Mittwoch, 19. März 2008

Der Kindergarten - oder: Die ausgelutschte Zitrone Kind

Wozu hat man Kinder? Um den Alltag nicht mit ihnen zu verbringen?

Abb. 1: F. W. A. Fröbel
- So sieht ein Wohltäter der Menschheit aus?
Ein Vater schreibt an "Stud. gen."*):
Wir haben eine entzückende, kleine, zweieinhalbjährige Tochter. Geradezu "wie aus dem Bilderbuch". Meine Lebensgefährtin geht Vollzeit arbeiten und ich gehe derzeit von zu Hause aus einer Halbtags-Beschäftigung nach und habe dabei bislang auf unsere Tochter aufgepaßt. Nun drängt sich der "Zeitgeist" in unsere Familie.

Meine Lebensgefährtin meint, die Tochter müsse "unbedingt" in den Kindergarten. Und heute hat unsere Tochter ihren fünften Kindergarten-Tag. Grade habe ich sie wieder hingebracht.

Aber wie sieht so etwas aus aus meiner Perspektive?

Bislang war jeder Tag mit meiner Tochter ein Tag voller Freude, Friede und Glück. Voller Ausgeglichenheit.

Vielleicht gelingt das nicht immer zwischen Eltern und Kindern. Aber die Tochter hat ein glückliches Naturell, mit dem ich als Vater gut zurecht komme. Während ich am Rechner sitze und arbeite, spielt sie - in Ruhe und vollkommener Harmonie. Natürlich, es fehlt etwas. Vor allem fehlen Spielkameraden für sie. Sie kann zwar - wie wohl jedes Kind in diesem Alter - viel für sich alleine spielen. Aber immer, das ist natürlich auch ein bißchen einseitig und langweilig.

Und freilich, ich muß mich oft von meiner Arbeit lösen, wenn ich sehe, das Kind muß rauss an die frische Luft, muß laufen, muß sich bewegen. Oft denke ich, ich müßte eigentlich weiterarbeiten. Aber das Kind geht vor. Frische Luft - was ist besser, als frische Luft für so ein Kind? Aber selbst wenn man nun hinaus geht: Alle Kinder in der Wohnsiedlung scheinen im Kindergarten zu sein und die wenigen, die es nicht sind, findet man auch nicht. Selbst nicht auf den zentralsten Spielplätzen. Also auch hier: Einsamkeit für die kleine Tochter. Nicht so schlimm. Sie kann stundenlang mit Sandkasten-Förmchen und ein bißchen Regenwasser in der kleinen, von ihr als "Küche" konzipierten Spielecke spielen - oder was immer sonst. Nur für mich als Vater und Aufsichtsperson wird es leicht ein bißchen langweilig, jedenfalls so "auf die Dauer".

Ja, da sind also mancherlei Gründe, daß man sich sagt, das Kind müßte eigentlich unter Kinder. Aber wie? Wo?

Vielleicht gäbe es noch andere Möglichkeiten (Spielkameraden ins Haus einladen? Welche?) Aber die naheliegendste ist: Kindergarten.

Kindergarten


Natürlich ist die Tochter begeistert. Wir haben die zwei nächstgelegenen zusammen besichtigt, Vater und Tochter. Und der, wo es am meisten Krach und Lärm gegeben hat, und wo die Kinder am chaotischsten herumliefen, der war ihr am liebsten. Klar! Aber man konnte ihr leicht verständlich machen, was auch die Kindergarten-Leitung dem Vater erklärte: Der Kindergarten ist "voll". Warteliste: "ein Jahr", "mindestens".

In einem anderen bekommen wir sofort einen Platz.

So. Und da soll sie nun - vorläufig - hin: drei Tage in der Woche von 9 Uhr bis 12 Uhr.

- Toll?

Ne.

Aus meiner Perspektive als Vater: Ich bin nur noch der Müllablade-Platz für meine Tochter, die - viel - seelischen Müll abzuladen hat nach einem solchen Kindergarten-Tag. Merkwürdig, daß das - offenbar - so wenige andere Eltern erleben. Oder reden sie nur nicht darüber? Versuchen sie es, sich nicht bewußt zu machen? Sie geben wahrscheinlich allem möglichen die schuld, wenn ihre Kinder nervös, unruhig, unerzogen, unaufmerksam, "fahrig" oder "völlig durch den Wind" sind. Bestimmt nicht dem Kindergarten. Dem Kindergarten, dem Kindergarten, dem Kindergarten.

Oh, das ist eine grausame Erfindung. Einem viel gerühmten Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852) haben wir Deutschen und die Welt - offenbar - diese "Erfindung" zu verdanken. (Wikipedia 1, 2) Vorher nannte man das auch - wie ich es treffender benannt finde: "Kinderbewahranstalt". Das ist es doch - und mehr nicht. Und dann lese ich auch, daß Kindergärten in Preußen zehn Jahre lang (zwischen 1851 und 1860) verboten gewesen sind. Was? Waren die damals schon so klug?
(Das preußische Kultusministerium verbot sie am 7. August 1851 wegen „destruktiver Tendenzen auf dem Gebiet der Religion und Politik“ und weil sie „atheistisch und demagogisch“ wären. ...)

Abb. 2: F.W.A. Fröbel
 Sieht denn das keiner?

Muß man noch mehr sagen? Zu was bin ich "degradiert"? Morgens bin ich nur damit beschäftigt, meine Tochter fertig zu machen: Töpfchen, Anziehen, Kämmen, Essen, Anziehen, in den Kindergarten fahren. Dabei der "Zwang zur Pünktlichkeit", der doch noch Grundschulkindern einigermaßen zu schaffen macht. Und jetzt schon bei einer Zweieinhalbjährigen? Ich muß sie dauernd drängeln, damit wir nicht "zu spät" kommen. Und das jetzt - - - "jeden Morgen"? Mittags kriege ich ein "völlig fertiges", übermüdetes Kind zurück, das so fertig ist, daß ein ruhiges, normales Mittagessen überhaupt nicht möglich ist. Bisher jedenfalls. Das Kind ist ein einziger Müllhaufen. Seelisch.

Und mir ist inzwischen auch klar, warum. Äußerlich geht alles freundlich zu in einem Kindergarten, man möchte sagen "superfreundlich". Daran kann es nicht liegen. Der Grund ist, daß die Situation an sich boshaft ist. Kein Kind trennt sich gern von seinen Eltern. Und ihm wird im Kindergarten eingeflößt, daß das "normal" ist. Alle Kinder machen das ja. Und alle sind ja "superfreundlich". Aber alle Reaktionen, die es danach zeigt, zeigen mir, daß das normal nicht ist. Und daß das Unbehagen, wenn meine Tochter andere Mütter sich von ihren Kindern an der Tür des Kindergartens verabschieden sieht, ein wesentliches ist. Es wird von ihr registriert, sie sieht es.

Seit sie im Kindergarten ist, ist sie viel aggressiver. Warum? Weil die Situation selbst aggressiv ist. Meine Meinung jedenfalls. Niemand einzelner ist Schuld. Schuld sind allein die Eltern, also ich, die das zulassen, um die Beziehung nicht auf eine Zerreiß-Probe zu stellen und - natürlich - der Zeitgeist. Es sind wunderbare Erzieherinnen im Kindergarten. An ihnen liegt es nicht.

Also so schnell wie möglich zum Mittagsschlaf mit diesem seelischen Müllhaufen. Essen ist doch sowieso nicht mehr möglich. Nun, zwei Stunden später scheint äußerlich alles wiederhergestellt. Aber die tiefe, gemütvolle, harmonische Beziehung, die entspannte Freude, der Spaß will sich - nach diesem tiefen Einschnitt der drei Stunden Kindergarten, diesen ungeheuer reichhaltigen und vielfältigen Eindrücken für so ein kleines Kind - offenbar auch nachmittags nicht mehr zwischen uns einstellen. Sie kann nicht mehr, wie sonst, still, harmonisch und friedlich spielen. "Fahrig" läuft sie in der Wohnung herum, macht dies, macht das. Macht meistens Mist und Unsinn. Findet keinen Frieden, keine Ruhe mehr in sich, also das, was doch zuvor - für Vater und Tochter - das Schönste war am Tag.

Wozu? Wozu, wozu? Wir hatten so schöne Stunden. Tage. Jeder Tag war ein Fest mit ihr. Und nun?

Und nun? "Auf den Hund gekommen." Eine Kindheit und ihre Frieden zerstört.

Und wie man in der Umgebung sieht, gibt es viele Kinder, die nicht nur drei Tage in der Woche drei Stunden im Kindergarten sind. Nein, sie gehen früher und kommen später, erst am Nachmittag nach Hause. Ganz und gar "kaputt". Nur noch ein "Haufen Elend". Ich sehe es doch. Bei Nachbarkindern. Und das fünf Tage die Woche. - Hat Gott diese Welt wirklich verlassen? Die Hand von ihr abgezogen? Oder bin ich einfach "zu zimperlich", "zu sensibel"? Wir sind doch sonst in allem so ... "supersensibel"? Und in diesen Fragen nicht?

Habe ich meine Tochter nur, um sie die schönsten Zeiten, die man überhaupt mit ihr haben kann im Leben, um sie diese im Kindergarten verbringen zu lassen? Und um mir selbst dann nur den "faden Rest" zu lassen, die "ausgelutschte Zitrone"? Ist das der Sinn? Ist es das, was wir wollen und zu preisen würdig finden?

Ich finde es ekelhaft und könnte erbrechen.
Abb. 3: F.W.A. Fröbel
- Soweit dieser Vater. - Ja, schade, was soll man dazu noch sagen? So wie dieser Vater erlebt vielleicht noch so mancher und so manche die Welt, soziale Beziehungen und Kinder.

Zur Bebilderung dieses Beitrages wurden noch ein paar Fotos von dem F. W. A. Fröbel heraus gesucht. Kann man diesen Menschen freundlich nennen? War er ein "Menschenfreund"? War das gut, was er getan hat? Konnte er ahnen, was er tut? Oder hat der preußische Kultusminister nicht doch auch eine gewisse richtige "Ahnung" gehabt über dessen Tun - ? Waren ihm die möglichen Folgen seines Tuns nicht bewußt? Das "düsterste" Portrait von ihm (ganz oben) scheint einem jedenfalls am ehesten jene Menschlichkeit zum Ausdruck zu bringen, die von ihm und seiner "Erfindung" auf die heutige Gesellschaft ausstrahlt. ...

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