Bei Amazon.de stieß ich - irgendwie - auf das Buch von Roland Garve "Kirahe - Der weiße Fremde. Unterwegs zu den letzten Naturvölkern" (Ch. Links Verlag, Berlin 2007). Die vielen Leser-Rezensionen dort sind alle so begeistert, daß ich schließlich doch nicht "weiterblätterte", sondern mir das Buch besorgte.
Es ist so ein richtiges "Abenteuer-Buch". Aber anders als etwa Bücher von Reinhold Messner, Arved Fuchs oder auch Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Und was ist der Unterschied? Der Autor ist in der DDR aufgewachsen (geboren 1955), begeisterte sich schon als kleiner Junge für die Indianer und wollte Völkerkunde studieren. Dafür bekam er aber keinen Studienplatz, sondern er wurde Zahnmediziner. Doch nach seiner NVA-(Militär-)Dienstzeit war für ihn klar: Er wollte "raus" aus dieser DDR. Und damit begann für ihn - - - das "Abenteuer". Die Fluchtvorbereitungen (er wollte zusammen mit einem Freund die Elbe durchtauchen) wurden von der Stasi entdeckt, er wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
Ekelhafte Lebensverhältnisse muß man hassen
Er kam nach Brandenburg-Görden in jenes Gefängnis, in dem während des Dritten Reiches Erich Honecker einsaß. Er wurde zusammen mit lauter Schwer- und Sexualverbrechern eingesperrt und mußte sich seinen Platz in der Gefangenen-Hierarchie erst schwer erkämpfen. Das erleichterte ihm seine Judo-Ausbildung und sein doch relativ kräftiger Körperbau.
All diese Erlebnisse sind so aufregend geschildert, daß man das Buch schwer aus der Hand legt, ohne die letzte Seite gelesen zu haben. Nach den zwei Jahren Gefängnis wurde er 1983 nicht nach Westdeutschland entlassen, wie damals schon viele, sondern zu seiner riesengroßen Enttäuschung zurück in die DDR. Dort wurde er als Zahnmediziner angestellt. Er machte aber nirgends mehr einen Hehl aus seinem Haß gegen die DDR und den Kommunismus. Er hörte ostentativ den westdeutschen Radiosender NDR während der Arbeitszeit (was streng verboten war), schüttelte dem Bürgermeister nicht mehr die Hand: "Einem Kommunisten gebe ich nicht mehr die Hand," sagte er.
Er hatte in der NVA- und Gefängnis-Zeit einen solchen Haß gegen diese Verhältnisse entwickelt, daß ihm alles egal war, daß er nur noch seinen Haß lebte. Schließlich wurde er einige Monate später tatsächlich in den Westen abgeschoben. Beim Abschied von seinen Eltern rief er laut über den Bahnsteig hinweg: "Freiheit!" und immer wieder nur: "Freiheit!"
Auch sein sehr schnelles und erfolgreiches Einleben in Westdeutschland als Zahnarzt ist sehr spannend. Das gute Einkommen, das er dabei - wie er empfand unglaublich leicht - verdiente, benutzte er erst dazu, sich einen Porsche zu kaufen. Er stellte aber bald fest, daß das oberflächlich ist und konzentrierte sich wieder - endlich - auf sein eigentliches Lebensziel: Die Indianer, die letzten Naturvölker der Erde kennenzulernen.
Wahrscheinlich sind viele der begeisterten Amazon-Rezensenten selbst in der DDR aufgewachsen und finden sich in der eigenen oder anderen Weise in dieser Biographie wieder.
Roland Garve ist, wie mir scheint, in seiner DDR-Zeit weniger als wir Westdeutschen verwöhnt worden, bzw. hat sich von den Verhältnissen nicht verwöhnen lassen und hat sich deshalb eine gewisse "Geradheit", Unbedingtheit - nicht nur in der Liebe, sondern auch im Haß - erhalten, die einem diese Biographie lesenswert erscheinen läßt. Ekelhafte Lebensverhältnisse muß man hassen, da führt gar kein Weg daran vorbei. Wer es sich auch unter ekelhaften, inhumanen Lebensverhältnissen "gut" gehen lassen will und deshalb nicht das Unangenehme auf sich nehmen will zu hassen, verrät seine Menschlichkeit, verrät sein Menschsein selbst.
Das ist vielleicht das Wesentlichere, was man aus diesem Buch lernen könnte.
Echtes Menschsein bei den Naturvölkern
Und echtes Menschsein fand Garve dann, wie er sagt, auch gar nicht einmal besonders stark in Westdeutschland wieder, sondern vor allem - bei den Naturvölkern dieser Erde. Das ist der Hauptgrund, weshalb er immer wieder zu ihnen hinfährt und sie besucht:
"Ich wollte zurück zu den Wurzeln. Ich wollte dorthin, woher unsere Vorfahren einmal kamen. Wo man lebt, wie sie einst gelebt haben. Ich bin überzeugt, daß man von ihnen lernen kann. Daß sie Prinzipien und Weltanschauungen haben, über die es sich lohnt nachzudenken, auch für unsere Zukunft. Die Zukunft der ganzen Menschheit." (S. 26)
"Mehr als sechzig Expeditionen haben mich seither in die entferntesten Gebiete dieser Erde und zu etwa vierzig verschiedenen Naturvölkern geführt. Wenn ich auf die vergangenen zwei Jahrzehnte zurückblicke, dann ist meine wichtigste Erkenntnis, wie unglaublich schön es ist, daß es nicht nur eine Biodiversität in der Natur gibt, sondern auch - noch! - diese gewaltige kulturelle Vielfalt der Menschen auf der Welt. Leider wird sie peu a peu zerstört, oder eigentlich amerikanisiert. Mir aber liegt daran, die kulturelle Vielfalt zu erhalten - ganz egal, was die Leute in unseren Augen für kulturelle Merkwürdigkeiten aufweisen." (S. 27f)Die Bebilderung des Buches ist phantastisch, meistens Fotos, die Garve selbst bei den Naturvölkern gemacht hat, "mehr als 250 Farbfotos". Sie allein schon sind es wert, in dieses Buch hineinzuschauen und es durchzublättern. (Mehr Fotos bspw. auch auf kirahe.de)
(Ein zweiter Beitrag auf "Studium generale" zu diesem Buch -> hier.)
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