Dienstag, 9. Oktober 2007

Fotos als politische Druckmittel

Abb. 1: Frühe fotografische Versuche: Mathilde von Kemnitz,
aufgenommen von ihrem Ehemann Gustav Adolf von Kemnitz

In Ergänzung zu einem früheren St. gen.-Beitrag über die Freikörperkultur-Zeitschriften im 20. Jahrhundert (St. gen.) sollen hier noch zwei weitere Fotos gebracht werden. Es sind fotographische Versuche aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Man muß sie nicht unbedingt für fotographisch besonders herausragend halten. Eine gewisse Bedeutung erhalten sie daher, daß auf ihnen (zumindest angeblich) die völkische Lebensreformerin Mathilde Ludendorff (1874 - 1966) abgebildet ist (oder sein soll) (1, Wiki). Sie schreibt selbst in ihren Lebenserinnerungen, daß sie in ihrer jungen Ehe zusammen mit ihrem ersten Ehemann mit der damals noch neuen Technik der Fotographie experimentierte. Und sie schreibt auch davon, daß Ergebnisse aus diesen Experimenten später in die Hände politischer Gegner geraten seien.

Zu diese Thematik ist nun der Versuch einer geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung unternommen worden (1). Ob er als geglückt bezeichnet werden kann, stehe dahin. Es soll hier keine detaillierte Analyse oder Kritik des genannten Aufsatzes gegeben werden. Auf jeden Fall veröffentlicht er erstmals diese beiden Fotos und bringt einige weitere Erläuterungen, sowie Versuche zur geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Einordnung.


Druckmittel gegen politische Gegner


Diese Fotos haben in den scharfen politischen Auseinandersetzungen zwischen der Ludendorff-Bewegung und den Nationalsozialisten sowohl vor wie nach 1933 eine Rolle gespielt. Auch in Gerichtsverhandlungen, bzw. Verleumdungsklagen. Diese beiden Fotos stammen nun aus den in diesen Zusammenhängen zusammengetragenen, erhaltenen Münchner Gerichtsunterlagen. Es ist von den nationalsozialistischen Gegnern der Ludendorff-Bewegung versucht worden, diese Fotografien als politisches Mittel zur Diskreditierung Mathilde Ludendorffs zu benutzen.

Adolf Hitler selbst erwähnt diese Fotografien noch in den 1940er Jahren in seinen protokollierten Tischgesprächen (1). Sie werden auch in den Erinnerungen von Ernst Hanfstaengl erwähnt, eines Deutsch-Amerikaners, der sich Abstimmung mit höchsten politischen Kreisen der USA zwischen 1922 und 1937 in der nächsten Umgebung von Adolf Hitler bewegte. Hanfstaengl schreibt davon daß der Chauffeur-Kreis um Adolf Hitler diesen allmählich ständig stärker von einer weiteren Umgebung abgeschirmt hätte. Zur Kennzeichnung dieser "Chauffeureska"  nun schreibt Hanfstaengl unter anderem (2, S. 313):
Das geistige Niveau war gleich Null. Um ein Beispiel zu geben: Eines Tages war Schaub in den Besitz von Nacktbildern von Mathilde Ludendorff gekommen, vermutlich aufgenommen, als diese exzentrische Dame irgendwo eine Naturheilkur machte. Sie wurden mit wieherndem Gelächter herumgereicht.
Julius Schaub (1898-1967) (Wiki) war von 1925 bis 1945 der persönliche Chefadjutant Adolf Hitlers. Hanfstaengl will übrigens auch bei dem persönlichen Gespräch zwischen Hitler und Mathilde von Kemnitz im Haus von Gottfried Feder anwesend gewesen sein. Zwischen herabsetzenden Bemerkungen über Mathilde von Kemnitz finden sich von Ernst Hanfstaengl in diesem Zusammenhang aber auch folgende Worte:
Auch wenn ich mich mit den Lehrmeinungen der Dame Mathilde nie habe befreunden können, in ihrer geistigen Unabhängigkeit und Kompromißlosigkeit hat diese tapfere Frau stets meinen vollen Respekt gehabt.
Doch auch Hanfstaengl kann es nicht unterlassen, aus diesem Anlaß von ihrer "imposanten Körpersillhouette" zu sprechen, die man bei einer bestimmten Beleuchtung durch ein durchsichtiges Chiffonkleid hätte sehen können. Auch will er nach dem Gespräch Hitler künftigen
ganzen Kolonnen von Amazonen und streitbaren Blaumstrümpfen
gewarnt habe. Man fragt sich aus heutiger Sicht schon, wie solche doch künstlerisch ansprechenden Fotos als politische Druckmittel benutzt werden konnten. Zumal wenn man Filme und Fotografien der von den Nationalsozialisten so sehr geschätzten Leni Riefenstahl kennt oder vieles andere aus dem Kulturleben der damaligen Zeit. Aber natürlich können Privatfotos von öffentlich bekannten Menschen auch heute noch allerhand Skandal und Aufsehen erregen.


Abb. 2: Frühe fotografische Versuche: Mathilde von Kemnitz, 
aufgenommen von ihrem Ehemann Gustav Adolf von Kemnitz

Aber um sich die politische Brisanz solcher "Druckmittel" klar zu machen - bzw. wie sie eingeschätzt wurde, bzw. eingeschätzt werden mußte - muß man sich nur etwa die "Blomberg-Fritsch-Krise" von 1938 anschauen (Wiki) und die Art, in der Hitler kriegsunwillige führende Wehrmacht-Generäle beseite räumte. Dem einen wurde angehängt, daß er eine frühere Prostituierte heiratete, dem anderen wurden homosexuelle Neigungen unterstellt. Das genügte. Auch für die Niederschlagung des angeblichen "Röhm-Putsches" von 1934 wurden ähnliche Vorwürfe als Vorwand benutzt. Dabei war allen Kenntnisreicheren klar, daß Hitler von den homosexuellen Neigungen Röhms nicht erst 1934 erfahren hatte ...

Hitler also bewahrte sich all die Jahre über diese - doch vergleichweise harmlosen - Fotos in seinem Tresor, um sie gegebenenfalls gegen Erich Ludendorff oder Mathilde Ludendorff zu verwenden (1). Von beiden wußte er, daß sie sich mit den anderen Wehrmacht-Generälen einig waren, wenn es darum ging, den Ausbruch eines neuen Weltkrieges zu verhindern und dazu die Hitler-Regierung zu stürzen.

Solchen Perspektiven gegenüber treten so manche eher abseitigen Vermutungen und Eröterungen des genannten Aufsatzes, wie sie sich schon im Titel (1) andeuten, sehr stark in den Hintergrund.

Anmerkung: Ein zweiter Teil zu diesem Beitrag findet sich hier: Studium generale.

Anmerkung 2012: Auf dem Blog "Studiengruppe Naturalismus" sind inzwischen weitere Beiträge erscheinen, die noch eine weitaus umfassendere politische Einordnung der Bedeutung dieser Photographien erlauben.

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  1. Mildenberger, Florian: Erotik, Polygamie, Muttertum. Die Wandlungen der Mathilde Ludendorff. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 7/8, 2006, S. 621 - 643
  2. Hanfstaengl, Ernst: Zwischen Weißem und Braunem Haus. Memoiren eines politischen Außenseiters. Piper Verlag, München 1970; Lizenzausgabe für: Deutscher Bücherbund, Stuttgart 1970

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