Samstag, 20. August 2011

Die Aphrodite von Knidos und ein tanzender Satyr

- Ein Ausflug in die Kunstgeschichte der Antike

1998 wurde in der Straße von Sizilien zwischen Sizilien und Tunesien im Schleppnetz eines Fischerbootes in 500 Meter Tiefe die Bronzeskulptur des "Tanzenden Satyr" (genannt "von Mazara del Vallo") (Wiki) gefunden (Abb. 1- 12).

Der "tanzende Satyr" (genannt "von Mazara del Vallo")

Sehr bald schon nach ihrer Auffindung wurde sie dem griechischen Bildhauer Praxiteles (390-320 v. Ztr.) (Wiki) aus Athen zugeschrieben.

Abb. 1: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo (Kopf) (Ancwlds)

Auf Wikipedia heißt es jedoch sehr kritisch zu dieser These (Wiki):

Obwohl sie von einigen in das 4. Jahrhundert v. Ztr. datiert worden ist und sie als die Originalarbeit von Praxiteles angesprochen haben oder als eine authentische Kopie, ist sie mit größerer Wahrscheinlichkeit entweder in die hellenistische Epoche des 3. und 2. Jahrhunderts v. Ztr. zu datieren oder womöglich in die "athenisierende" Phase des römischen Geschmacks im frühen 2. Jahrhundert v. Ztr.. Ein hoher Anteil von Blei in der Bronze legt nahe, daß sie in Rom selbst hergestellt worden ist.
Though some have dated it to the 4th century BCE and said it was an original work by Praxiteles or a faithful copy, it is more securely dated either to the Hellenistic period of the 3rd and 2nd centuries BCE, or possibly to the "Atticising" phase of Roman taste in the early 2nd century CE. A high percentage of lead in the bronze alloy suggests its being made in Rome itself.
Abb. 2: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo (Kopf) (Anciwlds

Demgegenüber trägt nun (2)

Bernard Andreae, langjähriger Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom bis 1995, acht neue Argumente für die These vor, daß es sich um das hochberühmte Meisterwerk des spätklassischen Bildhauers Praxiteles handelt.

So heißt es im Verlagstext zu seiner kleinen Schrift. 

Abb. 3: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo (Ancwlds) 

In der FAZ sagt er dazu unter anderem (1):

Aus zahlreichen Wiedergaben in stadtrömischen Reliefs weiß man, daß die Figur sich bis zur Spätantike in Rom befand. Daß sie von dort stammen muß, geht auch daraus hervor, daß mit ihr zusammen ein lebensgroßes Elefantenbein aus Bronze geborgen wurde. Dieses muß von einem Elefantenviergespann stammen, welche es nachweislich nur auf Triumphbögen in Rom gab. Bekannt ist, daß der Vandalenkönig Geiserich bei seiner den Begriff des Vandalismus prägenden Plünderung Roms im Jahre 455 Raubgut auf dreißig Schiffen in die Hauptstadt seines Reiches in Tunesien verfrachten ließ. Wörtlich heißt es im „Vandalenkrieg“ des Historikers Prokop 1,5: „Eines der Schiffe von Geiserich, und zwar dasjenige, welches die Statuen transportierte, ging verloren, während die Vandalen mit allen anderen den Hafen von Karthago erreichten.“
Abb. 4: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo

Andrae hält abschließend fest:

Bleibt die Frage nach dem Schöpfer, die allein aufgrund der Beurteilung des Stiles beantwortet werden kann. Nicht nur ich halte den Satyr für rein praxitelisch. Hier wird es immer verschiedene Meinungen geben. Aber gerade ein Detail, nämlich die Formung des männlichen Gliedes, die bei diesem Meister besonders charakteristisch ist, spricht dafür, daß wir es wirklich mit dem hochberühmten Satyr des Praxiteles zu tun haben.
Abb. 5: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo 

Ob Andreae damit das letzte Wort behalten wird? Die Satyr-Skulptur zeigt doch ein vergleichsweise wenig vergeistigtes Gesicht, das man zumindest auf den ersten Blick nicht unbedingt einem Praxiteles zusprechen möchte, der zugleich die Aphrodite von Knidos geschaffen hat.

Abb. 6: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo

Es ist dennoch faszinierend, daß der byzantinische Geschichtsschreiber Prokop vor 1500 Jahren von dem Verlust eines wandalischen Schiffes, beladen mit römischen Kunstwerken, berichten konnte, und daß 1500 Jahre später sizilianische Fischer Kunstwerke dieses Schiffes aus dem Meer ziehen. Während einen zeitgleich erschienenen Blogartikel über den "Wandalenkrieg" des Prokop schreiben (Stgen2011), sind wir auf die Thematik dieses tanzenden Satyrs gestoßen.

Abb. 7:  Satyr

Die Entdeckung dieses neuen antiken Kunstwerkes hat den vormaligen Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom Bernard Andreae jedoch auch sonst zu sehr begeisterten Ausführungen über den bedeutendsten Bildhauer der Antike und über die Darstellung männlicher und weiblicher Körper in der Antike hingerissen (1):

Über Praxiteles, der sowohl in Bronze als auch in Marmor arbeitete, gibt es mehr Nachrichten aus der Antike als von anderen Künstlern. Er ist auch der einzige, von dem ein Original erhalten ist: die marmorne nackte Hermesstatue in Olympia. Wenn die Nacktheit der Frau weiser ist als die Lehre der Philosophen, wie Max Ernst gesagt haben soll, wie ist es dann mit der Nacktheit des Mannes? Männliche Nacktheit wird heutzutage seltener ins Bild gesetzt als die der Frau. In der griechischen Kunst war es umgekehrt. Seit archaischer Zeit gab es unbekleidete Jünglingsstatuen, die sogenannten Kuroi. Apollo sowie andere männliche Götter und auf jeden Fall die halbgöttlichen Satyrn wurden nackt dargestellt, nicht aber die Mänaden; unter den weiblichen Göttinnen nur die Liebesgöttin, und auch diese erst seit der Zeit des zwischen 370 und 320 tätigen Praxiteles.
Hier kommt Phryne, seine Geliebte ins Spiel, die das Vorbild der ersten unbekleideten Aphroditestatue, der „Venus von Knidos“, gewesen sein soll. Von ihr sprechen antike Quellen auch im Zusammenhang mit einem Satyr: Phryne wollte wissen, welches seiner Werke Praxiteles das liebste sei, und schickte einen Sklaven zu ihm mit der Botschaft, die Werkstatt sei verbrannt. Praxiteles rief verzweifelt aus: „Auch der Satyr? Dann bin ich verloren!“ Da trat Phryne vor und beruhigte ihn; sie wisse jetzt wenigstens, welche seiner Skulpturen er am  höchsten schätzte.
Praxiteles hat noch zwei andere durch römische Marmorkopien bekannte Satyrn geschaffen: den Einschenkenden und den Angelehnten. Man kann also nicht sagen, welcher der in der Phryne-Anekdote erwähnte ist. Doch wenn der Satyr von Mazara del Vallo ein Werk des Praxiteles wäre, wüsste man, warum er einen seiner drei Satyrn so über alles stellte. Denn in dieser frei stehenden Plastik hat der Schöpfer eine Grenze überschritten – die wirbelnde Bewegung auf der Spitze eines Fußes übertrifft noch die des berühmten Diskuswerfers von Myron.

Die berühmte Aphrodite von Knidos (Wiki), geschaffen von Praxiteles aber nur in Kopien überliefert zieht da noch einmal erneut die Aufmerksamkeit auf sich (Abb. 8-11). 

Abb. 8: Aphrodite von Knidos im Palazzo Altemps in Rom / Fotografiert von José Luiz Bernardes Ribeiro (Wiki)

Auf Wikipedia heißt es (Wiki):

Die Statue war für ihre außerordentliche Schönheit berühmt, die von allen Seiten bewundert werden konnte (Rundansichtigkeit), sowie dafür, die erste lebensgroße Darstellung des nackten weiblichen Körpers in klassischer Zeit zu sein. Dargestellt war die Göttin Aphrodite, wie sie sich auf das rituelle Bad zur Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit vorbereitet; in ihrer linken Hand hält sie ihr Gewand, während sie mit der Rechten die Scham verbirgt.

Abb. 9: Kopf der Aphrodite von Knidos im Louvre, Paris / Fotografiert von Marie-Lan Nguyen (2010) (Wiki)

Weiter heißt es auf Wikipedia über sie (Wiki):

Auf Grund der revolutionären Darstellung der Göttin in völliger und selbstbewußter Nacktheit wurde sie schnell zu einem der berühmtesten Werke des Praxiteles. Plinius berichtete: "Die Venus des Praxiteles übertrifft alle Kunstwerke der ganzen Welt. Viele haben die Seefahrt nach Knidos unternommen, bloß um diese Statue zu sehen."

Die Schönheitsbegeisterung der antiken Griechen.

Abb 10: Aphrodite von Knidos

Und weiter (Wiki):

Die Statue wurde so bekannt und vielfach kopiert, daß einer Legende zufolge die Göttin Aphrodite schließlich selbst nach Knidos kam und anschließend fragte: „Wo hat mich Praxiteles denn nackt gesehen?“
Abb 11: Aphrodite von Knidos

 Siehe auch (Welt, 30.3.07; s.a. hier).

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  1. Andreae, Bernard: Tanz auf der Nadelspitze. Der „Tanzende Satyr“ von Mazara del Vallo. FAZ, 16.12.2008
  2.  Andreae, Bernard: Der tanzende Satyr von Mazara del Vallo und Praxiteles. Franz Steiner 2009
  3. Bading, Ingo: Von der Schönheit des menschlichen Körpers, Studium generale, 13.3.2007
  4.  Bading, Ingo: "Die Höllenangst Gottes vor dem Nacktturnen", Studium generale, 19.7.2008
  5. Bading, Ingo: Berlin praßt und wuchert ... (Teil 1) (November 2009)
  6. Bading, Ingo: Berlin praßt und wuchert ... (Teil 2) (November 2009)
  7. Dancing Satyr Of Mazara Del Vallo. Video auf: Wn.com; auch hier.

3 Kommentare:

  1. "Für mich ist diesmal weiter nichts zu tun,
    Als Ehrenmann gesteh', bekenn' ich's nun.
    Die Schöne kommt, und hätt' ich Feuerzungen! –
    Von Schönheit ward von jeher viel gesungen –
    Wem sie erscheint, wird aus sich selbst entrückt,
    Wem sie gehörte, ward zu hoch beglückt..."

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