Westhänge des Tianshan in Zentralasien, bis nach Indien, vollzog sich im Umfeld des Fruchtbaren Halbmonds in genau jenem, noch nicht besonders gut verstanden 7. Jahrtausend vor der Zeitrechnung

Archäogenetisch gibt es seit kurzem Hinweise darauf, daß sich die Balkan- und Donau-neolithische Völkergruppe vom südwestanatolischen/nördlichen Levanteraum aus zum Balkan hin ausgebreitet hat, und daß die dieser Völkergruppe eng verwandte mediterran-neolithische Völkergruppe (Cardial-Kultur) von Nordwest-Anatolien ihren Ausgang genommen hat und sich rund um das nördliche Mittelmeer ausgebreitet hat (4, 5). Dies gilt zumindest für die jeweiligen Y-Chromosomen. Und nun gibt es den weiteren Hinweis, daß sich die charakteristische Mischbevölkerung der Halaf-Kultur vom nördlichen Syrien aus wohl nur wenig später mit unterschiedlichen Anteilen von iranisch-neolithischer Genetik bis an die Südhänge des Kaukasus und in genetischen Spuren bis hin nach Indien und in den Levanteraum ausgebreitet hat. 

Aufgrund der wenigen Menschenfunde, die aus diesen Jahrtausenden und dieser Region bislang archäogenetisch hatten sequenziert werden können, wird das Bild auch weiterhin vergleichsweise unscharf bleiben. Dennoch wollen wir uns über den gegenwärtigen Forschungsstand orientieren. Über das nördliche Syrien in dieser Zeit lesen wir (Wiki):

Das Kerngebiet der Halaf-Kultur befindet sich im Quellgebiet von Euphrat und Tigris. Es erstreckt sich jedoch weiter nach Süden bis in den Norden Syriens und des Iraks.  Die Halaf-Kultur hat sich relativ gleichzeitig im gesamten Verbreitungsgebiet aus lokalen neolithischen Kulturen entwickelt.

Womöglich ist das ein wichtiger Satz: Die Halaf-Kultur hat sich relativ gleichzeitig im gesamten Verbreitungsgebeit aus lokalen neolithischen Kulturen entwickelt. Zwar ist das auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Geschehen. Denn die meisten großen Kulturen und Völker dieser Zeit sind klar durch demographische Ausbreitung aus kleinen Kernräumen heraus entstanden (Bandkeramiker, Urindogermanen, mittelneolithische Kulturen in Europa ...).

Wie wir unten anhand der archäogenetischen Daten der genannten Studie der Forschungsgruppe um Johannes Krause (1) sehen werden, ist die kulturelle Vereinheitlichung durch die Halaf-Kultur über eine weitere Region hinweg zugleich einher gegangen mit Vermischungsprozessen, in denen die genetische "Naturium/levantinische" Herkunft nicht mehr die Hauptrolle spielte, sondern in unterschiedlichen Anteilen einerseits die anatolisch-neolithische Herkunft, die sich vom nördlichen Anatolien aus bis in die Kernregion des Fruchtbaren Halbmonds ausgebreitet hatte, wie auch - und womöglich noch mehr - die iranisch-neolithische Herkunftgruppe, die ebenfalls die entleerten Siedlungsräume übernommen haben könnte, die die untergegangenen Kulturen des PPNB und PPNC zurück gelassen hatten, und wo es zu Vermischungen aller drei Herkunftsgruppen innerhalb der entstehenden Halaf-Kultur gekommen ist, wobei der genetische Transfer parallel gegangen sein mag zu dem im 1. Teil behandelten Kulturtransfer "Tausche Schafe und Wein vom Zagros-Gebirge gegen Einkorn-Weizen vom Karacadağ-Gebirge".

[Einfügung 19.11.23:] Im heutigen Nordsyrien liegt der Ausgrabungsort Tell Sabi Abyad (Wiki). Die Archäologen stellen fest, daß hier ein Dorf um 5.200 v. Ztr. (oder um 6.000 v. Ztr.) in einem heftigen Feuer verbrannt ist (Wiki):

Im „verbrannten Dorf“ wurde reichlich Keramik aufgefunden, die mit eigenartigen schwarzen Strichen verziert war. Diese Dekoration bestand aus Bitumen, das direkt nach dem Brennen auf die Keramik aufgetragen wurde. Chemisch-analytische Untersuchungen und Vergleiche mit Bitumen aus den nächstliegenden Vorkommen ergaben, daß dieses Rohmaterial aus Zakho oder Kirkuk im heutigen Irak stammte. Die neolithischen Bewohner des Tell Sabi Abyad unterhielten also Handelsbeziehungen über zumindest 500 Kilometer nach Osten.

Auf dem englischen Wikipedia wird diese Schicht auf 6.000 v. Ztr. datiert (Wiki). Über der Schicht des "verbrannten Dorfes" findet sich dann die chronologisch erste Schicht der Halaf-Kultur vor Ort. In beiden Schichten gab es schon Tonsiegel mit Stempelabdrücken und Zählsteine, die auf ein Registrierungs- und Verwaltungssystem hinwiesen, bzw. auf Buchhaltung. Die frühesten solchen Zählsteine hat man schon im PPNA in Mureybet gefunden. Auf dem niederländischen Wikipedia finden sich die wohl genaueren chronologischen Angaben (Wiki):

Pre-Halaf - - - - - - - - -  6.300 v. Ztr.
Proto-Halaf - - - - - - - - 6.100 v. Ztr.
Früh Halaf - - - - - - - -  5.950 v. Ztr.
Früh Halaf (bisher) - -  5.850 v. Ztr.

[Ende der Einfügung]

Nur in den Levanteraum an der Mittelmeerküste hinein scheint sich die Halaf-Kultur nicht ausgebreitet zu haben, ein Umstand, der sich ebenfalls in der Archäogenetik widerspiegelt (1) (siehe unten). Denn im Levanteraum hat sich die vorhergehende Natufium-/levantinische Genetik in größeren Anteilen gehalten als in anderen Regionen (aber auch im Levanteraum nur zu etwa einem Drittel, zu etwa 36 %). Die Halaf-Kultur scheint also sowohl genetisch wie kulturell aus der vorhergehenden PPNB/PPNC-Kultur hervorgegangen zu sein, aber durch Vermischung sowohl mit vormaligen anatolischen Jägern und Sammlern wie mit vormaligen iranischen Jägern und Sammlern aus dem Zagros-Gebirge. Den Forschungsstand aus Sicht der Archäologie zur Entstehung der Halaf-Kultur hatten wir schon im ersten Teil zitiert (Wiki). Es war da bezüglich des Tell Sabi Abyad von einer langen, weitgehend kontinuierlichen kulturellen Entwicklung durch fast alle archäologischen Schichten hindurch die Rede aber bemerkenswerterweise doch auch von einer einzelnen Siedlungsunterbrechung und zwar ganz zu Anfang zwischen den beiden untersten Schichten, nämlich zwischen 11 und 10.

Die genannte Siedlungsunterbrechung zwischen den Schichten 11 und 10 könnte durchaus auch ein Hinweis darauf sein, daß es hier zu jenen ethnischen Neuformierungs-Prozessen gekommen ist, die aus Sicht der neuen archäogenetischen Daten vorauszusetzen sein müßten, wobei vom nordöstlichen Anatolien und dem Iran aus vermehrt auch jene vormalige iranische Jäger-Sammler-Genetik in den Kernraum des Fruchtbaren Halbmonds gelangt sein sollte, wo sie ja zuvor nicht anzutreffen gewesen war (zumindest soweit wir das bislang übersehen können). (Daß es zuvor schon mit der PPNB-Ausbreitung von Norden nach Süden zu einer Vermischung zwischen iranischer und anatolischer Genetik gekommen ist, scheint ja nach den bisherigen Daten eher unwahrscheinlich.)

Bevor wir uns den Einzelheiten der genannten Studie zuwenden, sei zunächst noch einmal an den bisherigen Forschungsstand mit Hilfe der folgenden Grafik erinnert, um das folgende besser verstehen und einordnen zu können (Abb. 3), nämlich aus der Forschungsgruppe um Chris Tyler-Smith (6) (Almarri et. al. 2021).

Abb. 3: Herkunftsanteile der heutigen Völker des Vorderen Orients (aus: 6)*)

In ihr kommt zur Darstellung, daß die Vorfahren der heutigen Völker des  Vorderen Orients anhand des archäogenetischen Datenmaterials modelliert werden können als abstammend von drei ursprünglicheren Herkunftsgruppen:

  1. der Herkunftsgruppe des (halbseßhaften) Natufium (die erstmals im mittleren und westlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds Getreide domestiziert hat) (hellblau), 
  2. der Herkunftsgruppe anatolisch-neolithische Bauern (lila), die im nordwestlichen Anatolien im 7. Jahrtausend v. Ztr. vom Jäger-Sammler-Dasein zum Ackerbau übergegangen sind und
  3. die iranisch-neolithische Herkunftsgruppe (orange/hellbraun), die - womöglich - parallel zum Natufium im Westen seßhaft geworden ist und sich während des 7. Jahrtausends vom Zagros-Gebirge ausgehend in alle Richtungen ausgebreitet hat.

Die heutigen Völker des Vorderen Orients setzen sich zu jeweils unterschiedlichen Anteilen, die der Grafik entnommen werden können (Abb. 3), aus diesen drei Herkunftsgruppen zusammen. Der - sehr kleine - sehr dunkellila Anteil in der Grafik ist der Anteil "Steppen-Genetik" der Indogermanen, der spätestens ab dem Seevölkersturm in diesen Raum gekommen ist. Aus dieser Grafik kann womöglich mehr heraus gelesen werden als man auf den ersten Blick denkt. Die natufische/levantinische Genetik (hellblau) hat sich am unvermischtesten bei den Völkern auf der arabischen Halbinsel gehalten. In der bronzezeitlichen Handelsstadt Sidon ist dieser Anteil aber auch noch höher gewesen, er findet sich auch bei Palästinensern und Libanesen und - auffallenderweise - bei den südlicher lebenden Irakern und Assyrern mehr als bei den nördlicher lebenden Kurden. Der anatolische Anteil (lila) war im Neolithikum der Levante nur gering vorhanden, war im bronzezeitlichen Sidon angestiegen und ist heute bei Palästinensern, Libanesen, Drusen, Jordaniern, Kurden und einigen Beduinen-Stämmen deutlich ausgeprägt. Er war im bronzezeitlichen Sidon etwa so hoch wie heute in Ägypten. Der iranisch-neolithische Anteil (orange-hellbraun) ist am höchsten bei Kurden und Irakern, also jenen Völkern die noch heute in der größten Nähe zum Zagros-Gebirge leben. Um so weiter im Westen die Völker leben, um so geringer ist noch heute ihr iranisch-neolithischer Herkunftsanteil. Im bronzezeitlichen Sidon war er etwa so hoch wie heute in Ägypten und auf der arabischen Halbinsel.

Nach der Bronzezeit haben sich sowohl anatolische wie iranische Genetik im Levanteraum (Sidon) noch leicht erhöht - sicherlich durch Zufluß von Norden, während scheinbar einige Beduinen-Stämme grob die bronzezeitliche Genetik dieses Raumes beibehalten haben bis heute.

Schon die Völker des vorkeramischen Neolithikums im Fruchtbaren Halbmond (benannt "Levant_N") haben also in kleinen Anteilen (Nordwest-)anatolische Genetik in sich getragen. Es ist naheliegend, daß diese sich mit der PPNB-Kultur vom südlichen Anatolien aus nach Süden in den Levanteraum ausgebreitet hat. (Denn die nachherige Halaf-Kultur hat diesen Raum ja nicht erreicht.) Und man könnte annehmen, daß es ähnliche Vorgänge während des PPNB parallel mit der iranischen Genetik auch schon im östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds gegeben hat. Aber das ist zum jetzigen Stand reine Spekulation. In welchem Umfang die Kultur des PPNB im östlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds iranisch-neolithische Genetik in sich trug, ist - zumindest uns - einstweilen gar nicht bekannt. Das mag womöglich noch offen sein aufgrund der Spärlichkeit der bislang sequenzierten Funde dieser Region. 

Wang et al. 2019

Erst über die Umwege der vorliegenden Blogartikel-Serie kommen wir dazu, uns die archäogenetischen Studien der letzten Jahre zum Kaukasus, zu Anatolien und zum Levante-Raum anzuschauen. Hier ist schon viel mehr bekannt als uns bislang bewußt war. Und wir hätten das schon längst aufgreifen können. Schon 2019 ist der Forschungsstand zu diesem geographischen Raum von der Forschungsgruppe um Wolfgang Haack (unter Einschluß von David Reich, Johannes Krause und dem deutschen Archäologen Svend Hansen) so festgestellt worden wie wir es im folgenden darstellen wollen. Zunächst wird über den Nahe Osten und Anatolien referiert, was wir schon anhand Abbildung 3 zu verdeutlichen versuchten (3) (Wang et. al. 2019):

Im Mesolithikum und im Frühneolithikum lebten hier drei unterschiedliche Ausgangspopulationen, die anatolische und Levante-Herkunft im Westen und eine Gruppe mit davon unterschiedener Herkunft im Osten. Die letztere wurde erstmals beschrieben in Individuen des Oberen Paläolithikums aus Georgien (Kaukasus-Jäger-Sammler; CHG) und dann in mesolithischen und neolithischen Individuen aus dem Iran. In den folgenden Jahrtausenden vom Neolithikum bis zur Bronzezeit kam es zur Vermischung zwischen diesen Herkunftsgruppen, was zu einer genetischen Homogenisierung der Ursprungsbevölkerungen führte.
The near East and Anatolia (...). In the Mesolithic and Early Neolithic, these regions harboured three divergent populations, with Anatolian and Levantine ancestry in the west, and a group with a distinct ancestry in the east. The latter was first described in Upper Pleistocene individuals from Georgia (Caucasus hunter-gatherers; CHG) and then in Mesolithic and Neolithic individuals from Iran. The following millennia, spanning the Neolithic to BA, saw admixture between these ancestral groups, leading to a pattern of genetic homogenization of the source populations.

Diese Ausführungen über die "Homogenisierung" bekommen in weiteren Studien aus dem Jahr 2020 ihre zusätzlichen Unterstreichungen und Bestätigungen (1, 2). Und die neueren und diese ältere Studie erläutern sich auch gegenseitig, insbesondere da die 2020er Studien stillschweigend den Kenntnisstand dieser älteren Studie voraussetzen. Man muß also die Wang 2019-Studie (3) zum Verständnis - zumal als Fachfremder - notwendigerweise parallel studieren.

In dieser Wang et. al.-Studie wird dann weiter das Urvolk der Indogermanen erörtert, das sich von der Samara-Region an der Mittleren Wolga bis zum Fuße des Kaukasus (aber nicht bis in das Gebirge hinein und nicht bis zu seinem Gebirgskamm!) (also auch nicht in die Region des höchsten Berges des Kaukasus, des Elbrus) ausgebreitet hat (3) (Wang et. al. 2019):

Im Norden des Kaukasus tragen eneolthische und bronzezeitliche Individuen der Samara-Region (5.200 bis 4.000 v. Ztr.) in gleichen Anteilen osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunft und "Kaukasus-iranische" Herkunft in sich, (zusammen) die sogenannten "Steppen-Herkunft", die sich schließlich weiter nach Westen ausbreitete, wo sie beträchtlich zu den heutigen Europäern beigetragen hat, und nach Osten in die Altai-Region - ebenso wie nach Südasien.
North of the Caucasus, Eneolithic and BA individuals from the Samara region (5200-4000 BCE) carry an equal mixture of EHG- and CHG/Iranian ancestry, so-called ‘steppe ancestry’ that eventually spread further west, where it contributed substantially to present-day Europeans, and east to the Altai region as well as to South Asia.

So weit so bekannt hier auf dem Blog. Zumindest vom Prinzip her. Aber die im folgenden zu erörternde scharfe genetische Grenze am Fuße der Berge des nördlichen Kaukasus (Abb. 4) und am Übergang zur Steppe ist eindeutig eine neue Erkenntnis, der ab jetzt viel Bedeutung wird beigemessen werden müssen, wenn nach der Herkunft der iranischen genetischen Komponente im Urvolk der Indogermanen gefragt wird. 

Abb. 4: Die Nordgrenze des Ausbreitungsgebietes des Kaukasus-Clusters liegt nördlich des Hauptkamms des Kaukasus-Gebirges, nämlich am Fuße desselben, dort wo die Steppe beginnt (aus: Wang/Haack 2019) - Die gestrichelte Linie zeigt die Grenze zum "Steppen-Cluster" im Norden an, eingezeichnet sind die Fundorte der sequenzierten Menschenfunde

Denn es ist unbedingt notwendig, sich diese in der Bronzezeit bestehende so klare genetische Trennung der Populationen nördlich des Kaukasus und der Populationen südlich davon vor Augen zu führen. Die Bedeutung dieser klaren genetischen Trennung tritt aber auch erst voll hervor, wenn man sich mit der genetischen Geschichte zwischen Kaukasus und Levanteraum insgesamt beschäftigt hat wie das in der Studie von 2020 geschehen ist (1). Und dann stellt sich die weitere Frage: Wie kann es denn zu einer so frühen und so klaren Trennung gekommen sein, wenn von der Bevölkerung südlich des Kaukasus aus die Ethnogenese der Indogermanen in Gang gesetzt worden sein soll? Diese Frage scheint uns doch eine ganz entscheidende zu sein. Denn das in ihr Implizierte scheint doch unter diesem neuen Kenntnisstand mehr als unwahrscheinlich. Dann wäre es wahrlich schwierig, zugleich eine so scharfe genetische Grenze zwischen zwei großen Völkergruppen zu erklären, die nachmals sogar noch bis zum Ende der Bronzezeit fortbestanden hat. In der Tat gibt es Anlaß, sich zu wundern, daß wir hier auf dem Blog diesen wichtigen Umstand erst jetzt voll auf uns wirken lassen. Wir lesen (3) (Wang et. al. 2019):

Die beiden unterschiedlichen Cluster sind schon in den ältesten Individuen unseres zeitlichen Querschnitts sichtbar, die auf das Spätneolithikum datiert werden (4.300 bis 4.100 v. Ztr.). Drei Individuen von den Fundorten Progress 2 und Vonyuchka 1 in der am Fuße des Kaukasus angrenzenden Steppe ("Eneolithic steppe"), die osteuropäische und kaukasische Jäger/Sammler-Genetik aufweisen, sind genetisch sehr ähnlich zu eneolithischen Individuen von Chwalynsk II und der Samara-Region.
The two distinct clusters are already visible in the oldest individuals of our temporal transect, dated to the Eneolithic period (~6300–6100 yBP/4300–4100 calBCE). Three individuals from the sites of Progress 2 and Vonyuchka 1 in the North Caucasus piedmont steppe (‘Eneolithic steppe’), which harbour EHG and CHG related ancestry, are genetically very similar to Eneolithic individuals from Khvalynsk II and the Samara region.

Das ist also das Urvolk der Indogermanen, das sich zu diesem Zeitpunkt schon bis an den Fuß des Kaukasus ausgebreitet hat - aber nicht weiter. Genau dieses Urvolk war ja auch 2019 erst auch anderwärts für die Forschung sichtbar geworden - für uns insbesondere durch eine Veröffentlichung des Archäologen David Anthony (St gen 2019). Aufgrund dieses Umstandes hatten wir genug zu tun, diese neue Erkenntnis auszuwerten, so daß wir erst jetzt dazu kommen, uns die parallelen Entwicklungen innerhalb des Kauskaus und südlich davon bis hinunter in den Levanteraum anzuschauen und zu fragen, was sie zur Beleuchtung der Gesamtthematik beizutragen haben. Und das ist eine ganze Menge. Die Forscher schrieben 2019 weiter (3) (Wang et al 2019):

Im Gegensatz dazu (zu den Steppenbewohnern) zeigen die ältesten Individuen in den nördlichen Höhenlagen des Kaukasus (...) gemischte Herkunft, die vornehmlich abgeleitet ist aus Ausgangspopulationen, die in Verbindung stehen mit dem anatolischen Neolithikum (orange) und den Kaukasus-Jäger-Sammlern, bzw. dem iranischen Neolithikum (grün). 
In contrast, the oldest individuals from the northern mountain flank itself, which are three first-degree-related individuals from the Unakozovskaya cave associated with the Darkveti-Meshoko Eneolithic culture (analysis label ‘Eneolithic Caucasus’) show mixed ancestry mostly derived from sources related to the Anatolian Neolithic (orange) and CHG/Iran Neolithic (green) in the ADMIXTURE plot (Fig. 2c).

Achtung, nicht verwirren lassen. Hier sind die Herkunftsgruppen anderen Farben zugeordnet als oben in Abbildung 3, die einer anderen Studie entnommen worden war. Aber die oben genannte "Homogeneisierung" zwischen den beiden großen genetischen Herkunftsgruppen ist schon zu diesem Zeitpunkt im Kaukasus voll ausgebildet sichtbar, war also schon sehr weitgehend abgeschlossen (!) zu jenem frühen Zeitpunkt.

Das ist ein mehr als bemerkenswerter Umstand. Das heißt: Zu Beginn des Keramikums bildet sich am Westrand des Zagros-Gebirges und hinüber bis nach Nordmesopotamien einerseits und hinauf bis in den Kaukaus andererseits eine genetisch und kulturell ganz neue Völkergruppe (Halaf-Kultur), die genetisch fast unverändert bis zum Ende der Bronzezeit fortbesteht, ja, in groben Zügen sogar bis heute (s. Abb. 3). 

Um den Unterschied zur genetischen Geschichte Europas noch einmal heraus zu stellen: Zu jenem Zeitpunkt bildete sich das Volk der Bandkeramik im Wiener Becken gerade erst heraus, ein Volk, das heute in Europa so gut wie ausgestorben ist. Erst fünfhundert Jahre später bildete sich das Urvolk der Indogermanen an der Mittleren Wolga, zeitgleich zu mittelneolithischen Völkern in Mitteleuropa, deren Genetik sich auch nur in kleineren Anteilen in den heutigen Europäern wieder findet. Von diesem Zeitpunkt an sehen wir also in Europa noch sehr viel umfangreichere genetische Umbrüche, während wir für Anatolien ab diesem Zeitpunkt solche nur noch in weitaus geringerem Ausmaß feststellen, weil hier das Bild genetischer Kontinuität der im 7. Jahrtausend begründete Völkergruppe bis heute vorherrscht, einer Völkergruppe, die - gemessen an damaligen Maßstäben - eine höhere Siedlungsdichte aufwies als die Völker in Europa, weshalb genetische Umbrüche durch jeweilige erobernde Neuzwanderer viel weniger umfangreich zustande kommen konnten. Weiter (3) (Wang et. al.):

Nachdem für anatolische und armenische kupferzeitliche und bronzezeitliche Individuen ähnliche Herkunftsprofile berichtet worden sind, legt dieses Ergebnis die Anwesenheit dieser gemischten Herkunft nördlich des Kamms des Kaukasus schon um die Zeit um 4.500 v. Ztr. nahe.
While similar ancestry profiles have been reported for Anatolian and Armenian Chalcolithic and BA individuals, this result suggests the presence of this mixed ancestry north of the Caucasus as early as ~6500 years ago.

Und das war ja auch das wesentliche Argument der David Anthony-Ausführungen von 2019, daß sich die anatolische Genetik, die sich südlich des Kaukasus findet, im Urvolk der Indogermanen nicht findet, weshalb es 

  • erstens nicht aus Anatolien stammen konnte (im Gegensatz zu der Lehre von Colin Renfrew und anderen), und weshalb 
  • zweitens die Kaukasus-Jäger-Sammler- bzw. iranische Herkunftskomponente in dieses schon vor der Zeit um 4.500 v. Ztr. gekommen sein mußte. 

Und - offenbar - auch auf anderem Wege als ausgerechnet über den Hauptkamm des Kaukasus hinweg. Der Kaukasus grenzt im Osten an das Kaspischen Meer und im Westen an das Schwarze Meer, zwei Verbindungswege für Menschen iranischer Genetik, um in den Norden des Kaukasus, etwa an den Unteren Don und/oder an die Untere Wolga zu gelangen. Und rund um das Kaspische Meer und im Zagros-Gebirge gab es noch viel Platz, gibt es noch viele vorgeschichtliche Populationen, die archäogenetisch bislang kaum oder gar erfaßt sind, und von wo herauf die hälftig "iranischen" Vorfahren der Indogermanen gekommen sein können, von wo aus man per Schiff die Wolga ja bestens gut erreichen konnte, bzw. über das Schwarze Meer den Don.

Und der Archäologe Svend Hansen weist dann im Supplement auch gleich auf eine archäologische Studie, die glaubt, im 9. Jahrtausend v. Ztr., PPNB-Kulturelemente aus dem Zagros-Gebirge am Unteren Don erkennen zu können (siehe voriger Beitrag). Es wird dafür der Weg über die Ostküste des Schwarzen Meeres zur Ausbreitung vorgeschlagen, da es an diesen Küsten ebenfalls Hinweise für solche PPNB-Kulturelemente gibt. Aber behalten wir im Hinterkopf: Der Don ist nicht die Wolga. Die Wolga ist vom Kaspischen Meer aus deutlich leichter zu erreichen.

Abb. 5: Das Kaukasus-Cluster unten, das Steppen-Cluster oben, beide deutlich voneinander zu unterscheiden. Ebenso sind Vermischungen zwischen beiden in der Späten Majkop-Kultur zu erkennen (Wang 2019) - Herkunftsanteile: Anatolien: orange, Iran: grün, Osteuropa: blau - Es wird vor allem die Jahrtausende lange räumliche genetische Kontinuität beider Cluster deutlich

Erst wenn man sich mit Hilfe der neueren Studien das größere Bild klar macht, das sich für den Raum zwischen Kaukasus und Levante herausbildet, wird einem die Bedeutung dieser scharfen genetischen Grenze bewußt, die da um 4.500 v. Ztr. am Fuße des Nordhanges des Kaukasus anzutreffen ist (Abb. 5). Sie läßt die Möglichkeit, daß die iranische Ausgangsbevölkerung des Urvolks der Indogermanen vom Kaspischen Meer stammt, mehr als wahrscheinlich erscheinen. Man fühlt sich bei diesem Anlaß also daran erinnert, daß der David Reich-Mitarbeiter Nick Patterson derzeit die Ausgangspopulation für die Ethnogenese der Indogermanen an den Ufern des Kaspischen Meeres annimmt (St. gen. 2021). 

Im weiteren gilt es, sich den Umstand klar zu machen, daß die anatolisch-neolithische Komponente in der frühbronzezeitlichen Majkop-Kultur (3.800-3.000 v. Ztr.) der Steppe (!) (dort gab es diese nämlich auch) auf eine "Rückausbreitung" von Nachkommen vormaliger Urindogermanen zurückgeführt werden muß, die sich irgendwann zwischen 4.500 und 3.800 v. Ztr. entweder mit Menschen der großen Cucuteni-Tripolje-Kultur oder mit Menschen der Kugelamphoren-Kultur vermischt hatten. (Erg. 8.5.24: Die weiteren Ausführungen zu diesem speziellen Thema dürften durch eine neue Studie aus dem Jahr 2024 korrigiert worden sein. Die anatolisch-neolithische Herkunftskomponente war ebenso wie die westeuropäische Jäger-Sammler-Komponente schon im Spätmesolithikum in die Region gelangt.) In beiden gab es auch eine kleinere Herkunftskomponente westeuropäischer Jäger/Sammler, die diese "zweite Welle der Indogermanen" nun ebenfalls in sich trägt. In der Wang et. al. -Studie von 2019 heißt es dazu (3):

Unsere Ergebnisse zeigen einen Zufluß von sowohl anatolisch-neolithischer Genetik wie auch von westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik, die wahrscheinlich hereinkamen durch mittel- und spätneolithische Bauern-Gruppen im angrenzenden Westen. (...) Die paßgenaueste Ausgangspopulation dieses Genzuflusses kann gegenwärtig aufgrund der Begrenzungen der Auflösung noch nicht identifiziert werden. Allerdings gehören die geographisch nahegelegenen und zeitgleichen Gruppen wie die Kugelamphoren-Kultur und eneolithische Gruppen am Schwarzen Meer (Ukraine und Bulgarien) (...) zu den besten Kandidaten.
Our results show a subtle contribution of both AF ancestry and WHG-related ancestry (Fig. 4; Supplementary Tables 13 and 14), likely brought in through MN/LN farming groups from adjacent regions in the West. (...) At present, due to the limits of our resolution, we cannot identify a single best source population. However, geographically proximal and contemporaneous groups such as Globular Amphora and Eneolithic groups from the Black Sea area (Ukraine and Bulgaria), representing all four distal sources (CHG, EHG, WHG, and Anatolian_Neolithic), are among the best supported candidates (Fig. 4; Supplementary Table 16).

Mit eneolithischen Gruppen am Schwarzen Meer ist zunächst einmal vor allem die Cucuteni-Triploje-Kultur gemeint (die allerdings die Küste des Schwarzen Meeres fast nie erreicht hat), ebenso die Kultur der Königsgräber von Warna in Bulgarien. Sehr viel Aufwand betreiben die Forscher, um die Quellen für die Herkunftszusammensetzung für "Steppe_Maykop_outlier" festzustellen. Soweit wir es verstehen, können sie nicht definitiv entscheiden, ob die in ihnen feststellbare anatolische Bauern-Komponente aus Vermischungen mit Völkern im Norden der Steppe oder vom Süden des Kaukasus stammt. Aber diese Frage ist für uns - zumindest an dieser Stelle - nicht so entscheidend. (Für die innere Geschichte der Maykop-Kultur und der vielen Völker, die aus ihr scheinen hervorgegangen zu sein, hat diese allerdings durchaus Bedeutung. Und deshalb werden wir zu späterer Zeit sicher auch noch einmal darauf zurückkommen müssen.)

Nun aber zum Kaukasus-Cluster (Wang 2019) (3):

Die Majkop-Epoche, repräsentiert durch 12 Individuen von acht Maykop-Fundorten (....) am Fuße der Nordseite des Kaukasus erscheint homogen. Diese Individuen ähneln sehr den vorhergehenden eneolithischen Kaukasus-Individuen und repräsentieren eine Fortsetzung ihres lokalen genetischen Profils. Diese Herkunft setzt sich in den folgenden Jahrhunderten fort zumindest bis 1.100 v. Ztr., was sich auch zeigt in Individuen der Kura-Araxes-Kultur sowohl vom nordöstlichen wie südlichen Kaukasus, ebenso in mittel- und spätbronzezeitlichen Individuen von der Nordseite des Kaukasus. Insgesamt fällt das Kaukasus-Herkunfts-Profil zwischen die "armenischen und iranischen kupferzeitlichen" Individuen und ist ununterscheidbar von anderen Kura-Araxes-Individuen, was einen zwiefachen Ursprung nahelegt, ausgehend von anatolisch-levantinischer und Kaukasus-iranischer Genetik und mit nur minimalen europäischem Jäger-Sammler-Anteil, womöglich als Teil der anatolischen Bauern-Herkunft.
The Maykop period, represented by 12 individuals from eight Maykop sites (Maykop, n = 2; a cultural variant ‘Novosvobodnaya’ from the site Klady, n = 4; and Late Maykop, n = 6) in the northern foothills appears homogeneous. These individuals closely resemble the preceding Eneolithic Caucasus individuals and present a continuation of the local genetic profile. This ancestry persists in the following centuries at least until ~3100 yBP (1100 calBCE), as revealed by individuals from Kura-Araxes from both the northeast (Velikent, Dagestan) and the South Caucasus (Kaps, Armenia), as well as MBA/LBA individuals (e.g. Kudachurt, Marchenkova Gora) from the north. Overall, this Caucasus ancestry profile falls among the ‘Armenian and Iranian Chalcolithic’ individuals and is indistinguishable from other Kura-Araxes individuals (Armenian EBA) on the PCA plot (Fig. 2), suggesting a dual origin involving Anatolian/Levantine and Iran Neolithic/CHG ancestry, with only minimal EHG/WHG contribution possibly as part of the AF ancestry.

Wir sehen also hier, daß die Majkop-Kultur genetische Kontinuität aufweist gegenüber der Shulaveri-Shomu rückwärts in die Vergangenheit gesehen und genetische Kontiunität aufweist mit der ihr nachfolgenden Kura-Araxes-Kultur, aus der - vermutlich - berühmte bronzezeitliche Völker in Anatolien hervorgegangen sind, die das domestizierte Pferd und indogermanische Namen, Begriffe, Kulturelemente, ja ganze Sprachen nach Anatolien brachten wie: Mittanni, Hurriter, Hethiter, Lyder und Lyker. Die Forscher modellierten ...

alle sechs Gruppen des Kaukausus-Clusters (eneolithischer Kaukadus, Maykop und Spätes Maykop, Maykop-Novosvobodnaya, Kura-Araxes und spätbronzezeitliche Dolmen-Kultur) mit Vermischungsanteilen auf einem genetischen Gradienten von 40 bis 72 % anatolisch-chalkolitisch und 28 bis 60 % Kaukasische Jäger-Sammler-Herkunft.
all six groups of the Caucasus cluster (Eneolithic Caucasus, Maykop and Late Makyop, Maykop-Novosvobodnaya, Kura-Araxes, and Dolmen LBA), with admixture proportions on a genetic cline of 40–72% Anatolian Chalcolithic related and 28–60% CHG related. 

Der anatolisch-neolithische Anteil wäre also bei ihnen grob um 10 % höher als der iranische-neolithische genetische Anteil. Wie hoch der Natufium-levantinische Anteil ist, wird nicht gesagt. Aber grob wird man sich vielleicht an den Kurden in Abbildung 3 orientieren können, wenn es um die Genetik dieses Kaukasus-Clusters geht.*)

Festzuhalten bleibt, daß vom Grundsätzlichen her schon um diese Zeit südlich des Kaukasus und in Anatolien ähnliche Herkunftsmischungs-Verhältnisse herrschten wie sie dort noch heute herrschen (s. Abb. 3).

Abb. 6: Das Kaukasus-Cluster gleicht dem zeitgleichen Armenischen Cluster, das schon zuvor publiziert worden war (aus: Wang et al 2019) - Außerdem zu sehen: Die anatolisch-neolithische Völkergruppe in Europa (einschließlich "Bulgaria_Varna_Eneolithic"), sowie darunter die mit ihr vermischten Indogermanen des 5. bis 3. Jahrtausends (Schnurkeramiker / Corded Ware), sowie darunter das Urvolk der Indogermanen (Yamnaya und Chwalynsk)(zur besseren Ansicht bitte drauf klicken und vergrößern!)

Dieses Kaukasus-Cluster breitet sich dann aber sogar noch weiter nach Norden aus, bezeugt durch ein Individuum, das der spätbronzezeitlichen Dolmen-Kultur (1400 bis 1200 v. Ztr.) südlich des Asowschen Meeres am Nordrand des dortigen Schwarzen Meeres und nordwestlich des Kaukasus zugesprochen wird. Diese Dolmen-Kultur hatte zwischen 3000 und 2000 v. Ztr. (Wiki) bestanden und scheint - nach diesem Individuum - auch noch bis 1200 v. Ztr. genetische Kontinuität in diesem Raum bewahrt zu haben. Wir sehen hier also aus genetischer Sicht sehr konstante Zustände. Völlig gegensätzlich etwa gegenüber den beiden fast vollständigen Bevölkerungsaustauschen am Anfang und am Ende des Neolithikums auf den britischen Inseln (um nur einen der krasseren Fälle für die genetische Geschichte Nordeuropas heraus zu greifen).

In Anatolien und im Kaukasus ist auch keine der ursprünglichen Jäger-Sammler-Völker in einem solchen Umfang ausgestorben wie das zumindest für die Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler gesagt werden muß. Die Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler besteht ja vor allem in der Völkergruppe der Indogermanen fort.

War die Majkop-Kultur ein multikulturelles Königreich?

In einem der Supplements der Wang et. al.-Studie wird - vermutlich von Svend Hansen oder aus seinem Umfeld heraus - über die Majkop-Kultur das folgende ausgeführt (Wang et. al., Supplement) (3):

Von den Inventaren her beurteilt gab es in der frühen Phase dieser Kultur eine enge Verbindung nach Nordmesopotamien.
Judging by the artefact spectrum, the early phase of this phenomenon appears closely linked to northern Mesopotamia.

Es wird ausgeführt, daß Steppen-Majkop-Kultur (mit Indogermanen-Genetik) und Kaukasus-Majkop-Kultur (mit Südkaukasus-Genetik) sich scheinbar vollständig parallel zueinander entwickelten. Es könne nicht gesagt werden, daß eine von beiden Kulturäume der anderen zeitlich voraus gegangen sei. Daraus könnte die Schlußfolgerung gezogen werden, daß man es womöglich mit einem multikulturellen Königreich zu tun hat, das im Süden "Kaukasus-Cluster"-Menschen und im Norden "Steppen-Cluster"-Menschen unter einem kulturellen Dach vereinigt hat.

Die Bergvölker des Kaukasus haben noch im 19. Jahrhundert das nördliche Vorland des Kaukasus als Sommerweide für ihre Weidetiere genutzt (etwa die Tscherkessen). Als es dabei zu Konflikten kam mit den sich nach Süden expandierendem Russischen Reich war der erste Anlaß für die blutigen Kaukasus-Kriege der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben, über die russische Schriftsteller wie Tolstoi und andere so berühmte Literatur verfaßt haben, und in der der Imam Schamil als Anführer der Tschetschenen eine so große Rolle spielte. Ob sich aus diesem Umstand Schlußfolgerungen ableiten lassen für das multikulturelle Zusammenleben von Menschen zweier großer Völkergruppen am Übergang zwischen Bergregion und Steppe während der Bronzezeit - und wie dieses zustande gekommen sein könnte - das bleibe an dieser Stelle dahin gestellt.**)

Für das Bestehen solcher multikulturellen Königreiche findet man ja immer mehr Hinweise auch aus vielen Teilen Europas insbesondere für die Zeit um 3.000 v. Ztr. (enges zeitlich paralleles Nebeneinanderher-Leben von Glockenbecher-, Schnurkeramik- und Kugelamphoren-Kultur, z.B. in Kujawien im Weichselraum oder in Dänemark oder auch in der Schweiz). Im Haupttext weisen die Forscher hin auf ... (Wang 2019) (3) ...

... das häufige Auftreten von "Sachgütern im Majkop-Stil" in Gräbern, die eneolithische Steppen-Traditionen aufzeigen, und die genetisch zum Steppen-Cluster gehören. Die unterschiedlichen "Steppen-Majkop"-Gruppen repräsentieren die gegenseitige Einflußnahme von Steppen- und Kaukasus-Gruppen und ihre kulturellen Zugehörigkeiten in dieser Sphäre des gegenseitigen Austausches.
... the regular presence of ‘Maykop-style artefacts’ in burials that share Steppe Eneolithic traditions and are genetically assigned to the Steppe group. Hence the diverse ‘Steppe Maykop’ group indeed represents the mutual entanglement of Steppe and Caucasus groups and their cultural affiliations in this interaction sphere.

Allerdings legen eben die Daten so ungeheuer spannend dar, daß es über Jahrhunderte hinweg unglaublich intensiven kulturellen Austausch gegeben zu haben scheint aber so gut wie gar keinen genetischen. Ein außerordenlich spannendes Geschehen, das sich da am Fuße des Kaukausus an der Grenze zur Steppe vollzieht mit dieser scharfen genetischen Grenze, die zugleich kulturell ständig überschritten wird. Verhältnisse vergleichbar zu Europa - aber auch nur zum Teil.

Kurgane als Grablegen von Beamten

Die genetische Untersuchungen legen außerdem nahe, daß die Nutzung von Kurganen der Majkop-Kultur durch Inhaber einer gesellschaflichen Institution erfolgte, daß sie auf jeden Fall nicht als Grablegen von durch genetische Verwandtschaft verbundenen Familien und Clans gedeutet werden können. Das legen PCA-Analysen von jeweils fünf bestatteten Individuen in zwei Kurganen nahe (3) (Supplement 1, Fig. 7):

Hier heben wir hervor die genetische Heterogenität von mehreren Individuen desselben Kurgans, nämlich Marinskaya 5 und Sharakhalsun 6.
Here we highlight the genetic heterogeneity of multiple individuals from the same kurgan sites: Marinskaya 5 (upper panel) and Sharakhalsun 6 (lower panel).

Die genetische Heterogenität der jeweils fünf Bestattungen eines Kurgans weist darauf hin, daß Kurgane zur Bestattung örtlich verstorbener "Beamter" genutzt wurden. So jedenfalls möchten wir das hier auf den ersten Blick deuten. Nämlich von Beamten, die - vielleicht nur für einen bestimmten Zeitraum - zu diesen Beamten ernannt worden waren (etwa von einem Großkönig als "Provinz-Gouverneure"). Jedenfalls scheinen die Grabhügel nicht mehr Familien- oder Clan-bezogen gewesen zu sein. Man könnte etwa an die römischen Provinzbeamten denken, die ebenfalls nur für einen bestimmten Zeitraum als Beamte eingesetzt worden sind von Seiten einer Zentralgewalt.

Der moderne Recurve-Bogen

Und schließlich wird aus dem Kreis um Svend Hansen herum auf die innovative Bewaffnung der Zeit um 3.200 v. Ztr. hingewiesen, eine Zeit, in der ja auch die Schriftkultur in Mesopotamien und Ägypten begonnen hat (3) (Fig. 8 in Supplement 1):

Ähnlichkeiten der Bewaffnung und der Grabsitten. Abbildungen in einer Grabkammer der Novosvobodnaya Klady-Gruppe (Kurgan 28, grave 1) nahe Maykop und des mittelneolithischen Bernburger Kultur-Fundortes in Göhlitzsch in Deutschland. Beide datieren in das späte 4. Jahrtausend v. Ztr. und zeigen Recurvebogen und Köcher als Beispiele innovativer Bewaffnung.
Similarities in weaponry and burial rites. Depictions in a grave chamber of the Novosvobodnaya Klady group (Kurgan 28, grave 1) near Maykop (panel above; from reference1) and the Middle Neolithic Bernburg culture site Göhlitzsch in Germany (panel below; from reference2, no rights reserved). Both date to the late 4th millennium BCE and display a recurve bow and quiver sets as examples of innovative weaponry.

Recurvebogen (Wiki, engl) werden bis heute im Bogensport benutzt. So modern sind diese noch heute. Mit dieser innovativen Bewaffnung haben die Glockenbecher-Leute ganz Europa bis hinauf nach Schottland und bis hinunter nach Sardinien, womöglich sogar bis nach Nordafrika hinein erobert, die Schnurkeramiker bis hinauf nach Esland. Dieser Bogen wurde wohl von da an von fast allen indogermanischen Völkern genutzt, auch von den Turkvölkern, von ostasiatischen Völkern, von den Römern und so weiter.

Nach allem, was wir wissen, hat die Kura-Araxes-Kultur, die aus der Majkop-Kultur hervor ging, keine indogermanische Sprache gesprochen, bestenfalls Personennamen und einzelne Worte aus dem Indogermanischen übernommen. Dem Thema Kura-Araxes-Kultur als Wiege neuer Kaukasus-Völker müssen wir künftig noch genauer nachgehen hier auf dem Blog.

Alles zusammengenommen können die Vorgänge rund um den Kaukasus womöglich so gedeutet werden, daß die Südkaukasus-Völker sich im äußeren Habitus der Steppen-Kultur angeglichen haben, sie quasi angenommen haben (z.B. die Kurgane), dabei aber genetische Kontinuität bewahrt haben. Ob das geschehen sein kann, ohne zumindest zeitweise kriegerische Dominanz der Indogermanen von der Steppe aus, bleibe dahingestellt. 

Auf eine solche Weise mögen jedenfalls die nachmals in Anatolien herrschenden, vergleichsweise kriegerischen Völker entstanden sein: die Mitanni, die Hurri, bzw. Hurriter, die Hethiter, die Lyder, die Lyker und so weiter. Wobei es dabei dann noch Völker gegeben hat, die ihre vormalige Kaukasus-Sprache beibehalten haben (Hurriter und Mitanni) ebenso wie Völker, die mit mancherlei kriegerischen Mentalitäten auch eine indogermanische Sprache angenommen haben, ohne aber wiederum Steppen-Genetik in sich aufzunehmen. Denn alle genannten Völker haben nach allem, was wir bisher wissen, ihre vormalige Südkaukasus-Genetik bewahrt. Letzteres ist wahrscheinlich unter anderem der viel höheren Bevölkerungsdichte der Südkaukasus-Kulturen zu verdanken, die ja spätestens in der Bronzezeit von fast städtischer Lebensweise geprägt war. (Also womöglich eine noch dichtere Besiedlung aufweis als die Cucuteni-Tripolje-Kultur mit ihren "Megasites".)

Wie entstanden die heutigen kriegerischen Bergvölker des Nordkaukasus?

Sehr spannend ist dann auch noch die weitere Geschichte des Kaukasus nach der Bronzezeit. Während die ausgeprägte genetische Grenze zwischen dem "Kaukasus-Cluster" und dem "Steppen-Cluster" entlang des Fußes der Nordseite des Kaukasus und entlang der Grenze zur Steppe vom Neolithikum bis in die Bronzezeit erhalten blieb (bis 1200 v. Ztr.), hat es in den Völker nördlich des Hauptkammes des Kaukasus-Gebirges danach und bis heute noch einen zusätzlichen Zufluß an Steppengenetik gegeben (Wang et al 2019) (3):

Irgendwann nach der Bronzezeit müssen die heutigen Völker des Nordkaukasus noch zusätzlichen Genzufluß von Steppenpopulationen erhalten haben, der sie nun von den Völkern südlich des Kaukasus unterscheidet, die im wesentlichen ihr bronzezeitliches genetisches Herkunftsprofil behalten haben.
Sometime after the BA present-day North Caucasian populations must have received additional gene-flow from steppe populations that now separates them from southern Caucasians, who largely retained the BA ancestry profile.

Im Nordkaukasus gibt es heute Völker indogermanischer Sprache und es gibt Bergvölker, die sich bis heute ein sehr ausgeprägtes Krieger-Ethos bewahrt haben wie beispielsweise die Tschetschenen (die aber keine indogermanische Sprache sprechen). 

Freiheits- und Überlebenskampf der Tschetschenen

Die Tschetschenen sind um ihrer stolzen und furchtlosen Haltung in den Kriegen gegen Rußland und im Archipel Gulag noch von Tolstoi und Alexander Solscheniztin bewundert worden, um ihres ungebrochenen Überlebenswillens sind sie von Stalin als ganzes Volk während des Zweiten Weltkrieges umgesiedelt worden (so wie die Rußlanddeutschen). Und sie haben trotz aller Versuche, ihre kriegerische Mentalität zu brechen, diesselbe in den beiden Tschetschenienkriegen nach 1990 erneut mit unbändigem Freiheitswillen und unbändiger kriegerischer Haltung unter Beweis gestellt (während zeitgleich am Volk der Donkosaken etwa erkennbar war, daß seine große Zeit lange dahin war und nicht in dem Umfang hat erneuert werden können). 

Erst nachdem Tschetschenien und seine Hauptstadt Grozny zu einem ausgebomten Friedhof gemacht worden waren, bei dem selbst "Dresden 1945" noch in den Schatten gestellt worden war, erst nachdem sein Staatspräsident Dudajew während Friedensverhandlungen mit einer ferngesteuerten Rakete von Rußland völkerrechtswidrig ermordet worden war und praktisch jeder tschetschenische Widerstandskämpfer in Folterlagern ermordet oder schwerst traumatisiert worden war, ist der Widerstand der Tschetschenen mit brutalsten Gewaltmitteln und den ungeheuren militärischen Ressourcen Rußlands gebrochen worden. Die Militärmacht Rußland mußte immense Ressourcen an miliätrischem Material und an Truppen nach Tschetschenien senden, um gegen dieses kleine Bergvolk des Kaukasus zum Erfolg zu kommen. Es mußte ein Gebirgsdorf nach dem anderen buchstäblich "ausgeräuchert" werden. Und der Westen mußte so ignorant und zutiefst beschämend stillschweigend daneben stehen, wie er es eben getan hat, damit Rußland - unbeschadet von der Weltöffentlichkeit - gegenüber Tschetschnien tun konnte, was es wollte, so als würden wir nicht am Ende des 20. Jahrhundertes leben sondern zu Zeiten Iwans des Schrecklichen oder Stalins. So als hätte es nice Kriegsverbrecher-Prozesse in Nürnberg 1946 gegeben. Brutalster Völkermord. Auch die russische Organisation der "Soldatenmütter" (Wiki) konnte diesen Ausrottungskrieg nicht abwenden, aus dem auch zehn- und hundertausende von russischen Soldaten schwerst traumatisiert in ihre Familien zurück gekommen sind. In Tschetschenien herrscht noch heute die Stille des Friedhofs. Noch heute (2021/22) werden freiheitsliebende Tschetschenen von bedungenen Mördern Moskaus mitten im Tierpark Berlins ermordet und die deutsche Regierung tut so als habe sie es mit einer "normalen" Regierung in Moskau zu tun und nicht mit einem Verbrecher-Regime.

Man wird nicht fehlgehen, wenn man diese Mentalität der Tschetschenen auch mit dem genannten Zufluß an Steppengenetik nach der Bronzezeit erklärt. An dem Beispiel Tschetschenen kann man sich klar machen, daß eine irgendwie spürbare "indogermanische" Mentalität aber nicht notwendigerweise auch mit einer indogermanischen Sprache einher gehen muß.

Und im umgekehrten Fall zeigen Hurri, Mitanni, Hethiter, Lyder, Lyker und andere antike, vom Kaukasus nach Anatolien zugewanderte Völker, daß man auch ohne Steppen-Genetik, sowie mit - wie ohne - indogermanische Sprache eine irgendwie spürbare kriegerische, "indogermanische" Mentalität leben konnte. - - - Die Forscher schreiben (Wang et al 2019) (3):

Aus Archäologie und Geschichtsschreibung sind zahllose Zuwanderungen (in den Kauskasus) während der nachfolgenden Eisenzeit und dem Mittelalter bezeugt. Aber wird benötigen noch archäogenetisch aufbereitete DNA aus diesen Epochen, um dies unmittelbar überprüfen zu können.
The archaeological and historic records suggest numerous incursions during the subsequent Iron Age and Medieval times, but ancient DNA from these time periods will be needed to test this directly.

Zu den Zuwanderern in den Kaukasus gehört ja auch das indogermanische Volk der sarmatischen Alanen, die lange Jahrhunderte südlich des Kaukasus und im Norden der Skythen gelebt hatten und den skythischen Machtbereich übernahmen, nachdem die Skythen untergegangen waren. Sie standen auch im Bündnis mit vielen ostgermanischen Völkern wie etwa den Goten. Darauf kann zurückgeführt werden, daß ihre Nachfahren im Kaukasus Sagenbestandteile erhalten haben, die in manchem Parallelen aufweisen zur heidnischen Götterwelt des mittelalterlichen Skandinavien (z.B. die Figur des "Loki") wie andernorts hier auf dem Blog schon erörtert.

Völkerschicksale im Kaukasus über viele Jahrtausende hinweg und bis heute aufwühlend.

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*) Aber (Wang 2019) (3):

wir beobachteten, daß die Kura-Araxes- und Majkop-Novosvobodnaya-Individuen wahrscheinlich einen zusätzlichen Iran-Chalkolitischen Herkunftsanteil hinzubekamen (24,9, bzw. 37,4 %).
we observed that Kura-Araxes and Maykop-Novosvobodnaya individuals had likely received additional Iran Chalcolithic-related ancestry (24.9% and 37.4%, respectively).
Was immer damit genau gesagt sein soll. (Wir können nicht alles verstehen.) 
**) Auf jeden Fall haben die Indogermanen der Steppen-Majkop-Kultur im 4. Jahrtausend vor der Zeitreichnung und später offenbar keine so umfangreichen Umsiedlungen und Ausrottungen innerhalb des Kaukasus bewirkt wie das die Russen gegenüber den Tscherkessen schon im 19. Jahrhundert und gegenüber den Tschetschenen im 20. und 21. Jahrhundert bewirkten, gegenwärtig noch weiter betreibend vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die in zwei ekelhaft genozidalen, kriegsverbrecherischen Tschetschenien-Kriegen sich nicht überzeugend und mit Nachdruck für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht und den Erhalt tapferer, selbstständiger Völker eingesetzt hat.

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  1. Eirini Skourtanioti, ... Wolfgang Haack, Johannes Krause: Genomic history of neolithic to bronze age Anatolia, Northern Levant, and Southern Caucasus. Cell 181(5), Mai 2020, 1158-1175. https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.04.044.
  2. Agranat-Tamir et al. (David Reich), The Genomic History of the Bronze Age Southern Levant, 2020, Cell 181, 1146–1157, May 28, 2020, https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.04.024, https://www.cell.com/cell/pdf/S0092-8674(20)30487-6.pdf.
  3. Wang, CC., Reinhold, S., Kalmykov, A. et al. Ancient human genome-wide data from a 3000-year interval in the Caucasus corresponds with eco-geographic regions. Nat Commun 10, 590 (2019), online 4.2.2019  ( Nat Commun )
  4. Bading, I.: Stammen die ersten Donau-neolithischen Bauernvölker aus der Levante? 7/2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/07/korrektur-notwendig-die-ersten.html
  5. Rohrlach, A.B., Papac, L., Childebayeva, A. et al. Using Y-chromosome capture enrichment to resolve haplogroup H2 shows new evidence for a two-path Neolithic expansion to Western Europe. Sci Rep 11, 15005 (2021). 22.7.2021, https://doi.org/10.1038/s41598-021-94491-z 
  6. The Genomic History of the Middle East. Mohamed A. Almarri, Marc Haber, Reem A. Lootah, Pille Hallast, Saeed Al Turki, Hilary C. Martin, Yali Xue, Chris Tyler-Smith. Als Preprint: bioRxiv, 18.10.2020, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.10.18.342816v1; endgültige Fassung online 4.8.2021 in: Cell, Volume 184, Issue 18, 2 September 2021, Pages 4612-4625.e14, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867421008394
  7. Bading, I.: 2.200 v. Ztr. - Kriegerische Glockenbecherleute im westlichen Mittelmeer-Raum, kriegerische Hethiter in Anatolien, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/04/2200-v-ztr-kriegerische.html
  8. https://www.shh.mpg.de/1708395/anatolian-dna 
  9. https://news.harvard.edu/gazette/story/2020/05/genetic-research-offers-insight-into-rise-of-first-cities/
  10. Bading, I.: Indogermanische Steppengenetik im Vorderen Orient, 10/2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/10/indogermanische-steppengenetik-im.html  
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