Mittwoch, 9. Januar 2008

Die lange Evolution der frühen Säugetiere

Im letzten Jahr hat es aufsehenerregende neue Meldungen zu Datierung und Ablauf der frühen Evolution der Säugetiere gegeben. Die Berichterstattung und selbst die Kommentare mancher Forscher erweckten damals zum Teil einen ganz falschen Eindruck (siehe St. gen. 1, 2), dies wird jetzt zum Teil ganz gut durch einen neuen "Review"-Artikel in "Nature" richtig gestellt (Nature, 13.12.07),

Der derzeitige Kenntnisstand zur Säuger-Evolution vor Aussterben der Dinosaurier wird sehr gut in der folgenden Grafik wiedergegeben:

Abb. 1: Evolution der Säugetiere vor dem Aussterben der Dinosaurier (aus: Nature, 13.12.07)

Dazu heißt es als Erläuterung (Eigenübersetzung *)):
Fast alle säugetierähnlichen mesozoischen Äste (am Artenstammbaum) sind vergleichsweise kurzlebig (!) und gruppieren sich um einige Zeiträume beschleunigter Artbildung. Die kurzen Äste, die in jedem Zeitraum der Artbildung entstehen, sind meistens stammbaum-mäßige Sackgassen ohne Vorfahren-Nachkommen-Beziehung zu ähnlichen Sackgassen-Ästen entweder davor oder danach.
Originaltext: Almost all Mesozoic mammaliaform clades are relatively short-lived, clustered in several episodes of accelerated diversification. The short branches arising in each episode of diversification are mostly phylogenetic dead-ends without ancestor–descendant relationship to the similar dead-end branches in the episodes either before or after.

Dies ist vereinfacht - und dadurch besonders gut verständlich - dargestellt in Abbildung b. Die Dicke der farbigen Äste gibt dabei jeweils die Artenvielfalt des einzelnen Astes an. Sie ist bei den modernen Säugetieren (rot) sehr stark noch heute vorhanden (- natürlich!), ebenso bei den Beuteltieren (blau) (in Australien!), während fast alle anderen farbigen Äste in früheren Zeitepochen große Artenvielfalt aufwiesen, von denen aber die meisten Arten inzwischen ausgestorben sind.

Eine - wie ich finde - unglaublich spannende Abbildung!*)

Es ist ein ganz typischer Stammbaum, wie wir ihn heute für viele Abschnitte und Bereiche der Evolution kennen. Ein ähnlicher Stammbaum wird auch aufgestellt werden können für die Evolution der Säugetiere nach Aussterben der Dinosaurier: Viele Äste, die in "Sackgassen" enden ("tote Enden der Evolution") und wenige Äste, die sich erst sehr spät und stark bis heute verzweigt gehalten haben.

Der Artikel enthält noch zahllose weitere, spannende neue Erkenntnis-Details über den Ablauf der frühen Säuger-Evolution, die nach Meinung der Autoren viele überkommene Ansichten zu diesem Thema infrage stellen, bzw. auf diese neues Licht werfen. Diesen kann an dieser Stelle aber nicht im einzelnen nachgegangen werden.

Es dürfte aber schon deutlich geworden sein, daß es "den" "planierten", "ausgefahrenen" "Königsweg" zu den modernen Säugetieren nicht gegeben hat, daß die Evolution mit unwahrscheinlich großem Varianten-Reichtum experimentiert hat, großzügig im zeitlichen Ablauf wie im Reichtum der hervorgebrachten Formen, die ebenso "bedenkenlos" wieder "eingestampft" worden sind. Irgendwann "geruhte" die Evolution dann, die heutigen, modernen Formen zu schaffen. Ein grandioses Geschehen.

Man darf es immer wieder bemerkenswert finden, wie wenig neue Erkenntnisse und Sichtweisen in der Naturwissenschaft das Selbstverständnis heutiger moderner westlicher Gesellschaften beeinflussen. Diese glauben, nachdem Charles Darwin sein "On Origin of Species" geschrieben hat, braucht man sich mit diesem Thema nicht mehr beschäftigen und alles wäre geklärt.

Die Gesellschaften leben weiter, als ob gar nichts wirklich Weltbewegendes in der Naturwissenschaft mehr geschehen würde, was Einfluß auf das Selbstverständnis des Menschen nehmen könnte. Diese Gesellschaften dürften sich darüber gewaltig täuschen.

Das, was hier in vielen Jahrmillionen Jahren passiert ist, hat etwas mit uns zu tun. Hier ist etwas geschehen, was uns angeht, was uns gleichzeitig auf unsere Kleinheit und Geringfügigkeit, zugleich aber auf unseren ganz speziellen Ort und den ganz speziellen Platz verweisen könnte, in dem wir uns in diesem gewalten Ablauf befinden.


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*) 3.7.2021: Gedanke beim Lesen 14 Jahre später: Sollte es einen da eigentlich wundern, wenn man Ähnlichkeiten in den Gesetzmäßigkeiten auch hinsichtlich der Entwicklung der Sprach- und Genvielfalt der Menschenvölker weltweit seit 100.000 Jahren erkennt? Einstmals große Sprach- und Herkunftsgruppen (z.B. Buschleute und die meisten anderen vorargrarische Völker) sind heute auf Reliktbestände zusammen geschrumpft oder ausgestorben (z.B. westeuropäische Jäger und Sammler). Einstmals kleinste Sprach- und Herkunftsgruppen (z.B. Indogermanen) haben in den letzten 6.700 Jahren eine sehr große Sprachvielfalt weltweit entwickelt.

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