Mittwoch, 10. September 2025

Die Slawen - Entstehung und Ausbreitung im Frühmittelalter

Sie fand so statt, wie es die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert annimmt

Wir Deutschen sind unserer Herkunft nach Germanen. So haben wir immer gedacht. Südlich des Mains aber stammen wir Deutschen etwa zur Hälfte von Kelten ab (Stg2024). Und östlich der Elbe - sowie auch in Ostbayern und in Österreich - stammen wir zu 10 bis 40 % von Slawen ab. Die Sorben im Spreewald und in der Lausitz stammen sogar zu 88 % von Slawen ab. So lautet das Ergebnis einer neuen archäogenetischen Studie von Seiten der Arbeitsgruppe rund um Johannes Krause in Leipzig (1) (IDW). 

Abb. 1: Eine typische Halskette der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.), vermutlich des Urvolkes der Slawen - Gefunden im Wald bei dem Dorf Werchnja Syrowatka (Wiki) im ukrainischen Oblast Sumy, Nordostukraine  (Wiki)

Konsequenterweise sollte dasselbe, was für die Sorben gilt, dann auch etwa für die Kaschuben in Westpreußen gelten, für die "wasserpolnisch" sprechenden Oberschlesier, für die Slowenen in Kärnten oder für andere slawische "Reliktbevölkerungen" im deutschsprachigen Raum.

In welchem Umfang umgekehrt Polen, Tschechen, Slowaken und Slowenen von Germanen abstammen aus Regionen westlich der Elbe und westlich von Bamberg, Passau und Salzburg, wird sicherlich in künftigen Studien noch genauer heraus gearbeitet werden. Man wird annehmen können, vom Umfang her vielleicht ähnlich wie die Sorben.

Archäologisch scheint sich nach derzeitigem Stand die Ethnogenese der Slawen im Rahmen der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) vollzogen zu haben im Süden Weißrußlands und im Norden der Ukraine, zwischen den Pripjet-Sümpfen im Westen und dem Oberen Dnjepr im Osten - umgeben von den Goten im Westen, den Sarmaten im Osten und ab 375 n. Ztr. von den Hunnen im Süden (1).

Diese Studie dürfte den letzten Sargnagel darstellen für die Theorie von der vorgeblichen "Slawenlegende" (Wiki), nach der es eine frühmittelalterliche Ausbreitung von Slawen aus der Region östlich der Pripjet-Sümpfe gar nicht gegeben habe. Wir werden zu dieser Theorie von der "Slawenlegende", die immer nur von Randgruppen innerhalb der Wissenschaft vertreten wurde, am Ende dieses Beitrages noch einige Erläuterungen gegeben. 

Zunächst einmal aber die neue Studie selbst. In ihr wurden mehrere hundert Menschenreste aus der Zeit der Völkerwanderung und danach analysiert aus Sachsen-Anhalt und aus Thüringen, und zwar von Gräberfeldern aus der Nähe 

  • von Deersheim nördlich des Harzes,
  • von Brücken-Hackpfüffel südlich des Harzes,
  • von Steuden und Niederwünsch südwestlich von Halle, 
  • von Obermöllern westlich, sowie 
  • von Rathewitz östlich von Naumburg an der Saale.

Es handelt sich also um eine Region grob zwischen Braunschweig und Leipzig (s. GMaps) (Abb. 4).

Abb. 2: Der 2010 gefundene Brjansker Schatz (Wiki) aus der Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Historia

Diese Region wurde verglichen mit schon publizierten Archäogenomen aus den Regionen Polen-Nordwestukraine, sowie Nordwest-Balkan. Bevor von der Slawenzuwanderung berichtet wird, kommt die Studie zunächst noch auf folgendes, außerordentlich überraschendes Ergebnis über die Zeit davor, über die Völkerwanderungszeit zu sprechen. Und zwar ist die Rede von Menschenfunden von den Fundorten bei Brücken südlich des Harzes, sowie von Obermöllern und Rathewitz bei Naumburg an der Saale (1):

Überraschenderweise stellten wir eine hohe Anzahl von Individuen mit nicht-lokaler, südeuropäischer Abstammung in der Elbe-Saale-Region Ostdeutschlands während der Völkerwanderungszeit fest, obwohl diese Region nie Teil des Römischen Reiches war. (...) Wir ermitteln an allen vier untersuchten völkerwanderungszeitlichen Fundorten der Region einen durchschnittlichen Anteil südeuropäischer Abstammung zwischen etwa 15 % und 25 %. (...) Obwohl über die Gründe und Umstände ihrer Einwanderung in die Elbe-Saale-Region nur spekuliert werden kann, paßten sich diese Neuankömmlinge offenbar den Kleidungs-Gewohnheiten und Traditionen der einheimischen Bevölkerung an, was zu einer recht homogenen materiellen Kultur innerhalb einer Gruppe von Individuen mit unterschiedlichem genetischen Hintergrund führte.
Unexpectedly, we detect a high number of MP individuals with non-local, Southern European ancestry in the Elbe-Saale region of Eastern Germany, although this area was never part of the Roman Empire. Using qpAdm36,37, we measure on average between approximately 15% and 25% of Southern European ancestry in all 4 MP sites of the region. (...) Although the causes and circumstances of their movement to the Elbe-Saale region remain open for speculation, these newcomers apparently adapted the fashions and traditions of the local populations, resulting in a rather homogenous material culture within a group of individuals with diverse genetic backgrounds.

Das heißt, die bestatteten Individuen nordeuropäischer, südeuropäischer oder gemischter Abstammung unterschieden sich in den feststellbaren kulturellen Merkmalen - wie Grabart oder Grabausstattung - nicht voneinander.

Abb. 3: Die Westausbreitung der slowenischen Karantanen nach Kärnten, Oberösterreich und bis Osttirol ab 590 n. Ztr.

Brachten hier Krieger vom Stamm der Thüringer, die Militärdienst im römischen Reich geleistet hatten, "Kriegskameraden" aus dem Süden mit? Oder Ehefrauen? In der Studie wird diese Frage bewußt völlig offen gelassen. 

Es heißt dann weiter (1):

Diese Vielfalt ist jedoch in der darauffolgenden slawischen Zeit verschwunden. Im Gegensatz zur vorhergehenden Völkerwanderungszeit hat sich das genetische Profil Ostdeutschlands während der slawischen Zeit erheblich verschoben und überschneidet sich nun fast ausschließlich mit dem von heutigen slawischsprachigen Bevölkerungsgruppen (z. B. von Polen und Weißrussen), was auf einen grundlegenden Austausch der genetischen Abstammung hindeutet (Abb. 2b,c). Ein ähnliches Muster ist auf dem Nordwestbalkan, in Polen und in der Nordwestukraine sowie in der Wolga-Oka-Region in Rußland zu beobachten. Dies verdeutlicht, daß dieser Zustrom neuer genetischer Herkunft nicht auf bestimmte Regionen beschränkt war, sondern weite Teile Mittel- und Osteuropas betraf. Das stimmt mit den eher einfachen, sehr ähnlichen archäologischen Horizonten überein, die während der slawischen Zeit zu beobachten sind.
However, this diversity had collapsed in the subsequent SP (Supplementary Note 6). In contrast to the preceding MP, the genetic profile of Eastern Germany during the SP has shifted considerably and clusters nearly exclusively with present-day Slavic-speaking populations (for example, Poles and Belarussians), indicative of a fundamental replacement of genetic ancestry (Fig. 2b,c). A similar pattern is seen in the Northwestern Balkans, Poland–Northwestern Ukraine as well as the Volga-Oka region in Russia28, illustrating that this influx of new genetic material was not limited to certain regions but affected wide areas of Central and Eastern Europe, consistent with the rather simple, very similar archaeological horizons observed during the SP.

Genau jene Sachverhalte, die hier benannt sind, sind der Sargnagel für jede andere Theorie zur Entstehung und Ausbreitung der Slawen.

Abb. 4: Archäogenetisch erforschte Fundorte zur Westausbreitung der Slawen - Zwischen Braunschweig und Leipzig ab 650 n. Ztr. (GMaps)

In der im Zitat erwähnten Abb. 2c - hier im Beitrag als Abb. 5 eingestellt - ist dieser Bevölkerungsaustausch auf einer Grafik zur Hauptkomponentenanalyse der genetischen Verwandtschaft aufgetragen und veranschaulicht. Wir sehen im Nordwestbalkan während der Völkerwanderungszeit mehrheitlich südeuropäische Herkunft - aber auch nordeuropäische Herkunft (hellgelbe Punkte). Die ersteren gehen auf die romanische Bevölkerung zurück, die letzteren auf die germanischen Zuwanderer (Goten, Langobarden und andere). Wir sehen, daß in Thüringen während der Völkerwanderung das genetische Spektrum sehr stark Richtung Germanen hin verschoben ist. Aber auch die überraschenden 15 bis 25 % südeuropäische Herkunft sind zu sehen (hellrote Punkte). Wir sehen in Polen und der Nordwest-Ukraine während der Völkerwanderung fast nur germanische Genetik (hellblaue Punkte). Das waren vor allem die Goten.

Dann verschwindet die vorhergehende Bevölkerung in allen drei Regionen völlig. Die südeuropäische Herkunft im Nordwest-Balkan verschwindet. Die vorwiegend nordeuropäische Herkunft in Thüringen verschwindet und die nordeuropäische Herkunft in Polen und in der West-Ukraine verschwindet. In allen drei Regionen taucht eine neue osteuropäische Genetik auf, die in allen drei Regionen einander sehr ähnelt (orangene, dunkelrote und dunkelblaue Punkte). Dabei weist die polnisch-westukrainische Raum noch die vergleichsweise größte genetische Vielfalt auf. Und man sieht, daß Teilpopulationen dieser Vielfaltsverteilung sich einerseits nach Thüringen und andererseits in den Nordwest-Balkan-Raum ausgebreitet haben. Im Nordwest-Balkan-Raum scheint dabei noch am ehesten eine gewisse Vermischung mit der vorhergehenden Bevölkerung vor Ort stattgefunden zu haben - in Thüringen und Polen-Westukraine deutlich weniger.

Abb. 5: Der Bevölkerungsaustausch beim Übergang von der Völkerwanderungszeit zur slawischen Zeit (aus 1)

Was für ein faszinierender Vorgang. Faszinierend wegen seiner Eindeutigkeit. Und was für ein sonderbares Geschehen zugleich: In weite Räume zwischen Elbe, Drau und Dnjepr, in denen kurz zuvor noch Germanen gesiedelt hatten, breiten sich nun Slawen aus. Wohin sind die Germanen verschwunden? Was geschah denn nun sogar mit den Thüringern?

Das Reich der Thüringer ist 531 von den Franken zerschlagen worden, möglicherweise in Zusammenarbeit mit den Sachsen. Wir lesen (Wiki):

Das Reich wurde zerschlagen und unter den Siegern aufgeteilt. Das Gebiet nördlich des Harzes ging vermutlich an die Sachsen, der Süden wohl an die Franken. Die Gebiete östlich der Saale konnten von den Franken nicht gehalten werden und wurden von Slawen besiedelt. Als Tribut wurde den südlichen Thüringern der sogenannte Schweinezins auferlegt, demzufolge sie dem fränkischen Königshof jährlich 500 Schweine liefern mußten. Das Iringlied erzählt eine von den Ereignissen inspirierte Geschichte vom Untergang des Reiches der Thüringer und dem Ende Herminafrieds. 

Aber das Iringlied (Wiki) ist nicht erhalten. Sein Inhalt aber ähnlich erschütternd wie das Nibelungenlied. Den Zeitgenossen war das Erschütternde des Untergangs ganzer germanischer Königsreiche und Volksstämme durchaus bewußt und wurde dementsprechend auch in Liedern festgehalten. Er beruhte oft auf Mord innerhalb der eigenen Verwandtschaft.

Abb. 6: Die Westausbreitung der slawischen Stämme in siedlungsarme Räume 650/700 n. Ztr.

Jetzt zunächst, was in der Studie selbst dazu ausgeführt wird (1):

Die Thüringer blieben und gründeten ein Königreich, das die Elbe-Saale-Region umfaßte. Nachdem die Franken dieses Königreich in den 530er Jahren unterworfen hatten, ging die Bevölkerung zurück, einige Gräberfelder wurden jedoch weiter genutzt. Im 7. Jahrhundert werden Slawen erstmals östlich der Saale erwähnt, sie dehnten sich jedoch bald nach Westen aus und bildeten eine Kontaktzone zwischen slawisch- und germanischsprachigen Gruppen.
The Thuringians stayed and established a kingdom, which included the Elbe-Saale region13,14. After the Franks subdued this kingdom10,15 in the 530s, the population declined, while some cemeteries continued14,16. During the seventh century, Slavs are first mentioned east of the Saale, but they soon expanded westward17, forming a contact zone between Slavic- and Germanic-speaking groups.

Warum ging die Bevölkerung zurück? Warum ging die Bevölkerung östlich der Elbe zurück, während dasselbe doch westlich der Elbe gar nicht zu beobachten war? Fragen, zu denen es vermutlich noch wenig Antworten gibt.

Ab 540 n. Ztr. breiten sich Slawen-Stämme in die von den Goten verlassenen Gebiete nördlich der Unteren Donau aus. Sie überschreiten auch die Donau und unternehmen Plünderungszüge in die dortigen oströmischen Provinzen (Wiki). Ab 590 n. Ztr. stößt der Slowenen-Stamm der Karantani in den Alpenraum vor und besiedelt Kärnten (Wiki). Die Herrschaftseinsetzung des Fürsten von Karantanien erfolgte bis ins 15. Jahrhundert hinein auf Slowenisch an dem "Fürstenstein" (Wiki) nördlich des heutigen Klagenfurt von Seiten eines Freibauern. Wir lesen (1):

Wir kommen zu der Einschätzung, daß ungefähr 82 ± 1 %, 83 ± 6 %, 93 ± 3 % und 65 ± 4 % des lokalen Genpools im Nordwestbalkan, in Ostdeutschland, in Polen-Nordwestukraine und im Wolga-Oka-Tal während der slawischen Zeit durch Migranten aus Osteuropa ersetzt worden sind.
We calculate that approximately 82 ± 1%, 83 ± 6%, 93 ± 3% and 65 ± 4% of the local gene pool in the Northwestern Balkans, Eastern Germany, Poland–Northwestern Ukraine and the Volga-Oka valley, respectively, were replaced during the SP by migrants from Eastern Europe.

Das bedeutet also für das Elb-Saale-Gebiet 83 % neue genetische Herkunft. Von den vorher dort lebenden Germanen hätten sich dementsprechend 17 % der genetische Herkunft gehalten - als Herkunft der verbliebenen Restbevölkerung. 

Abb. 7: Der Svantevit-Stein, verbaut in der Kirche von Altenkirchen auf Rügen (Wiki) - Entweder der Grabstein eines Slawenfürsten oder die Darstellung eines Priesters des Gottes Svantevit aus der Zeit vor 1168

Anhand dieser Daten wird auch ausdrücklich einer Studie von 2023 widersprochen, die von einer genetischen Kontinuität in der Provinz Posen zwischen Mittelbronzezeit und dem Mittelalter ausgegangen war, und die wir hier auf dem Blog auch behandelt hatten (s. Stg2023), und die mit der Theorie von der "Slawenlegende" noch zusammen gepaßt hätte. Auch unsere eigenen, diesbezüglichen Überlegungen (s. Stg2023) zu dieser angenommenen Kontinuität dürften sich damit weitgehend erledigt haben.

Abb. 8: Wenden auf dem Felde beim Vesper (1876 - ?) (Ak)

Weiter heißt es in der Studie über die Fortdauer der slawischen Genetik im heutigen Deutschland (1):

Wir stellen eine ausgeprägte Dualität im Westen, das heißt, in Ostdeutschland fest: Die heutige deutschsprachige Bevölkerung Sachsens weist einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von etwa 40 % auf, während die slawischsprachigen Sorben der Oberlausitz (Sachsen) einen slawischen, genetischen Herkunftsanteil von 88 % aufweisen (vergleichbar mit den heutigen Polen) (...). Dies steht im Einklang mit früheren Studien zur genetischen Abgeschlossenheit der Sorben und ist damit vereinbar, daß sie die Nachkommen dieser slawischen Gruppen darstellen, die ab dem 12. Jahrhundert nur minimal (oder zumindest weniger) in die reproduktiven Netzwerke der sich ausbreitenden deutschsprachigen Besiedlung östlich von Elbe und Saale integriert waren. Umgekehrt vermuten wir, daß die deutsche Ostsiedlung und die frühere fränkische Eroberung wahrscheinlich mit dem Rückgang der slawischen Abstammung in der deutschsprachigen Bevölkerung in Zusammenhang stehen.
We observe a profound duality to the west, in Eastern Germany, with the present-day German-speaking population from Saxony exhibiting around 40% SP ancestry and the Slavic-speaking Sorbs of Upper Lusatia (Saxony) exhibiting 88% SP ancestry (comparable to modern Poles) (Extended Data Fig. 7). This agrees with previous studies on the genetic isolation of the Sorbs33,48 and is consistent with them representing the descendants of these Slavic groups that were minimally (or at least less) integrated into the reproductive networks of the expanding German-speaking settlement east of Elbe and Saale from the twelfth century onwards49,50,51. Conversely, we suggest that the German eastward expansion and earlier Frankish conquest is probably associated with the reduction in SP ancestry observed in the German-speaking population.

Welche Fülle von Schlußfolgerungen lassen sich aus diesen Angaben ziehen. In fast allen Regionen östlich der Elbe und östlich des Oberlaufes Drau sind aus der slawischen Zeit Volksstämme bekannt. Die Heveller etwa im Land Brandenburg, die Karantanen in Kärnten.

Es ist ja auch bekannt, daß die deutschen Siedler des Hochmittelalters Dörfer anlegten neben den bis dahin bestehenden Fischerdörfern, den weiter bestehenden "Kiezen" (Wiki).

Abb. 9: Wenden-Hochzeit im Spreewald! - Ein wendischer Hochzeitszug mit dem Brautpaar an der Spitze, welcher heute noch nach alter Tradition ausgeübt wird, April 1931. Osterkirchgang. Fotograf: Georg Pahl (Wiki) (weitere Fotografien dazu: ab).

Der Autor dieser Zeilen selbst stammt zur Hälfte von Brandenburgern ab - und diese offensichtlich zu bis zu 40 % von den Hevellern oder auch den Wenden (Wiki). Zudem stammt er zu einem Achtel von Oberösterreichern ab, die auch einen slawischen Herkunftsanteil in sich tragen werden. Er ist also seiner Herkunft nach ein 20%- bis 30%iger Heveller - laut Ancient Origin-Analyse von MyHeritage (Stg2025), bzw. ein "Stodorane", so der Eigenname der Heveller (Wiki):

Das Siedlungsgebiet der Heveller erstreckte sich von Spandau entlang der Fluß- und Seeufer des Havelbogens über Brandenburg an der Havel bis hinter Rathenow. In dieses von der Geschichtswissenschaft erschlossene Siedlungsgebiet wanderten dem archäologischen Befund zufolge Anfang des 8. Jahrhunderts slawische Gruppen ein. Die ältesten slawischen Dendrodaten stammen aus dem Jahr 736. Hauptburg und Sitz des Herrschers war seit dem 10. Jahrhundert die Brandenburg. Diese ist dendrochronologisch auf das Jahr 906 datiert. Die übrigen Burgen der Heveller – der Bayerische Geograph berichtet von insgesamt 8 Burgen („civitates“) – entstanden bereits ab 870. Dazu gehörten Rathenow, Potsdam und Spandau.

Aus einigen Adelsgeschlechtern der Heveller gingen womöglich auch Teile des märkischen Uradels hervor, zum Beispiel die Familie Kahlbutz (Wiki) aus Kampehl bei Ruppin. Zu einem dieser märkischen Adelsgeschlechter hat auch meine Oma immer eine besondere Verbindung empfunden (in ihrem Fall zur Familie von Katte in Zolchow) (s. Prbl2017, a).

Wie spannend auch, daß wir Heveller, Sorben, Kaschuben, Oberschlesier, Slowenen und so weiter jetzt über Gentests nachweisen können, ob und in welchem Umfang wir solcher Herkunft sind, oder ob wir etwa eher Nachkommen "slawisierter" zugewanderter Deutscher sind.

Abb. 10: Kirchgang im Spreewald! - Alte Wendinnen aus Burg in der traditionellen Spreewaldtracht nach dem Kirchgang bei der Unterhaltung auf der Straße, März 1931 - Fotograf Georg Pahl (Wiki)

Ich habe auch die Vermutung, daß sich der slawischen Herkunftsanteil in bäuerlichen Unterschichten östlich der Elbe in größerem Umfang gehalten haben könnte (also in den "Kiezen") also unter den sogenannten Fischern und Halbbauern als auf den Vollbauern auf den Dörfern. Denn letztere haben in früheren Jahrhunderten immer unter sich geheiratet. Und unter diesen finde ich zumindest in meinem Stammbaum fast nur deutsche Familiennamen (Bading, Mohr, Meinecke und so weiter), während mir der Familienname meiner Halbbauern-Oma Bleis slawisch anmutet - so wie auch ihr Äußeres und das Äußere ihrer Familie (Preußenbl2017). Allerdings scheinen die Familiennamen auch in ihrem Stammbaum vorwiegend deutscher Herkunft zu sein (z.B. Eggert, Rahne, Wollbrügge).

Die Ethnogenese des Urvolks der Slawen östlich der Pripjet-Sümpfe

Die Forscher der neuen Studie schlußfolgern aus ihren Daten, daß sich die Ethnogenese der Slawen um 1000 v. Ztr. vollzogen haben muß. Um diese Zeit herum sollen sich die nachmaligen baltischen Völker (Prußen, Masuren, Litauer, Letten) (Wiki) von den nachmaligen slawischen Völkern getrennt haben. Die Slawen tragen zwei Drittel baltische Herkunft in sich und ein Drittel einer Herkunft - mit höherem anatolisch-neolitischen Bauern-Anteil - dessen Ursprung noch nicht genau lokalisiert werden kann.

Man möchte übrigens vermuten, da es die räumliche Nähe zu den Hunnen und Awaren war, die die Slawen dazu brachte, sich nach Westen auszubreiten. Denn sonst hätten dies ja auch die baltischen Völker tun können. In der Studie heißt es (1):

Wir schließen daraus, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine erstreckt, der beste räumliche Annäherung für die Herkunft der slawisch-zeitlichen Individuen unserer drei Studien-Regionen ist.
We infer a region spanning the south of Belarus and north of Ukraine as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transect.

Im Anhang heißt es zu diesen Fragen (1, Anhang, S. 127):

Mit phylogenetischen linguistischen Methoden wurde der Zeitpunkt der Trennung der slawischen und baltischen Sprachen im Mittel auf 1660 v. Ztr. (95 % HPD 3040-530 v. Chr.) berechnet. Archäologisch gesehen folgte auf die Kulturen der Spätbronzezeit in den Gebieten, in denen dieser Vermischungsprozess stattgefunden zu haben scheint, die Milograd-Kultur (ca. 7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) in Weißrussland und der Nordukraine, die später allmählich von der Zarubintsy-Kultur (ca. 3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) abgelöst wurde. Aus der Zarubintsy-Kultur entwickelte sich im 2. Jahrhundert n. Chr. im selben Gebiet die sogenannte Kiewer Kultur (in ihrer Frühphase auch als Post-Sarubintsy-Kultur bekannt), die erste materielle Kultur, die Ähnlichkeiten mit jenen frühmittelalterlichen Kulturphänomenen aufweist, die sicher den frühen Slawen zugeordnet werden können.
Tatsächlich stimmt die geografische Ausdehnung der Milograd-, Zarubintsy- und Kiewer Kulturen in der Nordukraine, Weißrußland und Westrußland gut mit unseren aDNA-Berechnungen überein. Mithilfe von MOBEST schließen wir, daß eine Region, die sich über den Süden von Weißrußland und den Norden der Ukraine entlang des Flusses Dnjepr im heutigen Polesien erstreckt, der beste räumliche Indikator für den Ursprung der SP-Individuen in unseren drei Untersuchungstransekten ist. Ein solches Gebiet steht zudem im Einklang mit dem archäologischen Konsens, der die Entstehung der Slawen als ethnische Gruppe im südlichen Bereich der Waldzone, hauptsächlich im oberen Dnjepr-Becken, verortet.
With phylogenetic linguistic methods, the divergence time of the Slavic and Baltic languages was calculated at a median time of 1660 BCE (95% HPD 3040 – 530 BCE)146. Archaeologically, the Late Bronze Age cultures in the areas where this process of admixture seems to have taken place were followed by the Milograd Culture (c. 7th c. BCE-1st c. CE) in Belarus and Northern Ukraine, which was later gradually replaced by the Zarubintsy culture (c. 3rd c. BCE - 1st c. CE). From the Zarubintsy culture, the so-called Kyivan culture (also known as the post-Zarubintsy culture during its early phase) developed during the 2nd century CE in the same area, which is the first material culture featuring similarities with those early medieval cultural phenomena that can be surely associated with early Slavs. 
Indeed, the geographical extent of the Milograd, Zarubintsy  and Kyivan cultures in Northern Ukraine, Belarus and Western Russia agrees well with our aDNA evidence. Using MOBEST, we infer a region spanning the South of Belarus and North of Ukraine along the Dnjepr river in present-day Polesia as the best spatial proxy for the origin of the SP individuals in our three study transects. Such an area is further consistent with the archaeological consensus which locates the formation of the Slavs as an ethnic group in the southern area of the forest zone, mostly in the upper Dnjepr basin.

Die Kiewer Kultur (2.-5. Jhdt. n. Ztr.) (Wiki) (WikiCom) und ihre Vorgängerkulturen grenzten im Norden an baltische Volksstämme, im Westen an die Goten und im Osten und Süden an die Sarmaten. Die Hunnen stießen im Süden von ihnen durch das Siedlungsgebiet der Sarmaten hindurch nach Westen. Die Kiewer Kultur entstand aus der Sarubinzy-Kultur (3.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). Deren Vorgänger-Kultur war die Milograd-Kultur (7.-1. Jhdt. v. Ztr.) (Wiki). 

Abb. 11: Sorbinnen an der Dreschmaschine, 1930er Jahre (Ausschnitt - Sorabicon)

In Böhmen entstand dann im Zuge der Westausbreitung die Prag-Koltschak-Kultur (Wiki), in Mecklenburg und Pommern ab 590 v. Ztr. die Sukow-Dziedzice-Gruppe (Wiki).

Christliche Berichterstatter haben - wenn auch durch ihre christliche Brille hindurch - so doch manches Wertvolle über die heidnische Religion, sowie die heidnischen Sitten der Slawen berichtet. Sie berichten insbesondere von ihrer großen Gastfreundlichkeit, Herzlichkeit, Offenheit und ähnlichen Eigenschaften (2). 

Es gibt auch mancherlei Erkenntnisse zur slawischen Mythologie (Wiki). Auch in der slawischen Mythologie entsteht die Welt - wie in der urindogermanischen Mythologie und wie noch im Orpheus-Mythos - aus einem "Urei".

Zur vorgeblichen "Slawenlegende"

Während des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde im Rahmen des sogenannten "Volkstumskampfes" zwischen Deutschen und Slawen von verschiedenen deutschen Wissenschaftlern infrage gestellt, daß die Slawen tatsächlich im Frühmittelalter von vormaligen Germanenstämmen verlassene Räume östlich der Elbe, des Bayerischen Waldes und bis Ostbayern und Kärnten hinein besiedelt hätten.

Unter deutschen Vertriebenen werden diese Ansichten zum Teil noch heute vertreten - wie sich auch in verschiedenen Kommentaren hier auf dem Blog in den letzten Jahren gezeigt hat. Es wurde die Meinung vertreten, die ostgermanischen Stämme wären gar nicht vollständig abgewandert, sondern in Teilen in ihrer Heimat zurück geblieben und später "slawisiert" worden, und zwar durch das sogenannte "Kirchenslawische" (Wiki), das im Rahmen der Slawenmission durch Kyrill und Method eingeführt worden sei.

Vertreter solcher Sichtweisen waren vor allem der Breslauer und Kieler Germanist Professor Walther Steller (1895-1971) (Wiki) (Sühnekreuz), sowie in seiner Nachfolge der emeritierte Münchener Professor Helmut Schröcke (1922-2018) (Wiki). Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer sogenannten "Slawenlegende" (Wiki). Es würde sich dabei mehr oder weniger um eine bewußte Geschichtsfälschung der Kirche handeln (3). 2015 erschien ein Buch, dessen Titel diese Theorie gut auf den Punkt bringt: "Der Slawen-Mythos - Wie aus Ostgermanen ein Volk der 'Slawen' mit fremder Sprache und Mythologie wurde". Es stammt von einem - offenbar schwer okkultgläubigen - Berliner Autor namens Árpád von Nahodyl Neményi (geb. 1958) (Wiki).

Wir hatten schon in früheren Beiträgen hier auf dem Blog angedeutet, daß sich die Erkenntnisse der Archäogenetik in den letzten Jahren in eine andere Richtung bewegen als von dieser kleinen Minderheiten-Meinung innerhalb der Wissenschaft angenommen. 2022 hatten wir darauf hingewiesen, daß die Goten genetisch ausgestorben sind und durch Slawen ersetzt worden sind (Stg2022, s.a. Stg2022a). Und wir hatten im selben Jahr im Artikel über die Archäogenetik des antiken Griechenlands hervor gehoben, daß die antiken Griechen weniger Steppengenetik in sich trugen als die heutigen Griechen (Stg2022b), ...

... die noch einen weiteren Zufluß dieser indogermanischen "Steppen"-Herkunft durch die Slawen des Frühmittelalter erhalten haben.

Und 2023 hatten wir getitelt "An der mittleren Donau - Die Goten sterben aus, unter den Awaren kommt es zur Zuwanderung der Slawen" und hatten als Grundgedanken formuliert "Unter den Großreichen von Turk-Völkern organisiert sich die slawische Völkerwelt" (Stg2023):

Die slawische Völkerwelt formierte und organisierte sich somit im Rahmen der Großreiche von Turk-Völkern und bestand dann bis heute fort, während jene Turk-Völker, von denen diese Großreiche getragen und organisiert gewesen waren - die Hunnen, Bulgaren, Awaren und Landnahme-Ungarn - heute in den meisten Teilen genetisch, sprachlich und kulturell längst wieder untergegangen sind.

Vermutlich ist auch diese These mit der neuen Studie bestätigt. Wir hatten auch auf den sehr differenzierten Wikipedia-Artikel zur Ethnogenese der Kroaten (Wiki) hingewiesen und diesen zitiert.

Abb. 12: Zwei Sorbinnen aus Bautzen 1950 (Wiki)

2023 waren wir zwischenzeitlich auch Theorien nachgegangen, nach denen sich die Ethnogenese der Slawen im südlichen Ostpreußen während der Mittelbronzezeit vollzogen haben könnte (Stg2023), was die neue Studie so nicht findet. Außerdem fragten wir in dem damaligen Beitrag anhand einer weiteren Theorie (Stg2023):

Eine Studie stellt genetische Kontinuität in der Provinz Posen von der vorgotischen Bevölkerung bis ins Mittelalter fest. 

Auch das ist durch die neue Studie nicht bestätigt worden, wie oben schon erwähnt wurde. Letztes Jahr hatten wir dann auf die "slawischen" Herkunftsanteile in Ostbayern hingewiesen (Stg2024),  

Außerdem noch der Hinweis: In der traditionellen "Rasseforschung" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde wie selbstverständlich ausgegangen von der Existenz einer sogenannten "ostischen Rasse". Schon 2019 hatten wir hier auf dem Blog hervor gehoben, wie wenig sich die slawischen und die germanischen Mitteleuropäer in ihrer groben Herkunftsgruppenzusammensetzung voneinander unterscheiden (Stg2019, s.a. Stg2022). Der kenntnisreiche "Nrken19" postet neuerdings dazu (X):

Proben aus der Zeit der slawischen Westausbreitung aus Polen weisen 45 % Steppengenetik, 16 % westeuropäische Jäger-Sammler-Genetik (WHG), 36 % anatolisch-neolithische Bauern (EEF) und 2 bis 3 % sibirische Genetik auf, während die deutschen Proben 49 % Steppe, 17 % WHG, 34 % EEF und 0 % sibirische Genetik aufweisen.
Slavic period samples from Poland score 45% steppe, 16% WHG, 36% EEF and 2 to 3% Siberian while the German ones score 49% steppe, 17% WHG, 34% EEF and 0% Siberian.

Auch vier Prozent Unterschied im Anteil der Steppengenetik mögen schon - wie wir inzwischen wissen - insgesamt einen Unterschied machen. Dennoch sind die Unterschiede insgesamt gesehen denkbar gering. Es könnte allerdings auch vermutet werden, daß sich diese genetisch ähnlichen Völkergruppen Jahrtausende lang getrennt voneinander weiter entwickelt haben und deshalb sich über Selektion die Unterschiede doch noch in einer Weise vergrößert worden sind, die sich allein anhand der Herkunftsgruppen-Zusammensetzung gar nicht erkennen läßt.

Jedenfalls wird deutlich, daß es innerhalb dieses Blogbeitrages viele Anknüpfungspunkte gibt, denen künftig noch weiter nachgegangen werden kann - jetzt nachdem wir in dieser Frage im Grundsätzlichen endlich festen Boden unter den Füßen haben.  

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  1. Joscha Gretzinger, Felix Biermann, Hellen Mager, (...) Harald Meller, Walter Pohl, Zuzana Hofmanová, Johannes Krause: Ancient DNA connects large-scale migration with the spread of Slavs. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09437-6. Published 03 September 2025 (Nature)
  2. Kurt von Zydowitz: Glaubensumbruch ein Verhängnis. 700 Jahre germanisch-deutsche Geschichte. Band 3: Geschichte der Deutschen im Osten. Verlag Mein Standpunkt, Westerstede 1984
  3. Wolff, Franz: Ostgermanien. Schwertine-Verlag 1965; ders.: Ostgermanien. Waren die Ostvölker Slawen? Widerlegung einer polnischen Legende. Grabert-Verlag, Tübingen 1977

Freitag, 1. August 2025

Die antik-griechischen Bronzeskulpturen

Eine Zusammenstellung 

Die Statue eines Epheben (1530)

Die italienische Stadt Pesaro liegt an der Adriaküste 200 Kilometer südlich von Venedig und 200 Kilometer östlich von Florenz. Sie liegt 90 Kilometer südlich von Ravenna.

Abb. 1: Öllampenhalter, Sogenannter "Idolino" aus einer römischen Villa in der Toskana ausgegraben 1530 - Archäologisches Nationalmuseum Florenz (Fotograf: sailko) (Wiki)

Hier wurde schon um 1530 die Skulptur des sogenannten "Idolino" ausgegraben - innerhalb einer vormaligen römischen Villa. 

"Die römische Kopie einer griechischen Skulptur im Stil des Polyclitus wurde geschaffen etwa 440 v. Ztr.. (...) (Sie) kam in den Besitz von Francesco Maria I della Rovere, dem Herzog von Urbino." (Wiki)

Abb. 2: Öllampenhalter, Sogenannter "Idolino" aus einer römischen Villa in der Toskana ausgegraben 1530 - Archäologisches Nationalmuseum Florenz (Fotograf: sailko) (Wiki)

Die Stadt Pesaro lag ursprünglich im Siedlungsgebiet der Picener. Es könnte sein, daß hier früh Griechen gesiedelt haben und sich mit den Picenern vermischt haben (Wiki). Im 4. Jahrhundert v. Ztr. eroberten die keltischen Senonen das Gebiet der Picener. In der römischen Kaiserzeit scheint Pesaro keine besondere Rolle gespielt zu haben.

Bei der Skulptur handelt es sich vermutlich um den Halter einer Öllampe als Lichtspender während abgehaltener Symposien.

Die Statue eines Dionysos aus dem Tiber in Rom (1885)

Im Jahr 1885 wurde beim Bau der Brücke Garibaldi am Ufer des Tiber eine Dionysos-Statue gefunden (AncRomWikiCom). Die ursprüngliche Entstehungszeit dieser Statue, bzw. dieses Statuen-Typs, von dem es viele Kopien gibt, wird auf die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Ztr. datiert.

Abb. 3: Dionysos-Statue aus dem Tiber in Rom (von der Brücke Garibaldi), gefunden 1885 (Wiki) (Fotograf: Rabax63)

Einige Details im Stil dieser Kopie werden interpretiert aber leichte stilistische Überformungen im Sinne der ästhetischen Präferenzen des ersten oder zweiten Jahrhunderts n. Ztr. bei den Römern, also im Sinne der Zeit, in der diese Skulptur selbst - als Kopie - angefertigt worden sein wird. So etwa die üppige Frisur. Wir lesen (Brunella Germini auf AncRom):

Die Pose weist deutlich auf den Einfluß des Polyklet hin, während die Bewegung des Kopfes und die geschwungenen Konturen der Flanken auf eine Vertrautheit mit den Werken des Praxiteles schließen lassen. Die Komposition bezieht sich auf ein berühmtes Modell, den sogenannten Woburn Abbey-Typ, der irgendwann in der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. entstand und von dem mehr als zwanzig Kopien und Varianten bekannt sind. Dies ist der erste Statuentyp, der den Gott nackt und als Jüngling darstellt und der in der hellenistischen und römischen Zeit große Beliebtheit aufwies. 
Die Stellung des linken Arms unterscheidet sich jedoch von der bei den Beispielen in der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen und bei der Statue aus den Horti Lamiani in den Musei Capitolini. P. Zanker argumentiert, daß die Zusammensetzung der Tiber-Statue vom sogenannten „Stephanos-Athleten“ abgeleitet ist, einer klassizistischen römischen Schöpfung aus dem ersten Jahrhundert v. Ztr., die durch die Hinzufügung der langen, welligen Frisur modifiziert wurde. Dies macht das Stück zu einer vielseitigen Schöpfung der Kaiserzeit und zeugt vom klassischen Geschmack dieser Zeit. Die eingeschnittenen Pupillen und die bemerkenswerte Dicke des oberen Augenlids lassen auf eine Datierung entweder in die hadrianische oder antoninische Zeit schließen. und hatte in der hellenistischen und römischen Zeit großen Erfolg. 
The pose shows a noticeable debt to the influence of Polycletus, while the movement of the head and the sinuous contours of the flanks indicate a familiarity with the works of Praxiteles. The composition relates to a famous model, the so-called Woburn Abbey type, created sometime in the middle of the fourth century BC, of which more than twenty copies and variants are known. This is the first statue type to portray the god nude and as a youth, and met with great success in the Hellenistic and Roman eras. The position of the left arm, however, differs from that seen in the examples in the Ny Carlsberg Glyptothek in Copenhagen and in the statue from the Horti Lamiani in the Musei Capitolini. P. Zanker argues that the Tiber statue’s composition is derived from the so-called “Stephanos Athlete,” a classicist Roman creation of the first century BC, modified by the addition of the long wavy hairstyle. This makes the piece an eclectic creation of the Imperial age, and indicative of the classical taste in that time. The incised pupils and the notable thickness of the upper eyelid suggest a date in either the Hadrianic or Antonine period.

Interessant zu erfahren, daß Kopien von Skulpturen über die Jahrhunderte hinweg an einen gewandelten Geschmack angepaßt werden konnten.

Der Wagenlenker von Delphi (1896)

Eine frühe, klassische antik-griechische Skulptur ist der Wagenlenker von Delphi (Wiki).

Abb. 4: Der Wagenlenker von Delphi (um 475 v. Ztr.) (Fotograf: Dennis Jarvis aus Halifax, Kanada, 2005) (Wiki)

Die Skulptur wurde 1896 nahe dem Apollonheiligtum von Delphi gefunden. Wir lesen (Wiki): "Die erhaltene Weihinschrift nennt Polyzalos von Gela als Stifter des Weihgeschenks, das demnach zwischen 478 und 474 v. Ztr. geschaffen worden sein muß. Als festdatiertes Monument zählt der Wagenlenker zu den Schlüsselwerken des Strengen Stils." Das Kunstwerk war 373 n. Ztr. bei einem Erdbeben verschüttet worden, wodurch es dem fanatischen christlichen Zerstörungseifer entging, der in dieser Zeit begann, Kultur zu vernichten.

Der Jüngling von Antikythera (1900)

Der Jüngling (oder Ephebe) von Antikythera (Wiki) wurde aus dem berühmten Schiffswrack (Wiki) geborgen, das im Jahr 1900 vor der griechischen Insel Antikythera entdeckt worden ist, und das um 60 v. Ztr. gesunken ist. 

Abb. 5: Der Jüngling von Antikythera, 340 v. Ztr. (Wiki)

Man vermutet, daß das Schiff von der griechischen Ägäis aus, von einem der dortigen viel befahrenen Häfen, insbesondere vermutlich von Delos oder/und von Ephesos aus auf dem Weg nach Italien war. In jener Zeit wurde auch viel Beutegut von den Römern von Griechenland nach Italien geschafft, in diesem Fall waren aber auch frisch gefertigte Werkstücke an Bord. 

Der Philosoph von Antikythera (1900)

Die geladenen Mamorskulpturen sind über die zweitausend Jahre hinweg vom Meerwasser schwer beschädigt worden. Unter ihnen befinden sich beispielsweise auch zwei herrliche Pferde-Skulpturen (Wiki). Auch weitere Abbildungen der Bronzeskulptur sind sehenswert (s. Wiki).

Abb. 6: Bronzekopf der Skulptur eines Philosophen - Vom Schiffswrack von Antikythera, um 240 v. Ztr. (Wiki)

In dem Schiffswrack fanden sich auch Teile einer Bronzeskulptur eines Philosophen (Wiki). Er wird gelegentlich als ein "stoischer" angesprochen. Der Kopf gehörte zu einer Statue, von der auch der im Rede-Gestus ausgestreckte rechte Arm erhalten ist, ebenso die linke Hand, in der der Philosoph einen Stock hält.

Der Schiffsfund von Mahdia (1907)

Der Schiffsfund von Mahdia (Wiki) vor der Küste von Tunesien datiert auf das Jahr 1907. Das Schiff ist um 90 v. Ztr. in einem Sturm gesunken. Es war auf dem Weg von Athen nach Italien.

Es hatte vielfältige Dekorations-Güter geladen (Überblick: Wiki). Neben vielem anderen: eine Marmorbüste, die wohl Ariadne darstellt, weitere Marmorfiguren, zwei großformatige Bronzestatuen, eine Herme des Dionysos mit turbanähnlicher Kopfbedeckung und seitlich mit der Gravur "Boëthos der Chalkedonier fertigte (es)". Außerdem eine Reihe kleiner Figuren und Kunstobjekte aus Bronze. Zu den kleineren Bronzefiguren gehörte ein Satyr (Wiki).

Der Schiffsfund macht den Kulturexport von Griechenland nach Italien mehr als sinnfällig.

Die Statue des Epheben in Pompeji (1925)

1925 bis 1927 wurde in Pompeji das "Haus des Epheben" (Wiki) ausgegraben.

Abb. 7: Jüngling, der eine Lampe trägt - Gefunden im "Haus des Epheben", 5. Jhdt. v. Ztr.; gefunden in Pompeji 1925/27 (Wiki)

Es ist benannt nach einer Bronzestatue, die sich im Garten des Hauses fand und die einen Jüngling ("Ephebe") darstellt, der eine Lampe hält (Wiki). Es handelt sich um die römische Kopie eines Werkes, das im 5. Jahrhundert v. Ztr. in Griechenland geschaffen wurde (Wiki). Das Original der in Pompeji gefundenen Bronzestatue befindet sich heute im Archäologischen Museum von Neapel.

Eine Kopie desselben befindet sich im Getty-Museum in Kalifornien. Von diesem stammt unsere Fotografie (Abb. 7).

Der Jüngling von Marathon (1925)

Der Jüngling von Marathon (Wiki) wurde 1925 von Fischern im Fischernetz vor der Küste von Marathon aus dem Meer gezogen.

Abb. 8: Der Jüngling von Marathon (Wiki), 340 v. Ztr., gefunden 1925 vor der Küste von Marathon

Die Statue wird auf 340 v. Ztr. datiert.

Die Bronzestatue vom Kap Artemision (1926)

Die Bronzestatue vom Kap Artemision (Wiki, engl) wurde 1926 in der Nähe der Insel Euböa in einem antiken Schiffswrack gefunden. Ihre Entstehungszeit wird um das Jahr 460 v. Ztr. geschätzt. In dem selben Schiffswrack wurde 1928 auch der Reiter vom Kap Artemision (Wiki) gefunden.

Die Bronzestatue des Jugendlichen Siegers (Wiki) wurde 1964 vor der italienischen Adria-Küste bei Fano in einem Schleppnetz der Fischer herauf gezogen. Sie wurde von Antikenhändlern über München in die USA verkauft. Heute ist sie in der Getty Villa in Kalifornien (Wiki, engl) zu sehen, das von dem verstorbenen US-amerikanischen Öl-Milliardär Getty gegründet wurde, und dessen Leitung seit Jahrzehnten unter vielfacher Anklage des weltweiten illegalen Kunstraubes und -schmuggels steht (Wiki). Gegenüber solchem Kunstraub können sich Nationalstaaten gegenwärtig weltweit häufig noch durchsetzen. Sie können die Rückführung gestohlener Kunstgegenstände erreichen ....

Gesagt werden soll allerdings auch: Die legal erworbene Kunstsammlung und die legalen wissenschaftlichen und Bildungs-Bemühungen des Getty-Museums sind begeisternd. Sie sind nachahmenswert.

Die Athena Piräus (1959)

Die "Athena Pireäus" (Wiki) ist eine Bronzeskulptur, die 1959 im Piräus, im Hafen von Athen gefunden worden ist. 

Abb. 9: Die Piräus-Athena, gefunden im Piräus bei Athen 1959 (Wiki

Anhand ihres korinthischen Helmes und seiner Beliebtheit im späten 4. Jahrhundert v. Ztr. wird diese Skulptur auf diese Zeit datiert. Die Athena Mattei im Louvre wird als eine Kopie dieser Athena angesehen, angefertigt im 2. oder 1. Jahrhundert v. Ztr..

Die Bronzestatuen von Riace (1981)

1972 wurden die so eindrucksvollen Bronzestatuen von Riace (Wiki, engl) gefunden und geborgen. Sie wurden 1981 der Öffentlichkeit vorgestellt (Wiki): "Die beiden Bronzestatuen von Riace gehören zu den sieben erhaltenen griechischen bzw. großgriechischen Bronzestatuen. Die anderen sind der Faustkämpfer vom Quirinal, der Wagenlenker von Delphi, der Poseidon vom Kap Artemision, der Reiter vom Kap Artemision und der Thermenherrscher. In diesem Zusammenhang ist auch noch das Fragment des sogenannten Chatsworth-Apoll zu nennen."

Der Tanzende Satyr von Mazara del Vallo nahe Brindisi (1992)

Diesem Kunstwerk haben wir hier auf dem Blog schon einen eigenen Beitrag gewidmet (Stg2011).

Der Kroatische Apoxyomenos (2006)

In der eben gebrachten Aufzählung ist der "Kroatische Apoxyomenos" (Wiki) nicht genannt. Er wurde 1995 an der dalmatinischen Küste entdeckt und 1999 geborgen. 2006 wurde er der Öffentlichkeit vorgestellt (s. Stgen2022).

Abb. 10: Entdeckt 1995: Der Kroatische Apoxyomenos (um 300 v. Ztr.), geschaffen vom Bildhauer Lysippos - Geborgen 1999, ausgestellt 2013 im Louvre in Paris (Wiki) / Fotograf: MOSSOT

Die antik-griechischen Skulpturen (Wiki) bilden den Höhepunkt aller Darstellungen des Menschen bis dahin, in seiner Individualität, in seiner Persönlichkeit und auch als eher überpersönliches Schönheits- und Tugendideal. Die bis hier gegebene Übersicht soll künftig noch nach und nach ergänzt werden.

Winckelmann

Spätestens seit dem 17. Jahrhundert ist man fasziniert von der Wiederentdeckung antiker Skulpturen. Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) (Wiki) hat diese Faszination dann geradezu in den Mittelpunkt des Kulturbewußtseins seiner Zeit gestellt. 1755 hat er seine erste Schrift "Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" heraus gegeben. Einer der darin geäußerten Grundgedanken lautete:

„Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“

Dieser Grundgedanke beherrschte die Kulturwelt bis ins späte 19. Jahrhundert. Über die Wirkungsgeschichte dieser Schrift lesen wir (Wiki):

Dieses epochemachende Werk wurde schnell sehr erfolgreich. (...) Die Gedanken enthalten bereits in nuce die meisten seiner Ideen und Konzepte in einer formvollendeten Sprache.

1764 brachte Winckelmann dann sein Hauptwerk heraus "Geschichte der Kunst des Altertums". Darin entwarf er ein umfassend entwickeltes System der griechischen Kunst. Im Kern ist es eine Charakteristik des Stils der Plastik nach den Bestandteilen und nach Typen und Klassen des Idealschönen.  Das Bild des antiken Griechenland auf Seiten von Lessing, Goethe, Schiller und Hölderlin ist auf das Stärkste von J. J. Winckelmann beeinflußt.

Hölderlin

Einer der ersten, der dem Nachahmungsprinzip Winckelmann's widersprach, war Friedrich Hölderlin (Wiki):

Hölderlin wehrte sich später gegen das Nachahmungsprinzip Winckelmanns, da es die lebendige Kraft ersticke. Dennoch blieb er den antiken Stoffen treu, denn sie ermöglichten es, "dem eigenen Ursprung als einem fremden zu begegnen."

Die hier zitierten Worte stammen von Peter Szondi nicht von Hölderlin. Hölderlin hat es anders ausgedrück. Aber all das ist deshalb so spannend, weil die antik-griechischen Kultur wohl in keiner anderen Kunstgattung so eindrucksvoll und unmittelbar zum Ausdruck kommt für heutige Menschen wie in der Skulptur (aber vgl. auch die Malerei: GAj2021).

Abschließende Bemerkungen

Mit der Geschichte der menschlichen Porträtkunst in der Vorgeschichte allgemein haben wir uns hier auf dem Blog ja schon in zwei Beiträgen beschäftigt. Dabei zunächst mit den Statuenmenhiren seit dem 5. Jahrtausend v. Ztr. (Stgen2019), dann mit Porträtdarstellungen seit der Mammutjäger-Zeit (Stgen2021), sowie dann insbesondere mit Porträtstatuen aus dem Alten Ägypten (2.500 bis 600 v. Ztr.) (Stgen2020). Schon um 2.500 n. Ztr. sind im Alten Ägypten sehr authentische Potträts individueller Menschen geschaffen worden. Das begann im antiken Griechenland erst ab etwa 600 v. Ztr..

Wir haben uns auch schon in verschiedenen früheren Beiträgen mit antik-griechischen Skulpturen beschäftigt (Stgen2011Stgen2022, sowie: GAj2009ab). 

Uns fehlen Fachkenntnisse, um in diesem Beitrag mehr mitzuteilen als Wikipedia-Auszüge. Aber es sollen ja vor allem die Kunstwerke selbst sprechen. 

Denn Kunst und Neufunde von Kunst stehen heute in der öffentlichen Wahrnehmung allzu sehr im Hintergrund. Die hier gegebene Zusammenstellung ist uns deshalb wichtig. Wir fragen uns, warum solche Kunstwerke in den Hintergrund treten sollen gegenüber all den "Stars und Sternchen", die den Menschen heute bis zum Übelwerden präsentiert werden.

Über die Fülle der Funde und Neufunde antik-griechischer Skulpturen erhält man auch einen Eindruck etwa auf einem X-/Twitter-Account der polnischen Verlegerin Izabela Sobota-Miszczak (TwFb). Sie lebt in Knurow in Oberschlesien. Auf ihrem Account teilt sie Neuigkeiten aus der Archäologie der Türkei mit. Durch diesen Account erhält man einmal erneut einen Eindruck davon, wie sehr die antiken Griechen Kunst ein- und ausatmet haben - durch alle Volksschichten hindurch.

Folgendes Zitat gibt zu der Fülle der bedeutenden Skulpturen-Funde schon einen ersten Eindruck und Rahmen (Wiki):

Andere wohlbekannte Unterwasser-Bronze-Funde stammen im allgemeinen aus Schiffwracks aus der Ägäis und dem Mittelmeer-Raumes: der Antikythera-Ephebe und der Portrait-Kopf eines stoischen Philosophen wurden von Schwamm-Tauchern bei Antikythera im Jahr 1900 entdeckt; das Mahdia-Schiffswrack vor der Küste von Tunesien 1907; der Jüngling von Marathon vor der Küste von Marathon im Jahr 1925; der stehende Poseidon vom Kap Artemision wurde vor dem Kap im nördlichen Euboea 1926 entdeckt; das Pferd und sein Reiter vor dem Kap Artemision 1928 und 1937; die Riace-Bronzen wurden 1972 entdeckt; der Tanzende Satyr von Mazara del Vallo nahe Brindisi 1992; und der Apoxyomenos wurde aus dem Meer geborgen vor der kroatischen Insel Lošinj 1999.
Other well-known underwater bronze finds have been retrieved, generally from shipwreck sites, in the Aegean and Mediterranean: (...) the Antikythera Ephebe and the portrait head of a Stoic discovered by sponge-divers at Antikythera in 1900, the Mahdia shipwreck off the coast of Tunisia, 1907; the Marathon Boy off the coast of Marathon, 1925; the standing Poseidon of Cape Artemision found off Cape Artemision in northern Euboea, 1926; the horse and Rider found off Cape Artemision, 1928 and 1937; the Riace bronzes, found in 1972; the Dancing Satyr of Mazara del Vallo, near Brindisi, 1992; and the Apoxyomenos recovered from the sea off the Croatian island of Lošinj in 1999.

Immer wieder erneut werden solche Funde gemacht. Was für wunderschöne Worte es auf Wikipedia über die antikgriechische Skulptur gibt (Wiki):

Sie schrieben ihren Göttern menschliches Aussehen zu, deshalb gab es nur wenig, was in ihrer Kunst das Heilige von dem Weltlichen unterschied - der menschliche Körper war zugleich weltlich und heilig.
Seeing their gods as having human form, there was little distinction between the sacred and the secular in art - the human body was both secular and sacred. 

Freitag, 25. Juli 2025

Mit chinesischer KI meine Doktorarbeit fertig schreiben (!?!)

Wir haben schon ChatGPT und Grok für die grundlegende Fragestellung unserer Doktorarbeit ausprobiert (Stg25). Dabei war uns Athena, die antik-griechische Göttin der Weisheit, die Leitfigur. Nun probieren wir einmal das chinesische "Kimi K2" (Kimi) aus. Von ihm ist in den Nachrichtenmeldungen gerade viel die Rede. Nun ist es nahe liegend, Konfuzius zur Leitfigur zu wählen.

Abb. 1: Der chinesische Philosoph Konfuzius (551-479 v. Ztr.)

Die Antwort auf die einleitende Frage unseres ersten Beitrages zu diesem Thema (Stg25) überspringen wir hier und bringen gleich die Antwort auf unsere erste "Frangfrage" (wir nutzen zur Kommunikation mit "Kimi" Google Übersetzer):

Wenn man Adam Smiths Logik der Arbeitsteilung in Hamiltons Ungleichung einbettet, stellt man fest, daß K/N in „r > K/N“ aufgrund der Arbeitsteilung stark komprimiert ist, was Altruismus leichter durchkommen läßt. Dies läßt sich in drei Schritten ableiten:

Die Kostenreduktion K

Spezialisierung zerlegt mehrere Prozesse, die ursprünglich von einer einzelnen Person ausgeführt wurden, in mehrere spezialisierte Verknüpfungen. Die Lern-, Werkzeug- und Entscheidungskosten jeder Verknüpfung sinken durch Wiederholung; außerdem muß der Altruist nur noch einen kleinen Teil der Ressourcen oder Dienstleistungen bereitstellen, in denen er gut ist (z. B. hilft ein Schmied seinem Nachbarn beim Reparieren einer Hacke). Die Grenzkosten dieser Ressource sind für den Altruisten extrem niedrig, und K wird stark reduziert.

Verstärkung des Nutzens N

Die Begünstigten, die Hilfe erhalten, können diesen kleinen Teil der Ressourcen aufgrund derselben Spezialisierung in ihren eigenen hochspezialisierten Produktionsprozeß integrieren, was zu einem Multiplikatoreffekt (N-Verstärkung) führt. Die 10-minütige Reparatur des Schmieds ermöglicht es dem Bauern, in einer Stunde einen halben Morgen mehr zu pflügen, und N ist deutlich höher als in der vorindustriellen Gesellschaft.

„Entspannung“ der genetischen Assoziation r

In einer typischen Jäger- und Sammlergruppe muß r sehr hoch sein (nahe Verwandte), um K/N auszugleichen. Sobald die Arbeitsteilung K/N auf ein sehr niedriges Niveau drückt, selbst wenn r nur 0,1 oder sogar noch niedriger ist (gleiches Dorf, gleiche Gilde, gleiches Handelsnetzwerk), läßt sich die Ungleichheit leicht aufrechterhalten. Daher kann sich Altruismus von „Blutsverwandten“ auf „Berufsverwandte“ oder „Marktverwandte“ ausdehnen, und es entsteht eine reziprok-kooperative Ordnung jenseits der Blutsverwandtschaft.

Kurz gesagt: Smiths Arbeitsteilung machte das Prinzip „geringe Kosten für große Vorteile“ zur Norm. Dadurch senkte sie die strenge Hürde der Verwandtenselektion und ermöglichte die Entwicklung des Altruismus von „Blut ist dicker als Wasser“ hin zur wirtschaftlichen Möglichkeit, „alle Menschen auf der Welt sind Brüder“.

Einiges ist nicht eindeutig zu verstehen. Schmiede gab es doch in der vorindustriellen Gesellschaft (?). Das mag der Übersetzung geschuldet sein. Witzig sind aber einige Formulierungen der letzten beiden Absätze, bzw. insbesondere des letzten Satzes. Wir haken bei "Kimi" noch einmal etwas kritischer nach:

Du springst sehr schnell vom Verwandten-Altruismus zum reziproken Altruismus, bei dem "alle Menschen auf der Welt Brüder" sein können. Wie sehen die Zwischenstufen aus? 

Antwort:

Die Zwischenstufe ist kein einmaliger Sprung von der Blutsverwandtschaft zum Markt, sondern ein schrittweiser Rückgang des Verwandtschaftskoeffizienten r: Jeder Schritt basiert auf einer neuen Struktur, um K/N weiter zu senken, sodaß r > K/N auch bei einem niedrigeren r-Wert erfüllt werden kann. Sie läßt sich in drei Stufen beschreiben:

Erweitertes Haus (Clan/Linie) – r≈0,125–0,25

Nach der landwirtschaftlichen Besiedlung kommt es innerhalb desselben väterlichen oder matrilinearen Clans zu einer stabilen Landaufteilung und gegenseitiger Arbeitshilfe. Die Arbeitsteilung erreicht zwar nur die Altersstufe (Männer bewirtschaften den Acker, Frauen weben, Alte und Junge weiden), kann aber K auf etwa die Hälfte der individuellen Selbstversorgung reduzieren, und r muß nicht 0,5 betragen, um zu bestehen.

Dorf-Nachbarschafts-Netzwerk zum gegenseitigen Nutzen (r≈0,05–0,125)

Öffentliche Einrichtungen wie Eisenbearbeitung, Wasserräder und Mühlen entstehen, deren Instandhaltung und Verwaltung eine clanübergreifende Zusammenarbeit erfordern. Professionelle Handwerker (Schmiede, Tischler) senken die Instandhaltungskosten K auf ein sehr niedriges Niveau; Nutznießer erhalten durch gemeinsame Nutzung von Werkzeugen eine Multiplikation von N. Zu diesem Zeitpunkt muß r lediglich die Stufe „gleiches Dorf“ erreichen, um die Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, ist aber dennoch untrennbar mit dem Reputationsmechanismus wiederholter Begegnungen verbunden.

Auch noch nach der kritischen Nachfrage mischt "Kimi" in seine Antwort wieder das Gegenseitigkeitsprinzip ein, nach dem gar nicht gefragt worden war. Das haben weder ChatGPT noch Grok so gemacht. Aber folgen wir den weiteren Ausführungen der Antwort:

Zunft-Markt-Handelskreis (r≈0,01–0,05)

Städte und reguläre Märkte treiben die Arbeitsteilung in Richtung Professionalisierung voran. Handwerker spezialisieren sich nur auf ein oder zwei Prozesse, und K reduziert sich auf „einen Teil oder einen Prozeß“; die Marktskala verstärkt N zur „Wertschöpfung der gesamten Industriekette“. Zu diesem Zeitpunkt ist r einem Fremden nahe, aber „Gildenregeln, Marktreputation und wiederholbare Transaktionen“ spielen die Rolle der „Quasi-Verwandtschaft“, wodurch die Ungleichheit auch dann noch gilt, wenn r extrem niedrig ist.

Schritt-für-Schritt-Anleitung:

• Jeder Schritt basiert auf „neuen Systemen/Technologien“, um K/N weiter zu senken und so die Schwelle für das Erreichen von r um eine Stufe zu senken.

• Die Farbe der Verwandtschaft verblaßt allmählich, aber „wiederholte Interaktion + Reputation + Bestrafung“ bietet eine alternative r-Funktion, die es der Altruismus-Evolution ermöglicht, jedes Raster fest zu betreten, bevor sie fortschreitet.

Wenn ich ehrlich sein soll: Im Vergleich von ChatGPT, Grok und Kimi hat ChatGPT die bei weitem beste Antwort gegeben: Sie ist viel umfassender, viel differenzierter und zugleich auch konkreter. Und Kimi hat die schlechteste Antwort gegeben. Man spürt bei Kimi durch, daß es die gestellte Frage sehr "obenhin" beantworten will.

Immerhin bestätigen alle drei grundsätzlich, 

1. daß es da einen Zusammenhang gibt zwischen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Verwandtenaltruismus, und auch 

2. daß sich dieser Zusammenhang während der geschichtlichen Entstehung und Weiterentwicklung komplexer menschlicher Gesellschaften verändert.

ChatGPT und Grok hatten den Zusammenhang auch auf die Evolution überhaupt angewandt. Kimi hat das nicht berücksichtigt. Vorerst verstehen wir noch nicht, warum "Kimi" "besser" sein soll als die beiden anderen.

Auch Kimi's Antwort auf die Frage "Um welchen Faktor hat sich der Spezialisierungsgrad der menschlichen Gesellschaften im Geschichtsverlauf verändert?" ist wenig konkret.

Wir sind gespannt, wie sich die jeweiligen KI-Werkzeuge in nächster Zeit verbessern werden. Am Ende werden sie mir meine ganze Doktorarbeit allein schreiben. ... Vielleicht ....

Montag, 21. Juli 2025

Vom Stolz der Menschenseele

Und was dieser mit Traumaheilung zu tun hat

Adler - Ausdruck von Stolz

Die Herangehensweise des Traumatherapeuten Gopal Norbert Klein im Zusammenhang mit der Heilung von Kindheitstraumata ist schon seit mehr als einem Jahr Thema hier auf dem Blog (s. z.B. Stg24). Gopal stammt aus Wiesbaden und Gießen. Er hat selbst ein Kindheitstrauma erlebt. Er hat sich in Auseinandersetzung mit diesem zum Traumatherapeuten entwickelt. Er scheint uns wesentliche Antworten auf all die ungelösten Fragen zu geben, die der Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Vortrag "Wie das Gehirn die Seele macht" von 2013 noch als weitgehend ungeklärt dargestellt hatte.

Nämlich: Kann man Kindheitstraumata überhaupt heilen. Gopal sagt: Ja. Und zwar: "Durch Kontakt". Das ist die wesentliche Botschaft. Durch Kontakt, durch "ehrliches Mitteilen" und durch Hören auf das, was gesagt wird und wie sich mitgeteilt wird. Wenn man sich auf diesen Weg begibt, kann man immer wieder neue Entdeckungen machen. 

Immer einmal wieder sehen wir deshalb in die Video's oder Interviews mit Gopal Norbert Klein hinein. Das hier eingestellte Video (1) habe ich mir vor einigen Wochen - zunächst ein wenig gleichgültig - angesehen. An der Stelle, wo ich es einsetzen lasse (bei Minute 6), habe ich schon damals ein bisschen mehr aufgehorcht. Ich habe mir gedacht: Wow, mit was für krassen Fällen Therapeuten beschäftigt sein können. 

Aber so wirklich auf eigene Erfahrungen habe ich das damals nicht beziehen können oder höchstens - wie ich mir damals dachte - "in groben Zügen".

Zum Beispiel hatte ich bis dahin nie so recht für mich verstanden, wie ich mir die Strategie "Manipulation" in Aktion und Reaktion eigentlich konkret vorstellen sollte. So dachte ich damals. Traumatherapeuten sprechen ja von drei bis vier verschiedenen, tief in der tierlichen Evolution und damit im Stamm- und Zwischenhirn angelegten, körperlichen und seelischen Strategien, mit "Todesgefahr" umzugehen: Angriff, Verteidigung und Totstellen (Erstarrung), sowie - mitunter als vierte Strategie genannt: Manipulieren. Die drei erstgenannten kann man sich ja ohne Schwierigkeiten vorstellen. Aber was soll "Manipulieren" in Todesgefahr bedeuten? Hier war nun einmal ein sehr konkreter Ausschnitt von "Manipulationsmöglichkeiten" sehr anschaulich beschrieben: Den Gegner oder das projizierte "gefährliche" Gegenüber in die Irre führen, Tarnen und Täuschen, Antäuschen, Ausweichen, Angriffe ins Leere laufen lassen, Tricksen. Und zwar kann das alles für alle Beteiligten völlig unbewußt stattfinden. Es wird aber schon deutlich, daß für die Überlebensstrategie Manipulation schon etwas mehr gebraucht wird als nur Stamm- und Zwischenhirn. Da kommen offenbar auch höhere Gehirnregionen mit ins Spiel, die verdammt schnell reagieren können.

Vor einigen Tagen jedenfalls kam mir genau dieses Video wieder in den Sinn. Es hatte einige Enttäuschungen in meinem Leben gegeben. Alte Strategien (Handlungsstrategien) "fruchteten" nicht mehr. Tagelang fühlte ich mich deshalb wie ohnmächtig, funktionierte nur noch wie eine Maschine, wollte über nichts mehr nachdenken. Bis allmählich so der eine oder andere neue, weiterführende Gedanke "wie von selbst" in die Wahrnehmung kam.

Und in diesem Zusammenhang fiel mir dann auch dieses Video wieder ein. Und plötzlich machte alles so viel mehr Sinn. Das, wovon in diesem Video die Rede ist, war - und ist - meine Jahre lange Erfahrung gewesen. Nein, meine Jahrzehnte lange Erfahrung gewesen mit nahen Angehörigen.

Ich habe jetzt lange auf Youtube gesucht, um dieses Video wieder zu finden.

Ich finde: In diesem Video kommt der Gopal auf Themen zu sprechen, von denen er sonst relativ selten - zumindest so direkt und anschaulich - spricht. Aber für mich sind diese Dinge ein wichtiger Schlüssel.

Es ist der Menschenstolz der Menschenseele

Und indem ich die Inhalte dieses Videos weiter dachte, schrieb ich mir vor zwei Tagen (am 19. Juli 2025) auf:

Jemand müßte dem Gopal Norbert Klein einmal sagen, daß es der Menschenstolz der Menschenseele ist, der sich in der Nähe des Erlebensbereiches der Menschenwürde bewegt (von der schon im Artikel 1 des Grundgesetzes die Rede ist), und die zum Beispiel von der Psychiaterin Mathilde Ludendorff oder von dem Philosophen Peter  Sloterdijk als so wesentlich angesehen werden (von Mathilde Ludendorff "Gottesstolz" genannt, Sloterdijk spricht von "thymotischen Energien"), daß diese Erlebensbereiche von Stolz und Würde sehr oft Heilungsvorgänge verhindern, weil sie alle die manipulativen Vorgänge, die Heilungen verhindern, befördern, daß sie aber auch, wenn es in glücklicher Zeit zu ehrlicher Mitteilung dieser Erlebensbereiche kommt, erste authentische, ehrliche Mitteilungen in die Kommunikation einfließen läßt. Oft zunächst als Empörung. Was dann wiederum heilsam sein könnte. Der Gottesstolz möchte immer Herr der Situation bleiben, sehr, sehr gerne auch einmal auf Kosten ehrlicher Mitteilung und auf Kosten der Wahrheit und damit - unbewußt - auf Kosten körperlicher und seelischer Gesundheit. Nämlich indem er sich selbst und andere "manipuliert".

Und ganz genau so beschreibt auch die Psychiaterin Mathilde Ludendorff den Gottesstolz (2) (Archiv). Nämlich daß er in traumatischen Zusammenhängen "Boten" an das Unbewußtsein sendet, die dann Traumafolgen bewirken auf körperlicher und seelischer Ebene. Und auf diesen Ebenen können sie oft Jahrzehnte lang völlig unverändert in immer derselben Weise fortwirken. Weil ein bestimmtes Erleben oder Verhalten ins Unterbewußtsein "verdrängt" worden ist, statt mitgeteilt und ausagiert worden ist. 

Der Gottesstolz ist womöglich wirklich etwas sehr besonderes. Und diejenigen, die ihm zuhören, sind heilig, die ihm zuhören sowohl dann, wenn er auf dem manipulativem Wege unterwegs ist wie auch dann, wenn er ehrlich mitteilt und sich - dadurch  - womöglich stolz und gottnah in die Höhe reckt.

Fast "ohne Rücksicht auf Verluste" zerstört dieser Gottestolz oder möchte Gottnähe bewirken, immer aber möchte er Herr der Situation bleiben. Ihm ist es - mitunter - "unerträglich", sich "unterwürfig", ohnmächtig zu zeigen, sich der Situation nicht gewachsen zu zeigen. Der Gottesstolz ist ein Recke aus uralten Zeiten, schon aus jeder uralten Isländer-Saga leuchtet er strahlend hervor.

Abb. 2: Gorch Fock (1880-1916)

So schrieb ich in groben Zügen vor zwei Tagen (heute noch mal etwas überarbeitet, weil einem ständig neue Gedanken dazu kommen).

Gorch Fock

Und heute kommt mir auch noch in den Sinn: Der Hamburger Schriftsteller Gorch Fock (1880-1916) hatte eine Ahnung von den Wirkungen dieses Stolzes - in seiner Freiheit ebenso wie in seinen Verzerrungen - als er irgendwann als Eintrag in sein Tagebuch niederschrieb:

"Mein Herz, sei streng und halt dich frei von Dünkel und von falschem Stolz! Sei gütig, mein Herz, und beschenke dich immer mehr mit echtem, freiem Stolz."

Es war dieses Zitat, was ich mir schon in meiner Jugend mit 17 oder 18 Jahren als bedenkenswert aufgeschrieben hatte. Als ein Wort, an dem man sein Leben ausrichten konnte.

Peter Sloterdijk

Zum erwähnten Philosophen Peter Sloterdijk: Wir haben mindestens zwei Beiträge veröffentlicht zu seiner Sicht auf "thymotische Energien". Wir haben dabei hervorgehoben, daß Sloterdijk seine Sicht prägnanter in einem Cicero-Interview geäußert hat als in seinem ganzen Buch "Zorn und Zeit" (Stg07a, Stg07a). 

Mathilde Ludendorff

Noch einige Zitate, aus denen hervor geht, wie Mathilde Ludendorff das Wesen des Gottesstolzes sieht. Sie schreibt in der grundlegenden Charakterisierung der menschlichen Bewußtseinskräfte (2, S. 80):

Zu dem Ich hin führt, wie uns die "Schöpfungsgeschichte" lehrte, ein "Strahl aus dem Äther", ein Erleben göttlicher Würde und Erhabenheit, den wir den "Gottesstolz" nannten und der weder mit der Leistung des Menschen, noch mit der Anerkennung, die er findet, irgendeinen Zusammenhang hat.

Und (2, S. 133f):

Zorn ist die Vernunfterkenntnis einer feindlichen Tat des Mitmenschen, der sich das Erlebnis des Gottesstolzes und die Empfindung der Unlust gesellt. Überwiegt die Unlust und gesellt sich ein starkes Gefühl des Hasses, ist endlich der Gottesstolz im Menschen verzerrt, so wird aus Zorn die Wut. Die Willensrichtung, die sich hiermit verbindet, ist meist der Wille zur Abwehr eines Feindes. Eine derartige Zergliederung aller Eigenschaften fördert sehr die seelische Erkenntnis.

Er tritt - nach diesem Seelenbild - als gleichwertig neben das Erleben der Eltern- und der Mutterliebe. Das Wesen des Gottesstolzes ist für sie etwa auch erkennbar anhand der Umwertung des von den germanischen Nordeuropäern erlebten und gelebten Gottesstolzes in christlicher Zeit, also als sie religiös und moralisch entwurzelt wurden. Es würde dann ein bestimmtes seelisches Gesetz wirksam (2, S. 138f):

Ich nenne es das Gesetz der Kontrastwertung (gegensätzlichen Wertung). Das Erbgut im Unterbewußtsein kann nämlich nicht machtlos werden. Es übt seinen Einfluß auf das Handeln und Werten des Menschen. (...) Gegenüber dem aus dem Erleben der Gottgemeinschaft geborenen starken Gottesstolz unserer Ahnen, den er in seinem Unterbewußtsein als Erbgut trägt, schützt er (der Christ) sich durch fortwährende Beteuerung der "Demut vor Gott", des "Unwürdigseins der Gnade", des "Allzumal-Sünder-Seins". Dem aus diesem Gottesstolz und der Gottgemeinschaft geborenen Vertrauen auf die eigene Kraft zur Vollkommenheit gegenüber beteuert er seine "Ohnmacht", fleht auf den Knien um "Erbarmen und Gnade". Dem aus dem Gottesstolz geborenen Erbgut des heldischen Wollens, sich in kraftvollster Abwehr der feindlichen Mächte sein Schicksal zu gestalten, sucht er sich zu entziehen durch fortwährendes Beteuern, man müsse das "vom Herrn gesandte Schicksal geduldig und demütig hinnehmen". (...) So stellt also ein solcher Mensch mit der Treue einer Lichtbildplatte das Gegenteil („Negativ"), das Kontrastbild des Erbgutes in seinen Wertungen dar.

Es sollen noch weitere Zitate gebracht werden, die das vielfältige Wirken des Gottesstolzes in der Menschenseele aus ihrer Sicht verständlich machen können. 

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  1. Gopal Norbert Klein: Wie du jede Psychotherapie scheitern läßt: Kontextwechsel, Kulissenschieben, Reframing. Traumaheilung & Medialität, 12.02.2024 (Yt)
  2. Ludendorff, Mathilde: Des Menschen Seele. Ersterscheinen 1925 (Archive)
  3. Bading, Ingo: Peter Sloterdijk und sein Buch Zorn und Zeit. (Stg07aStg07a)
  4. Gorch Fock - Sterne überm Meer. Tagebuchblätter und Gedichte. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Aline Bussmann. Glogau 1918 (GB)
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