Mittwoch, 7. November 2007

Indoeuropäer-Frage ein "anrüchiges" Thema?

Ein Wort der Kritik an der Berliner Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße"

Erschienen: 2014
Die Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße" (1) (siehe früherer Beitrag) ist von dem früheren ersten Bürgermeister der Stadt Mannheim, Herrn Dr. Norbert Eggert, "initiiert und immer wieder tatkräftig unterstützt" worden. Er hatte "bereits in den 1990er Jahren Xinjiang besucht" (S. 15) Deshalb konnte auch die Stadt Mannheim nur "schweren Herzens einer Weltpremiere in Berlin" zustimmen (S. 13).

Mit der von der Weltöffentlichkeit und von Teilen der Forschung nun als sensationell empfundenen Tatsache, daß vor mehr als 2000 Jahren an der Westgrenze Chinas - erkennbar an den gut erhaltenen Wüstenmumien - ziemlich eindeutig Menschen lebten, denen man ihre europäische Herkunft ebenso ansieht, wie der Mehrheit der heutigen Nordamerikaner, mit dieser Tatsache geht die Berliner Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße", noch etwas verklemmt um. An den Diskussionen über die Herkunft dieser Menschen will sich die Ausstellung, so ihr wissenschaftlicher Leiter Christoph Lind, nicht beteiligen (S. 23f). Und Mitarbeiter Ulf Jäger schreibt, daß diese Tatsache auch frühere Forscher nicht besonders "verwundert" hätte (S. 49f). Mitarbeiterin Jeanette Werning findet deshalb auch anderes "viel spannender" (S. 39). Wir wollen uns hier die Begründung für diese Haltungen genauer anschauen. Christoph Lind schreibt (S. 23f):
Sensationelle Mumienfunde markieren den Weg der archäologischen Forschungen in Xinjiang und viele Vermutungen kursieren über die Herkunft der Bestatteten in den Gräberfeldern des Tarim-Beckens. (...) Einige entsprechen einem mongolischen Typus, weitaus häufiger jedoch wirken die erkennbaren Gesichtszüge europid. (...) Sie wurden beispielsweise als proto-iranisch, westeuropäisch oder sibirisch gedeutet. An diesen Diskussionen will sich die Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße" nicht beteiligen.
Und etwas weiter als Teil der Rechtfertigung für diese Abstinenz: "Unser heutiges Denken in ethnischen Kategorien ist auf die Zeit der vorbuddhistischen Seidenstraße sicherlich nicht übertragbar." Ulf Jäger schreibt (S. 49f):
Schon der unter dem schwedischen Forschungsreisenden Sven Hedin arbeitende schwedische Archäologe Folke Berman hatte im südöstlichen Tarim-Becken, in der Nähe des Lop Nur, bootsförmige Holzsärge ausgegraben, die europide Trockenmumien enthielten. Dieses verwunderte die damalige Forschung nicht weiter, hatten doch die preußischen Turfan-Expeditionen an der Nordroute der Seidenstraße auf Wandmalereien Darstellungen hochgewachsener, blonder und rothaariger, buddhistischer Stifter entdeckt. Da zudem an diesen Fundorten Handschriften in Brahmi, in der tocharischen, indogermanischen Sprache gefunden worden waren, nahm man an, diese Bevölkerung sei in einer nicht genau zu datierenden Frühphase 'von Westen' her eingewandert. Die nun vermehrt in den 80er und 90er Jahren des 20. Jh. im Tarim-Becken ausgegrabenen, von der Physiognomie her europid wirkenden Trockenmumien, haben diese Diskussionen erneut entfacht.
Und Jeanette Werning schreibt von "Mumien, die sehr häufig keine mongoliden Gesichtszüge aufweisen, sondern von den Anthropologen als 'europid' angesprochen werden" (S. 39). Sie betont die Tatsache, dass nach den ersten 1.500 uns bekannten Jahren der Siedlungsgeschichte des Tarim-Beckens (also grob ab 500 v. Ztr.) im archäologischen Material und in den Schriftzeugnissen auch "Mischheiraten" zwischen Völkern, Rassen und Kulturen in diesem Raum belegt sind. Dies geschah ja etwa zeitlich parallel mit der Ausbreitung der Weltreligion Buddhismus, die auf ethnische Unterscheidungen betonter Weise keinen Wert mehr legte (ähnlich wie das Christentum und der Islam).

Ethnisches Kategorisieren ist Teil unserer genetischen Programmierung

Zu diesen Aussagen könnte nun mancherlei gesagt werden. Aus der Sicht der modernen Forschungsergebnisse in der Psychologie, der Soziobiologie und der Humangenetik ist "Denken in ethnischen Kategorien" zu einem großen Teil durch unsere genetische Programmierung vorgebahnt und nur schwer zu unterdrücken. (Siehe inzwischen viele frühere Beiträge auf "Studium generale".) Warum also sollten Völker in früheren Jahrtausenden dieses Denken noch stärker bewusst ("ideologisch") unterdrückt haben als das heute in der westlichen Welt geschieht?

Die Völker des Tarim-Beckens haben vor Einführung des Buddhismus ganz bestimmt Stammes- oder Stadtgottheiten verehrt, auch Berggötter (etwa auf dem Tianshan, wie man nach traditioneller chinesischer Religiosität vermuten darf). Sie haben diesen Gottheiten Opfer gebracht (Rinder, Ziegen und Schafe geschlachtet wie etwa in der "Ilias"). Und so gut wie alle bildlichen Darstellungen aus dem chinesischen, sogdischen oder persischen Raum zeigen, wie sehr man - z.B. - bei "tributpflichtigen" oder "befreundeten" Stämmen, Städten, Völkern und Reichen die ethnischen und rassischen Unterschiede auch in der Darstellung mitberücksichtigte. Unwichtig war also "Denken in ethnischen Kategorien" ganz bestimmt nie.

Und dass die Forschung am Anfang des 20. Jahrhunderts durch das Vorhandensein von Europäern an der Westgrenze des chinesischen Reiches nicht besonders "verwundert" gewesen sei, muss, so es denn wirklich die Regel gewesen sein sollte (was man bezweifeln darf), nicht als ein wichtiger Umstand angesprochen werden. Man entdeckte damals "Niemandsland", alles war neu, was man entdeckte, warum sollte man ein solches Detail "noch" verwunderlicher finden als schon alles übrige, was man damals an Verwunderlichem überhaupt entdeckte?

Unsere heutige Situation ist jedoch ganz anders, wenn wir durch die Archäologie auf das Vorhandensein "rein" europäischer Völker an der Westgrenze des chinesischen Reiches in früheren Jahrtausenden verwiesen werden. Nach hundert Jahren Forschung glaub(t)en wir, einen sehr genauen Überblick über den Ablauf der Weltgeschichte und dabei über die zeitlich sich verschiebende Verteilung der Völker und Rassen auf der Erde zu besitzen. Weiterhin hat die "Gegenreaktion" auf die Zeit des Nationalsozialismus bewirkt, dass man archäologischen oder anthropologischen Hinweisen auf die "nordische Rasse" - als "Unruhefaktor der Weltgeschichte" in sehr unterschiedlichen Erdregionen - betont distanziert gegenüber stand.

Völker überbrücken weite Entfernungen in der Weltgeschichte

Aber in den letzten Jahren mehren sich immer mehr Hinweise darauf, dass es genau diese "nordische Rasse", dass es diese "Europäer" waren, die schon in früheren Jahrtausenden in weit von ihren Ausgangszentren entfernten Gebieten "Geschichte" gemacht haben. Sicherlich waren sie nicht die einzigen, die in verschiedenen Geschichtsepochen weite Entfernungen überbrückten. Die Besiedlung des Südpazifik durch die Austronesier wäre ein anderes Beispiel. Ein weiteres Beispiel wäre die Ausbreitung asiatischer (genetischer) Haplotypen in früheren Jahrtausenden bis nach Osteuropa (- grob in den heutigen "slawischen" Raum hinein). (Siehe frühere Beiträge auf St. gen..) Ein weiteres Beispiel wäre die Ausbreitung der Bantu-sprachigen schwarzafrikanischen Rinderzüchter von Westafrika aus über den ganzen afrikanischen Kontinent südlich der Sahara in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitrechnung. Oder die Ausbreitung der (anthropologisch nicht sehr einheitlichen) bandkeramischen Kultur über den ganzen mitteleuropäischen Kontinent hinweg. Aber auch das Vorhandensein von Europäern schon zu früher Zeit auf dem amerikanischen Kontinent (wie neuerdings vermutet noch während der Eiszeit), in Sibirien von der Eiszeit bis zum Untergang der Skythen in der Spätantike und nun sogar im Tarim-Becken an der Westgrenze des chinesischen Reiches, all das gibt Blicke auf zum Teil völlig neue geschichtliche Zusammenhänge frei.

Ein Buchtitel des völkischen Rasseforschers Hans F.K. Günther lautete "Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens". Die wissenschaftlichen Belege, die er in seinem Buch für die These des Titels sehr gründlich zusammen getragen hatte, waren zu seiner Zeit keineswegs besonders reichhaltig und im Grunde nur wenig überzeugend. (Übrigens kann ähnliches auch zu seiner Auseinandersetzung mit der IQ-Forschung seiner Zeit gesagt werden.) Nun aber den eigentlichen Menschen selbst aufgrund neuer archäologischer Funde in die tatsächlich noch vorhandenen Gesichter zu schauen (statt nur ihre Knochen zu vermessen), ist etwas ganz anderes.

Man sollte die Ausstellung "Ursprünge der Seidenstraße" wirklich zum Anlass nehmen, die großräumigen Ausbreitungen von Menschenrassen, Völkern und Kulturen zu verschiedenen Zeitpunkten der Weltgeschichte in ihren Ursachen und Folgen auch theoretisch besser zu fassen und in den Blick zu bekommen - so wie das ebenfalls schon diverse wissenschaftliche Arbeiten tun (siehe etwa den Aufsatztitel "Semes and Genes in Africa"). Abstinenz in Erkenntnisfragen ist ja - zumindest für einen Wissenschaftler - etwas sehr Langweiliges und etwas gänzlich dem wissenschaftlichen Ethos Widersprechendes.

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  1. Wiechzorek, A.; Lind, C. (Hg.): Ursprünge der Seidenstraße. Sensationelle Neufunde aus Xinjiang, China. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2007

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