Sonntag, 19. Juni 2016

Die ersten Europäer ab 43.000 v. Ztr. starben aus - Erst die Gene ihrer Nachfolger ab 35.000 v. Ztr. hielten sich bis heute

Neue Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung

Die erhaltenen Genreste aus Knochen von 51 Menschen, die zwischen 43.000 und 5.000 v. Ztr. in Europa lebten, sind untersucht worden (1). Hier die wesentlichsten Forschungsergebnisse:

1. Die älteste Besiedlungswelle nach Europa hinein (um 43.000 v. Ztr.), vertreten in der Untersuchung durch einen Fund im Donauraum (im Banat in den Südkarpaten) ("Oase1") und im östlichen Rußland ("Ust’-Ishim"), hat so gut wie keine Spuren im heutigen europäischen Genpool hinterlassen. Diese Stämme sind also schon nach wenigen tausend Jahren - sowohl in Mitteleuropa wie in Rußland - wieder ausgestorben. Der in Abbildung 1 im Jahr 2017 rekonstruierte fröhliche Mensch, der vor 40.000 Jahren in den Südkarpaten lebte (Oase 1) hat also genetisch mit den heutigen Europäern nichts zu tun. Er war wohl so etwas wie eine "Pionier"-Art, die wenig später ausgestorben ist.

Abb. 1: Die Menschen von Peștera cu Oase (Rumänien, Banat), die vor 40.000 Jahren lebten, und deren Knochen 2002 gefunden wurden (Wiki)  - Herkunft: Pressebilder Neanderthal Museum, Mettmann, https://www.neanderthal.de/de/urmenschen.html, Fotograf: Daniela Hitzeman (Wiki) - Rekonstruktion geschaffen von Adrie und Alfons Kennis ("Kennis & Kennis") 2017

2. Erst eine zweite Besiedlungswelle ab 35.000 v. Ztr. hat bis heute etwas deutlicher zu den heutigen Genen der Europäer beigetragen. Hierbei handelt es sich um die archäologisch so genannte Kultur des Aurignacien (Wiki) (in der man - z.B. - schon Knochenflöten und kleine Tierfigurinen herstellte). Und es stellt sich jetzt die vielleicht nicht uninteressante Frage, ob innerhalb dieses bisherigen Aurignacien nicht ab 43.000 v. Ztr. noch die unter 1. genannte Vorgänger-Kultur unterschieden werden kann. Ist diese vielleicht das "Châtelperronien"? Der Schädel von "Oase 1" in den Südkarpaten (aus der Peștera cu Oase-Höhle in Rumänien) wurde jedoch ohne weitere Begleitfunde entdeckt (Wiki) (er enthielt ungewöhnliche 10 % Neandertaler-Gene in sich) (siehe auch: 2).

Die Stämme dieser zweiten Besiedlungswelle zeigen nun relative genetische Einheitlichkeit und Kontinuität auf bis 12.000 v. Ztr.. Nur die Stämme in Sibirien ("Mal’ta") fallen hierbei heraus, OBWOHL sie die gleiche Kultur mit Elfenbein-Venus-Figurinen aufzeigen, wie die sonstigen europäischen "Gravettien"-Stämme (!).

3. Doch auch die sich um 32.000 v. Ztr. im südlichen Europa ausbreitenden Gravettien-Stämme scheinen zwar einerseits in diese genetische Einheitlichkeit eingeordnet werden zu können, diese Kultur scheint sich aber dennoch mit genetisch anderen Menschen und Stämmen ausgebreitet zu haben als das vorhergehende Aurignacien.

4. Bisher stellen nun alle untersuchten europäischen Funde, die jünger sind als 12.000 v. Ztr. (etwa "Villabruna" in Norditalien, aber auch in Belgien, Süddeutschland, Frankreich) genetisch gesehen Stämme dar, die verwandt waren mit zeitgleich lebenden Stämmen im Nahen Osten!  Das heißt, die bis 3. genannten Stämme sind ausgestorben und ersetzt worden durch neue Stämme. Archäologisch fällt dies zusammen mit dem "Epi-Gravettien". In diesen Stämmen finden sich auch Verwandtschaften zu - - - Ostasiaten!

Diese letzteren Befunde kann man deshalb spannend finden, weil

  • a) grob ab 12.000 v. Ztr. an Oberlauf von Euphrat und Tigris in der heutigen Südtürkei der Übergang zur seßhaften Lebensweise beginnt (Göbekli Tepe),
  • b) grob zeitgleich sich begann, in Europa der Wald auszubreiten und
  • c) zeitgleich in Japan Menschen damit begannen, die erste Keramik herzustellen. Wobei es begründete Vermutungen gibt, daß sich die Keramik von dort über ganz Rußland bis in den Ostseeraum (ab 5.300 v. Ztr.) ausgebreitet hat.

/ 2016 veröffentlicht auf Google+;
hier eingestellt, überarbeitet
bebildert und ergänzt: 30.6.2019 /
__________________________________________
  1. The genetic history of Ice Age Europe. Autoren: Qiaomei Fu, Cosimo Posth[…] David Reich. In: Nature volume 534, pages 200-205 (09 June 2016), http://www.nature.com/nature/journal/v534/n7606/full/nature17993.html
  2. Bading, Ingo: 40.000 v. Ztr.: In Rumänien vermischten sich anatomisch moderne Menschen mit Neandertalern - Waren die ersten Europäer Negritos?, 14. April 2019,  https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/04/10000-jahre-lang-lebte-ein-groes-volk.html

Samstag, 18. Juni 2016

"Damals war nichts heilig als das Schöne"

Side - Die Hauptstadt Pamphyliens
Die Stadt des Granatapfels und der Fruchtbarkeit
Die Stadt des Mondgottes Men, der Göttin Athene, des Gottes Apollon

Die Stadt Side an der Südküste der Türkei ist heute eine Hochburg des Tourismus. Auf beiden Seiten eingerahmt von riesigen hässlichen Bettenburgen, Kilometerweit aufgereiht entlang der Küste in erster, zweiter und dritter Reihe, waren der ursprüngliche Anlass für diesen Tourismus in den 1970er Jahren die anziehenden und großes Interesse weckenden Ruinen einer im Grundriss und in wichtigen Ruinen fast vollständig erhaltenen antik-griechischen Stadt, der ehemaligen Hauptstadt einer ganzen Provinz an der Südküste Kleinasiens, nämlich Sides.

Abb. 1: Kopf einer Apollon-Statue aus Side, Pamphylien (2. Jahrhundert n. Ztr.)

Im vorletzten Beitrag ("... Iß, trink und scherze - das übrige ist nicht so viel wert ...") wiesen wir schon hin auf das reichhaltige kulturelle Leben in den antikgriechischen Städten an der Südküste Kleinasiens vor 2000 Jahren. Von Side war in diesem Beitrag dabei noch gar nicht so viel die Rede. Sie soll im folgenden beispielhaft als eine solche - vielleicht ganz willkürlich gewählte - Stadt behandelt werden. Denn selbst eine so unbekannte antik-griechische Stadt wie Side, eine Stadt wie es solche vor 2000 Jahren im östlichen und westlichen Mittelmeer-Raum zu hunderten oder tausenden gab, kann - zu einiger Überraschung - mit namhaften Vertretern der antik-griechischen Kultur als Söhne dieser Stadt aufwarten. Indem man diese Namen nennt, tritt man sogleich mitten hinein in die gelebte Kultur einer solchen Stadt vor 2000 Jahren, eine gelebte Kultur, wie man sie dort vor Ort heute über hunderte von Kilometern hinweg - siehe Bettenburgen*) - gänzlich umsonst sucht.

Side war die Geburtsstadt des Bischofs Eustathios von Antiochia (290-350 n. Ztr.) (Wiki). Dieser gehörte zu den namhaften katholischen Bischöfen des römischen Reiches, die in der Zeit des Konzils von Nicäa die Arianer mit großer Schärfe bekämpften. Er gehörte also zu jenen religiösen Eiferern, die der vormaligen heidnischen Antike das Grab schaufelten. Side war auch die Geburtsstadt des siebzig Jahre später lebenden sophistischen Philosophen Troilus von Konstantinopel (390-450 n. Ztr.) (Wiki), eines Vertreters des ursprünglichen, freien Geistes der griechischen Antike. Side war die Geburtsstadt des letzten großen Rechtsgelehrte der Antike, des Justizministers unter dem oströmischen Kaiser Justinian, nämlich Flavius Tribonianus (gest. 542) (Wiki). Dieser Mensch hat maßgeblich zur Fertigstellung des berühmten "Corpus Iuris" beigetragen. Andererseits beschreibt ihn der griechische Geschichtsschreiber Prokop als "geldgierig". Tribonianus war außerdem des Heidentums verdächtig. Aber das sind alles Namen der Spätantike. Über das ebenfalls vorhandene Geistesleben und kulturelle Leben Sides vor Beginn der Spätantike, also in klassischer Zeit, ist weniger bekannt. Es darf aber nach dem Zeugnis der Hinterlassenschaften, von denen im folgenden einige aufgeführt werden sollen, als ähnlich reichhaltig angenommen werden.

Abb. 2: Reliefs vom Osttor von Side (650 v. Ztr.), ausgegraben aus den Dünen in den 1980er Jahren, heute im Museum von Side (eig. Aufn.)

Side hatte in der Antike 40.000 Einwohner, das sind etwa halb so viel wie die Einwohner der damaligen größten griechischen Stadt, nämlich Korinth. Side hatte einen Hafen, vier Tempel, zwei Marktplätze (Agoren), zwei repräsentative, mit Säulen eingerahmte Kolonadenstrassen. Die Stadt hatte ein Theater und eine Bibliothek, sowie einen Gouverneurspalast. Ihre wehrhaften Mauern hatten 13 Türme. Das bis heute ebenfalls gut erhaltene Aquädukt, das Side mit Wasser aus dem Taurus-Gebirge versorgte, war 29 Kilometer lang. Side war hunderte von Jahren der Sitz des römischen Provinz-Gouverneurs von Pamphilien. In christlicher Zeit, zwischen 300 und 1400, war es Sitz des zuständigen katholischen Bischofs. Auch die Bischöfe haben in der Spätantike zunächst noch in der ungebrochenen Bautradition der Antike gebaut, obwohl sie zu dieser Zeit die heidnischen Tempel schon zerstört hatten.

Der Spätantike waren ja auch in Side wie in so vielen ihrer Nachbarstädte, glänzende Epochen der Kulturgeschichte vorangegangen. Side hatte den Aufstieg und Fall des Großreiches der Hethiter erlebt, jenes wenig bekannten, aber sehr Pferde-liebenden Volkes, das den ersten Friedensvertrag der Weltgeschichte, nämlich mit Ägypten schloß. 

So wie nach Homer im Kampf vor Toja "tapfere Helden" aus ganz Lykien beteiligt waren, werden auch solche aus Side dabei gewesen sein (oder hätten sein können). Also Helden wie Hektor, Achill und Odysseus. Aus dieser kriegerischen Heldenzeit haben sich in Side Reliefs erhalten, die bis zum Untergang der Stadt im Eingangsbereich des Osttores der Stadt hingen und die Feinde der Stadt schrecken sollten. In diesen waren nämlich die den besiegten Feinden der Stadt abgenommenen Rüstungen und Waffen dargestellt (Abb. 2).

Side erlebte den Aufstieg und Fall erst von Athen, dann von Rom. Side versank schließlich - mit dem Fall des Römischen Reiches - in das erinneungsreiche Land des "es war einmal und ist nicht mehr". Die Stadt war also mit bewegt worden von den hethitischen Schicksalen, den athenisch-hellenischen Schicksalen und schließlich erst denen des Römischen, dann des Oströmischen Reiches. Und auch noch die Frühzeit des byzantinischen Reiches erlebte die Stadt mit. Dann ging die blühende Kultur dieser Stadt unter und die letzten Einwohner von Side zogen nach Antalya.

Abb. 3: Frauenstatue aus den Ruinen des Theaters von Side (Museum Side) (eig. Aufn.)

Schon im Jahr 650 v. Ztr. war an der Stelle des bis heute berühmten Apollontempels von Side ein Vorgängerbau errichtet worden im hethitischen Stil, von dem sich wenige Reste erhalten haben. Aus jener Zeit stammen auch die Reliefs von den erbeuteten Waffen der Feinde Sides, die bis in byzantische Zeit zusammen mit sidetischer Inschrift das Osttor der Stadt schmückten und die Feinde abschrecken sollten. Dann war Side eine Zeit lang Mitglied des delisch-attischen Seebundes unter der Vorherrschaft von Athen.

Abb. 4: Frauenstatue aus den Ruinen des Theaters von Side (Museum Side) (eig. Aufn.)

Von den reichhaltigen Kunstwerken, die in den Ruinen der Stadt bis heute gefunden werden, kann in diesem Beitrag nur ein verschwindend kleiner Teil beispielhaft gezeigt werden. Sie finden sich im Museum von Side ausgestellt, das in den wiederhergestellten Räumen einer der erhaltenen antiken Thermen der Stadt eingerichtet wurde. 

Die Ruinen dieser Stadt sagen schlichtweg dasselbe über ihre Bewohner, was die Ruinen von Pompeji und Herculaneum über die Bewohner dieser Städte sagen: Es handelte sich um schönheitstrunkene Menschen, die in einer schönheitstrunkenen Kultur gelebt haben.

Abb. 5: Eine Ecke des wieder errichteten Apollontempels in Side (eigene Aufnahme)

333 v. Ztr. brachte Alexander der Große die griechische Kultur nach Side, nachdem sich Einflüsse derselben natürlich auch schon vorher in der Stadt sichtbar gemacht hatten.

Die noch heute sichtbaren, eindrucksvollen Stadtmauern von Side sind zwischen 188 und 102 v. Ztr. unter der Herrschaft der Seleukiden in Syrien errichtet. Die Stadtmauern dienten der Abwehr der Ptolomäer in Pergamon in den Diadochenkämpfen. 

Zwischen 78 und 25 v. Ztr. wurde Side römisch. Ein Feldherr im Auftrag Roms machte in dieser Zeit jenem Piratenwesen ein Ende, das sich in Side und Coracaesium (Alanya) breit gemacht hatte als Folge eines Machtvakuums, das die Diadochenkämpfe hinterlassen hatten. Side wurde dann Sitz des römischen Provinzgouverneurs von Pamphylien.

Abb. 6: Die von Säulen eingerahmte antike Hauptstraße, die hinter dem inneren Stadttor der Stadt hier
am Theater vorbei quer durch die Stadt hinunter zum Apollontempel führte (eig. Aufn.)

Im zweiten Jahrhundert nach der Zeitrechnung wurden schließlich jene Tempel, der kaiserliche Palast, die Bibliothek und die Staatsagora, das Theater und seine Agora, die eindrucksvollen beiden Stadttore, die innere Dekoration der Stadtmauer, das 29 Kilometer lange Aquädukt, das prachtvolle Nymphäum an seinem Ende vor dem Haupttor der Stadt, die Säulen-bestandene Hauptstraße quer durch die Stadt (Abb. 6) und durch einen mit einem Pferdegespann gekrönten Triumphbogen hindurch erbaut - samt dem damit verbundenen prächtigen Figurenschmuck.

Um der Reste dieser Bauten willen wird Side von Besuchern noch heute als so eindrucksvoll und sehenswert erachtet. 

Natürlich abgesehen von seiner naturschönen Lage auf einer Halbinsel am Mittelmeer im fruchtbarsten Küstenstrichs Kleinasiens.

Abb. 7: Ausblick von der Stadtmauer auf die Bucht westlich von Side (eig. Aufn.)

Die Verehrung des Schönen war alltäglich in den Städten der Antike. Das zeigt auch diese Stadt und der Inhalt seines Museums, der den Ruinen dieser Stadt entstammt. 

Anhand insbesondere von Pompeji läßt sich aufzeigen, daß sich diese Verehrung des Schönen bis in die kleinsten Wohneinheiten der ärmsten Schichten der Stadt hinein nachverfolgen läßt

Sie alle legten wohlproportionierte Gärten in ihren Häusern an, sozusagen auch noch "in der kleinste Hütte". Sie bemalten die Wände mit Malereien, von denen schon Goethe bei seinem Besuch von Pompeji sagte, daß man eine solche Dichte wertvoller Kunstwerke selbst in Holland in der Hochzeit der dortigen Malerei in den Bürgerhäusern nicht wird angetroffen haben.

Abb. 8: Kopf einer Apollon-Statue aus Side, Pamphylien (2. Jhdt. n. Ztr.) - wie Abb. 1 - aber hier in eigener Aufnahme

Auch der erste Thermenbau entstand im zweiten Jahrhundert - die Hafen-Therme. 

Um 250 n. Ztr. wurde ein weiterer großer Thermenbau errichtet, und zwar links an der Kolonadenstraße Richtung Men-Tempel. All dies zeigt, welcher wirtschaftliche Wohlstand hier über Jahrhunderte hinweg vorgeherrscht hat.

Um 350 n. Ztr. wurde eine Stadtmauer quer durch die Stadt errichtet an der schmalsten Stelle der Halbinsel. Die Mauer wurde aus dem Bauschutt aus vormaligen Gebäuden der Stadt erreichtet. Der Triumphbogen und das Theater wurden dabei Teil der Stadtbefestigung (Abb. 9).

Abb. 9: Die Säulen-umstandene Agora mit Fortuna-Tempel in der Mitte. Dahinter das Theater, daneben das innere Stadttor, ein Triumphbogen, auf dem früher ein Pferdegespann thronte, daneben die Therme (heute Museum), im Vordergrund verfallene Bürgerhäuser
- Die reichhaltigen Ruinen von Side erstrecken sich über seine gesamte frühere Ausdehnung, also über mehrere Kilometer (eigene Aufnahme)

Um 450 n. Ztr. wurde die Therme an der Agora (Abb. 9) erbaut. Sie hat sich so gut erhalten, daß in ihr das heutige reichhaltige Museum von Side eingerichtet werden konnte.

Um 490 n. Ztr. war der Baubeginn des Bischofspalastes zwischen dem West- und Osttor der Stadt, im Außenbereich der Stadt. Es handelte sich um einen Palast, an dem bis 950 weiter gebaut wurde. Hierfür wurde sogar noch einmal eine neue, repräsentative, mit Säulen eingerahmte Straße, eine sogenannte Kolonadenstraße erbaut. 

Nun aber machte sich zunehmend christlicher Eifer unter den Menschen der Zeit breit. In der gleichen Jahren wurden die Tempel für die Götter Men, Athene und Apollon, die Wahrzeichen der Stadt auf der Spitze der Halbinsel, abgerissen und zerstört. 

An ihrer Stelle wurde - unglaublich - eine dumpfe christliche Basilika errichtet. In was für eine geistige Umnachtung müsssen die Menschen der damaligen Zeit verfallen sein, daß sie helle, lichtumflutete Tempel ersetzten durch solche Basiliken!

Was für eine vielfältige, Jahrtausende alte Geschichte. 

Die um 490 n. Ztr. abgebrannten Atriumhäuser nördlich der Agora, bei denen es sich um reiche Bürgerhäuser handelte, wurden in jener Zeit nicht mehr wieder aufgebaut. Sie blieben - bis heute - in ihrem Brandschutt liegen (Abb. 9 im Vordergrund).

Abb. 10: Abendstimmung westlich von Side (eigene Aufnahme)

Eine antike Stadt. Mit so großer, weiter Geschichte. Und noch heute rauscht das Meer - wie eh und je - an seine Gestade. An Gestade, die so helle, frei gesinnte, schönheitstrunkene Menschen über Jahrhunderte, Jahrtausende hinweg gesehen haben. 

Die Palmen wehen im Wind. Und die üppige Natur - samt jener Granatäpfel, die Side einst ihren Namen gegeben haben - sie treiben im Frühjahr jedes Jahr aufs Neue aus.

Im Frühjahr. 

Das heißt in dieser Region: Februar.

Bedarf es eines solchen, von der Sonne verwöhnten Klimas, um götterfrohe Menschen hervor zu bringen? 

Wie noch einmal hatte es Friedrich Schiller aufgefaßt, dieses "Blütenalter der Natur", vor dem Einzug des dumpfen, geistig ohnmächtigen, christlichen Mittelalters, in dessen Schlacken wir uns auch heute noch allerorten bewegen? ...

Die Götter Griechenlands
Da ihr noch die schöne Welt regieret,
An der Freude leichtem Gängelband
Selige Geschlechter noch geführet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!
(...)
Finstrer Ernst und trauriges Entsagen
War aus eurem heitern Dienst verbannt;
Glücklich sollten alle Herzen schlagen,
Denn euch war der Glückliche verwandt.
Damals war nichts heilig, als das Schöne,
Keiner Freude schämte sich der Gott,
Wo die keusch errötende Kamöne,
Wo die Grazie gebot.
Eure Tempel lachten gleich Palästen,
Euch verherrlichte das Heldenspiel
An des Isthmus kronenreichen Festen,
Und die Wagen donnerten zum Ziel.
Schön geschlungne, seelenvolle Tänze
Kreisten um den prangenden Altar,
Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,
Kronen euer duftend Haar.
(...)
Schöne Welt, wo bist du? - Kehre wieder,
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.
Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes schauerlichem Wehn;
Einen zu bereichern unter Allen,
Mußte diese Götterwelt vergehn.
Traurig such' ich an dem Sternenbogen,
Dich, Selene, find' ich dort nicht mehr;
Durch die Wälder ruf' ich, durch die Wogen,
Ach! sie wiederhallen leer!
Unbewußt der Freuden, die sie schenket,
Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,
Nie gewahr des Geistes, der sie lenket,
Sel'ger nie durch meine Seligkeit,
Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,
Gleich dem todten Schlag der Pendeluhr,
Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,
Die entgötterte Natur.
Ja, sie kehrten heim, und alles Schöne,
Alles Hohe nahmen sie mit fort,
Alle Farben, alle Lebenstöne,
Und uns blieb nur das entseelte Wort.
                                           Friedrich Schiller
 
 
/ Vom Sprachgebrauch her 
überarbeitet: 3.2.23 /
 
 
_____________________
*) Ja, diese greulichen, scheußlichen Bettenburgen, Schandmale der Kulturlosigkeit unserer Zeit. Im leeren Zustand sind sie übrigens im Winter, also bis Februar oder März weitaus besser zu ertragen und - soweit als möglich - zu ignorieren, als wenn die moderne Massenverblödung etwa April/Mai anfängt, überraschend schnell und kräftig in diesen Gegenden Einzug zu halten. Den Typus des modernen Massenmenschen in seiner (im übrigen: wohlverdienten) Urlaubs- und Freizeit zu erleben, ist womöglich noch erschreckender, als wenn man ihn im seelenlosen Hamsterrad seiner Arbeit in der modernen Dienstleistungsgesellschaft erlebt. Dort wo jeder so tut, als wäre er "Mensch". Erst im Urlaub offenbar der Massenmensch dann sein "wahres Gesicht". (Nietzsche sind demgegenüber schon lange die Worte ausgegangen zur Charakterisierung dieses Typus von "allerletzten Menschen" ....) 
_________________
  1. Huglstad, Allan: Alanya und Umgebung. Von Antalya bis Anamur. Alanya 2008 (220 S.)
  2. Atvur, Orhan: Side. A guide to the ancient city and the Museum. 7. Auflage 2010
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