- Oder ist nicht vielmehr Demographie "Selektion"?
In einem neuen Artikel in den "Annals of Human Genetics" (1) wird die Frage aufgeworfen, ob die in den letzten Jahren in vielfältigen Studien bekannt gewordenen auffälligen genetischen Unterschiede zwischen den Völkern und Rassen weltweit (über alle Bereiche von inneren und äußeren Körpermerkmalen und psychischen Merkmalen hinweg) vornehmlich auf lokaler Selektion in den letzten Jahrtausenden "vor Ort" beruhen oder aber möglicherweise - wie in dieser Studie nun vorschlagen - zu größeren Teilen auf demographische Effekte zurückgeführt werden können. Und demographische Effekte wären dann - nach Meinung der Autoren - eher als Zufallseffekte zu werten ("Drift").
Die Idee ist zunächst sehr spannend. Unübersehbar spielt ja die Demographie eine große Rolle in der Geschichte menschlicher Gesellschaften. Aber machen sich die Autoren nun auch ausreichend klar, daß auch Demographie selbst (will heißen: unterschiedliche Demographien von Gruppen) eine bestimmte Form von Selektion darstellen, beinhalten können, nämlich: Gruppenselektion?
Denn bevor eine kleine Gründerpopulation eine Bevölkerungsexplosion erfährt, die zu den heute beobachteten großen genetischen Unterschieden gegenüber anderen Völkern und Rassen führen, haben ja doch, können oder müssen ja doch auch Selektionsprozesse stattgefunden haben. Eine Population durchläuft erst dann eine Bevölkerungsexplosion, wenn sie sich zuvor erfolgreich evolutiv angepaßt hat an (etwaig neue) kulturelle Lebensweisen und möglicherweise auch an die natürliche Umgebung vor Ort. Die entscheidende Selektion fände dann nicht in den großen später zu Völkern angewachsenen Populationen statt, sondern vor Beginn der Besiedlung eines neuen Lebensraumes oder in der Anfangsphase der Besiedlung desselben.
Kleine Populationen leben oft lange im "Schatten" größerer Populationen
Aus der Evolution sind viele Beispiele bekannt, in denen relativ kleine Populationen lange Zeit über im "Schatten" größerer Populationen leben (etwa die Säugetiere im "Schatten" der Dinosaurier oder - auf ganz anderer Ebene: die aschkenasischen Juden im "Schatten" der sephardischen etc.), um erst sehr viel später jene Reproduktionsvorteile ausnutzen zu können, die offenbar schon lange zuvor in ihrer Lebensweise beschlossen gelegen haben mußten. Zugleich aber kann ebenfalls angenommen werden, daß es viele relativ kleine Populationen in der Evolution gegeben hat und gibt, die niemals zu einem späteren Zeitpunkt eine Bevölkerungsexplosion erfahren haben oder erfahren.
Müssen das nun "nur" Zufallsumstände sein, die zu neuen Reproduktionsvorteilen von Populationen führen? Jedenfalls muß eine Population zunächst einmal schon - oft über lange Zeiten hinweg - eine evolutionsstabile Phase durchlaufen haben, da sie ja doch lange Zeit im Schatten größerer Populationen exisiteren konnte. Und diese evolutionsstabile Phase wird doch höchstwahrscheinlich durchaus durch Selektionsereignisse auf mehreren Ebenen erreicht worden sein. Schließlich sind aschkenasische Juden genetisch etwas anderes als sephardische und Säugetiere sind genetisch etwas anderes als Dinosaurier etc..
Häufigkeitsunterschiede von Genmerkmalen zwischen Völkern sind weit verbreitet
Die Forscher schreiben
Die Anfänge sind das Entscheidende
Von jenen möglicherweise häufigen und vergleichsweise kleinen Gruppen, die zuerst versuchten, Afrika Richtung Südasien, Südasien Richtung Europa und Nordasien (und Nordasien Richtung Nordamerika) (oder Osttaiwan Richtung pazifischer Inselwelt) zu verlassen, von jenen Gruppen müssen durchaus nicht alle sozial untereinander und in ihren Beziehungen zur Umwelt erfolgreich gewesen sein. Es könnten da durchaus einige Gruppen erfolgreicher gewesen sein als andere. Und das kann dann durchaus als Selektionsprozeß auf mehreren Ebenen aufgefaßt werden.
Aber möglicherweise müßte man sich auch mit dem Methodenteil der Studie noch genauer befassen, um herauszubekommen, ob demographische und selektive Effekte von den Forschern tatsächlich besser auseinandergehalten werden können als hier vorausgesetzt wird. Das wäre dann schon ungewöhnlich. Die Fragestellung selbst - makrohistorische Effekte wie Demographie von mikrohistorischen Effekten wie Selektion unterscheiden zu wollen - erscheint jedenfalls sehr spannend.
Übrigens ist zu der ganzen Thematik in den letzten Tagen von Gregory Cochran und Henry Harpending ein neues Buch erschienen - "The 10.000 Year Explosion", das mancher Beachtung wert sein dürfte (siehe ---> St.gen. Bücherregal).
In einem neuen Artikel in den "Annals of Human Genetics" (1) wird die Frage aufgeworfen, ob die in den letzten Jahren in vielfältigen Studien bekannt gewordenen auffälligen genetischen Unterschiede zwischen den Völkern und Rassen weltweit (über alle Bereiche von inneren und äußeren Körpermerkmalen und psychischen Merkmalen hinweg) vornehmlich auf lokaler Selektion in den letzten Jahrtausenden "vor Ort" beruhen oder aber möglicherweise - wie in dieser Studie nun vorschlagen - zu größeren Teilen auf demographische Effekte zurückgeführt werden können. Und demographische Effekte wären dann - nach Meinung der Autoren - eher als Zufallseffekte zu werten ("Drift").
Die Idee ist zunächst sehr spannend. Unübersehbar spielt ja die Demographie eine große Rolle in der Geschichte menschlicher Gesellschaften. Aber machen sich die Autoren nun auch ausreichend klar, daß auch Demographie selbst (will heißen: unterschiedliche Demographien von Gruppen) eine bestimmte Form von Selektion darstellen, beinhalten können, nämlich: Gruppenselektion?
Denn bevor eine kleine Gründerpopulation eine Bevölkerungsexplosion erfährt, die zu den heute beobachteten großen genetischen Unterschieden gegenüber anderen Völkern und Rassen führen, haben ja doch, können oder müssen ja doch auch Selektionsprozesse stattgefunden haben. Eine Population durchläuft erst dann eine Bevölkerungsexplosion, wenn sie sich zuvor erfolgreich evolutiv angepaßt hat an (etwaig neue) kulturelle Lebensweisen und möglicherweise auch an die natürliche Umgebung vor Ort. Die entscheidende Selektion fände dann nicht in den großen später zu Völkern angewachsenen Populationen statt, sondern vor Beginn der Besiedlung eines neuen Lebensraumes oder in der Anfangsphase der Besiedlung desselben.
Kleine Populationen leben oft lange im "Schatten" größerer Populationen
Aus der Evolution sind viele Beispiele bekannt, in denen relativ kleine Populationen lange Zeit über im "Schatten" größerer Populationen leben (etwa die Säugetiere im "Schatten" der Dinosaurier oder - auf ganz anderer Ebene: die aschkenasischen Juden im "Schatten" der sephardischen etc.), um erst sehr viel später jene Reproduktionsvorteile ausnutzen zu können, die offenbar schon lange zuvor in ihrer Lebensweise beschlossen gelegen haben mußten. Zugleich aber kann ebenfalls angenommen werden, daß es viele relativ kleine Populationen in der Evolution gegeben hat und gibt, die niemals zu einem späteren Zeitpunkt eine Bevölkerungsexplosion erfahren haben oder erfahren.
Müssen das nun "nur" Zufallsumstände sein, die zu neuen Reproduktionsvorteilen von Populationen führen? Jedenfalls muß eine Population zunächst einmal schon - oft über lange Zeiten hinweg - eine evolutionsstabile Phase durchlaufen haben, da sie ja doch lange Zeit im Schatten größerer Populationen exisiteren konnte. Und diese evolutionsstabile Phase wird doch höchstwahrscheinlich durchaus durch Selektionsereignisse auf mehreren Ebenen erreicht worden sein. Schließlich sind aschkenasische Juden genetisch etwas anderes als sephardische und Säugetiere sind genetisch etwas anderes als Dinosaurier etc..
Häufigkeitsunterschiede von Genmerkmalen zwischen Völkern sind weit verbreitet
Die Forscher schreiben
We find that large allele frequency differences between continental regions are extremely common, as they occur at almost one third of all loci.Und an anderer Stelle:
The sheer number of loci showing such striking patterns makes it difficult to believe that these patterns have all been shaped by positive selection, as previously advocated.Und:
... African populations seem therefore to have a deficit of recent positive selection (but see Hawks et al. 2007), which may be interpreted as evidence that selective pressures in recent times were more prevalent outside of Africa (Akey et al. 2004, Storz et al. 2004).Und dann schreiben sie zur eigenen Erklärung all dieser auffälligen Befunde:
It is to disentangle the effects of positive selection from those of demography, since past demographic events such as population bottlenecks or range expansions can mimic the genetic signatures of a selective sweep ...Natürlich können in Gründerpopulationen auch selektiv neutrale genetisch Nebeneffekte auftreten (über "Drift") oder sogar selektiv nachteilige Effekte, die durch andere selektive Effekte aufrecht erhalten werden (da die Nachteile zugleich mit Vorteilen einhergehen, wodurch ja allein so viele Krankheiten über so lange Zeit hinweg evolutionsstabil geblieben sein können).
The colonisation of the world by modern humans was probably accompanied by a series of founder effects with subsequent local population expansions (Handley et al. 2007). Strong bottlenecks have also certainly occurred during the exit out of Africa and at the onset of the colonisation of the Americas by people from Asia (Fagundes et al. 2007, Goebel et al. 2008).
Die Anfänge sind das Entscheidende
Von jenen möglicherweise häufigen und vergleichsweise kleinen Gruppen, die zuerst versuchten, Afrika Richtung Südasien, Südasien Richtung Europa und Nordasien (und Nordasien Richtung Nordamerika) (oder Osttaiwan Richtung pazifischer Inselwelt) zu verlassen, von jenen Gruppen müssen durchaus nicht alle sozial untereinander und in ihren Beziehungen zur Umwelt erfolgreich gewesen sein. Es könnten da durchaus einige Gruppen erfolgreicher gewesen sein als andere. Und das kann dann durchaus als Selektionsprozeß auf mehreren Ebenen aufgefaßt werden.
Aber möglicherweise müßte man sich auch mit dem Methodenteil der Studie noch genauer befassen, um herauszubekommen, ob demographische und selektive Effekte von den Forschern tatsächlich besser auseinandergehalten werden können als hier vorausgesetzt wird. Das wäre dann schon ungewöhnlich. Die Fragestellung selbst - makrohistorische Effekte wie Demographie von mikrohistorischen Effekten wie Selektion unterscheiden zu wollen - erscheint jedenfalls sehr spannend.
Übrigens ist zu der ganzen Thematik in den letzten Tagen von Gregory Cochran und Henry Harpending ein neues Buch erschienen - "The 10.000 Year Explosion", das mancher Beachtung wert sein dürfte (siehe ---> St.gen. Bücherregal).
Literatur:
1. T. Hofer, N. Ray, D. Wegmann, L. Excoffier (2009). Large Allele Frequency Differences between Human Continental Groups are more Likely to have Occurred by Drift During range Expansions than by Selection Annals of Human Genetics, 73 (1), 95-108 DOI: 10.1111/j.1469-1809.2008.00489.x
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