Samstag, 11. April 2020

Troia, Homer und die germanischen Götter

Hinführung zum Thema
- Neue Erkenntnisse

Vorbemerkung 26.10.2022: Das Verhältnis zwischen dem nördlichen Europa und der Ägäis sehen wir inzwischen mit anderen Augen (als in diesem Blogbeitrag dargestellt), seit wir wissen, daß die Menschen des mykenischen und antiken Griechenland nur acht Prozent indogermanische Steppengenetik in sich trugen. Das heißt, daß die seelischen Gesetze der historischen Entwicklung in der Ägäis und in Nordeuropa doch noch als deutlich unterschiedlicher wahrgenommen werden müssen (Stgen2022) als wir das viele Jahre lang hier auf dem Blog getan haben.

*****

/ Zu diesem Blogartikel ist im Nachgang auch ein Video aufgenommen worden (12). /

Eine sehr schöne, 23-minütige Radiosendung (bzw. einen Podcast) zur "Ilias" (Wiki) von Homer und zu neueren Forschungen zu dieser Dichtung ist 2018 von "radioWissen" erstellt worden im Auftrag des "Bayerischen Rundfunks" (1). Auch jemand, der mit dieser ersten, großen Dichtung des Abendlandes schon früher einmal Bekanntschaft gemacht hat, kann in dieser kurzen Sendung allerhand Neues erfahren. Zugleich aber handelt es sich bei ihr um eine sehr lebendige Einführung in das Thema selbst, also sprichwörtlich um einen "Anbeißer". 

Hat man einmal angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, läßt es einen so schnell nicht wieder los - wie vielen Europäern und Deutschen sonst in den vergangenen Jahrhunderten (1-11).

Abb. 1: Alle Orte, die im Schiffskatalog der "Ilias" erwähnt werden. Die Zahl hinter dem Namen gibt die Anzahl der Schiffe aus dieser Stadt an (Wiki) - Armes Troia! So viele Schiffe!

Die "Ilias" gewährt einen so reichen Einblick in das Denken, in die Weltauffassung, in die Gott-Auffassung der antiken Griechen. 

Und dieses ganze Weltverständnis steht dem Weltverständnis des bronzezeitlichen, europäischen Menschen sicherlich insgesamt viel näher als jede andere literarische Überlieferung oder als sprachgeschichtliche oder archäologische Forschungen dies sonst in dieser Dichte erschließen könnten.*)

Immerhin können letztere wertvolle Ergänzungen liefern und immerhin können letztere immer nur wieder erneut durch neue Detailerkenntnisse bestätigen, wie vieles an der "Ilias" des Homer eben nicht nur Dichtung, sondern zugleich auch historische Überlieferung ist. So heißt es in einem soeben veröffentlichten Artikel von Seiten der in Troja gegenwärtig ausgrabenden Archäologen (2):

Freilich läßt die griechische Überlieferung niemanden unberührt, der auf dem Hisarlık gräbt. Denn wer Homer liest, erkennt die von ihm beschriebene Szenerie mit ihren Flüssen, Bergen und vorgelagerten Inseln sofort wieder. In Details wich er zwar ab, doch schon Schliemann notierte vier Jahre nach Grabungsbeginn (gekürzt): "Homer ist nun einmal kein Historiker, sondern ein Dichter, und man muß ihm die Übertreibung zugutehalten." Mit diesem kritischen Blick aber kam bislang noch jeder Ausgräber zu dem Schluß: Homers Beschreibungen passen zum Hisarlık.

Selbst einem Wissenschaftsbeobachter, der Forschungsberichte zu Ausgrabungen in Troja in den letzten Jahrzehnten am Rande immer einmal wieder mitgelesen hat - wie der Autor dieser Zeilen - muß dieser Umstand so noch nicht bewußt gewesen sein. Überhaupt ist der soeben zitierte, bei "Spektrum der Wissenschaft" nach vier Jahren erneut veröffentlichte Artikel eine sehr gefährliche "Einstiegsdroge" (2). Der Artikel stammt original aus der Feder der derzeitigen Ausgräber von Troja, insbesondere von Ernst Pernicka, dessen Forschungen man als Wissenschaftsbeobachter schon seit Jahrzehnten verfolgen und bewundern konnte.

Was hat die Prignitz in Brandenburg mit Homer zu tun?

Für Menschen beispielsweise, die in der Prignitz in Brandenburg beheimatet sind - oder überhaupt in Deutschland - hat die Ilias von Homer ja eine ganz neue Bedeutung erhalten (sie wissen es meistens nur noch nicht), seit die Archäologen in den letzten Jahren festgestellt haben, daß die Art der Bestattung des Königs Hinz im berühmten Königsgrab von Seddin in der Prignitz im nördlichen Brandenburg - nämlich in "drei Särgen", wovon auch die örtliche Volksüberlieferung schon ohne Ausgrabungen seit 2.700 Jahren wußte - exakt jener Art der Bestattung gleicht, die der Held Achill seinem berühmten Freund Patroklos zuteil werden ließ so wie es in der "Ilias" beschrieben ist (3-9).

Die Forschung spricht diesbezüglich inzwischen von den sogenannten "Homerischen Heroengräbern". Ein solches ist auch das Königsgrab von Seddin aus der Zeit um 700 v. Ztr. und manche anderen Hügelgräber dieser Zeitstellung bis hinauf nach Dänemark und bis hinüber in das Land am Unterlauf der Weichsel. Schon allein dieser Umstand macht deutlich, wie viel die "Ilias" von Homer nicht nur mit den Menschen der Antike im Mittelmeerraum zu tun hat, sondern eben auch mit den Menschen am Beginn der Eisenzeit im übrigen Europa bis hinauf nach Dänemark.*)

Der neue Forschungsbericht macht weiterhin auch bewußt, daß all die vielen bronzezeitlichen Höhenburgen in Mitteldeutschland und Mitteleuropa mit ihrer Akropolis ganz oben auf dem Berg und mit ihren terrassierten Vorburgen, deren Terrassen noch heute allerorten in der Landschaft besichtigt werden können, nichts anderes waren als ebenso mächtige Völkerburgen wie jene Völkerburg von Troja. Um sie hat es nicht selten ebenso aufwühlende Kämpfe und Kriege gegeben wie im Mittelmeerraum. Allerdings wurde eben die Schrift in Mitteleuropa nicht um 700 v. Ztr. eingeführt, sondern frühestens zur Zeit Karls des Großen um 800 n. Ztr., also 1.500 Jahre später. In diesen 1.500 Jahren hatte sich der "Geist der Zeit" völlig gewandelt.

Wandel des Zeitgeistes ohne und mit Schrift

Ein etwaiges "Goldenes Zeitalter" der Nordischen Bronzezeit und der Süddeutschen Bronzezeit und der Hallstatt-Kultur war bis dahin in Mitteleuropa längst der Vergessenheit anheim gefallen. Ein Held im Sinne der homerischen Helden der Ilias, ein Held vom Schlage Achills oder vom Schlage eines Patroklos war zu einem "König Hinz" geworden. Er konnte zum "König Hinz" werden, weil es 1.500 Jahre lang in Mitteleuropa keinen Sänger wie Homer gegeben hatte, der die mitteleuropäischen Helden-Gesänge der Zeit um 700 v. Ztr. aufgeschrieben hätte.

Die Völker Mitteleuropas nach 700 v. Ztr. konnten sich also nicht für einen aufgeschriebenen Heldengesang begeistern so wie es die Griechen nach 700 v. Ztr. bis zu ihrem Untergang in der Spätantike um 500 n. Ztr. getan haben. Es wird hieran erkennbar, wie ein großer Dichter, eine große Heldendichtung den Geist eines ganzen Volkes und eines von ihm mit beeinflußten Zeitalters ("Hellenismus", Spätantike) mitbestimmen kann auch dann noch, wenn der Geist dieser Dichtung in zeitgleichen schriftlosen Kulturen über die Jahrhunderte hin verloren gegangen war, weil er dort eben nicht hatte schriftlich fixiert werden können.  

Mit der "Ilias" des Homer ragt das "Goldene Zeitalter" der Bronzezeit über die antik-griechische Kultur weit hinein in das europäische Geistesleben, zunächst in das der antiken Mittelmeerwelt, dann in das der Renaissance und der Klassik und des europäischen humanistischen Bildungsideals. Erst eine Zeit nach 1945 hat sich von einer umfangreicheren Begeisterung für diese Geisteswelt der antiken Mittelmeerwelt und damit der eigenen europäischen Bronzezeit wieder - zum Teil weit - entfernt.**)

"Noch ist Griechisch nicht verboten," mußte der Altphilologe Joachim Latacz (geb. 1934) als Motto ausgeben, um auf die heutige Randbedeutung seines eigenen Faches im modernen Geistsleben hinzuweisen. Altgriechisch ist zu einem Orchideenfach geworden, das war es das ganze 19. Jahrhundert hindurch nicht und auch nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele Hitler-Attentäter konnten Homer noch im Original lesen. Man fragt sich, welcher heutige "Widerständler" - welcher Couleur er immer sein mag - heute Homer noch im Original lesen kann. (Auch der Autor dieser Zeilen kann das nicht von sich behaupten. Seine Begabungsschwerpunkte hat er aber nie auf sprachlichem Gebiet sehen können, auch nicht seine Lehrer ...)

Aha, und indem man diesem Motto nachgeht, erfährt man, daß es schon von der Dichterin Dorothee Soelle (1929-2003) (Wiki) ausgegeben worden war. Sie schrieb das folgende Gedicht (3):
meine junge tochter fragt mich
griechisch lernen wozu
sym-pathein sage ich
eine menschliche Fähigkeit
die tieren und maschinen abgeht
lerne konjugieren
noch ist griechisch nicht verboten.
____________
*) 26.10.22: In diesem Beitrag spielen wir herunter, daß es nicht nur viele Gemeinsamkeiten zwischen den vormittelalterlichen Kulturen in Nordeuropa und in der Ägäis gibt, sondern auch deutliche Unterschiede, etwa zwischen der heidnisch-germanischen und der antik-griechischen Götterwelt. In der germanischen Gottvorstellung leben Götter und Menschen parallel, in der griechischen Gottvorstellung greifen die Götter ständig als rächende oder schützende Götter in die menschlichen Schicksale ein, zeugen Kinder mit Menschen ("Halbgötter") und ähnliches. Diese letztere Gottvorstellung findet sich auch in anderen Kulturen des Vorderen Orients (z.B. im Reich des Sargon von Akkad). Sie wird von ihren Ursprüngen her in vielem nicht indogermanischer, sondern vorindogermanischer Herkunft im Bereich der Ägäis sein. Das schmälert allerdings nicht den Wert der Ilias für die abendländische Kultur. Im Gegenteil, sie ermöglicht uns, was schon Hölderlin formulierte, nämlich "dem eigenen Ursprung als einem fremden begegnen".
**) Vielleicht bietet sich auch ein Vergleich mit der Geschichte Roms an. Auch der Geist des römischen Volkes stand - vor der Hellenisierung Italiens - sicherlich dem "nüchterneren" Geist der zeitgleichen keltischen und germanischen Völker näher als dem Geist des zeitgleichen Griechenland. Altlatein gibt es ja erst seit dem 3. Jhdt. v. Ztr. (Wiki). Bis zu jenem Zeitpunkt also war der Geist der Bronzezeit, der bis 700 v. Ztr. auch in Italien - hypothetischerweise - noch vorherrschend gewesen sein könnte (mit vergleichbaren Heldengesängen), aufgrund der dort ebenfalls vorherrschenden, mangelnden schriftlichen Fixierung verloren gegangen. Aber dann wäre schon auch zu fragen, ob und wie das innerhalb von 400 Jahren hatte geschehen können. Oder wäre umgekehrt zu sagen, daß die Ilias in der Völkerwelt doch einzigartiger dastand - auch schon 700 v. Ztr. - als mündlich überlieferte Heldengesänge andernorts?

___________
  1. Morawetz, Thomas: Homer - Der erste Dichter des Abendlandes. Podcast von BR radioWissen, 23 min, 10.04.2018, https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/homer-der-erste-dichter-des-abendlandes/32770, auch: https://podcasts.google.com/?q=homer%20der%20erste%20dichter.
  2. Ernst Pernicka, Peter Jablonka und Magda Pieniążek: Das mächtige Troja Schicht für Schicht erkundet. 09.04.2020 (Lesedauer ca. 21 Minuten), https://www.spektrum.de/news/wer-hat-troja-entdeckt/1429756 (am selben Ort zuerst erschienen 17.11.2016)
  3. Bading, Ingo: Hektor, Patroklos und Achill - Sie lebten auch in Deutschland, 29.07.2019, https://youtu.be/13WSEl5tkx0.
  4. Koenigsgrab Seddin - Ein Monument der Bronzezeit 2, 13.5.2019, https://youtu.be/2p8XlppYoVQ
  5. Hansen, Svend: Von Seddin nach Smyrna, Audiodatei, http://www.landkreis- prignitz.de/de/zu-gast-im- landkreis/tourismus/zao/zao_ seddin_audiodatei.php
  6. Das "Königsgrab" von Seddin. http://www.landkreis- prignitz.de/de/zu-gast-im- landkreis/tourismus/zao/zao _seddin.php
  7. May, Jens: „Königsgrab“ von Seddin, publiziert am 06.05.2019; in: Historisches Lexikon Brandenburgs, URL: http://www.brandenburgikon.net/i ndex.php/de/sachlexikon/koenig sgrab [1.8.2019]
  8. Radziwill, Peter (Perleberg): Troja in der Prignitz?  5. Januar 2018, http://peter-radziwill.de/troja-in-der-prignitz 
  9. Svend Hansen, Jens May, Franz Schopper: The ritual landscape in the area of the royal tomb of Seddin in the Prignitz research project: B-2-5, https://www.topoi.org/project/b-2-5/, XXL - Monumentalized Knowledge. Extra-Large Projects in Ancient Civilizations Research Group B-2, in: Excellence Cluster Topoi: The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations, https://www.topoi.org/group/b-2/
  10. Schmude, Michael P.: http://casa-grammatica.de/noch-ist-griechisch-nicht-verboten/.
  11. Joachim Latacz: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels. Koehler & Amelang, München u. a. 2001, (2. Auflage. 2001; 3., durchgesehene und verbesserte Auflage. 2001; 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. 2005, 6., aktualisierte und erweiterte Auflage. 2010
  12. Bading, Ingo: Troia, Homer und die germanischen Götter, 11.04.2020, https://youtu.be/_Nz_DfXkLZk.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Schöne Ostern und danke für all die interessanten Themen.

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