Freitag, 14. Januar 2022

Lauter Sternenkinder ....

... und Sternenkinderstuben 
In der nächsten "Nachbarschaft" der Sonne

Soeben ist eine neue Studie in "Nature" erschienen: "Die Sternentstehung nahe der Sonne wird angetrieben durch die Ausdehnung der Lokalen Blase" (1-5). Was für ein Titel. Mit beiden Themen, nämlich erstens Sternenentstehung und zweitens Lokale Blase hatten wir uns hier auf dem Blog vor genau zwei Jahren schon beschäftigt. Aber jetzt werden beide Themen in einem kurzen Titel miteinander verknüpft. Unglaublich spannend. Wir zitieren hier zunächst nur die Kurzzusammenfassung im Inhaltsverzeichnis der Zeitschriften-Ausgabe (1):

Dreidimensionale Analysen der Nachbarschaft der Sonne zeigen, daß nahezu alle Sternentstehungsgebiete, die sich in der Nähe der Sonne finden, auf der Oberfläche der Lokalen Blase liegen, die zur Ausdehnung gebracht wurde durch Supernovae vor 14 Millionen Jahren."
Three-dimensional analysis of the solar neighbourhood shows that nearly all star-forming regions near the Sun lie on the surface of the Local Bubble, which was inflated by supernovae about 14 million years ago."

Hier ist zunächst wichtig, mit was für einer außergewöhnlich kurzen Zeitspanne wir es zu tun haben: 14 Millionen Jahre. Damit kommen wir in die Zeitspanne, in der sich die Menschenaffen von den anderen Affenarten getrennt haben. Das ist aus Sicht der Evolution eine doch vergleichsweise kurze Zeitspanne. Aus Sicht der Kosmologie sowieso.

Es sei zunächst auch noch eine kurze Rückschau eingeschoben: Vor genau zwei Jahren haben wir uns hier auf dem Blog zum ersten mal mit all den neuen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte über Sternentstehungsgebiete in diesem Weltall beschäftigt. Zu all den offenen Fragen rund um die Geschichte unserer Lokalen Blase erwarteten wir in diesem weitere, künftige Klärungen (4). Und genau diese erwartete Klärung ist zu nicht geringen Teilen jetzt da.

In der ansonsten üblichen Zusammenfassung der Studie heißt es (1):

Nahezu alle Sternentstehungsgebiete in der Nähe der Sonne liegen auf der Oberfläche der Lokalen Blase und ihre jungen Sterne zeigen eine Bewegung, die vornehmlich senkrecht gerichtet ist zu der Oberfläche der Blase.
We find that nearly all of the star-forming complexes in the solar vicinity lie on the surface of the Local Bubble and that their young stars show outward expansion mainly perpendicular to the bubble’s surface.

Nächster Satz (1):

Indem von der Bewegungsrichtung dieser jungen Sterne zurück extrapoliert wird, erhalten wir ein Bild, in dem der Ursprung der Lokalen Blase in einer Häufung von Sternengeburten bestand, gefolgt von Sternentoden (Supernovae), die sich nahe des Zentrums der Blase ereigneten, und die vor etwa 14 Millionen Jahren begannen.
Tracebacks of these young stars’ motions support a picture in which the origin of the Local Bubble was a burst of stellar birth and then death (supernovae) taking place near the bubble’s centre beginning approximately 14 Myr ago.

Von 15 Supernova-Explosionen im Zentrum der Blase vor 14 Millionen Jahren geht die Studie aus (2).

Es handelt sich also um ein Geschehen, dessen Überbleibsel sich in unserer unmittelbaren Nähe befinden. Nächster Satz (1):

Die Ausdehnung der Lokalen Blase, die  durch diese Supernovae bewirkt wurde, fegte die interstellare Materie an den äußeren Rand. Dieser hat sich inzwischen fragmentiert und ist kollabiert in die wichtigsten nahegelegenen Molekülwolken, was hinwiederum einen robusten Beobachtungsbeleg darstellt für die Theorie der Entstehung von Sternen, die durch Supernovae angetrieben wird.
The expansion of the Local Bubble created by the supernovae swept up the ambient interstellar medium into an extended shell that has now fragmented and collapsed into the most prominent nearby molecular clouds, in turn providing robust observational support for the theory of supernova-driven star formation.

Was für ein unerwartetes, unerhört komplexes Geschehen in der unmittelbaren Nähe von uns und unserer Sonne. Kein Menschenaffe hat etwas davon mitbekommen. Oder haben sie diese Supernovae vor 14 Millionen Jahren am Nachthimmel gesehen? Auf jeden Fall hat kein Menschenaffe, kein Affenmensch, kein Vormensch und kein Homo sapiens sapiens bis zum Jahr 2021, bzw. bis zum Anfang des Jahres 2022 etwas geahnt von einem solchen Geschehen. 

In unserer jetzigen unmittelbaren Nachbarschaft.

Die ersten Sternentstehungsgebiete dieses Weltalls hatten wir zunächst sehr, sehr weit draußen im Weltall beobachtet, in anderen Galaxien, womöglich auch in anderen Galaxienarmen, angefangen vor grob fünfzig Jahren (4). Aber jetzt wissen wir, daß wir - ganz in der Nähe von Orion, Beteigeuze und Siebengestirn, den für uns hellsten Sternen unseres Galaxienarmes, bzw. womöglich sogar unserer Lokalen Blase (4) - unsichtbar von wabernden Sternentstehungsgebieten umgeben sind, die uns noch viel näher liegen als die meisten Sterne der Milchstraße, die wir sonst am Himmel sehen. Sie liegten sowieso viel näher als die vielen anderen Sternentstehungsgebiete in anderen Galaxien wie etwa der Whirlpool-Galaxie, der Antennen-Galaxie und wie sie alle heißen (4). Nein, stattdessen: direkt vor unserer "Haustür" dasselbe Geschehen.

Mehrere Kinderstuben von Sternen. Und wir ahnten Millionen von Jahren nichts.

Erwähnt werden muß, was in dem folgenden, kurzen Video (3) wunderbar zur Darstellung kommt, daß sich unsere Sonne und ihre Planeten zum Zeitpunkt der Supernovae vor 14 Millionen Jahren ausreichend weit entfernt befunden hatten, so daß sie von diesen nicht betroffen gewesen waren. Es hätte ja auch sonst sehr schnell vorbei sein können mit unserer Fröhlichkeit der Sternenbeobachtungen, bzw. mit unseren Vorfahren vor 14 Millionen Jahren, deren Existenz unsere heutige Sternenbeobachtung ermöglichte. Nämlich wenn sich unser Sonnensystem schon damals dort befunden hätte, wo es sich jetzt befindet. Dorthin ist es erst im Laufe der letzten 14 Millionen Jahre hingewandert.

Aber war das für die Evolution hier auf der Erde nicht, na, sagen wir mal "ganz schön riskant", so durch unsere Heimatgalaxie und ihre Galaxien-Arme und Blasen zu driften, wobei die Wahrscheinlichkeit doch womöglich nicht ganz so gering sein wird, in die Nähe einer Supernova zu kommen, wenn unsere Sonne sich heute in einem Bereich befindet, an dem vor 14 Millionen Jahren Supernovae mit ihren Explosionen alles Leben auf den Planeten umgebender Sterne sofort ausgelöscht hätten? Wieviel Glück mußte die Sonne auf ihrem Weg durch die Milchstraße eigentlich haben in den letzten drei Milliarden Jahren (10 mal 10 mal wieviele Millionen Jahre ...), damit sich das Leben auf dieser Erde dennoch so "behütet" weiter entwickeln konnte wie bislang geschehen? Darüber werden wir in den nächsten Jahrzehnten sicherlich noch manches erfahren. Vielleicht auch über so manches "Nahtod-Ereignis" auf unserem Planeten, da eben doch eine Supernova vergleichsweise nah an uns herangekommen sein mag in dieser unserer von Sternentstehungsgebieten vibrierenden Heimatgalaxie.

Die Sonne hat jedenfalls bei ihrer Wanderung durch die Milchstraße jenen Ring von Molekülwolken am Außenrand unserer Lokalen Blase vor etwa 5 Millionen Jahren passiert (2, 3). Wir wundern uns nicht, daß niemand von unseren Vorfahren davon etwas mitbekommen hat. So ganz ohne astronomische Forschung blieben sie natürlich völlig ahnunglos. Diese Unglücklichen. Nur wir, wir dürfen - jetzt - davon erfahren. Ist das nicht ein unglaublicher Segen? Die Auswirkung einer unglaublichen "Wachheit" in diesem Universum, die an einem so außerordentlichen Ort wie der Erde sich kund tut nach so unendlich langer Zeit erst? Haben wir nicht allen Grund diese Wachheit zu zelebrieren, zu segnen, sie wie ein Heiligtum innerhalb dieses Universums zu pflegen? Geben "Fridays for Future" diesem Segen ausreichend Ausdruck? Sind "Fridays for Future" von einem religiösen Gehalt erfüllt, der angemessen wäre dem, was wir da erfahren - im Angesicht der Sterne? Was für ein Geschehen (2):

Sieben Sternentstehungsregionen identifizierte das Team auf der Oberfläche der Blase.

Und nun das Ganze noch in einem etwas detaillierteren Bericht

Und in einem Berich von Nadja Potbregar erfahren wir dankenswerter Weise noch weitere Details des neuen Kenntnisstandes (5):

Die beiden mit rund 20 Millionen Jahren ältesten Sternbildungsregionen unserer nahen Umgebung, Upper Centaurus Lupus und Upper Centaurus Crux, lagen einst im Zentrum der lokalen Blase. Damals jedoch bestand diese noch nicht. Dies änderte sich erst vor rund 14 Millionen Jahren, als erste massereiche Sterne dieser beiden Zonen explodierten.
Darauf folgte eine Kette von 14 bis 20 Supernovae, deren Strahlung, Schockwellen und nach außen rasenden Gase das interstellare Medium immer weiter nach außen schoben. Nach Schätzungen des Forschungsteams könnten dadurch insgesamt rund 1,4 Millionen Sonnenmassen an Staub und Gas aus der lokalen Blase verdrängt worden sein. 

1,4 Millionen Sonnen könnten also - theoretisch - aus der hier verdrängten Materie entstehen. Nur allein in unserer Lokalen Blase. Was für ein Geschehen. Und weiter (5):

Dies wiederum löste mehrere Phasen intensiver Sternbildung in den dadurch komprimierten Randzonen aus. Die 3D-Rekonstruktion zeigt, wann welche Sternenwiege entstand: „Nach der Geburt der lokalen Blase vor wahrscheinlich 14 Millionen Jahren sehen wir vier Epochen der Sternbildung auf der Oberfläche dieser sich ausdehnenden Blase“, berichten die Astronomen. Dabei entstanden vor rund zehn Millionen Jahren zuerst die Sterne in den Formationen Upper Scorpius und Ophiuchus.
Vor sechs Millionen Jahren folgte die Corona Australis und die älteren Sterne der Taurus-Wolke. Vor zwei Millionen Jahren begann dann die Sternbildung in Lupus und Chamäleon, sowie eine zweite Phase der Sternbildung in der Taurus-Wolke. In der Zeit seither entstanden dann die Molekülwolken, die in der heutigen Grenzzone der lokalen Blase liegen. „Zum ersten Mal können wir erklären, was die ganze nahe Sternbildung ausgelöst hat“, sagt Zucker. 

Wir wissen aus unserem früheren Blogartikel, daß sich für die meisten Sternentstehungen innerhalb dieses Weltalls Galaxien zuvor "küssen" müssen und Hochzeit miteinander halten müssen. Ob nicht auch die Sternentstehungen in unserer Lokalen Blase zur Voraussetzung hatten, daß es Liebestänze gab und gibt zwischen unserer Heimatgalaxie und jener kleinen Nachbargalaxie, mit der sich unsere inzwischen verschmolzen hat, diese Frage scheint in der Studie selbst noch nicht aufgeworfen worden zu sein - oder von Seiten der berichtenden Wissenschaftsjournalisten. Aber auch diesbezüglich sind wir natürlich auf Antworten gespannt.

// Dies ist der fünfte Beitrag in unserer 
Blogartikel-Serie "Wir sind Sternenstaub"
 Die anderen Beiträge:

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  1. Zucker, C., Goodman, A.A., Alves, J. et al. Star formation near the Sun is driven by expansion of the Local Bubble. Nature (2022), 12.1.2022, https://doi.org/10.1038/s41586-021-04286-5
  2. Rainer Kayser: Die Geschichte der Lokalen Blase, 12.01.2022, https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/news/2022/die-geschichte-der-lokalen-blase/
  3. A Bubbly Origin for Stars Around the Sun. Space Telescope Science Institute, 12.01.2022, https://youtu.be/HGZQ4SmDxcQ.
  4. Bading, Ingo: "Ähnlich den Kokon's der Insekten" - Sternentstehungstheorien und ihre empirische Überprüfung - Ein Blick in die Kinderstube von Sternen und Sternhaufen - 1994 ist er erstmals möglich geworden [Zweiter Beitrag aus unserer Blogartikel-Serie "Wir sind Sternenstaub"], 24. Dezember 2020, https://studgendeutsch.blogspot.com/2020/12/ahnlich-den-kokons-der-insekten.html
  5. Podbregar, Nadja: 2022, https://www.scinexx.de/news/kosmos/sonnensystem-liegt-in-galaktischer-blase/ 

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