Sonntag, 24. Juni 2007

"Der Tod ist gleich hier, neben dir." - Aus dem Leben des Flugpioniers Charles Lindbergh

Drei Beiträge sind inzwischen hier auf dem Blog zu Leben und Persönlichkeit des Flugpioniers Charles Lindbergh erschienen. (Studium generale 1, 2, 3) Dem ersten derselben ist auch das Zitat für den Titel dieses Beitrages entnommen. Und dieses Zitat soll in dem vorliegenden Beitrag noch näher erläutert werden anhand von Tagebuch-Einträgen von Anne Morrow Lindbergh, der Schriftstellerin und Ehefrau Charles Lindbergh's. (1)

Es ist gar nicht so einfach selbst aus diesen Tagebüchern einen tiefer gehenden Einblick in das Wesen der Persönlichkeit ihres Ehemannes zu gewinnen. Da fließt das tägliche Leben eigentlich immer so dahin, das alltägliche Zusammenleben mit Charles, der Familie und den Freunden in der Gesellschaft. Es wird deutlich, wie sehr Charles sich bemühte, daß seine Frau Anne Freiraum für ihr schriftstellerisches Schaffen bekäme - und wie wichig es ihm war, daß sie diesen Freiraum dann auch nutzte. Es wird deutlich, wie das Ehepaar Lindbergh an der gegenseitigen persönlichen, menschlichen Weiterentwicklung arbeiteten.

Aber selbst den Schilderungen der politischen Kämpfe um den Kriegseintritt Amerikas zwischen 1939 und 1941 meint man nicht wirklich einen tieferen Einblick in die Seele Charles Lindbergh's entnehmen zu können. Wenn sie natürlich auch als ein deutliches Zeichen seiner Unerschrockenheit, seiner Unabhängigkeit im Urteil, seiner Unbestechlichkeit und von vielem anderen mehr gewertet werden können. Seine politische Positionierung führte zu einer völligen gesellschaftlichen Isolierung der Familie Lindbergh in den USA. Der Kontakt zu fast allen früheren Freunden brach dadurch ab. Doch was heißt das schon?

Aber dann bricht es - in all die Alltäglichkeit, auch in die politische und militärische - plötzlich hinein. Nämlich in dem Augenblick, in dem ein guter, alter früher Freund von Charles Lindbergh, Philip R. Love, den Fliegertod stirbt. Und da hat man wieder alles zusammen - man glaubt es zumindest - was das Leben von Charles Lindbergh ausgemacht hat, was überhaupt das Leben all dieser frühen Piloten und Luftfahrtpioniere ausgemacht hat: Freundschaft und Treue bis in den Tod. Erst indem man sich diese ständige Nähe des Todes bewußt macht, mit dem ein früher Luftfahrt-Pionier lebte, erst dadurch wird einem die ganz andere Form eines solchen Lebens deutlich, als wie man es heute meistens kennt und lebt. Würde man jedenfalls nicht von der Nähe dieses Todes aus auf das übrige Leben von Charles Lindbergh schauen, - man würde wohl nicht die richtige Perspektive für das Verständnis desselben gewinnen. Deshalb wichtigere Tagebuch-Auszüge dazu. Am 4. Juni 1943 wird Philip R. Love, mit dem Lindbergh zusammen seine Militärflieger-Ausbildung und seine Postflieger-Zeit verbracht hat, vermißt gemeldet.

"Alle Pilotenfrauen kennen das ..."

"Charles macht sich um Phil Love Sorgen, der in einem Bomber außerhalb von Colorado Springs vermißt wird. Selbstverständlich ist es möglich, daß er irgendwo gelandet ist. Es ist ein dünnbesiedeltes Land. Aber Charles bekommt keinerlei Nachricht. Er ist tief beunruhigt. (...) Er hat auch mit Cooky Love gesprochen. (...)

Meine Gedanken spulen kaleidoskopartig mein ganzes Leben zurück - bis zu unserem ersten Flug, den Charles und ich in der Lockhead nach Westen unternommen haben, um ein überfälliges Transportflugzeug zu suchen, bedrohlich vermehrten sich die Stunden (24 Stunden überfällig - 48 Stunden überfällig). (...) Die erste Nachricht, daß das Flugzeug gefunden war. Die Gerüchte, daß es fünf Überlebende gab. Die Gesichter des Vaters und der Mutter auf dem Flugplatz - die sich hoffnungslos an die letzten gesprochenen Worte klammerten. 'Sie hatte überhaupt keine Angst ... Sie sagte ...' Und alles sollte in diesem verkohlten Wrack auf einem Bergabhang auf richtigem Kurs sein Ende finden. 'Keine Überlebenden'. (...)

Dann kam Nelson's Tod." - Ein weiterer enger Kamerad von Charles aus der Militärflieger-Ausbildung und Postflieger-Zeit. - "(Phil und Charles gehörten zur Suchtruppe). 'Er war einer der Besten', sagte Charles. Dann der Pan American Clipper, der über dem Pazifik verloren ging. Amelia Earhart und viele, viele andere, einer nach dem anderen. Immer wieder der gleiche Ablauf. Die unheilbringenden Stunden verrinnen - 'überfällig' - und wieder die Gerüchte, und am Schluß die grausame Realität. (...)

Cooky hat das hundertmal durchgemacht. Alle Pilotenfrauen kennen das. Zeitweilig vergißt man das Damoklesschwert, unter dem man lebt. (...) Dann bemüht man sich, kleine tröstliche Anhaltspunkte aufzuspüren, um die Tragödie gewaltsam zu verdrängen. 'Er war sich dessen stets bewußt.' 'Er wollte es so.' 'Es war schnell vorüber.' 'Er hat das Flugzeug selber geflogen und kannte keine Furcht.' (Das sind die Dinge, um die ich beten würde, würde es Charles betreffen.)" (1, S. 367f)

Am 4. Juni schreibt sie: "Nachts ruft (...) Helen Nelson an, die Witwe von Charles' und Phils drittem Piloten der ersten Postroute. (...) Sie ist ganz fassungslos, berichtet, daß man das Flugzeug gefunden hat und daß es 'keine Überlebenden' gibt. (...) Charles schweigt und sagt nur, daß er nicht imstande ist, Cooky anzurufen. (...) Er sagt: 'Danke für die Mitteilung.' (...) Phil gehörte zu denen, die wie ich, wie Detroyat, Charles in ihr Herz geschlossen hatten. (...)" (1, S. 369f)

"Die Ideale der Männer, die wir heirateten ..."

Am 25. Juni schreibt sie dann an Cooky Love einen Brief, den ich zu den Zeugnissen dieses Tagebuches zähle, die am tiefsten Einblick in die Persönlichkeit von Charles Lindbergh geben: "Liebe Cooky, auch wenn ich ständig an Dich gedacht habe, (...) zögerte ich, Dir einen Brief zu schreiben." Sie schreibt weiter, es wäre ihr zu eilfertig vorgekommen: "Wenn ich vorausschaue, denke ich - nein, ich möchte dann mit keinem reden, sollte es Charles treffen. Keiner soll Aufhebens um mich machen, niemand mir sein Beileid bezeugen. Vielleicht sind die Ideale der Männer, die wir heirateten, zu tief in uns verwurzelt, als daß wir uns anders verhalten könnten - und so ertragen wir den Schmerz so, wie sie es von uns erwarten würden. (Wie ich aus Charles' Gespräch mit Dir weiß, handelst Du entsprechend.) Der Gedanke an die gleiche Zurückhaltung, Tapferkeit und Bescheidenheit, die für unsere Männer so charakteristisch war, trägt zu unsererm Schweigen bei.

(...) Alles zu geben, was man hat, um einen Mann glücklich zu machen, ist sehr viel im Leben. Möglicherweise sind Frauen von Fliegern eher dazu geneigt als andere. Sie sind wie die Soldatenfrauen - nur ist für sie von Anfang an 'Krieg'. Wir haben immer gewußt, daß sie den Tod vor Augen haben - daß sie diesen Beruf nicht blind gewählt haben. Und wir haben sie wegen dieser Entscheidung geliebt. (Ich erinnere mich Charles' früherer Erzählungen, daß sie von einem Pilotenleben sprachen, das 10 Jahre währt, sich aber in jedem Fall lohnt.) Wegen ihrer Aufrichtigkeit, mit der sie der Gefahr begegneten, mußten auch wir die entsprechende Haltung wahren und mit ihnen darüber lachen. (Hat Phil Deine Gefühlsausbrüche auch immer so schlagfertig pariert, wie Charles das bei mir tut: 'Oh, kann sein, daß ich noch vorher abtrudel!' (...)"

"Über Phil hat er gesprochen wie über keinen anderen."

"Ich wollte, ich könnte Charles von seiner Verschlossenheit befreien und für ihn schreiben. Vermutlich ist das aber gar nicht nötig, denn du weißt, was Charles für Phil empfunden hat. Es waren tiefe Gefühle, die er selbst mir gegenüber nie in Worte zu fassen versuchte. Diese Gefühle hatte er schon lange, ehe es mich gab, in seinem Innern verschlossen. Über Phil hat er gesprochen wie über keinen anderen. Erkennst Du eine derartige Beziehung, wird Dir klar, wie unnütz nichtiges Weibergeschwätz ist. Ich erinnere mich, daß Charles in einem Brief an Phil schrieb, 'Du bist immer willkommen', übliche Worte, doch er hat sich damit so offen gezeigt, wie er es selten tut. Sie bedeuteten absolutes Vertrauen, uneingeschränktes Verstehen und bedingungslose Treue. (...) Phils Loyalität bedeutete Charles etwas, was ich nicht auszudrücken vermag." (1, S. 374 - 376)

... Das Wesentlichste in einem Menschenleben ist wahrscheinlich immer das Verborgenste ...

Gutsein ist schwer, weil gleichgesinnte Menschen fehlen

Laut Tagebuch-Eintrag vom 7. Juni 1941 sagt Charles in den Zusammenhängen der politischen Auseinandersetzungen über den Kriegseintritt Amerikas zu Anne etwas, was einem ganz merkwürdig erscheint, wenn man seinen späteren Lebensweg (Stud. gen. 2) kennt: "Aber ist es nicht noch viel erstaunlicher, daß etwas Vollkommenes aus etwas Unvollkommenem hervorgehen kann? Gehört das nicht zu den wunderbarsten Dingen im Leben? Eine behinderte Frau kann ein wohlgeformtes Baby gebären." (1, S. 200) Man sieht aus solchen Gedankensplittern, daß Charles Lindbergh immer schon ein philosophisch selbständig denkender Mensch war. Aber daß er 20 Jahre später ausgerechnet mit zwei gehbehinderten deutschen Frauen Familien gründen würde - das mutet einem merkwürdig an angesichts so früher Gedanken Lindbergh's über behinderte Frauen.

In einem Tagebuch-Eintrag vom 26. Februar 1942 ist wiedergegeben, was Charles zu dem gerade erschienenen Buch von Antoine de Saint-Exupery "Flight to Arras" sagte: "... Und ich meine, es ist schlimm, wie er von seinem Körper spricht. Schließlich hat ihn dieser Körper getreulich herumgeführt und am Ende wirft er ihn, ohne ihm zu danken, einfach fort wie einen alten Schuh. Wäre ich sein Körper gewesen, ich hätte Windpocken bekommen, damit wir wieder quitt wären!" Das brachte Anne, die vorher beim Lesen etwas exaltiert "den Boden unter den Füßen verloren" hatte und "leicht umnebelt" war von der im Text geschilderten körperlosen, "kristallinen" Reinheit, wieder zum Lachen. - Oftmals wünscht man sich mehr von solchem gesunden Humor in ihren Tagebuch-Einträgen.

Und am 7. Februar 1943 schreibt sie: "Gestern Nacht sagte ich zu Charles, daß die gestellte Aufgabe - stets gut zu sein - unendlich schwer ist. Ich wollte, ich könnte diese Last für eine Weile ablegen." - Heute würde man ein solches Ehegespräch vielleicht für sehr exaltiert halten. Vielleicht. Charles antwortete jedenfalls sehr ernsthaft. "Er sagte, man sollte nicht versuchen, sich zu viel aufzubürden. Er erwähnte auch, daß uns gleichgesinnte Menschen fehlen und wir nicht wüßten, wo sie zu finden seien." (1, S. 334)

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1. Lindbergh, Anne Morrow: Welt ohne Frieden. Tagebücher und Briefe 1939 - 1944. Piper-Verlag, München 1986 (Originaltitel "War Within and Without" 1980)

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