Es ist naheliegend, die Goldhüte der mitteleuropäischen Bronzezeit (siehe Abb. 1), die im Zeitraum zwischen 1.400 und 800 v. Ztr. zwischen Deutschland, Irland und Nordspanien benutzt worden sind, als Zeremonialhüte von Seherinnen und Sehern zu deuten, die in den mitteleuropäischen Städten und Fürstenburgen Seherfunktionen übernommen haben (1, Wikip.). Wie man sich diese vorzustellen hat und welcher Wandel sich möglicherweise mit dem Ausklang der Bronzezeit diesbezüglich ergab, soll im folgenden durch einige parallele Zeugnisse aus der klassischen Zeit der Mittelmeerkulturen veranschaulicht werden.
Abb. 1: Der Goldhut von Schifferstadt (zwischen Speyer und Worms), 1400 - 1300 v. Ztr. (Rekonstruktion aus: 1) |
In mehreren indoeuropäischen Völkern gab es den "Eingeweidebeschauer", den sogenannten "Haruspex" (a, b, c). Er ist bei den Assyrern bezeugt (um 860 v. Ztr., siehe Abb. 2), bei den Etruskern und ebenso bei den Römern.
Abb. 2: Nimrud, Nordwestpalast von Assurnasirpal um 860 v. Ztr.; Detail aus der Steindekoration des in Raum B, Tafel 8 (oben): Innerhalb eines militärischen Lagers bereiten ein Haruspex und sein Assistent einen Widder für eine Eingeweideschau vor. |
Der Haruspex las die Zukunft aus der Leber von Tieren. Ihnen zur Seite standen andere Seher-Klassen mit Ratgeber-, bzw. Vorhersage-Funktion. So bei den Römern die "Auguren", denen man zutraute, daß sie die Zukunft aus dem Vogelzug ablesen könnten. Auch aus der griechischen Kultur sind zahlreiche Seherinnen, Seher und Orakel bekannt. Die berühmteste Seherin ist natürlich die Phythia vom Orakel von Delphi.
Abb. 3: Statuette eines Haruspex vom rechten Tiberufer (4. Jhdt. v. Ztr.). |
Die Funktion von "Seherinnen" oder "Sehern", bei denen man sich "weisen Rat" holen konnte, die die Zukunft voraussahen oder ahnten, konnten also bei den indoeuropäischen Völkern sowohl Frauen wie Männer ausüben. Eine der berühmtesten Seherinnen war ja auch die Kassandra, die den Untergang Trojas voraussah, deren "Kassandra-Rufe" aber ungehört verhallten.
Das Augurenlächeln
Von dem römischen Redner und Autor Cicero, der selbst die Funktion eines Auguren innehatte, ist der Ausdruck "Augurenlächeln" überliefert, den der römische Feldherr Cato der Ältere geprägt haben soll. Cicero sagt:
Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, daß ein Haruspex nicht lächle, wenn er einen anderen Haruspex sehe.
Damit ist das "wissende Lächeln" gemeint darüber, daß auch ein Haruspex nur mit ganz gewöhnlichem Wasser wäscht und die Zukunft eigentlich gar nicht voraussagen kann. Für einen Feldherren war es natürlich wichtig, die Rolle und das Ansehen eines Haruspex richtig einzuschätzen. Denn dieser konnte bei den Soldaten viel Einfluß haben und militärische Entscheidungen beeinflussen. Von solchen Einflußnahmen der Seherinnen auf militärische und politische Entscheidungen - oft auch unheilvollen - gibt es manchen Beleg aus den römischen Berichten über die germanischen Stämme oder natürlich auch aus der antik-griechischen Geschichte.
Abb. 4: Bronzefigur aus Orvieto, 3. Jhdt. v. Ztr. (Vatikan-Museum) |
Obwohl eine solche kritisch hinterfragende Einstellung, wie sie Cicero hier zum Ausdruck bringt, möglicherweise erst in der aufgeklärten Zeit des griechischen Philosophen Sokrates allgemeinere Verbreitung fand, konnte natürlich die Autorität und die Integrität einer Seherin oder eines Sehers schon in früheren Zeiten leicht infrage gestellt sein.
Aus der Ilias und anderen Quellen wissen wir von den häufigen Rivalitäten zwischen den Herrschern und den Seherinnen und Sehern.
Geheimnisvolle Aura ist wichtig
Um sich Autorität und Ansehen zu verschaffen, die sie ja nicht auf politische oder kriegerische Macht und Einfluß an sich abstellen konnten, war es für eine Seherin oder einen Seher, einen Auguren oder einen Haruspex wichtig, sich mit einer geheimnisvollen Aura zu umgeben. Die Phytia des Orakels von Delphi saß auf einem Dreifuß über einer Erdspalte während sie weissagte. Die germanische Seherin Weleda (oder "Veleda") (ADB, Wiki, engl) bewohnte einen Turm. (Ein solcher Turm findet noch seinen Nachhall in dem Märchen "Rapunzel".)
Durch was konnte eine geheimnisvolle Aura aber noch besser angezeigt werden, als durch eine herausragende zeremonielle Kopfbedeckung.
Der Haruspex trug als Zeremonialkleidung einen hohen Hut, ohne den seine Weissagungen nicht die volle Wirkungen haben konnten:
Die Kleidung zeichnet sich durch die hohe Kopfbedeckung aus Leder oder Filz aus, die unter dem Kinn festgebunden wurde. Denn ein Herunterfallen der Mütze während der Zeremonie galt als äußerst schlechtes Vorzeichen.
Während der Zeremonie setzte der Haruspex seinen Fuß auf einen Haruspex-Stein. Ein solcher ist auch im römischen Britannien gefunden worden.
Abb. 5: Rekonstruktion einer heiligen Handlung. Die Zeichnung rekonstruiert eine Szene, in der der Haruspex in einer rituellen Pose und mit besonderer Kleidung eine Tierleber liest. |
Eine Abbildung der heilkundigen Frau von Subashi (/ Subexi), einer indoeuropäischen Wüstenmumie an der Seidenstraße im innerasiatischen Tarimbecken des 5. bis 3. Jahrhunderts v. Ztr. brachten wir ja schon in einem früheren Beitrag. Womit wir von vielerlei Parallelen wissen zwischen der mitteleuropäischen Bronzezeit, den klassischen Mittelmeerkulturen und den tocharischen Handelsstädten der Seidenstraße, die sich alle gegenseitig erläutern können.
Abb. 6: Haruspex aus dem Vatikan-Museum (Rom); an der Seite der Statue befindet sich eine Inschrift, die übersetzt lautet: "Sieh! Er sühnte für die gläubige Nachkommenschaft." |
Auffällig bleibt, daß auch hier der Bezug zur Himmelskunde, zur Astronomie nach dem Ende der Bronzezeit weitgehend verloren gegangen zu sein scheint. Möglicherweise ging damit einher eine Zunahme (nicht Abnahme!) des Aberglaubens. Denn die in der Bronzezeit praktizierte Himmelskunde weist ja eindeutig mehr Rationalität auf, mehr "Wissenschaftsnähe" (aus heutigem Verständnis), als das, was die "Auguren" unter ihrem Augurenlächeln so alles treiben konnten. (Und treiben [2].)
- Schulz, Mathias: Der Kult der Sternmagier. Der Spiegel, 48/2002
- Schmidt, Rainer F.: Rudolf Heß – „Botengang eines Toren“? Der Flug von Rudolf Heß nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf 1997