Mittwoch, 12. Oktober 2022

Von Ungarn nach Norditalien - Goten und Langobarden

Kleiner Einblick zu der vielfältigen dereitigen Erforschung ihrer Archäogenetik
- nebst einem Seitenblick auf die Kunst der Langobarden und Lombarden 

Die Geschichte der Langobarden in Norditalien ist eine faszinierende. Zur höchsten Blüte gelangte die Geschichte ihrer Nachfahren, der "Lombarden" in der italienischen Renaissance und im Barockzeitalter. Welche Fülle an kulturellen Hinterlassenschaften, an Literatur, an Kunst, an Wissenschaft verdankt die Welt diesem Zeitalter.

Abb. 1: Pfalzkapelle der Langobarden in Cividale, 8. Jhdt., Westwand (Wiki) (Fotograf: Wolfgang Sauber)

Einer der ältesten Orte des langobardischen Weltkulturerbes ist die Stadt Cividale in Friaul (Wiki), die wie die meisten Städte dieser Region unter Julius Cäsar gegründet worden ist. Diese Stadt war einst, ab dem 568 n. Ztr., die Hauptstadt der Langobarden, später ein Herzogsitz der Langobarden. In der dortigen einstigen Pfalzkapelle (heute Kloster Santa Maria), errichtet von den dort residierenden langobardischen Herzögen (Wiki) oder gar von dem langobardischen König Aistulf (gest. 756) (Wiki), hat sich ein herrliches Werk der frühen langobardischen Kunst erhalten (Abb. 1).

Welche Personen diese Reliefskulpturen voller kindlich-reifer Schönheit und zugleich herrschaftlicher Würde an der Westwand dieser Kapelle aus dem 8. Jahrhhundert darstellen (Abb. 1), ist nicht bekannt. Manche stilistischen Elemente dieser Kapelle sind von Byzanz beeinflußt, andere von der arabischen Kultur. Ihr Baustil gehört der "Lombardischen Präromanik" (Wiki) an, die auch von den Bauten Theoderichs des Großen in Ravenna beeinflußt war.

Die meisten frühen steinernen Reliefs der Langobarden, die sich erhalten haben, sind ansonsten noch im typischen germanischen Tierstil gehalten, etwa auch auf Sarkophagen (Wiki). Dabei erinnern die noch sehr archaischen Darstellungen des menschlichen Gesichts an europäische Statuenmenhire wie sie Jahrtausende lang in Europa aufgestellt worden waren (Stgen2019). Vielleicht sind die Skulpturen der Pfalzkapelle in Cividale (Abb. 1) demgegenüber ein erster reifer, ja, sogleich auch vollendeter Ausdruck langobardischer Kunst.

Die lombardische Kunst hat im 12. Jahrhundert bis in Bauerndörfer der Halbinsel Istrien ausgestrahlt. So hat sich ein hölzernes Kruzifix aus dieser Zeit erhalten in der Sankt Justus Kirche in Galižana auf Istrien (nördlich von Pula), das den  Betrachter noch heute anspricht in seiner Würde und in der einfachen, gemessenen Ruhe seines Ausdrucks (Abb. 2) (s.a. PPM, Chr. Winters).

Abb. 2: Hölzernes Kurzifix der lombardischen Schule aus dem 12. Jhdt. - In der Sankt Justus Kirche in Galižana in Istrien (aus 3)

Es ragt aus der Unzahl gekünstelt schmerzvoller Jesus-Darstellungen der europäischen Kunstgeschichte jedenfalls klar heraus.

Die Langobarden waren 568 aus Ungarn nach Norditalien zugewandert. Am Plattensee in Ungarn sind die Gräber ihrer Vorfahren archäogenetisch untersucht worden (2). Das war 16 Jahre nach dem Untergang der Ostgoten unter König Teja in der Schlacht Schlacht am Mons Lactarius, in der der "Schwarze Teja" den Tod fand. Dieser Untergang der Ostgoten ist auch noch für heutige Leser ergreifend dargestellt in dem früher viel gelesenen Roman von Felix Dahn "Ein Kampf um Rom" (1876) (Wiki). Viele der damals in Norditalien verbliebenen Goten haben sich aus diesem Anlaß den benachbarten Franken und den Langobarden angeschlossen (Wiki).

Abb. 3: Herkunftsanteile gotischer und langobardischer Krieger auf vier Gräberfeldern am Südufer des Plattensees in Ungarn zwischen etwa 450 und 550 n. Ztr. (aus 2) (blau=germanische Herkunft, rot=antik-toskanische Herkunft, orange=finnische Herkunft)

Aus der Archäogenetik ist inzwischen gut bekannt, daß die Langobarden - ebenso wie die Goten - aus Skandinavien stammen (Wiki). 

Die neue Studie konnte einige jener Goten und Langobarden, die am Plattensee in Ungarn bestattet worden waren zwischen 450 und 550 n. Ztr. genetisch gar nicht unterscheiden. 

Aber die zeitlich früheren Gräberfelder (Abb. 3 links) werden Goten gewesen sein (s. Abb. 4). Sie wiesen nämlich mitunter auch die besonders für die Goten typischen Schädeldeformierungen auf, die entstehen durch Bandagierungen des Kopfes in der frühen Kindheit. Das ist eine Sitte, die vermutlich mit den Hunnen aufgekommen ist (Wiki):

Schädeldeformationen sind im 5. und 6. Jahrhundert gelegentlich an Grabfunden der von den Hunnen unterworfenen oder beeinflußten Völker wie den Goten, Gepiden (in diesen Fällen bis in das 6. Jahrhundert), Thüringern, Alamannen, Franken (bei den letzten beiden eher selten, 7. Jahrhundert), Bajuwaren (mindestens 20 Schädel an 7 Fundstellen, vor allem am Reihengräberfeld Straubing-Bajuwarenstraße an einem Mann und 10 Frauen), Heruler, Langobarden und Burgundern nachweisbar. 

Bei den untersuchten, zeitlich späteren Gräberfeldern am Plattensee wird es sich um Langobarden handeln, wenn auch die Forscher dazu keine genauen Angaben machen wollen. Unter beiden Gruppierungen gab es jedenfalls Krieger und Frauen, die fast nur nordeuropäische Herkunft aufwiesen (in Abb. 3: blau). Der Anteil derselben war aber bei den Langobarden deutlich höher als bei den Goten. Die Goten hatten bekanntlich schon mehrere Jahrhunderte länger am Nordufer des Schwarzen Meeres und auf dem Balkan gelebt, so daß es vermutlich eher erstaunlich ist, daß einige unter ihnen immer noch reine germanische Herkunft aufgewiesen haben. 

Ebenso wurden dort Menschen bestattet, die nur die Herkunft der Bewohner des vormals dort bestehenden Römischen Reiches aufwiesen (Abb. 3: rot).

Und schließlich stammen viele bestattete Krieger auch von beiden Herkunftsgruppen ab, das heißt, die zugewanderten langobardischen Krieger haben einheimische Frauen geheiratet, ob aus der jeweils eigenen sozialen Schicht oder nicht, kann derzeit noch kaum gesagt werden. Die jeweilige Herkunft kann auch sonst nicht zwangsläufig an den Grabbeigaben abgelesen werden. ("Differences and changes in material culture do not necessarily correspond to genetic shifts and differences.") Das heißt, Menschen einheimischer Herkunft waren nicht zwangsäufig sozial schlechter gestellt als die zugewanderten Angehörigen der germanischen Stämme.

Die Gräberfelder der Goten scheinen mehr um die mütterliche Herkunft herum organisiert zu sein. Welche Schicksale wohl die Nachfahren dieser Goten in Italien erfahren haben. Vielleicht waren die Vorfahren von ostgotischen Königen dabei wie Theoderich, Amalaswintha, Wittichis, Totila oder Teja oder anderen ostgotischen Heerführern. Die Gräberfelder der Langobarden sind klar entlang der väterliche Herkunft organisiert.

Ungarn - Ein kurzer weltgeschichtlicher Überblick

Schon im April hatten wir im Entwurf mit einem Beitrag begonnen, der aus diesem Anlaß mit eingestellt werden soll. Mehrere Beiträge hier auf dem Blog haben sich ja inzwischen mit der Geschichte Ungarns beschäftigt. Diese Geschichte ist sehr wechselhaft, sehr vielfältig, sehr abwechslungsreich. Sich diesen Umstand vor Augen zu führen, kann ja einmal ganz sinnvoll sein (Label:Ungarn). 

In Ungarn - zwischen Plattensee und Wiener Becken - entstand die große Kultur der Bandkeramik. Dazu gibt es viele Artikel hier auf dem Blog. Genannt sei an dieser Stelle nur einer der letzten (Stgen2019).

Schon um 4.500 v. Ztr. treten "sporadisch" die ersten Urindogermanen, abstammend von der Chwalynsk-Kultur an der Mittleren Wolga in Ungarn auf (Stgen2022). Ab 2.900 v. Ztr. folgt eine weitere, demographisch deutlich stärkere indogermanische Zuwanderung.

2.200 v. Ztr. scheinen indogermanische Völker aus Ungarn dann wieder abgezogen zu sein (Stgen2022). Völker mit höheren Anteilen westeuropäischer Jäger-Sammler-Genetik, die es seit 5.600 v. Ztr. in Ungarn gar nicht mehr gegeben hatte, siedelten in Ungarn. Erste städtische Zentren entstanden in dieser Zeit (Stgen2022).

Mit diesen städtischen Zentren entstand ein Bevölkerungsüberschuß, der dazu führte, daß aus dem Raum Ungarn heraus viele Anstöße gekommen zu sein scheinen zu großen Kriegszügen nach Westen, Norden (Tollensetal in Mecklenburg!) und schließlich Süden, also zu jenen Kriegszügen, die im Seevölkersturm um 1200 v. Ztr. im Mittelmeerraum mündeten (Stgen2019).

In der Eisenzeit siedelten Sarmaten in Ungarn. Zu ihnen gehörte auch der Stamm der Jazygen. Diese Sarmaten waren zum Teil Gegner, zum Teil Verbündete anderer germanischer und indogermanischer Völker dieses Raumes, etwa auch des Quaden-Fürsten Marbod, der Grundlagen für den Sieg der Cherusker bei Kalkriese im Jahr 9 n. Ztr. legte (Stgen2021). Verbündete etwa auch der Daker in ihrem Überlebenskampf gegen die Römer (Stgen2021).

Später kamen die Goten unter und neben den Hunnenkönigen nach Ungarn (Stgen2021).

Zur Völkerwanderungszeit finden wir gerade folgende, recht gelungene, kurze Zusammenfassung (1):

Vor der Ankunft der Awaren war der westliche Teil des Karpatenbeckens von den Römern besetzt, der östliche Teil desselben von den Sarmaten (etwa 1 bis 400 n. Ztr.). Die Römer wurden durch das kurzlebige Reich der Hunnen ersetzt (400 bis 455 v. Ztr.) und durch mehrere germanisch-sprachige Gruppen: Goten und Langobarden in Pannonien, Gepiden entlang der Tisza (400 bis 568). 567/68 zerstörten die Langobarden das Königreich der Gepiden und zogen nach Italien, während die Awaren das Karpatenbecken und seine einheimische Bevölkerung eroberten (Pohl, 2018).
Before the Avars arrived, the Romans had occupied the western part of the Carpathian Basin and the Sarmatians the eastern part (c. 1–400 CE). The Romans were replaced by the short-lived empire of the Huns (400–455 CE), and by diverse Germanic-speaking groups: Goths and Longobards in Pannonia, Gepids along the Tisza (400 to c. 568). In 567/68, the Longobards destroyed the Gepid kingdom and moved to Italy, while the Avars conquered the Carpathian Basin and its local population (Pohl, 2018).

Um 900 kommt es dann zu den Einfällen der namengebenden "Ungarn" in Ungarn, zur sogenannten "Landnahmezeit" (Stgen2022). Die sibirische, ugrische Sprache der Landnahme-Ungarn blieb bis heute erhalten, ihre Gene sind in Ungarn heute ausgestorben. 

Abb. 4: Gräberfelder am Südufer des Plattensees in Ungarn und ihre zeitliche Stellung (aus 2)

Hier noch einmal ein graphischer Überblick über die Geschichte Ungarns in der Völkerwanderungszeit (Abb. 4).

/ Entwurf zu [1]: 
5.4.22 /

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  1. Gnecchi-Ruscone, G. A., Szécsényi-Nagy, A., Koncz, I., Csiky, G., Rácz, Z., Rohrlach, A. B., ... & Krause, J. (2022). Ancient genomes reveal origin and rapid trans-Eurasian migration of 7th century Avar elites. Cell., https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867422002677
  2. Investigating community formation through dense spatial and temporal sampling of 5-6th century cemeteries in Pannonia     Deven Nikunj Vyas, István Koncz, Alessandra Modi, Balázs Gusztáv Mende,     Yijie Tian, Paolo Francalacci, Martina Lari, Stefania Vai, Péter     Straub, Zsolt Gallina, Tamás Szeniczey, Tamás Hajdu, Rita Radzevi?i?t?,     Zuzana Hofmanová, Sándor Évinger, Zsolt Bernert, Walter Pohl, David     Caramelli, Tivadar Vida, Patrick J Geary and Krishna Ranganaden     Veeramah     bioRxiv. posted 27 September 2022, , 10.1101/2022.09.26.509582     http://biorxiv.org/content/early/2022/09/27/2022.09.26.509582?ct=ct
  3. Barbarlich-Geromella, Elis: Geistige Itinerarien in und um Vodnjan - Eine Begegnung mit der Stille. Libar od Grodza, Pula 1995  

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