Freitag, 1. August 2025

Die antik-griechischen Bronzeskulpturen

Eine Zusammenstellung 

Die Statue eines Epheben (1530)

Schon um 1530 wurde die Skulptur des sogenannten "Idolino" ausgegraben innerhalb einer vormaligen römischen Villa bei Pesaro an der italienischen Adriaküste.

Abb. 1: Öllampenhalter, Sogenannter "Idolino" aus einer römischen Villa in der Toskana ausgegraben 1530 - Archäologisches Nationalmuseum Florenz (Fotograf: sailko) (Wiki)

Es handelt sich um (Wiki) ... "die römische Kopie einer griechischen Skulptur im Stil des Polyclitus, geschaffen etwa 440 v. Ztr.. (...) (Sie) kam in den Besitz von Francesco Maria I della Rovere, dem Herzog von Urbino."

Die Stadt Pesaro liegt 200 Kilometer südlich von Venedig und 200 Kilometer östlich von Florenz. Sie liegt 90 Kilometer südlich von Ravenna.

Abb. 2: Öllampenhalter, Sogenannter "Idolino" aus einer römischen Villa in der Toskana ausgegraben 1530 - Archäologisches Nationalmuseum Florenz (Fotograf: sailko) (Wiki)

Die Stadt Pesaro lag ursprünglich im Siedlungsgebiet der Picener. Es könnte sein, daß hier früh Griechen gesiedelt haben und sich mit den Picenern vermischt haben (Wiki). Im 4. Jahrhundert v. Ztr. eroberten die keltischen Senonen das Gebiet der Picener. In der römischen Kaiserzeit scheint Pesaro keine besondere Rolle gespielt zu haben. Bei der Skulptur handelt es sich vermutlich um den Halter einer Öllampe als Lichtspender während abgehaltener Symposien.

Die Statue eines Dionysos aus dem Tiber in Rom (1885)

Im Jahr 1885 wurde beim Bau der Brücke Garibaldi am Ufer des Tiber eine Dionysos-Statue gefunden (AncRomWikiCom). Die ursprüngliche Entstehungszeit dieser Statue, bzw. dieses Statuen-Typs, von dem es viele Kopien gibt, wird auf die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Ztr. datiert.

Abb. 3: Dionysos-Statue aus dem Tiber in Rom (von der Brücke Garibaldi), gefunden 1885 (Wiki) (Fotograf: Rabax63)

Einige Details im Stil dieser Kopie werden interpretiert aber leichte stilistische Überformungen im Sinne der ästhetischen Präferenzen des ersten oder zweiten Jahrhunderts n. Ztr. bei den Römern, also im Sinne der Zeit, in der diese Skulptur selbst - als Kopie - angefertigt worden sein wird. So etwa die üppige Frisur. Brunella Germini schreibt (AncRom):

Die Pose weist deutlich auf den Einfluß des Polyklet hin, während die Bewegung des Kopfes und die geschwungenen Konturen der Flanken auf eine Vertrautheit mit den Werken des Praxiteles schließen lassen. Die Komposition bezieht sich auf ein berühmtes Modell, den sogenannten Woburn Abbey-Typ, der irgendwann in der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. entstand und von dem mehr als zwanzig Kopien und Varianten bekannt sind. Dies ist der erste Statuentyp, der den Gott nackt und als Jüngling darstellt und der in der hellenistischen und römischen Zeit große Beliebtheit aufwies. 
Die Stellung des linken Arms unterscheidet sich jedoch von der bei den Beispielen in der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen und bei der Statue aus den Horti Lamiani in den Musei Capitolini. P. Zanker argumentiert, daß die Zusammensetzung der Tiber-Statue vom sogenannten „Stephanos-Athleten“ abgeleitet ist, einer klassizistischen römischen Schöpfung aus dem ersten Jahrhundert v. Ztr., die durch die Hinzufügung der langen, welligen Frisur modifiziert wurde. Dies macht das Stück zu einer vielseitigen Schöpfung der Kaiserzeit und zeugt vom klassischen Geschmack dieser Zeit. Die eingeschnittenen Pupillen und die bemerkenswerte Dicke des oberen Augenlids lassen auf eine Datierung entweder in die hadrianische oder antoninische Zeit schließen. und hatte in der hellenistischen und römischen Zeit großen Erfolg. 
The pose shows a noticeable debt to the influence of Polycletus, while the movement of the head and the sinuous contours of the flanks indicate a familiarity with the works of Praxiteles. The composition relates to a famous model, the so-called Woburn Abbey type, created sometime in the middle of the fourth century BC, of which more than twenty copies and variants are known. This is the first statue type to portray the god nude and as a youth, and met with great success in the Hellenistic and Roman eras. The position of the left arm, however, differs from that seen in the examples in the Ny Carlsberg Glyptothek in Copenhagen and in the statue from the Horti Lamiani in the Musei Capitolini. P. Zanker argues that the Tiber statue’s composition is derived from the so-called “Stephanos Athlete,” a classicist Roman creation of the first century BC, modified by the addition of the long wavy hairstyle. This makes the piece an eclectic creation of the Imperial age, and indicative of the classical taste in that time. The incised pupils and the notable thickness of the upper eyelid suggest a date in either the Hadrianic or Antonine period.

Interessant zu erfahren, daß Kopien von Skulpturen über die Jahrhunderte hinweg an einen gewandelten Geschmack angepaßt werden konnten.

Der Wagenlenker von Delphi (1896)

Eine frühe, klassische antik-griechische Skulptur ist der Wagenlenker von Delphi (Wiki).

Abb. 4: Der Wagenlenker von Delphi (um 475 v. Ztr.) (Fotograf: Dennis Jarvis aus Halifax, Kanada, 2005) (Wiki)

Die Skulptur wurde 1896 nahe dem Apollonheiligtum von Delphi gefunden. Wir lesen (Wiki): "Die erhaltene Weihinschrift nennt Polyzalos von Gela als Stifter des Weihgeschenks, das demnach zwischen 478 und 474 v. Ztr. geschaffen worden sein muß. Als festdatiertes Monument zählt der Wagenlenker zu den Schlüsselwerken des Strengen Stils." Das Kunstwerk war 373 n. Ztr. bei einem Erdbeben verschüttet worden, wodurch es dem christlichen Zerstörungseifer entging, der in dieser Zeit begann, sein Unwesen zu treiben.

Der Jüngling von Antikythera (1900)

Der Jüngling (oder Ephebe) von Antikythera (Wiki) wurde aus dem berühmten Schiffswrack (Wiki) geborgen, das im Jahr 1900 vor der griechischen Insel Antikythera entdeckt worden ist, und das um 60 v. Ztr. gesunken ist. 

Abb. 5: Der Jüngling von Antikythera, 340 v. Ztr. (Wiki)

Man vermutet, daß das Schiff von der griechischen Ägäis aus, von einem der dortigen viel befahrenen Häfen, insbesondere vermutlich von Delos oder/und von Ephesos aus auf dem Weg nach Italien war. In jener Zeit wurde auch viel Beutegut von den Römern von Griechenland nach Italien geschafft, in diesem Fall waren aber auch frisch gefertigte Werkstücke an Bord. 

Der Philosoph von Antikythera (1900)

Die geladenen Mamorskulpturen sind über die zweitausend Jahre hinweg vom Meerwasser schwer beschädigt worden. Unter ihnen befinden sich beispielsweise auch zwei herrliche Pferde-Skulpturen (Wiki). Auch weitere Abbildungen der Bronzeskulptur sind sehenswert (s. Wiki).

Abb. 6: Bronzekopf der Skulptur eines Philosophen - Vom Schiffswrack von Antikythera, um 240 v. Ztr. (Wiki)

In dem Schiffswrack fanden sich auch Teile einer Bronzeskulptur eines Philosophen (Wiki). Er wird gelegentlich als ein "stoischer" angesprochen. Der Kopf gehörte zu einer Statue, von der auch der im Rede-Gestus ausgestreckte rechte Arm erhalten ist, ebenso die linke Hand, in der der Philosoph einen Stock hält.

Der Schiffsfund von Mahdia (1907)

Der Schiffsfund von Mahdia (Wiki) vor der Küste von Tunesien datiert auf das Jahr 1907. Das Schiff ist um 90 v. Ztr. in einem Sturm gesunken. Es war auf dem Weg von Athen nach Italien.

Es hatte vielfältige Dekorations-Güter geladen (Überblick: Wiki). Neben vielem anderen: eine Marmorbüste, die wohl Ariadne darstellt, weitere Marmorfiguren, zwei großformatige Bronzestatuen, eine Herme des Dionysos mit turbanähnlicher Kopfbedeckung und seitlich mit der Gravur "Boëthos der Chalkedonier fertigte (es)". Außerdem eine Reihe kleiner Figuren und Kunstobjekte aus Bronze. Zu den kleineren Bronzefiguren gehörte ein Satyr (Wiki).

Der Schiffsfund macht den Kulturexport von Griechenland nach Italien mehr als sinnfällig.

Die Statue des Epheben in Pompeji (1925)

1925 bis 1927 wurde in Pompeji das "Haus des Epheben" (Wiki) ausgegraben.

Abb. 7: Jüngling, der eine Lampe trägt - Gefunden im "Haus des Epheben", 5. Jhdt. v. Ztr.; gefunden in Pompeji 1925/27 (Wiki)

Es ist benannt nach einer Bronzestatue, die sich im Garten des Hauses fand und die einen Jüngling ("Ephebe") darstellt, der eine Lampe hält (Wiki). Es handelt sich um die römische Kopie eines Werkes, das im 5. Jahrhundert v. Ztr. in Griechenland geschaffen wurde (Wiki). Das Original der in Pompeji gefundenen Bronzestatue befindet sich heute im Archäologischen Museum von Neapel.

Eine Kopie desselben befindet sich im Getty-Museum in Kalifornien. Von diesem stammt unsere Fotografie (Abb. 7).

Der Jüngling von Marathon (1925)

Der Jüngling von Marathon (Wiki) wurde 1925 von Fischern im Fischernetz vor der Küste von Marathon aus dem Meer gezogen.

Abb. 8: Der Jüngling von Marathon (Wiki), 340 v. Ztr., gefunden 1925 vor der Küste von Marathon

Die Statue wird auf 340 v. Ztr. datiert.

Die Bronzestatue vom Kap Artemision (1926)

Die Bronzestatue vom Kap Artemision (Wiki, engl) wurde 1926 in der Nähe der Insel Euböa in einem antiken Schiffswrack gefunden. Ihre Entstehungszeit wird um das Jahr 460 v. Ztr. geschätzt. Im selben Schiffswrack wurde 1928 auch der Reiter vom Kap Artemision (Wiki) gefunden.

Die Bronzestatue des Jugendlichen Siegers (Wiki) wurde 1964 vor der italienischen Adria-Küste bei Fano in einem Schleppnetz der Fischer herauf gezogen. Sie wurde von Antikenhändlern über München in die USA verkauft. Heute ist sie in der Getty Villa in Kalifornien (Wiki, engl) zu sehen, das von dem verstorbenen US-amerikanischen Öl-Milliardär Getty gegründet wurde, und dessen Leitung seit Jahrzehnten unter vielfacher Anklage des weltweiten illegalen Kunstraubes und -schmuggels steht (Wiki). Gegenüber solchem Kunstraub können sich Nationalstaaten gegenwärtig weltweit häufig noch durchsetzen. Sie können die Rückführung gestohlener Kunstgegenstände erreichen ....

Gesagt werden soll allerdings auch: Die legal erworbene Kunstsammlung und die legalen wissenschaftlichen und Bildungs-Bemühungen des Getty-Museums sind begeisternd. Sie sind nachahmenswert.

Die Athena Piräus (1959)

Die "Athena Pireäus" (Wiki) ist eine Bronzeskulptur, die 1959 im Piräus, im Hafen von Athen gefunden worden ist. 

Abb. 9: Die Piräus-Athena, gefunden im Piräus bei Athen 1959 (Wiki

Anhand ihres korinthischen Helmes und seiner Beliebtheit im späten 4. Jahrhundert v. Ztr. wird diese Skulptur auf diese Zeit datiert. Die Athena Mattei im Louvre wird als eine Kopie dieser Athena angesehen, angefertigt im 2. oder 1. Jahrhundert v. Ztr..

Die Bronzestatuen von Riace (1981)

1972 wurden die so eindrucksvollen Bronzestatuen von Riace (Wiki, engl) gefunden und geborgen. Sie wurden 1981 der Öffentlichkeit vorgestellt (Wiki): "Die beiden Bronzestatuen von Riace gehören zu den sieben erhaltenen griechischen bzw. großgriechischen Bronzestatuen. Die anderen sind der Faustkämpfer vom Quirinal, der Wagenlenker von Delphi, der Poseidon vom Kap Artemision, der Reiter vom Kap Artemision und der Thermenherrscher. In diesem Zusammenhang ist auch noch das Fragment des sogenannten Chatsworth-Apoll zu nennen."

Der Tanzende Satyr von Mazara del Vallo nahe Brindisi (1992)

Diesem Kunstwerk haben wir hier auf dem Blog schon einen eigenen Beitrag gewidmet (Stg2011).

Der Kroatische Apoxyomenos (2006)

In der eben gebrachten Aufzählung ist der "Kroatische Apoxyomenos" (Wiki) nicht genannt. Er wurde 1995 an der dalmatinischen Küste entdeckt und 1999 geborgen. 2006 wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt (s. Stgen2022).

Abb. 10: Entdeckt 1995: Der Kroatische Apoxyomenos (um 300 v. Ztr.), geschaffen vom Bildhauer Lysippos - Geborgen 1999, ausgestellt 2013 im Louvre in Paris (Wiki) / Fotograf: MOSSOT

Die antik-griechischen Skulpturen (Wiki) bilden den Höhepunkt aller Darstellungen des Menschen bis dahin, in seiner Individualität, in seiner Persönlichkeit und auch als eher überpersönliches Schönheits- und Tugendideal. Die bis hier gegebene Übersicht soll künftig noch nach und nach ergänzt werden.

Denn Kunst und Neufunde von Kunst stehen in der öffentlichen Wahrnehmung im Hintergrund. Die hier gegebene Zusammenstellung ist uns deshalb wichtig. Wir fragen uns, warum solche Kunstwerke in den Hintergrund treten sollen gegenüber all den "Stars und Sternchen", die den Menschen bis zum Übelwerden präsentiert werden.

Uns fehlen Fachkenntnisse, um in diesem Beitrag mehr mitzuteilen als Wikipedia-Auszüge. Aber es sollen ja vor allem die Kunstwerke selbst sprechen. 

Wir haben uns schon in verschiedenen Beiträgen mit antik-griechischen Skulpturen beschäftigt (Stgen2011Stgen2022, sowie: GAj2009ab). Folgendes Zitat gibt zu der Fülle der bedeutenden Skulptur-Funde schon einen ersten Eindruck und Rahmen (Wiki):

Andere wohlbekannte Unterwasser-Bronze-Funde stammen im allgemeinen aus Schiffwracks aus der Ägäis und dem Mittelmeer-Raumes: der Antikythera-Ephebe und der Portrait-Kopf eines stoischen Philosophen wurden von Schwamm-Tauchern bei Antikythera im Jahr 1900 entdeckt; das Mahdia-Schiffswrack vor der Küste von Tunesien 1907; der Jüngling von Marathon vor der Küste von Marathon im Jahr 1925; der stehende Poseidon vom Kap Artemision wurde vor dem Kap im nördlichen Euboea 1926 entdeckt; das Pferd und sein Reiter vor dem Kap Artemision 1928 und 1937; die Riace-Bronzen wurden 1972 entdeckt; der Tanzende Satyr von Mazara del Vallo nahe Brindisi 1992; und der Apoxyomenos wurde aus dem Meer geborgen vor der kroatischen Insel Lošinj 1999.
Other well-known underwater bronze finds have been retrieved, generally from shipwreck sites, in the Aegean and Mediterranean: (...) the Antikythera Ephebe and the portrait head of a Stoic discovered by sponge-divers at Antikythera in 1900, the Mahdia shipwreck off the coast of Tunisia, 1907; the Marathon Boy off the coast of Marathon, 1925; the standing Poseidon of Cape Artemision found off Cape Artemision in northern Euboea, 1926; the horse and Rider found off Cape Artemision, 1928 and 1937; the Riace bronzes, found in 1972; the Dancing Satyr of Mazara del Vallo, near Brindisi, 1992; and the Apoxyomenos recovered from the sea off the Croatian island of Lošinj in 1999.

Immer wieder erneut werden solche Funde gemacht. Was für wunderschöne Worte es auf Wikipedia über die antikgriechische Skulptur gibt (Wiki):

Indem sie ihren Göttern menschliches Aussehen gaben, gab es nur wenig, was in ihrer Kunst das Heilige von dem Weltlichen unterschied - der menschliche Körper war weltlich und heilig.
Seeing their gods as having human form, there was little distinction between the sacred and the secular in art - the human body was both secular and sacred. 

Über die Fülle der Funde und Neufunde antik-griechischer Skulpturen erhält man auch einen Eindruck etwa auf einem X-/Twitter-Account der polnischen Verlegerin Izabela Sobota-Miszczak. Sie lebt in Knurow in Oberschlesien. Auf ihrem Account teilt sie Neuigkeiten aus der Archäologie der Türkei mit (TwFb). Durch diesen Account erhält man einmal erneut einen Eindruck davon, wie sehr die antiken Griechen Kunst ein- und ausatmet haben - durch alle Volksschichten hindurch.

Winckelmann

Spätestens seit dem 17. Jahrhundert ist man fasziniert von der Wiederentdeckung antiker Skulpturen. Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) (Wiki) hat diese Faszination dann geradezu in den Mittelpunkt des Kulturbewußtseins seiner Zeit gestellt. 1755 hat er seine erste Schrift "Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" heraus gegeben. Einer der darin geäußerten Grundgedanken lautete:

„Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“

Dieser Grundgedanke beherrschte die Kulturwelt bis ins späte 19. Jahrhundert hinein. Über die Wirkungsgeschichte dieser Schrift lesen wir (Wiki):

Dieses epochemachende Werk wurde schnell sehr erfolgreich. (...) Die Gedanken enthalten bereits in nuce die meisten seiner Ideen und Konzepte in einer formvollendeten Sprache.

1764 brachte Winckelmann dann sein Hauptwerk heraus "Geschichte der Kunst des Altertums". Darin entwarf er ein umfassend entwickeltes System der griechischen Kunst. Im Kern ist es eine Charakteristik des Stils der Plastik nach den Bestandteilen und nach Typen und Klassen des Idealschönen.  Das Bild des antiken Griechenland auf Seiten von Goethe, Schiller, Lessing und Hölderlin ist auf das Stärkste von J. J. Winckelmann beeinflußt.

Hölderlin

Einer der ersten, der dem Nachahmungsprinzip Winckelmann's widersprach, war Friedrich Hölderlin (Wiki):

Hölderlin wehrte sich später gegen das Nachahmungsprinzip Winckelmanns, da es die lebendige Kraft ersticke. Dennoch blieb er den antiken Stoffen treu, denn sie ermöglichten es, "dem eigenen Ursprung als einem fremden zu begegnen."

Die hier zitierten Worte stammen von Peter Szondi nicht von Hölderlin. Hölderlin hat es anders ausgedrück. Aber all das ist deshalb so spannend, weil die antik-griechischen Kultur wohl in keiner anderen Kunstgattung so eindrucksvoll und unmittelbar zum Ausdruck kommt für heutige Menschen wie in der Skulptur (aber vgl. auch die Malerei: GAj2021).

Mit der Geschichte der menschlichen Porträtkunst in der Vorgeschichte allgemein haben wir uns hier auf dem Blog ja schon in zwei Beiträgen beschäftigt. Dabei zunächst mit den Statuenmenhiren seit dem 5. Jahrtausend v. Ztr. (Stgen2019), dann mit Porträtdarstellungen seit der Mammutjäger-Zeit (Stgen2021), sowie dann insbesondere mit Porträtstatuen aus dem Alten Ägypten (2.500 bis 600 v. Ztr.) (Stgen2020). Schon um 2.500 n. Ztr. sind im Alten Ägypten sehr authentische Potträts individueller Menschen geschaffen worden. Das begann im antiken Griechenland erst ab etwa 600 v. Ztr..

Freitag, 25. Juli 2025

Mit chinesischer KI meine Doktorarbeit fertig schreiben (!?!)

Wir haben schon ChatGPT und Grok für die grundlegende Fragestellung unserer Doktorarbeit ausprobiert (Stg25). Dabei war uns Athena, die antik-griechische Göttin der Weisheit, die Leitfigur. Nun probieren wir einmal das chinesische "Kimi K2" (Kimi) aus. Von ihm ist in den Nachrichtenmeldungen gerade viel die Rede. Nun ist es nahe liegend, Konfuzius zur Leitfigur zu wählen.

Abb. 1: Der chinesische Philosoph Konfuzius (551-479 v. Ztr.)

Die Antwort auf die einleitende Frage unseres ersten Beitrages zu diesem Thema (Stg25) überspringen wir hier und bringen gleich die Antwort auf unsere erste "Frangfrage" (wir nutzen zur Kommunikation mit "Kimi" Google Übersetzer):

Wenn man Adam Smiths Logik der Arbeitsteilung in Hamiltons Ungleichung einbettet, stellt man fest, daß K/N in „r > K/N“ aufgrund der Arbeitsteilung stark komprimiert ist, was Altruismus leichter durchkommen läßt. Dies läßt sich in drei Schritten ableiten:

Die Kostenreduktion K

Spezialisierung zerlegt mehrere Prozesse, die ursprünglich von einer einzelnen Person ausgeführt wurden, in mehrere spezialisierte Verknüpfungen. Die Lern-, Werkzeug- und Entscheidungskosten jeder Verknüpfung sinken durch Wiederholung; außerdem muß der Altruist nur noch einen kleinen Teil der Ressourcen oder Dienstleistungen bereitstellen, in denen er gut ist (z. B. hilft ein Schmied seinem Nachbarn beim Reparieren einer Hacke). Die Grenzkosten dieser Ressource sind für den Altruisten extrem niedrig, und K wird stark reduziert.

Verstärkung des Nutzens N

Die Begünstigten, die Hilfe erhalten, können diesen kleinen Teil der Ressourcen aufgrund derselben Spezialisierung in ihren eigenen hochspezialisierten Produktionsprozeß integrieren, was zu einem Multiplikatoreffekt (N-Verstärkung) führt. Die 10-minütige Reparatur des Schmieds ermöglicht es dem Bauern, in einer Stunde einen halben Morgen mehr zu pflügen, und N ist deutlich höher als in der vorindustriellen Gesellschaft.

„Entspannung“ der genetischen Assoziation r

In einer typischen Jäger- und Sammlergruppe muß r sehr hoch sein (nahe Verwandte), um K/N auszugleichen. Sobald die Arbeitsteilung K/N auf ein sehr niedriges Niveau drückt, selbst wenn r nur 0,1 oder sogar noch niedriger ist (gleiches Dorf, gleiche Gilde, gleiches Handelsnetzwerk), läßt sich die Ungleichheit leicht aufrechterhalten. Daher kann sich Altruismus von „Blutsverwandten“ auf „Berufsverwandte“ oder „Marktverwandte“ ausdehnen, und es entsteht eine reziprok-kooperative Ordnung jenseits der Blutsverwandtschaft.

Kurz gesagt: Smiths Arbeitsteilung machte das Prinzip „geringe Kosten für große Vorteile“ zur Norm. Dadurch senkte sie die strenge Hürde der Verwandtenselektion und ermöglichte die Entwicklung des Altruismus von „Blut ist dicker als Wasser“ hin zur wirtschaftlichen Möglichkeit, „alle Menschen auf der Welt sind Brüder“.

Einiges ist nicht eindeutig zu verstehen. Schmiede gab es doch in der vorindustriellen Gesellschaft (?). Das mag der Übersetzung geschuldet sein. Witzig sind aber einige Formulierungen der letzten beiden Absätze, bzw. insbesondere des letzten Satzes. Wir haken bei "Kimi" noch einmal etwas kritischer nach:

Du springst sehr schnell vom Verwandten-Altruismus zum reziproken Altruismus, bei dem "alle Menschen auf der Welt Brüder" sein können. Wie sehen die Zwischenstufen aus? 

Antwort:

Die Zwischenstufe ist kein einmaliger Sprung von der Blutsverwandtschaft zum Markt, sondern ein schrittweiser Rückgang des Verwandtschaftskoeffizienten r: Jeder Schritt basiert auf einer neuen Struktur, um K/N weiter zu senken, sodaß r > K/N auch bei einem niedrigeren r-Wert erfüllt werden kann. Sie läßt sich in drei Stufen beschreiben:

Erweitertes Haus (Clan/Linie) – r≈0,125–0,25

Nach der landwirtschaftlichen Besiedlung kommt es innerhalb desselben väterlichen oder matrilinearen Clans zu einer stabilen Landaufteilung und gegenseitiger Arbeitshilfe. Die Arbeitsteilung erreicht zwar nur die Altersstufe (Männer bewirtschaften den Acker, Frauen weben, Alte und Junge weiden), kann aber K auf etwa die Hälfte der individuellen Selbstversorgung reduzieren, und r muß nicht 0,5 betragen, um zu bestehen.

Dorf-Nachbarschafts-Netzwerk zum gegenseitigen Nutzen (r≈0,05–0,125)

Öffentliche Einrichtungen wie Eisenbearbeitung, Wasserräder und Mühlen entstehen, deren Instandhaltung und Verwaltung eine clanübergreifende Zusammenarbeit erfordern. Professionelle Handwerker (Schmiede, Tischler) senken die Instandhaltungskosten K auf ein sehr niedriges Niveau; Nutznießer erhalten durch gemeinsame Nutzung von Werkzeugen eine Multiplikation von N. Zu diesem Zeitpunkt muß r lediglich die Stufe „gleiches Dorf“ erreichen, um die Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, ist aber dennoch untrennbar mit dem Reputationsmechanismus wiederholter Begegnungen verbunden.

Auch noch nach der kritischen Nachfrage mischt "Kimi" in seine Antwort wieder das Gegenseitigkeitsprinzip ein, nach dem gar nicht gefragt worden war. Das haben weder ChatGPT noch Grok so gemacht. Aber folgen wir den weiteren Ausführungen der Antwort:

Zunft-Markt-Handelskreis (r≈0,01–0,05)

Städte und reguläre Märkte treiben die Arbeitsteilung in Richtung Professionalisierung voran. Handwerker spezialisieren sich nur auf ein oder zwei Prozesse, und K reduziert sich auf „einen Teil oder einen Prozeß“; die Marktskala verstärkt N zur „Wertschöpfung der gesamten Industriekette“. Zu diesem Zeitpunkt ist r einem Fremden nahe, aber „Gildenregeln, Marktreputation und wiederholbare Transaktionen“ spielen die Rolle der „Quasi-Verwandtschaft“, wodurch die Ungleichheit auch dann noch gilt, wenn r extrem niedrig ist.

Schritt-für-Schritt-Anleitung:

• Jeder Schritt basiert auf „neuen Systemen/Technologien“, um K/N weiter zu senken und so die Schwelle für das Erreichen von r um eine Stufe zu senken.

• Die Farbe der Verwandtschaft verblaßt allmählich, aber „wiederholte Interaktion + Reputation + Bestrafung“ bietet eine alternative r-Funktion, die es der Altruismus-Evolution ermöglicht, jedes Raster fest zu betreten, bevor sie fortschreitet.

Wenn ich ehrlich sein soll: Im Vergleich von ChatGPT, Grok und Kimi hat ChatGPT die bei weitem beste Antwort gegeben: Sie ist viel umfassender, viel differenzierter und zugleich auch konkreter. Und Kimi hat die schlechteste Antwort gegeben. Man spürt bei Kimi durch, daß es die gestellte Frage sehr "obenhin" beantworten will.

Immerhin bestätigen alle drei grundsätzlich, 

1. daß es da einen Zusammenhang gibt zwischen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Verwandtenaltruismus, und auch 

2. daß sich dieser Zusammenhang während der geschichtlichen Entstehung und Weiterentwicklung komplexer menschlicher Gesellschaften verändert.

ChatGPT und Grok hatten den Zusammenhang auch auf die Evolution überhaupt angewandt. Kimi hat das nicht berücksichtigt. Vorerst verstehen wir noch nicht, warum "Kimi" "besser" sein soll als die beiden anderen.

Auch Kimi's Antwort auf die Frage "Um welchen Faktor hat sich der Spezialisierungsgrad der menschlichen Gesellschaften im Geschichtsverlauf verändert?" ist wenig konkret.

Wir sind gespannt, wie sich die jeweiligen KI-Werkzeuge in nächster Zeit verbessern werden. Am Ende werden sie mir meine ganze Doktorarbeit allein schreiben. ... Vielleicht ....

Montag, 21. Juli 2025

Vom Stolz der Menschenseele

Und was dieser mit Traumaheilung zu tun hat

Adler - Ausdruck von Stolz

Die Herangehensweise des Traumatherapeuten Gopal Norbert Klein im Zusammenhang mit der Heilung von Kindheitstraumata ist schon seit mehr als einem Jahr Thema hier auf dem Blog (s. z.B. Stg24). Gopal stammt aus Wiesbaden und Gießen. Er hat selbst ein Kindheitstrauma erlebt. Er hat sich in Auseinandersetzung mit diesem zum Traumatherapeuten entwickelt. Er scheint uns wesentliche Antworten auf all die ungelösten Fragen zu geben, die der Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Vortrag "Wie das Gehirn die Seele macht" von 2013 noch als weitgehend ungeklärt dargestellt hatte.

Nämlich: Kann man Kindheitstraumata überhaupt heilen. Gopal sagt: Ja. Und zwar: "Durch Kontakt". Das ist die wesentliche Botschaft. Durch Kontakt, durch "ehrliches Mitteilen" und durch Hören auf das, was gesagt wird und wie sich mitgeteilt wird. Wenn man sich auf diesen Weg begibt, kann man immer wieder neue Entdeckungen machen. 

Immer einmal wieder sehen wir deshalb in die Video's oder Interviews mit Gopal Norbert Klein hinein. Das hier eingestellte Video (1) habe ich mir vor einigen Wochen - zunächst ein wenig gleichgültig - angesehen. An der Stelle, wo ich es einsetzen lasse (bei Minute 6), habe ich schon damals ein bisschen mehr aufgehorcht. Ich habe mir gedacht: Wow, mit was für krassen Fällen Therapeuten beschäftigt sein können. 

Aber so wirklich auf eigene Erfahrungen habe ich das damals nicht beziehen können oder höchstens - wie ich mir damals dachte - "in groben Zügen".

Zum Beispiel hatte ich bis dahin nie so recht für mich verstanden, wie ich mir die Strategie "Manipulation" in Aktion und Reaktion eigentlich konkret vorstellen sollte. So dachte ich damals. Traumatherapeuten sprechen ja von drei bis vier verschiedenen, tief in der tierlichen Evolution und damit im Stamm- und Zwischenhirn angelegten, körperlichen und seelischen Strategien, mit "Todesgefahr" umzugehen: Angriff, Verteidigung und Totstellen (Erstarrung), sowie - mitunter als vierte Strategie genannt: Manipulieren. Die drei erstgenannten kann man sich ja ohne Schwierigkeiten vorstellen. Aber was soll "Manipulieren" in Todesgefahr bedeuten? Hier war nun einmal ein sehr konkreter Ausschnitt von "Manipulationsmöglichkeiten" sehr anschaulich beschrieben: Den Gegner oder das projizierte "gefährliche" Gegenüber in die Irre führen, Tarnen und Täuschen, Antäuschen, Ausweichen, Angriffe ins Leere laufen lassen, Tricksen. Und zwar kann das alles für alle Beteiligten völlig unbewußt stattfinden. Es wird aber schon deutlich, daß für die Überlebensstrategie Manipulation schon etwas mehr gebraucht wird als nur Stamm- und Zwischenhirn. Da kommen offenbar auch höhere Gehirnregionen mit ins Spiel, die verdammt schnell reagieren können.

Vor einigen Tagen jedenfalls kam mir genau dieses Video wieder in den Sinn. Es hatte einige Enttäuschungen in meinem Leben gegeben. Alte Strategien (Handlungsstrategien) "fruchteten" nicht mehr. Tagelang fühlte ich mich deshalb wie ohnmächtig, funktionierte nur noch wie eine Maschine, wollte über nichts mehr nachdenken. Bis allmählich so der eine oder andere neue, weiterführende Gedanke "wie von selbst" in die Wahrnehmung kam.

Und in diesem Zusammenhang fiel mir dann auch dieses Video wieder ein. Und plötzlich machte alles so viel mehr Sinn. Das, wovon in diesem Video die Rede ist, war - und ist - meine Jahre lange Erfahrung gewesen. Nein, meine Jahrzehnte lange Erfahrung gewesen mit nahen Angehörigen.

Ich habe jetzt lange auf Youtube gesucht, um dieses Video wieder zu finden.

Ich finde: In diesem Video kommt der Gopal auf Themen zu sprechen, von denen er sonst relativ selten - zumindest so direkt und anschaulich - spricht. Aber für mich sind diese Dinge ein wichtiger Schlüssel.

Es ist der Menschenstolz der Menschenseele

Und indem ich die Inhalte dieses Videos weiter dachte, schrieb ich mir vor zwei Tagen (am 19. Juli 2025) auf:

Jemand müßte dem Gopal Norbert Klein einmal sagen, daß es der Menschenstolz der Menschenseele ist, der sich in der Nähe des Erlebensbereiches der Menschenwürde bewegt (von der schon im Artikel 1 des Grundgesetzes die Rede ist), und die zum Beispiel von der Psychiaterin Mathilde Ludendorff oder von dem Philosophen Peter  Sloterdijk als so wesentlich angesehen werden (von Mathilde Ludendorff "Gottesstolz" genannt, Sloterdijk spricht von "thymotischen Energien"), daß diese Erlebensbereiche von Stolz und Würde sehr oft Heilungsvorgänge verhindern, weil sie alle die manipulativen Vorgänge, die Heilungen verhindern, befördern, daß sie aber auch, wenn es in glücklicher Zeit zu ehrlicher Mitteilung dieser Erlebensbereiche kommt, erste authentische, ehrliche Mitteilungen in die Kommunikation einfließen läßt. Oft zunächst als Empörung. Was dann wiederum heilsam sein könnte. Der Gottesstolz möchte immer Herr der Situation bleiben, sehr, sehr gerne auch einmal auf Kosten ehrlicher Mitteilung und auf Kosten der Wahrheit und damit - unbewußt - auf Kosten körperlicher und seelischer Gesundheit. Nämlich indem er sich selbst und andere "manipuliert".

Und ganz genau so beschreibt auch die Psychiaterin Mathilde Ludendorff den Gottesstolz (2) (Archiv). Nämlich daß er in traumatischen Zusammenhängen "Boten" an das Unbewußtsein sendet, die dann Traumafolgen bewirken auf körperlicher und seelischer Ebene. Und auf diesen Ebenen können sie oft Jahrzehnte lang völlig unverändert in immer derselben Weise fortwirken. Weil ein bestimmtes Erleben oder Verhalten ins Unterbewußtsein "verdrängt" worden ist, statt mitgeteilt und ausagiert worden ist. 

Der Gottesstolz ist womöglich wirklich etwas sehr besonderes. Und diejenigen, die ihm zuhören, sind heilig, die ihm zuhören sowohl dann, wenn er auf dem manipulativem Wege unterwegs ist wie auch dann, wenn er ehrlich mitteilt und sich - dadurch  - womöglich stolz und gottnah in die Höhe reckt.

Fast "ohne Rücksicht auf Verluste" zerstört dieser Gottestolz oder möchte Gottnähe bewirken, immer aber möchte er Herr der Situation bleiben. Ihm ist es - mitunter - "unerträglich", sich "unterwürfig", ohnmächtig zu zeigen, sich der Situation nicht gewachsen zu zeigen. Der Gottesstolz ist ein Recke aus uralten Zeiten, schon aus jeder uralten Isländer-Saga leuchtet er strahlend hervor.

Abb. 2: Gorch Fock (1880-1916)

So schrieb ich in groben Zügen vor zwei Tagen (heute noch mal etwas überarbeitet, weil einem ständig neue Gedanken dazu kommen).

Gorch Fock

Und heute kommt mir auch noch in den Sinn: Der Hamburger Schriftsteller Gorch Fock (1880-1916) hatte eine Ahnung von den Wirkungen dieses Stolzes - in seiner Freiheit ebenso wie in seinen Verzerrungen - als er irgendwann als Eintrag in sein Tagebuch niederschrieb:

"Mein Herz, sei streng und halt dich frei von Dünkel und von falschem Stolz! Sei gütig, mein Herz, und beschenke dich immer mehr mit echtem, freiem Stolz."

Es war dieses Zitat, was ich mir schon in meiner Jugend mit 17 oder 18 Jahren als bedenkenswert aufgeschrieben hatte. Als ein Wort, an dem man sein Leben ausrichten konnte.

Peter Sloterdijk

Zum erwähnten Philosophen Peter Sloterdijk: Wir haben mindestens zwei Beiträge veröffentlicht zu seiner Sicht auf "thymotische Energien". Wir haben dabei hervorgehoben, daß Sloterdijk seine Sicht prägnanter in einem Cicero-Interview geäußert hat als in seinem ganzen Buch "Zorn und Zeit" (Stg07a, Stg07a). 

Mathilde Ludendorff

Noch einige Zitate, aus denen hervor geht, wie Mathilde Ludendorff das Wesen des Gottesstolzes sieht. Sie schreibt in der grundlegenden Charakterisierung der menschlichen Bewußtseinskräfte (2, S. 80):

Zu dem Ich hin führt, wie uns die "Schöpfungsgeschichte" lehrte, ein "Strahl aus dem Äther", ein Erleben göttlicher Würde und Erhabenheit, den wir den "Gottesstolz" nannten und der weder mit der Leistung des Menschen, noch mit der Anerkennung, die er findet, irgendeinen Zusammenhang hat.

Und (2, S. 133f):

Zorn ist die Vernunfterkenntnis einer feindlichen Tat des Mitmenschen, der sich das Erlebnis des Gottesstolzes und die Empfindung der Unlust gesellt. Überwiegt die Unlust und gesellt sich ein starkes Gefühl des Hasses, ist endlich der Gottesstolz im Menschen verzerrt, so wird aus Zorn die Wut. Die Willensrichtung, die sich hiermit verbindet, ist meist der Wille zur Abwehr eines Feindes. Eine derartige Zergliederung aller Eigenschaften fördert sehr die seelische Erkenntnis.

Er tritt - nach diesem Seelenbild - als gleichwertig neben das Erleben der Eltern- und der Mutterliebe. Das Wesen des Gottesstolzes ist für sie etwa auch erkennbar anhand der Umwertung des von den germanischen Nordeuropäern erlebten und gelebten Gottesstolzes in christlicher Zeit, also als sie religiös und moralisch entwurzelt wurden. Es würde dann ein bestimmtes seelisches Gesetz wirksam (2, S. 138f):

Ich nenne es das Gesetz der Kontrastwertung (gegensätzlichen Wertung). Das Erbgut im Unterbewußtsein kann nämlich nicht machtlos werden. Es übt seinen Einfluß auf das Handeln und Werten des Menschen. (...) Gegenüber dem aus dem Erleben der Gottgemeinschaft geborenen starken Gottesstolz unserer Ahnen, den er in seinem Unterbewußtsein als Erbgut trägt, schützt er (der Christ) sich durch fortwährende Beteuerung der "Demut vor Gott", des "Unwürdigseins der Gnade", des "Allzumal-Sünder-Seins". Dem aus diesem Gottesstolz und der Gottgemeinschaft geborenen Vertrauen auf die eigene Kraft zur Vollkommenheit gegenüber beteuert er seine "Ohnmacht", fleht auf den Knien um "Erbarmen und Gnade". Dem aus dem Gottesstolz geborenen Erbgut des heldischen Wollens, sich in kraftvollster Abwehr der feindlichen Mächte sein Schicksal zu gestalten, sucht er sich zu entziehen durch fortwährendes Beteuern, man müsse das "vom Herrn gesandte Schicksal geduldig und demütig hinnehmen". (...) So stellt also ein solcher Mensch mit der Treue einer Lichtbildplatte das Gegenteil („Negativ"), das Kontrastbild des Erbgutes in seinen Wertungen dar.

Es sollen noch weitere Zitate gebracht werden, die das vielfältige Wirken des Gottesstolzes in der Menschenseele aus ihrer Sicht verständlich machen können. 

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  1. Gopal Norbert Klein: Wie du jede Psychotherapie scheitern läßt: Kontextwechsel, Kulissenschieben, Reframing. Traumaheilung & Medialität, 12.02.2024 (Yt)
  2. Ludendorff, Mathilde: Des Menschen Seele. Ersterscheinen 1925 (Archive)
  3. Bading, Ingo: Peter Sloterdijk und sein Buch Zorn und Zeit. (Stg07aStg07a)
  4. Gorch Fock - Sterne überm Meer. Tagebuchblätter und Gedichte. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Aline Bussmann. Glogau 1918 (GB)

Freitag, 4. Juli 2025

Im Wald bei Altenstadt in der Wetterau

Zeugnisse der Französischen Revolution seit 4.700 v. Ztr.
- Weiteres zu den Jade-Beilen des Mittelneolithikums

Dieser Blogartikel ist der dritte
einer dreiteiligen Reihe 

1933 kam in Altenstadt in der Wetterau (Wiki), gelegen 16 Kilometer südöstlich jener Stadt Friedberg in der Wetterau (GMaps), nach der die "Friedberg-Planig-Kultur" der Zeit um 4.600 v. Ztr. benannt worden ist (Stg25), der örtliche Reichsarbeitsdienst auf die offenbar sehr "glorreiche" Idee, einen großen Stein inmitten des Waldes nahe dem Kloster Engelthal zu sprengen. Dieser große Stein war gelegen auf einer Anhöhe, die "Haale Berg" genannt wurde (Abb. 1).

Abb. 1: Der Felsen im Wald bei Altenstadt in der Wetterau vor seiner Sprengung im Jahr 1933 (aus: 2017)

Dieser Felsen war den Menschen, die in früheren Jahrtausenden hier lebten, offenbar heilig. Seither ist er aber nur noch in gesprengter Form zu besichtigen (s. GMaps). Sprachbewußten Menschen hätte immerhin schon 1933 bewußt gewesen sein können, daß der Name "Haale Berg" von "Heiliger Berg" abgeleitet sein könnte. Wenn dem so wäre, hätte sich eine Ahnung der religiösen Bedeutung dieses Berges über diese Namengebung sogar bis heute in der Bevölkerung erhalten - allerdings ohne daß diese Ahnung scheint Einfluß genommen zu haben auf das Handeln des Reichsarbeitsdienstes im Jahr 1933. 

Jedenfalls wurden bei der Sprengung mehrere Steinbeil-Klingen aus Jade entdeckt, die an diesem Felsen von Menschen des 5. Jahrtausends v. Ztr. niedergelegt worden waren - vermutlich in heiliger Andacht und Ehrfurcht vor der Gottheit, die man in diesem Felsen gesehen haben mochte (Abb. 2). Hat man in diesem Stein den Wal-Gott gesehen, der im Mittelneolithikum an manchen Orten eine Rolle spielte (s. letzter Beitrag)?

Heilige Steine werden wohl von Naturvölkern weltweit verehrt, sie wurden spätestens seit dem Mittel- und Spätneolithikum über ganz Europa hinweg und bis nach Arabien hinunter verehrt (Stg19), und so auch hier im Wald bei Altenstadt in der Wetterau.

Die meisten Bestandteile dieses Fundes vom "Haale Berg" bei Altenstadt in der Wetterau verbrannten höchstwahrscheinlich 1945 in einem provisorischen, nur sechs Kilometer entfernt gelegenen archäologischen Glauberg-Museum (dem "Jakob Sprenger-Haus"). Oder sie gingen auf andere Weise verloren. Zuverlässig erhalten scheint bislang jedenfalls nur eines der dort gefundenen Steinbeil-Klingen. Der ganze Fund war auch bis 1990 niemals gründlich wissenschaftlich publiziert worden (Baitinger2017):

Einen entscheidenden Wendepunkt bildete 1991 ein Beitrag von Manfred Menke, der als Vorarbeit zu einem geplanten "Corpus der  Jadeitbeile in Hessen" verstanden werden sollte.

Irrtümlicherweise wurden in diesem Beitrag aber nun die Steinbeil-Funde vom Haale Berg bei Altenstadt identifiziert mit ...

... drei im Schloßmuseum zu Büdingen  aufbewahrten Beile(n). (...) Mit M. Menkes Artikel war der Fundkomplex - fast 60 Jahre nach seiner Entdeckung - scheinbar endlich in  angemessener Form in die Fachliteratur eingeführt worden, und tatsächlich beziehen sich sämtliche seither erschienenen Publikationen auch auf diesen Beitrag. Dies gilt ebenso und besonders für die europaweite  Gesamtaufnahme von Jadebeilen, die Pierre Pétrequin und seine Mitarbeiter seit den 1990er und in den  2000er Jahren durchgeführt haben. Das Depot stand Pate für den relativ späten "Beiltyp Altenstadt", den  eine flache, dreieckige Klinge mit geraden oder allenfalls leicht konvexen Kanten und einer breiten Schneide  kennzeichnet; der »Typ Altenstadt« ist etwas breiter und nicht ganz so lang gestreckt wie der »Typ Greenlaw«, mit dem er jedoch eine »famille typologique« bildet. Verbreitet sind solche Beile insbesondere in Großbritannien, Nordostfrankreich, Belgien sowie in West- und Mitteldeutschland; datiert werden die in  Deutschland gefundenen Exemplare nach 4300-4200 v. Chr., also in die Zeit der Michelsberger Kultur. Als charakteristischer Vertreter für den "Typ Altenstadt" steht das Beil, dessen im Feuer verzogene Kunststoffkopie den Brand des Glauberg-Museums überdauert hat. Diese Wahl erweist sich im Nachhinein als überaus glücklich, weil es das einzige der von M. Menke publizierten Beile ist, das tatsächlich aus dem  Depot von Altenstadt stammt, wohingegen die drei anderen Stücke nicht zu diesem Komplex gehören.

Dieser Umstand wird 2017 anhand eines Kataloges des Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz aus den 1930er Jahren aufgezeigt. 

Abb. 2: Die Jade-Beile gefunden 1933 unter einem Felsen im Wald bei Altenstadt in der Wetterau, die größtenteils 1945 verloren gegangen sind, hier nach Zeichnungen des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz (aus: 2017)

Dort war der Altenstädter Depotfund nämlich mitsamt Abbildungen (Abb. 2) verzeichnet worden (2017):

Die drei im Büdinger Schloßmuseum aufbewahrten Beile gehören nicht zum Depot aus Altenstadt, sondern stellen tatsächlich einen eigenständigen Fundkomplex aus dem »Büdinger Land« dar, wie es K. Dielmann 1956 postuliert hat. Ihre Zuweisung an das Altenstädter Depot durch M. Menke war ein Irrtum, der sich anhand der Inventare des RGZM korrigieren läßt, sodaß das Depot von Altenstadt - 84 Jahre nach seiner Entdeckung - nun in korrekter Weise wiedergewonnen werden kann. 

Wie also in den Zitaten ausgeführt, leitet sich von einem der Beil-Klingen des Altenstädter Depots - aufgrund der Arbeiten des französischen Archäologen Pierre Pétrequin - ein vielleicht schon mit der Friedberg-Planig-Kultur, aber auch mit der Michelsberger Kultur europaweit verbreiteter Jadebeil-Typ ab, nämlich die Jade-Beil-Form "Typ Altenstadt" (s. Abb. 3). Altenstadt in der Wetterau liegt - wie schon erwähnt - nur sechs Kilometer westlich des Glauberges und des dortigen Keltenmuseums (Baitinger2017):

Die wahrscheinlich sakral motivierte Niederlegung unter einem großen Steinblock bei Altenstadt würde gut ins Bild passen, weil die Deponierung solcher Beile auch andernorts oft "an große natürliche Steinblöcke, aufgerichtete Menhire, Flußufer, Wasserfälle oder Moore gebunden" ist. Auch in der Wetterau lassen sich ähnliche Befunde aus der Jungsteinzeit anführen: Im unweit von Altenstadt gelegenen Ortenberg (Wetteraukreis) kam 1922 unter einem Felsblock ein aus drei Steinbeilen bestehendes Depot zutage, in Rockenberg (Wetteraukreis) wurde 1900 unter einem Findling ein Hort aus neun Feuersteinklingen entdeckt.

Auf die Fund- und Überlieferungsumstände des Altenstädter Depotfundes wird auf diesem Blog deshalb so ausführlich eingegangen, weil die Erforschung der Jade-Beile des Mittelneolithikums durch den französischen Archäologe Pierre Pétrequin seit 2007 im sogenannten "Jade-Projekt" zu einem völlig neuen Bild des Mittelneolithikums in Europa insgesamt geführt hat (Stg25). 

Weiteres zu den Forschungen von Pierre Pétrequin 

Es ging bei dem "Projekt Jade" seit 2007 um (1) ... 

... die Geschichte und Art der Nutzung grüner Gesteine aus den Alpen, ihren Produktionsweg ("Chaîne Opératoire") bei der Herstellung und bei der späteren Veränderung, ihre Verbreitung und Verwendung als Objekte, sowie ihre symbolische und ideologische Bedeutung sowohl in Bezug auf die Objektformen wie auch in Bezug auf die Materialauswahl. Das Projektteam analysierte zerstörungsfrei etwa 2100 große Axt- und Dechselklingen (sowie andere Artefakte) in ganz Europa sowie etwa 2500 Proben von Rohmaterial und Bearbeitungsabfällen und stellte so eine umfassende Referenzsammlung zusammen; es führte systematische Prospektionen und Ausgrabungen in hochgelegenen Abbaugebieten und Bearbeitungsstätten in den Westalpen durch; es trug alle Informationen zu Datierung, Fundkontexten und Darstellungen zusammen und es bewertete die Gesellschaften, die diese Objekte verwendeten, neu.
... the history and nature of the exploitation of green Alpine stones, the chaîne opératoire of artefact manufacture and subsequent modification, the circulation and use of the objects and the symbolic and ideological significance both of the object forms and of the choice of material. The project team non-destructively analyzed some 2100 large axe- and adze-heads (plus other artefacts) across Europe, along with around 2500 specimens of raw material and working debris, thereby forming a comprehensive reference collection; undertook systematic prospection for, and excavation of, high-altitude source areas and working sites in the Western Alps; collated all information about dating, depositional contexts and representations; and reassessed the societies that used these objects.

Das Rohmaterial der grünen Jade-Gesteine, das in den Westalpen auf Höhen zwischen 1700 und 2400 Meter gefunden wird, ist während des Mittelneolithikums bis zu 200 Kilometer weiter transportiert worden, bevor es weiter verarbeitet worden ist. Angesägtes Rohmaterial fand sich nämlich 200 Kilometer von jenen Regionen entfernt, wo es natürlicherweise als Gestein vorkommt und gesammelt werden kann.

Es mag übrigens in diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden, daß die Neolithisierung des eigentlichen Alpenraumes erst ab 4.300 bis 4.100 v. Ztr. geschehen ist, sprich, die demographische Ausbreitung von Bauernvölkern in die Alpen hinein. Daraus könnte auch geschlußfolgert werden, daß es Nachkommen der mesolithischen Jäger und Sammler gewesen sind, die diese Jade-Gesteine ursprünglich gesammelt haben.

Abb. 3: Typochronologie der europäischen Jade-Beile 5.500-3-000 v. Ztr. (aus 1) - Französische "vers" heißt "etwa

Anhand von auf den ersten Blick geringen Form-Unterschieden zwischen einzelnen Jade-Beilen konnte eine Typochronologie erstellt werden (Abb. 3).

Die Typen-Namen sind - wie schon einleitend illustriert - oft viele Jahrzehnte alt. Sie beziehen sich auf Jade-Beile, die an den unterschiedlichsten Orten Europas gefunden worden sind. Also etwa auch in "Durrington Walls" (Wiki) in Südengland bei Stonehenge. Das ist eine proto-urbane, spätneolithische Siedlung des 4. Jahrtausends v. Ztr. (also vom Mittelneolithikum aus gesehen viele Jahrhunderte jünger). Dort verwendete Jade-Beil-Typen sind aber auch im Italien schon des 6. Jahrtausends v. Ztr. gefunden worden. Man darf sich von solchen eher willkürlichen Benennungen deshalb nicht beirren lassen. Der "Typ Bégude" wird benannt sein nach dem französischen Dorf La Bégude-de-Mazenc (Wiki) im Rhone-Tal, eine Siedlung, die noch vergleichsweise nahe an den Fundorten der alpinen Jade-Gesteine gelegen war. 

Jade-Beile ... 

... in der Cardial-Kultur Italiens (5.500-4.700 v. Ztr.)

Die ersten Werkzeuge aus Jade-Gestein finden sich in der Cardial-Kultur ab 5.500 v. Ztr., und zwar über ganz Italien verbreitet. In Italien scheint dieses Gestein in dieser Zeit zunächst eher für Alltags-Gegenstände genutzt worden zu sein (1):

Die ersten hergestellten Objekte waren kleine (<13,5 cm) Axt- und Dechselklingen für den „alltäglichen“ Gebrauch, doch im späten 6. Jahrtausend wurden „speziellere“ Artefakte hergestellt: einige lange Dechsel-Klingen vom Typ Bégude und Dechselklingen vom flachen, tropfenförmigen Typ Durrington.
The earliest objects to be made  were small (<13.5 cm) axe- and adze-heads for “everyday” use, but more “special”  artefacts were being made by the late 6th millennium: a few long adze-heads of  Bégude type and adze-heads of flat, teardrop-shaped Durrington type.

Die eigentliche Hoch-Zeit der Jade-Beile begann ab 4.700 v. Ztr..

... in der Lengyel-Kultur nördlich der Alpen (seit 4.700 v. Ztr.)

Nun wurden Werkzeuge aus Jade-Gestein auch in alle Regionen nördlich der Alpen exportiert. Also vor allem auf den Balkan und in die Ukraine, sowie nach Westfrankreich bis hinauf in die Bretagne (1):

Artefakte aus alpinem Gestein finden sich nur deutlich weiter entfernt und auch in ganz neuen Himmelsrichtungen. Mehrere Jade-Beile von den Typen Bégude und flacher Durrington zirkulierten nordwärts bis nach Österreich und in die Slowakei und wurden in Lengyel-Kontexten deponiert in Zusammenhang mit großen zeremoniellen Anlagen mit mehreren konzentrischen Gräben (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 696; 2017, Kap. 18).
Alpine artefacts travelled further, and in new directions (Fig. 6.6). Several adze-heads of Bégude and flat Durrington type circulated northwards as far as Austria and Slovakia, being deposited in Lengyel contexts including large ceremonial enclosures with multiple concentric ditches (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 696; 2017, ch. 18).

Die hier erwähnte Lengyel-Kultur (4.900-4.000 v. Ztr.) (Wiki) ist offenbar ebenfalls eine kulturell reiche und farbenprächtige Bauernkultur gewesen. Hier auf dem Blog hatte uns schon die "Venus von Unterpullendorf" als eines der ältesten Frauenporträts Europas beeindruckt (Stg21), das aus dieser hervorgegangen war. Die Keramik der Lengyel-Kultur hat Verbreitung gefunden bis zu Fischer-Dörfern an der Pommerschen Ostseeküste (Stg17). Die Lengyel-Kultur könnte - vergleichbar der Cucutenni-Tripolje-Kultur in der Ukraine - größere kulturelle und genetische Kontinuität aufgewiesen haben im Vergleich zur Rössener Kultur weiter im Westen.

... in der Cerny- und Carnac-Kultur in Nordfrankreich (seit 4.600 v. Ztr.)  

Wir lesen weiter (1): 

Große Jade-Beile vom Bégude-Typ gelangten zusammen mit alpinen Scheibenringen auch nach Nordwesten in das Pariser Becken und bis 4600 v. Ztr. bis in die Bretagne (über das Languedoc), wo einige Jade-Beile vom Bégude-Typ offenbar zu einem als Bernon bekannten Typ umgeschliffen wurden.
Large Bégude-type adze-heads, along with Alpine disc-rings, also travelled northwestwards into the Paris Basin and, by 4600 BC, as far as Brittany (via Languedoc), where some Bégude-type adze-heads appear to have been repolished into a type known as Bernon (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 108 Alison Sheridan, Pierre Pétrequin, Anne-Marie Pétrequin et al. figs 54 and 72).

Pierre Pétrequin und Koautoren nehmen in ihrem Bericht über den Export von Jade aus den Westalpen nach Italien und Südosteuropa ab 4.700 v. Ztr. vor allem auch Bezug auf die hier auf dem Blog schon behandelten Königsgräber von Warna an der Küste des Schwarzen Meeres im heutigen Bulgarien (Stg21).

... in Warna am Schwarzen Meer (4.500 v. Ztr.)

Sie schreiben (2019, S. 109f):

... Die Verwendung umgestalteter Beilklingen aus den Alpen wurde auf dem Friedhof Warna I in Warna bis ins 45. Jahrhundert hinein fortgesetzt (Abb. 6.7: Pétrequin et al. 2012, Kap. 6). In Warna waren die Jade-Gesteine aus den Alpen nur eines von mehreren kostbaren, meist exotischen Materialien, die hochrangigen Toten begegeben wurden; zu den anderen gehörten Gold, hochwertiger Feuerstein, Obsidian und Spondylus-Muscheln. Die größte Konzentration alpiner Exporte in Südosteuropa stellt die Sammlung von mindestens 28 Axt- und Dechselköpfen unterschiedlicher Größe und Art alpiner Herkunft dar, die in Svoboda in Bulgarien niedergelegt wurden (Pétrequin et al. 2012, 1246‒1252). All diese Exporte aus den Alpen - darunter ein großer Anteil langer Axt- und Dechselklingen - waren eindeutig kostbare, exotische Besitztümer von Eliten innerhalb stark geschichteter Gesellschaften. Die Gesamtzahl der Alpenexporte nach Ost- und Südosteuropa war jedoch in dieser Zeit deutlich geringer als die Zahl der Exporte nach Frankreich. Vermutlich ist das darauf zurückzuführen, daß Kupfer in Ost- und Südosteuropa neben Gold das wichtigste Prestigematerial war: Tatsächlich haben wir es mit einem „Europa der Jade“ im Westen zu tun, wo Alpen-Jade das begehrteste Material war, und einem „Europa des Kupfers“ im Osten, wo Kupfer seinen Platz einnahm und zu schweren Werkzeugen und Schmuck verarbeitet wurde (Pétrequin et al. 2002; 2012, Kap. 27; 2017, Kap. 21, Abb. 12).
... The use of remodelled Alpine axeheads at Varna continued into the 45th century, at the Varna I cemetery (Fig. 6.7: Pétrequin  et al. 2012, ch. 6). At Varna the Alpine jades were just one of a series of precious,  mostly exotic materials that were buried with the high-ranking dead, the others  including gold, high-quality flint, obsidian and spondylus shell. The largest concentration of Alpine exports in southeast Europe is the set of at least 28 Alpine axe- and  adze-heads of various sizes and types, deposited at Svoboda, Bulgaria (Pétrequin et al.  2012, 1246‒1252). All these exports from the Alps - which include a high proportion  of long axe- and adze-heads - were clearly the precious, exotic possessions of elites  within markedly ranked societies. The overall number of Alpine exports to eastern and southeast Europe was, however, dramatically lower than the number travelling to France at the time. This is probably due to the fact that copper was the principal prestige material of choice in eastern and southeast Europe, along with gold: in effect, we are dealing with a “Europe of jade” in the west, where Alpine jades were the most sought-after material, and a “Europe of copper” in the east, where copper took its place, being made into heavy tools and jewellery (Pétrequin et al. 2002; 2012, ch. 27;  2017, ch. 21, fig. 12).

Das Kupfer-Beil spielt ja auch in der Geschichte des Frühen Urvolks der Indogermanen an der Mittleren Wolga eine Rolle, die in eben jener Zeit begann, als das Jade-Beil in der Bretagne Bedeutung bekam.

Von Archäologen ist mehrfach die Vermutung geäußert worden, die außerordentlich weite und schnelle Ausbreitungsbewegung der Urindogermanen von der Mittleren Wolga bis an das Schwarze Meer und bis zur Mittleren Donau nach Ungarn könne davon geleitet gewesen sei, in jene Länder zu kommen, wo das Kupfer ursprünglich herstammte, das bis an die Wolga gehandelt worden ist.

Jedenfalls können bei den Ethnogenesen an der Mittleren Wolga und in der Bretagne ähnliche Motive, Muster, Beweggründe und Mechanismen eine Rolle gespielt haben: Einheimische Jäger und Sammler treffen auf Bauernkulturen und bilden hierarchisch gegliederte Gesellschaften aus. Dabei bildet einerseits das Kupfer-Beil an der Wolga ein Faszinosum, während in der Bretagne das Jade-Beil ein Faszinosum bildet und zum begehrten Prestige-Objekt wird. 

... in der Carnac-Kultur in der Bretagne

Pétrequin und Koautoren schreiben weiter (1):

Die Entstehung einer hochdifferenzierten Gesellschaft am anderen Ende Europas, im Morbihan in der Südbretagne, ist mit der Nachfrage nach einer großen Zahl hochwertiger Axt- und Dechselklingen (insbesondere aus hellgrünem Porco-Jadeitit) sowie Scheibenringen aus den Alpen verbunden (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 698‒699, Kap. 16). Wie in Warna wurde diese Gesellschaft von einer kleinen Anzahl von Männer kontrolliert, die Exoten von nah und fern anlocken konnten. Anders als in Warna dienten die Objekte aus den Alpen jedoch nicht einfach als Statussymbole, sondern als heilige Objekte, die im komplexen Glaubens- und Bräuchesystem dieser Gesellschaft eine Rolle spielten, wie unten erläutert. Die Herrscher des Morbihan waren für die Errichtung riesiger Menhire und Steinsetzungen verantwortlich, die nach ihrem Tod in gewaltigen Hügeln vom Typ „Carnac“ wie dem Tumulus Saint-Michel begraben wurden. Die alpinen Axtklingen - zusammen mit Fibrolit-Axtköpfen und grünem Variszitschmuck, die beide aus Spanien importiert wurden - spielten eine wichtige Rolle in den Ritualen zur Festigung und Reproduktion dieser sozialen Ordnung. Den Anführern des Morbihan gelang es, einige der längsten bekannten Axtklingen aus alpiner Jade zu erwerben (Abb. 6.8) - darunter das längste, ein 46,6 cm lange Axtklinge vom Typ Rarogne, die zusammen mit mehreren anderen alpinen Axtklingen im Carnac-ähnlichen Hügel Mané er Hroëck niedergelegt wurde (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, Abb. 41 und 42). Sie waren auch für die Organisation der mühevollen Weiterbearbeitung vieler der alpinen Importe verantwortlich: Sie wurden dünner gemacht, um ihre Lichtdurchlässigkeit zu erhöhen, einige wurden perforiert, damit sie aufgehängt werden konnten, und sie wurden glasglänzend poliert. (Die visuelle Wirkung und Besonderheit dieser glasartigen Politur läßt sich am besten anhand neu hergestellter, experimenteller Axtklingen aus Alpenjade ermessen, deren Glanz auch durch langfristige Patinierung nicht getrübt wurde: Pétrequin et al. 2017, Kap. 2, Abb. 9, 12, 16 und 19 und S. 68.) Auf diese Art schufen sie Axttypen, die unverwechselbar und sofort als zu diesem Teil Frankreichs gehörend erkennbar waren, etwa den Typ Tumiac (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 649‒650 und Abb. 89). Diese werden zusammenfassend als Axtkklingen vom Carnac-Typ bezeichnet. Unter den Axttypen aus Alpengestein, die im Morbihan gefunden wurden, gibt es solche mit verbreiterten Klingen - ein Merkmal, das vermutlich, wie oben erwähnt, von der Form der Kupferaxtköpfe in Ost- und Südosteuropa beeinflußt wurde. Während einige - vom Typ Rarogne - in der Gegend des Monte Viso hergestellt wurden (Pétrequin et al. 2012, Abb. 80 und 81), wurden andere im Morbihan so umgeformt, daß sie Kupferäxten ähnelten (Pétrequin et al. 2012, 643‒648 und Abb. 84 und 85). Daß die Elite des Morbihan Kupferäxte kannte, die in über 2500 km Entfernung gebräuchlich waren, könnte auf indirekte Fernverbindungen - über die alpinen Jadearbeiter in Norditalien - mit den Kupfernutzern in Ost- und Südosteuropa zurückzuführen sein (Pétrequin et al. 2012, Kap. 27, Abb. 21). Die Verbindungen der Herrscher des Morbihan mit Iberien - Verbindungen, die grüne Variszitperlen und Fibrolit-Axte über lange Seereisen nach Norden brachten (Pétrequin et al. 2012, Kap. 16, 973‒976 und Abb. 34) - führten auch zum Auftreten alpiner Axte in dieser Zeit auf der Iberischen Halbinsel. Diese gehören meist zum Carnac-Typ (Pétrequin et al. 2012, Kap. 18 und 21; 2017, Kap. 21, Abb. 30) und sind nur wenige.
Fourthly, the emergence of a highly-differentiated society at the opposite end  of Europe in the Morbihan area of southern Brittany is associated with the demand  for a large number of top-quality axe- and adze-heads (especially of light green  Porco jadeitite), along with disc-rings, from the Alps (Pétrequin et al. 2012, ch. 11,  698‒699, ch. 16). As in Varna, this society was controlled by a small number of men who were able to attract exotica from far and wide, although unlike in Varna, the Alpine objects were deployed not simply as status symbols, but as sacred objects that  played a role in this society’s complex system of beliefs and practices, as discussed  below. The Morbihan rulers were responsible for the erection of huge standing stones and stone settings, and when they died they were buried in massive “Carnac”-type mounds such as the Tumulus Saint-Michel. The Alpine axeheads - along with fibrolite axeheads and green jewellery of variscite, both imported from Spain - featured prominently in the rituals associated with reinforcing and reproducing this social order. The Morbihan leaders succeeded in acquiring some of the longest known Alpine jade axeheads (Fig. 6.8) - including the very longest, a Rarogne-type axehead 46.6 cm long, that was buried along with several other Alpine axeheads in the Mané er Hroëck Carnac-type mound (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, figs 41 and 42). They were also responsible for organising the laborious re-shaping of many of the Alpine imports, thinning them to enhance their translucency, perforating some so that they could be suspended, and polishing them to a glassy polish. (The visual impact and  distinctiveness of this glassy polish can best be appreciated by viewing newly-made, experimental axeheads of Alpine jades, whose sheen has not been dulled by long￾term patination: Pétrequin et al. 2017, ch. 2, figs 9, 12, 16 and 19 and p. 68.) In this  way they created axehead types that were distinctive and immediately recognisable as belonging to this part of France, such as the Tumiac type (Pétrequin et al. 2012,  ch. 11, 649‒650 and fig. 89). These are collectively known as Carnac-type axeheads. Among the types of axehead made of Alpine rock that have been found in the Morbihan are ones with  expanded blades ‒ a feature arguably influenced by  the shape of copper axeheads in east and southeast  Europe, as noted above. While some ‒ the Rarogne  type ‒ had been made in the Monte Viso area (Pétrequin et al. 2012, figs 80 and 81), others were re-shaped in the Morbihan to make them resemble  copper axeheads (Pétrequin et al. 2012, 643‒648 and figs 84 and 85). The awareness, among the  Morbihannais elite, of copper axehead shapes that were current over 2500 km away may well be due to indirect long-distance connections ‒ via the Alpine jade workers of northern Italy ‒ with the copper users of eastern and southeast Europe (Pétrequin et  al. 2012, ch. 27, fig. 21). The connections that the Morbihan rulers had with Iberia ‒ connections that brought green variscite beads and axeheads of fibrolite northwards, via long-distance sea journeys (Pétrequin et al. 2012,  ch. 16, 973‒976 and fig. 34) ‒ also resulted in the  appearance of Alpine axeheads in Iberia during this  period. These are mostly of Carnac types (Pétrequin  et al. 2012, chs 18 and 21; 2017, ch. 21, fig. 30) and  they are few in number. 

In dieser Zeit wurde ein neuer Jade-Beil-Typ beliebt.

... vom Typ Altenstadt (ab 4.500 v. Ztr.)

Pétrequin und Koautoren führen weiter aus (1): 

Die fünfte und letzte wichtige Entwicklung in dieser Zeit war das Nachpolieren importierter alpiner Axte im Pariser Becken und wahrscheinlich auch in Burgund. In vielen Fällen geschah dies, um große, konvexe, tropfenförmige Äxte von Durrington – und insbesondere jene aus Jadeitit – in Kopien der beliebten und neuartigen Altenstadt-Form umzuwandeln, wie oben beschrieben (Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 669‒671). In einigen Fällen schliffen sie importierte Axtklingen nach, um entlang der Mitte jeder breiten Fläche einen Grat (manchmal Y-förmig) zu erzeugen (Abb. 6.8 und 6.9; Pétrequin et al. 2012, Kap. 11, 686‒689 und Abb. 125‒127); dies und ihre glasartige Politur verstärkten den optischen Effekt, wenn Sonnenlicht auf die Axtklingen fiel. Der Anteil der Beilklingen vom Altenstadt-Typ aus Jadeitit beträgt bemerkenswerte 93 % (Pétrequin et al. 2012, 671) - eine Tatsache, die die Bedeutung dieser Beil-Klingen als „Objektzeichen“ von hohem gesellschaftlichen Wert unterstreicht. So wurden, wie im Morbihan, einige wertvolle importierte Axtklingen aus den Alpen umgestaltet, um den kulturellen Vorlieben der Elitemitglieder der Gesellschaft zu entsprechen, die sie benutzten. Darüber hinaus lassen sich Beispiele für eine sukzessive Neupolitur in verschiedenen Gebieten identifizieren. So wurden einige Axtklingen vom Durrington-Typ im Pariser Becken, 550 km vom Ursprungsgebiet entfernt, in die Altenstadt- (und Greenlaw-)Form neu poliert und gelangten dann in das 900 km vom Ursprungsgebiet entfernte Morbihan, wo sie neu geschliffen und zu Axtklingen vom Tumiac-Typ neu poliert wurden (Pétrequin et al. 2012, Abb. 118).
The fifth and final key development during  this period was the repolishing of imported Alpine axeheads in the Paris Basin, and probably also in Burgundy. In many instances this was in order to convert large, convex, teardrop-shaped Durrington axeheads ‒ and in particular, those of jadeitite ‒ into  copies of the popular and novel Altenstadt form as  described above (Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 669‒671; ch. 16, fig. 1). In some cases they re-ground imported axeheads so as to create a ridge (sometimes Y-shaped) along the centre of each broad face (Figs 6.8 and 6.9; Pétrequin et al. 2012, ch. 11, 686‒689 and figs 125‒127); this, and their glassy polish, enhanced the visual effect when sunlight fell on the axeheads. The proportion of Altenstadttype axeheads made of jadeitite is a remarkable 93% (Pétrequin et al. 2012, 671) ‒ a fact that underlines the importance of these axeheads as “object-signs” of high social value. Thus, as in the Morbihan, some precious imported Alpine axeheads were transformed in order to accord with the cultural preferences of the elite members of society who used them. Moreover, examples of successive repolishing in different areas can be identified, with some Durrington-type axeheads being repolished into Altenstadt (and Greenlaw) form in the Paris Basin, 550 km from the source area, and then travelling to the Morbihan, 900 km from the source area, where they were reground and repolished into Tumiac-type axeheads (Pétrequin et al. 2012, fig. 118).

Weiter erfahren wir (1):

Insgesamt wurden über 60 Exemplare unter den gewaltigen Grabhügeln von Carnac gefunden (Pétrequin et al. 2012, 1398 und Abb. 41). Die Nachfrage nach großen alpinen Axtklingen war im Morbihan so groß, daß etwa 19 % aller westeuropäischen Exemplare (199 von 1040) dort gefunden wurden (Pétrequin et al. 2012, 1396).
The total of over 60 found under the massive Carnac mounds (Pétrequin et al. 2012, 1398 and fig. 41). Such was the demand for large Alpine axeheads in the Morbihan that some 19% of all examples from Western Europe (199 out of 1040) have been found there (Pétrequin et al. 2012, 1396).

Pétrequin und Koautoren kommen auch auf die Felsgravur von Buthier zu sprechen (1):

Daß es auch anderswärts ähnliche, von der Mythologie des Morbihan beeinflußte Mythologien gab, zeigt sich am deutlichsten an dem bemerkenswerten verzierten Findling in Buthiers (Seine-et-Marne), auf dem eine göttliche Figur - mit ziemlicher Sicherheit männlich - neben einer alpinen Axtklinge mit Stiel abgebildet ist, dessen Stielende von einem Scheibenring umgeben und mit Eberhauern als Jagdtrophäen verziert ist (Abb. 6.10; Pétrequin et al. 2017, Kap. 29, 884‒886 und Abb. 2). Auf der anderen Seite der Figur sind zwei Boote dargestellt - vermutlich eine Anspielung auf die Boote, die die Elite des Morbihan für ihre Fernreisen nutzte, übertragen in die Welt der Mythen und Legenden (Pétrequin et al. 2017).
That similar mythologies existed elsewhere, influenced by that of the Morbihan, is  most clearly shown in the remarkable decorated boulder at Buthiers (Seine-et-Marne),  where a divine figure – almost certainly male – is shown beside a hafted Alpine axehead, the end of the haft encircled by a disc-ring and embellished with hunting-trophy  boars’ tusks (Fig. 6.10; Pétrequin et al. 2017, ch. 29, 884‒886 and fig. 2). On the other  side of the individual is a representation of two boats – probably an allusion to the boats used by the Morbihan  elite in their long-distance  travels, but translated into the world of myth and legend  (Pétrequin et al. 2017).

Wie schon im letzten Beitrag ausgeführt, könnten die genannten Boote auch etwas mit dem Walfang zu tun gehabt haben, auf den in der Untersuchung von Urs Schwegler hingewiesen worden ist.

Wir finden also um 4.700 v. Ztr. reich ausdifferenzierte Gesellschaften in Europa vor, die fast vergleichbar sind mit jenen Gesellschaften, die zur gleichen Zeit an Euphrat und Tigris in Mesopotamien oder am Nil in Ägypten vorgefunden werden. Die Ausbildung hierarchischer Gesellschaften vollzog sich in Europa und im Vorderen Orient also nicht ganz so kraß zeitversetzt wie man sich das viele Jahrzehnte lang vorgestellt hat. Im Grunde hatte man traditionell die frühesten "großstaatlichen" Strukturen bei den Kelten in der Eisenzeit ab 500 v. Ztr. angenommen, und von denen Julius Caesar im 1. Jahrhundert v. Ztr. berichtet.

Die Geschichte hierarchischer Gesellschaften erweitert sich in Mittel- und Nordeuropa um nicht weniger als 4000 Jahre. 

______________

  1. Sheridan, Alison; Pétrequin, Pierre et al.: Fifty shades of green: the irresistible attraction, use and significance of jadeitite and other green Alpine rock types in Neolithic Europe. A Taste for Green: A global perspective on ancient jade, turquoiseand variscite exchange. Oxford, Oxbow (2019): 97-120 (Resg)
  2. Pierre Pétrequin, Serge Cassen, Michel Errera, Sheridan, Alison: The Europe of jade. From the Alps to the Black Sea. Sidestone Press, Leiden 2017
  3. Pierre Pétrequin: JADE, grandes haches alpines du néolithique européen, in Films du CRAVA (archéologie, ethnologie). CERIMES. (2009, 1 janvier). [Vidéo]. Canal-U. https://doi.org/10.60527/xxd7-g789. (Consultée le 27 juin 2025) (Yt) (CanalUTV)
  4. Holger Baitinger: Das jungneolithische Steinbeildepot von Altenstadt (Wetteraukreis) - neue Erkenntnisse zu einem alten Fundkomplex. Archäologisches Korrespondenzblatt 2017 (Heidelberger OJS-Journale - freies pdf: Heidelbg)
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