Zur Herzstärkung einmal wieder Nietzsche ("Der Antichrist", 48. Abschnitt). Seltsam aktuell, dieser Mann ... Herrlich, herrlich, herrlich.
- Hat man eigentlich die berühmte Geschichte verstanden, die am Anfang der Bibel steht, - von der Höllenangst Gottes vor der Wissenschaft? ... Man hat sie nicht verstanden. Dies Priesterbuch par excellence beginnt, wie billig, mit der großen inneren Schwierigkeit des Priesters: er hat nur Eine große Gefahr, folglich hat "Gott" nur Eine große Gefahr. -Der alte Gott, ganz "Geist", ganz Hoherpriester, ganz Vollkommenheit, lustwandelt in seinem Garten: nur daß er sich langweilt. Gegen die Langeweile kämpfen Götter selbst vergebens. Was tut er? Er erfindet den Menschen, - der Mensch ist unterhaltend ... Aber siehe da, auch der Mensch langweilt sich. Das Erbarmen Gottes mit der einzigen Not, die alle Paradiese an sich haben, kennt keine Grenzen: er schuf alsbald noch andre Tiere. Erster Fehlgriff Gottes: der Mensch fand die Tiere nicht unterhaltend, - er herrschte über sie, er wollte nicht einmal "Tier" sein. - Folglich schuf Gott das Weib. Und in der Tat, mit der Langenweile hatte es nun ein Ende, - aber auch mit anderem noch! Das Weib war der zweite Fehlgriff Gottes. - "Das Weib ist seinem Wesen nach Schlange, Heva" - das weiß jeder Priester; "vom Weib kommt jedes Unheil in der Welt" - das weiß ebenfalls jeder Priester. "Folglich kommt von ihm auch die Wissenschaft" ... Erst durch das Weib lernte der Mensch vom Baume der Erkenntnis kosten. - Was war geschehen? Den alten Gott ergriff eine Höllenangst. Der Mensch selbst war sein größter Fehlgriff geworden, er hatte sich einen Rivalen geschaffen, die Wissenschaft macht gottgleich, - es ist mit Priestern und Göttern zu Ende, wenn der Mensch wissenschaftlich wird! - Moral: die Wissenschaft ist das Verbotene an sich, - sie allein ist verboten. Die Wissenschaft ist die erste Sünde, der Keim aller Sünde, die Erbsünde. Dies allein ist Moral. - "Du sollst nicht erkennen": - der Rest folgt daraus. - Die Höllenangst Gottes verhinderte ihn nicht, klug zu sein. Wie wehrt man sich gegen die Wissenschaft? das wurde für lange sein Hauptproblem. Antwort: fort mit dem Menschen aus dem Paradiese! Das Glück, der Müßiggang bringt auf Gedanken, - alle Gedanken sind schlechte Gedanken ... Der Mensch soll nicht denken. - Und der "Priester an sich" erfindet die Not, den Tod, die Lebensgefahr der Schwangerschaft, jede Art von Elend, Alter, Mühsal, die Krankheit vor allem, - lauter Mittel im Kampfe mit der Wissenschaft! Die Not erlaubt dem Menschen nicht, zu denken ... Und trotzdem! entsetzlich! Das Werk der Erkenntnis türmt sich auf, himmelstürmend, götter-andämmernd, - was tun! - Der alte Gott erfindet den Krieg, er trennt die Völker, er macht, daß die Menschen sich gegenseitig vernichten (- die Priester haben immer den Krieg nötig gehabt ...). Der Krieg - unter anderem ein großer Störenfried der Wissenschaft! - Unglaublich! Die Erkenntnis, die Emanzipation vom Priester, nimmt selbst trotz Kriegen zu. - Und sein letzter Entschluß kommt dem alten Gotte: "der Mensch ward wissenschaftlich, - es hilft nichts, man muß ihn ersäufen!" ...
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