"whether different religions foster different levels of co-operation, for what reasons, and whether such co-operation brings collective benefits, both to the religious community and to those outside it."(Hervorhebung durch mich, I.B..)
Das Vorherrschen personaler Gottheiten
Das ist eine ungeheuer spannende Frage, die ich ja vor Monaten auch schon in Diskussionen mit Michael Blume erörtert habe. Die Hypothese, die auch schon von anderen formuliert worden ist in der Religionswissenschaft und in der Soziologie (besonders schon vor Jahrzehnten von Guy E. Swanson), lautete, daß es eine Entwicklung in der menschlichen Religiosität gäbe parallel zu der Entwicklung menschlicher gesellschaftlicher Komplexität. Konkret wurde insbesondere formuliert, daß das Vorherrschen personaler Gottheiten die Kooperation in komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaften befördern würde, daß hier also eine Art "Koevolution" vorliegen könnte zwischen (der Größe) komplexer arbeitsteiliger Gesellschaften und der Ausgeprägtheit von vorherrschenden Vorstellungen über aktiv eingreifende - den einzelnen belohnende oder bestrafende - personale Gottheiten.
Das aber wiederum würde heißen, daß komplexe arbeitsteilige Gesellschaften vielleicht nur mit bestimmten komplexen Formen menschlicher Religiosität zu vereinbaren sind und mit ihnen aufrecht erhalten werden können. Die spannende Frage wäre dann aber weiter: Welche Formen könnten das sein? Und zwar doch insbesondere auch deshalb, weil sich in modernen, säkularen Gesellschaften seit Jahrhunderten die Ansicht ausbreitet, daß der Glaube an personale Gottheiten nicht jenem faszinierenden Weltbild adäquat ist, das uns die moderne Naturwissenschaft liefert. Hm! Könnte die Schlußfolgerung lauten, daß wir selbst wieder mehr "Person" werden sollten, statt an personale Gottheiten zu glauben? Dieser Gedanke kommt mir gerade und sei hier nur einmal so in den Raum gestellt. Denn der evolutive Vorteil von "Personhaftigkeit" in religiösen Zusammenhängen ist ja doch in der Forschung wohl inzwischen unübersehbar geworden.
Statt Gott als Person anzusehen sollte sich vielleicht künftig lieber der Mensch selbst wieder mehr als einzigartige Eigenpersönlichkeit sehen?
Die Vorstellung von Gott als dem "dritten Bestrafer" im allgegenwärtigen gesellschaftlichen "Third-Punishment-Spiel" ist ja ebenfalls schon hier auf dem Blog als höchstwahrscheinlich evolutiv erfolgreich erörtert worden. Im weiteren Nachdenken hier auf dem Blog wurde dann allerdings ebenso wichtig hervorzuheben, daß der evolutive Erfolg zumindest christlicher Religiosität nord- und mitteleuropäischer Herkunft der letzten 500 Jahre nicht vornehmlich korreliert mit dem Vorherrschen einer despotischen oder auch nur mild-despotischen Priesterschaft, an die der einzelne Gläubige so mehr oder weniger die Verantwortung für seine eigene Religiosität abtritt, sondern mit der betonten Übernahme von religiöser Eigenverantwortung durch die einzelnen Gemeindemitglieder (das vielgenannte protestantische Prinzip des "Priestertums aller Gläubigen"). Siehe dazu meine "Vorstudien zu einer Vergleichenden Religionsdemographie" hier auf dem Blog in diesem Monat.
Sollte also vielleicht darüber nachgedacht werden, ob man in der künftigen, evolutiv erfolgreichen westlichen Gesellschaft statt mächtigen Priestern gegenüber unterwürfig zu sein, bzw. ihren "despotischen", einem ihnen ähnlichen Gott zugeschriebenen Moralgeboten ("Du sollst ..."), viel lieber selbst - endlich einmal - "Person" werden sollte, ob man heraustreten sollte aus der farblosen und tendenziell apersonalen, keine Verantwortung übernehmenden "Massenmenschen-Haftigkeit", "Kollektivmenschen-Haftigkeit", die ja immer wieder auch totalitaristische Tendenzen befördert.
Wer selbst Gott ist oder Gott nahe ist, braucht vielleicht keine personale Gottheit mehr? Schöne Beispiele für dieses starke Selbstbewußtsein könnten Giordano Bruno sein oder Friedrich Hölderlin. Überhaupt geht ja auch der Grundgedanke vom eigenverantwortlich denkenden und handelnden demokratischen Staatsbürger in diese Richtung: "Mehr Demokratie wagen." Aber das geht wohl nur mit charaktervollen Eigenpersönlichkeiten, nicht mit einem farblosen Massenmenschentum, wie es heute durch die schrillen Medien und vieles dergleichen mehr gefördert wird. Es könnte viele Gründe, all diese Zusammenhänge noch genauer zu durchdenken. Sie gehören auch in die Zusammenhänge moderner commitment- (und damit Altruismus-) Forschungen.
Wie mißt man die Intensität der religiösen Durchdringung des Alltags?
McNamara jedenfalls scheint selbst - und in Eigenverantwortung!? - auch neuen Schwung in die Erforschung all dieser Zusammenhänge bringen zu wollen, wenn im "Economist" über diesen Forscher berichtet wird:
"Dr McNamara, plans to analyse a database called the Ethnographic Atlas to see if he can find any correlations between the amount of cultural co-operation found in a society and the intensity of its religious rituals."Er scheint also nicht nach der Art der Gottvorstellungen zu fragen, sondern (wohl in Anlehnung an Richard Sosis) nach der Intensität religiöser Rituale. Er fragt also vielleicht so in etwa danach, mit welcher Intensität in einer bestimmten Gesellschaft Gewissensentscheidungen im Alltag und in außergewöhnlichen Zeiten des Menschenlebens durch religiöse oder "echtere" quasi-religiöse Werte beeinflußt werden. - Auch hier wird ja wieder deutlich, daß letztlich äußere Ritualbefolgung noch gar nichts über die innere Intensität der Durchdringung des Alltags von Religiosität sagen muß. Mehr darüber sagen könnte dann da wohl viel eher der daraus folgende eigenverantwortliche Altruismus, das commitment, die Selbstverpflichtung, die durch die Religiosität bewirkt werden. Lauter spannende Fragen, denen wir hier auf dem Blog auch schon in anderen Zusammenhängen nachgegangen sind ("Nachdenken über Altruismus").
Der "Economist" weist auch auf eine schon erschienene Buchveröffentlichung von Patrick McNamara hin. (siehe: Buchladen)
Was hat die Parkinson-Krankheit mit Religiosität zu tun?
Aber Ausgangspunkt für die Forschungen von Patrick McNamara scheinen ganz andere, ebenso interessante Befunde zu sein, nämlich daß Parkinson-Kranke im Durchschnitt weniger religiös sind als gesunde Menschen und zwar offenbar gut korreliert auch nach dem Ausmaß und dem Grad der Erkrankung. Wenn man davon nun weiß, wird man sich künftig wohl Berichte über die Erforschung der Parkinson-Krankheit mit ganz anderen Augen und viel größerem Interesse anschauen. Im "Economist" heißt es:
"Patrick McNamara is the head of the Evolutionary Neurobehaviour Laboratory at Boston University's School of Medicine. He works with people who suffer from Parkinson's disease. This illness is caused by low levels of a messenger molecule called dopamine in certain parts of the brain. In a preliminary study, Dr McNamara discovered that those with Parkinson's had lower levels of religiosity than healthy individuals, and that the difference seemed to correlate with the disease's severity. He therefore suspects a link with dopamine levels and is now conducting a follow-up involving some patients who are taking dopamine-boosting medicine and some of whom are not."Da man also weiß, daß die Parkinson-Krankheit mit niedrigerer Dopamin-Ausschüttung in bestimmten Gehirnbereichen zu tun hat, vermutet McNamara auch eine Korrelation der Religiosität mit dieser Dopamin-Ausschüttung. Das wird in diesem "Economist"-Artikel zu kurz erläutert. Auch dieser Frage wird es hochgradig sinnvoll sein, weiter nachzugehen.
Übrigens gibt es auch ein ganzes neues Forschungsprojekt, einen Forschungsverbund zu all diesen Themen, genannt "Explaining religion".
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Abschließend seien noch die längeren und sehr guten Erläuterungen der Forschungen von Richard Sosis des "Economist" zitiert:
"Richard Sosis, an anthropologist at the University of Connecticut, has already done some research which suggests that the long-term co-operative benefits of religion outweigh the short-term costs it imposes in the form of praying many times a day, avoiding certain foods, fasting and so on."_________________
"To test whether religion might have emerged as a way of improving group co-operation while reducing the need to keep an eye out for free-riders, Dr Sosis drew on a catalogue of 19th-century American communes published in 1988 by Yaacov Oved of Tel Aviv University. Dr Sosis picked 200 of these for his analysis; 88 were religious and 112 were secular. Dr Oved's data include the span of each commune's existence and Dr Sosis found that communes whose ideology was secular were up to four times as likely as religious ones to dissolve in any given year.
A follow-up study that Dr Sosis conducted in collaboration with Eric Bressler of McMaster University in Canada focused on 83 of these communes (30 religious, 53 secular) to see if the amount of time they survived correlated with the strictures and expectations they imposed on the behaviour of their members. The two researchers examined things like food consumption, attitudes to material possessions, rules about communication, rituals and taboos, and rules about marriage and sexual relationships.
As they expected, they found that the more constraints a religious commune placed on its members, the longer it lasted (one is still going, at the grand old age of 149). But the same did not hold true of secular communes, where the oldest was 40. Dr Sosis therefore concludes that ritual constraints are not by themselves enough to sustain co-operation in a community—what is needed in addition is a belief that those constraints are sanctified.
Dr Sosis has also studied modern secular and religious kibbutzim in Israel. Because a kibbutz, by its nature, depends on group co-operation, the principal difference between the two is the use of religious ritual. Within religious communities, men are expected to pray three times daily in groups of at least ten, while women are not. It should, therefore, be possible to observe whether group rituals do improve co-operation, based on the behaviour of men and women.
To do so, Dr Sosis teamed up with Bradley Ruffle, an economist at Ben-Gurion University, in Israel. They devised a game to be played by two members of a kibbutz. This was a variant of what is known to economists as the common-pool-resource dilemma, which involves two people trying to divide a pot of money without knowing how much the other is asking for. In the version of the game devised by Dr Sosis and Dr Ruffle, each participant was told that there was an envelope with 100 shekels in it (between 1/6th and 1/8th of normal monthly income). Both players could request money from the envelope, but if the sum of their requests exceeded its contents, neither got any cash. If, however, their request equalled, or was less than, the 100 shekels, not only did they keep the money, but the amount left was increased by 50% and split between them.
Dr Sosis and Dr Ruffle picked the common-pool-resource dilemma because the communal lives of kibbutz members mean they often face similar dilemmas over things such as communal food, power and cars. The researchers' hypothesis was that in religious kibbutzim men would be better collaborators (and thus would take less) than women, while in secular kibbutzim men and women would take about the same. And that was exactly what happened."
1. The science of religion - Where angels no longer fear to tread. In: Economist, 19.3.2008