Man hatte auf dem deutschen Workshop der „Templeton Foundation“ in Frankfurt und Gießen den Eindruck, dass manche Gesprächsteilnehmer jeweils nur ihr eigenes, sehr beschränktes Segment (z.B. in der Religionswissenschaft oder in der Evolutionären Psychologie) beherrschen und deshalb natürlich schon zwangsläufig Mühe haben müssen, Beziehungen herzustellen zu anderen Diskussionsbereichen. Bzw.: Sie machten (sich und) anderen oft gar nicht bewusst, welche Position sie selbst eigentlich vertraten im Verhältnis zu anderen Positionen im Gesamtzusammenhang der Diskussion zwischen Naturwissenschaft und Theologie.
Hier gäbe es die Aufgabe für eine Moderation des Gespräches. Es gäbe die Aufgabe, mehr Strukturen vorzugeben bei der Erörterung der vielfältigen Fragestellungen. Eine solche Moderation müsste natürlich selbst schon etwas mehr über einen allgemeinen Überblick über alle Fragestellungen verfügen, sowie über die verschiedenen gegebenen Antworten, als dieser bei den jeweiligen Spezialwissenschaftlern selbst – und natürlich auch bei den Theologen - vorliegen kann.
Sonst ergibt sich fast zwangsläufig eine unendliche Folge von Missverständnissen und Verwirrungen.
Dazu muss man sich natürlich zunächst klar machen: Die Naturwissenschaft hat im 20. Jahrhundert eine solche Fülle von Neuerkenntnissen hervorgebracht und bringt sie weiter hervor, dass man sich über diese schon zunächst einmal zumindest einen groben Überblick verschaffen muss, wenn man seine eigenen Position zu diesen in Bezug bringen will und sich innerhalb der Forschungsdiskussionen der modernen Naturwissenschaft auch selbst positionieren will.
Fast jede neue wissenschaftliche Entwicklung hat neue philosophische und theologische Grundsatzfragen aufgeworfen und wir sehen heute immer genauer, wie sich alle zusammen zu einem „einheitlichen grossen Wurf“ zusammenzuschließen beginnen.
Ontologie in Bezug setzen zur Erkenntnistheorie
Wir überblicken immer besser, wie sehr die Art, wie wir die Welt sehen und erleben, dadurch bedingt ist, auf welchen evolutiven Wegen wir zu dem geworden sind, was wir heute sind.
Das ist kein trivialer Sachverhalt. Das bedeutet nämlich, dass plötzlich – philosophisch gesprochen – Ontologie und Epistemologie (Erkenntnistheorie) bei der Diskussion sehr nahe und immer näher zueinander rücken. Kurz gefasst: Erkenntnisse in der Physik und Biologie mit Schlussfolgerungen hinsichtlich ontologischer Fragen werfen zugleich Fragen dahingehend auf, woher - evolutiv gesehen - die menschlichen Fähigkeiten und Begrenzungen stammen, die wir heute bei der Erforschung physikalischer und astrophysikalischer Zusammenhänge immer besser erkennen.
Wir erkennen heute, dass wir in einem „Mesokosmos“ leben, dessen Überlebensgesetze es nicht notwendig machten, all das zu verstehen, was heute im Mikro- und Makrokosmos mit umfangreichem technischem Aufwand erforscht wird. Aber warum ist das so?
Und andererseits erkennen wir, dass das, was wir nun nach 200.000 Jahre Menschheitsgeschichte im Mikro- und Markokosmos erforschen können, in irgendeiner Weise jene Fragen beantwortet, beantworten kann, über die sich die Menschen innerhalb dieser 200.000 Jahre immer schon Gedanken gemacht haben, ja, die eines der hervorstechendsten Merkmale der Kulturgeschichte der Menschheit waren.
Und wir fragen uns immer verstörter: Was hat der heutige wissenschaftliche Stand in Physik und Biologie zur Ontologie zu tun mit dem heutigen wissenschaftlichen Stand der (evolutionären) Erkenntnistheorie? Warum beantwortet uns eigentlich die Erforschung des Mikro-, Makro- und Mesokosmos Fragen, die früher Religionen und Philosophien beantwortet haben? Warum kann die Forschung das, obwohl unser Erkenntnisvermögen doch evolutiv dazu eigentlich gar nicht hätte ausgestattet sein brauchen.
Es hätte sein können: Mit unserer Jäger-Sammler-Psyche herausgewachsen aus unseren evolutiven Ursprüngen beginnen wir durch Mikro- und Makroskope zu blicken – und verstehen weiter GAR nichts von dem, was wir da weiterhin sehen. Und wir wenden uns zurück zu unseren überkommen religiösen Deutungen unserer Stellung in unserer Welt.
Aber genau das scheint ja nicht das zu sein, was derzeit passiert. Es scheint nicht das zu sein, was wir gerade tun. Wir machen uns ja Gedanken darüber, was der Urknall mit uns selbst zu tun hat. Wir machen uns Gedanken darüber, in welchem Zusammenhang die Erkenntnis der Naturgesetze zu all dem steht, was wir von der Welt nicht „verstehen“ – und zwar grundsätzlich nicht. Aber dieses grundsätzliche „Nichtverstehen“ scheint nicht ohne Sinn zu sein oder uns in vollständige Verwirrung zu stürzen.
Die Feinabstimmung unseres Platzes im Kosmos
Es scheint das zuzutreffen, was vielleicht erstmals Guillermo Gonzalez genauer ausgeführt hat (in seinem Buch „Privileged Planet“, 2004): Unsere Welt scheint kompliziert genug strukturiert zu sein, dass die Menschheit - sagen wir - 5.000 Jahre naturwissenschaftliche Forschung und kulturelle Entwicklung (in arbeitsteiligen Gesellschaften) brauchte, um sie einigermaßen zusammenhängend zu erkennen. Das aber wiederum impliziert, dass sie nicht so kompliziert strukturiert ist, dass wir sie gar nicht hätten erforschen können. Sie ist andererseits nämlich „gerade noch“ für uns erforschbar. Und irgendwie vermittelt sie uns auch heute noch, immer noch das Gefühl, dass dieses unser Verstehen der Welt uns nicht als „unsinnige“, „sinnlose“, „bedeutungslose“ Endprodukte einer sinnlosen, bedeutungslosen Evolution sozusagen in der Luft hängen lässt. (Obwohl das eine Minderheit von Naturwissenschaftlern behauptet.) Sondern dieses Verstehen scheint uns Antworten zu geben. Welche? Und: Warum?
Ein ganz erstaunlicher Zusammenhang.
Wenn dieser Zusammenhang aber besteht, dann stellt sich weiterhin die Frage: Die Natur scheint uns etwas sagen zu wollen. Sie scheint uns hervorgebracht zu haben, damit wir sie, die Natur befragen, sie macht – wie eine gute Mutter – es ihren Kindern beim Verstehen ihrer selbst zugleich nicht zu schwer, dass die Menschen alle Hoffnung verlieren beim Verstehen „ihrer Mutter“ (weltgeschichtlich gesehen) aber auch nicht zu leicht, dass die Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte oder Jahrhunderte alle Fragen schon hätten beanworten können.
Nein, sie brauchten dazu jene etwa 5.000 Jahre Schriftkultur und „Hochkultur“, die wir heute – grob gesprochen – Weltgeschichte nennen und einigermaßen überblicken können.
Und könnte das nicht auch für Kosmologie und biologische Evolution insgesamt gelten?
Dieses immer nähere Zusammenrücken und Aufeinander-Bezug-Nehmen von ontologischen und epistemologischen Fragestellungen sollte sich eine Gesprächsmoderation im Übergangsfeld von Theologie und Naturwissenschaft vielleicht als aller erstes bewusst machen und dementsprechend die moderierten Gespräche auch strukturieren und so jedem Gesprächsteilnehmer bewusst machen, an welcher Stelle des Gesprächszusammenhanges er mit seinem eigenen spezifischen Argument gerade einsetzt.
Soweit ein wichtiger Punkt den ich anregen möchte. Es gäbe noch andere. Aber ich will mich hier auf den einen zunächst beschränken.