Sonntag, 8. Mai 2016

Ist Lehrbuch-Wissen "Quatsch"? - Über naturwissenschaftsnahes Argumentieren in der Politik

Im Lehrbuch "Soziobiologie" von Eckart Voland aus dem Jahr 2013 (2) wird ein Aufsatz aus der Zeitschrift "Human Nature" aus dem Jahr 2009 (1) referiert, der kurzzeitig in der Öffentlichkeit erörterte Argumentationslinien zu angeborenen Verhaltensunterschieden von menschlichen Großgruppen bezüglich r- und K-Strategien (12-17) - im Gegensatz zum allgemein in der Öffentlichkeit vertretenen Urteil - im Prinzip gerechtfertigt erscheinen läßt.

Abb. 1: Eckart Voland - Soziobiologie, 2013, 4. Aufl.
An nur wenigen Tagen in den letzten Monaten und Jahren ist kurzzeitig einmal im Zusammenhang mit politischen Erörterungen Bezug genommen auf naturwissenschaftsnahes Argumentieren (17).

In Reaktion darauf war in den "großen" Medien davon die Rede, dabei sei gedanklich völliger Blödsinn vertreten worden. Selbst nahe politische Freunde desjenigen, der sich hier geäußert hatte, zeigten sich als von Abscheu erfüllt. Sie meinten, daß man sich nicht kontraproduktiver hätte äußern können. In einer rechtfertigenden Stellungnahme wurde inhaltlich dann kein Argument vorgebracht, daß das zuvor vorgebrachte naturwissenschaftsnahe Argumentieren weiter erläutern und stützen würde und das dadurch dazu anregen würde, eine Sachauseinandersetzung weiter zu führen. Und dies ist der Zustand bis heute.

Selbst so überlegte Leute wie der Südtiroler Philosoph Marc Jongen (Universität Karlsruhe) äußern lieber ihre Sympathien für Rudolf Steiner, als daß sie in eine Sachdebatte einsteigen würden und Verständnis zeigen würden für ein naturwissenschaftsnahes, evolutionäres Denken (17).

Weit und breit niemand führte auf diesem Gebiet in der allgemeinen Öffentlichkeit die Sachauseinandersetzung auf inhaltlicher Ebene weiter.

"Der Häscher der Selbstgerchten"


Außer uns. Und außer ganz wenigen Denkenden in Deutschland. Und außer des Wissenschaftsjournalisten Marcus Anhäuser (14) und jener wenigen, auf die er sich bezieht - - - und schließlich außer jemandem, der sich nennt - - - "DerHäscherderSelbstgerechten", der dann von Kritikern begrüßt wurde als "DerMitMartialischenNamenTanzt". Es handelt sich bei diesem "Häscher der Selbstgerechten" um einen Blogger, der sich "Genhorst" nennt. (Der aber jüngeren Jahrgangs ist, als man bei einer solchen Namenswahl vermuten sollte.) Dieser gab schon am 14. Dezember - allerdings bis heute wenig beachtet - den entscheidenden Kommentar zu allen öffentlichen Erörterungen rund um das zur Debatte stehende evolutionäre Denken (Genhorst 14.12.2015) (13).

Abb. 2: Die Überlebenskurve für fünf unterschiedliche Lebewesen mit unterschiedlicher Fortpflanzungsstrategie
(Danke für diese Grafik von: Armin Kübelbeck)

Der Verfasser dieser Zeilen ist bislang der einzige gewesen, dem dieser Blogbeitrag "gefiel", und der ihn auf Facebook weiter geteilt hat. Und der ihn in Kommentaren bei Marcus Anhäuser dann weiter auswertete. Das soll nun auch hier noch einmal dokumentiert werden. Denn - wie gesagt - niemand innerhalb der gesamten "Qualitätspresse" weltweit scheint bislang diesen Hinweis aufgegriffen zu haben. Womit der Vorwurf Lügenpresse voll und ganz gerechtfertigt erscheint.

Was hatte "Der Häscher der Selbstgerechten" getan? Er hatte einfach ein Zitat aus dem Lehrbuch meines Doktorvaters gebracht, auf das ich selbst gar nicht gekommen war:
Soziobiologe Eckart Voland schreibt dazu in seinem Standartwerk „Soziobiologie“ (Springer-Verlag Berlin, Auflage von 2013) im Abschnitt „Menschen sind flexible K-Strategen“ (S. 166).
Und dieses Zitat brachte er dann auch am 5. Februar 2016 in den Kommentaren bei Marcus Anhäuser. Eckart Voland schrieb da also schon 2013:
Allein schon angesichts ihrer vergleichsweise geringen Fruchtbarkeit, langen Jugendentwicklung und beachtlichen Lebenserwartung rangieren Menschen weit auf der K-Seite des r/K-Gradienten. Allerdings läßt sich eine durchaus nennenswerte Variabilität, sowohl im Populationsvergleich als auch im interindividuellen Vergleich, innerhalb einer Population in Bezug auf lebensstrategische Parameter beobachten. Man denke nur an den Unterschied in der realisierten Fruchtbarkeit, wie sie in den westlichen Industriestaaten vorherrscht und nicht einmal zur bloßen Regeneration der Bevölkerung ausreicht […]. Angesichts dieser Unterschiede hat sich schon früh die Frage gestellt, ob das Konzept von “r-” versus “K-Strategie”, das zwar zur Erklärung von genetisch weitgehend fixierten Artunterschieden entwickelt wurde, nicht sinngemäß auch menschliche Unterschiede zu erklären vermag. Schließlich beobachtet man Unterschiede in individuellen Lebensvollzügen, die analog zum “r/K-Konzept” unterschiedlich stark ausgeprägte Fluktuationen in den sozio-ökologischen Lebensbedingungen einschließlich unterschiedlicher extrinsischer Mortalitätsrisiken abbilden. Wenngleich Menschen also K-Strategen sind, sind sie das auch auf verschiedene Weise. Idealtypisch vereinfacht lassen sich eher “langsame” von “schnellen” Lebensverläufen unterscheiden, wobei die “Geschwindigkeit” des reproduktiven Verhaltens als konditionale und funktional-adaptive Antwort auf das Ausmaß individuell erfahrener Lebenssicherheit verstanden wird. […] Die Forschung zur Plastizität der K-Strategie des Menschen hat längst ihre ursprüngliche Domäne, nämlich die Darwinische Entwicklungspsychologie verlassen und strahlt weit in benachbarte Disziplinen aus, die - sei es mit demografischen, kulturvergleichenden oder anderen Methoden und Datensätzen - die Vielfalt der menschlichen Lebensverläufe mit einer einheitlichen evolutionären Theorie einzufangen versucht.
Abb. 3: Rushton - Rasse, Evolution, 2005
Darauf schrieben wir noch am gleichen Tag in den Kommentaren:
Was “Genhorst” da gefunden hat, ist schlichtweg die definitive Entscheidung in dieser Debatte. Und dieses Zitat müßte, wenn wir es denn nicht mit einer Pinocchio-Presse zu tun hätten, durch die gesamte große Presse gehen. Die moderne Humansoziobiologie mit ihrem im deutschen Sprachraum prominentesten Vertreter sagt, daß Menschen r-Strategen sein können als “Antwort auf individuell erfahrene Lebenssicherheit” und auf der Ebene von Populationen (von der in dem Zitat die Rede ist). In Afrika gibt es r-Strategie als Antwort auf individuell erfahrene Lebenssicherheit auf Populationsebene. (...) Der Wissenstand ist schlichtweg zu allergrößten Teilen korrekt wiedergegeben worden. Ob die richtigen politischen Schlußfolgerungen daraus gezogen worden sind, ist damit ja gar nicht gesagt. Aber Pinocchio-Presse bleibt Pinocchio-Presse. Peter Sloterdijk spricht absolut korrekt von Lügenäther.
Ich übergehe hier einen längeren Abschnitt in der Diskussion bei Marcus Anhäuser, in der auf Einwände gegen unsere Auslegung dieses Zitats geantwortet wurde. Es wird eine Diskussion sein, die sehr lehrreich sein dürfte für manche, die noch weniger in naturwissenschaftsnahem Denken geschult sind. Bis zum 9. Februar hatte ich dann endlich herausgesucht, was hier tatsächlich inhaltlich zur Erörterung stand. Ich schrieb:
Habe jetzt das obige Voland-Zitat im Original rausgesucht und sehe, daß sich Voland bezieht bei den zitierten Aussagen auf diese Studie aus dem Jahr 2009: http://www.u.arizona.edu/~ajf/pdf/Ellis,%20Figueredo,%20Brumbach,%20&%20Schlomer%202009.pdf (Schade, daß man das hier alles selber machen muß und die “Qualitätspresse” weit und breit sich in Deutschland darum nicht kümmert.) Im Abstract dazu heißt es abschließend: “This review demonstrates the value of applying a multilevel evolutionary-developmental approach to the analysis of a central feature of human phenotypic variation.” Ohne das Ding jetzt weiter gelesen zu haben, entnehme ich jetzt mal dem Wort “multilevel approach”, daß ich mit meiner obigen “Interpretaton” des Voland-Zitates 100% richtig liege. Denn multilevel heißt: die genetische Ebene ist eben nicht ausgeschlossen.
Der Aufsatz stammt von einer Forschergruppe rund um den Evolutionären Psychologen Bruce J. Ellis von der Universität von Arizona in Tuscon, USA. Er ist in deutscher Übersetzung betitelt mit: "Grundlegende Auswirkungen von Umweltrisiken - Der Einfluß von harschen gegenüber unvorhersehbaren Umwelten in der Evolution und Entwicklung von Lebensphase-Strategien" (1).

Bruce J. Ellis aus Tuscon/Arizona


Abb. 4: Die Zeitschrift "Human Nature"
Und diese Originalarbeit, auf die sich Voland bezog, ist glücklicherweise frei zugänglich und so konnten aus dieser gleich die entscheidenden Passagen herausgesucht werden (worauf es dann auch - bis heute - keine Einwände mehr gab ;) ). Bezugnehmend auf hier nicht dokumentierte Diskussionsabschnitte schrieb ich also:
Der eben genannte Artikel von 2009 raisonniert auf genau der gedanklichen Linie, die ich oben schon erläutert habe. Aber er geht noch erheblich weiter! Er erörtert sehr WOHL auch sehr konkret verhaltensgenetisch vorgegebene Häufigkeitsunterschiede zwischen MENSCHLICHEN Populationen weltweit. Insbesondere auf S. 228f wird dies anhand einer genetischen Anlage für ADHS erörtert, eine Anlage, deren 7-fache Sequenz bei Chinesen und Buschleuten gar nicht vorkommt, die aber in einigen Volksstämmen Südamerikas sehr häufig vorkommt und z. B. unter Europäern ebenfalls mitverantwortlich ist für dortiges “novelity seeking”, für Abenteuerlust, Risikofreude und ADHS. Und diese Steuerungssequenz korreliert nach älteren Studien (u.a. Harpending) mit Nomadenhaftigkeit und Wanderungsfreude. Und nun der von Voland zitierte Aufsatz zu solchen angeborenen Lebenslauf-Häufigkeits-Unterschieden zwischen menschlichen Populationen in Bezug auf diese Veranlagung (LH = Life history):
“Variation between and within human populations in LH strategies has also been linked to measured genetic variation. For example, the modal slow human LH strategy may be supported by the common 4R variant of the human dopamine receptor D4 (DRD4) gene. DRD4 regulates dopamine receptors in the brain, and variants of this gene have been linked to individual differences in such personality traits as extraversion and novelty-seeking (Ebstein 2006). The 4R allele was apparently the most common form of the DRD4 gene throughout human prehistory (Wang et al. 2004). Under conditions of environmental harshness and resource limitation, which are common in pre-agricultural foraging societies, biparental investment in offspring, durable pairbonds, and strong family ties and cooperation (i.e., slower LH strategies) are generally needed to survive and reproduce successfully (see Draper and Harpending 1988; Geary 2000; Rodseth and Novak 2000). Harpending and Cochran (2002) suggest that these ancestral conditions helped to maintain the 4R allele, which is associated with more riskaverse mating and social behavior.
Whereas the DRD4 4R allele appears to have emerged around a half-million years ago and is common in most geographical locations, the DRD4 7R allele, which is associated with more impulsive and risk-prone behavior, appears to have been selected for during the past 40,000–50,000 years and has a widely variable and nonrandom global distribution (Chen et al. 1999; Wang et al. 2004). Based on an analysis of this distribution, Chen et al. (1999) have argued that the 7R allele promotes migratory behavior, with bearers of 7R more likely to lead populations far from their ancient lands of origin (e.g., South American Indians, Pacific Islanders). An alternative explanation, however, proposed by Harpending and Cochran (2002), is that the 7R allele is favored by selection under conditions of surplus resources. In such luxuriant contexts, where offspring can be successful without intensive biparental investment (as is common in many agricultural and modern societies), higher levels of energetic, impulsive, and noncompliant behavior characteristic of male bearers of the 7R allele may facilitate fast sexual behavior and success in intrasexual competition (Harpending and Cochran 2002; Penke et al. 2007). Recent increases in the frequency of the 7R allele (Ding et al. 2002) are consistent with this hypothesis. In total, 7R bearers may not only be more likely to become propagules colonizing new environments (generating between-group variation in LH strategies) but may also employ faster LH strategies than 4R bearers in well-resourced, multiniche environments (supporting within-group variation in LH strategy).
In sum, there is much variation in LH strategies between different human populations (e.g., Rushton 2004; Walker et al. 2006b; Walker and Hamilton 2008). On the one hand, genetic polymorphisms, such as those at the DRD4 locus, are potentially relevant because they may account for meaningful cultural and individual variation in LH strategies. On the other hand, comparative data from small-scale human societies suggest that differences between populations in LH strategies are responsive to mortality rates. Much more work is needed, however, to delineate the potential evolutionary and developmental bases of such differences and their coordination with environmental conditions.”
In diesem Falle würden also, wenn ich es recht verstehe, Buschleute und Chinesen auf der “K-nahen” Seite stehen, während südamerikanische Indianerstämme und abenteuerlustige, risikofreudige Europäerinnen und Europäer auf der “r-nahen” Seite stehen, weil sie wechselnde Sexualpartner haben und/oder auch einen sonstigen risikofreudigeren Lebensstil haben. Man sieht, das Thema ist in jedem Fall komplex. Aber daher zu kommen und zu sagen, es sei grundsätzlich “Blödsinn”, in Bezug auf angeborene Verhaltensunterschiede beim Menschen auf Populationsebene von r- und K-Strategie zu sprechen – DAS ist: Blödsinn. Denn die Forschung geht auch jenseits von Philippe Rushton auf diesem Gebiet weiter, jenseits eines Autors übrigens, der auch in der Studie von 2009 als ernstzunehmender zitiert wird.
Seit diese Zitate der Öffentlichkeit bekannt gegeben und ihr erläutert worden sind, ist die öffentliche Erörterung rund um das hier zur Erörterung stehende evolutionäre Denken schlichtweg entschieden. All die Kritiker auf dem Blog von Marcus Anhäuser, die sich zuvor immer wieder mit neuen Einwänden gemeldet hatten, blieben, nachdem diese Zitate gebracht worden waren, stumm. Wahrscheinlich reden sie sich damit heraus, dass ihnen die Diskussion zu lang geworden war und sie ihr gar nicht mehr gefolgt wären.

Aber man möchte doch gerne wissen, wann endlich Qualitätspresse Qualitätsberichterstattung betreibt. Statt Hetzpresse und Verblödungspresse zu sein. (Einige weiterführende Ausführungen im Anhang.) (Ergänzung 11.6.16:) Übrigens ist damit auch die öffentliche Stellungnahme des "Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung" (19) vollständig widerlegt, etwa die dortige These, dass es sich bei der r/K-Theorie um eine "mittlerweile veraltete Theorie zu Unterschieden im Fortpflanzungsverhalten zwischen verschiedenen Tierarten" handeln würde. Wie können habilitierte Wissenschaftler einen solchen Unsinn äußern?
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ResearchBlogging.org
  1. Ellis BJ, Figueredo AJ, Brumbach BH, & Schlomer GL (2009). Fundamental Dimensions of Environmental Risk : The Impact of Harsh versus Unpredictable Environments on the Evolution and Development of Life History Strategies. Human nature (Hawthorne, N.Y.), 20 (2), 204-68 PMID: 25526958
  2. Voland, Eckart: Soziobiologie. Die Evolution von Kooperation und Konkurrenz. Springer-Verlag, Heidelberg u.a. 2013 (4. Auflage)
  3. Bading, Ingo: Ein Skandal der allerersten Güte. Das "Institut für Staatspolitik" in Schnellroda und sein geistig überaus schmalspuriges Auftreten. Auf: GA-j!, 12. Juli 2015
  4. Bading, Ingo: Rettet naturwissenschaftsnaher Katholizismus die europäischen Völker? Entwicklungen auf dem Internetblog "Projekt Ernstfall". GA-j!, 23. Juli 2015
  5. Bading, Ingo: "Eine Milliarde Katholiken gegen 200 Ludendorffer - viel Spaß in der Bataille". GA-j!, 28. Juli 2015
  6. Bading, Ingo: Verblödung auf der Internetseite Sezession. Katholische Rechtskonservative seit über 40 Jahren: "Gehe zurück auf Los und fange bei Null an". GA-j!, 15. August 2015
  7. Bading, Ingo: Alain de Benoist - Er hat "biologische Fragestellungen" "allzu sehr in den Vordergrund gestellt. GA-j!, 7.10.2015 
  8. Bading, Ingo: Alain de Benoist - Ein rechtskonservativer Hijacker. GA-j!, 11.10.2015
  9. Bading, Ingo: Laßt sie nicht abreißen! - Die kulturelle und genetische Tradition. Begreift Euch als Erben! Eine Lesehilfe zu Peter Sloterdijk's neuestem Buch "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" (2014). GA-j!, 15. Oktober 2015
  10. Albrecht, Jörg: Das Fremde und das Vertraute. In: FAS, 17.11.2015
  11. von Rauchhaupt, Ulf: Lewontins Fehlschluß. In: FAS, 17.11.2015
  12. Zastrow, Volker: Neue Rechte - Höckes Rassetheorie. In: FAZ, 20.12.2015
  13. Genhorst: Höckes r- und K-Strategen. Auf: Das Wesen - EvoDevoAnthro, 14. Dezember 2015, https://genhorst.wordpress.com/2015/12/14/hoeckes-r-und-k-strategen/
  14. Anhäuser, Marcus: Liebe Biologen, #Höcke wäre Eure Chance gewesen (Nachtrag 28.1.16). Auf Placeboalarm, 15. Dezember 2015, mit 105 Kommentaren, http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/liebe-biologen-hoecke-waere-eure-chance-gewesen/
  15. „Sonst endet die AfD als ‘Lega Ost’“ - Interview mit Karlheinz Weißmann. In: Junge Freiheit, 21.12.2015
  16. Hermsdorf, Daniel: Volksverhetzung durch angebliche #Rassismus-Kritik? Filmdenken, 21.12.2015
  17. Bading, Ingo: Evolutionäres Denken - Von seinem Gebrauch und Mißbrauch in der Politik. 10. Januar 2016, https://studgenpol.blogspot.com/2016/01/bjorn-hockes-evolutionares-denken.html
  18. Brynja Adam-Radmanic: Hat Höcke recht, aber wir dürfen es nicht sagen? - Ein Fakten-Check mit Anleitung zur Verhinderung totalitären Denkens. Auf: Wissensküche, 15. Dezember 2015 (mit 126 Kommentaren), http://wissenskueche.de/2015/12/hat-hoecke-recht-aber-wir-duerfen-es-nicht-sagen-ein-fakten-check-mit-anleitung-zur-verhinderung-totalitaeren-denkens/
  19. Damian Ghamlouche: BIM-Pressemitteilung: Rassistische Argumentationen dringen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit in den politischen Raum. Pressemitteilung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung vom 15.12.2015, http://www.bim.hu-berlin.de/media/PM_BIM_14122015.pdf


Anhang: Parallel zu "Genhorst" hatte ich selbst noch versucht, meiner zunächst nur vagen Argumentation genauer nachzugehen, dass die Reproduktionstrategie der kleinen menschlichen Bevölkerungsgruppe in Ostafrika, die vor rund 200.000 Jahren dort ein genetisches Flaschenhals-Ereignis durchlief, der r-Strategie gefolgt sein könnte (17). Dazu noch die folgenden ergänzenden Erörterungen.

r-Strategie nach Massenaussterbeereignissen?


Pionier-Arten nach dem großen Artensterben r-Strategie

Als bekannt wurde, dass ein deutscher Politiker im November 2015 auf einem "Staatspolitischen Kongress" des "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda von der r- und der K-Reproduktionstrategie evolutionärer Arten und Populationen sprach, die es auch bei menschlichen Populationen gäbe, wurden Stimmen aus der Wissenschaft laut, nach der es sich hierbei um eine "mittlerweile veraltete Theorie zu Unterschieden im Fortpflanzungsverhalten zwischen verschiedenen Tierarten" handeln würde"  (Pressemitteilung des Berl. Inst. f. emp. Integr.- u. Migr.forsch, 15.12.15 -> pdf, s.a.: W. Eberwein). Ein Blick in die Online-Enzyklopädie Wikipedia und in die aktuelle Forschungsliteratur kann einen aber schnell eines anderen belehren. Auf Wikipedia heißt es über die Artbildung in neu entstandenen Lebensräumen (Wiki, Hervorheb. n. i. Original):
Eine Art, die einen neu entstandenen Lebensraum besiedelt, wird normalerweise relativ unspezialisiert sein. Dies liegt einerseits daran, dass Pionierarten generell weniger spezialisiert sind, andererseits benötigt ein Spezialist meist besondere Habitate und Lebensgemeinschaften, die noch gar nicht vorhanden sein können. Die neu ankommende Art kann die vorkommenden Ressourcen also mit recht geringer Effizienz ausnutzen. Das ist zunächst nicht so wichtig, weil sie keine potenziell überlegenen Konkurrenten hat. Nach kurzer Zeit wird die Population so weit gewachsen sein, dass innerartliche Konkurrenz auftritt. Ab jetzt wirkt auf die Population ein Selektionsdruck daraufhin ein, dass sie die vorhandenen Ressourcen besser nutzen kann. Da eine bessere Effizienz auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann, bilden sich in der Population verschiedene neue Merkmale heraus. Wenn sich ihre Merkmale verändern und kein Genaustausch mit der Spenderpopulation besteht, entwickeln sich nach und nach neue Arten. Somit ist diese Besonderheit einer Inselspezies relativ leicht erklärbar.
Zu diesen hier genannten Pionierarten gibt es auch einen eigenen Wikipedia-Artikel (Wiki.) Und diese Unterscheidung zwischen wenig spezialisierten Pionierarten und stärker spezialisierten "Spezialisten", die anfangs vor allem für die Artbildung auf Inseln gemacht worden ist, wird nun auch auf anderen Fälle von Artbildung angewandt (Wiki):
Die wichtigsten Fälle sind: Radiation infolge eines Massenaussterbens. Sterben infolge eines von außen einwirkenden, katastrophalen Ereignisses zahlreiche Arten, die vorher gut angepasst waren, aus, stehen für die Überlebenden auf einmal Lebensräume und Nischen offen, die vorher durch diese überlegenen Konkurrenten versperrt waren. Ein klassisches Beispiel wäre die Radiation der Säugetiere nach dem Aussterben der Dinosaurier.
Und als eines von mehreren viel untersuchten Massenaussterbe-Ereignissen wird nun auf Wikpedia der Übergang vom Perm zum Trias (s. Wiki) vor 252 Mio. Jahren genannt. Und es ist hier die Rede von Katastrophen-Arten ("disaster taxa") (Wiki, Hervorh. n. im Original):
The worst event, the Permian–Triassic extinction event, devastated life on earth and is estimated to have killed off over 90% of species. Life seemed to recover quickly after the P-T extinction, but this was mostly in the form of disaster taxa, such as the hardy Lystrosaurus. The most recent research indicates that the specialized animals that formed complex ecosystems, with high biodiversity, complex food webs and a variety of niches, took much longer to recover. It is thought that this long recovery was due to the successive waves of extinction which inhibited recovery, as well as to prolonged environmental stress to organisms which continued into the Early Triassic. Recent research indicates that recovery did not begin until the start of the mid-Triassic, 4M to 6M years after the extinction; and some writers estimate that the recovery was not complete until 30M years after the P-Tr extinction, i.e. in the late Triassic. Subsequent to the PT mass extinction, there was an increase in provincialization, with species occupying smaller ranges - perhaps removing incumbents from niches and setting the stage for an eventual rediversification.
Und es heißt in einer Forschungsstudie von 2007 (Hervorh. n. i. Orig.):
Research on the Permian–Triassic boundary and Lower Triassic, especially that on environmental events at the beginning of the Triassic in South China, indicates that the slowness of the recovery may be the result of three factors: (1) extreme environmental conditions that persisted through the transitional period and which were maintained by, for example, intermittent contemporary volcanism; (2) a passive evolutionary and ecologic strategy of the biota, in which r-selection taxa were dominant and K-selection forms insignificant; (3) an immature, poorly functioning ecosystem, which had difficulty in responding to and withstanding extreme environmental changes.
Und in einer anderen von 2008 (pdf):
Our data showed that though there was an initial rise in cosmopolitanism after the extinction pulses, large drops subsequently occurred and, counter-intuitively, a surprisingly low level of cosmopolitanism was sustained through the Early and Middle Triassic.
Also der Arten-Kosmopolitismus ging sehr schnell nach dem Ende des Aussterbeereignisses wieder zurück. Im Abstract einer aktuellen Studie heißt es (Science, 2015):
Following the end-Devonian mass extinction (359 million years ago), vertebrates experienced persistent reductions in body size for at least 36 million years. (...) Small, fast-breeding ray-finned fishes, sharks, and tetrapods, most under 1 meter in length from snout to tail, radiated to dominate postextinction ecosystems and vertebrae biodiversity. The few large-bodied, slow-breeding survivors failed to diversify, facing extinction despite earlier evolutionary success. Thus, the recovery interval resembled modern ecological successions in terms of active selection on size and related life histories. Disruption of global vertebrate, and particularly fish, biotas may commonly lead to widespread, long-term reduction in body size, structuring future biodiversity.
In diesem Zusammenhang fällt einem ein, dass auch die Evolutionäre Psychologin Mathilde Ludendorff beim Menschen die Unterscheidung macht zwischen von ihr sogenannten Licht- und Schachtrassen. Diese Bezeichnungen beziehen sich auf die angeborene Art des religiösen Erlebens. Dass es beim Menschen angeborene Komponenten des religiösen Erlebens gibt - die dann ebenfalls unterschiedlich auf Völker verteilt sein können - wird ja gegenwärtig in der Wissenschaft recht intensiv erörtert. Da diese Bezeichnungen von Mathilde Ludendorff aus den 1920er Jahren sehr einseitig wertende sind, sind sie von nachfolgenden Autoren ersetzt worden durch die Bezeichnungen "Stolz erlebende" und "Demut erlebende" Rassen. Durch diese Bezeichnungen wird deutlich gemacht, dass auch das Erleben von Demut wertvollstes religiöses Erleben ist. Und nun sagt Mathilde Ludendorff ebenfalls schon sehr deutlich, dass Völker von Demut-Rassen sehr viel größere Überlebenswahrscheinlichkeiten haben in Krisenzeiten als Völker von Stolz-Rassen. Weil die Menschen in den ersteren Völkern eher bereit sind, auf die Ratschläge von anderen zu hören, während in den Stolz-Völkern viel häufiger die Verhaltensneigung verbreitet ist, alles selbst prüfen zu wollen. Als Beispiel kann das chinesische Volk genannt werden, das sie als einer Demut-Rasse angehörig bezeichnet und das eine lange Lebensdauer aufweist. Womöglich macht es also auch hier Sinn, das Denken von Mathilde Ludendorff dem heutigen Evolutionären Denken gegenüber zu stellen. Natürlich unter Ausschluss von pauschalisierenden Wertungen.

Aber die schlichte Unterscheidung zwischen K- und r-Selektion kann dazu wohl nicht so einfach eins zu eins in in Beziehung gesetzt werden, zumal beide Arten des religiösen Erlebens mit beiden Fortpflanzungsstrategien verbunden sein können.

In dem eben zitierten Artikel ist ausdrücklich von "r-selection" die Rede. Auch ein sonstiger Literatur-Überblick zeigt, dass die Unterscheidung zwischen K-Selektion und r-Selektion vollkommen üblich ist in der modernen Forschungsliteratur. Im Abstract einer weiteren Studie aus dem Jahr 2015 heißt es (Geological Magazine 2015):
Survival and recovery are important dynamic processes of biotic evolution during major geological transitions. Disaster and opportunistic taxa are two significant groups that dominate the ecosystem in the aftermath of mass extinction events. Disaster taxa appear immediately after such crises whilst opportunists pre-date the crisis but also bloom in the aftermath. This paper documents three disaster foraminiferal species and seven opportunistic foraminiferal species from Lower Triassic successions of South China. They are characterized by extreme high abundance and low diversity and occurred occasionally in Griesbachian, Smithian and Spathian strata. The characteristics (small size, simple morphology) and stratigraphic ranges of these groups suggest that r-selection is a commonly used strategy for survivors to cope with either harsh post-extinction conditions and/or environments lacking incumbents.
Abschließend seien noch einige Kernsätze aus dem ganz oben behandelten Artikel des Jahres 2009 gebracht (1):
S. 206: "Adaptive variation in Life History strategy, both between and within species, is generated by a combination of evolved genetic diversity and phenotypic plasticity in response to environmental influences."
S. 208: "Optimal Life History strategies vary across individuals within and between populations. These individual and population differences develop through a combination of genetic variation and phenotypic plasticity in response to environmental conditions."
S. 212: "Adaptive individual differences in these strategies encompass both genetic diversity and evolved mechanisms of phenotypic plasticity that allow individuals to conditionally adjust Life History strategies in response to more local environmental opportunities and constraints."
S. 227 über Menschen: "There is important within-species variation in LH strategy, both within and between populations (...). For example, across small-scale human societies (hunter-gatherers and subsistence-based horticulturalists), age at menarche and age at first birth each occur about 1 year earlier for every 10% decline in child survivorship to age 15 (after controlling for adult body size as a proxy measure of nutrition; Walker et al. 2006b; see also Walker and Hamilton 2008). Likewise, across human societies, small body size (pygmy stature) and early fertility peaks are associated with high overall mortality rates, independent of nutritional factors (Migliano et al. 2007). 
Auch das weitere Studium dieses Aufsatzes sollte von großem Interesse sein. 

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