Die Evolution der Kindheit war eines der wichtigsten Forschungsthemen des bedeutenden Schweizer Biologen Adolf Portmann (1897-1982) (Wiki). Er war es, der aufgrund des Vergleichs von Gehirngrößen zwischen verschiedenen Arten (abgeglichen jeweils nach ihren sehr unterschiedlichen Körpergrößen), Progressionen (Weiterentwicklungen) im Verlauf der Evolution feststellte, und der feststellte, daß Gehirngröße und die Intensivität und Länge der Kindheitsphase gemeinsam evoluieren. Und zwar das sowohl bei den Vögeln wie bei den Säugetieren.
Er war es, der aufgrund dessen erstmals feststellte, daß der "Nestflüchter" eine ursprünglichere, nicht eine fortgeschrittenere Stufe der Evolution von Kindheit und Intelligenz gewesen ist. "Nesthocker"-Dasein, also Hilflosigkeit in der Kindheit, ist gemeinsam mit Intelligenz evoluiert. (Dazu gibt es auch eine schöne Grafik im dtv-Atlas für Biologie.)
Abb.: David F. Bjorklund "Why Youth is Not Wasted on the Young - Immaturity in Human Development" (2007) |
Kindheit hat also etwas mit unserer Intelligenz zu tun. Der Mensch ist nach Adolf Portmann ein "sekundärer Nesthocker", also evoluiert aus einer evolutiven Nestflüchter-Stufe heraus und zwar aufgrund einer "physiologischen Frühgeburt", das heißt gegenüber Schimpansen-Babys werden menschliche Babies physiologisch um ein Jahr zu früh geboren. - Aber warum das alles? Warum legt die Evolution - übrigens auch im Pflanzenreich - so einen deutlichen Schwerpunkt auf alles, was mit Fortpflanzung und "Brutfürsorge" zu tun hat?
Schon die wesentlichsten Pflanzengruppen unterscheiden wir ja aufgrund ihrer Unterschiede im "Brutfürsorge"-Bereich, nämlich die "Nacksamer" und die "Bedecktsamer", also jene, die ihrer Nachkommenschaft "nackt" und "bloß" lassen und jene, die sie stärker "bedecken" und "schützen". Also die ursprünglicheren Gymnospermen, die in der Dinosaurier-Zeit die vorherrschende Pflanzengruppe waren, und die erst gemeinsam mit den Säugetieren (!) ökologisch vorherrschend gewordenen Angiospermen, die Blütenpflanzen. Liegen denn nicht auch hier evolutionäre Konvergenzen vor, sogar - letztlich - zwischen Pflanzen und Tieren? Auch das Säugetier schützt und pflegt ja seine Nachkommen mehr als die Reptilien.
Und warum kam das alles zustande? Der Neodarwinismus für sich genommen weiß auf diese Fragen oft nur erbärmlich bescheidene Antworten. Oft leugnet er ja heute sogar, daß mehr Intelligenz eine evolutive "Höher"-Entwicklung darstellen würde. Es wäre reiner "Zufall", daß es so intelligente Wesen wie Menschen auf der Erde gibt, so noch vor wenigen Jahren Stephen Jay Gould. Ein Wesensunterschied zu Bakterien würden Menschen und Säugetiere nicht aufweisen, schon gar nicht würden sie eine Höherentwicklung darstellen. -
Aber auch bei der "jüngsten Humanevolution" in den letzten Jahrzehntausenden sind offenbar noch einmal die Dauer der Kindheit und die Intelligenz gemeinsam evoluiert. - Im "American Scientist" wird ein neues Buch zu diesem Thema besprochen (1), das sicherlich wieder viele neue spannende Fragen zu diesem, wie ich finde, sehr wesentlichen Thema aufwirft.
Es könnte einmal mehr aufzeigen, wie tagesaktuelle Diskussionen in der Familienpoliitk - etwa um die "pauschalere", weniger individuelle Betreuung von Kindern in Kinderkrippen statt durch die Eltern - in tiefster Weise unser in der Evolution entstandenes Humanum, unsere Menschlichkeit betreffen. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch," sagt Schiller, "wo er spielt". Wer also ist mehr Mensch als die Kinder? Und wie gehen wir heute mit diesem unserem Menschentum um?
Und ein Schritt weiter wäre zu fragen: Was hat Kindheit mit Religiosität zu tun? Sind Kinder religiösere Menschen als Erwachsene? Ich bin fest davon überzeugt. Abgesehen von der wie ich finde, zu verwerfenden "Wenn-Dann"-Beziehung, Lohn-Straf-Beziehung in moralischen Fragen tat deshalb Jesus Christus sehr recht, den Menschen die Kinder zu zeigen:
Da rief Jesus ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: "Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet ..." (Matthäus 18:2-10)
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- David F. Bjorklund: Why Youth is Not Wasted on the Young. Immaturity in Human Development. 2007 (Amaz)