Samstag, 21. August 2021

Rebellen und Könige - Die Indogermanen

 - Seit Urzeiten her

Wo kommt er eigentlich her, der vielbenannte und erforschte "Individualismus" der Kultur des Westens? Können die ersten Jahrtausende der Geschichte der Indogermanen dazu Hinweise geben? Waren sie - als geborene Individualisten - immer beides zugleich: Rebellen und Könige? Aufrührer und Inhaber der Macht?

In diesem Blogartikel wird außerdem auf den Umstand hingewiesen, daß zwei neue Themen in das Blickfeld der archäologischen Forschung getreten sind: Zum einen eine "Archäologie der Rebellion", zum anderen eine "Archäologie von Völkern in Not (in Streßzeiten)". 

Gliederung:
I. Einleitende Überlegungen
II. Eine reiche, international vernetzte Elite herrscht über verarmte Einheimische (Sardinien, 2.500 v. Ztr.)
III. Flucht, Vertreibung und Verelendung in der Völkergeschichte

I. Einleitende Überlegungen

Als die Indogermanen in die Welt kamen - in einer abgelegenen Mischwald-Region an der Mittleren Wolga 4.700 v. Ztr. - sahen sie sich in anderen, weit entfernten Ländern, in Ländern jenseits der Steppe, von denen sie hörten, und in die manche von ihnen auch kamen, mit einer "vollen Welt" konfrontiert, mit ausgebildeten Staatswesen, mit bäuerlichen Gesellschaften, mit Kulturen, geprägt von hoher Siedlungsdichte, geprägt von großem Wohlstand.

Abb. 1: Figurinen der Vinča-Kultur aus Stubline in Serbien um 4.700 v. Ztr. (1). Sie heben das Waffenarsenal der Kriegsspezialisten jener Zeit hervor: der Indogermanen. Wollen sie sagen: "Seht her, wir, die Unterschichten sind stark? Unsere Verbündeten sind die Indogermanen, ihre Waffen schlagen euch? Auch wenn wir gesichtslose Gedemütigte dieses Landes sind" - ? Dies sei als eine mögliche Interpretation vorgeschlagen, denn sonst wäre kaum erklärlich, daß Einheimische sich von den Waffen von "Ausländern" so beeindruckt fühlten, daß sie sie in dieser Form nachformten

Welche Rolle sprachen sie sich zu innerhalb dieser "vollen Welt"? Welche Rolle wurde ihnen zugesprochen? Eines ist klar: Wo immer Gräber von frühen Indogermanen zu finden sind - sei es an der Wolga, sei es im Kaukasus, sei es an der Donau, sei es in der Handelsmetropole Warna am Schwarzen Meer - wir finden einzelne Krieger oder Fürsten versehen mit einem Waffenarsenal, mit dem andere Menschen dieser Zeit niemals begraben worden sind, mit einem Waffenarsenal, von dem in dieser Vielfalt das Bild anderer Kulturen dieser Zeit nicht geprägt war.

Geborene Krieger also waren sie. Das ist sicher. Spezialisten für Kriegsdienste.

Könnte es deshalb nicht sein, daß sie sich für eben diese Kriegsdienste auch anboten innerhalb dieser "vollen Welt"? Daß sie sich anwerben ließen - sei es von den Eliten anderer Länder, sei es von den Unterschichten anderer Länder, von unterdrückten Völkern anderer Länder - um Kriegsdienste gegen die jeweiligen Gegner zu leisten? Auf jeden Fall finden wir Indogermanen in den ersten 2.500 Jahren ihrer Geschichte sowohl als Verbündete der Eliten anderer Länder, gar als Könige dieser Länder - etwa in Warna 4.500 v. Ztr. - ebenso wie als Verbündete von Unterschichten und von Rebellen - so vielleicht in Serbien (Stubline) 4.700 v. Ztr. (1), so offenbar auf Sardinien 2.300 v. Ztr. (2). 

"Archäologie der Rebellion"

 "Archäologie der Rebellion", so lautete der Titel eines Workshops, der im November 2014 am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel abgehalten worden ist (3). Seit es seßhafte Bauerngesellschaften gibt, gibt es soziale Ungleichheit. Und in dem Spannungsfeld dieser sozialen Ungleichheit bewegt sich die Geschichte der Völker seit dieser Zeit. In diesem Spannungsfeld aber bewegt sich womöglich besonders stark auch die Geschichte der Indogermanen.

Denn sie trafen ja auf diese Welt der Unterschiede, der Unterschiede zwischen Arm und Reich. Diese Unterschiede konnten innerhalb einzelner Großreiche bestehen, es konnte aber auch ein "Wohlstandsgefälle" bestehen zwischen unterschiedlichen Stämmen oder Regionen eines Reiches, zwischen Nord und Süd oder zwischen Zentrum und Peripherie. Und diese soziale Ungleichheit konnte zu Aufständen führen, zu Rebellionen, zu Stammeskriegen.

Referate auf dem Workshop lauteten etwa (3, S. 16): "Das Ende der Bandkeramik", "Hallstatt und Aufstand", "Social Upheaval in Vrabel?" Vrabel war eine bronzezeitliche Höhensiedlung östlich von Wien. Außerdem: "Staat und Aufstand in El Argar-Gesellschaften" (Roberto Risch). Damit sollen nur wenige der behandelten Themen genannt sein. Nicht alle Referate scheinen in dem dann veröffentlichten Tagungsband auch enthalten zu sein (3). Womöglich fehlen in ihm einige der überzeugendsten Beispiele für eine "Archäologie der Rebellion". Es wird aber schon an den genannten Themen deutlich, daß ja tatsächlich viele Vorgänge in der Vorgeschichte aus dem Blickwinkel der "Rebellion" einen neuen, zu vorliegenden Befunden passenden Sinn machen.

Beispiel "Ende der Bandkeramik": Die an die Peripherie gedrängten, weniger wohlhabenden, ursprünglicher lebenden westeuropäischen Fischer, Jäger und Sammler wagen den Aufstand gegen die bislang festgefügte soziale Ordnung der Bandkeramik. Sie siegen - und die mittelneolithischen Kulturen und Großreiche entstehen. Und in diesen Großreichen entsteht sogar gesteigerte soziale Ungleichheit, etabliert sich ein Hochadel, der über andere soziale Schichten herrscht. Der Archäologe Roberto Risch erforscht die starke soziale Ungleichheit der El Argar-Gesellschaften in Südspanien. Auch hier könnte es ein sehr anschauliches, überzeugendes Beispiel für das Thema Rebellion geben (9). Es könnte manche Ähnlichkeit aufweisen mit dem sehr klassischen Beispiel zum Thema "Rebellion", nämlich mit dem fast zum Dauerzustand gefrorenen Krieg der Spartaner - als Elite des Landes - gegen die zuvor in diesem Land ansässige Bevölkerung, gegen die "Heloten", sowie deren Verbündete, den Messeniern im Westen der Pelopones (Wiki).

Die schon angeführte neue Studie zu den kriegerischen, sozialen Umbrüchen auf Sardinien ab 2.300 v. Ztr. (2), die Thema des vorliegenden Blogartikels ist, hat aber nun gar nicht einmal ausdrücklich das Thema "Rebellion", "Aufstand" zum Thema. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht vielmehr ein ganz anderes Thema, nämlich das Thema "Völker in Not", Völker, die fliehen müssen, Völker die in Peripheriebereiche abgedrängt werden, die verelenden können. Es geht um das Thema Flucht, Vertreibung und weiteres Überleben in Not- und Streßzeiten. Es geht um das Schicksal von Verlierern solcher Rebellionen, das Schicksal von vormaligen Eliten, die nach ihrer Vertreibung in abgelegene Rückzugsgebiete dort um ihr letztes Überleben ringen. Worte wie "rebellion" oder "upheaval" tauchen deshalb in dem ganzen Aufsatz gar nicht auf (2). Und dennoch enthält der Aufsatz eines der anschaulichsten, eindrucksvollsten Beispiele zu diesem Thema, ein Beispiel, das thematisch hervorragend zu dem genannten Workshop des Jahres 2014 paßt.

Abb. 2: Glockenbecher-Keramik auf Sardinien, ab 2.300 v. Ztr. (aus: 2)

Was für ein Geschehen, aufgezeigt anhand der Archäologie der Insel Sardinien in der Umbruchzeit von 2.300 bis 2000 v. Ztr., im Epochenwechsel vom Spätneolithikum zur Bronzezeit (2). Autor ist Gary Webster, emeritierter Archäologe aus Pennsylvanien, USA, verheiratet mit Maud Webster, ebenfalls Archäologin, diesmal aus Norwegen, beide heute ansässig in Griechenland (Acad.). Wir behandeln das Thema dieses Aufsatzes in umgekehrter Reihenfolge als es im Aufsatz selbst geschieht. Wir behandeln erst die Vorgänge der Rebellion (1. Teil) und dann das Schicksal der Verlierer, der in Not und Elend geratenen vormaligen Elite des Landes (2. Teil).

II. Eine reiche, international vernetzte Elite herrscht über verarmte Einheimische (Sardinien, 2.500 v. Ztr.)

Es geht um die Umbruchszeit auf Sardinien rund um die Ankunft der indogermanischen Glockenbecher-Kultur daselbst ab 2.300 v. Ztr.. Zu Anfang umreißt Gary Webster, der lebenslang zur Archäologie des neolithischen und bronzezeitlichen Sardinien geforscht hat, die kulturelle und politische Situation auf Sardinien vor Ankunft der Indogermanen. Auch diese Situation setzt schon sehr viel Vorgeschichte voraus. Sie ist aber nicht Thema seiner Studie. Sicherlich wäre es ebenso spannend, über diese Vorgeschichte noch mehr zu lernen. Das müssen wir uns an dieser Stelle versagen. Webster (2):

In der Mitte des 3. Jahrtausends v. Ztr. finden sich zwei unterschiedliche einheimische Keramik-Kulturen auf Sardinien: (1) Monte Claro (2.880 bis 2.049 v. Ztr.), verteilt über die gesamte Insel (...); und (2) viel seltenere, noch spät überdauernde Filigosa-Abealzu-Funde (2.620 bis 2.287 v. Ztr.). Letztere können vornehmlich durch ihrer gröbere und generell undekorierten Stücke identifiziert werden.
Two distinctive indigenous cultural modalities (facies) are represented in the mid-third millennium bc Sardinian record: (1) Monte Claro (ca. 2880–2049 Cal bc, 95%; see Webster and Webster 2017:76), recognized throughout the island by its distinctive channel-decorated ceramics; and (2) late survivals of Filigosa-Abealzu, far rarer (a date from Mind ‘e Gureu-Gesturi of ca. 2620–2287 Cal bc, 95%; see Figure 4 below and Webster and Webster 2017:49), identified primarily by its cruder and generally undecorated wares.

Von Seiten der Archäologie wurden für diese Zeit auf Sardinien drei oder vier soziale Hierarchiestufen beobachtet (2, S. 7)*): 

  • Erstens eine Patron-Händler-Elite im Süden mit mediterranen Handelsnetzwerken, nahöstlicher Haus- und Gräber-Architektur, sowie Monte Claro-Keramik (Wiki), 
  • zweitens Klienten-Haushalte (Verwalter, Händler, Bergleute, Schmiede, Weber) mit gemischter Keramik, 
  • drittens Filigosa-Abealzu-Enklaven (Wiki), vornehmlich im Inland, die in variablen Beziehungen zu den anderen beiden Gruppierungen stehen, einschließlich: Abwehr, Konflikt, gegenseitige Ausbeutung, Anpassung und Wetteifer, 
  • viertens Haussklaven

Hier deutet sich also wahrlich schon viel vorausgehendes Geschehen an. Fast mutet es einem so an, als ob auch diese Monte Claro-Elite auf Sardinien nicht einheimischen Ursprungs ist. (Weist sie womöglich mehr iranisch-neolithische Herkunftsanteile auf als die Einheimischen [4, 5]? Das wäre ein Hinweis.) Aber das kann nur Thema anderer Beiträge sein. Immerhin identifiziert sich - wie wir sehen werden - die Monte Claro-Elite so sehr mit regionalen religiösen Kulten, die über die Insel verteilt sind, daß sie jeden einzelnen Kult mit in die Rückzugs- und Zufluchtsorte bringen wird, in die sie sich wenig später zurück ziehen wird (siehe unten).

Ab 2.300 v. Ztr. tritt nun jedenfalls Glockenbecher-Kultur auf Sardinien auf (Wiki). Sie ist dort auf über 70 Fundorten bislang bezeugt (Abb. 3). Auffallenderweise tritt sie auf Korsika so gut wie gar nicht in Erscheinung. Ähnlich sahen wir ja in Süditalien (in anderen Blogartikeln) so gut wie keine Glockenbecher-Funde, während sie auf Sizilien sehr gut bezeugt sind. Auch solche Umstände werfen neue Fragen auf. Kommt einem da nicht der Gedanke: Kamen die Glockenbecher-Leute womöglich nur dort hin, wohin sie von Einheimischen auch gerufen worden sind? Ein solches Szenario würde jedenfalls gut zu diesen Befunden passen (dazu mehr gleich).

Abb. 3: Über 70 Fundorte der Glockenbecher-Kultur auf Sizilien; sowie Bergfestungen und Zufluchtsorte der bisherigen Elite auf Sardinien (aus: 2)

Als sehr wesentliche Umstände beobachtet Webster nun (2) ... 

keinerlei gemeinsame Nutzung von Glockenbecher- und Monte Claro-Keramik und extrem seltene Mischformen zwischen beiden einerseits und (häufigere) Mischformen von Glockenbecher- und Filigosa-Abealzu-Keramik-Stilen andererseits.
on the one hand, a non-coincidence of Beaker and Monte Claro assemblages and an extreme paucity of any hybrid pottery forms between them; on the other, evidence of hybridity between Beaker and Filigosa-Abealzu ceramic modes.

In diesen wenigen Worten ist womöglich schon alles enthalten. Was für ein verrücktes Geschehen! Womöglich sind schon die Indogermanen des 5. Jahrtausends von einheimischen Unterschichten gerufen worden (und "verehrt" worden, siehe Figurinen in Stubline an der Save in Serbien) (1), um gegen die einheimischen Oberschichten zu rebellieren, so schießt es uns an dieser Stelle durch den Kopf. Woraus sich dann die Thematik des vorliegenden Blogartikels ergeben hat. Damit wären schließlich die Figurinen von Stubline ja außerordentlich elegant gedeutet, zumal sie im einheimischen kulturellen Kontext auftreten (1)!

Ergibt sich aus all dem ein allgemeineres Muster für die Art und Weise der Ankunft der Indogermanen, so schießt es uns weiter als Gedanke durch den Kopf. Auch auf der Ostseeinselinsel Gotland haben wir ja schon ein "Bündnis" festgestellt einheimischer Fischer-Jäger-Sammler-Völkerschaften mit der indogermanischen Streitaxt-Kultur (6). Womöglich auch dort gegen die dortigen Eliten der Kugelamphoren-, bzw. der Trichterbecher-Kultur (6)!?! Auch der dortige Befund würde sich in dieser Weise außerordentlich elegant erklären. Denn sonst wäre ja kaum zu erklären, warum Fischer-Jäger-Sammler-Bevölkerungen so - mehr oder weniger - freiwillig eine fremde Kultur annehmen. Wenn diese aber - sozusagen - als "Befreier" auftritt?

War es die Taktik, der "Stil" der Indogermanen, sich mit marginalisierten Völkerschaften vor Ort zu verbünden, sich von ihnen "rufen" zu lassen, um den vorherrschenden Eliten daselbst den Kampf anzusagen? Ein faszinierendes Geschehen wäre das, geradezu eine erste Form von "Klassenkampf" in der Weltgeschichte. So würde auch besser erklärbar, warum diese "Spezialisten für Kriegführung" (da sie ja von Anfang an von Waffen starren), über so weite Entfernungen hinweg in Großreichen mit vergleichseweise hoher Siedlungsdichte ein "genetic replacement" vollziehen konnten. Einfach weil sie als "Spezialisten" von einheimischen Machtgruppierungen gerufen worden waren.**)

Und immerhin repräsentieren sie ja anfangs mit ihrem Lebensstil - als nicht sehr seßhafte Herdenhalter - selbst eine Lebensweise, die womöglich eher in den "Randbereichen" der damals "modernen" Kulturen, Großreiche und Fürstentümer angesiedelt war - aufgezeigt etwa an jüngeren Forschungen im Weichselraum (7). Damit ergäbe sich tatsächlich allmählich ein stimmigeres Bild von allem: Indogermanen nicht nur als Könige und Eroberer, sondern zugleich auch als Rebellen. So wohl erst würde das Bild wirklich "rund".

Glockenbecher auf Sardinien - Wo aber sind ihre Gene?

Denn das Allerwitzigste ist ja nun außerdem noch - was auch schon bezüglich der Hethiter so viel Aufsehen erregt hatte bislang: daß jene recht umfangreiche Studie vom letzten Jahr zur Genetischen Geschichte Sardiniens (4, 5) indogermanische Steppengenetik erst für das erste Jahrtausend v. Ztr. auf Sardinien feststellt.

Diesen Umstand versucht Webster zu erklären damit, daß ja die zuvor ins Inland abgedrängte Filigosa-Abealzu-Bevölkerung in der Kultur Mischformen mit der Glockenbecher-Kultur ausbildet, daß sich also womöglich mehr Kultur als Genetik der Glockenbecher-Leute auf Sardinien ausgebreitet hat. Gibt es nicht ähnliche Erscheinungen auch für bestimmte Phasen der Ausbreitung der Glockenbecher-Kultur in Spanien? Und auch auf Gotland finden wir ja "indogermanisierte" Streitaxt-Kultur in Kombination mit einheimischer Fischer-Jäger-Sammler-Genetik (6). Diese Umbruchszeit - rund um die Ankunft der Indogermanen - sie zeigt sich zunehmend als ein hoch differenziertes Geschehen. Folgen wir weiter Webster (2):

Das Auftreten von Glockenbecher-Sachgütern auf der Insel - ob in der Hand von Ausländern oder Einheimischen - fällt zeitlich zusammen mit der weit verbreiteten Aufgabe von Monte Claro-Siedlungen, einschließlich des Haupt-Kult-Zentrums Monte d’Accoddi im Nordwesten und mit dem Auftreten von befestigten Monte Claro-Bergfestungen und höher gelegenen Siedlungen, die verteidigt werden können.
Importantly, the appearance of Beaker assemblages in the island - whether in the hands of  foreigners or Sardinians - correlates temporally with widespread abandonment of Monte Claro sites, including the major cult centre at Monte d’Accoddi in the northwest (see Figure 3, above  and  Figure  11,  below), and the appearance of fortified Monte Claro citadels and elevated defensible settlements.

Ein Aufstand der zuvor ins Inland abgedrängten, an der traditionellen Kultur festhaltenden Bevölkerung auf Sardinien gegen die vorherige, international vernetzte Monte Claro-Elite unter der Anführerschaft von Glockenbecher-Leuten. So das Szenario, das der Archäologe Webster den archäologischen Funde und Befunden auf Sardinien entnimmt. Wir verrückt das wohl ist?! Über die genannten Bergfestungen ("Zitadellen") schreibt Webster (2):

... vornehmlich im Nordwesten der Insel. ... felsige Plateaus ... Zyklopen-Mauer ... In der Nähe von einigen derselben liegen unbefestigte Siedlungen, was nahelegt, daß sie während der kontinuierlichen Besiedlung nur als Zufluchtsorte während kriegerischer Bedrohungen dienten. Bemerkenswerter Weise unterbrach das Anlegen der Befestigung auf dem Plateau von Baranta den Bau eines Megalithgrabes daselbst.
These are found mainly in the northwest regions of the island. Common among them is the choice of rocky plateau spurs across which a cyclopean wall was built on the less defensible side, enclosing a settlement area with house remains. Several have remains of undefended settlements nearby (e.g. Tanca Baranca and Padru Salari near Monte Baranta), suggesting they served as temporary defensive strongholds for the more permanent settlement during periods of threat. At Baranta, notably, the fortification of the plateau interrupted the ongoing construction of a megalithic henge (Figure 5).

Bis hier haben wir aber eigentlich erst das "Vorgeplänkel" erlebt, nämlich das Thema Rebellion, das Webster eher im Vorübergehen behandelt, um die Gesamtsituation zu kennzeichen und einzuordnen. Nun aber kommt Webster erst zu dem von ihm selbst in den Vordergrund gestellten Thema (2):

Auf Anhöhen gelegene unbefestigte Monte Claro-Siedlungen, die verteidigt werden können, und die Hinweise auf nachhaltige dauerhafte Besiedlung aufweisen, sind selten. Es gibt jedoch drei Ausnahmen, wert, als mögliche Zufluchtsorte ("refugia") genauer betrachtet zu werden. ....
Undefended but defensible Monte Claro sites at some elevation and with evidence of substantial permanent occupation are rare. Three exceptions worth considering as possible refugia are Noeddos at 280 m asl in Mara in the northwest  (Trump 1990), Monte Sirai on a plateau at 190  m asl near Carbonia in the southwest (Moravetti  2017: 184-85) and Sa Sedda de Biriai on a plateau at 335 m asl in the eastern  highlands  of Oliena Castaldi 1979; 1981; 1984; 1985; 1999).

Von diesen dreien ist bislang nur Sa Sedda de Biriai ausreichend erforscht worden, um genauere Untersuchungen zur genannten Fragestellung hin zu ermöglichen. Diese unbefestigte Höhensiedlung liegt im mittleren Osten der Insel, in ihrem 20-Kilometer-Umkreis finden sich nur wenige Glockenbecher-Funde (Abb. 3). Die über 4.500 archäologischen Funde, die daselbst gemacht worden sind, repräsentieren eine große Vielfalt von Gefäßformen und Dekorationen derselben, zum großen Teil den Stil der Region vor Ort, aber ebenso den Stil vom südlichen Teil der Insel wie auch vom nördlichen Teil derselben. Einige der Funde repräsentieren klar lokale, gröbere Produktionen von Keramik, die andernorts sonst eleganter angefertigt worden war.

Es konnte auf mindestens 280 Häuser geschlossen werden, was eine überdurchschnittlich hohe Zahl für Siedlungen dieser Kultur darstellt und das Webster als ein Ergebnis von "Zusammengedrängtsein" nach Fluchtgeschehen interpretiert. Außerdem berichtet er von der Beobachtung (2):

... ikonische Kult-Gestaltungen von den Heimatorten mitgebracht und in Biriai nachgestaltet ...
The apparent removal of iconic cult features from pre-flight venues for replication at Biriai seems to bear witness to the significance of socio-spiritual continuity in adapting to a post-flight context, despite the high cost of realizing them locally.

/ Dieser Teil des Aufsatzes von Webster muß hier künftig noch gründlicher referiert werden. /

III. Flucht, Vertreibung und Verelendung in der Völkergeschichte

In diesem dritten Teil wird das eingestellt, was wir schon erarbeitet hatten, bevor wir auf das Thema "Rebellion" in dem Aufsatz von Webster überhaupt gestoßen worden waren, und was als Thema für sich fast ebenso bedeutend und spannend ist.

Ursprünglich wollten wir zu dem Thema des Aufsatzes von Webster folgendermaßen hinleiten: 1945 erfuhr Deutschland eine Verkleinerung seines Territoriums um ein Drittel des vorherigen Staatsgebietes. Millionen Deutsche sind dabei aus ihrer Heimat geflohen, Millionen von Frauen wurden vergewaltigt, Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen sind verhungert. Zehntausende von Kindern verloren ihre Eltern, wurden Wolfskinder, Millionen Deutsche wurden nach Kriegsende vertrieben oder wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Auch dabei kamen wieder Millionen von Menschen ums Leben. Es handelte sich rein zahlenmäßig um eine der größten Bevölkerungsverschiebungen der Weltgeschichte (Wiki). Wenn man sich also als Deutscher mit dem Thema Flucht, Vertreibung und Notzeiten in der Weltgeschichte beschäftigen will, genügen zur Einführung und zur Heranführung an das Thema zunächst nur wenige Andeutungen der eigenen jüngsten umwälzenden Geschichte in diesem unserem Land des Immanuel Kant und des Nikolaus Kopernikus. Vorausgegangen waren den Geschehnissen von 1945:

  • Vertreibung von einer Millionen Deutschen aus Polen zwischen 1919 und 1939, sowie Ermordung und Verschleppungsmärsche derselben innerhalb von Polen bei Kriegsbeginn,
  • Umsiedlungen von Deutschen aus dem sowjetischen Machtbereich in die von Deutschland besetzten Gebiete ab 1939,
  • Vertreibung, Ghettoisierung, Konzentrationslager-Einweisung und Ermordung von Polen, Juden, Serben, Kroaten und vieler anderer Nationalitäten auf Seiten aller kriegführender Mächte.
  • Ähnliche Geschehnisse zeitgleich rund um den ostasiatischen Kriegsschauplatz - vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg ("Massaker von Nanjing" usw.).
  • Sammeln von Millionen Kriegsgefangener in Kriegsgefangenenlagern auf Seiten aller kriegsführender Mächte, sowie Zwangsarbeit derselben, zum Teil noch viele Jahre nach dem Krieg, Verhungernlassen derselben und vieles andere mehr.

Nach 200 Jahren kultivierteren Zusammenlebens der Völker in Europa haben die Ereignisse der Jahre 1939 bis 1949 auf diese Völker zutiefst traumatisch gewirkt. Diese Ereignisse stehen bis heute als unverarbeitetes Trauma inmitten der Lebenswirklichkeit dieser Völker. Denn die Deutung der Erinnerung dieser schrecklichen Erlebnisse ist noch heute von starken politischen Interessen geleitet und wird deshalb von "Korrektheiten" aller Art übertüncht. Deshalb ist eine unverkrampfte Aufarbeitung gar nicht möglich. Deshalb wirken die Traumata auch unvermindert weiter, von einer Generation an die nächste weiter gegeben, ohne daß sie sich lösen können. Vielmehr wird die seelische Gelagertheit, der diese Erlebnisse entsprungen sind, und die ihnen gefolgt sind, mit dieser Nichtaufarbeitung und ständig weiter betriebenen Verdrängung zementiert.

So geraten Völker in Not, wenn nicht in materielle Not, so doch in allerhöchste seelische Not - und gehen an dieser Not zugrunde.

Flucht, Vertreibung, Verschleppung, Versklavung, Ermordung, Zusammendrängen auf verkleinertem Territorium, An-den-Rand-Drängen, "Marginalisieren" von Menschen und Menschengruppen anderer Religion, Herkunft, Ethnie, Muttersprache, Kultur und Hautfarbe - Jahrtausende lang ist das ein wiederkehrendes Geschehen in der Völkergeschichte gewesen. Dieser Umstand ist in der Kulturgeschichte des Abendlandes in den letzten 200 Jahren nur viel zu sehr wieder in Vergessenheit geraten: Daß Brutalität und "Anderssein", sprich Kulturlosigkeit und Barbarei immer und überall unter der Decke schwelen, selbst wenn "auf der Oberfläche" viel Kultur vorherrschen mag.

Im Englischen wird ein solches, eben beschriebenes Geschehen - unter anderem - mit dem Begriff "Forced Displacement" (Wiki) erfaßt. Dieser Begriff erinnert an die Bezeichnung "displaced persons", die von den anglo-amerikanischen Siegermächten auf Millionen von Menschen angewendet wurde, die bei Kriegsende heimatlos waren: Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Konzentrationslager-Insassen und so viele andere Menschengruppen mehr (8).

Daß Erscheinungen wie Flucht, Vertreibung, Massenmord keineswegs so geschichtlich weit zurück liegend sind wie es sich in das kulturelle Gedächtnis der europäischen Völker der letzten 200 Jahre eingeschrieben hatte, ist diesen noch heute nicht wirklich bewußt geworden. Auch diesem Umstand gegenüber wird "Vergessen" gepflegt.

Nur kurz vor dem Anbruch des Zeitalters der klassischen Kultur in Europa hatte es - etwa - die Vertreibung der Protestanten aus vielen katholischen Ländern gegeben. Es hatte - etwa - den Massenmord an hunderttausenden von Protestanten in der Bartholomäusnacht in Frankreich gegeben. Es hatte - etwa - den Massenmord an der Einwohnerschaft der protestantischen Handelsmetropole Magdeburg nach ihrer Erstürmung während des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland gegeben. Und das alles mit dem Segen solcher Päpste und solcher Jesuiten wie sie heute noch in Europa bejubelt werden. Württembergische Soldaten wurde gegen ihren Willen noch in den 1780er Jahren von ihrem Landesherrn nach Amerika verkauft.

Andere Beispiele wären der Sklavenhandel von Afrika nach Amerika, die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat 1949 bis 1956, die Armenier-Umsiedlungen und -Morde während des Ersten Weltkrieges. 

Damit sollen nur einige wenige Andeutungen gegeben sein, um zu dem Thema hinzuführen. Dabei haben wir uns bemüht, dieses Thema eben nicht so plakativ zu behandeln wie das heute weithin üblich geworden ist in Politiker-Ansprachen. Denn gerade diese "Plakativität" und politische Ausschlachtung sind es doch, womit man sich dieses Thema eigentlich und letztlich "vom Leibe" hält, weil es eben zugleich verbunden ist mit so unendlich viel Schweigen. Denn einen Schmerz, den ich über das Eigene nicht wirklich empfinde, den Schmerz kann ich über das Schicksal anderer nicht wirklich nachvollziehen. Genug davon.

"Völker in Not" - Es wird ein Thema der archäologischen Forschung

Ein Blick in die archäologische Literatur offenbart, daß solches eben umrissenes Geschehen auch schon für Vorgänge, die oft Jahrtausende zurück liegen und über die es gar keine schriftliche Überlieferung gibt, erstaunlich differenziert erforscht werden (2). Und dieser Umstand erstaunt zutiefst.

Es waren ja insbesondere die Ergebnisse der Archäogenetik der letzten sechs Jahre, aus denen heraus  sich die Ahnung ergeben hatte, daß solche Ereignisse in der Völkergeschichte der letzten zehntausend Jahre immer einmal wieder eine nicht geringe Rolle gespielt haben. Es hat Massenmord-Ereignisse an den einheimischen Jäger-und-Sammler-Völkern gegeben von Seiten der ersten Bauernkulturen Europas. Diese einheimischen Völker haben sich in "Rückzugsgebiete" zurück gezogen. Sie mußten weite Regionen ihrer Heimat den neuen Siedlern überlassen. (Das Thema vieler früherer Artikel hier auf dem Blog.)

Inzwischen ist es auch völlig unmöglich, solche Massenmord-Ereignisse und Bevölkerungsumsiedlungen auszuschließen für die Zeit der Ankunft der Indogermanen in vielen Regionen Europas. Vielmehr drängt sich diese Annahme aufgrund der Ergebnisse der Genetik und der Archäologie oft geradezu auf. Während das festgestellte "genetic replacement" bei Ankunft der Ackerbauern noch leichter erklärt werden kann aufgrund der damals vorherherrschenden geringen Siedlungsdichte der Jäger-Sammler-Völker, wird ein solches "genetic" replacement" noch einen ganz anderen Charakter gehabt haben, wenn ein solches im Spätneolithikum stattgefunden hat, als eigentlich alle Räume Europas vergleichsweise dicht besiedelt gewesen sind von großen Bauernvölkern, bzw. von Großreichen mit zentraler Verwaltung und Beamtenschaft (Hochadel).

Natürlich kann es auch umfangreiche Bevölkerungs-Dezimierungen durch Epidemien geben. Ein Beispiel dafür ist das Hinwegsterben der einheimischen Bevölkerung Amerikas bei Ankunft der papsttreuen, goldsüchtigen, katholischen "Konquistadoren" - aus Spanien und Portugal.

Wir hatten aber auch schon Hinweise darauf angeführt, daß in der Zeit des Spätneolithikums und der Frühbronzezeit Volksstämme - vermutlich von Großkönigen - bewußt an- und umgesiedelt worden sind im Ostseeraum in den Jahrhunderten der Ankunft der Indogermanen (6). In vielen Regionen war die Ankunft der Indogermanen auch verbunden, so hatten wir angeführt, mit Anzeichen von Siedlungslücken, von dem Rückgang der Bevölkerungsdichte, und zwar in Norddeutschland und Jütland ebenso wie in Apulien oder Griechenland. Zum Umbruchsjahr 2.200 v. Ztr. im Mittelmeerraum hat es ja im Jahr 2016 auch eine internationale Fachkonferenz in Halle an der Saale gegeben, wie wir in früheren Blogartikeln erwähnten.

Vorgänge von - sagen wir neutral: "Umgruppierungen" - von Völkerschaften infolge der Ankunft neuer Völkerschaften sind in der Archäologie besonders gut erforscht bislang für die Zeit nach der Palastzeit auf Kreta (Ankunft der mykenischen Kultur und damit der Indogermanen) wie auch für die Zeit des Seevölkersturms um 1200 v. Ztr. im Mittelmeerraum (2):

Im Mittelmeerraum konzentrierte sich viel archäologische Forschung zum Thema Flucht und Verelendung in der Vorgeschichte auf das Kreta nach der Palastzeit und auf den spätbronzezeitlich- bis eisenzeitlichen Levanteraum. In beiden Regionen haben die Untersuchungen sich sehr stark darauf konzentriert, die Umstände zu identifizieren, die mit Flucht und Umsiedlung verbunden gewesen sind, auch um mögliche Depots zu identifizieren, die von Flüchtlingen angelegt worden sein könnten.
In the Mediterranean, much archaeological research on refugee phenomena in prehistory has focused on Postpalatial Crete (e.g. Haggis 2001;  Kanta 2001; Driessen 2018; Nowicki 2018) and the LBA to IA Levant (e.g. Burke 2011; 2012; 2018a; 2018b; 2021; Jung 2018; cf. Iacono 2018). In both areas, investigations have relied heavily on identifying the circumstances that informed flight and resettlement as a means to isolate possible refugee deposits.

Theoretisches Umsinnen des Themas "Völker in Not"

Gemäß eines Modells zu "Verelendungsrisiken und Wiederaufbaubemühungen" im Zusammenhang mit Fluchtereignissen ("Impoverishment Risks und Reconstruction" [IRR]) wird zunächst eher von der theoretischen Seite her erarbeitet, mit welchen Phänomenen es Archäologen zu tun haben könnten bei der Interpretation ihre Funde und Befunde zu diesem Thema (2):

1. Hinweise auf die Aufgabe von Ortschaften und Siedlungskammern, auf plötzliches Anwachsen von Ortschaften in benachbarten Regionen oder aber auf die Veränderung der Siedlungsstruktur überhaupt.

2. Hinweise auf neue Tätigkeitsfelder (z.B. als Söldner oder in Massen-Arbeits-Projekten) oder auf Räuberei, sowie Hinweise auf "neue Netzwerke" im Fernhandels-Austausch, die sich durch Neuankömmlinge ergeben können.

3. Heimatlose: Das Anwachsen von Siedlungen mit Hinweisen auf architektonische Traditionen von Neuankömmlingen; höhere Siedlungsdichte in Rückzugsräumen ("refugia") aufgrund der beschränkten Räumlichkeit vor Ort, die zugleich natürlichen Schutz bieten, und wohin gegebenenfalls große Zahlen von Flüchtlingen fliehen können.

4. An den Rand drängen (Marginalisierung): Hinweise auf (neue?), am Rand gelegene Siedlungsgemeinschaften, Nachbarschaften, Stadtteile. Oder aber die Besiedlung von abgelegenen Regionen, einschließlich von Höhlen.

5. Unsichere Lebensmittelversorgung: Hinweise auf (neue?) Ernährungsgewohnheiten, intensivierten Ackerbau, Hungerzeiten, ablesbar an den Skeletten und an vielfältitgem Gebrauch von Werkzeugen, die oft repariert worden sind.

6. Erhöhte Sterblichkeit: Das Auftreten von neuen Gräbern innerhalb gerade erst erweiterten Siedlungen.

7.  Verlust des Zugriffs auf differenzierte Austausch-Netzweke, also Hinweise auf (2, S. 5f) ...

... den Verlust der Erreichbarkeit oder Zugänglichkeit von zuvor exisiterenden Handwerks-Spezialisten und deren Netzwerken, archäologisch bezeugt durch weniger vielfältige, weniger schöne, mehr auf Nützlichkeit abgestellte Sachgüter-Bestände, eine Erscheinung, die zum Beispiel an den Funden sowohl von kanaanitischen Flüchtlingen (im Levanteraum) wie von ägäischen Flüchtlingen nach der Palastzeit (auf Kreta) beobachtet worden ist.
loss of access to or availability of preexisting craft specialists and networks, a dearth evinced archaeologically in more limited, less embellished, more utilitarian repertoires - a  pattern observed, for  example, among both Canaanite and Postpalatial Aegean refugee assemblages (Burke 2018a: 245).

8. In einigen Fällen Hinweise auf ... (2)

... das Zusammenkommen von kulturell, sprachlich, sozial, ethnisch, stammesmäßig und/oder religiös unterschiedlichen Gemeinschaften unter den Bedingungen einer äußeren Bedrohung.
in some cases the coming together of otherwise diffuse cultural, linguistic, social, ethnic, tribal and/or religious entities into the refuge-space under conditions of a common external  threat (see further below, and e.g. Dahlal 2017: 4)

Es wird erkennbar, worum es geht: Antike Völker in Not. Bevölkerungen verlieren Land, werden versklavt und zu Zwangsarbeiten heran gezogen, leben in Rückzugsregionen, werden kulturell und wirtschaftlich an den Rand gedrängt ("marginalisiert"), erleben Hungerzeiten, erleben erhöhte Sterblichkeit, erfahren einen geradezu dauernden "Belagerungszustand". Nicht zuletzt fühlt man sich auch erinnert an die Staatlichkeit der Spartaner auf der Peloponnes in Griechenland, die sich über Jahrhunderte hinweg in einem dauernden Kriegszustand mit der zuvor dort einheimischen Bevölkerung befand. Offenbar können einige Züge eines solchen Geschehens auch für Sardinien in der Zeit nach 2.300 v. Ztr. beobachtet werden.

Abschließende Überlegungen

Wenn ich als "Spätankömmling" in eine soziale Welt kommen, die schon seit Jahrhunderten von Hierarchien geprägt ist, könnte es gut für mich sein, wenn ich die seelische Spannweite besitze, den "Individualismus" besitze, die Anpassungsfähigkeit besitze, mich auf vielen - oder allen - Stufen der sozialen Leiter sicher zu bewegen. Dazu ist Anspruchslosigkeit sicherlich eine gute Voraussetzung. Die ersten 2.500 Jahrer ihre Geschichte dürfte die Lebensweise der Indogermanen in weiten Teilen Europas als nur halbseßhafe Herdenhalter und Bauern noch recht anspruchslos gewesen sein. Mit einer solchen anspruchslosen Lebenshaltung finde ich mich in der Welt von "Deutschland ganz unten" (Günther Wallraff) ebenso gut zurecht wie ich mich womöglich in den Kreisen der Regierenden, der Fürsten und Könige zurecht finde. Daß die Indogermanen als Kultur schon von früh auf diese innere Spannweite besessen haben, dafür können sicherlich viele Zeugnisse angeführt werden und dafür hatten wir in diesem Beitrag schon einige genannt, eben: Rebellen und Könige zugleich.

"Krieg den Palästen, Friede den Hütten!" - So könnte also das Motto der Indogermanen in den ersten 2.500 Jahren ihrer Geschichte unter anderem auch immer einmal wieder gelautet haben. Womöglich waren soziale Revolutionen ein nicht unwichtiger Modus ihrer Ausbreitung. Womöglich waren sie Anführer, Ermutiger, Verbündete unterdrückter Unterschichten im Kampf gegen ihre Unterdrücker. So wie - offenbar - auf Sardinien 2.300 v. Ztr. (oder auch in Serbien 4.700 v. Ztr.). Indem diese Möglichkeit mit berücksichtigt wird, ergibt sich sich ein neues, zusammenhängendes, vielleicht widerspruchsfreieres Bild zu ihrer Ausbreitung. Viel bisher "Unstimmiges" in der Faktenlage könnte damit "stimmiger" werden. Sie waren womöglich immer beides zugleich: Rebellen und Könige.

Ausblick

Daß übrigens die Geschichte der Glockenbecherkultur auf Sardinien und überhaupt im Mittelmeerraum mit einer "Zuwanderungswelle" allein nicht hinreichend erklärt werden kann, dafür scheinen sich auch immer mehr Hinweise anzusammeln. Das sei nur noch als Ausblick am Ende erwähnt. Unter Bezugnahme auf (10) wird auf Wikipedia erwähnt, daß die erste Welle der Glockenbecher-Kultur aus Südfrankreich und Katalonien gekommen ist, eine zweite Welle aber aus Mitteleuropa über Italien nach Sardinien gekommen sei (Wiki):

Die erste "Franko-Iberisch" (Katalonien und Südfrankreich) und die zweite "Mitteleuropäisch" (über die ganze italienische Halbinsel hinweg).
The first "Franco-Iberian" (Catalonia and Southern France) and the second "central European" (throughout the Italian peninsula).

Diese beiden Wellen werden zeitlich zugeordnet den archäologischen Phasen ...

A1 Maritime, internationale Phase (etwa 2.100 bis 2.000 v. Ztr.)
A2 Italienisch-Sulcitan Phase (etwa 2000 bis 1900 v. Ztr. 
A1 maritime-international phase (c. 2100-2000 BC)
A2 Italian-Sulcitan phase (c. 2000-1900 BC)

("Sulcitan" bezieht sich auf zwei kleine Inseln vor der Südküste Sardiniens.) Damit würde sich wiederum ein komplexes Geschehen für die Geschichte Sardiniens und zeitgleich anderer Regionen des Mittelmeer-Raumes andeuten. Womöglich ist dies zeitlich auch zuzuordnen der Ausbreitung der Urnenfelder-Kultur nach Italien hinein, worüber wir jüngst auch andernorts hier auf dem Blog (Stgen2019) das folgende nachgetragen hatten: Eine neue Studie macht auf die lange Frühgeschichte der Urnenfelder-Kultur - sprich, der nachmaligen Italiker, Iberer, Ligurer und Kelten - ab 2000 v. Ztr. aus dem Raum der ungarischen Tiefebene heraus aufmerksam (11). Ab 1900 v. Ztr. sei sie im nordöstlichen Serbien südlich des Eisernen Tores anzutreffen. Während des darauffolgenden Zusammenbruchs des Tell-Systems um 1500 v. Ztr. breitete sich das Urnenfelder-Modell in einige benachbarte Regionen aus, in die südliche Poebene, in die Sava/Drava/Untere Tisza-Ebene, während es in vielen dazwischenliegenden Regionen hybride Kulturen mit weniger radikaler Übernahme der Urnenfelder-Kultur-Elemente gegeben habe (11).

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*) Original (2):
"(1) a patron-elite (merchants?) residing in  the  south  (Monte  Claro,  Cagliari/southern sub-facies)  with trans-Mediterranean  engagements (trade?), differentiated by their Near Eastern-styled trapezoidal hous- ing and shaft tombs with pithos-sherd  interments (see Webster  2019b for a full analysis), tanged copper daggers and finely  made, distinctive flute-decorated ceramics; 
(2) client/mixed households (Monte Claro elsewhere in the island) socio-economically  entangled with the patron-elite (e.g. culture brokers, traders, miners, metal workers, textile workers), and archaeologically distinguished (with greater difficulty) by traditional and emulative housing  architecture,   and burial  in  traditional  sepulchres  with hybrid (Filigosa-Abealzu/Monte Claro,  e.g.  Santu  Pedru-Alghero) and/or  locally imported Cagliari  sub-facies  ceramics  and   occasionally metal objects (daggers, awls); 
(3) traditional (Filigosa-Abealzu) enclaves,  archaeologically  detectable  in  habitations   and  tombs  mainly in the interior of  the island  (e.g.  Mind  ‘e  Gureu-Gesturi—see  Figures 3 [marked  as  ‘Gureu’] and 4d, below), with variable relations to the above two groups including resistance, conflict, mutual  exploitation, accommodation and emulation; and 
(4) unfree statuses, the least ascertainable archaeologically, but possibly detectable  for example in the high-status Monte Claro (Cagliari sub-facies) burials at Gannì near the Gulf of Cagliari, suggesting the presence of household servants."
**) Ergänzung 28.1.23: Es wäre überlegenswert, ob die zeitgleiche Entstehung der Griechen in Griechenland nicht ähnlich erklärt werden könnte (s. Stugen2023). Auch dort gibt es ja auf Delos die Sage, daß der Apollonkult durch zwei Jungfrauen eingeführt worden wäre, die von den "Hyperboräern" gesandt worden wären (Wiki). Die Insel wäre zuvor in Besitz der Karer (Wiki) gewesen. Diese sprachen ebenfalls - wie die Hethiter - eine indogermanische Sprache, trugen aber womöglich - wie die Hethiter - keine indogermanische Genetik in sich. Sie gehörten zur Sprachgruppe der Luwier. 
Somit könnte es ja fast denkbar sein, daß es diese Luwier waren - oder westanatolische Vorgänger-Kulturen der Luwier - die auch auf Sardinien als ausländische Elite aufgetreten sind, die aus dem Nahen Osten stammte. Womöglich ist jedenfalls der Apollonkult auf Delos im Widerstreit mit Götterkulten, die von einer aus Anatolien stammenden Elite zuvor eingeführt worden waren, eingeführt worden. Vielleicht deshalb auch die Notwendigkeit der wiederholten "Reinigungen" der Insel von vormals angelegten Gräbern. Nur die Gräber der beiden genannten Jungfrauen sind dabei nie beseitigt worden bei solchen mehrmaligen Reinigungen, so daß sie in die 1950er Jahre auf Delos ausgegraben werden konnten.  

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  1. Bading, Ingo: 4.700 v. Ztr. - Indogermanen am Mittellauf der Donau?, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/07/4700-v-ztr-indogermanen-am-mittellauf.html  
  2. Gary Webster: Biriai: A Possible Refugee Settlement in Late Third-Millennium bc Sardinia. Journal of Mediterranean Archaeology 34.1 (2021) 3-27, https://doi.org/10.1558/jma.43200
  3. Svend Hansen und J. Müller (eds.), Rebellion and Inequality in Archaeology. Proceedings of the Kiel Workshops "Archaeology of Rebellion" (2014) and "Social Inequality as a Topic in Archaeology" (2015). Habelt, Bonn 2017 (pdf
  4. Bading, Ingo: Völkerbewegungen im Mittelmeer-Raum ab 2.400 v. Ztr., 26.2.2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/02/volkerbewegungen-im-mittelmeer-raum-ab.html
  5. Bading, Ingo: 2.200 v. Ztr. - Kriegerische Glockenbecherleute im westlichen Mittelmeer-Raum, kriegerische Hethiter in Anatolien, 3.4.2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/04/2200-v-ztr-kriegerische.html
  6. Bading, Ingo: Die westeuropäischen Fischer, Jäger und Sammler (13.000 bis 2.700 v. Ztr.), 1.4.2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/06/die-westeuropaischen-jager-und-sammler.html
  7. Die Fundamente Europas - Sie wurden in einer Umbruchzeit gelegt (3.500 bis 2.700 v. Ztr.), https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/05/das-fundament-europas-in-einer.html  
  8. Juliane Wetzel, Displaced Persons (DPs), publiziert am 26.03.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Displaced_Persons_(DPs)> (20.08.2021) 
  9. Harald Meller trifft Roberto Risch - Neue Forschungen zur europäischen Frühbronzezeit, 21.12.2020, https://youtu.be/rhaqmH8Caq0
  10. Ceramiche. Storia, linguaggio e prospettive in Sardegna, Maria Rosaria Manunza, p.26
  11. Cavazzuti, C., Arena, A., Cardarelli, A., Fritzl, M., Gavranović, M., Hajdu, T., ... & Szeverényi, V. (2022). The First ‘Urnfields’ in the Plains of the Danube and the Po. Journal of World Prehistory, 1-42, https://link.springer.com/article/10.1007/s10963-022-09164-0.  

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