Donnerstag, 22. November 2007

"Das Judentum ist zur gänzlichen Vernichtung des Heidentums bestimmt."

Durchgeknallte neokonservative amerikanische Intellektuelle

Letztes Jahr starb in den USA ein führender neokonservativer Intellektueller, Milton Himmelfarb. Und seine Schwester Gertrude Himmelfarb hat schon dieses Jahr posthum eine Essay-Sammlung von ihm herausgebracht unter dem Titel "Jews and Gentiles". Es umfaßt vor allem Essay's, die seit vielen Jahrzehnten in der renommierten Zeitschrift "Commentary" unter der Herausgeberschaft von Norman Podhoretz erschienen sind. Dieses Buch wurde schon im April von David Gelernter, der beim konservativen "American Enterprise Institute" arbeitet, rezensiert. Die Rezension birgt allerhand Überraschungen. (AEI) Sein Urteil über dieses Buch gleich zu Beginn:
Should you happen to be a Jew or a Gentile, you will find it indispensable.
Also übersetzt:
Sollten Sie zufällig Jude oder Nichtjude sein, so werden Sie dieses Buch unentbehrlich finden.
Als gäbe es keine wichtigere Unterscheidung in der Welt als die zwischen Juden und Nichtjuden. Nun, für - manche - Juden offenbar auf jeden Fall. - Aber wer spricht denn hier eigentlich? Der nächste Satz stellt dann als geradezu selbstverständliche Tatsache hin, was in dem Buch "Israel-Lobby" von Mearsheimer und Walt gerade als heftig öffentlich umstritten - und kritikwürdig - erörtert wird (neuerdings sogar von Richard Dawkins in die öffentliche Diskussion eingebracht [siehe Michael Blume]):
Of the imposing, mostly Jewish, intellectuals who changed America forever by inventing neoconservatism (i.e., "new conservatism," progressive conservatism), Milton Himmelfarb was the one who cared first and most about religion--in particular, Judaism. Repeatedly, he described the mood of the moment with absorbing precision, but kept his eye fixed on politics and historical and religious truth.
Also übersetzt:
Von den eindrucksvollen, zumeist jüdischen Intellektuellen, die Amerika für immer umwandelten dadurch, daß sie den Neokonservatismus einführten (bzw. den "neuen Konservatismus", den fortschrittlichen Konservatismus), war Milton Himmelfarb derjenige, der zu allererst und am intensivsten Religion mitberücksichtigte - besonders die jüdische. Wiederholt beschrieb er das Tagesgeschehen mit erschöpfender Präzision. Aber er hielt sein Auge auf Politik und auf historische und religiöse Wahrheiten gerichtet.
"Die eindrucksvollen, zumeist jüdischen Intellektuellen ..."

Man höre genau hin, hier wird - wiederum ganz selbstverständlich - von "religiösen Wahrheiten" in Bezug auf das Judentum gesprochen. Weiter heißt es:
The essays here span nearly half a century, from 1949 through 1996--the time during which intellectuals took over America's universities, the universities took over American culture, and the left replaced the right as America's "Establishment" (a word that was far more popular in olden times when the Establishment was right-leaning and fun for professors to attack).
Offensichtlich ist doch der Autor der Rezension selbst Jude. Will er denn absichtlich provozieren, indem er die Thesen über die "Israel-Lobby" so schnodderig als selbstverständliches Schuljungen-Wissen voraussetzt?
Die Essay-Sammlung "Jews and Gentiles", so werden wir weiter von ihm belehrt, hat "ein Thema":

The rise of paganism in our times, and the fundamental, irreconcilable antagonism between paganism and Judaism. We must carefully distinguish (the author writes) between paganism and mere atheism. Paganism is a positive system of beliefs. Atheism dominated the "modern" age, but modernism collapsed in the turmoil of the late 1960s.

Das Thema ist also:
Der Aufstieg des Heidentums in unserer Zeit und die fundamentale, unversöhnliche Gegnerschaft zwischen dem Heidentum und dem Judentum. Wir müssen sorgfältig unterscheiden (so schreibt der Autor) zwischen Heidentum und bloßem Atheismus. Heidentum ist ein positives Glaubenssystem. Atheismus dominierte zwar das "moderne" Zeitalter. Aber diese Modernisierungsbewegung brach in den Unruhen der späten 1960er Jahre zusammen.
"Heidentum steht für Promiskuität, Not und Tod."

Der Atheismus brach schon in den späten 1960er Jahren zusammen? Merkwürdige These. Gerade damals kam er doch erst so richtig in Fahrt!? Weiter heißt es:

For Himmelfarb, paganism is the characteristic religion of today's elite--and it stands for promiscuity, misery, and death. He traces the taste for paganism to Enlightenment philosophes such as Diderot, to their 20th-century academic admirers, and to the psychotic sixties, when nature-worship and sexual promiscuity began to seem positively good and Christianity (and Judaism even more, to the extent anyone ever thought about it) began to seem evil.

Also:
Für Himmelfarb ist Heidentum die charakteristische Religion der heutigen Elite - und sie steht für Promiskuität, Not und Tod. Er führt die Vorliebe für das Heidentum auf die Philosophen der Aufklärung zurück wie Diderot und auf ihre Bewunderer im 20. Jahrhundert und auf die psychotischen 68er, als man begann, Natur-Anbetung und sexuelle Promiskuität als positiv anzusehen und das Christentum (und das Judentum noch mehr - in einem Ausmaß wie es niemand zuvor geglaubt hatte) als schlecht.
Zwischenfrage: Von welcher Elite ist denn jetzt die Rede? Doch nicht etwa jene, die mit Himmelfarb Amerika veränderte? Weiter heißt es:
Himmelfarb rottet beiläufig aber gründlich den letzten Splitter des Glaubens aus, daß Heidentum bewundernswürdig wäre.
Und das weitere ist einem viel zu dumm und geradezu absurd, als daß man es hier alles übersetzen möchte:

Himmelfarb casually but thoroughly annihilates to the last splinter the idea that paganism is admirable. Diderot admired pagan Tahiti, for example, which still (in the 21st century) strikes many people as romantic, exotic, and generally lovable. But a little research discloses that, in pagan Tahiti, an organized priesthood handled the worship of the "greater gods," who sometimes required human sacrifice; cannibalism was also on the menu, occasionally. Himmelfarb notes the bloodthirsty, "sick-making" entertainments staged in the amphitheaters of pagan Rome, a civilization much praised by Diderot and his Enlightenment colleagues. As for the Eastern spirituality sometimes admired by "soft-boiled modern pagans," as recently as 1968, India's prime minister saw fit to denounce the ritual murder of a 12-year-old boy to appease the gods at the outset of a large construction project. Bloodshed, says Himmelfarb, is "the piety of paganism."

Das absurde Allgemeinurteil lautet also:

(...) Blutvergießen, sagt Himmelfarb, ist "die Frömmigkeit des Heidentums".
"Das Judentum ist zur gänzlichen Vernichtung des Heidentums bestimmt."

Weiter heißt es in der Rezension:
Das Judentum ist der andere Teil seines Hauptthemas. Das Judentum ist zur gänzlichen Zerstörung des Heidentums bestimmt.
Im Originaltext wird dieser archaische, ganz und gar alttestamentarisch anmutende Satz im weiteren irgendwie eingeschränkt:
Judaism is the other part of his main topic. Judaism is dedicated to paganism's utter destruction. (Even though--Himmelfarb never neglects a nuance--the prophet Micah said, "For let the peoples walk each in the name of its god, but we will walk in the name of the Lord our God for ever and ever." "Sometimes I like to think," Himmelfarb writes, "that maybe [the rabbis] had a quiet weakness for pluralism.")
Also:
(Obwohl - Himmelfarb verneint niemals diese Nuance - der Prophet Micha sagte: "Laßt die Völker jedes im Namen seines Gottes leben wir werden stattdessen im Namen des Herrn, unseres Gottes für immer und ewig leben." "Manchmal möchte ich glauben," so schreibt Himmelfarb, "daß die Rabbiner eine stille Schwäche für Pluralismus hatten.")
Hört man denn hier ganz richtig ein ... zynisches Lächeln über ... "Pluralismus", religiösen Pluralismus ... heraus? Die "stille Schwäche für Pluralismus" wird nur in Klammer gesetzt aber als Hauptaufgabe des Judentums hier in der Welt wird - ganz und gar im wortwörtlichen Sinne des Alten Testamentes bestimmt: die gänzliche Zerstörung des Heidentums. Man sollte das doch festhalten. Was führende amerikanische Konservative zu äußern fähig sind am Beginn des 21. Jahrhunderts. Sollen hier nur in zynischer Weise einige Klischees bedient werden? Oder gleich alle auf einmal?

(Religiöser) Pluralismus - ja oder nein, das ist hier die Frage ...

Sodann wird - das soll hier nur kurz erwähnt werden - die Unterscheidung von Judentum und Christentum behandelt. Das Judentum würde kaum eine Hölle kennen und sei darum weniger "rachsüchtig" als das Christentum. Liest man genau, so erfährt man: Das Judentum kennt nur für Juden selbst keine Rache von Gottes Seite. Aber diese Absätze seien hier übergangen. Es ist 'eh alles schon absurd und archaisch genug. Angesehene, neokonservative Intellektuelle in den USA schreiben so etwas? - Weiter heißt es dann:

Yet Himmelfarb is careful to note that only paganism, and never Christianity, could have sponsored the Holocaust: "If one sentence could summarize Church law and practice over many centuries, it is this: the Jews are allowed to live, but not too well." This sentence is worth a couple of academic monographs and a journal paper all by itself.

Also, das Christentum kann am Holocaust nicht schuld sein, da ein Grundsatz des kirchlichen Rechtes und der kirchlichen Praxis über viele Jahrhunderte hin gelautet hätte: es ist den Juden erlaubt zu leben - aber nicht zu gut. Dieser Satz wäre eine ganze Reihe von akademischen Monographien und Zeitschriftenartikeln für sich selbst wert, so Gelernter.

Bleibt also nur das Heidentum, das am Holocaust schuld ist. Von anderen Menschheitsverbrechen muß bei dem Thema "Jews and Gentiles" ja sowieso nicht die Rede sein. (... Oder wäre nicht auch Juri Slezkine zu behandeln?) Von dem Essay über Hitler als die Ursache des Holocaust ist Gelernter dann auch nicht so recht befriedigt:

We don't hear enough about General Erich Ludendorff's anti-Christian views and Teutonic paganism. We do learn that Hitler "scorned Judaism and Christianity not like Ludendorff the Teutonizer but like Voltaire the Enlightener." But no explanation follows. There are Hitler pronouncements that support this claim (although Himmelfarb doesn't cite them); there are also pronouncements that suggest other wise--and there is the Wagner cult Hitler belonged to, the pseudo-Teutonic rites and ceremonies he loved. Himmelfarb emphasizes that the Holocaust was a pagan and not Christian phenomenon, but doesn't tell us nearly enough about Germany's paganism or Hitler's.

Übersetzt:

Wir hören nicht genug über Erich Ludendorffs antichristliche Ansichten und teutonisches Heidentum. Wie lernen, daß Hitler "das Judentum und das Christentum verachtete nicht wie Ludendorff, der Teutonisierer, sondern wie Voltaire, der Aufklärer." Aber keine Erklärung folgt. Es gibt Äußerungen von Hitler, die diese Behauptung stützen (obwohl Himmelfarb sie nicht zitiert), aber es gibt auch Äußerungen, die anderes nahelegen - und da gibt es den Wagner-Kult, dem Hitler anhing, die pseudo-teutonischen Riten und Zeremonien, die er liebte. Himmelfarb betont, daß der Holocaust ein heidnisches und nicht ein christliches Phänomen war aber er sagt uns nahezu nichts über Deutschlands Heidentum oder über das Hitlers.

Eben war noch geradezu selbstverständlich das Judentum "zur gänzlichen Vernichtung des Heidentums bestimmt" angesprochen worden (wobei offen geblieben war, mit welchen Mitteln diese Vernichtung vorangetrieben werden sollte - doch nicht etwa mit Auslands-Einsätzen amerikanischer Soldaten?), und dann macht man sich Gedanken darüber, aus welchen Gründen Antisemiten im Deutschland der 1930er Jahre "Vernichtungs-Absichten" gehegt hätten.

Keine sehr schöne gedankliche Welt jedenfalls, in der da führende amerikanische Konservative zu leben scheinen.

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