Montag, 11. Juni 2007

Moderne Familienpolitik

Dritter Beitrag in der Reihe "Warum Erziehungsgehalt?"

Wenn man die gegenwärtigen familienpolitischen Diskussionen verfolgt (s. voriger Beitrag: St. gen.), sowohl ministerielle Vorschläge wie Kommentare dazu in der Politik und in der Presse, so scheinen sie wenig von einem vernünftigen, zu Ende gedachten familienpolitischem Raisonement getragen und geleitet zu sein. Es wird deutlich, daß dringend Notwendigkeit besteht, daß unsere Gesellschaft einige Basis- und Leit-Gedanken zu den Themen

leistungsgerechte Bezahlung der Kinder- und Altenbetreuung innerhalb
der Familien entsprechend der Bezahlung gleicher Leistungen
außerhalb der Familien

und damit verbundene Themen wie Kinderrente, Familienlastenausgleich, Familienleistungsausgleich, Drei-Generationen-Vertrag, allgemeine Verteilungsgerechtigkeit, Umverteilung des wirtschaftlichen Reichtums im Tertiärisierungsprozeß unserer Gesellschaft, Generationengerechtigkeit erörtert und zu Ende denkt.

Das folgende - selten erörterte - Prinzip scheint als Ausgangspunkt notwendigerweise gewählt werden zu müssen: Jeder heranwachsende Mensch muß neben einer Berufsausbildung, also neben Fachkompetenzen Daseinskompetenzen erwerben. Denn jeder Mensch hat soziale Verantwortung sich selbst, seinen Mitmenschen, vor allem aber der hilfebedürftigeren älteren und jungen Generation gegenüber. Das können als eigene Kinder oder Eltern sein. Das können aber auch Kinder und ältere Menschen in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis sein. Das betrifft auch nicht nur Kompetenzen in Hinsicht auf Krankheit und Hilfebedürftigkeit, sondern in Hinsicht auf umfassende Hilfestellungen bei der Bewältigung des Lebensalltags, was auch bis hin zur Bewältigung grundlegender gesellschaftlicher Probleme reicht (gesellschaftliches Engagement).

Daseinskompetenzen werden den Kindern von den eigenen Eltern, den Großeltern und der Verwandtschaft, sowie den Freunden der Eltern ganz ebenso vermittelt wie im öffentlichen Betreuungs- und Bildungssystem. Dieses Erwerben von qualifizierten Daseinskompetenzen muß dem bislang schon üblichen Erwerben von Fachkompetenzen in einer Berufsausbildung notwendigerweise arbeitsrechtlich 100 % gleichgestellt werden.

Ein auf diese Weise ausgebildeter Vater, eine auf diese Weise ausgebildete Mutter, sowie auf diese Weise ausgebildete Söhne und Töchter von älteren Menschen, haben Anspruch auf leistungsgerechte Vergütung der von ihnen erbrachten Betreuungsleistungen - vollkommen gleichgestellt den sozialen Berufen in Altersheimen, Kindergärten, in psychologischen Praxen, in Wellness-Farmen und in den Berufen der Sozialarbeit. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die persönliche Betreuung und Beratung durch die eigenen Verwandten und Ehepartner sicherlich den primären Stellenwert hat (so wie das im Grundgesetz festgelegt ist), und daß die Betreuung durch Pflege- und Beratungspersonal in außerhäuslichen Betreuungseinrichtungen dazu immer nur Hilfestellungen geben kann und wird. Außerhäusliche Hilfestellungen können immer nur ergänzend wirken. Die Basis aller Humanität in einer Gesellschaft ist selbstverständlich die Eltern-Kind-Beziehung, ist die Familie. Jede Familie besitzt allein schon aufgrund der in ihr angesammelten Lebenserfahrung einen ganz geballten Vorrat an Daseinskompetenzen, die ja im Normalfall auch zu "psychischer Beratung" und zur Entspannung aller Familienmitglieder durch alle anderen befähigen.

Familien sind "Wellness-Farmen" - und viele andere mehr


Wenn dieses Prinzip sichergestellt ist, dann ist ganz eindeutig klar, daß die Arbeit, die von erwachsenen Menschen in familiären Zusammenhängen geleistet wird, und die in ihrer Effektivität und Humanität in den meisten Fällen erheblich über jene Arbeit hinausgeht, die außerhäusliche Psychologen, Wellness-Farmen und Selbsthilfegruppen leisten können, ganz genauso bezahlt werden muß, wie die Arbeit, die in den genannten außerhäuslichen Betreuungs- und Regenerierungs-Zusammenhängen geleistet wird. Sonst kommt es doch zu der grotesken Situation, daß eine Mutter mit fünf Kindern, wenn sie ihre Kinder und ihre Eltern in außerhäusliche Betreuung gibt und selbst arbeiten geht (vielleicht sogar auch wiederum in einem sozialen Beruf), daß sie dann mehr Geld verdient, als wenn sie eine wesentlich effektivere Tätigkeit, die für alle Beteiligten weitaus bekömmlicher ist, innerhalb der Familie leistet. Meinethalben soll man ihr diese Alternative eröffnen. Aber dann soll zugleich sichergestellt sein, daß beide Alternativen finanziell vollkommen gleichwertig sind.

Dafür genau genau hat eine moderne, verfassungskonforme Familienpolitik zu sorgen. Kinder bekommen - und betreuen - die Leute eben nicht von allein. Und alte Leute betreuen die Leute auch nicht von allein. Auch da wollen sie dafür bezahlt werden. Und regenerieren können sich Menschen - oft - auch nicht von allein.

Der wichtige Fünfte Familienbericht von 1994


Die bis hier geäußerten Grundgedanken bilden klar, eindeutig und unmißverständlich die gedanklichen Grundlagen der Thesen und Forderungen "5. Familienberichts der Bundesrepublik Deutschland" von 1994 (1), der unter der Federführung der Haushaltswissenschaftlerin Professor Rosemarie von Schweitzer, sowie unter anderem der Mitarbeit der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Heinz Lampert und Professor Franz Xaver Kaufmann erstellt worden ist. Es kommt gerade auf diese Kombination von haushaltswissenschaftlichen, sowie sozial- und wirtschaftswissenschaftlichem Wissen an, also auf breite interdisziplinäre Verflechtung, die moderne Familienpolitik zu vernünftigen Prämissen, Einsichten, Ergebnissen und Schlußfolgerungen kommen läßt.

Der Untertitel 5. Familienberichts lautete "Zukunft des Humanvermögens". Dabei war nicht nur angesprochen das rein biologische Nachwachsen einer neuen Generation, sondern vor allem auch das humane (biologische) Nachwachsen einer neuen Generation, der humane Umgang aller Generationen miteinander, der eben primär in Familien stattfindet, der also primär durch die Familienarbeit der auf der Höhe ihrer Lebenskraft stehenden erwachsenen Mütter und Väter sichergestellt wird. Diese halten die Netzwerke aufrecht innerhalb der Kernfamilie und über diese hinaus.

Es war im "5. Familienbericht" gefordert worden, daß in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung das Humanvermögen, daß Familien bislang der bundesdeutschen Wirtschaft weitgehend kostenfrei zur Verfügung stellen (damals geschätzte 800.000 DM für eine 18-jährige Herangewachsene nach dem damaligen Stundenlohn einer Kindergärtnerin ) (1, S. 291), daß dieses Humanvermögen von der bundesdeutschen Wirtschaft auch aufzubringen sei und auszuzahlen sei an jene, die es leistungsmäßig "erwirtschaftet" haben.

Konrad Adenauer hat, ausgehend von einer für die moderne Gesellschaft völlig falschen Grundannahme, "Kinder würden die Leute von alleine bekommen", nur einen Zwei-Generationenvertrag abgeschlossen, nicht den von den damaligen Fachleuten (Wilfried Schreiber [1904 - 1975], Foto rechts) geforderten und vorgeschlagenen Drei-Generationen-Vertrag. Die leistungsgerechte Bezahlung der Kinderbetreuung und Altenbetreuung innerhalb der Familien entsprechend der Bezahlung gleicher Leistungen außerhalb der Familien ist also weder von der Regierung Adenauer, noch von einer ihrer Nachfolgeregierungen jemals auch nur ansatzweise durchgesetzt worden.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1990 in zwei Urteilen festgestellt, "daß die Familienbesteuerung jahrelang nicht verfassungskonform war. (...) Die Familien haben jahrelang Milliardenbeträge zu viel an Steuern abgeführt," so referierte Heinz Lampert im 5. Familienbericht von 1994. Und er schreibt weiter: "So ist wohl auch der Hinweis des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, zu verstehen, der in bezug auf die erwähnten Verfassungsgerichtsurteile meinte: 'Es gibt viele objektive Betrachter, die davon ausgehen, daß der Familienlastenausgleich schon seit Jahrzehnten seinen Funktionen nicht mehr gerecht wird. Ich (...) füge hinzu, daß das Bundesverfassungsgericht naturgemäß nur die untersten Grenzen des gerade noch Akzeptablen durchsetzen kann. Die Tatsache, daß eine Regelung gerade noch verfassungsmäßig ist, bedeutet noch lange nicht, daß sie deshalb auch ausreichend oder gar richtig ist." (1, S. 289f)

Da auch die derzeitige Regierung auf diesem Gebiet - offenbar - nicht tatkräftig voranschreiten will, will sie nun massiv die außerhäusliche Betreuung von Kindern fördern. Die Menschen sollen also immer weniger im Familienverband leben und ihre Humanität entfalten, sondern in unpersönlicheren außerhäuslichen Betreuungseinrichtungen. Welche Art von humanen Grundeinstellungen hinter solchen Grundgedanken stehen, ist schwer nachzuvollziehen. Es ist damit oft - nach neueren Presseberichten - eine grundsätzliche Diffamierung und Abwertung elterlicher Erziehungsarbeit verbunden, die geradezu ungeheuerlich ist (siehe frühere Beiträge). Als wäre die Lösung aller sozialen und sozialpsychologischen Probleme in der heutigen Zeit die Kinderkrippe, obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gibt, daß die Kinderkrippe nicht Teil der Lösung, sondern Teil der Verschlimmerung der Probleme ist.

Man will auf diese Weise unter anderem sozial Benachteiligte, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben (Alleinerziehende, Labile) Hilfen zur Integration in unsere Gesellschaft geben. - Ist das der richtige Weg? Wäre es nicht vernünftiger, die Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft zu verändern. Das könnte damit anfangen, daß ab jetzt Seelenverschmutzung durch Medien in der gleichen Weise unter Strafe gestellt werden wie Umweltverschmutzung. Denn es ist doch ganz klar offensichtlich, daß der freie Zugang zu jeder Art von Seelenverschmutzung außerordentlich stark zu jeder Art von sozialer Verwahrlosung beiträgt, bzw. sie vergrößert.

Denken auf der Linie von Mackenroth und Schreiber


Es ist geradezu grotesk, wenn man glaubt, die Humanität einer Gesellschaft primär und vor allem durch Krippenbetreuung sicherstellen zu können. Die Humanität einer Gesellschaft hat sich immer nur in Familien und aus dem in ihnen stattfindenden menschlichen Umgang aller Generationen miteinander herausgebildet. Heutige Mißstände ergeben sich daraus, daß die Jugendgefährdung, also die Rahmenbedingungen familiären Lebens in weiten Teilen durch die staatlichen Behörden nicht rigoros genug eingedämmt wird. Das verunmöglicht in vielen Fällen das Erwerben oder Anwenden von Daseinskompetenzen. Auch "Sozialarbeit", die ja glücklicherweise sehr gefördert wird - und noch mehr gefördert werden muß, vor allem in sozial gefährdeten Familien - kann außerhalb der Familien immer nur ergänzend wirken. Die Familie ist unersetzbar. Primär sollten die Menschen befähigt werden, alle zum Aufziehen notwendigen Leistungen auch innerhalb der Familie selbst erbringen zu können.

Da all diese Dinge gegenwärtig in der Politik und den Medien geradezu unglaublich naiv, hilflos, "unkompetent" erörtert werden, halte ich es für notwendig, daß man diese Dinge verstärkt und konsequent erörtert und klar legt. Wichtige Namen und damit verbundene Grundgedanken, von denen immer ausgegangen werden muß, sind zunächst die folgenden:
  • Gerhard Mackenroth ("Mackenroth-These" von 1952)
  • Wilfried Schreiber (1904 - 1975) (1. Foto rechts) ("Schreiber-Plan" von 1957)
  • Rosemarie von Schweitzer ("5. Familienbericht der Bundesrepublik Deutschland" von 1994)
  • Franz Xaver Kaufmann ("5. Familienbericht der Bundesrepublik Deutschland" von 1994)
  • Heinz Lampert (* 1930) ("5. Familienbericht der Bundesrepublik Deutschland" von 1994)

Ich suche derzeit noch nach Literatur und Personen, die auf dieser Linie heute weiter argumentieren und diese Linie des Denkens auf den aktuellen Stand heute anwenden. (siehe z.B. auch: 2)

/Zum nächsten Beitrag in der Reihe "Warum Erziehungsgehalt?" ---> hier./
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  1. von Schweitzer, Rosemarie: Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Fünfter Familienbericht. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/7560, 1994
  2. Manzke, Bernhard: Kinderlastenausgleich versus verstärkte Einwanderung. Alternative Ansätze zur langfristigen Sicherung der Gesetzlichen Rentenversicherung. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main [u.a.] 1997 (Finanzwissenschaftliche Schriften 79, Diss. Uni Jena 1996)

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