Dienstag, 4. März 2008

Vorstudien zu einer "Vergleichenden Religionsdemographie" (Teil 3)

Aus heutiger Sicht und Perspektive könnten die im vorigen Beitrag (aus dem Jahr 1995) zusammengestellten Beispiele für (menschliche) "Erfolgsmodelle der Evolution" anders gegliedert werden. Dazu soll eine Grafik des Religionswissenschaftlers Michael Blume über die derzeitige Religionsdemographie der Schweiz gebracht werden:

Wenn man nun versucht, grundlegende, weltgeschichtliche, sozioökonomische Entwicklungen in den Kulturen der Erde mit den im vorigen Beitrag genannten und in dieser Grafik angeführten Daten zu einer sich andeutenden "Vergleichenden Religionsdemographie" in Beziehung zu setzen, dann soll in erster Annäherung zunächst einmal nur eine "Rangfolge" von jenen Glaubensgemeinschaften gegeben werden, die europäischen Ursprungs sind:
Hutterer: 11 Kinder pro Frau
Amische: 8 Kinder pro Frau
Jüdische Glaubensgemeinschaft in der Schweiz: 2,06 Kinder pro Frau
Freiprotestanten in der Schweiz: etwa 2 Kinder pro Frau
Anthroposophen in Westdeutschland: etwa 1,7 (?) Kinder pro Frau (1)
(Schweiz gesamt: 1,4 Kinder pro Frau)
Katholiken in der Schweiz: 1,4 Kinder pro Frau
Evangelisch-reformierte Kirche: 1,35 Kinder pro Frau
Zeugen Jehovas in der Schweiz: 1,2 Kinder pro Frau
Konfessionslose in der Schweiz: 1,1 Kinder pro Frau
Man kann es als einen sehr auffälligen Befund erachten, daß von allen religiösen Gruppierungen, die - anzunehmenderweise - eine traditionelle europäische Bevölkerungsweise aufzeigen (oder Reste davon), die höchsten Geburtenraten heute solche christlichen Gemeinschaften aufzeigen, bei denen es keinen eigenen, abgesonderten Priesterstand gibt, sondern höchstens "Laienprediger". Die Laienprediger bei den Hutterern und Amischen sind Bauern und Handwerker wie alle anderen auch. Mit besonderer Absicht bilden sie keine besondere Berufsgruppe. Es gilt konsequent das protestantische Prinzip des "Priestertums aller Gläubigen". Ähnliches gilt in Abstufungen auch für die zahlreichen und diversen freiprotestantischen Gemeinden im heutigen Mitteleuropa, denen ja gerade die seelischen "Verkrustungen", die durch einen abgesonderten Berufsstand, nämlich den des Priesters, in der offiziellen evangelischen Kirche entstanden sind, Anlaß gegeben haben, diese Kirche zu verlassen und ihr Gemeindeleben selbstverantwortlich zu gestalten.

Ein besonderer Priesterstand wirkt sich - heute - nicht besonders positiv auf die Geburtenrate aus, sondern ...

Dieser Umstand scheint auch auf die Anthroposophen zuzutreffen, die trotz überdurchschnittlicher Rate an Konfessionslosen unter sich eine überdurchschnittliche Geburtenrate aufweisen. (1)

Die niedrigsten Geburtenraten unter den Christen haben die Angehörigen der großen etablierten "Priester-Kirchen" - oder soll man sagen "Theologen-Kirchen", nämlich der evangelischen und der katholischen Kirche. Überall dort, wo Christentum stärker selbstverantwortlich gelebt wird, wo sich praktisch jedes Gemeindemitglied mit verantwortlich fühlt für die Lebendigkeit des christlichen Glaubens in der Gemeinde, in jeder dieser religiösen Gemeinschaften steigt die Geburtenrate.

Man könnte nun meinen, daß die Jüdisch-Gläubigen dabei eine Ausnahme machen. Das würde aber eine gesonderte Untersuchung verlangen. Leben die gläubigen Juden nicht auch eine Religiosität, die der der genannten, sich selbstverantwortlich fühlenden Gemeinden nahekommt,da sie sich ja auch geradezu als "das" "Priestervolk" schlechthin begreifen. Und wird es nicht schon von daher unter ihnen weniger "Namensjuden" geben als es in den großen christlichen Kirchen "Namenschristen" gibt? Aber auch das nur als Vermutung formuliert.

... Übernahme von Eigenverantwortung der Gläubigen auf religiösem Gebiet

Man könnte nun natürlich in der oben angeführten Rangfolge zwischen Amischen und Juden noch zahlreiche andere europäische Bevölkerungen der Geschichte einfügen, die etwa bis 1900 dazwischen liegende Geburtenhöhen aufwiesen und zugleich stärker christlich geprägt gewesen waren als die meisten Menschen, die heute noch Mitglieder einer Großkirche sind. Und es wird sich dann doch auch die Frage stellen, ob man solche Bevölkerungen als eher den heutigen Großkirchen nahestehend empfinden wird oder als nahestehend jenen, die heute ihr Gemeindeleben selbstverantwortlicher gestalten. Man wird eher zu letzterer Vermutung neigen wollen.

Außerdem finden sich im vorigen Beitrag auch Beispiele für wenig wachsende Bevölkerungen in der europäischen Geschichte, auch in Zeiten, als es gar keine Alternativen zum Christentum gab. Als also "Konfessionslosigkeit" zumindest äußerlich gar nicht möglich war. Vielleicht wären das dann eher Bevölkerungen, die dem heutigen, auf dem Glaubensgebiet eher passiven "Namens-Christen" näher stehen würden.

Jedenfalls: All solche vergleichenden religionsdemographischen Betrachtungen noch näher an den historischen oder heutigen Einzelfall heranzuführen, könnte die Aufgabe einer künftigen "Vergleichenden Religionsdemographie" sein.
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Literatur:

1. Bading, Ingo: Der "anthroposophische Lebensstil" als demographischer Faktor. Vorläufiger Entwurf eines Forschungsartikels. Auf Wissenschaftsblog "Studium generale", 26.2.2008

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