Eine neue archäogenetische Studie
Zu Spanien ist eine neue archäogenetische Studie von Archäogenetikern und Archäologen rund um Wolfang Haack und Roberto Risch erschienen (1). Koautoren sind - unter vielen anderen - Johannes Krause und David Reich. Der archäologische Teil ist sehr deutlich inspiriert von dem deutschen Archäologen Roberto Risch, von dem und dessen Forschungen man sich ein sehr gutes Bild machen kann in einem Interview, das der Archäologe Harald Meller letztes Jahr mit ihm geführt hat (2). Es dürfte zur Einführung in die Thematik dieses Blogartikels außerordentlich gut geeignet sein, weil Roberto Risch darin wirklich für seine Forschungen begeistern kann.
Abb. 1: Der Goldschatz von Villena, um 1000 v. Ztr. (Wiki) - Er wurde zwar im Gebiet der vorhergehenden El Argar-Kultur gefunden, gehört allerdings schon in die Zeit nach dem Ende derselben. Spannend ist, daß er ein Pendant findet im zeitgleichen Eberswalder Goldschatz der Lausitzer Kultur in Brandenburg |
Im archäologischen Textteil der Studie wird der Forschungsstand zur Archäologie Spaniens vor und nach Beginn der Bronzezeit sehr treffend kurz und knapp auf
den Punkt gebracht (1). Man spürt aus dem Text heraus den Geist von Roberto Risch. Wir referieren in freier Übersetzung:
3.300 bis 2.800 v. Ztr. erlebt die südliche Hälfte der iberischen Halbinsel ein exzeptionelles demographisches Wachstum. Eine Vielfalt an monumentalen Siedlungen und Grabanlagen entsteht, Kupfermetallurgie ist weit verbreitet, die Herstellung und der Austausch einer Vielzahl ausgefeilter symbolischer Güter kennzeichnet diese Zeit (also Schmuck und Prestigegüter). Diese Zeit ist charakterisiert durch eine große Vielfalt an Siedlungstypen, wobei befestigte Siedlungen ebenso auftreten wie solche, die durch Gräben umschlossen sind, sogenannte "Megasites". Von diesen hatten einige 100 Hektar Fläche überschritten. Sie alle waren dem Glockenbecher-Horizont in Spanien zeitlich voraus gegangen (1).*) Auch Fernhandel, zum Beispiel mit Afrika ist betrieben worden.
Wir erinnern uns, daß wir uns hier auf dem Blog im August mit der zeitgleichen Kultur der Patron-Händler-Elite der Monte Claro-Keramik auf Sardinien beschäftigt haben (3). Von dieser könnte man sich sicherlich gut vorstellen, daß sie im Austausch stand mit diesen prosperierenden "Megasites" auf der iberischen Halbinsel. Womöglich wären vielerlei religiöse Vorstellungen, Ordnungsstrukturen des Gemeinwesens auf der iberischen Halbinsel und auf Sardinien jener Zeit miteinander in Parallele zu setzen, wodurch beide kulturelle Räume Licht aufeinander werfen können. Wir haben es noch mit zum Teil sehr archaischen religiösen Vorstellungen und Kulten zu tun.
Abb. 2: Das Golddiadem von Caravaca, 1500 v. Ztr. - Aus der Endzeit der El Argar-Kultur (Wiki) |
Ab 2.300 v. Ztr., so hatten wir ausgeführt, war die Glockenbecher-Kultur auf Sardinien für die dortige einheimische Monte-Claro-Elite außerordentlich desaströs aufgetreten (3). Die vormalige Elite wurde in abgelegene Rückzugsorte in die Berge vertrieben, verschanzte sich dort hinter Zyklopenmauern und läßt archäologisch verschiedene Stadien der Verelendung erkennen (3). All das geschah dort allerdings, ohne daß die Träger der Glockenbecher-Kultur zugleich auch ihre Steppen-Genetik schon zu jenem Zeitpunkt auf der Insel Sardinien hinterlassen hätte (3). Womöglich kamen sie also zunächst nur als Verbündete der einheimischen Aufständischen nach Sardinien und diese Aufständischen glichen sich kulturell an die Glockenbecher-Kultur an. Aber der Großteil der Krieger der Glockenbecher-Kultur könnte nach dem Sturz der vormaligen Elite auf Sardinien das Land dann auch wieder - vielleicht gemäß zuvor geschlossener Verträge - verlassen zu haben (3).
Ganz anders nun das Geschehen auf der iberischen Halbinsel, das ungefähr zeitgleich vor sich gegangen sein könnte. Die ältesten Individuen mit Steppengenetik können dort auf 2.200 v. Ztr. eingegrenzt werden (1). Da die Einmischung aber schon früher geschehen sein muß, gehen die Forscher von einem Einmischungszeitraum von 2.350 bis 2.200 v. Ztr. aus (1).
Populationsaustausch
Das Geschehen auf der iberischen Halbinsel ist also klar nicht nur durch einen kulturellen Wandel, sondern auch durch einen Populationsaustausch gekennzeichnet. Dieser war schon in früheren Studien festgestellt worden (4, 5) und bestätigt sich in dieser neuen (1). Er zeigt sich in der Omnipräsenz von Steppen-Herkunft in allen Individuen nach 2.200 v. Ztr. (1).**) Die Männer der iberischen Halbinsel tragen ab diesem Zeitpunkt alle den Y-chromosomalen Haplotypen R1b-P312.
Hier kann also ähnliches geschehen sein wie auf Sardinien. Die vormaligen Bevölkerungen wurden erschlagen, insbesondere die Männer. Oder sie wurden in Rückzugsräume vertrieben, wo sie verelendeten und bald keinen Nachwuchs mehr hinterlassen konnten. Die gefangen genommenen Frauen wurden sicherlich - wie auch sonst üblich - als Zweit- und Drittfrauen unter den siegreichen indogermanischen Kriegern verteilt. Aus den Kindern dieser Beziehungen entstanden die neuen Stämme und Völker auf der iberischen Halbinsel.
Mit diesem Bevölkerungsaustausch ist auf der iberischen Halbinsel der Niedergang von "Megasites" wie Los Millares verbunden (1). Gleichzeitig entstehen im Südosten der Halbinsel Höhenburgen sehr viel kleinerer Größe (weniger als 1,5 Hektar) (1). Und parallel zur Mittelmeer-Küste entsteht dort in dieser Zeit - aus einer Kernregion heraus - die El-Argar-Kultur (Wiki) (1). Typische Glockenbecher-Keramik fehlt in dieser. Manche (späteren) kulturelle Züge derselben weisen auf Einflüsse aus dem Nahen Osten (!), andere kulturelle Züge weisen auf Einflüsse aus Europa nördlich der Pyrenäen. Die Forscher fassen zusammen (1):
Bemerkenswerterweise geht dem Hereinkommen einer neuen genetischen Herkunft nicht in allen Regionen der Halbinsel derselbe soziale Wandel parallel. (...) Darin zeigt sich, daß das Hereinkommen von Steppen-Herkunft in die Halbinsel ein längere Zeiten überdauernder Prozeß war, der um 2.400 v. Ztr. in den nördlichen und mittleren Regionen begann, von wo sich die Steppen-Herkunft dann über 300 Jahre hinweg südwärts ausbreitete.Notably, the arrival of new genetic ancestry is not paralleled by the same social changes in all regions of Iberia. (...) This shows that while the genetic contribution of steppe-related ancestry to Iberia was a long-term process starting around 2400 cal BCE in the northern and central regions, from where it spread southward over ~300 years.
Die vorbronzezeitlichen Bevölkerungen Südspaniens waren noch durch eine kleine "Goyet-Herkunftskomponente" gekennzeichnet. Auf diese waren wir auch schon mehrmals hier auf dem Blog zu sprechen gekommen (6, 7). Sie stammte von nacheiszeitlichen mesolithischen Jägern und Sammlern, die in Spanien vor dem Neolithikum einheimisch waren, und die in der Eiszeit einstmals die große europäische Magdalenien-Kultur gestellt hatte. Diese Herkunftskomponente hatte sich in Südspanien in kleinen Anteilen bis zur Kupferzeit gehalten, verschwindet nun aber mit Beginn der Bronzezeit in Südspanien vollständig. Daraus schlußfolgern die Forscher, daß es in Südspanien einen umfangreicheren Bevölkerungsaustausch gegeben haben wird als in Nordspanien. Sie vermuten, daß die Misch-Bevölkerungen, die sich im nördlichen und mittleren Spanien durch das Hereinkommen der Steppen-Genetik gebildet hatten, die Bevölkerungen in Südspanien völlig ersetzt haben (1).
Die iranisch-neolithische Herkunftskomponente
In aufwendigen Modellierungen beschäftigen sich die Forscher mit einer außerdem feststellbaren kleinen iranisch-neolithischen Herkunftskomponente in der bronzezeitlichen El Argar-Bevölkerung (1). Diese könnte sich entweder in kleineren Anteilen über den Mittelmeerraum während der vorbronzezeitlichen Kupferzeit bis in die südspanische Bevölkerung ausgebreitet haben. Das würde ja, so möchten wir meinen, auch gut zu jener internationalen Händler-Elite auf Sardinien passen, die ja ebenfalls ihre Herkunft - scheinbar - nicht in Sardinien selbst gehabt zu haben scheint, und die Handelskontakte zum östlichen Mittelmeerraum aufrecht erhielt (2). Wie die Ausbreitung der iranisch-neolithischen Genetik im Mittelmeer-Raum (über die minoische Kultur auf Kreta hinweg) während der Kupferzeit konkreter zustande gekommen ist, wird sicherlich überhaupt künftig noch genauer zu klären sein. Darüber hat es ja hier auf dem Blog auch schon manche Mutmaßungen gegeben.
Weiterhin besteht aber auch die Möglichkeit, daß die Glockenbecher-Leute, die die El Argar-Kultur begründeten, diesen iranisch-neolithischen Herkunftsanteil von den Inseln des Mittelmeeres (Sardinien, Mallorca oder Menorca) nach Spanien mitgebracht haben können. Zwischen diesen beiden Alternativen kann in dieser Studie noch nicht endgültig entschieden werden (1).
Erstaunlicherweise stellt die Studie fest, daß es trotz des umfangreichen genetischen Austausches beim Übergang zur Bronzezeit keine nennenswerten Häufigkeitsverschiebungen im Phänotyp gegeben habe, also unter anderem in der Haut-, Haar- und Augenfarbe (1).
Wie unseren früheren Beiträgen zu Spanien zu entnehmen ist, war diese erste indogermanische Zuwanderung am Beginn der Bronzezeit keineswegs der letzte genetische Umbruch in Spanien (4). Wie dem genannten Interview entnommen werden kann, können manche Grabinhalte des Fürstengrabes von Leubingen in Sachsen-Anhalt mit Funden der El Argar-Kultur in Spanien in Parallele gesetzt werden (2), so daß auch aus solchen Parallelen heraus ein besseres Verständnis der gesamteuropäischen Zusammenhänge jener Zeit möglich werden könnte.
Mindestens zwei mal haben sich große Völkerschaften aus dem mitteleuropäischen Raum heraus gen Südwesten auf den Weg gemacht und haben dann weite Teile Spaniens erobert. Erst die Glockenbecher-Kultur und dann die Kelten. Was für ein aufregendes Geschehen in Zeiten, aus denen uns keinerlei Schriftdokumente über dieses Geschehen Kunde geben können. Eines Geschehens indes, dessen Umrisse jetzt nach und nach immer besser erkennbar werden.
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- Genomic transformation and social organization during the Copper Age–Bronze Age transition in southern Iberia. Vanessa Villalba-Mouco, Camila Oliart, Cristina Rihuete-Herrada, .... Iñigo Olalde, .... David Reich, Johannes Krause, ... Roberto Risch and Wolfgang Haak, Science Advances, 17 Nov 2021, Vol 7, Issue 47, DOI: 10.1126/sciadv.abi7038, https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abi7038
- Harald Meller trifft Roberto Risch - Neue Forschungen zur europäischen Frühbronzezeit. Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, 21.12.2020, https://youtu.be/rhaqmH8Caq0.
- Bading, Ingo: Rebellen und Könige - Die Indogermanen, 8/2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/08/indogermane-sein-heit-revoluzzer-sein.html
- Bading, Ingo: 3/2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/03/spaniens-vorgeschichte-neue.html
- Bading, Ingo: 10, 2018, https://studgendeutsch.blogspot.com/2018/10/die-einheimischen-manner-des.html
- Bading, Ingo: Völkergeschichte des europäischen Mittelneolithikums - Sie wird komplexer, 6/2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/06/volkergeschichte-des-europaischen.html
- Bading, Ingo: 6/2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/06/die-ursprungsvolker-europas.html
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