Donnerstag, 22. November 2007

Costabella - Berg meiner Jugend

Das Buch "Costabella - Berg meiner Jugend" (1) enthält die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg von Seiten des Schriftstellers Karl Springenschmid (1897-1981). Es sind das keine "ganz normalen" Kriegserinnerungen. Es handelt sich nicht um ein Schildern heroischen Ausharrens auf den Bergen in Eis und Schnee, in Kälte und Nässe, Wochen lang, Monate lang, Jahre lang. Es handelt sich nicht um ein Schildern von verbissenem Ringen um Stellungen und Bergkuppen, um Grabensysteme und Nachschubwege, um Orden und Ehrenzeichen ... Es handelt sich auch nicht um ein Verfluchen des Krieges, um eine große, gewaltige Anklage des Krieges "an sich". Es handelt sich um keine Veröffentlichung auf der Linie von "Im Westen nichts Neues". In diesem Buch ist nirgendwo vom "Kampf als innerem Erlebnis" die Rede. Nein, in ihm ist überall und immer nur von einem die Rede - von der Liebe.

Und darum ist dies ein ganz eigentümlicher autobiographischer "Kriegs-"Roman. Und darum ist man noch lange ganz gefangen von ihm, nachdem man ihn in einem Zug in eineinhalb Tagen durchgelesen hat.

Schützengraben im Gebirge (1915 - 1918)
In der reich bebilderten und darum doppelt eindrucksvollen Biographie über den Schriftsteller Karl Springenschmid war zu lesen (2, S. 17ff), dass er in "Costabella" über seine Jugend, über sein Kriegserlebnis im Ersten Weltkrieg als zwanzigjähriger Gebirgssoldat berichtet habe. Und wenn man schon einen anderen autobiographischen Roman von ihm gelesen hat, "Der Waldgänger", erschienen 1975 - in ihm berichtet Springenschmid über seine persönlichen Erlebnisse in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg - hat man gewisse Vorstellungen darüber, was einen erwarten könnte.

Und man erwartet ein ganz anderes Buch als man dann zu lesen bekommt. Ein ganz anderes. Denn wieder einmal ist es Springenschmid gelungen, ein Buch zu schreiben, das auf den ersten Blick in keine der "vorgepassten" Erwartungen und "Schubladen" passt.

Kein normaler Kriegsroman


Und dennoch: Nachdem man es gelesen hat, weiß man, dass - letztlich - dennoch alle gehegten Erwartungen erfüllt worden sind. Nur eben auf eine ganz andere Weise als man es gedacht hatte.

Springenschmid hatte ja schon einen eher typischen Kriegs-Roman nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben: "Der Sepp - das Leben des Bergführers Sepp Innerkoflers". Innerkofler starb bei der Erstürmung eines schwer zugänglichen Gipfels seiner Heimat. Durch diesen Roman war Springenschmid als Schriftsteller überhaupt ab 1931 einem breiteren Lesepublikum bekannt geworden.

Aber man muss fast alle alle Bücher von Springenschmid lieben. (Vielleicht unter Ausnahme der "Sizilianischen Venus" [1959], zu der man - wenigstens bislang - keinen rechten Zugang finden konnte.) Jeder Springenschmid-Roman ist ein "echter" Springenschmid und überrascht auf's Neue. Aber hinterher weiß man wieder: Das, was aus diesem Roman spricht, spricht aus allen Romanen. Springenschmid schreibt sich tief in die Herzen seiner Leser hinein.

Auch etwa in "Der Jörg" (1980) oder in "Aktion Eisvogel" (1975) oder "Am Seil vom Stabeler Much" (1933), "Nove" (1951), "Das goldene Medaillon" (1952). Alles einzigartige Romane und einzigartige Roman-Erlebnisse. Oder auch in seinen Bänden mit Erzählungen: "Engel in Lederhosen" (1959), "Kleine Lebensbeichte" (1967), "Wieder ein Tiroler mehr" (1973), "Rundherum Abgrund" (1977).

"Costabella - Berg meiner Jugend" jedenfalls ist kein Kriegs-Roman. Es ist ein Roman über die Liebe. Über die Liebe zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau - und über beider Liebe zu den Bergen und zum Bergsteigen. Er handelt davon, wie sie sich, beides Salzburger - in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der niemand an Krieg dachte - auf einem Gipfel der Berchtesgadener Alpen, auf dem Hochkalter, kennen lernen. Aus dem schüchternen Kennenlernen wird eine Bergkameradschaft, eine Liebe. Gemeinsam erobern sie sich die Berge ihrer Heimat in immer neuen Bergfahrten.

Blutjung in den Krieg


Als sie bergfroh an einem Abend vom Großglockner herunterkommen, der bislang schwierigsten Tour ihres Bergsteiger-Lebens, erfahren sie auf der Hütte: Der Krieg ist ausgebrochen. Blutjung zieht Springenschmid in den Krieg. Aber eigentlich geht es ihm in diesem Roman nicht um den Krieg. Sondern um seine Liebe und um die Berge. Schließlich meldet er sich zu den Hochgebirgsjägern und hofft und erwartet, auf die Marmolata versetzt zu werden. Doch der Berg, auf den er versetzt wird, ist ein unbekannter, unauffälliger (damaliger) "Grenzberg" "neben" der Marmolata - die Costabella.

Seine neuen Kameraden sind ein buntes Gemisch von Menschen der Habsburger-Monarchie. Wer selbst einmal Militärdienst abgeleistet hat und die Rohheit solcher "Männergesellschaften" kennen gelernt hat, sobald Thema Nr. 1 angesprochen wird (Frauen), versteht fast jedes Wort der hier geschilderten Erinnerungen von Springenschmid. Aber wie gelingt es ihm, sich in dieser Umgebung seine Liebe zu erhalten - zu den Bergen, zu der liebsten Bergkameradin seines Lebens? Davon handelt dieser Roman. Davon allein. Denn nach einem weiteren Krieg weiß Springenschmid womöglich, dass es darum allein auch während des Ersten Weltkrieges schon für ihn gegangen war. Was nützen alle Heldentaten, wenn die Liebe verloren geht?

Durch Höhen und Tiefen wird der Leser geführt, eine Verwundung bringt Springenschmid in ein Lazarett in Bozen. Dort kann er sich mit seiner Freundin treffen und sie können unvergessliche Frühlingstage erleben. Zum Teil begleitet von einem eigentümlichen "Anstands-Wauwau", einer schwadronierenden Generals-Witwe. Dann die Rückkehr an die "Front aus Eis und Schnee", in Kälte, Nässe und Erbarmungslosigkeit. - Auf die Costabella. Nie wird der Leser diesen Berg vergessen. Springenschmid versinkt in monatelange Depressionen, schreibt nicht mehr an seine Freundin.

Schließlich werden Geräusche im Innern des Berges vernehmbar und Nachforschungen und Berechnungen ergeben: Am soundsovielten werden die italienischen "Alpini" diesen Gipfel in die Luft sprengen. Einer der vielen unsinnigen Haltebefehle dieses Krieges kommt aus dem Tal. Der Gipfel darf nicht geräumt werden. Springenschmid muss mit seinen Männern auf dem Gipfel ausharren. Es ist ein Himmelfahrtskommando. Plötzlich, auf dem Höhepunkt der Spannung wird er abgelöst ausgerechnet von jenem Kameraden, der immer versucht hatte, ihn, Springenschmid das Leben mies zu machen mit den dreckigsten "Weiber-Geschichten". Angeblich auf Befehl. Aber wie sich herausstellt - später - aus echter Freundschaft und Kameradschaft. Doch der Berg wird nicht gesprengt, weil die Italiener plötzlich, kurz vor der Sprengung Hals über Kopf abziehen müssen. Das ist der spannendste Teil des Romans.

Kriegsversehrt in die Nachkriegszeit hinein


Springenschmid kehrt mit verwundetem Knie in die Nachkriegszeit zurück und glaubt, nie wieder Berge besteigen zu können. Aber die Liebe hilft ihm.

Viele Menschen könnten diesen Roman kitschig finden. Aber das muss nicht die Meinung eines jeden Lesers sein. Wer einen solchen Roman kitschig finden kann, war - vielleicht - selbst noch nie in den Bergen, hat - vielleicht - selbst noch nie eine wirklich "große Liebe" erlebt. Oder er hat sich das Leben durch Ekel-Pakete miesmachen lassen wie sie heute zu Hundert-Tausenden herumlaufen. Ob beim Militär und anderswo. Die anderen aber - die wenigen, die seltenen - sie wissen es anders. Dieser Roman handelt - letztlich - von Idealen. Von echten Idealen. Und das heißt: Von echter, tiefst empfundener Liebe.

Noch ein paar Bemerkungen zu den hier anfangs eingestellten Fotos (aus: [2]). Man sollte meinen, die Kriegsfotos von Karl Springenschmid zeigen, dass dieser blutjunge Soldat tatsächlich heiß verliebt gewesen war, dass also sein "Roman" auch von innen heraus, sozusagen "historisch" wahr ist. Das reich bebilderte Buch verleitete einen, gleich noch weitere Bilder einzustellen. Springenschmid als späterer Lehrer und Puppenspieler. Er war Wandervogel. Springenschmid zusammen mit Luis Trenker. Springenschmid zusammen mit dem Dichter Josef Weinheber. Und zusammen mit seinem Freund, dem Dichter Karl Heinrich Waggerl (siehe sein "Servus Heiner"). Aber bevor dieser Blog mit irgendwelchen Urheberrechten in Konflikt kommt, hat er diese Abbildungen lieber wieder herausgenommen und durch eine einzige von Wikipedia ersetzt.
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  1. Springenschmid, Karl: Costabella, Berg meiner Jugend. Ein Roman aus den Dolomiten. Leopold Stocker Verlag, Graz, Stuttgart 1973
  2. Laserer, Wolfgang: Karl Springenschmid - Leben, Werke, Fotos, Dokumente. Biographie. H. Weishaupt Verlag, Graz 1987
  3. Ingo Springenschmid (1942-2016) spricht über seine Kindheit und seinen Vater Karl Springenschmid. In: "Im Porträt: Ingo Springenschmid", Vorarlberg-Museum, 2015, 1'54 bis 5'00, auf: https://youtu.be/1NdJGjClDtg?t=1m54s 

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