Mittwoch, 22. Juli 2020

Indogermanen: Einheimische Männer vermischten sich mit zuwandernden Frauen

Neue Schlaglichter aus der Forschung zur Ethnogenese der Indogermanen

Dieser Blogartikel ist veraltet und ersetzt worden durch einen neuen: Stud. gen. 10/2020.
 
Eine neue Studie des führenden Archäologen zur Ethnogenese der Indogermanen David W. Anthony (Wiki), der seit letztem Jahr emeritiert ist, ist erschienen. Leider ist auf Google Bücher bislang nur ihre Einleitung verfügbar (1). Immerhin findet sich der Inhalt dieser neuen Studie aber auch schon auf dem Wikipedia-Artikel zum Urvolk der Indogermanen ("Western Step Herders" = WSH) referiert (Wiki). Das soll im folgenden zitiert und übersetzt werden.

Abb. 1: Ethnogenese der Indogermanen - Grafik von David W. Anthony (Herkunft: Twitter)

Bevor dieses sehr vorläufige Zitat gebracht werden soll, muß aber vorausgeschickt werden, daß die darin erwähnte Dnjepr-Donez-Kultur  (Wiki) ursprünglich ein Jäger-Sammler-Volk war, das ab 5.200 v. Ztr. begonnen hat, Haustiere zu halten, ohne sich aber mit zuwandernden Bauernvölkern zu vermischen (wie wir gleich sehen werden). Das östlich von ihm lebende Volk der Chwalynsk-Kultur (das Urvolk der Indogermanen), war - so referierten wir hier auf dem Blog schon früher (2) - ab 4.700 v. Ztr. zur Haustierhaltung übergegangen, und zwar parallel zu Vermischung mit Frauen der aus dem Kaukasus zugewanderten Bauern. Wir lesen jedenfalls (Wiki):
"Anthony stellt fest, daß die 'Westlichen Steppenhirten' (Urindogermanen) eine genetische Kontinuität ihrer väterlichen Linien aufweisen zwischen der Dnjepr-Donez-Kultur und der Yamnaya-Kultur. Denn die Männer beider Kulturen waren zumeist Träger des Y-chromosomalen Hapoltyps R1B, sowie zu einem geringen Anteil des Y-chromosomalen Haplotyps I2. Während nun die mitochondriale DNA der Dnjepr-Donez-Kultur ausschließlich aus U-Haplotypen bestand, die von ost- und westeuropäischen Jägern und Sammlern stammen, schließt die mitochondriale DNA der Yamnaya auch Haplotypen mit ein, die bei kaukasischen sowie anatolisch-neolithischen Bauern zu finden sind. Anthony stellt fest, daß die 'Westlichen Steppenhirten' zuvor schon sowohl in der Sredny Stog-Kultur wie in der Khwalynsk-Kultur anzutreffen waren, die der Yamnaya-Kultur in der pontisch-kaukasischen Steppe vorausgegangen waren. Die Sredny Stog-Kultur war im wesentlichen von 'Westlichen Steppenhirten' getragen, die ein wenig mit anatolisch-neolithischen Bauern vermischt war, während die Khwalynsk-Kultur, die weiter östlich lebte, ausschließlich 'Westliche Steppenhirten'-Genetik aufwies. Anthony stellt ebenfalls fest, daß anders als ihre Khwalynsk-Vorfahren die Y-DNA der Yamnaya ausschließlich ost- und westeuropäische Jäger-Sammler-Herkunft aufweist. Dies legt nahe, daß die führenden Geschlechter der Yamnaya ost- und westeuropäische Jäger-Sammler-Herkunft aufwiesen."
("Anthony notes that WSHs display genetic continuity between the paternal lineages of the Dnieper-Donets culture and the Yamnaya culture, as the males of both cultures have been found to have been mostly carriers of R1b, and to a lesser extent I2. While the mtDNA of the Dnieper-Donets people is exclusively types of U, which is associated with EHGs and WHGs, the mtDNA of the Yamnaya also includes types frequent among CHGs and EEFs. Anthony notes that WSH had earlier been found among the Sredny Stog culture and the Khvalynsk culture, who preceded the Yamnaya culture on the Pontic-Caspian steppe. The Sredny Stog were mostly WSH with slight EEF admixture, while the Khvalynsk living further east were purely WSH. Anthony also notes that unlike their Khvalynsk predecessors, the Y-DNA of the Yamnaya is exclusively EHG and WHG. This implies that the leading clans of the Yamnaya were of EHG and WHG origin.")
Hier wird also vorausgesetzt, daß sich diese "führenden Geschlechter" über überdurchschnittlich hohen Fortpflanzungserfolg gegenüber Y-DNA nicht-ost- oder westeuropäischer Jäger-Sammler-Herkunft in den frühen Jahrhunderten der Geschichte dieses Urvolkes der Indogermanen durchgesetzt hat, bzw. sie "ersetzten". 
"Anthony vermutet, daß die Vermischung zwischen osteuropäischen Jägern und Sammlern und kaukasischen Jägern und Sammlern zuerst in der östlichen pontisch-kaukasischen Steppe um 5.000 v. Ztr. stattfand, ...
- Bislang war ein Zeitpunkt um 4.700 v. Ztr. genannt worden. Dieser war uns aber auch schon als etwas zu spät datiert erschienen. 5.000 v. Ztr. hieße nun, daß dieser Zeitpunkt vollgültig in den Zerfall der einheitlichen Bandkeramik weiter im Westen fällt und ihre Aufgliederung in Regional-Kulturen. Weiter im Text: 
... während die Vermischung mit anatolisch-neolithischen Bauern erst etwas später in den südlichen Teilen der pontisch-kaspischen Steppe stattfand. Da Yamnaya-Y-DNA ausschließlich Haplotypen ost- und westeuropäischer Jäger und Sammler aufweist, stellt Anthony fest, daß diese Vermischung zwischen ost- und westeuropäischen Jäger-Sammler-Männern und kaukasisch- und anatolisch-neolithischen Frauen stattgefunden hat. Anthony führt dies als zusätzlichen Beleg dafür an, daß die indoeuropäische Sprache ursprünglich von osteuropäischen Jägern und Sammlern gesprochen wurde, die in Osteuropa lebten. Auf dieser Grundlage folgert Anthony dann, daß die indoeuropäischen Sprachen ursprünglich das Ergebnis 'einer dominanten Sprache waren, die von den osteuropäischen Jägern und Sammlern gesprochen wurde, die kaukasus-neolithische Elemente in der Phonologie, Morphologie und im Wortschatz absorbiert hat' (wie sie von den kaukasischen Bauern gesprochen wurde).
("Anthony suggests that admixture between EHGs and CHGs first occurred on the eastern Pontic-Caspian steppe around 5,000 BC, while admixture with EEFs happened in the southern parts of the Pontic-Caspian steppe sometime later. As Yamnaya Y-DNA is exclusively of the EHG and WHG type, Anthony notes that the admixture must have occurred between EHG and WHG males, and CHG and EEF females. Anthony cites this as additional evidence that the Indo-European languages were initially spoken among EHGs living in Eastern Europe. On this basis, Anthony concludes that the Indo-European languages whom the WSHs brought with them were initially the result of "a dominant language spoken by EHGs that absorbed Caucasus-like elements in phonology, morphology, and lexicon" (spoken by CHGs).")
Leider ist die Wiedergabe der Gedanken von Anthony an dieser Stelle ier noch nicht sehr ausführlich und deshalb zum Teil auch noch nicht recht verständlich. So richtig klar wird zum Beispiel nicht, welche Rollen die Dnjepr-Donez- und die Sredny Stog-Kultur nach Ansicht von Anthony für die Ethnogenese der Indogermanen hatten. Einstweilen halten wir an der Sichtweise fest, die wir schon 2017 hier auf dem Blog zitierten (Zitat Andreas Vonderach nach: 3):
"In der Ukraine zeigt sich mit der wahrscheinlich aus östlicheren Gebieten eingewanderten Kurgan-Bevölkerung ein völliger Bruch zur Vorbevölkerung der Dnepr-Donez-Kultur, die durch extreme Größenmaße und Robustizität, lange Schädel, breite Gesichter und Nasen und noch niedrigere Orbitae (Augenhöhlen) charakterisiert war. Der extreme, eher jungpaläolithische oder mesolithisch anmutende Typus der Dnepr-Donez-Kultur verschwindet gegen Ende des Neolithikums ohne erkennbare Spuren zu hinterlassen."
Die hier genannte Dnjepr-Donez-Kultur (Wiki) (5.000-4.200 v. Ztr.) blieb also sehr konservativ, hat keine Vermischung mit zuwandernden Bauernfrauen betrieben und wurde schließlich von der östlicheren, indogermanischen Yamna-Kultur (Wiki) (4.000-2.300 v. Ztr.) abgelöst, bzw. wohl "ersetzt". Diese war aus der Khvalynsk-Kultur (5.000-4.500 v. Ztr.) (Wiki) an der Mittleren Wolga hervorgegangen. 

Sehr anschaulich sind in Grafik 1 die Grenzen der Verbreitungsräume der jeweils vorherrschenden Herkunftsgenetik eingezeichnet zum Zeitpunkt der Frühgeschichte der Indogermanen.
 
Ergänzung, 29.10.2020: Inzwischen ist der hier bislang nur in Teilen ausgewertete Aufsatz (1) vollständig auf Google Bücher einsehbar und es können weitere Zitate gebracht werden über die Genetik der vom Reich-Labor untersuchten Skelette des Urvolkes der Indogermanen, der Chwalynsk-Kultur, die von der Mittleren Wolga (Ekaterinovka) bis zum Nordrand des Kaukasus (Progress-2) reichte. Anstelle des Begriffes "Volk" benutzt Anthony den Begriff "mating network" und schreibt (1, S. 35):
Sie weisen eine dominante osteuropäische Jäger-Sammler-Herkunfts-Komponente (EHG) auf, die typisch ist für dieses Volk, zusammen mit einer Kaukasus-Jäger-Sammler-Herkunfts-Komponente (CHG). Der prozentuale Anteil der CHG-Herkunfts-Komponente nimmt von Süden nach Norden hin ab, vom Fundort Progress-2, wo die CHG-Komponente 30 bis 50 % beträgt, über den Fundort Khwalynsk (CHG 20 bis 30 %) bis Ekaterinovka (vielleicht 5 %, aber noch nicht veröffentlicht). (...) Die (aus der Khwalynsk-Kultur hervorgegangene spätere) Yamnaya-Kultur war (dann) genetisch homogener als die spätneolithischen Grabstätten, insbesondere hinsichtlich der männlichen genetischen Marker auf dem Y-Chromosom.
Original: They exhibit dominant EHG ancestry, typical oft this mating network, with CHG. The percentage of CHG ancestry declines south-to-north, from Progress-2, where CHG ist 30-50 %, to Khvalynsk (CHG 20-30%) to Ekaterinovka (perhaps 5 %, but not yet published). (...) Yamnaya was more homogeneous genetically than the Eneoloithic cemetries, particularly in male genetic traits on the Y-Chromosome.
Es scheint also im Verlauf der Geschichte der Khwalynsk-Kultur und im Übergang zur nachfolgenden Yamnaja-Kultur zu einer gleichmäßigeren Durchmischung der beiden Herkunftsanteile innerhalb dieses Volkes gekommen zu sein. Das läßt im ersten Blick darauf schließen, daß Ehen in diesem Volk gerne auch einmal über 1000 Kilometer Distanz geschlossen werden konnten. Dann würde es sich um eine ähnliche Erscheinung handeln wie wir sie dann später noch für die indogermanischen Kulturen Mitteleuropas während der Bronzezeit beobachten, wo inzwischen auch Heiratskontakte zwischen Bayern, Böhmen und Sachsen-Anhalt nachgewiesen sind.
 

Neue kulturelle Orientierungen und Formen der Sozialdisziplinierung ermöglichen neue kulturelle und seelische Verwurzelung

 
Ergänzende Gedanken (29.10.2020): Genetisch unterschieden sich die iranisch-neolithischen (und anatolisch-neolithischen) Bauernvölker, die sich nach Norden über den Kaukasus (und über den Balkan) ausbreiteten, von den in Europa einheimischen Jäger-Sammler-Völkern so stark wie wir heutigen Europäer uns genetisch von den Ostasiaten unterschieden. So führte es der Archäogenetiker David Reich in verschiedenen Vorträgen der letzten Jahre wiederholt aus. Also nicht nur kulturell, sondern auch genetisch stießen dabei ungeheuer gegensätzliche "Welten" aufeinander.
 
Es begann dabei ein Prozeß von kultureller Anziehung und Abstoßung. Die bisherige Lebensweise in Europa als Jäger, Fischer und Sammler war infrage gestellt, die neue Lebensweise als Ackerbauer oder Rinderhirte wies sowohl anziehende wie abstoßende Aspekte auf. Es kam zum friedlichen kulturellen Austausch wie auch zu "völkermörderischen" kriegerischen Auseinandersetzungen (inzwischen gut nachgewiesen für die Spätphase der Bandkeramik).
 
Dieser Prozeß mündete in der Ethnogenese neuer Völker. An der Mittleren Wolga entstand im Rahmen der Chwalynsk-Kultur um 4.800 v. Ztr. das Urvolk der Indogermanen, im Wiener Becken entstand um 5.500 v. Ztr. das Urvolk der Bandkeramiker, im Verlauf des Auflösungsprozesses der Bandkeramik um 4.900 v. Ztr. entstanden in Mitteleuropa die dortigen mittelneolithischen Völker.
 
Die gegensätzlichen seelischen Strukturen, die bei diesem "Kampf der Kulturen" aufeinander trafen, mögen bewirkt haben, daß beide jeweils ursprünglicheren Volksteile partiell aus ihrer bisherigen Art zu leben "entwurzelt" wurden. Neue Gemeinsamkeiten mögen nun geschaffen worden sein, um in der Erfahrung dieser seelischen Entwurzelung eine neue kulturelle Orientierung zu gewinnen. Aus solchen psychologischen Vorgängen heraus mag es sich erklären, daß neue kulturelle Formen entstanden wie in der Bandkeramik und im Mittelneolithikum etwa das eindrucksvolle "Langhaus" und weitere stark vereinheitlichende kulturelle Praktiken in Richtung Sozialdisziplinierung, im Urvolk der Indogermanen etwa das eindrucksvolle "Hügelgrab" und weitere kulturelle Praktiken, die in Richtung auf Sozialdisziplinierung wirkten. Etwa bei den Indogermanen eine "patriarchale" Lebensweise, die im Verlauf der Ethnogenese stärker betont worden sein mag als das in den beiden Ausgangspopulationen der Fall gewesen sein muß.
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  1. Anthony, David W. (2019b). "Ancient DNA, Mating Networks, and the Anatolian Split". In Serangeli, Matilde; Olander, Thomas (eds.). Dispersals and Diversification: Linguistic and Archaeological Perspectives on the Early Stages of Indo-European. BRILL. pp. 21–54 (GB)
  2. Bading, Ingo: 2019, https://studgendeutsch.blogspot.com/2019/08/es-ist-amtlich-das-urvolk-der.html.
  3. Bading, Ingo: 2017, https://studgendeutsch.blogspot.com/2017/07/ancient-dna-forschung-und-physische.html.

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