Mittwoch, 17. Oktober 2007

Der Maler und Grafiker Heinrich Otto (1858 - 1923) - 5. Teil

Agnes Waldhausen, eine der Frauen im Umfeld von Heinrich Otto 

Einleitend eine Erzählung.

Die Nachtigall
Eine Legende 
von 
Agnes Waldhausen

Es war einmal ein Mädchen, das traf von ungefähr einen Mann. Und als es den Mann sah, mußte es ihn lieben. Der Mann aber achtete der Liebe des Mädchens nicht; er ging nach kurzem Aufenthalt seines Weges. Ein paar Schritte machte das Mädchen hinter ihm her, dann blieb es stehen und sah still dem Manne nach, wie er seines Weges davonging. Es schaute den Weg entlang, bis der Mann den Augen entschwunden war. 
Als das Mädchen nun gar nichts mehr von ihm sah, wurde sein Herz schwer von Traurigkeit. Sein Herz und sein Auge kamen sich verloren vor. Was sollten sie nun tun, und wo sollte sie ruhen? Liebkosend glitt das Auge des Mädchens über die Fußspuren des Mannes, die allein von ihm zurückgeblieben waren. 
Als alle Spuren vom Winde verweht waren, liebte es statt ihrer den Weg, der sie getragen hatte. Es schritt über neue Wege hin und schaute aus, ob es den Mann nicht erblicke. Es fand ihn nicht, aber es dachte bei sich, es sei nicht unmöglich, daß er gestern oder vor einer Woche oder vor einem Jahre diesen Weg gegangen sei, oder daß er morgen oder in einem oder in ein paar Jahren diesen Weg gehen würde. Der Gedanke machte ihm den Weg lieb. Und allmähclih kam das Mädchen dazu, alle die vielverschlungenen Wege der Welt von Herzen zu lieben, weil jeder von ihnen einmal der Weg des Mannes gewesein sein oder sein Weg weden konnte.
Die Menschen, mit denen es zusammentraf, sah es daraufhin an, ob sie dem Manne begegnet wären. Manche wußten etwas von ihm, und das Mädchen liebte sie darum. Manche kannten ihn nicht. Aber konnten sie ihm nicht doch begegnet sein? Oder konnten sie ihm nicht vielleicht inder Zukunft begegnen? 
Schließlich nahm das Mädchen die ganze Welt in sein Herz auf; denn so war es sicher, daß es ihn und alles, was zu ihm gehörte oder jemals zu ihm gehören würde, bei sich trug und hegte. Ihn so ganz zweifellos bei sich zu haben, das schien dem Mädchen ein hohes Glück. Man las ihm sein Glück von seinem hellen Gesicht ab und hörte es in seinem Lachen klingen.

 * * * 

Auch glückliche Menschen werden alt: des Mädchens dunkles Haar wurde weiß; seine Haut wurde gelb und knitterig; seine Augen begannen trüb zu werden. Aber sein Mund stand unvergänglich jung in dem alten Gesicht, weil auch das Alter das Lächeln des Glücks nicht aus den Winkeln der Lippen verscheuchen und die runden Lippen nicht in die strengen, verkniffenen, dünnen Linien der bitteren müden Entsagung biegen konnte.
Als seine Stunde gekommen war, starb das alte Mädchen. Seine Seele kam vor den Richterstuhl Gottes. Sie stand vor Gottes Angesicht, zu ihrer Rechten der Engel des Glaubens und der Engel der Hoffnung, zu ihrer Linken der Engel der Liebe. Neben Gottes Thron aber stand der Engel des Gerichtes. Es begann der Engel des Glaubens: 
„Sie hat fest geglaubt an dich, o Herr, und an die Werke deiner Hände und ist nie wankend geworden im Glauben an dich und dein Reich in der Zeit und der Ewigkeit. Sie hat geglaubt!" 
Traurig zeugte aber der Engel der Hoffnung: "Sie hat nicht gehofft. O, hätte sie mehr erhofft! Sie würde nicht so schnell bereit gewesen sein, anzuhalten auf ihrem Wege. Sie hätte nicht so schnellbereit gesagt: 'Das ist ein zu großes Glück, als daß es mir beschieden sein könnte,' damals, als sich vor ihren Augen ein herrliches Land auftat. Nicht so schnell wäre sie bereit gewesen, draußen stehen zu bleiben und sich zu begnügen. O, hätte sie mich an ihre Seite gerufen, auf daß ich sie gestärkt im Vertrauen auf sich selbst und sie beflügelt hätte zum Einzuge in den Garten des Glückes! Sie hat nicht gehofft!"
"Aber sie hat geliebt, Herr," sprach mit voller Stimme der Engel der Liebe.
Die Seele hatte regungslos den Zeugnissen des Engels des Glaubens und des Engels der Hoffnung gelauscht. Es war gewesen, wie sie sagten; und weit weg von ihr war das, wovon sie sprachen, einst gewesen, ganz fern, ganz vordem gewesen. Aber, daß auch ihre Leben gewesen sein sollte! Nein! Tausendmal nein! Gegen das Zeugnis des Engels der Liebe mußte sie Einspruch erheben. Sie zeugte wider ihn, indem sie mit ihrem ganzen Wesen sprach: "Nimmermehr! Sondern sie liebt, Herr. Sie liebt getreu heute und immer!"
Unwiderstehlich angezogen, drängte die Liebende sich zu dem Urquell der Liebe hin. Sie umschlang Gottes Kniee, aber nicht wie eine Bittende und legte das Haupt in seinen Schoß, aber nicht wie eine Reuige. Als sei sie dieses Platzes gewiß, so nahm sie ihn ein.
Da trat der engel des Gerichtes zur Rechten Gottes vor, der Engel mit dem flammenden Schwerte, derselbe, der Adam und Eva aus dem Paradies verstoßen hatet. Die Seele begann zu zittern und wußte doch nicht waurm. Der Engel des Gerichtes hob das flammende Schwert. Sein Auge drohte, und er sprach: "Sie hat die Aufgabe, die ihr gesetzt war, nicht erfüllt. Du, o Herr, riefest sie. Und dein Ruf klang ihr ins Herz. Aber tat sie das, wozu du sie riefest? Ist sie dem Manne, dessen Wesen zu fassen du ihr Herz bereitetest, nachgefolgt?"
"Konnte ich mich ihm schamlos aufdrängen?" flüsterte die Seele in den Schoß Gottes.
Der Engel hatte es vernommen und sprach: "Nie kan schamlos sein, was die reine Frau tut. Selbst nackt ist sie in Scham gekleidet, und die Schamlosigkeit streift nicht einmal an den Saum dieses Gewandes. Es war auch nicht Scham, die dich abhielt, das Bild des Weibes seiner Seele einzuprägen. Nur dem Kleinmut folgtest du, da du ohne Vertrauen auf ihn und dich ihn allein seiner Wege gehen ließest."
Und der Engel wandte sich von ihr ab und sprach vor Gottes Angesicht: „Wo ist er nun? Sieh, in Einsamkeit hat er seine Tage zugebracht. Hätte sie ihm nicht zur Seite schreiten sollen? Sieh, ihm war das Leben ein Becher voll Bitternis. Hattest du ihr nicht gegeben, Süßigkeit hineinzugießen? Sieh, Wolken der Schwermut verwehrten ihm den Ausblick; umsonst hatte sie von dir die Macht empfangen, die Wolken zu zerstreuen. Allein ist er: kein Kind nennt ihn Vater. Kein Sohn wird sein zitterndes Alter an die starke, junge, lebendige Erde binden, so daß sie ihm vertraut und Freund bleibe. Fremd wird er ihr geworden sein, wenn sein Leib zu ihr zurückkehrt; als einen Fremden wird ihr Schoß ihn aufnehmen. Wer trägt die Schuld ? Du weißt es, Herr: sie, die ihn allein sein und einsam werden ließ.“
Die Seele achtete nicht auf die schwere Anklage des Engels, zu gleichgültig war ihr das eigene Los. Sie schaute durch die Worte des Engels hindurch auf das arme Leben des Mannes und wurde dabei voll Not.
"Wie lange, Herr? Wie lange wird er so leben?" fragte sie zitternd.
Gott sprach: „Noch zehn Jahre.“ Das dünkte der Seele länger als die lange Ewigkeit, und sie flehte: „Herr, laß mich zurück zur Erde! Laß mich zu ihm!"
Der Engel des Gerichtes antwortete an Gottes Statt: "Du hast die Zeit nicht genutzt. Nun ist es zu spät. Dir bleibt nur die Ewigkeit."
Die Seele hängte sich an den ewigen Gott und flehte erneut: "Herr, entlaß mich von dir! Nimm mir die Ewigkeit und entlasse mich an die zeit, damit ich ihn tröste, so lange er noch in der Zeit ist."
Und Gott entzog dem Engel des Gerichtes das Wort, nahm es an sich und sprach selbst: "So gehe denn! Und weil du ihn aufgegeben hattest, als er dir ganz nahe war, sollst du ihn jetzt suchen müssen auf der weiten Erde. - Die Liebe beschwinge dich!"
Gott legte seine Hand auf die Seele und gab ihr die Gestalt eines Vogels. Und er entließ den Vogel aus seiner Hand.
 
*** 

Aus der Höhe des ewigen Himmels fühlte der kleine Vogel sich herausgeschleudert und wie einen Pfeil zur Erde hingeschossen. 

/ Hier um längere Abschnitte gekürzt /

... Der Mann lag im Sterben und fühlte, daß er starb. (...) Über die unruhig zuckende Hand des Sterbenden deckte sich zart etwas Wärmendes. Er sah einen kleinen Vogel die Flügel über seiner Hand ausbreiten, als wollte er ihr Schutz und Ruhe geben. Und wie die Federn zart über seine Finger hinstreiften, löste sich ihre kampfige Unrast. Lose ruhten sie unter den Fittichen. (...) Es schmiegte sich an seine Wange. (...) ... ganz dicht an seinem Ohr. Da sang nicht nur ein Vogel, der zehn Jahre lang bang suchend herumgeirrt war und nun endlich erlöst sein Ziel gefunden hatte, da sang eine Seele die Erfüllung ihres ganzen langen Lebens, die Erfüllung ihres die Zeit überdauernden Sehnens. Nichts beirrte und störte ihr Lied. Sie sang sich liebend aus, immer glückseliger, immer süßer und immer reiner und schloß mit ihrem Liede die Zeit an die Ewigkeit.
Da bekam alles, was in der Zeit ist, einen neuen Sinn und Zusammenhang. Hinter dem brechenden Auge des Sterbenden erstand das Bild der Welt in der Klarheit, nach der er einst vergeblich gestrebt und die er endlich verzweifelnd geleugnet hatte. Das Lied der Erfüllung gab ihm den Glauben an die Welt und an den Schöpfer der Welt zurück und füllte ihn mit großer ruhevoller Zuversicht. Alles, was ihm fremd gewesen war, schien ihm nun vertraut und nahe, und er zog es mit seiner letzten Kraft noch näher heran an sein Herz. Und als der Tod seine Seele vom Leibe schied, war seine Seele voller Klarheit und sein Leib war in Frieden. 

* * *

Der kleine Vogel begleitete die Seele des Mannes in die Ewigkeit. Er flog wegweisend vor ihr her. Von seinen Flügeln getragen, schwebte der Vogel vor die thronende Majestät Gottes. Er nahm den Engeln das Wort von den Lippen und jubilierte frohlockend: „Er hat geglaubt und hat gehofft, und er liebt, Herr, er liebt, was ist und was sein wird.“ 
Die Engel des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe neigten zustimmend das Haupt. Der Engel des Gerichtes zog das flammende Schwert an sich, gab den Weg frei und sprach zu der Seele des Mannes: "Gehe ein in die Herrlichkeit !" Über die Seele des Mannes goß sich der Glanz der Verklärung; sie war erlöst und geläutert für alle Ewigkeit. Da schwoll das Lied des Vogels noch einmal in seligem Jubel auf. 
Aber der Mann zögerte, der Weisung des Engels zu folgen. Vor dem leuchtenden und alles durchleuchtenden Angesichte Gottes hatte er in dem wegweisenden Vogel die Seele des Mädchens und die Macht ihrer Liebe erkannt. Nun schaute er den Engel des Gerichtes fragend an: „Und sie? Soll sie nicht mit mir eingehen? Könnte die göttliche Liebe sie von mir scheiden?"
"Der Engel des Gerichtes sprach: „Gott ist nicht nur die Liebe, sondern auch die Gerechtigkeit. Sie war frei gewillt, die Ewigkeit für die Zeit einzutauschen und hat nun ihr Teil."
Mit dem klaren Lächeln der Gewißheit entgegnete der Mann: "Wenn ich in ewige Herrlichkeit eingehe, hat sie auch daran ihren Teil, denn siehe, sie hat mir ihr Wesen tief eingeprägt, und ich trage es in mir in Ewigkeit."
Unter seinem verklärten Blick, der sie mit zeitloser Liebe umfing, begann auch die Seele des Mädchens zu leuchten. Der Engel des Gerichtes aber verstummte.
Und Gott, die ewige Liebe, Gerechtigkeit und Weisheit, nahm das Wort und sprach zu der Seele des Mädchens: „Weil du ihn über alle Zeit hinaus geliebt hast, wirst du in alle Ewigkeit mit ihm sein; aber auch die Zeit soll ihren Anteil an dir behalten. Solange die Erde dauert, sollst du in jedem Jahr zu ihr hinabsteigen und den Menschen von ewiger Liebe singen."
Wieder gab der Engel des Gerichtes den Weg frei und völlig eins gingen die beiden Seelen in die Ewigkeit ein.
Auf Erden aber singt im Frühling die Nachtigall ihr Lied der Liebe und weckt Ewigkeitssehnsucht und Ewigkeitsahnung in den Herzen liebender Menschen.

Abb. 1: Agnes Waldhausen (1878-1963), gezeichnet von Hermann Katelhön um 1920 (Ks)

Die hier gebrachte Erzählung stammt von Agnes Waldhausen (1878-1963). Der zwanzig Jahre ältere Maler und Grafiker Heinrich Otto (1858-1923) hat gelegentlich mit ihr Malexkursionen unternommen. Er hat ihr auch dabei entstandene Blätter gewidmet.

Agnes Waldhausen hat 1959 einen großen Teil des graphischen Werkes von Heinrich Otto, das sich in ihrem Besitz befand, dem Kunstmuseum Marburg vermacht. Über sie ist 2001 eine biographische Darstellung erschienen (17), die uns noch nicht zugänglich ist.

Die hier gebrachte Erzählung wurde ein Jahr nach dem Tod von Heinrich Otto veröffentlicht. Zu jenem Zeitpunkt ist Agnes Waldhausen 46 Jahre alt. Da es naheliegend ist, von beiden, von Agnes Waldhausen wie von Heinrich Otto anzunehmen, daß es sich um eher introvertierte Menschen gehandelt hat, und da beide ihr Leben lang unverheiratet geblieben sind, mag man in dieser Erzählung vieles von dem finden, was in der Seele einer unverheirateten, künstlerisch begabten Frau jener Jahre umgehen konnte, wenn sie an einsame Männer dachte. Ob das nun konkreter auf Heinrich Otto zu beziehen wäre, ist dabei gleichgültig. 

Diese Erzählung veröffentlichte sie aber ausgerechnet 1924 im "Eichendorff-Kalender" (S. 76-86) (GB), ein Jahr nach dem überraschenden Tod von Heinrich Otto. Wir haben sie hier gebracht, soweit sie uns derzeit zugänglich ist (GB).  

Was weiß man sonst über Agnes Waldhausen? Sie war Lehrerin, Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. 

Agnes Waldhausen 

 Sie gehörte, so erfahren wir (14, S. 17) ....

... zu den malenden Frauen in Willingshausen. Sie übereignete 1959 dem Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte 161 Radierungen, 9 Lithographien und 11 Handzeichnungen

von Heinrich Otto (14, S. 17):

Das ist zweifelsfrei der größte geschlossene Bestand an radierten Blättern, evtl. sogar das vollständige Werk. Die Sammlung Waldhausen ist inventarisiert, aber nicht ausgewertet.

Diese Sammlung liegt ja inzwischen auf Bildindex.de digitalisiert vor. Und wir können mit großer Sicherheit sagen, daß es sich hier nicht um "das vollständige Werk" handelt. Aber gewiß um eine bedeutende Sammlung. 

Wie Agnes Waldhausen an so viele Werke von Heinrich Otto gekommen ist, ist uns derzeit nicht bekannt. Es wäre denkbar, daß auch die schon erwähnte Henriette Schmidt-Bonn mit dem Nachlaß von Heinrich Otto befaßt gewesen ist. Sie ist aber schon 1946 in Willingshausen verstorben. Hatte Agnes Waldhausen von ihr den Privatnachlaß von Heinrich Otto übernommen? 

Bzw. stellt sich die Frage: Was war überhaupt mit dem Nachlaß von Heinrich Otto nach dessen Tod im Jahr 1923 geschehen?

In welchem persönlichen Verhältnis hatte Agnes Waldhausen zu Heinrich Otto gestanden? Agnes Waldhausen ist um 1920 herum von Hermann Kätelhön portraitiert worden (Ks). Auf dem Porträt (Abb. 1) ist sie als sehr ernste Frau dargestellt. Man möchte fast sagen als verbitterte Frau. 

Volksschullehrerin in Marburg (1901)

Agnes Waldhausen wird als "Muse von Willingshausen" charakterisiert (17). Offensichtlich ist sie katholisch aufgewachsen und geprägt. 1901 steht im "Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Cassel" (GB):

Bestätigt: (...) die Wahl der Lehrerin Agnes Waldhausen zur einstweilig angestellten Lehrerin an der katholischen Volksschule zu Marburg.

Damals war sie 23 Jahre alt. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin hat sie nicht nur in Literaturwissenschaft promoviert (Kall), sondern hat auch Malunterricht genommen. 

In Willingshausen (1902)

Schon auf das Jahr 1902 datiert ein "Ex libris" für Agnes Waldhausen von dem hessischen Zeichner Wilhelm Thielmann (1868-1924) (Wiki). Es entstand in der Zeit, als sich Thielmann entschied, ganz nach Willingshausen zu ziehen, was er 1903 tat. Er war zehn Jahre älter als Agnes Waldhausen. 

Thielmann erlernte dann bei Heinrich Otto die Radiertechnik. Agnes Waldhausen gehörte zu dieser Zeit also schon zur Malerkolonie Willingshausen.

Vermutlich hat Agnes Waldhausen mit dem zwanzig Jahre älteren Heinrich Otto Malexkursionen unternommen, wir nannten in früheren Teilen dieser Beitragsserie eine Exkursion nach Nierst am Rhein, einem linksrheinischen Dorf 13 Kilometer nördlich von Düsseldorf, sowie gegebenenfalls auch eine gemeinsame Exkursion in die Eifel.

Am 28. Mai 1907 hat ihr Wilhelm Thielmann an Agnes Waldhausen eine Grußkarte gesendet mit einem Gedicht über Kirmes-Vorbereitungen (Piesk), in die sie selbst offenbar zuvor auch schon involviert gewesen war. Was ist noch über sie in Erfahrung zu bringen?

Literaturwissenschaftlerin in Bonn (1908)

Ein Jahr später, am 29. Februar 1908, hat sie ein Referat vor der Literarischen Gesellschaft Bonn gehalten, in dem sie sich mit dem Schriftsteller Ernst Hardt (1876-1947) und seinem Stück "Tantris der Narr" auseinander gesetzt hat. Nachdem sie dem Schriftsteller Hardt einen Abdruck ihres Referates geschickt hatte, antwortete dieser im Januar 1909 (ZVAB) ...

... mit Dank für ihren Aufsatz über Hardts Stück "Tantris der Narr", der in den "Mitteilungen der Literarhistorischen Gesellschaft Bonn" (Jg. 4, Nr. 3, S. 48-80) erschienen war.

Er schrieb über eine Parodie aus ihrer Hand, die sie in ihrer Zuschrift erwähnt haben wird:

(Die Schauspielerin) Hansi Niese als Isolde ist ein grotesk-genialer Gedanke. Hoffentlich lerne ich Ihre Parodie einmal kennen.

Im März 1909 schrieb er ihr noch ein zweites mal. All das wird im Jahrbuch der Schillergesellschaft des Jahres 2018 von Stefan Seeber noch einmal erneut aufgegriffen (GB). 1909 veröffentlichte sie ihren Aufsatz "G. Kellers 'Grüner Heinrich' in seinen Beziehungen zu Goethes 'Dichtung und Wahrheit'". In der Literaturwissenschaft wird dieser Aufsatz bis heute oft zitiert.

Am 12. Februar 1910 hielt sie in der Literarischen Gesellschaft Bonn ein Referat über Hermann Hesse. In diesem ging es um "Peter Camenzind", in dem sich Hesse mit der besonderen Lebenssituation des Dichters auseinandersetzte. 1911 veröffentlichte sie die Schrift "Die Technik der Rahmenerzählung bei Gottried Keller" (GB). Auf diese 100-seitige Schrift beziehen sich Literaturwissenschaftler ebenfalls bis heute. Im Jahr 1973 ist sie sogar als Nachdruck erschienen (im Rahmen der Reihe "Bonner Forschungen") (GB).  

1913 schließlich veröffentlichte sie den Aufsatz "Gustave Flauberts historische Dichtungen"

"Legenden" (1922, 1924)

Um 1920 herum wurde sie von dem ihr zehn Jahre jüngeren Willingshäuser Künstler Hermann Katelhöhn (1888-1940) (Wiki) portraitiert als sehr ernst blickende Frau (Abb. 1). 

1922 veröffentlichte sie "Drei Legenden von der Starkmutigen heiligen Jungfrau Wilgefortis" (GB). Wilgefortis (Wiki) - abgeleitete von "virgo fortis" = "starke Jungfrau" - war eine spätmittelalterliche Volksheilige. Die in Volkssprache verfaßten spätmittelalterlichen Abschriften dieser Sagen (Wiki) ...

... erzählen von der zum Christentum bekehrten Tochter eines heidnischen Königs, die sich gegen eine vom Vater erzwungene Heirat wehrte. Ihre inständigen Gebete, verunstaltet zu werden, um dieser Heirat mit einem Heiden zu entgehen, wurden erhört: Ihr wuchs ein Bart. Der erboste Vater ließ die Jungfrau daraufhin „nach Art ihres gekreuzigten Gottes“ durch Kreuzigung hinrichten. Die frühesten Darstellungen aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts zeigen sie als junge Frau, bärtig und gekrönt, mit deutlich weiblichen Gesichtszügen und Körperformen, in langem Rock und mit Stricken ans Kreuz gebunden.

Zwischen 1924 und 1929 hat Agnes Waldhausen drei Briefe an die Ehefrau des Philosophen Leopold Ziegler (1881-1958) (Wiki) geschrieben (Kall). 

Leiterin einer Mädchenschule in Xanten (1927)

Ab 1927 leitete sie die Mädchenschule in Xanten und beschäftigte sich 1927 mit der Staatsbürgerlichen Erziehung der Mädchen, ähnlich auch mit pädagogischen Problemen 1931 in Zeitschriftenbeiträgen. 1932 veröffentlichte sie einen Beitrag in der Zeitschrift "Die Muttersprache" (GB).

So viel zu dem, was wir bislang über Agnes Waldhausen heraus bekommen können. 

Abb. 2: Felder in der Eifel, Ölgemälde von Heinrich Otto

Die letzte etwas gründlichere fachwissenschaftliche Beschäftigung von Seiten der Kunstgeschichte mit dem Maler und Grafiker Heinrich Otto (1-23) stammt aus dem Jahr 1997. 

94 Arbeiten von Heinrich Otto ausgestellt in Willingshausen (1997)

Sie ist also schon 25 Jahre alt (14).

Damals erschien anläßlich einer Ausstellung im Willingshäuser Malerstübchen in den "Willingshäuser Heften" ein etwas ausführlicherer Beitrag über Heinrich Otto. Bei dieser Ausstellung sind 94 Exponate ausgestellt worden (14), also eine ganz ansehnliche Zusammenstellung. 

Der Begleitband brachte auch einige Abbildungen. In dem damaligen Aufsatz hieß es (14, S. 9f):

Fast alles bis in die achziger Jahre hinein über Heinrich Ottos Persönlichkeit, seinen Werdegang und sein Werk Geschriebene geht zurück auf Carl Bantzers Würdigung in der Zeitschrift "Hessenkunst" von 1920.

Dabei werden allerdings die Beiträge von Wilhelm Schäfer in "Das Rheinland" von 1908 ebenso übergangen wie der Beitrag von Henriette Schmidt-Bonn aus dem Jahr 1940, erschienen in "Lebensbilder aus Kurhessen". Wir zitierten schon aus all diesen Beiträgen in früheren Teilen dieser Blogartikel-Serie. Wir lesen (14, S. 9f):

Erst der 125. Geburtstag brachte (...) mehrere Verkaufsausstellungen. (...) Für die Darstellung des Werks ergab sich ein schädlicher Nebeneffekt. Gemälde, Radierungen, Holzschnitte, Zeichnungen und Lithographien wechselten den Besitzer, ohne daß der Verbleib festgehalten worden wäre.

Es wird berichtet, daß die Gemälde von Heinrich Otto bislang noch "niemals in einem Werkverzeichnis erfaßt" worden sind. 

Abb. 3: Selbstbildnis von Heinrich Otto

Diese Ausführungen werden bei Gelegenheit weiter ergänzt.

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Die anderen Teile dieser Beitrag-Serie: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, [ Teil 5 ].

/ Zuerst 17.10.2007;
aber eigentlich erst: 9.10.2022 /

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  1. Steinzeichnungen deutscher Maler. Hrsg. von Wilhelm Schäfer. Verlag von Fischer & Franke, Düsseldorf. Jede Mappe (4 Blatt in Folio), 1904/05
  2. Schäfer, Wilhelm: Heinrich Otto. Die Rheinlande - Monatsschrift für deutsche Art und Kunst, Jg. 15, 1908, Heft 4, S. 89-96, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rheinlande1908/0117/image,info
  3. Bantzer, Carl: Heinrich Otto. In. Rauch, Christian (Hrsg.): Hessenkunst - Jahrbuch für Kunst- und Denkmalpflege in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet. 14. Jahrgang mit Bildschmuck von Heinrich Otto. (24 Werke), Verlag Elwert, Marburg 1920
  4. Hager, Ernst: Der Malerradierer Heinrich Otto (Monografie 27 S.). Düsseldorf 1923 (Inhverz
  5. Horn, Paul: Düsseldorfer Graphik in alter und neuer Zeit. Verlag des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, 1928 (232 S.), erneut 1931
  6. Thieme, Ulrich (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 26, 1932, S. 92
  7. Bantzer, Carl: Hessens Land und Leute in der deutschen Malerei. Mit Kunstchronik von Willingshausen, Elwert-Verlag, Marburg 1935, 1939, 1950
  8. Schmidt-Bonn, Henriette: Heinrich Otto. In: Dr. Ingeoborg Schnack (Hg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830-1930. Bd. 2, N.G. Elwert; G. Braun (Kommissionsverlag), Marburg 1940 (GBa, ), S. 302-310
  9. Baruch, Paula: XXIV. In: Schweizer Kunst. 1944, Heft 5, S. 38, https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=swk-001:1944:0::288#288 
  10. Zimmermann, Rainer: Heinrich Otto - Maler und Radierer. In: Hessische Heimat, 9. Jg., 1959/60, Heft 1, S. 16-18
  11. Gerhard Wietek, ‎Richard Bellm: Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte. 1976
  12. Breiding, Oskar: Heinrich Otto. Einzelblatt zu einer Mappe mit Radierungen, 1983
  13. Kaiser, Erich: Der Maler Heinrich Otto. Einzelblatt zur Sonderausstellung im Homberger Heimatmuseum, 1983
  14. Stummann-Bowert, Ruth: Heinrich Otto - Biographie. Zur Ausstellung, Vereinigung Malerstübchen Willingshausen e.V. 1997
  15. Bantzer, Carl: Ein Leben in Briefen. Willingshausen 1998
  16. Küster, Bernd: Hans von Volkmann. Donat 1998 (GB)
  17. Ruth Stummann-Bowert (geb. 1932): Agnes Waldhausen - Muse von Willingshausen und engagierte Pädagogin (14.9.1887 (? - 1878!) -25.3.1963). In : Schwälmer Jahrbuch 2001, S. 79-102
  18. Hümmer, Michael E.: Henriette Schmidt(-Bonn) 1873-1946, o.J. (nach 2009). https://www.treffpunkt-kunst.net/k%C3%BCnstlerprofile-bonner-k%C3%BCnstler/henriette-schmidt-bonn/
  19. Demme, RolandDie Willingshäuser Maler als Gruppe. Interpretation von Erwartungshaltungen prägnanter Rollenträger gegenüber Interaktionen in Gruppenprozessen. Kassel University Press, Kassel 2008 (GB), Ks-pdf)
  20. Digitalisierung von über 200 graphischen Arbeiten von Heinrich Otto auf Bildindex.de, vornehmlich 2019
  21. Schröder, Joachim: Deutsche Kunstausstellung in Cassel 1913. Aufbruch zur Kunstmetropole. Kassler Universitätsverlag, Kassel 2020https://d-nb.info/1228818665/34
  22. Otto, Heinrich (1858). Eintrag in Allgemeines Künstlerlexikon (AKL) (begründet 1907) (Wiki) / Internationale Künstlerdatenbank, 2021https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_00098722/html
  23. „Otto, Heinrich“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/120320207> (Stand: 26.9.2022)

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