Montag, 26. Oktober 2020

Indogermanische Steppengenetik im Vorderen Orient

... Am meisten haben die Kurden
Aber selbst die heutigen Beduinen und Araber stammen in kleinen Anteilen von indogermanischen Völkern ab 

Die Beduinen auf der arabischen Halbinsel stehen - genetisch gesehen - jenen Bevölkerungen am nächsten, die vor 12.000 Jahren im fruchtbaren Halbmond zum Ackerbau übergegangen sind, also den Angehörigen der Kultur des "Natufiums". Das waren ursprünglich halbseßhafte Erntevölker, die in runden Häusern lebten und auch das Bergheiligtum vom Göbekli Tepe errichteten. Sie lebten von der Jagd auf wilde Ganzellenherden. Ihre genetische Verwandtschaft mit den heutigen Beduinen und Arabern wird sehr gut in einer neuen genetischen Studie deutlich gemacht (1) (Abb. 1).

Abb. 1: Herkunftsanteile der Völker des Mittleren Ostens - Der (sehr kleine) sehr dunkellila Anteil ist der Anteil "Steppen-Genetik" der Indogermanen, der spätestens ab dem Seevölkersturm in diesen Raum gekommen ist (aus: 1)

Allerdings muß gesagt werden, daß der Übergang zum Neolithikum schon im Fruchtbaren Halbmond, im Levanteraum - offenbar - einherging mit einer leichten Einmischung von anatolisch-(neolithischer) Genetik (Abb. 1: "Levant_N" = levantinisch-neolithisch). Auch die Archäologie weiß von einer Ausbreitung von Norden nach Süden zum Beispiel einer bestimmten Gruppe von "Helwan"-Pfeilspitzen am Anfang des PPNB. Über die heutigen Bewohner des Mittleren Ostens heißt es in der neuen Studie (1):

Die heutigen Bewohner des Mittleren Ostens stehen genetisch zwischen den Jäger-Sammlern des Levantinischen Natufiums (in Abb. 1 hellblau), den neolithischen Bevölkerungen des Levanteraumes, den bronzezeitlichen Europäern (dunkellila) und den iranisch-neolithischen Völkern (orange). Araber und Beduinen stehen (genetisch) den (levantinischen) Natufiern nahe, während heutige Bewohner des Levanteraumes sich genetisch von ihren Vorfahren unterscheiden durch einen geringen Anteil europäischer, bronzezeitlicher Genetik (!). Araber des Iraks, irakische Kurden und Assyrer stehen der iranisch-neolithischen Völkergruppe nahe ebenso wie den bronzezeitlichen Armeniern. (...) Wir sehen einen Kontrast zwischen dem Levanteraum und Arabien: Die heutigen Bewohner des Levanteraumes haben einen Anteil osteuropäischer Jäger-Sammler-Herkunft, der - wie wir in früheren Studien zeigten - den Levanteraum (erst) nach der Bronzezeit erreichte, und zwar zusammen mit Völkern, die bronzezeitliche südosteuropäische und anatolisch-neolithische Herkunft mit sich brachten.

Original: Present-day Middle Easterners are positioned between ancient Levantine hunter-gatherers (Natufians), Neolithic Levantines (Levant_N), Bronze Age Europeans and ancient Iranians. Arabians and Bedouins are positioned close to ancient Levantines, while present-day Levantines are drawn towards Bronze Age Europeans. Iraqi Arabs, Iraqi Kurds and Assyrians appear relatively closer to ancient Iranians and are positioned near Bronze Age Armenians. We find that most present-day Middle Easterners can be modelled as deriving their ancestry from four ancient populations (Table S1): Levant_N, Neolithic Iranians (Iran_N), Eastern Hunter Gatherers (EHG), and a ~4,500 year old East African (Mota). We observe a contrast between the Levant and Arabia: Levantines have excess EHG ancestry (Figure S4), which we showed previously had arrived in the Levant after the Bronze Age along with people carrying ancient south-east European and Anatolian ancestry (Haber et al.,2017, Haber et 112al.2020).

Die stärkste Herkunftskomponente osteuropäischer Jäger und Sammler (also höchstwahrscheinlich der Indogermanen) tragen von allen Völkern des Mittleren Ostens die Kurden in sich (1, Abb. 1C), gefolgt von Irakern, Syrern und Libanesen. Sogar Beduinen, Araber und Ägypter tragen kleine "indogermanische" genetische Komponenten in sich.

Laut dieser Studie tragen weiterhin 50 % der heutigen Araber eine genetische Komponente in sich, die sie befähigt, als Erwachsene Rohmilch zu verdauen. Es handelt sich aber um eine andere als die der Europäer. Ansonsten finden sich in den Genomen der Bewohner des Mittleren Ostens bislang wenig Hinweise auf stärkere Selektion in den letzten 2000 Jahren - auffälliger Weise - im Gegensatz zu den im letzten Jahr ausgewerteten Genomen der Wikinger, die aufzeigen, daß es seither noch in mancherlei Körpermerkmalen und einigen psychischen Merkmalen Selektion gegeben hat. Für den Mittleren Osten gilt stattdessen (1):

Für die meisten Merkmale finden wir keine oder unvollständige Belege für eine jüngste, gerichtete Selektion, das betrifft sowohl Körperhöhe wie Hautfarbe wie Body-Mass-Index.
For most traits, we find no, or inconclusive, evidence for recent directional selection, including height, skin colour, and BMI (Figure 4A).

Es könnte das ein Hinweis darauf sein, daß in den letzten 2000 Jahren im mittleren und nördlichen Europa mehr "Evolution", bzw. Selektion - mehr Gen-Kultur-Koevolution - stattgefunden hat als im Mittleren Osten. Aber diesbezüglich wird man noch weitere Forschungen abwarten müssen.

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  1. The Genomic History of the Middle East. Mohamed A. Almarri, Marc Haber, Reem A. Lootah, Pille Hallast, Saeed Al Turki, Hilary C. Martin, Yali Xue, Chris Tyler-Smith. Als Preprint: bioRxiv, 18.10.2020, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.10.18.342816v1; endgültige Fassung online 4.8.2021 in: Cell, Volume 184, Issue 18, 2 September 2021, Pages 4612-4625.e14, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0092867421008394
  2. Bading, Ingo: 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/07/die-genetische-geschichte-der-alten.html

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