Mittwoch, 25. Dezember 2019

Das Auf und Ab der Geschichte der Cucuteni-Tripolje-Kultur

Die Indogermanen kommen nach Siebenbürgen (3500 v. Ztr.)
- Neue Forschungen aus Genetik und Archäologie 
- Anhang: Allgemeinere Überlegungen zu Geschichte und Wesen des Indogermanischen

[23.12.2019] Im November 2019 ist eine neue archäogenetische Studie zur Ankunft der (indogermanischen) Steppen-Genetik in den protourbanen Donaukulturen, den Cucuteni-Tripolje-Kulturen (Wiki) erschienen (2) (s. Abb. 1).

Abb. 1: Ankunft der Steppen-Herkunft in der Cucuteni-Tripolje-Kultur ab 3.500 v. Ztr. (aus: 2)

Die Studie ... (2)

.... präsentiert Genom-weite Daten aus Skeletten von vier Frauen, die in zwei späten Cucuteni-Tripolje-Ortschaften in Moldawien (3.500-3.100 v. Ztr.) gefunden wurden. Alle Individuen waren gekennzeichnet durch eine umfangreiche neolithisch-geprägte genetische Herkunft, sie standen hierbei der Bandkeramik genetisch näher als den (ursprünglichen) anatolischen Bauern. Drei der Frauen wiesen ebenfalls ein beträchtliches Ausmaß an Steppen-Herkunft auf, was einen Zustrom von Genen des ukrainischen Steppen-Mesolithikums in den Cucuteni-Tripolje-Genpool nahelegt. Dieses Szenarion wird durch archäologische Belege untermauert. Unsere Ergebnisse bestätigen, daß die Steppenkomponente in den östlichen Bauernkulturen schon um 3.500 v. Ztr. angekommen war.
Original: ... present genome-wide data generated from the skeletal remains of four females that were excavated from two Late CTC sites in Moldova (3500-3100 BCE). All individuals carried a large Neolithicderived ancestry component and were genetically more closely related to Linear Pottery than to Anatolian farmers. Three of the specimens also showed considerable amounts of stepperelated ancestry, suggesting influx into the CTC gene-pool from people affiliated with, for instance, the Ukraine Mesolithic. The latter scenario is supported by archaeological evidence. Taken together, our results confirm that the steppe component had arrived in eastern Europe farming communities maybe as early as 3500 BCE. In addition, they are in agreement with the hypothesis of ongoing contacts and gradual admixture between incoming steppe and local western populations.

Die bisher genetisch bestimmten Menschen dieser Kultur und Zeitstellung sehen wir in Abb. 1 ganz links. Der dunkelblaue Herkunftsanteil geht zurück auf die bäuerliche anatolisch-neolithische Völkergruppe (einschließlich Bandkeramik), der braun-orange Herkunftsanteil geht nun zurück auf dieselbe Steppen-Herkunft, die sich auch in der Yamnaja-Kultur findet (Abb. 1 ganz rechts). Um 3.500 v. Ztr. ist dieser Herkunftsanteil in den Menschen von Moldawien noch nicht sehr umfangreich vorhanden, aber immerhin - er ist sehr deutlich vorhanden. Das heißt, daß sich die Menschen der Steppe zunächst allmählich in die Bauernkulturen der Ukraine, Moldaviens und Siebenbürgens eingemischt haben (2):

Für das Skelett Pocrovca 1 (...) sind die folgenden Herkunftsanteile naheliegend: Bandkeramik 41 bis 60 %, Steppen-Herkunft 8 bis 18 % und Herkunft von westeuropäischen Jägern und Sammlern 29 bis 41 %.
Pocrovca 1 yielded a feasible three-way admixture model suggesting the following proportions: LBK (41-60%), steppe-related ancestry (8-18%) and WHG (29-41%). 

Der hellblaue Herkunftsanteil in Abb. 1 geht zurück auf die dunkelhäutigen westeuropäische Jäger und Sammler, wobei allerdings nicht klar wird, wo die osteuropäischen Jäger und Sammler zu finden sind und ob die nicht auch darunter summiert sind. Zu den westeuropäischen Jägern und Sammlern ist zu sagen, daß diese sich schon vor der Ausbreitung des Ackerbaus so weit nach Osteuropa ausgebreitet hatten und daß ihre Nachkommen nach dem Untergang der Bandkeramik in Moldavien nicht unbeträchtlich zur Ethnogenese der mittelneolithischen Cucuteni-Tripolje-Kultur beigetragen haben werden.

Schon in einem Blogbeitrag von vor wenigen Wochen haben wir darauf hingewiesen, daß die frühesten Schnurkeramiker Mittel- und Nordeuropas vermutlich noch gar keine neolithische Bauerngenetik aufgewiesen zu haben. (In Abb. 1 sind diese bislang noch selten untersuchten frühesten Schnurkeramiker offenbar noch gar nicht eingetragen, unter "Corded Ware" jedenfalls nur spätere.) Bei den Schnurkeramikern handelt es sich also, so wird auch in dieser Studie geschlußfolgert, um Zuwanderungen direkt aus dem Kernraum der Steppenvölker heraus nach Mitteleuropa, nicht um Zuwanderungen aus den Vermischungsgebieten auf dem Territorium der vormaligen Cucuteni-Tripolje-Kultur. (Diesen Umstand scheint uns der bekannte Blogger "Davidski" in seinem Kommentar auf dem Preprint-Server noch übersehen zu haben.) Ähnliches könnte dann auch für die Glockenbecher-Kultur ("Bell Beaker") gelten, die ja eine ganz ähnliche genetische Signatur aufweist wie die Schnurkeramiker-Kultur (s. Abb. 1).

Soweit die neueste Archäogenetik zur Geschichte dieses Raumes. 

Das Auf und Ab der Geschichte der Cucuteni-Tripolje-Kultur

In einer ebenfalls in diesem Jahr erschienenen rein archäologischen Studie (1) wird die Geschichte der protourbanen Cucuteni-Tripolje-Kultur (Wiki) anhand statistischer Auswertungen auf gleich mehreren Ebenen nachgezeichnet, wobei ein starker Bevölkerungseinbruch um 3.500 v. Ztr. deutlich wird (Abb. 2). Dieser tritt aber tatsächlich erst in der letzten Endphase dieser Kultur auf. Vorausgegangen ist ihm eine lange Phase erhöhter kriegerischer Aktivität, gemessen an Pfeilfunden und Verteidigungsanlagen rund um Siedlungen (Abb. 2). Auch das Auf und Ab der Bodenqualität und des Anteils des Jagdwildes am gesamten Fleischkonsum kann für über ein Jahrtausend vor diesem Ereignis nachgezeichnet werden (Abb. 2).

Abb. 2: Bevölkerungsdichte und Wirtschaftsweise in der heutigen Ukraine und im heutigen Rumänien 4.500 bis 3000 v. Ztr. (aus: 1)

Das soll im folgenden noch etwas genauer erläutert werden. Um 5.500 v. Ztr. ist die Bodenqualität der Schwarzböden in der Ukraine, in Moldawien und Siebenbürgen (Rumänien) hervorragend. Ab dieser Zeit geht sie aufgrund des Bevölkerungswachstums der frühneolithischen Kulturen sehr schnell zurück und erreicht um 4.800 v. Ztr. einen Wert, der unseren modernen Braunböden entsprechen wird. 4.800 v. Ztr. ist die Zeit des Untergangs der Bandkeramik, die sich auch bis in die Ukraine ausgebreitet hatte. (Die Bevölkerungsgröße in bandkeramischer Zeit scheint nicht eingezeichnet zu sein.) Hier sehen wir also womöglich eine der Ursachen der Instabilität der bandkeramischen Kultur: die Bodenqualität. Womöglich hatten die Menschen noch nicht gelernt, die Bodenqualität durch Düngung und Brache zu pflegen und hatten plötzlich viel weniger ertragreiche Böden, ein Umstand, auf den sie zunächst womöglich nicht reagieren konnten.

In dieser Zeit des Niedergangs wurde nun wieder deutlich mehr Wild gejagt und konsumiert als zuvor. Dies ist an dem Prozentsatz der Knochen von Wildtieren unter den Tierknochen-Funden in den menschlichen Siedlungen ablesbar (s. Abb. 2, "faunal remains"). Er erreichte wieder Werte zwischen 50 und 60 %, sank in den folgenden Jahrhunderten dann aber wieder auf 30 % oder noch geringer ab.

Denn von diesem Tiefpunkt am Ende der Bandkeramik ab wächst die Bodenqualität dann wieder deutlich an. Und das obwohl zeitgleich auch die Bevölkerungsgröße weiter wächst (siehe "Area of settlements"). In letzterem Umstand dürften die Entwicklungen ab dieser Zeit in Mitteleuropa und in Südosteuropa auseinander laufen. Eine so hohe Siedlungsdichte wie im Frühneolithikum wurde in Mitteleuropa erst im Frühmittelalter wieder erreicht. In Südosteuropa verlief diese Entwicklung aber - wie hier nun deutlich wird - für eintausend Jahre lang - sehr viel beschleunigter. Vielleicht konnte dort durch neue Anbaumethoden (z.B. Brache, Düngung, Rinder-gezogener Pflug) die Bodenqualität wieder verbessert werden und so schließlich sogar noch einen höheren Wert erlangen als der Ausgangswert vor der Einführung des Ackerbaus betragen hatte (siehe Abb. 2, "soil quality").

Zwischen 4.500 und 3.900 v. Ztr. erreichte die Bodenqualität im Zeitverlauf nämlich ihren sehr deutlichen Höhepunkt. Dieser Zeitabschnitt wird als Zeit großen wirtschaftlichen Wohlstandes und Reichtums in der Cucuteni-Tripolje-Kultur (und in der zeitgleichen, nördlicheren Kugelamphorenkultur) gedeutet werden können. Und dieser Reichtum lockte die kriegerischen Kulturen der Indogermanen vom Mittel- und Unterlauf der Wolga an, die dort parallel in der Zeit nach dem Untergang der Bandkeramik entstanden waren. Pfeilspitz-Funde ("arrow caches"), die ein Hinweis auf die jeweilige Intensität kriegerischer Ereignisse sein werden, zeigen schon um 4.400 v. Ztr. einen ersten Höhepunkt. Weitere Höhepunkte folgen in den nachfolgenden Jahrhunderten bis 4.000 v. Ztr..

Auf das erste Auftreten der Bogenwaffe reagieren die reichen Kulturen der Ukraine und Siebenbürgens mit der Befestigung ihrer Siedlungen (s. Abb. 2, "settlement fortification"). Diese setzt ab 4.500 v. Ztr. ein und erreicht um 4.300 v. Ztr. ihren deutlichen Höhepunkt. Und sie hält weiter an bis 3.900 v. Ztr.. Der erarbeitete Wohlstand und Reichtum waren also von Anfang an begehrt und umkämpft und mußte verteidigt werden, entweder in Kriegen dieser Völker untereinander (Stamm gegen Stamm) oder in Kriegen gegen - z.B. - die indogermanische Steppenkultur.

Es muß nicht unwahrscheinlich sein, daß sich die Steppengenetik schon - ebenso wie in Warna - ab 4.300 v. Ztr. in der Cucuteni-Tripolje-Kultur eingemischt hat. Nachgewiesen ist das nicht. Aber soweit übersehbar, kann das auch nicht ausgeschlossen werden.

Über fast tausend Jahre hinweg scheint es dabei - dennoch - gelungen zu sein, die sozioökonomische Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Organisationsgrad aufrecht zu erhalten oder sogar noch auszubauen. Auffallenderweise gehen die Befestigungsanlagen schon ab 4.000 v. Ztr. wieder deutlich zurück. Und ab 3.900 v. Ztr. geht auch recht deutlich die Bodenqualität zurück. Womöglich hat sich ab dieser Zeit wieder vermehrt Herdenhaltung ausgebreitet.

Vielleicht kam es schon in jenen Jahrhunderten zu einer schrittweisen "Integration" der östlichen Nachbarn als "Föderaten" oder auch in Führungsschichten (sichtbar schon um 4.300 v. Ztr. in Varna) ähnlich wie dies im Römischen Reich Jahrtausende später geschah. Sollte es schon ab etwa 4.000 v. Ztr. eine irgendwie geartete "Integration" gegeben haben, ist sie archäologisch bislang aber nicht deutlich sichtbar. (Immerhin sichtbar in der Genetik, siehe neue Einleitung oben!) Sie geschah unter Beibehaltung oder sogar noch Steigerung der bisherigen Wirtschaftskraft, bzw. unter nur gradueller Veränderung derselben. Um 4.100 v. Ztr. erreichen Siedlungsgröße und -dichte in der heutigen Ukraine und in Siebenbürgen ihren Höhepunkt (s. Abb. 2, "Area of settlements"). Da die Schwarzböden nun offenbar sehr intensiv angebaut werden, tragen die Flüsse mehr Erde in das Donau-Delta, wo sie sich ablagert ("Danube delta sedimentation").

Zeichen des Niedergangs

Ein erster, noch geringerer Einbruch in der Bevölkerungsgröße und -dichte erfolgt ab 4.000 v. Ztr., er verstärkt sich dann aber sehr deutlich um 3.700 v. Ztr.. Um 3.500 v. Ztr. könnte die Bevölkerung auf ein Viertel ihres vormaligen Höchstwertes um 4.400 v. Ztr. zurückgegangen sein. Dies ist die Zeit, in der der "Ötzi" in Tirol mit seinem Kupferbeil lebte und an in der in der Ukraine und in Siebenbürgen die Bronzezeit begann. Eine indogermanische Kultur begann, sich zwischen der einheimischen Bauernkulturen auszubreiten. In der Studie heißt es (1):

Bislang vorliegende Radiokarbon-Daten und Keramik-Serien in der Ukraine legen eine nur kurze Periode der Gleichzeitigkeit zwischen der Endphase des (rein bäuerlichen) Eneolithikums und der frühbronzezeitlichen (Steppen-)Gruppen nahe (Diachenko and Harper, 2016) und deshalb auch einen schnellen Übergang zwischen ziemlich unterschiedlichen kulturellen Horizonten. In dieser Studie verfolgen wir hingegen die Hypothese, daß die eneolithischen Gesellschaften der Ukraine, Moldawiens und Rumäniens über den Verlauf des vierten Jahrtausends v. Ztr. hinweg allmählich in eine Viehherden-Ökonomie überging, und daß dies unabhängig von der späteren Ansiedlung von frühbronzezeitlichen (Steppen-)Gruppen in der Region geschah.
Original: Existing radiocarbon data and pottery seriation in Ukraine suggest only a brief period of synchronicity between Terminal Eneolithic and EBA groups (Diachenko and Harper, 2016) and, therefore, a rapid transition between fairly discontinuous cultural horizons. In this paper we present the hypothesis that the Eneolithic societies of Ukraine, Moldova and Romania gradually transitioned to a pastoral economy over the course of the fourth millennium BCE, and that this occurred independently of the later establishment of EBA cultural groups in the region.

Nun, daß dies ganz unabhängig von Steppen-Gruppen geschehen ist, wird ja inzwischen schon durch die einleitend erwähnten neuen archäogenetischen Daten eher widerlegt. Aber die Bevölkerungsgröße erholte sich doch noch einmal von dem Bevölkerungseinbruch von 3.500 v. Ztr. und verdoppelte sich bis 3.400 v. Ztr.. Womöglich ist daran die Zähigkeit erkennbar, mit der sich diese weit entwickelte Kultur ihrem Untergang entgegen stemmte Erst danach pendelte sich die Bevölkerungsgröße dauerhafter auf einem niedrigeren Niveau ein.

Abb. 3: Die Siedlungen der Cucuteni-Tripolje-Kultur 4.500 bis 3.500 v. Ztr. (aus: 1)

Es bildete sich dann eine Mischkultur von Herdenhaltern der Steppe und einheimischer Bevölkerung aus. Die Bronzezeit hatte begonnen. Die große mittelneolithische Cucuteni-Tripolje-Kultur mit ihren "Megasites", mit ihren Großsiedlungen, deren geographische Verbreitung sich auf Abbildung 3 zeigt, war untergegangen. Die Angabe zu "site relief" in Abb. 2 soll wohl anzeigen, daß die Zahl der Siedlungsstellen womöglich noch wuchs, jede für sich aber deutlich kleiner geworden war. Die Forscher fassen die Ergebnisse ihrer Studie folgendermaßen zusammen (1):

Die wirtschaftlichen Veränderungen vollzogen sich allmählich, in ihrem Ausdruck regional vielfältig und gehen der Ankunft der frühbronzzeitlichen (Steppen-)Völker voraus.
Economic changes were gradual, regionally diverse in their manifestation and pre-date the arrival of EBA populations in Eastern Europe.

Ob es aber - wie von uns angedeutet und wie von der Archäogenetik neuesten nachgewiesen (siehe Einleitung oben) - schon zuvor schrittweise Integrationen dieser östlichen Steppen-Völker gegeben hat, wird in dieser Studie nicht konkreter in Erwägung gezogen.*) In der Studie wie auch auf Wikipedia ist die Rede von (Wiki):

... der kurzen historischen Gleichzeitigkeit von Cucuteni-Tripolje (4.800-3000 v. Ztr.) und der (östlichen, indogermanischen) Yamnaja-Kultur (3.300-2.600 v. Ztr.)
Original: ... the limited common historical life-time between the Cucuteni–Trypillia (4800–3000 BC) and the Yamnaya culture (3300–2600 BC); given that the earliest archaeological findings of the Yamnaya culture are located in the Volga-Don basin, not in the Dniester and Dnieper area where the cultures came in touch, while the Yamnaya culture came to its full extension in the Pontic steppe at the earliest around 3000 BC, the time the Cucuteni-Trypillia culture ended, thus indicating an extremely short survival after coming in contact with the Yamnaya culture. (...) The kurgans that replaced the traditional horizontal graves in the area now contain human remains of a fairly diversified skeletal type approximately ten centimetres taller on average than the previous population.

Daraus wäre zu folgern, daß es sich bei den genetischen Einmischung, die schon um 3.500 v. Ztr. sichtbar sind, um Genetik von Vorgängerkulturen der Jamnaja-Kultur handeln wird. Und es ist die Rede von einem nur kurzzeitigen Überleben der Cucuteni-Tripolje-Kultur nachdem sie mit der Jamnaja-Kultur in Berührung gekommen war. Unter den Kurganen, die die vorherige Grabform ersetzten, waren nun Menschen begraben, die durchschnittlich zehn Zentimeter größer waren als die vorherige Bevölkerung (1).*)

Hoher Organisationsgrad der "Megasites"

Ergänzung (6.7.22): Der hohe gesellschaftliche Organisationsgrad der "Megasites", sowie der Organisationsgrad ihrer Landwirtschaft, dabei auch die Knappheit an Land wird in einer detaillierten neuen Untersuchung mittels massenweiser Isotop-Analysen von Tierknochen solcher "Megasites" deutlich. Deren Ergebnisse werden aktuell folgendermaßen zusammen gefaßt (6):

Die intensive Beweidung durch Rinder, vermutlich Milchkühe in hoher Zahl auf räumlich beschränktem Weideland legt nahe, daß qualitativ hochwertiges Weideland eine begrenzte Ressource am Siedlungsort Madanetske darstellte, und daß der Zugang zur Weide zwischen Haushalten ausgehandelt werden mußte. (...) Rinder-Dung, der sich auf diesen Weiden ansammelte, könnte ebenfalls als eine Gemeinschafts-Ressource angesehen worden sein, nutzbar für die routinemäßige Düngung der Anbauflächen. Wenn dies der Fall war, wären landwirtschaftliche Aktivitäten ebenfalls an die Gesellschaft gebunden gewesen, selbst wenn der Getreideanbau durch einzelne Haushalte erfolgt sein sollte. (...) All dies bezeugt die tief eingewurzelte Rolle sorgfältiger Raumnutzung - am deutlichsten sichtbar in dem konzentrischen Grundriß der Tripolje-Megasites.
The intensive grazing of some cattle, probably dairy cows, at high stocking rates in spatially restricted pastures suggests that high-quality pasture was a limited resource at Maidanetske and that pasture access was negotiated between households, or, if cattle were communally held by several households, through integrative activities perhaps directed within the built environments of ‘mega-structures’. The practice of intensive pasturing itself therefore may have also served socially cohesive functions. Cattle dung, concentrated on specific pastures, may have also been a community resource, available for routine fertilising of agricultural plots. If this was the case, agricultural activities were also tied into the community, even if cropping was undertaken at the household level. At the same time, the partitioning of the local landscape, exemplified in extensive pasturing systems and the different roles played by domesticated animals in those landscapes, also suggests that access to pastures was further determined by intra- and inter-community cooperation or competition. Altogether, this attests to the deep-seated role of careful spatial calculations - most visible within the concentric planning and layout of Trypillia mega-sites - in maintaining and reifying Trypillia social organisation.

Da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Steppen-Herkunft schon vor Entstehung der "Megasites" in der Ukraine in die Menschen der Cucuteni-Tripolje-Kultur eingemischt war (Studgen2022), könnte auch aus solchen Forschungen die Erkenntnis abgeleitet werden, daß das indogermanische Element - sowohl genetisch wie kulturell - von Anfang an nicht nur zerstörend, anarchisch und ausbeutend, sondern auch aufbauend, organisierend und disziplinierend in der Weltgeschichte aufgetreten sein könnte. Um dessen sicher zu sein, müssen aber weitere Forschungen abgewartet werden.

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*) Die hier erörterte Studie argumentierte gegen die These des sehr bedeutenden Buches "Zepter, Pferde, Krieg" des moldawischen Archäologen Vladimir Dergachev aus dem Jahr 2007. Auf diesen Umstand wurden wir erst 2021 aufmerksam und machen darauf in einem jüngeren Blogartikel aufmerksam (5). Leider ist das Buch bislang nur auf Russisch erschienen, so daß seine Thesen und Erkenntnisse von uns bislang nicht im Detail nachvollzogen werden können und auch von deutschen Archäologen wie Volker Heyd bis 2016 nicht mit in die Betrachtung und Beurteilung mit einbezogen worden ist. Dieser Umstand ist sehr bedauerlich, zumal mit diesem Buch zugleich die Urheimat der Indogermanen an der Mittleren Wolga entdeckt worden ist.




"Helden - Die ewige Sehnsucht nach Ruhm und Größe"

Die Indogermanen - Ihre Art, ihr Wesen, ihre Bedeutung für die Weltgeschichte

[22.12.2019] Während man sich mit den bis hier geschilderten Daten der Detail-Studien beschäftigt, richtet man immer auch einmal wieder den Blick auf größere Fragen weltgeschichtlicher Zusammenhänge. Dazu im folgenden noch einige allgemeinere Überlegungen. Weltgeschichte ist Fortschritt im Bewußtwerden der Freiheit - so sagt der deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel in seiner groß angelegten geschichtsphilosophischen Deutung. Und: Der germanische Geist ist der Geist der Freiheit. Auch dies ist ein Wort von Hegel. Der weltgeschichtliche Weg in diesem Bewußtwerden geht - nach Hegel - von der Alleinherrschaft (Despotie/Monarchie) über die Herrschaft einiger weniger (Aristokratie) hin zur wahrhaft freien, menschenwürdigen Gesellschaft, der Herrschaft aller (Demokratie).

Abb. 4: Helden - Die ewige Sehnsucht nach Ruhm und Größe (Spektr. d. Wiss. 4/2019)

Die Bauernvölker, die im Fruchtbaren Halbmond entstanden und um ihn herum, und die die seßhafte, bäuerliche Lebensweise bis nach Skandinavien und Indien ausgebreitet haben, also die anatolisch-neolithische und die iranisch-neolithische Völkergruppe mögen zwar - zumindest östlich, nördlich und westlich von Anatolien - ursprünglich stark egalitäre Züge aufgewiesen haben bis nach Skandinavien hinauf. Sie waren aber dennoch zugleich auch stark vom Geist der Despotie mitbestimmt, von rigider, letztlich vermutlich vorderorentientalischer Sozialdisziplinierung durch - vermutlich - stark strafende Götter und und Göttinnen und in ihrem Dienst stehender männlicher und weiblicher Lokaldespoten (Hinweise darauf wurden schon im letzten Blogartikel angeführt).

Dieser Geist konnte abgemilderter auftreten, um so weiter sich diese Völker von ihrem Ursprungsraum im südlichen Anatolien und im Levanteraum entfernten und um so mehr sie sich mit in Indien und Europa einheimischen Jäger-Sammler-Völkern vermischten - kulturell und genetisch. Gänzlich verloren gegangen sein wird dieser Geist allerdings nie. Und er ermöglichte vermutlich den unglaublichen, Jahrtausende langen demographischen und kulturellen Erfolg dieser beiden Völkergruppen, die sich im Iran und im Mittelmeerraum schon sehr früh beginnend über die Jahrtausende hin auch miteinander vermischten. Dies scheint - vielleicht aufgrund eines ähnlichen Wesens, angeborener Merkmale - ohne größere Komplikationen und innere Widersprüche vor sich gegangen zu sein. Diese bäuerlichen Kulturen brachten praktisch alle großen frühen Hochkulturen hervor von Ägypten und Uruk/Babylon im Westen bis zur Indus- und Marghiana-Kultur im Osten. Sie betrieben von Anfang an intensiven Pflanzenbau und wiesen deshalb gleich zu Anfang sehr hohe Siedlungsdichten auf - auch in Ostmittel-, Mittel- und Nordeuropa.

Um so mehr diese Bauernvölker nun im weiteren Verlauf, also im Mittelneolithikum in Europa aus Rand- und Rückzugsgebieten heraus von alten, einheimischen, bzw. neu entstandenen Völkern überlagert und ersetzt wurden, die schon höhere Anteile einheimischer europäischer Jäger-Sammler-Genetik aufwiesen, um so extensiver wurde die Wirtschaftsweise und um so geringer die Siedlungsdichte. Gegenläufig dazu entstanden in einem Gürtel von der Indus-Kultur über die Ukraine (Cucuteni-Tripolje) und Bulgarien bis zum Zweistromland und in Ägypten erste ausgeprägte Stadtkulturen (wie sie im vorkeramischen, also sehr frühen Neolithikum im Levanteraum schon einmal bestanden hatten, danach aber untergegangen waren). In diesem Raum waren vielleicht die kulturellen Zug- und Sogkräfte von Seiten der weiter südlich gelegenen Stadtkulturen so stark, daß diese sogar - womöglich gegenläufige - genetische Einflüsse von Seiten der westeuropäischen Jäger-Sammler-Genetik wie sie in der Ukraine nachweisbar ist, "mit sich zu reißen" in der Lage waren. (Dies mag auch für die Großreiche des europäischen Mittelneolithikums sonst gelten.)

Die Cucuteni-Tripolje-Kultur insbesondere zeigt jedenfalls auch, daß auch die Verhaltensgenetik der mesolithischen europäischen Jäger-Sammler-Völker zu hoher Sozialdisziplinierung fähig war.

Auch in den beiden großen Völkergruppen bäuerlicher Kulturen aus Anatolien und dem Iran hat es viel zwischenethnische Gewalt gegeben, viel Mord und Totschlag. Verteidigungsanlagen der Bandkeramik beispielsweise finden sich gehäuft in ihrer Endzeit und in den Randbereichen ihres Verbreitungsgebietes, ebenso Massengräber Erschlagener aller Altersgruppen in Kernräumen ihres Verbreitungsgebietes. Mittels der Einschüchterung durch Mord und Totschlag einzelner und ganzer Gruppen wurde letztlich auch die für diese Gesellschaften notwendige Sozialdisziplinierung hergestellt, aufrechterhalten und durchgesetzt. Ähnliches haben wir oben für die Cucuteni-Tripolje-Kultur gesehen.

Auch folgender Umstand sollte berücksichtigt werden: Auch schon in den ersten Hochkulturen, die aus den ursprünglich neolithischen Bauernvölkern hervorgegangen sind, konnten die stärksten Helden und Krieger zugleich viel Weichheit, viel Menschliches, viel Schwäche zeigen. Sie sind keineswegs "nur" hartherzige, vernichtende Krieger und "Despoten". Sie weisen vielmehr Hochachtung auf vor dem Freund und gleich Edelgesonnenen, ebenso vor dem Weiblichen und Hochachtung auch vor den großen Lebensfragen, die im Bereich des Menschlichen gestellt sind. Viele Mehrfachbestattungen weisen auf solche nahen familiären und Freundesbeziehungen hin. Aber besonders leicht ist das ablesbar an dem großen Helden Gilgamesch in dem gleichnamigen babylonischen Epos des 3. Jahrtausends v. Ztr., dem ältesten Epos der Menschheit (Wiki).

Mit ebenso viel Gewalt, Mord und Totschlag setzten sich dann - ab dem Mittelneolithikum und schließlich in der Kupferzeit, bzw. im Spätneolithikum - die Kriegervölker der indogermanischen Völkergruppe aus dem Nordschwarzmeer-Raum in ganz Europa durch. Sie trugen zur Hälfte einheimische osteuropäische ("blonde") Jäger-Sammler-Genetik - "Ancient North Eurasian" (Wiki) - in sich und zur anderen Hälfte (hellhäutige) iranisch-neolithische Genetik - "Caucasian Hunter Gatherer" (Wiki). Auch bei ihnen wiesen die größten Helden - etwa in den Upanishaden oder Achill in der "Ilias" - neben großer kriegerischer Härte viel Weichheit, ja viel menschliche Schwäche auf, muten die dargestellten heldischen Krieger überhaupt sehr "menschlich" an und besteht auch bei ihnen - bei allem "selbstverständlichen" Mord, Totschlag und bei aller Versklavung ganzer besiegter Völker und bei allem Raub unterworfener Frauen - eine große Hochachtung vor dem edelgesinnten Freund, vor dem Weiblichen, vor dem Familiären, vor den Göttern und vor dem Numinosen, dem zu Erahnenden. In der "Ilias" werden sogar die Feinde - die Trojaner - als edelgesinnt dargestellt und ihnen wird Anteilnahme und Mitgefühl für ihr Schicksal gewidmet - ganz ebenso wie den eigenen Volksangehörigen, den Achaiern. Ähnliches kann beobachtet werden beispielsweise in der Tragödie "Die Perser" von Aischylos (472 v. Ztr.). (Das steht in einem sehr deutlichen Gegensatz beispielsweise zu der Art, wie im Alten Testament über die Feinde gesprochen wird.)

Für die Indogermanen galt also: Den Feinden gegenüber schrecklich und unerbittlich, den Freunden gegenüber voll Herzlichkeit, Weichheit, Menschlichkeit. Sie waren vor allem eines: keine solchen "Kampfmaschinen" wie sie nur allzu oft in platten sogenannten ("Anti-")Kriegsfilmen von Hollywood und Co Darstellung gefunden haben. Gerade den Indogermanen wird schon immer nachgesagt, daß sie besonders leicht fremde Kulturelemente in sich aufgenommen haben, fremde Götter in den eigenen Götterkanon aufgenommen haben, duldsam waren ihnen gegenüber und große Offenheit zeigten für Fremdes ganz allgemein. Dies geschah und geschieht oft zum Nachteil ihres eigenen kulturellen und genetischen Überlebens. Eine Fülle indogermanischer Völker ist im Lauf der Weltgeschichte, insbesondere in der Spätantike zwischen Tianshan- und Atlas-Gebirge untergegangen (z.B. zahllose skythische Völker, Tocharer, Sogder, Sarmaten, Kelten, "Arier" [in Indien], Perser, Griechen, Römer, Wandalen, Goten und viele andere mehr).

Insgesamt möchte man die These vertreten, daß die Indogermanen kriegerische Härte und Grausamkeit in der Weltgeschichte eher und häufiger mit Hochherzigkeit, Weltoffenheit, Edelsinn, religiöser Duldsamkeit zu verbinden geneigt gewesen waren als die Kulturen der mediterran-iranischen Bauernvölker, und daß der Geist der Indogermanen in Antagonismus steht zu dem Geist vorderorientalischer Religiosität und ihrer rigiden Sozialdisziplinierung. Darin mögen sowohl Stärken wie Schwächen der indogermanischen Mentalität und des indogermanischen "Geistes" liegen, die immer wieder erneut sorgfältig gegeneinander auszutarieren und auszuloten waren - und sind.

Womöglich ist damit in Zusammenhang zu sehen, daß in Europa ein (hier auf dem Blog in diesem Jahr schon behandeltes) "Zweifler-Gen" eine größere Häufigkeit hat als in Afrika und in Asien.*)

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*) [Nachtrag, 6.7.22] Bislang hatten wir an dieser Stelle noch längere Ausführungen und Erörterungen eingestellt über den "Exzentrischen Geist der Indogermanen", diesen dabei auch in Bezug gesetzt zu angeborenen Intelligenz-Unterschieden weltweit. 
Nach einer neueren Studie evoluierte die Intelligenz im Zusammenhang mit der Seßhaftigkeit und der Stadtkultur (Stgen2022). Intelligenz-Unterschiede heute könnten deshalb womöglich einfach durch das Aussterben von Intelligenz-Eliten beim Untergang von Hochkulturen erklärt werden, wobei die jeweilige Herkunftszusammensetzung dieser Intelligenz-Eliten gar nicht das Entscheidende sein bräuchte.
Zu darüber hinaus gehenden Überlegungen zu einem etwaig "exzentrischen Geist von Indogermanen" wäre womöglich auch zu sagen, daß in einer materialistischen, atheistischen, "gottlosen" Welt wie der heutigen das Göttliche, Religiöse mehr oder weniger zwangsläufig als etwas eher "Exzentrisches" anmuten könnte, während in einer Welt, in der die Menschen dem Göttlichen, Religiösen wie etwas Selbstverständlichem zugewandt sind, von ihm erfüllt sind, dieses Göttliche ja eher eben als dieses Selbstverständliche erlebt wird, also keineswegs als etwas, das sie aus ihrer eigenen Mitte heraus reißen würde, sondern das sie im Gleichgewicht mit sich selbst erhalten würde. Insofern scheinen uns die diesbezüglichen Ausführungen aus der Zeit vor drei Jahren, heute, im Sommer 2022 nicht mehr als unseren eigenen Ansprüchen entsprechend und wir haben die zehn Absätze aus diesem Beitrag entfernt.

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/ Letzte Ergänzungen, Nachträge,
Überarbeitungen: 9.5.2021
6.7.2022 /

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  1. Harper, T. K., Diachenko, A., Rassamakin, Y. Y., & Kennett, D. J. (2019). Ecological dimensions of population dynamics and subsistence in Neo-Eneolithic Eastern Europe. Journal of Anthropological Archaeology, 53, 92-101. https://doi.org/10.1016/j.jaa.2018.11.006
  2. Gene-flow from steppe individuals into Cucuteni-Trypillia associated populations indicates long-standing contacts and gradual admixture. Alexander Immel, Stanislav Terna, Angela Simalcsik, Ben Krause-Kyora. Preprint, 21. November 2019, DOI: 10.1101/849422, Project: "Population agglomerations at Tripolye-Cucuteni mega-sites" CRC1266 - Project D1 (Researchgate), https://www.biorxiv.org/content/10.1101/849422v1, 6.3.2020, https://www.nature.com/articles/s41598-020-61190-0
  3. ...
  4. ....
  5. Bading, Ingo: "Pferde, Zepter, Krieg" - Das Buch das die Urheimat der Indogermanen entdeckte, Mai 2021, https://studgendeutsch.blogspot.com/2021/05/pferde-krieg-2007-das-buch-in-dem-die.html
  6. Bading, Ingo: Heinrich Böll - Tacitus' "Germania", Vortrag, 25.04.2021, https://youtu.be/yGi7rhhX454 
  7. Zagorsky, J. L. (2016). Are blondes really dumb? Economics Bulletin, 36(1), 401-410
  8. Makarewicz, C. A., Hofmann, R., Videiko, M. Y., & Müller, J. (2022). Community negotiation and pasture partitioning at the Trypillia settlement of Maidanetske. Antiquity, 1.6.2022 (Antiquity)

1 Kommentar:

  1. Mit größeren Zeitbögen der Geschichte, mit Aufstieg und Verfall der zeitgleichen Bandkeramik beschäftigt man sich auch an dieser Stelle:

    https://archaeologik.blogspot.com/2020/10/wie-vielschichtig-ist-geschichte-zwei.html

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