Samstag, 7. August 2021

Zu den Anfängen der menschlichen Porträtkunst

Ein kleiner Überblick zu den eher seltenen Funden dieser Fundkategorie

Abb. 1: Brassempouy
Wenn man die Vielfalt an Grabstelen und Eigendarstellungen der arabischen und europäischen Kulturen des Mittel- und Spätneolithikums, also des 5. bis 3. Jahrtausends auf sich hat wirken lassen (Stud. gen. 12/2019), stellt sich die Frage, in welchen größeren kunst- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang sich diese Grabstelen einordnen. 

Welche Vorgeschichte hatten sie? Was folgte auf sie?

Auf diese Frage wird in dem vorliegenden Blogartikel separat eingegangen.*)

Im folgenden geht es also um die Geschichte des Porträts (Wiki) in der Menschheitsgeschichte.

Die älteste Darstellung des menschlichen Gesichts auf hohem künstlerischen Niveau und mit nicht geringer Aussagekraft ist bislang aus der Elfenbeinkunst der europäischen Eiszeit, aus der Zeit um 25.000 v. Ztr. aus Südwestfrankreich überliefert, nämlich in Form der "Venus von Brassempouy" (Abb. 1) (Wiki):

Dabei handelt es sich um die bisher älteste bekannte genauer ausgeführte Darstellung eines menschlichen Gesichtes. (...) Bei anderen Figuren aus dieser Zeit, die ebenfalls als Venus bezeichnet werden, findet man keine so detaillierte Ausarbeitung der Gesichtszüge.
Abb. 2: Ma'lta

Dieses Kunstwerk stammt aus der "Gravetien"-Kultur (Wiki), die getragen war von einem Volk, das zwischen 33.000 und 25.000 v. Ztr. von Frankreich bis nach Sibirien verbreitet war. Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit mußte es sich in Rückzugsräume in Südwestfrankreich und Südosteuropa zurückziehen, scheint dann aber zu großen Teilen ausgestorben und durch andere Völker ersetzt worden zu sein (1). Nach allem, was wir bislang wissen, war die Haut dieser Menschen dunkel pigmentiert so wie auch noch in den nachfolgen Völkergruppen des Mesolithikums (2).

Eine fast ähnlich aussagekräftige Gesichtsdarstellung ist aus der gleichen Zeit auch schon vom Baikalsee in Sibirien überliefert, vom Fundort Ma'lta (Wiki) (Abb. 2). Hier finden sich mehrere ähnliche Figurinen (3). Gene jenes alten nordeurasischen Volkes, Englisch "Ancient North Eurasian" (Wiki), aus dem diese Kust hervorgegangen ist, leben heute fort sowohl in der Völkergruppe der Ureinwohner Amerikas wie in den heutigen Europäern (zurückgehend auf ihren Herkunftsanteil der osteuropäischen Jäger und Sammler). Sie leben auch fort in zentral- und südasiatischen Völkern. Es handelte sich also um ein noch sehr urtümliches Volk.

Aufgrund einer Fülle von Funden ist die Kunstgeschichte der Steinzeit inzwischen erstaunlich dicht dokumentiert (Wiki). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der "jungpaläolithischen Kleinkunst" (Wiki). Menschendarstellungen finden sich darunter allerdings nur sehr selten. Und noch seltener findet sich darunter die genauere Darstellung eines menschlichen Gesichts.

Abb. 3: Das Idol von Shigir
Zwar ist die Völkergeschichte der Eis- und Nacheiszeit von der Archäogenetik noch nicht so gut verstanden wie die nachherigen Geschichtsepochen in Europa und Asien (2, 4). Immerhin wissen wir inzwischen, daß die bislang frühest bekannten Blonden der Menschheitsgeschichte um 15.000 v. Ztr. am Jennissei in Sibirien gelebt haben und daß sie zu der Völkergruppe der "osteuropäischen Jäger und Sammler" (Wiki) gehörten, von denen dann auch die Indogermanen ab 4.700 v. Ztr. genetisch etwa zur Hälfte abstammen.

Über das Gesicht des aus dieser Völkergruppe der osteuropäischen Jäger und Sammler um 9.500 v. Ztr. hervorgegangene, 1890 entdeckte, aber erst 2015 als so alt datierte "Holzidol von Schigir" (Wiki) (Abb. 3, 4), das östlich des Ural bei Jekaterinburg gefunden wurde (also 1.600 km östlich von Moskau und 800 km östlich der Wolga) (5, 6), sagt der Archäologe Thomas Terberger (5):

"Das Gesicht ist kein passives. Ob es schreit und ruft oder singt - es strahlt Autorität aus, vielleicht böswillige Autorität. Unmittelbar dein Freund ist es nicht, noch weniger dein in geschichtlichen Zeiten."
“The face at the very top is not a passive one,” said Thomas Terberger, an archaeologist and head of research at the Department of Cultural Heritage of Lower Saxony, in Germany. “Whether it screams or shouts or sings, it projects authority, possibly malevolent authority. It’s not immediately a friend of yours, much less an ancient friend of yours.”

Man möchte fast meinen, daß diese stilisierte Götter-Darstellung sich als Tradition bis in die germanische Zeit des Frühmittelalters weiter fortgesetzt hat in Form des sogenannten "Anthropomorphen Pfahlgottes" (Wiki) und auch bis in Gesichtsdarstellungen aus Bronze aus diesem Kulturraum.

Die Darstellung des menschlichen Gesichtes scheint uns über viele Jahrtausende hinweg in diesem Kulturraum sehr ähnlich geblieben zu sein. Sie scheint uns regelmäßig darauf ausgerichtet zu sein, nicht unbedingt ein Gesicht "realistisch" darzustellen oder einer "Individualität" Ausdruck zu verleihen, sondern zum Innehalten vor dem Göttlichen aufzufordern. Eines Göttlichen, das ernst und zugleich auch ein wenig einschüchternd dargestellt ist. 

Abb. 3a: Frauendarstellung auf dem Griff eines Bronzemessers von Beringstedt bei Itzehoe, 9./8. Jhdt. v. Ztr.

Wenn man sich eine Kultur von Menschen vorstellt, in der sehr viel Übermut und Überschwenglichkeit vorherrschte - was vielleicht von der germanischen Kultur angenommen werden kann - so könnten solche Götterfiguren als eine Art "Gegenpol" gedient haben, um dessentwillen die Menschen wieder mehr in ein seelisches Gleichgewicht gekommen sein mögen.

Kunst in der Levante und in Anatolien (ab 9.000 v. Ztr.)

Abb. 4: Schigir-Idol, 9.500 v. Ztr. (W)

Die womöglich nächstjüngeren Beispiele authentischer Darstellung von menschlichen Gesichtern finden sich in den ersten bäuerlichen, ja, städtischen, aber noch vorkeramischen Kulturen des Vorderen Orients (9.000 bis 6.000 v. Ztr.) (Wiki). 

Es handelt sich um die hier weit verbreiteten Kunstform der "übermodellierten Schädel" ("plastered skulls") (Wiki), von dem in diesem Beitrag nur ein repräsentatives Beispiel gegeben werden soll (Abb. 5).

In ihnen sind vermutlich verstorbene Stadtherrscher dargestellt, man mag sie gerne auch "Stadtdesporten" nennen. Denn oft sind sie mit großer Lebensechtheit dargestellt und wirken dabei durchaus despotisch. 

Beispiele stammen aus Syrien (Tell Ramad), Jordanien (Ain Ghazal [Wiki], Amman) und Palästina (Jericho), also aus dem westlichen Teil des Fruchtbaren Halbmonds.

Aus derselben Zeit und Kulturstufe stammen sitzende und stehende weibliche Tonfigurinen mit sogenannten "Kaffeebohnen-Augen" (Abb. 6) (7, 8). Sie haben aus heutiger Sicht ebenfalls eher furchterregende und einschüchternde Wirkung.

Von solchen Menschendarstellungen her entsteht der Eindruck, als ob man es mit despotisch regierten frühbäuerlichen und frühstädtischen Gesellschaften zu tun habe, in denen eine hohe Sozialdisziplinierung vorgeherrscht haben könnte.

Immerhin mag ja auch die Umstellung des Menschen von dem nomadischen Leben als Jäger und Sammler zu dem seßhaften Leben als Ackerbauer und Viehzüchter mit viel sozialpsychologischem Streß verbunden gewesen sein. Die Gesellschaften damals mögen deshalb nur durch eine hohe, von außen kommende, weil noch wenig "verinnerlichte" Sozialdisziplinierung zusammen gehalten worden sein.

Auch aus der anatolisch-neolithischen Völkergruppe, die sich ab 6.500 v. Ztr. von Anatolien aus schrittweise über ganz Europa bis nach Skandinavien, England und in die Ukraine ausgebreitet hat, sind inzwischen eine Fülle von Kleinkunst-Werken bekannt. Aber - soweit übersehbar - sind sie bislang noch nicht vollständig genug in einem Übersichtsband vergleichend zusammen gestellt worden. Svend Hansen hat zwar verdienstvollerweise 2007 den Versuch zu einem Überblick gegeben (9). Aber in diesem sind im folgenden von uns hier zu erwähnende österreichischen Figurinen der frühneolithischen Kleinkunst weder in Wort noch im Bild enthalten.

Abb. 5: 'Ain Ghazal (W)

Der Autor dieser Zeilen hat sich nämlich schon vor Jahrzehnten intensiv mit den Forschungen zur Bandkeramik auseinander gesetzt, stößt aber beim Recherchieren zu dem vorliegenden Beitrag auf gleich mehrere eindrucksvolle Werke frühneolithischer Kleinkunst, die ihm bislang gar nicht bekannt gewesen waren.

Schon seit längerem bekannt sind die liebenswürdigen, kleinen Tierdarstellungen (Schweine, Rinder) aus der Kultur der Bandkeramik.

Kunst in der Bandkeramik (ab 5.600 v. Ztr.)

Aber überraschenderweise findet sich in Eisenstadt im Landesmuseum des Burgenlandes ausgestellt eine schon 1933 (!) ausgegrabene "Venus von Draßburg" wiederum aus der Kultur der Bandkeramik (10). 

Hier auf dem Blog haben wir 2007 schon darauf hingewiesen, daß damals Überreste einer 50 cm hohen Frauenstatue aus der Nachfolgekultur der Bandkeramik im Donauraum, nämlich aus der Lengyel-Kultur (Wiki) gefunden worden war (11). Die Tatsache, daß hier insbesondere die Beine einer Statue gefunden worden waren, erinnert daran, daß aus der gleichen Völkergruppe etwa ein Jahrtausend später auf der Insel Malta nicht völlig unähnliche, stehende Frauenfiguren geschaffen wurden (Wiki).

Abb. 6: Tell Seker al-Aheimar

Solche Umstände machen schon deutlich, daß sich unser Bild zu dieser Phase der Kunstgeschichte anfängt zu vervollständigen, und daß auch Gemeinsamkeiten über weite Entfernungen und Jahrhunderte hinweg erkennbar werden könnten. Wir finden aber erst jetzt auf "Wikipedia Commons" die Abbildung (Wiki) einer "Venus von Unterpullendorf" (Abb. 7), deren Bruchstücke ebenfalls schon 1954 (!) entdeckt worden waren. Sie gehört in den kulturellen Zusammenhang der Lengyel-Kultur und ist ebenfalls im Landesmuseum Burgenland in Eisenstadt zu besichtigen (LM Burgld). Über Google Bücher erfahren wir (12, S. 140):

Die "Venus von Draßburg" stellt die zweitälteste Frauendarstellung Österreichs dar. Aus Unterpullendorf liegen bemalte Keramikproben und Idolfragmente, so eine komplett ergänzte Frauenfigur der Legyelkultur vor.
Und mit letzterem ist gemeint (13, S. 160):
Nahe des Ortes Unterpullendorf (Burgenland) fand man 1954 Bruchstücke verschiedener, zwischen 10 und 30 Zentimeter großer, üppiger Frauenfiguren, wahrscheinlich aus dem Neolithikum etwa 4.500 v. Ztr.. Aus den Einzelteilen wurde eine Venus von Unterpullendorf rekonstruiert, die im Eisenstädter Landesuseum bestaunt werden kann.
Abb. 7: Unterpullendorf (W)

Schon anhand dieser weniger Hinweise wird erkennbar, daß über die (Klein-)Kunst der frühneolithischen, europäischen Bauern ein ganz eigenes Kapitel zu schreiben wäre, das manchen Erkenntnisgewinn mit sich bringen könnte. 

Denn diese frühen europäischen, bäuerlichen Kulturen haben bislang noch kaum Spuren in unserem ikonographischen Gedächtnis hinterlassen, obwohl das längst hätte geschehen können. 

Auf "Wikipedia Commons" sind zunächst zwar "Neolithic Venus Figurines" (Wiki) in einer Übersichtsrubrik erfaßt. Aber damit ist das gesamte Spektrum der bislang überlieferten "frühneolithische europäischen Kleinkunst" noch keineswegs erfaßt (Beispiele: Wiki a, b, c). Auch hier wird wieder deutlich, daß Gesichtsdarstellungen in Europa und anderwärts vor der Bronzezeit eher seltene Ausnahmen im Gesamtspektrum der überlieferten menschlichen Kunstproduktion darstellen.

Hinweis auf hohe Sozialdisziplinierung?

Wenn wir nun aber das für diese Kulturstufe - seltene - Gesicht der "Venus von Unterpullendorf" auf uns wirken lassen, stellen wir fest, daß es auf den ersten Blick ebenfalls eher einschüchternd wirkt. Und in diesem Zusammenhang wird man daran erinnert, daß es manche Hinweise darauf gibt, daß die frühesten Bauernkulturen Mitteleuropas, die Bandkeramik und auch noch ihre unmittelbarerern Folgekulturen vergleichsweise hohe "Sozialdisziplinierung" (Wiki) aufgewiesen haben könnten. Diese mag auch durch einschüchternde Gottvorstellungen und einschüchternde sonstige soziale Gebräuche, despotische Herrschaftsformen - wie sie womöglich immer schon im Vorderen Orient verbreitet waren - verstärkt worden sein.

Abb. 8: Spätphase der Cucuteni-Tripolje-Kultur, Figurine (W)

Der hohe Grad der Sozialdisziplinierung der Bandkeramik ist jedenfalls gut erkennbar an der Einheitlichkeit dieser Kultur in Bezug auf die Wahl der Siedlungsorte (durchgängig Lößboden), der Anordnung der Siedlungen in der Landschaft, der Hausbauweise und an vielen weiteren ähnlichen Details, die sich in dieser Kultur über viele tausende von Kilometern hinweg gleichen. Schon früh haben die Archäologen mit Staunen festgestellt: Eine bandkeramische Siedlung in der Ukraine gleicht "wie ein  Ei dem anderen" einer bandkeramischen Siedlung in den Niederlanden. Die Menschen dieser Kultur müssen sich also sehr streng an einmal etablierte Gebräuche und Sitten gehalten haben. Sie scheinen von diesen dann, wohin sie auch kamen, so gut wie gar nicht abgewichen zu sein und sie dann womöglich auch nur sehr zögerlich über die Jahrhunderte hinweg an neue Entwicklungen (Erschöpfung der Schwarzböden?) angepaßt (in diesem Fall etwa durch Düngung, Brache und ähnliches).

Darin mag eine gewisse Starrheit erahnbar sein, die einerseits den großen demographischen Erfolg der Bandkeramik in ihrer Früh- und Hochzeit bewirkt haben wird, durch den auch andere bäuerliche Gesellschaften von Rodungssiedlern noch lange später kennzeichnet waren. Durch die Begegnung mit den einheimischen Völkernschaften mag diese Starrheit bei der Ethnogenese der Bandkeramik ebenso wie bei der Ethnogenese der Nachfolgekulturen, die ja schon höheren einheimischen genetischen Anteil aufwiesen, dann etwas abgemildert worden sein.

In Siebenbürgen gelang es der Cucuteni-Tripolje-Kultur sogar, die vormalige ursprüngliche Bodenqualität der durch die Bandkeramik erschöpften Braunböden zurück zu gewinnen (siehe anderer Beitrag hier auf dem Blog). In der Spätzeit dieser großen Kultur hatte sich schon die indogermanische Steppen-Herkunft bei diesen Völkern eingemischt, wovon natürlich auch die Porträtkunst mit beeinflußt worden sein kann (Abb. 8).

Abb. 9: Der bärtige Mann von Warka (W)
Ergänzung 18.10.21: In einer russischsprachigen Forschungsarbeit des Jahres 2021 wird neuerdings die sehr interessante These verfolgt, daß es zu um so realistischeren Darstellungen des menschlichen Gesichts und der sonstigen Lebenswelt (Tiere, Häuser etc.) in Kunstgegenständen der Vinca- ebenso wie der Tripolje-Kultur gekommen ist, um so höher jeweils die Siedlungsdichte war. Die Untersuchungen (14) ...

zeigen, daß Objekte mit "realistischeren" Merkmalen vornehmlich in bestimmten Epochen und Regionen auftreten. Diese schließen hohe Bevölkerungsdichten in großen Siedlungen mit hoher Innovativität, sowie intensivem Austausch in verdichteten, weitreichenden Netzwerken mit ein. In beiden Fällen endeten die Entwicklungen in grundlegenden Krisenzeiten, die verbunden waren mit einer Auflösung großer Siedlungen und Bevölkerungsrückgang. Damit verbunden war, daß einige "realistische" Objekte verschwanden, während andere seltener wurden und ihre "realistischen" Merkmale verloren.
shows that objects with «realistic» characteristics mainly occur in certain periods and geographical regions. These include high population densities in large agglomerated settlements, increased innovativeness, intensive interaction in densified far-reaching communication and exchange networks. In both case studies, the developments ended in fundamental crises and were associated with the disintegration of large settlements and population decline. Linked to this, some types of «realistic» objects disappear, others become fewer and lose their «realistic» characteristics.

Diese Untersuchungen scheinen uns ein wichtiger Beitrag zu einer Theorie der menschlichen Kunstgeschichte zu sein. Und solche Annahmen und Vermutungen bildeten ja auch den Ausgangspunkt der Erarbeitung des vorliegenden Blogartikels.

3.200 v. Ztr. - Die Zeit Hochkulturen beginnt

In dem parallelen Blogartikel (Stud. gen. 12/2019) ist schwerpunktmäßig die dann folgende Zeit des Mittelneolithikums und der Kupferzeit in Arabien, im Mittelmeer-Raum und in Europa behandelt, mit ihren anthropomorphen Stelen und Menhiren, in denen die Gesichtsdarstellungen nur schemenhaft angedeutet sind, die also nicht wirklich Teil einer Geschichte der ("realistischen") menschlichen Potraitkunst sein können.

Aber wie ging es mit der Geschichte der "realistischen" menschlichen Porträtkunst weiter, wozu es ja offensichtlich - wie wir gerade hörten - höherer Siedlungsdichten und weitreichender Kulturkontakte bedurfte? Wo finden sich die nächstältesten Darstellungen von Menschen mit authentischen Gesichtszügen? 

Der "Bärtige Mann aus Warka"/Uruk (Wiki) (Abb. 9) wurde im Südirak gefunden und wird auf das 4. Jahrtausend v. Ztr. datiert. Der Südirak könnte in jener Zeit schon von Uruk in Mesopotamien beeinflußt gewesen sein.

Auf 3.100 v. Ztr. wird die "Frauenmaske von Uruk" (Wiki, engl) (Abb. 10) datiert, die in Uruk selbst gefunden wurde. Sie ist aus Mamor angefertigt worden. 

Ganz allgemein stehen wir ab dieser Zeit einer Fülle von Bild- und Kunstwerken gegenüber, die auch viele sehr realistische Menschendarstellungen mit einschließt, vor allem zunächst in Mesopotamien (Wiki, engl) und Ägypten (Wiki), einige Jahrhunderte später auch in angrenzenden Hochkulturen des Vorderen Orients, sowie in der Indus- und in der Marghiana-Kultur.

Die großen Museen der Welt, auch die archäologischen Museen prunken mit diesen. Auffallenderweise wird die Darstellung des menschlichen Gesichtes gerade in jener Zeit normal und selbstverständlich, in der auch die Anwendung der Schrift normal und selbstverständlich geworden war. Vielleicht gibt es Zusammenhänge zwischen diesen beiden Phänomenen. (Auch für die "Donauzivilisation" - die oben erwähnte Vinca- und die Tripolje-Kultur sind ja schon Frühformen der Schrift angenommen worden.)

Für Ägypten erfahren wir, um nur wenige Andeutungen zu geben (Wiki):

Bereits 2600-2160 v. Ztr. gab es Bilder mit individuellen Porträts und Gruppenbilder. Um 1551-1070 v. Ztr. erreichte die persönliche Porträtdarstellung ihren Höhepunkt in Ägypten, es gab Modellbüsten. Um 1400 v. Ztr. entstand das erste tradierte Büstenporträt: die Büste der Nofretete. Es folgt die Totenmaske des Tutanchamun, (...) ein zeit- und kulturtypisches ägyptisches Idealantlitz.
Abb. 10: Dame von Uruk (W)
Und für Sumer (Wiki):
Die 28 überlieferten ziemlich kleinen Statuen von Gudea, den Herrschern von Lagash in Sumer zwischen 2.144 und 2.124 v. Ztr. weisen in ihrer Darstellung durchgängig einige Individualität auf. 
Jene Individualität, die hier den Statuen von Gudea (Wiki) zugesprochen wird, möchte man aber doch auch schon der oben eingestellten "Frauenmaske von Uruk" zusprechen, die viele Jahrhunderte älter datiert ist. In Bezug auf die mykenische Kultur ist zu erfahren (Wiki):
Die wohl bedeutendste Totenmaske ist die sogenannte Goldmaske des Agamemnon, (...) ein idealisiertes Bildnis eines mykenischen Fürsten aus der Zeit um 1500 v. Chr.

Auch auf minoischen Siegelsteinen auf Kreta, deren Gebrauch dann auch auf Festlandgriechenland üblich wurde, finden wir außerordentlich kunstvolle Darstellungen von Kriegerpersönlichkeiten wie schon in einem früheren Blogbeitrag (St. gen. 2019) aufgezeigt worden ist. In dieser Zeit ist die minoische Kunst auf Kreta, sind ihre Menschendarstellungen insbesondere auch in der Wandmalerei hoch entwickelt (Wiki, engl).

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*) Bis August 2021 war der Inhalt dieses Blogartikels eingebunden in den eben genannten Blogartikel von 2019. Da jener inhaltlich aber ständig ebenso erweitert wird wie dieser, wird dieser Teil nun zu einem eigenen Blogartikel ausgegliedert.

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/ Verfaßt 2019, 
aus dem damaligen Blogartikel 
zu den Statuenmenihren ausgegliedert
und leicht überarbeitet:
7.8.2021 /

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  1. Bading, Ingo:  Die ersten Europäer ab 43.000 v. Ztr. starben aus - Erst die Gene ihrer Nachfolger ab 35.000 v. Ztr. hielten sich bis heute - Neue Ergebnisse der Ancient-DNA-Forschung, 2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/06/die-genetische-geschichte-der.html
  2. Bading, Ingo: Afrikaner unter sich! - Die europäischen Eiszeit um 40.000 vor heute, 2. August 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/08/afrikaner-unter-sich-die-europaischen.html 
  3. Danel (noeticacademydanel): Paleolithic cultures in Siberia The Mal'ta - Buret' venuses and culture in Siberia. http://www.danel.com.hr/Paleolithic%20cultures%20in%20Siberia.html 
  4. Bading, Ingo: Jäger und Sammler im Kaukasus - Ganz unterschiedliche Völker 22.000 und 9.000 v. Ztr. - Die Völkergruppe der westeuropäischen Jäger und Sammler ist schon 30.000 Jahre alt, Oktober 2018, https://studgendeutsch.blogspot.com/2018/10/jager-und-sammler-im-kaukasus-ganz.html   
  5. Lidz, Franz: How the World’s Oldest Wooden Sculpture Is Reshaping Prehistory, März 2021, https://www.nytimes.com/2021/03/22/science/archaeology-shigir-idol-.html 
  6. The Shigir idol in the context of early art in Eurasia. Thomas Terberger, Mikhail Zhilin, Svetlana Savchenko, Quaterny International, März 2021, Pages 14-29, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1040618220306789?via%3Dihub
  7. Yoshihiro Nishiaki: A Unique Neolithic Female Figurine From Tell Seker Al-Aheimar, Northeast Syria. January 2007, Paléorient 33(2):117-125, DOI: 10.2307/41496815 (Researchgate 
  8. Jane Peterson: Domesticating gender: Neolithic patterns from the southern Levant. Journal of Anthropological Archaeology Volume 29, Issue 3, September 2010, Pages 249-264, https://doi.org/10.1016/j.jaa.2010.03.002
  9. Svend Hansen: Kleinkunst und Großplastik. Menschendarstellungen von Vorderasien-Anatolien bis in den Donauraum. In: Vor 12000 Jahren in Anatolien. Die ältesten Monumente der Menschheit. Ausstellungkatalog Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Karlsruhe 2007, S. 192-206 (Academia) 
  10. Helena Novak: Die mittelalterliche Burg von Drassburg, o.D. (Universität Wien) 
  11. Bading, Ingo: Eine Frauenstatue bei den frühen Ackerbauern Mitteleuropas, Oktober 2007, https://studgendeutsch.blogspot.com/2007/10/frauenverehrung-und-astronomie-bei-den.html 
  12. Andreas Lippert, Martin Bitschnau: Reclams Archäologieführer Österreich und Südtirol: Denkmäler und Museen der Urgeschichte, der Römerzeit und des frühen Mittelalters, Reclam, 1985 (GB) 
  13. Gunnar Strunz: Burgenland - Natur und Kultur zwischen Neusiedler See und Alpen. 2012 (GB)
  14. Depicting Trypillia: the emergence and decline of realistic style. Mila Shatilo, Robert Hofmann Archaeology and Early History of Ukraine, 2021 (Academia)

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