- der Kommunitarismus,
ein geeigneter Interpretationsrahmen für ein modernes, naturalistisches Menschenbild?
Man glaubt dem Bericht anzumerken, daß er schon über zehn Jahre alt ist und daß sich die Weltkugel und das gesellschaftliche Bewußtsein schon wieder - relativ schnell - um einiges "weitergedreht" haben. Könnte man sich eine Titelgeschichte präzise in diesem Tonfall heute noch vorstellen? Dafür wird anstelle dessen heute in solchen Zusammenhängen vielleicht mehr von Religion geredet und gedacht als damals. Und es ist sicherlich richtig, diese beiden Bereiche verstärkt zusammen zu sehen. Das Thema "Kommunitarismus", "Gemeinschaftlichkeit" des Menschen, Gemeinschaftsbezug, Verantwortlichkeit, das auch im naturalistischen Menschenbild durch die Wiederbelebung des Theorems von der Gruppenselektion vermehrt an Aktualität gewinnt (siehe zuletzt: Natur des Glaubens), veranlaßt zu einigen grundlegenderen Erörterungen. (Diese Erörterungen fassen übrigens vieles zusammen, was auf diesem Blog in den letzten eineinhalb Jahren verstreut an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen diskutiert worden ist. Sie bringen so ungefähr eine Annäherung an die tiefere "Philosophie" dieses Blogs.)
Freiheit
Freiheit ist ein Phänomen, das von naturalistischen Denkern gegenwärtig - merkwürdigerweise - nicht besonders stark betont und hervorgehoben wird in der Deutung des (naturalistischen) Menschenbildes. Und doch ist Freiheit eines der auffälligsten Phänomene, Prinzipien in der Natur. In der Natur drückt es sich grundsätzlich aus als das "Prinzip Zufall", dem das Prinzip Gesetzmäßigkeit, Regelhaftigkeit, Naturgesetz gegenübersteht. Manfred Eigen hat in seinem wertvollen Buch "Das Spiel" (sinngemäß) formuliert: "Das Leben ist ein Spiel, in dem nichts festliegt außer den Regeln." Und diese Erkenntnis hatte schon Friedrich Schiller 200 Jahre zuvor vorweggenommen, als er sagte: "Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt." Und dieses "Spiel" ist natürlich der Ausdruck einer äußeren oder inneren Freiheit, von Freiheitsräumen, von vielfältigen innerpsychischen und äußeren Möglichkeiten, denen sich der Mensch bewußt ist oder die er sich bewußt machen kann.
ein geeigneter Interpretationsrahmen für ein modernes, naturalistisches Menschenbild?
Es wächst das Unbehagen an einem Zusammenleben, in dem jeder seinen Vorteil ohne Rücksicht auf die anderen zu suchen scheint. Ich-Überschätzung bringt Ehen in Gefahr und läßt Familienbande brüchig werden.So lauten Passagen einer Titelgeschichte des "Focus" zu dem Thema "Kommunitarismus". Sie ist schon elf Jahre alt und stammt von Frank Gerbert (17. März 1997, siehe auch Abbildung). In der Presse taucht der Gedanke des Kommunitarismus (Wikipedia) immer wieder einmal auf, er besitzt aber nicht wirklich "Popularität". Anlaß für den Titel der genannten "Focus"-Ausgabe war damals eine Münchener Podiumsdiskussion unter dem Titel "Vereint im Egoismus? Was unsere Gesellschaft noch zusammenhält".
Heide Simonis, SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, fordert eine „Bürgergesellschaft gegen sozialen Zerfall“, die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer eine „zweite Umweltbewegung: den Wiederaufbau der sozialen Umwelt“.
Wie können Moral und gemeinschaftliche Werte stärker in einer Gesellschaft verankert werden?
„Mit bloßem Individualismus vernichtet der Individualismus sich selbst“, konstatiert Werner Peters, Begründer der Kölner Kommunitaristen.
Man glaubt dem Bericht anzumerken, daß er schon über zehn Jahre alt ist und daß sich die Weltkugel und das gesellschaftliche Bewußtsein schon wieder - relativ schnell - um einiges "weitergedreht" haben. Könnte man sich eine Titelgeschichte präzise in diesem Tonfall heute noch vorstellen? Dafür wird anstelle dessen heute in solchen Zusammenhängen vielleicht mehr von Religion geredet und gedacht als damals. Und es ist sicherlich richtig, diese beiden Bereiche verstärkt zusammen zu sehen. Das Thema "Kommunitarismus", "Gemeinschaftlichkeit" des Menschen, Gemeinschaftsbezug, Verantwortlichkeit, das auch im naturalistischen Menschenbild durch die Wiederbelebung des Theorems von der Gruppenselektion vermehrt an Aktualität gewinnt (siehe zuletzt: Natur des Glaubens), veranlaßt zu einigen grundlegenderen Erörterungen. (Diese Erörterungen fassen übrigens vieles zusammen, was auf diesem Blog in den letzten eineinhalb Jahren verstreut an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen diskutiert worden ist. Sie bringen so ungefähr eine Annäherung an die tiefere "Philosophie" dieses Blogs.)
Freiheit
Freiheit ist ein Phänomen, das von naturalistischen Denkern gegenwärtig - merkwürdigerweise - nicht besonders stark betont und hervorgehoben wird in der Deutung des (naturalistischen) Menschenbildes. Und doch ist Freiheit eines der auffälligsten Phänomene, Prinzipien in der Natur. In der Natur drückt es sich grundsätzlich aus als das "Prinzip Zufall", dem das Prinzip Gesetzmäßigkeit, Regelhaftigkeit, Naturgesetz gegenübersteht. Manfred Eigen hat in seinem wertvollen Buch "Das Spiel" (sinngemäß) formuliert: "Das Leben ist ein Spiel, in dem nichts festliegt außer den Regeln." Und diese Erkenntnis hatte schon Friedrich Schiller 200 Jahre zuvor vorweggenommen, als er sagte: "Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt." Und dieses "Spiel" ist natürlich der Ausdruck einer äußeren oder inneren Freiheit, von Freiheitsräumen, von vielfältigen innerpsychischen und äußeren Möglichkeiten, denen sich der Mensch bewußt ist oder die er sich bewußt machen kann.
Verantwortlichkeit
Während nun auf der einen Seite das Phänomen Freiheit nicht besonders stark betont und hervorgehoben wird gegenwärtig von naturalistisch Denkenden (was noch vielfältige Erörterungen veranlassen könnte *) ), wird auf der anderen Seite aber auffälligerweise auch das Prinzip Verantwortlichkeit nicht besonders hervorgehoben im naturalistischen Denken der Gegenwart. Und dies ist nun ein vielleicht noch auffälligerer Befund. (Sehr wichtige Ausnahme: Amazon.) Meistens wird stattdessen lieber der allgemeiner gehaltene Begriff "Altruismus" benutzt. Diesen Begriff läßt man sich inzwischen vielleicht doch ganz gerne gefallen (nachdem er zuerst durch den Buchtitel "Das egoistische Gen" popularisiert worden war vor 18 Jahren [!]), weil er für unser menschliches Selbstbild nicht besonders deutlichen Aufforderungscharakter hat. Denn "altruistisch", "sozial", "kooperativ", nunja, das kann ja jeder irgendwo, irgendwann, irgendwie einmal sein (zumal, wenn ihm noch genügend Spielraum zum Ausleben von Egoismus übrig bleibt). Über seine Person an sich muß das aber dann noch überhaupt nicht besonders viel aussagen. (Wie das übrigens alle wissen, die längere Zeit - etwa - in Dienstleistungs-Berufen tätig waren: Äußere "Beflissenheit" und "Kooperationsbereitschaft" sagen meistens so gut wie gar nichts aus über den eigentlichen, "inneren", wirklich "menschlichen" Gehalt eines - - - sogenannten "Kollegen" oder überhaupt der sozialen Beziehungen in typischen "aalglatten" Dienstleistungs-Gesellschaften.)
Freiheit in Würde
Wenn also dieser menschliche Altruismus nicht in deutlichem Zusammenhang gesehen wird mit der menschlichen Fähigkeit zu allseits vorherrschenden gesellschaftlichen und sozialen "Pathologien", Fehlentwicklungen, (hedonistischen oder asketischen) Selbsttäuschungen, die ja ebenfalls als Ausdruck dieser großen Freiheitsgrade im menschlichen Verhalten gedeutet werden können, dann bekommt man auch nicht den Blick frei darauf, daß der Mensch, seitdem er Mensch geworden ist und diese großen Freiheitsgrade im Verhalten besitzt und immer weitere hinzugewonnen hat, immer schon auch mehr oder weniger deutlich in der "Verantwortung" stand und steht, nämlich, diese große Freiheit, die er leben kann, nun auch in "Würde" zu leben.
Deutet man das menschliche Selbstbild so, dann wird "Altruismus" nicht mit der lächerlichen "Jeden Tag eine gute Tat"-Einstellung verwechselt. Dann wird deutlich, daß Altruismus selbst in seiner Gesamtheit und in der inidividuellen Art der Verwurzelung in der Persönlichkeit über den Wert und die Würde im menschlichen Bereich entscheidet. So also würde stärker der Aufforderungscharakter deutlich, der in der Tatsache an sich, daß der Mensch Verantwortungsbewußtsein besitzt, liegen könnte.
Wenn man aber über diese Zusammenhänge nachdenkt, dann könnte einem bewußt werden, daß zwischen Freiheit und Verantwortlichkeit tatsächlich ein innerer Zusammenhang besteht (- auch von der evolutiven ultimaten Fitneßebene her gesehen). Und daß möglicherweise über beide nicht mehr sehr häufig unter naturalistisch Denkenden gesprochen wird, weil der tiefe innere Zusammenhang zwischen diesen beiden Prinzipien nicht mehr so stark empfunden wird. Es könnte das ja auch eine Empfindung sein, die den Menschen nicht nur bürgerschaftlich stolz und selbstbewußt, sondern zugleich auch "schmerzensreich" machen könnte, zumal unter Verhältnissen einer sehr egoistischen Gesellschaft. (Und das Hauptbestreben der heutigen Menschen ist es ja, möglichst "schmerzfrei" leben.)
Denn tatsächlich ist es ja so: Wenn man dem Menschen ein großes Maß an selbstverantworteten Freiheitsgraden zuspricht in seinem eigenen Verhalten (hier immer vom Menschenbild her gesehen, nicht nur von einer Verfassungsordnung her), dann muß als Gegenkraft in der menschlichen Psyche um der Freiheit willen, um Freiheit in "Würde" leben zu können, auch ein solches Prinzip wie Verantwortlichkeit lebendig sein, bzw. es sollte günstigstenfalls lebendig erhalten werden. Und das wird auf gesellschaftlicher Ebene ebenso gelten wie auf familiärer und individueller.
Die Gesellschafts-Philosophie des "Kommunitarismus"
Wir sehen weltweit und historisch eine sehr große Vielfalt von Gesellschafts- und Kulturpsychologien verwirklicht, von Mentalitäten und Verhaltenstendenzen in Bezug auf diese beiden Möglichkeiten in der menschlichen Psyche, in Bezug auf Freiheit und Verantwortlichkeit. Ganz grob spricht man von individualistischen Gesellschaften und gesellschaftlichen Verhaltenstendenzen und von kollektivistischen Gesellschaften und gesellschaftlichen Verhaltenstendenzen. Und in diesem Zusammenhang werden die traditionellen gesellschaftlichen Verhaltenstendenzen in Ostasien häufig als "kollektivistisch" interpretiert und die heute in westlichen Gesellschaften vorherrschenden als "individualistisch". Auf politischem oder wirtschaftlichem Gebiet spricht man von dem außer Rand und Band geratenen (also "verantwortungslosen" [... ?!]) Neoliberalismus.**)
Dieser Beitrag hat vor allem das Ziel, auf diese Dinge hinzuweisen und vor allem auch auf die Gesellschafts-Philosophie des "Kommunitarismus" (Wikipedia), die aus der Anerkennung und Hochwertung der Werte der liberalen Gesellschaft heraus (so kann man es zumindest verstehen) versucht, die Gesellschaft insgesamt und den einzelnen Bürger zu mehr gesellschaftlichem und sozialem Verantwortungsbewußtsein, Engagement und zu größerem gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzufordern.
Der "Kommunitarismus" ist weitgehend unabhängig vom naturalistischen Weltbild entstanden und formuliert worden. Er könnte aber als geeignet angesehen werden, das naturalistische Weltbild und die Weiterentwicklungen in der Theoretischen Biologie um die beiden Prinzipien Freiheit und Verantwortlichkeit zu ergänzen und engagierter zu durchdenken, und so auch die Perspektiven der anthropologischen, soziobiologischen Forschung zu erweitern. (Wissenschaft selbst hat ja - günstigstenfalls - zweierlei Verantwortlichkeiten und zwar möglichst je zu 100 % zu erfüllen: einmal die Verantwortung "der Wahrheit", der wissenschaftlichen Redlichkeit gegenüber, zum anderen hat sie eine gesellschaftliche Verantwortung. Diesen beiden versucht dieser Blog "Studium generale" gerecht zu werden. Und aus beiden fließt insbesondere auch die Motivation zur Arbeit an diesem Blog.)
"Gruppenselektion" und liberale Gesellschaft
In welcher Weise kann sich nun eine solche Wiederbelebung des Theorems der Gruppenselektion in der anthropologischen Forschung positiv auswirken auf die Deutung des menschlichen und gesellschaftlichen Selbstbildes? Wenn man sich mit der Evolution des menschlichen "commitment" (Amazon), des Verantwortungsbewußtseins (allgemeiner: des Altruismus) in Gesellschaften beschäftigt, dann wird einem tatsächlich heute das Fehlen einer allgemeineren Philosophie deutlich, die das menschliche Denken dahingehend strukturiert, die Gemeinschafts-Aspekte des menschlichen Verhaltens grundsätzlicher in den Blick zu nehmen und zu berücksichtigen auch im eigenen Leben und auch in den wichtigeren Lebensentscheidungen.
Wenn man nun die gegenwärtigen Entwicklungen in der Theoretischen Biologie und Anthropologie in eine Wechselwirkung treten lassen würde mit solchen gesellschaftlichen Philosophien wie der des Kommunitarismus, dann sollte das - günstigstenfalls - synergetische Wirkungen entfalten können. Im Wikipedia-Artikel wird der Kommunitarismus zum Teil als im Gegensatz zum Liberalismus stehend formuliert. Man könnte es aber auch präziser sagen: Verantwortlichkeit ermöglicht und stabilisiert erst menschliche, gesellschaftliche Freiheit und entsprechend ermöglichen und stabilisieren "kommunitaristische", verantwortungsbewußte, "gemeinschaftliche" Einstellungen günstigstenfalls auch die Verwirklichung einer echt freiheitlichen, liberalen Gesellschaft.
Zum Ausklang noch einmal Friedrich Schiller.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei_____________________
und würd' er in Ketten geboren.
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
nicht den Mißbrauch rasender Toren:
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht -
vor dem freien Menschen erzittert nicht.
(aus: Worte des Glaubens)
*) Es könnte von Interesse sein, einmal genauer zu analysieren, wie es um den Gedanken der Freiheit bei naturalistisch Denkenden eigentlich bestellt ist. Beispielsweise betonen sowohl Religionswissenschaftler Michael Blume wie natürlich auch Atheisten - etwa des "Humanistischen Pressedienstes" - das Recht zur freien Religionsausübung, das Recht zur Meinungsfreiheit und anderes mehr. Im Zusammenhang dieses Beitrages ist aber (implizit) ein etwas grundlegenderer und erweiterer Freiheitsbegriff angesprochen. Nämlich die Tatsache, daß der Mensch an sich - als Mensch - frei ist, daß er ein per se freies Wesen ist. Daß es in der Natur per se - und damit auch in seiner - große Freiheitsgrade gibt. Daß der Mensch Freiheit besitzt, weil er Mensch ist, weil ihm die Evolution dieses stolze Selbstbewußtsein ermöglicht hat, und weil sie auch - nachweisbar - "Sicherungen" eingebaut hat in der menschlichen Psyche gegen Übersteigerungen dieses stolzen menschlichen Freiheits-Gefühls.
Also das alles nicht nur, weil der Mensch - heute, zufällig, außerdem auch noch - in einer freiheitlichen Gesellschaft lebt, deren Freiheiten wir ja zu Recht sehr schätzen, und die wir darum auch bereit sein sollten, jederzeit in selbstbewußtem bürgerschaftlichem Engagement zu verteidigen. Sondern weil wir und unsere menschlichen Gesellschaften von Natur aus frei sind - insbesondere dann (so ja der Tenor dieses Beitrages), wenn ihre Bürger selbstbewußte Verantwortlichkeit für diese "Natur" unserer Gesellschaft, also für ihre "Natürlichkeit" empfinden und sie dann auch verstärkt und betont leben.
**) Der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel hat den Gedanken geäußert, den er sicherlich von seinem Jugendfreund Friedrich Hölderlin übernommen hat, daß die Weltgeschichte, die Geschichte arbeitsteiliger menschlicher Gesellschaften ein "Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit", auch der gesellschaftlichen Freiheit darstellt. Auch diesem Gedanken könnte in diesem Zusammenhang weiter nachgegangen werden. Vielleicht leben wir deshalb auch geschichtlich gesehen - und damit tatsächlich auch aus Sicht der Evolution - in der freiheitlichsten Gesellschaft der Weltgeschichte. (Oder doch zumindest in einer Vorstufe derselben.)
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