Freitag, 30. März 2007

"Für Großdeutschland - gegen den großen Krieg"

Der Zeithistoriker Rainer A. Blasius, der die schätzenswerte Studie "Für Großdeutschland - gegen den großen Krieg" über die Rolle und Politik Ernst von Weizsäckers, des ersten Staatssekretärs im deutschen Auswärtigen Amt um 1939, verfaßt hat, und der zugleich ein Kenner der britischen Deutschlandpolitik während des Zweiten Weltkrieges ist, beklagt in der Rezension einer neuen Doktorarbeit zum Thema Ernst von Weizsäcker die geringe Zugänglichkeit des Nachlasses von Ernst von Weizsäcker und seines Schweizer Freundes Carl Burckhardt für die derzeitige Forschung (FAZ):

... Bemüht hat sich der junge Zeithistoriker - wie sich das gehört - um "Einblick" in den in Basel lagernden Briefwechsel zwischen dem 1974 verstorbenen Burckhardt und dem 1951 verstorbenen Weizsäcker. Dies verwehrte ihm Ulrich Schlie als "Präsident des Kuratoriums" mit der Begründung, dass sich Burckhardts Nachlass "immer noch im Prozess der Klassifizierung" befinde und "das gegenwärtige Stadium noch keine Benutzung in größerem Umfang" erlaube. Eine weitere Absage erhielt Schwarz dann für die zu Lebzeiten der Weizsäcker-Witwe bei ihr in Lindau noch zugänglichen und mittlerweile auch mikroverfilmt im Bundesarchiv in Koblenz verwahrten Papiere des Staatssekretärs - und zwar vom Büro des Diplomaten-Sohnes und Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker: "Das Schriftgut von Ernst von Weizsäcker als deutscher Missionschef in Bern umfasst auch umfangreiche vertrauliche private Familienkorrespondenzen, die sich nicht von dem dienstlichen trennen lassen und auch nicht eingrenzbar sind." ...

Wenn es offenbar der Ehefrau von Ernst von Weizsäcker nicht "zu privat" war - warum dann plötzlich ihrem Sohn? - Am Rande bemerkt: Hochinteressant ist übrigens auch die langjährige Liebe des deutschen Nobelpreisträgers Werner Heisenberg zu der ältesten Tochter der Weizsäckers, Adelheid von Weizsäcker, die erst neuerdings durch die Veröffentlichung seiner Briefe an seine Eltern bekannt wurde. Sie gibt einen ganz neuen Blick auf das Innenleben Heisenbergs frei, einen zum Teil überraschend offenen Blick. Diese langjährige Liebe war wohl auch einer der Gründe für die enge Freundschaft zwischen Heisenberg und ihrem Bruder, dem späteren "Philosophen der Physik" Carl-Friedrich von Weizsäcker. Für Heisenberg war das Verhältnis zu vertrauten, nahestehenden Menschen ein sehr wichtiges in seinem Leben.

Zum Schluß ein weniger bekanntes Foto von Ernst von Weizsäcker von 1947.

Wunder Muttermilch

Alleiniges Stillen mit Muttermilch senkt in Südafrika die Ansteckungs-Wahrscheinlichkeit für HIV/Aids um das - - - elffache! ("Die Welt")

... An der Studie nahmen in KwaZulu-Natal, Südafrikas am stärksten von Aids betroffener Provinz, über drei Monate 1372 Kinder teil. Dabei befanden sich 83 Prozent in der Muttermilchgruppe; von ihnen wurden lediglich vier Prozent mit HIV infiziert. Zudem zeigte sich eine insgesamt geringere Sterblichkeit bei den Kindern, die nur die Brust erhielten. Sie lag bei 6,1 Prozent, während sie bei ausschließlich mit Ersatz-Nahrung gefütterten Kindern 15,1 Prozent betrug. (...) Eine Vermutung sei, dass fremde Proteine in künstlicher Baby-Nahrung die Angreifbarkeit von Kindern für den HI-Virus erhöhten.

Alternativen zum Monotheismus ...

"... Ist Gott ein Auslaufmodell? – Ja, meint Michael Schmidt-Salomon, Leiter der Giordano-Bruno-Stiftung. Das Projekt der Aufklärung muss vollendet und gegen seine Feinde verteidigt werden. Er fordert deshalb eine alternative politische Leitkultur, die nicht auf alten Mythen beruht, sondern auf die besten Traditionen von Wissenschaft, Philosophie und Kunst zurückgreift. ..."

(Siehe hier und hier und hier.) Handelt es sich hier um eine "Wiederauferstehung des Atheismus", bloß um seine weitere Verstärkung - oder doch letztlich um etwas ganz anderes? "Wissenschaft, Philosophie und Kunst" kann man auf ganz verschiedene Art und Weise betreiben und aus ganz verschiedenartigen Antrieben heraus.

Dienerin am norwegischen Königshof stammte aus Kleinasien

Die Dienerin der Großmutter von Harald Schönhaar, dem ersten König von Norwegen (852 - 933), stammte wahrscheinlich von weit her, nämlich aus einer Region in der heutigen Türkei oder dem Irak. So eine neue Studie, die DNS aus einem ihrer Zähne untersuchte. (Siehe hier und hier.)

Es handelt sich um die beiden Frauen, die im berühmten Oseberg-Schiff begraben wurden, das 1904 ausgegraben wurde und auf das Jahr 834 datiert wird. Die ältere war bei ihrem Tod um die 80 Jahre alt und es wird vermutet, daß es sich bei ihr um Königin Asa, die Großmutter von Harald Schönhaar, handelte. Die jüngere war bei ihrem Tod etwa 50 Jahre alt und es wird vermutet, daß es sich um ihre Dienerin handelte, die beim Tod der älteren auch freiwillig oder gedrängt ihrer Königin in den Tod nachfolgte.


Krippen- und Kindergartenkinder - bisher umfassendste Studie veröffentlicht

In der heutigen "Welt" berichtet Brigitta vom Lehn über eine neue wichtige Studie und interviet dazu den leitenden Forscher. Wenn man manchmal mitbekommt, wie naiv (wenn nicht schlimmer) heute von dem "durchschnittlichen Bürger auf der Straße" Krippenbetreuung beurteilt wird, dann wird man sagen können, daß auch auf diesem Gebiet der "gesunde Menschenverstand" und das sogenannte "gesunde Volksempfinden" längst abhanden gekommen sind. Da wird die These vertreten, es wäre gut, wenn Kinder so früh wie möglich lernen würden, sich unter Alterskameraden durchzusetzen und vieles andere mehr. - "Zurück zur Natur" oder zu einigermaßen humanen Einstellungen kommt man auch hier wieder nur - - - durch die Wissenschaft (die "atheistische", "naturalistische" ...).

... Für weiteren Zündstoff in der Kita-Debatte dürfte das Ergebnis einer neuen amerikanischen Langzeitstudie zur Kinderbetreuung sorgen. Die zwei Millionen Dollar teure Untersuchung trägt den Titel „Are There Long-Term Effects of Early Child Care?” und gilt als die größte, umfassendste und am längsten angelegte Untersuchung zur Kinderbetreuung in den USA. Finanziert hat sie das staatliche National Institute of Child Health and Human Development, veröffentlicht hat sie das Fachblatt „Child Development“ in seiner aktuellen Ausgabe. Das Pikante an der Sache: An der Studie sind Forscher der so genannten NICHD-Studie (National Investigation on Child Development) beteiligt, die der Kita-Betreuung bislang weitgehende Unbedenklichkeit bescheinigt hatte. Krippenbefürworter hatten sich in jüngster Vergangenheit immer wieder auf die NICHD-Studie berufen. Ihnen liefert die neue Studie nun kein Futter mehr, Krippengegner dürften dagegen Aufwind verspüren.

Denn der neuen Untersuchung zufolge entwickeln sich Kinder, die schon früh in Kindertagesstätten aufwachsen, später in der Schule eher zu Störenfrieden und Unruhestiftern als Kinder, die daheim von Eltern, Tagesmüttern oder Kinderfrauen betreut werden. Und zwar unabhängig von der Qualität der Kita.

Das britisch-amerikanische Forscherteam unter Federführung des Londoner Psychologieprofessors Jay Belsky startete mit seiner Studie im Jahr 1991 und untersuchte insgesamt 1364 amerikanische Kinder aus Familien unterschiedlicher sozialer Herkunft von Geburt an. Die Wissenschaftler befragten in regelmäßigen Abständen nach der Betreuung und Versorgung der Kinder und baten später auch Lehrer um deren Beurteilung. Dabei hielten sie sich an Checklisten mit 100 unterschiedlichen problematischen Verhaltensweisen, zum Beispiel: „verlangt eine große Menge Aufmerksamkeit; streitet sich viel; Aufschneiden und Prahlen; zerstört Sachen, die anderen gehören; Grausamkeit, Schikanieren von anderen, Gemeinheiten gegenüber anderen; ungehorsam in der Schule; wird in viele Kämpfe hineingezogen; Lügen und Betrügen; schreit oft“.

Bei Kindern, die längere Zeit in der Kita verbrachten, wurden später vor allem aggressiveres Verhalten, Probleme mit Ungehorsam und die Verstrickung in Kämpfe und Streitigkeiten beobachtet. Allerdings, so betonen die Forscher, liegen diese Probleme durchaus im normalen Bereich und könnten nicht als „klinisch“ klassifiziert werden.

Mit jedem Jahr, das ein Kind mindestens zehn Stunden pro Woche in einer Kita verbracht hat, steigt dessen Aufsässigkeit später in der Schule um rund ein Prozent. Auch besitzen Kinder, die eine längere Zeit in Kitas verbringen – zum Beispiel vom dritten Lebensmonat an bis zu viereinhalb Jahren – einen deutlich geringeren Wortschatz in der fünften Klasse als Nicht-Kita-Kinder. Dies überraschte die Autoren deshalb, weil ältere Analysen der NICHD-Studie aus den Jahren 2005 und 2006 diesen Effekt nicht gezeigt hatten. Andererseits entwickeln Kinder, die eine hochwertige Betreuung erfahren haben, ganz gleich ob zuhause bei Kinderfrauen, Tagesmüttern oder außerhäuslich in der Kita, mindestens bis zur fünften Klasse einen größeren Wortschatz. Ebenso sind sie anfangs im Lesen und Rechnen besser, allerdings nivelliert sich der Unterschied schon in der ersten Klasse und ist in der fünften kaum noch messbar.

Den größten Einfluss auf die kindliche Entwicklung, sowohl was kognitive wie soziale Fähigkeiten betrifft, hat jedoch der Studie zufolge die elterliche Erziehung – und zwar mehr noch als die außerhäusliche Qualität der Kindertagespflege. Hochwertige elterliche Erziehung wirke sich positiv aufs Lesen, Schreiben und Rechnen aus, führe zu weniger Lehrer-Schüler-Konflikten und erzeuge ein positives Sozial- und Arbeitsverhalten, schreiben die Wissenschaftler. Sie planen nun, die Schüler weiter zu beobachten, zum Teil bis über den Schulabschluss hinaus. Die Studie berichtet, dass im Jahr 1999 in den USA 9,8 Millionen Kinder unter fünf Jahren für 40 und mehr Stunden wöchentlich in der Kita betreut wurden, viele schon im ersten Lebensjahr. Entsprechend heiß wird auch in den Vereinigten Staaten seit den 80er Jahren die Debatte um die Kinderbetreuung geführt.

Link zur Studie: http://secc.rti.org/

Hier eine übersicht der an der Studie beteiligten Einrichtungen:


Und hier das kurze Interview:

WELT ONLINE: Herr Belsky, welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihren Forschungsergebnissen?

Jay Belsky: Für mich stellt sich die Hauptfrage, wie diese geringfügigen Unterschiede sich später in Klassenzimmern, in Nachbarschaften und in der Gesellschaft insgesamt auswirken, wenn immer mehr Kinder immer früher immer mehr Zeit in Kindertagesstätten und anderen Formen der Kinderbetreuung verbringen, vor allem wenn die Qualität dieser Einrichtungen auch noch begrenzt ist. Verbringen die Lehrer in der Schule dann mehr Zeit damit, die Klassen zu managen statt sie zu unterrichten? Wird das Niveau der Klassen dadurch heruntergezogen, dass jene Schüler eine besondere Zuwendung brauchen, die als Kleinkinder eine schlechte Betreuung erfahren haben?

WELT ONLINE: Bis zu welchem Alter sollten Eltern ihre Kinder denn selbst betreuen?

Belsky: Es ist nicht möglich, ein bestimmtes Alter zu benennen. Unsere Daten zeigen aber, dass je länger – bezogen auf Monate und Jahre – Kinder in Kindertagesstätten verbringen, desto aggressiver und aufsässiger werden sie.

WELT ONLINE: Was ist der Grund für die später auftretenden unterschiedlichen Verhaltensweisen von zuhause und fremd betreuten Kindern?

Belsky: Der positive Effekt der häuslichen Erziehung trat auch auf bei Kindern, die nicht von ihren Eltern betreut wurden. Wir vermuten daher, dass es etwas mit Prozessen zu tun hat, die beim Zusammensein mit Gleichaltrigen eine Rolle spielen. Bewiesen ist das noch nicht. Klar ist aber, dass es nicht – wie lange vermutet – allein an der minderen Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen liegt.

Im Interview betont Belsky also, daß all das auch nichts mit der Qualität der Krippen und Kindergärten zu tun hätte, über die derzeit gerade wieder viel palavert wird, um die Gewissen allseits zu beschwichtigen (es wird künftig "natürlich" immer nur die aller höchste Qualität sein - nur Betreuuerinnen und Betreuer mit Hochschulabschluß, Promotion und eingereichter Habilitation werden künftig noch auf die kleinen Kinder "losgelassen"!!!) ...

Dienstag, 27. März 2007

Philosophie auf Focus Online

Focus Online hat eine schöne kleine Einführung in die Geschichte der Philosophie - in elf kurzen Abschnitten. Hier ein Auszug über den jüdischen Philosophen Spinoza, der viele Gedanken Giordano Bruno's weiterdachte (also zumeist nicht jener "erste" war, als der er hier angesprochen wird):

"... Spinoza wagte als Erster eine historisch-kritische Betrachtungsweise der Bibel. Ihr Inhalt dürfe nicht wörtlich verstanden werden. Er zeichnete das Bild eines unpersönlichen Gottes, der sich in allem Wirklichen offenbare.

Spinoza setzte zwischen Gott und der Natur ein Gleichheitszeichen: „Wenn man sagt, ein Ding ist, so redet man unangemessen. Eigentlich müsste man sagen: in der Weise, wie dieses Ding mir erscheint, erscheint mir Gott, mir nämlich, der ich selber ein Gedanke Gottes bin. Denn Gott ist alles in allem, er ist in allem Wirklichen, in den Dingen wie im Menschen anwesend.“

Allerdings sind die Dinge und die menschlichen Geister seiner Meinung nach keine selbstständigen Substanzen: „Gott allein ist die eine und einzige Substanz; Dinge und menschliche Geister sind nur Modi dieser einen Substanz.“ ..."

"Blutsbrüderschaft" - bei Affen erhöht sie tatsächlich kooperatives Verhalten

Immer wieder geschieht es, daß alte "mythologische" Rituale, Lehren, Geschichten vor dem Hintergrund modernster wissenschaftlicher Erkenntisse eine ganz neue, vertiefte Bedeutung erhalten, statt sich als "bloß" lächerlicher "Humbug" herauszustellen.

Laut einem neuen "Spiegel"-Artikel nehmen Forscher an, daß eine bei einer südamerikanischen Krallenaffen-Art im Mutterleib hervorgerufene "Blutsbrüderschaft" von Zwillingsgeschwistern, die sich hier sogar nicht nur auf Blutkörperchen, sondern auch auf andere Körperzellen, ja sogar Geschlechtszellen bezieht, sich deshalb in der Evolution hat halten können, weil sie das kooperative Verhalten in der Gruppe vergrößert. Männchen kümmern sich hier nicht nur um eigenen Nachwuchs, sondern auch um den von Brüdern.

- Eine, wie ich finde, ganz und gar überraschende Einsicht oder These! Natürlich: Menschliche "Blutsbrüderschaft" bezieht sich "nur" auf Blutkörperchen. Aber irgendwie ist man doch merkwürdig berührt von dieser neuen Erkenntnis.

Auch erinnert einen das an die These eines Soziobiologen, der die Sitte des "wife-sharing" bei den Inuit erforscht hat, und der vermutet, daß der durch diese Sitte erhöhte durchschnittliche genetische Verwandtschafts-Grad in der Gruppe ebenfalls die so notwendige Kooperation erhöht in der lebensfeindlichen Umwelt der Arktis und deshalb dort "evolutionsstabil" ist.

Krallenaffen: Männchen kümmern sich um Nachwuchs der ganzen Sippe

Steven Pinker, "The New Republic" und die Gewalt in der Menschheitsgeschichte

Steven Pinker, von dem für September eine Buchneuerscheinung angekündigt ist, ist Stammautor des amerikanischen "neoliberalen" Magazins "The New Republic", vormals "das" "Flagschiff" der amerikanischen Linken.

Zunächst einmal zu dieser Zeitschrift, denn ihre Geschichte ist, wie man bei Wikipedia sehen kann, auch interessant. Sie wurde unter anderem von Walter Lippmann begründet, jenem einflußreichen amerikanischen Journalisten und Präsidenten-Berater, der kurz nach dem Ersten Weltkrieg die erste Theorie über "Öffentliche Meinung" veröffentlichte (sehr geschätzt von der deutschen Erforscherin der Gesetze der öffentlichen Meinung, Elisabeth Noelle-Neumann, z.B. in ihrem Buch "Die Schweigespirale"). Durch seine Veröffentlichungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte Walter Lippmann auf, daß er die Gesetze der Formung öffentlicher Meinung (z.B. durch "Stereotypen-Bildung" und vieles andere) hervorragend beherrschte und diese Fähigkeit auch dazu benutzte, nun selbst amerikanische Führungskreise und die Öffentlichkeit auf jene merkwürdige bipolare Weltordnung vorzubereiten, die spätestens seit 1941 Teil der Kriegsziele der westlichen Demokratien gewesen ist. (Das entscheidende Merkmal dieser Kriegsziele war die "Bolschewisierung Ostdeutschlands und Osteuropas" bis zur Elbe. Falls sich herausstellen sollte, daß dies tatsächlich das Kriegsziel der westlichen Demokratien seit 1941 gewesen ist, wäre alles Gerede über eine "Zweite Front" auf dem Balkan, wie sie Churchill angeblich favorisiert hatte, um der Sowjetunion in Osteuropa zuvorzukommen, Kriegs- und Nachkriegspropaganda gewesen. Und genau dies ist auch die These einer Doktorarbeit von Peter Böttger ["Winston Churchill und die Zweite Front", Peter Lang 1984].) Jedenfalls: Die Vorbereitung der westlichen Welt auf die bipolare Weltordnung und die Popularisierung des neuen Denkens in solchen Kategorien ("Stereotypen") unternahm Walter Lippmann insbesondere in seinen Schriften "U.S. War Aims" (1944) und "Der Kalte Krieg"(1947). Wie konsterniert britische Linke auf die flüssig wechselnden Allianzen solcher "Weltordnungen" reagieren konnten, kann man ja geradezu klassisch in dem 1948 veröffentlichten Roman "1984" nachlesen, der kein Zukunftsroman ist, sondern die britische Kriegs- und Nachkriegserfahrung von George Orwell widerspiegelt, der in einer solchen Welt bewußt nicht weiterleben wollte.

Da der heutige Herausgeber des
"New Republic", Martin Peretz, seit einigen Jahrzehnten sehr prononciert Israel, den Zionismus und den amerikanischen Interventionismus weltweit unterstützt, gilt die Zeitschrift "New Republic" heute vielen amerikanischen Linken als neokonservativ. (Noch mancherlei anderes Erhellendes zum "New Republic" findet man auf Wikipedia deutsch und englisch.)

Doch zurück zu Steven Pinker. - Schon im Juni letzten Jahres veröffentlichte Steven Pinker im "New Republic" seinen wichtigen Aufsatz "Groups and Genes" über die Evolution des hohen aschkenasischen Intelligenz-Quotienten. Und schon im "Weltfragezentrum" von "The Edge" hatte er Anfang dieses Jahres seine These zum Rückgang der physischen Gewalt in der Menschheitsgeschichte vertreten. In seinem neuen "New Republic"-Aufsatz "A History of Violence" erläutert er diese These nun noch einmal. (hier oder hier)

Es scheint - obwohl man es noch nirgends ausdrücklich gelesen hat -, als ob Steven Pinker einen Zusammenhang sieht zwischen dem Rückgang physischer Gewalt in der Menschheits-Geschichte und der parallelen IQ-Evolution. Jedenfalls kommt einem dieser Gedanke, daß eine solche These naheliegend sein könnte. Um so weniger man nämlich in zwischenmenschlichen Beziehungen und in Beziehungen zwischen menschlichen Gruppen aufgrund von "Zivilisations-Prozessen" mit "roher Gewalt" ausrichten kann, um so mehr muß man seinen "Grips" anstrengen, um so intelligenter und klüger muß man mit zwischenmenschlichen Einzel- und Gruppenbeziehungen umgehen. Und das könnte die IQ-Evolution gefördert haben.

Zu dieser IQ-Evolution würde dann ganz besonders passen, daß man sich selbst und seine Gruppe befähigt, die öffentliche Meinung von Gesellschaften zu beeinflussen, was ja auch Kevin MacDonald in "The Culture of Critique" klar herausarbeitet.

Schöne Schmetterlinge

Schmetterlinge sind nicht nur wunderschön, sondern geben auch Auskunft über den derzeitigen Klimawandel, wie eine Bildergalerie bei "Spektrum der Wissenschaft" verdeutlicht.

Tier-Dung als Geschichtsquelle

Forscher haben an einem See in der Nähe der früheren Inka-Hauptstadt Cuzco festgestellt, daß die Menge der dortigen Tier-Dung-Ablagerungen für eine jeweilige Zeitepoche (hier vor allem von Lamas) gut korrelliert mit geschichtlichen Ereignissen in dieser Region, also mit Aufstieg und Untergang von Reichen, bzw. der Frequenzen, die dabei für die Nutzung von Handelsstraßen, Seeufern und Siedlungen durch Tiere zu erwarten sind. Sie schlagen vor, diese Methode auch für andere archäologische Kulturen zu verwenden. Hier wäre natürlich zum Beispiel an die Seidenstraße zu denken. Aber auch an viele andere Möglichkeiten.

Die Menge der jeweiligen Tier-Dung-Ablagerung wird gemessen anhand der Häufigkeit von Milben, die sich in einer bestimmten archäologischen Schicht finden.

Montag, 26. März 2007

Die Humanevolution und die Deutschen

Ich möchte hier einen Gedanke weiterführen, der in einem früheren Beitrag angeklungen war (siehe "Hat Kevin MacDonald recht?"). Die aschkenasischen Juden haben in den letzten tausend Jahren aufgrund bestimmter bewußter oder weniger bewußter Selektionsmechanismen den höchsten durchschnittlichen angeborenen Intelligenz-Quotienten "evoluiert", den heute eine Bevölkerung in der Welt besitzt (siehe bspw. hier und hier oder hier). Das spiegelt sich auch wieder beispielsweise in einem hohen Prozentsatz von Nobelpreisträgern, die dem aschkenasischen Judentum entstammen und in vielen anderen Erscheinungen des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens der westlichen Welt der letzten mindestens hundert Jahre, die hier genannt werden könnten.

Das Beispiel der aschkenasischen Juden macht deutlich, daß tatsächlich innerhalb von tausend Jahren Humanevolution stattfinden kann mit Ergebnissen, die deutlichen Einfluß auf die kulturelle Gestaltung des menschlichen Gemeinschaftslebens haben.

Der Soziobiologe Kevin MacDonald hat nun vorgeschlagen, daß eine solche Art von Humanevolution wie beim aschkenasisch-jüdischen Volk auf einer mehr oder weniger bewußten "gruppenevolutionären Strategie" beruht. Und der junge amerikanisch-jüdische Journalist Joey Kurztman ist - ohne Zweifel zusammen mit anderen modernen Juden - der Meinung, daß Kevin MacDonald die gegenwärtige Situation und historische Entwicklung des aschkenasischen Judentums in vielen Zügen richtig beschreibt.

Ich halte es auch für sehr bemerkenswert, daß die "Anti-Defamation-League" in den USA gleich nach Erscheinen der Bücher von Kevin MacDonald mehrere umfangreiche kritische Untersuchungen zu seinen Büchern in Auftrag gab, davon aber niemals etwas veröffentlichte, anstellen dessen aber - sozusagen - "grünes Licht" gab (d.h. freundliche Worte fand) für die parallele Studievon Gregory Cochran und Henry Harpending über die Evolution des aschkenasischen Intelligenz-Quotienten.

Im aschkenasischen Judentum ist also eine große Bereitschaft vorhanden, sich mit diesen Gedanken auseinander zu setzen und hier könnten viele bekannte Namen genannt werden (etwa Steven Pinker, Deborah Lipstadt, Abraham Foxman usw. usf.). So wird Joey Kurtzman nur etwas aussprechen, was auch viele andere denken werden, wenn er das Lesen der Bücher Kevin MacDonalds empfiehlt und dazu erläuternd sagt (in Übersetzung):

"... Juden benutzen natürlich nicht den Begriff 'gruppenevolutionäre Strategien'. Aber ich vermute, Kevin MacDonald würde sagen, daß in dem Ausmaß, in dem wir versuchen, auf Wegen zu handeln, die 'gut für die Juden' sind, oder auf denen wir arbeiten, um 'jüdische Kontinuität' sicherzustellen usw., daß wir dabei jene 'gruppenevolutionäre Strategie' (GES) verfolgen, die er behauptet. Für Juden, die diese Dinge sehr bewußt machen - und das sind sehr viele von uns, eingeschlossen meiner selbst - ist die Absicht eine ehrliche. Wie diese Strategie nun aufrecht erhalten wird? Nun, Kevin MacDonald weiß, daß es keine 'Weisen von Zion'-artigen Versammlungen gibt in einem Keller irgendwo in Brüssel oder in Borough Park (Broklyn, New York), in denen Juden ihre gruppenevolutionären Strategien organzisieren. Aber er sieht bestimmt eine wichtige Rolle für die jüdische Führung in all dem. Von den etwa 15 Millionen Juden in der Welt arbeitet nur ein sehr kleiner Anteil in jüdischen Organisationen. MacDonald behauptet, daß diese kleine Gruppe der organisierten Juden versucht, gemeinschaftliche Ziele unter der restlichen jüdischen Population zu verbreiten. Und natürlich stimmt all das - in offensichtlichster Weise. Jeder, der große jüdische Organisationen kennt, weiß, daß sie unglaublich hart arbeiten, um unter jungen Juden ein Gefühl für das jüdische Volk zu verbreiten und eine Verbundenheit mit gemeinschaftlichen Zielen."

Richard Dawkins weist ja ebenfalls in seinem neuen Buch "God Delusion" darauf hin, daß die aschkenasischen Juden noch heute herausstechen aus anderen Völkern in ihrer vergleichsweise geringen Geneigtheit, "gemischt-konfessionelle" Ehen einzugehen. Dies wäre sicherlich ein Hinweis darauf, daß die Arbeit der großen jüdischen Organisationen nicht ganz erfolglos ist.

Und Joey Kurtzman ist keineswegs der einzige Jude heute, der sich sagt: Warum sollen "gruppenevolutionäre Strategien", die über tausend Jahre lang humangenetisch erfolgreich gewesen sind, nicht auch weiterhin evolutionär gut und erfolgreich sein?

Die aschkenasischen Juden gelten derzeit als eine "Modellpopulation" für die genetische Forschung. Sollte es nicht naheliegend sein, sie auch ganz allgemein als ein denkbares Modell für künftige Humanevolution zu betrachten?

Das würde dann auch für andere Völker heißen, daß sie "gruppenevolutionäre Strategien" verfolgen würden, daß sie in ihrem eigenen Handeln danach fragen würden, was "gut ist für" - in unserem Fall - "die Deutschen" (und entsprechend: "die Finnen", "die Briten", "die Inuit" etc. pp.). Daß man also danach fragt: Was stellt die (genetische) Kontinuität eines (vor allem auch: meines) Volkes sicher? Wer die kulturelle und genetische Kontinuität eines Volkes bewußt untergräbt oder zerstört, begeht nach unseren modernen Rechtsgrundsätzen Völkermord. Da ist es naheliegend zu sagen, daß das gegenteilige Verhalten das nur allerbeste im Sinne von Humanevolution erachtet werden kann.

Und dementsprechend sind ja auch Eide und Gelöbnisse von Politikern und Soldaten traditionellerweise vor allem auf das Wohlergehen des eigenen Volkes bezogen. Wir haben von einem solchen Standpunkt aus viel Verständnis für die Überlebensinteressen kleiner oder größerer Völker oder Stämme in der Welt. Die kulturelle Vielfalt der Völker, ihrer Sprachen und Kulturen wird selbstverständlich als ein Wert angesehen. Wenn man nun noch einige moderne Erkenntnisse der Humangenetik dazu nimmt, die aufzeigen, daß (Human-)Evolution in wesentlichen Merkmalen Gruppen-Evolution ist, könnte auch das Berücksichtigen dessen, was "gut ist" für uns, "für die Deutschen", für ihre kulturelle und genetische Identität, ein wichtiges Handeln im Sinne künftiger Humanevolution darstellen.

Es geht mir in diesem Beitrag nur darum, diesen Gedanken überhaupt einmal zu formulieren, zur Diskussion zu stellen. Denn ich halte es schon fast für krass merkwürdig, daß im deutschen Sprachraum derartige Implikationen moderner Humangenom-Forschung mit tiefstem Stillschweigen bedeckt werden, gar nicht diskutiert werden. Dabei gibt es ja wohl kaum Naheliegenderes als sich mit solchen brisanten Gedanken zu befassen. Steven Pinker nannte sie die "gefährlichsten" der nächsten zehn Jahre.

Das Schwein der Südsee - Aktualisierung

Die Herkunft der domestizierten Tiere in der Südsee, insbesondere der Schweine, (die dort auch schon früh ausgewildert sind,) wird derzeit lebhaft erforscht (hier, hier und hier). War schon vor einigen Monaten klar geworden, daß die genetische Herkunft des Schweines der Südsee auf das südasiatische Festland zurückgeleitet werden kann - und überraschenderweise nicht auf Süd-Taiwan, wo höchstwahrscheinlich eine wichtige Ursprungsbevölkerung der ersten menschlichen neolithischen Siedler der Südsee lebte -, so wurde jetzt das Herkunftsgebiet dieser Schweine noch stärker auf Vietnam, Burma und Thailand eingegrenzt.

Aber auch die Frage, wie sich diese domestizierten Schweine über die Molukken-Inseln und über Wallacea weiter ausbreiteten, wird derzeit von Archäologen und Genetikern lebhaft erforscht. Die Implikationen lauten, daß die Siedler von Taiwan kommend ihre Haustiere von anderen Gruppierungen in Südasien oder irgendwo in der Inselwelt rund um die Wallace-Linie übernahmen.

An dieser Stelle zunächst eine Karte, um das Verständnis des folgenden Textes zu erleichtern. Wallacea ist eine Region, die beiderseits der sogenannten "Wallace-Linie" verläuft. Die Wallace-Linie verläuft grob von Norden nach Süden östlich entlang der großen Insel Borneo (die große Insel in der Mitte der Karte). Die Molukken-Inseln sind auf der Karte hellgrün hervorgehoben, befinden sich also östlich (!) der "Wallacea"-Region.


Die Forscher der neuen Studie schreiben (hervorgehobene Textstellen nicht im Original): "The complete absence of Pacific Clade haplotypes from modern and ancient specimens from mainland China, Taiwan, the Philippines, Borneo, and Sulawesi suggests that any human dispersal from Taiwan to the New Guinea region via the Philippines, as purported by the "Out of Taiwan" model, did not include the movement of domestic pigs."

"In this context, the initial appearance of pigs in the northern Moluccas after 3500 B.P. is significant. The Neolithic settlers who arrived on these islands and subsequently moved into Oceania must have acquired pigs before this date from somewhere other than Taiwan and the Philippines, most likely in southern Wallacea, a region where significant cultural changes appear to take place during the initial spread of the Neolithic, and where our data show high frequencies of introduced domestic pigs exclusively possessing the Pacific signature. The restricted distribution of Pacific Clade pigs in mainland Southeast Asia, Sumatra, Java, the lesser Sunda islands, and New Guinea poses an interesting additional model for domestic pig (and by proxy human) dispersal, which links the Southeast Asian mainland to the Greater and Lesser Sunda islands and New Guinea."

Auf der folgenden Karte ist verzeichnet, wie sich die Forscher die Ausbreitung des Schweines der Südsee heute vorstellen (gelb markiert):

Offenbar gilt für domestizierte Hühner ein gleicher Ausbreitungsverlauf: "A recent genetic study of modern chickens also identified Southeast Asia (specifically Vietnam, Burma, and Thailand) as a likely geographic center of early chicken domestication. This finding raises the possibility that the earliest domestic chickens and pigs to arrive in Island South East Asia and Oceania derive from the same geographic source and may have formed part of the same Neolithic dispersal complex."

Das Bild der ersten Besiedlung der Südsee wird also immer komplexer und farbiger.

Samstag, 24. März 2007

Das perlende Lachen der Frauen

Unterschiede im Lachen gibt es zwischen Männern und Frauen offenbar schon ab dem dritten Lebensjahr:

„... So fand der amerikanische Soziologe Paul McGhee heraus ... die Jungen brillieren schon ab dem Alter von drei Jahren häufiger in der Rolle des Spaßmachers, während Mädchen in erster Linie darüber lachen. Die Jungen machen die Witze, Albereien und Clownereien, und die Mädchen lachen“, erklärt McGhee. Und an dieser Aktiv-Passiv-Verteilung würde sich im Wesentlichen auch nichts ändern, bis sie erwachsen sind."

"Forscher haben zudem herausgefunden, dass Frauen nicht nur über andere Dinge lachen als Männer, sondern dass ihr Lachen auch anders abläuft. Während Männer beim Lachen die Luft mit durchschnittlich 280 Schwingungen pro Sekunde entweichen lassen, kommt es aus weiblichen Kehlen mit doppelter Frequenz. Die Folge: Die Frauenstimme klingt beim Lachen noch höher, als sie ohnehin schon ist."

... Das perlende, erfrischende Lachen der Frauen ... Wohl wieder einmal ein "angeborener Auslösemechanismus". Da versteht man allmählich, worum es seit dem dritten Lebensjahr eigentlich in der zwischengeschlechtlichen Kommunikation dauernd geht.

"Haben wir noch genug Treibstoff im Tank, Mr. Spock?" - "Who cares? ..."

Eine Bekannte zeigte sich beeindruckt von einem "Gene Expression"-Eintrag über Buddhismus. Da ich über Buddhismus noch viel zu wenig Einzelheiten weiß, kann ich diesen mir insgesamt zu allgemeinen Ausführungen (noch) nicht besonders viel abgewinnen. Aber am Anfang dieses Eintrages fällt mir ein Rückverweis auf zu einem früheren Eintrag über den bekannten dritten naturalistischen Atheisten neben Richard Dawkins und Daniel C. Dennett, nämlich Sam Harris. Dessen Buchtitel lautet "The End of Faith".

Und in diesem Eintrag lerne ich nun ganz Neues über Sam Harris. Er wird unter anderem mit folgenden Worten zitiert:

"I do not deny that there is something at the core of the religious experience that is worth understanding. I do not even deny that there is something there worthy of our devotion. ..."

Sam Harris streitet also nicht ab, daß es "im Kern der religiösen Erfahrung" etwas gibt, was unserer "Hingabe" und "Aufopferung" wert ist. Ein ähnlich zurückhaltendes religiöses Wertempfinden kann man ja auch bei Richard Dawkins immer wieder herauslesen - und wird allzu oft übersehen. Deshalb ist mir dieser Eintrag wichtig.

"Gene Expression"-Inhaber Razib Khan sagt aber dazu nun etwas für mich sehr Überraschendes, etwas, wobei sich für mich trennende Welten auftun zwischen seiner Haltung und meiner:

"The reality is that I do not believe that Harris is an atheist in the way I am. I am a "cold atheist," dead to the touch of religion or its attractions. I am not engaged in the world of humanity in the same way, and I do not exhibit the passion for my fellow man that Harris does, for if there is one thing that we know of him it is that he cares. And I believe his caring has driven him to a deep detestation" (= Verabscheuung, Ekel) "of the myth of God, the father who has fled from our universe and gives us no succor but promises which remain unfulfilled. Evangelical Christians often say that their aggression in preaching their "Good News" is from love and altruism intent, would you not give a drowning man a helping hand and pull him up so that he could grasp at the glory of everlasting life? On a deep psychological level Sam Harris is, I believe, no different, he sees humanity drowning in false belief and he must witness. But do not confuse this for a coldness to religion and God, it is hot rage which motivates him, and Harris' openness to Eastern mysticism suggest that he still seeks a way to save humanity from the drowning oblivion of materialistic naturalism."

Ins Deutsche übersetzt: "Die Offenheit von Harris gegenüber dem östlichen Mystizismus" läßt Razib Khan also vermuten, daß Harris "heiße Leidenschaften" hat, und "daß er immer noch nach einem Weg sucht, um die Menschheit vor der tödlichen Vergessenheit des materialistischen Naturalismus zu bewahren."

Einer der Kommentare dazu lautete:

"There's always the worry that cold atheism will leave you in a Spock-like state, and the universe will appear without meaning, depth, or mystery."

Und Razib Khan präzisiert in der Antwort darauf seine eigene Haltung:

"Who worries about this? Cold atheists don't, we have meaning in our lives, but it is about the small and beautiful."

Also zu deutsch: "Wer macht sich darum Sorgen? Kalte Atheisten nicht, wir haben Sinn in unserem Leben aber in dem Kleinen und Schönen."

Diese Aussage ist zumindest wahrhaftig. Es wird also hier klar, daß wenn es zur persönlichen Moral und zum persönlichen Handeln, zur persönlichen Sorge kommt, "kalte Atheisten" sehr bewußt dazu tendieren können, sich selbst und ihr eigenes Handeln nicht mehr in die größeren Zusammenhänge zu stellen, für die sie sich ansonsten doch sehr lebhaft interessieren - aber einfach nur aus einem "kalten" Interesse heraus, ohne sich in der eigenen Moral von diesem Wissen angesprochen zu fühlen. - Man sollte das festhalten und sich dessen bewußt bleiben.

Wahrscheinlich handelt es sich hier um jene "Wertblindheit", von der Konrad Lorenz sprach, und von der er meinte, daß auch der "naivste Monotheist" davor gefeit sei - zu ergänzen: zumindest manchmal.

Freitag, 23. März 2007

Churchill wollte die Ausweitung des Krieges zu einem Weltkrieg (1941)


Die Tatsache, daß es nicht nur Diktatur durch Verängstigung und Terror, sondern auch Diktatur durch Verwöhnung gibt (siehe früherer Beitrag), wird bei der Beurteilung politischer Verhältnisse in Geschichte und Gegenwart naiverweise viel zu selten berücksichtigt. Der deutsche Historiker Klaus Hildebrand hat das 20. Jahrhundert "Das Zeitalter der Tyrannen" genannt. Dies geschah unter ausdrücklichem Einschluß solcher "demokratischer" Politiker wie Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt, nachdem bekannt geworden war, daß auch die Westalliierten schon sehr früh während des Zweiten Weltkrieges (also zum Beispiel auch vor Bekanntwerden von all dem, was heute mit dem Namen Auschwitz in Verbindung gebracht wird) Kriegsziele verfolgt haben, die weder damals noch heute mit dem Völkerrecht oder auch nur irgendeinem Begriff von Humanität vereinbar waren. Sondern die schlicht Kriegsverbrechen darstellten.

Daß dies auch für die Methoden der Kriegsführung der Westalliierten gilt, darauf hat ja erst jüngst wieder das Buch "Der Brand" von Autor Jörg Friedrich aufmerksam gemacht. Zu welcher Art von Politik heutige Demokratien des Westens alles fähig sind, darauf braucht ja an dieser Stelle gar nicht ausführlicher eingegangen werden.

Auch ist schon vor vielen Jahren bekannt geworden, daß der sogenannte Friedens-Flug von Rudolf Heß nach England am 20. Mai 1941 der "Botengang eines Toren" gewesen ist (so der Buchtitel des Historikers Rainer F. Schmidt). Es handelte sich um eine wohlvorbereitete Täuschungsaktion des britischen Geheimdienstes unter voller Mitwisserschaft der gesamten britischen politischen Führung. Aber zu welchem Zweck wurde diese Aktion eigentlich eingeleitet? Zu diesem Thema ist inzwischen eine weitere Studie des britischen Historikers Martin Allen erschienen. Soweit man das nach etwas oberflächlicherem Lesen übersehen kann, bestätigt dieses neue Buch vollständig die Tatsachen, die schon von Rainer F. Schmidt genannt worden waren (allerdings merkwürdigerweise ohne dieses Buch auch nur an einer einzigen Stelle zu erwähnen).

Ein neu veröffentlichtes Dokument

Ein neu veröffentlichtes Dokument fällt in diesem Buch von Martin Allen besonders in die Augen. (S. 412, S. 204 - 206) Da der Autor dieser Zeilen selbst seine Magisterarbeit über die Thematik der britischen Kriegszielpolitik während des Zweiten Weltkrieges geschrieben hat und dazu viele "Dokumente zur Deutschlandpolitik" der britischen Regierung nach 1939 studiert hat (I. Reihe, Band 1 bis 4), und deshalb auch so ein bischen die "Stimmung" und Argumente in britischen Regierungskreisen der damaligen Zeit zu kennen glaubt, glaubt man auch die Bedeutung dieses neuen Dokumentes im Zusammenhang der übrigen einschätzen zu können.

Es handelt sich um einen Brief, datiert auf den 28. Februar 1941, von dem britischen Wirtschaftsminister Hugh Dalton, zugleich Leiter des britischen Geheimdiensts SOE (der Labour-Partei zugehörig) an den damaligen britischen Außenminister Anthony Eden, nachdem zuvor eine Besprechung mit Winston Churchill stattgefunden hatte. Die in dem Brief erwähnte "Mssrs HHHH Operation" ist jene britische Geheimdienst-Operation, die Rudolf Heß und seinen Beratern Karl und Albrecht Haushofer (Vater und Sohn) eine innerbritische Opposition gegen die Churchill-Regierung unter Führung eines Lords Hamilton vorspielte (nach den Worten Churchills: "Mummenschanz ist die Parole"), um Rudolf Heß nach England zu locken. Die vier H beziehen sich auf die vier Anfangsbuchstaben der Familiennamen der involvierten Personen. Hier nun der Text des Briefes von Dalton:

Dear Minister,

I have been in deep contemplation ever since the matter we discussed yesterday with the P.M., and feel I must put my concerns to you before we take any further action.

Leeper's assessment on Saturday was pretty close to the mark, and his conclusion that despite being unable, probably, to win in Europe, we could win world war has, of course, been bandied about for the last month or two. However, what Winston now proposes is a truly terrible thing, and I am not sure my conscience will allow me to participate.

I have always maintained that in this war body-line bowling of the Hun is justified, and the Mssrs HHHH Operation, once we took it over, was intended to fulfill that function, but I do not believe we can be morally justified to use it to cause the suggested end result.

I feel we must have another meeting to discuss where we are going to take this matter, and I would appreciate your opinion. Can I suggest a joint car again next Saturday?

Yours Ever,

H.D.
Dies ist ein überraschendes, bemerkenswertes Dokument, das auch eine heftige ablehnende Gegenreaktion von Winston Churchill hervorrief. Robert Vansittard, berühmt-berüchtigter Verfasser des Buches "Black Record" und einer der geistigen Mentoren der britischen Außenpolitik jener Zeit, schrieb an den im Brief ebenfalls erwähnten Rex Leeper betreffend der "Hugh Dalton Angelegenheit": "Ich habe Winston selten so außer Fassung gesehen wie gestern, als er den Brief von HD erhielt. ..." (S. 206)

Wie aus den beiden schon genannten Büchern hervorgeht, ist der größte Teil der britischen und amerikanischen Akten zu dem Flug von Rudolf Heß immer noch unter Verschluß und bislang nur weniges über deren Inhalt bekannt. Das wenige gibt Anlaß zu vielerlei Spekulation und Deutungsmöglichkeit. Aber folgendes scheint doch aus diesen beiden Briefen hervorzugehen:

Bis zu diesem Gespräch am 28. Februar 1941 hatte der britische geheimdienstliche "Mummenschanz" betreffend Rudolf Heß nach der Kenntnis von Hugh Dalton zu etwas anderem dienen sollen als danach. Aber wozu davor? Wozu danach?


Wer kennt sich mit Cricket aus?

Bei dem Begriff "body-line bowling" handelt es sich, wie man dem betreffenden Wikipedia-Eintrag entnehmen kann, um einen Begriff aus der Geschichte des Cricket-Spiels. (Wikipedia deutsch, englisch.) "Bodyline" ist eine bestimmte, von der britischen Nationalmanschaft entwickelte Cricket-Taktik, die in den Jahren 1932/33 angewandt wurde, um einen bestimmten hervorragend befähigten australischen Nationalspieler zu übervorteilen. Diese Taktik rief sogar eine politische Krise zwischen Großbritannien und Australien hervor, da die wiederholt verlierenden Australier der britischen National-Mannschaft, die diese Taktik anwandte, Unsportlichkeit vorwarfen: "Eine Mannschaft versucht, Cricket zu spielen, die andere nicht."

Wenn man sich nun mit Cricket genauer auskennen würde (was der Autor dieser Zeilen nicht von sich behaupten kann), würde man die Verwendung des Begriffes vielleicht leichter verstehen. Im Wikipedia-Eintrag liest man darüber folgendes: "Bodyline, also known as fast leg theory, was a cricekting tactic devised by the English cricket team for their 1932–33 Ashes tour of Australia, specifically to combat the extraordinary batting skill of Australia's Don Bradman. A Bodyline bowler deliberately aimed the cricket ball at the body of the opposing batsman, in the hope of creating legside deflections that could be caught by one of several fielders in the quadrant of the field behind square leg."

Gut, wer sich mit Cricket gut auskennt, mag den Implikationen der Verwendung dieses Begriffes in diesem Brief noch weiter nachgehen. Der deutsche Übersetzer des genannten Buches tut beides ganz offensichtlich nicht. Er übersetzt mit den Worten "Knochenkegeln [gemeint ist eine unfaire Kriegführung]" viel zu oberflächlich und unpräzise, was noch vorsichtig und zurückhaltend beurteilt sein mag. Denn es geht ja hier nicht um Kriegführung, sondern um Friedensanbahnungen, bzw. die Vortäuschung von solchen. Im Grunde ist es also ganz falsch übersetzt. Man wohl wenigstens so viel sagen: Dem gegnerischen Spieler wird ein Ball zugeworfen, den er aber nicht auffangen - können - soll, sondern der sich - indem er von seinem Körper abprallt - gegen seine eigene Mannschaft wenden soll. Das kann leicht auf Rudolf Heß übertragen werden und seine Hoffnungen auf Friedensanbahnung.

17.7.14: In diesem Video sieht man, dass der Ball mit voller Wucht auf den gegenüberstehenden Spieler geworfen wird, von dem er abprallt, da dieser ihn nicht mit dem Schläger spielen kann.

Dalton jedenfalls fand den bisherigen Zweck des "Mummenschanzes" gegenüber Rudolf Heß als "unsportliches" Body-Line. Wahrscheinlich meinte er damit das Vortäuschen eines Friedenswillens, um den Krieg zwischen England und Deutschland zu verlängern.

"Überlagernde Geheimdienst-Operationen" (ergänzt am 14.10.2009)

Von überlagernden Geheimdienst-Operationen weiß auch Alexander von Bülow in seinem Buch "Im Auftrag des Staates" manches Beispiel zu geben. Das heißt, vielen Beteiligten wird nur ein beschränktes Ziel der Operation genannt (das "need-to-know"-Prinzip). Und erst im Nachhinein - oder während der Operation - erfahren sie, daß ihre eigene Operation durch eine zweite überlagert ist, deren Ziele über die zuvor genannten Ziele hinausgehen. So wurden - offenbar - die Twintower schon vor dem Anschlag von 9/11 zur Sprengung vorbereitet von der Firma "Controlled Demolition" unter der "beschränkten" Vorgabe, daß im Fall eines Anschlages Nachbargebäude sollten geschützt werden können. Und diese Operation wurde dann durch eine zweite Operation - nämlich die Flugzeug-Entführungen - überlagert. Jeder der Beteiligten mußte nur das wissen, was zur Ausführung seiner Aufgabe wichtig war. Und so scheint es auch bei dem verheerenden Bombenanschlag von 1995 in Oklahoma City gewesen zu sein, der damals entscheidend zur Wiederwahl von Bill Clinton beitrug. Und so war es offenbar auch in vielen Fällen beim linksextremistischen Terrorismus in Deutschland und Italien der 1970er Jahre und dem dabei von Geheimdiensten bis heute geschickt ausgenutzten "Wissensgefälle" zwischen allen näher und ferner Beteiligten.

Das, was Churchill (Eden, Vansittart etc.) also ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem unter anderen Vorgaben vorbereiteten "Mummenschanz" bezweckten, ging weit über die zuvor Dalton bekannten Zwecke hinaus. Und daß Dalton auf die "Zielerweiterung" erschreckt, schockiert reagierte, machte Menschen vom Schlage eines Vansittart gar nichts aus, während Churchill offenbar doch noch "außer Fassung" geraten konnte darüber, daß jemand nicht so simpel schien mitspielen zu wollen wie er selbst.

Die überlagernde Operation hatte schlicht zum Ziel die Ausweitung des bisher bloß europäischen Krieges zu einem Weltkrieg, also den Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Deutschland.


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Hier noch eine vollständige deutsche Übersetzung des Briefes:

"Lieber Minister,
ich habe lange nachgedacht, nachdem wir gestern die Angelegenheit mit dem Premier-Minister erörtert haben, und ich fühle, daß ich Ihnen meine Bedenken mitteilen muß, bevor wir weitere Aktionen unternehmen.
Leepers Feststellung vom Samstag kam der Sache ziemlich nahe, und seine Schlußfolgerung, daß wir wahrscheinlich den Krieg in Europa nicht gewinnen können, wohl aber einen Weltkrieg, wurde wohl schon seit ein, zwei Monaten unter die Leute gebracht.
Doch was Winston jetzt vorschlägt, ist ein wirklich schreckliches Ding, und ich bin nicht sicher, ob mein Gewissen es mir erlauben wird, mich daran zu beteiligen.
Ich habe immer daran festgehalten, daß in diesem Krieg body-line bowling mit den Hunnen gerechtfertigt ist, und daß die Herren HHHH Operation, als wir sie übernommen haben, das Ziel hatte, diese Funktion zu erfüllen, aber ich glaube nicht, daß wir es moralisch rechtfertigen können, daß wir sie dazu benutzen, um das vorgeschlagene Ergebnis zu erzielen.
Ich spüre, daß wir uns erneut zu einer Unterredung treffen müssen, um zu diskutieren, wohin wir diese Sache bringen werden, und ich würde gerne Ihre Auffassung in Erfahrung bringen. Darf ich für nächsten Sonnabend wieder ein gemeinsames Auto vorschlagen?
Immer der Ihrige,
H.D."

Religiosität und die Fähigkeit ... zu täuschen (sich und andere)

Der schottisch-amerikanische Musiker David Byrne sagt mit so wenig Worten so viele kluge Dinge auf einmal, wie man dies selten so komprimiert und klug hört, so daß ich mich veranlaßt fühle, das doch auch einmal ins Deutsche zu übersetzen. - Offenbar haben Musiker manchmal die Fähigkeit, Dinge zu sehen und zu berücksichtigen, die vorwiegend sich im rationalen Bereich bewegende Naturwissenschaftler eher geneigt sind herunterzuspielen. Das folgende ist vielleicht einer der besten Kommentare zu dem neuen Buch von Richard Dawkins "God Delusion". Nach David Byrne unterliegen höchstwahrscheinlich nicht nur intelligente Menschen, die an einen monotheistischen Gott glauben, einer Täuschung (einem "Wahn"), sondern auch andere intelligente Menschen - wie Richard Dawkins -, die etwas ableugnen, was sie eigentlich besser wissen könnten oder gar sollten. - Doch hören wir, wie David Byrne sich selbst ausdrückt:

"Es scheint manchmal, daß ein Mensch sich um so besser täuschen kann, um so klüger er ist - sich selbst und ... natürlich auch andere. Intelligenz, verbunden mit einem Willen gibt einem die Fähigkeit zu analysieren und nachzudenken - aber gleichzeitig gibt es einem auch die Fähigkeit zu lügen und abzuleugnen, zu ignorieren und zu täuschen. Man kombiniere das alles mit ein bischen Charisma und schon ist das Menü fertig.

Das wird der Grund sein, warum intelligente Menschen religiös sein können. Ja, das ist eine arrogante Behauptung - sie setzt voraus, daß Religion und Intelligenz inkompatibel sind, daß niemand mit klaren Sinnen an unbewiesene, übernatürliche, glaubens-basierte Szenarien glauben kann. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Ich mag persönlich glauben (glauben!), daß viele religiöse Annahmen irrational sind und an Irrsinn grenzen - aber ich kann sowohl ihre Effizienz sehen - ihre Anziehungskraft und Nützlichkeit - als auch ihre Schönheit empfinden. Man muß sicherlich kein Katholik sein, um in Ehrfurcht unter dem Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle zu stehen; kein Muslim, um die Verlockung des seelenvollen Rufes des Muezzins zu hören und die Energie der Massentänze der Gläubigen im Gebet zu empfinden; kein Hindu oder Jude, um einen Text zu lesen und sich an ihm zu erfreuen, der vollgefüllt ist mit erstaunlichen und überraschenden Metaphern (Bildern) und Analogien. Diese Tänze, Musik, Bilder, Metaphern sind, so scheint es mir doch, tief verwurzelt - sie sind wie die angeborenen nervlichen Verschaltungen für grammatikalische Strukturen, über die (Noam) Chomsky spricht - und sie sind deshalb ähnlich genetisch vererbt. Der Tanz, der Religion ist, ist in uns evoluiert, um freigesetzt zu werden und ausgedrückt zu werden in tausend verschiedenen Formen, von denen keine irgend einen logischen Sinn ergibt, und von denen alle, wenn wir auf sie buchstäblich schauten, eine große Hilfe in der Ableugnung notwendig machen. Gott ist in der Verschaltung selbst, vererbt in den Genen.

Das ist - soweit ich sehe - der Grund, warum die gegenwärtige (kleine) Welle von Atheismus ebenfalls ableugnet - die jüngsten Bücher von (Richard) Dawkins, (Daniel C.) Dennett und Harris zum Beispiel. Sie leugnen ab, daß diese Fähigkeit der Menschen zu glauben, angeboren ist. Ja, sie geben zu, daß Religion viele Annehmlichkeiten bietet und Sicherheit, Stabilität und Gemeinschaft - sehr anziehend und verführerisch - aber sie stoppen kurz davor zuzugeben, daß wir genetisch veranlagt sind zu glauben, daß es in unserer ganz besonderen Natur liegt, daß es ein Teil von dem ist, was es heißt, Mensch zu sein. Vielleicht ein unlogischer Teil, aber all unsere angeborenen Charakteristika sind nicht für immer angepaßt (der Kontext ändert sich, die Welt ändert sich) oder auch nur rational von einer bestimmten Sicht der Dinge aus (muß der Pfauenschwanz tatsächlich SO groß sein? Ist das nicht ein klein wenig zu verschwenderisch im Verbrauch von Ressourcen?).

(...)

Ich glaube, diese verrückten unlogischen Anleihen - Glaube, Leugnung, Religion - sind nicht Neurosen (so lange man nicht der einzige ist, der solche Empfindungen hat), sondern sind Überlebens-Mechanismen, die in uns evoluiert sind. Sie mögen ihren praktischen Nutzen überlebt haben - wie ein Anhang mögen sie 'Organe' sein, deren Nützlichkeit fragwürdig und marginal geworden ist, aber sie begleiten uns immer noch, werden immer noch benutzt und - benutzen uns."

Ich empfinde diesen Text als einen ganz hervorragenden, weil er etwas klar macht, was auch Konrad Lorenz versuchte, klar zu machen (siehe früherer Beitrag). Nämlich die Tatsache, daß wir von Nicht-Rationalität umgeben sind (also von Erscheinungen, die nicht rational erklärbar sind oder zumindest nicht vollständig rational erklärbar sind), und daß es deshalb nicht nur erstaunlich ist, daß ein kleiner (immer größer werdender) Teil dessen, was wir sehen und erfahren, rational erklärbar ist, sondern mindestens ebenso erstaunlich, daß ein großer Rest verbleibt, der sich einer vollständig rationalen Erklärung, einem vollständig rationalen Begreifen entzieht. Daß es sich bei diesem Rest zum Teil um etwas prinzipiell nicht vollständig rational Erklärbares und Begreifbares handelt, kann man sich an den Erkenntnissen der modernen Astronomie und Atomphysik ebenso klar machen, wie an den Erkenntnissen der modernen System- und Chaostheorie (Theorie von Nichtgleichgewichts-Schwankungen).
Und der gebrachte Text macht ebenso klar, daß auch unsere rationalen Annäherungen an diese vielen nichtrationalen Dinge in der Welt viel Nicht-Rationales oder nicht vollständig Rationales, viel Täuschung und Selbsttäuschung beinhalten können und beinhalten. Und zwar - und das ergibt sich doch offenbar auch aus der Natur der Sache - bei denen, die intelligenter sind und viel wissen, oft noch viel mehr als bei denen, die weniger intelligent sind und weniger viel wissen. (Nun, je nachdem ...)

Donnerstag, 22. März 2007

Verhindert Wissenschaft das Verstehen der Welt?

Die "Zeit" gibt uns Auskunft darüber, wie der moderne Ungläubige, der moderne Atheist ist oder zu sein hat. Der Atheist ist für sie ein polynesischer Segler, der neues Land ins Ungewisse hinein sucht. Hören wir, wie konsequent dieser Vergleich durchgehalten wird:

"... Nun sind auch Atheisten nur Menschen, weshalb sich etliche von ihnen den irdischen Autoritäten in die Arme werfen." - Halt! Zwischenfrage: "Irdische Autoritäten"? Was für andere Autoritäten könnte es denn geben für einen Ungläubigen, einen Atheisten als irdische? Aber weiter: "No Heaven – No Hell – Just Science lautete die Titelzeile des amerikanischen Magazins Wired, mit der es kürzlich eine Geschichte über die »Neuen Atheisten« ankündigte. Dabei handelt es sich um angesehene Naturwissenschaftler und Philosophen, die dieser Tage im angelsächsischen Raum einigen Wirbel machen und die Welt davon überzeugen wollen, dass die Existenz Gottes eine widerlegte Hypothese sei und ihr daher mitnichten Respekt gebühre. Ob den Neuen Atheisten der negative Gottesbeweis gelungen sei, darüber ließe sich unter Unglaubensbrüdern streiten," (wie wahr!) "unangenehm jedenfalls fällt an dieser Propaganda der penetrante Weihrauch der Wissenschaftsanbetung auf. Die aber hat der rechte Atheist nicht nötig. Sie verhindert geradezu das Verstehen der Welt. Ein schlechter Polynesier, der glaubte, die Betrachtung der Himmelslichter, der Winde, Wellen und Lebewesen garantiere ihm sichere Überfahrt!"

Liest man hier irgend etwas verkehrt? Versteht man hier irgend etwas falsch? Wissenschaft verhindert das Verstehen der Welt? Und was ist es dann, was das Verstehen der Welt fördert? Wird an keiner Stelle gesagt! Und weiter: Man entschuldige! - "Ein schlechter Polynesier"? Man sollte meinen, daß die heutigen Polynesier Nachfahren jener alten Polynesier sind, die sich so ziemlich am besten mit der "Betrachtung der Himmelslichter, der Winde, Wellen und Lebewesen" auskannten. Oder kann man irgend etwas anderes vermuten? Kopfschüttelnd liest man weiter.

"Der Atheist beispielsweise, der leise lächelnd seinen Gibbon, Ranke oder andere Klassiker liest und die Ausbreitungsgeschichte des Christentums als rein irdischen Vorgang begreifen lernt, sollte daraus lieber Demut ziehen und auch die Wissenschaft als Überzeugungsbildung, Machtkampf und Ideologiestreit betrachten, anstatt sie anzuhimmeln. Schon gar nicht sollte er auf die Idee verfallen, von der Wissenschaft zu verlangen, dem Leben einen Sinn zu geben. Sie handelt vom Sein, nicht vom Sollen."

Eine billige Phrase, die ständig wiederholt wird. Ist sie deshalb schon wahrer? Ich glaube, es wird der gebildeten Öffentlichkeit ziemlich bald schon zum Bewußtsein kommen (oder ist es ihr nicht längst zum Bewußtsein gekommen?), daß dieser alte Spruch von "Sein und Sollen" doch meist gar zu platt, billig und simpel rüber kommt. Tatsächlich ist es doch wohl wirklich viel zu leicht einzusehen, daß ein "gelungenes Leben" (gesellschaftlich-politisch wie privat) sehr viel wahrscheinlicher wird, wenn ich das Sein so umfassend wie möglich berücksichtige, wann auch immer ich zugleich über das Sollen nachdenke, als wenn ich dies nicht tue ... (Im Grunde viel zu trivial dieser Gedanke - ...)

Wie nun? Jeder möchte halt irgendwie originell sein? Gero von Randow von der "Zeit" also nun auf die Weise, daß er nun mal eben so sagt, Wissenschaft würde das Verstehen der Welt verhindern!!! Ist ja auch wirklich neu. Haben wir bisher so noch nicht gehört - es sei denn aus Priester-Mund. (Als hätten übrigens Gibbon, Ranke und andere Klassiker nicht die Wissenschaft benutzt, um die Welt zu verstehen ...) O Sancta simplicitas - heilige Einfalt! Wieder mal jemand, der sich an seiner eigenen Rhetorik berauscht und im Grunde genommen nichts sagt?

"Ist die Natur so stark?" - Interview mit I. Eibl-Eibesfeldt

Nach langer Zeit hört man wieder einmal etwas von dem Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, inzwischen 89 Jahre alt. In einem Interview für die "Süddeutsche Zeitung", bzw. ihre Beilage SZ-Wissen (Titelthema "Der große Unterschied").

Es geht um die Geschlechtsunterschiede zwischen Mann und Frau. Und da bestätigt Eibl-Eibesfeldt unter anderem eine These, die mir schon neulich in den Sinn kam, nämlich, daß in Naturvölkern Kinderbetreuung gar nicht als so große Belastung empfunden wird wie bei uns heute.

... SZ: Allerdings bestätigt eine brandneue Untersuchung, dass die Lebenszufriedenheit von Frauen wächst, wenn Chancen-Unterschiede zu den Männern abgeschafft sind.

E-E: Ich bin da skeptisch, was die verschiedenen Kulturen angeht. Bei uns kann ich mir das durchaus vorstellen, da die Frauen oft nicht mehr in Familien eingebunden und mit Kindern und Beruf oft doppelt belastet sind. Wenn man aber bei Naturvölkern nachschaut, etwa bei den Yanomami im venezolanisch- brasilianischen Grenzgebiet, stellt man fest, dass die mit den Kindern gar nicht so belastet sind. Sie stillen zwar drei Jahre lang, aber in den Gemeinschaften gibt es Kindergruppen und abends nimmt der Mann seine Kinder zu sich in die Hängematte.

SZ: Heißt das, auch bei uns könnten sich Frauen und Männer die Erziehungs- und die Erwerbsarbeit teilen?

E-E: Nein, Männer verlieren zu schnell das Interesse, wenn sie mit Kindern spielen. Frauen haben viele Millionen Faserverbindungen mehr zwischen den Hemisphären des Gehirns und damit auch zwischen Regionen, die emotionale und rationale Aufgaben wahrnehmen. Bei Männern wird das eher getrennt abgerufen, mal ganz rational und gefühlsmäßig kaum ansprechbar, mal völlig emotional, da versagt dann der Verstand.

Pflegende, soziale Aufgaben erledigen Frauen daher wesentlich besser. Man müsste bei uns nur mehr Anerkennung schaffen für diese Aufgaben. Und man müsste auch die Lehrpläne an den Universitäten ändern, denn sie laufen der Biologie zuwider: Die wichtigen ersten Gebärjahre Anfang 20 verstreichen, und Frauen haben kaum Berufseinstiegsmöglichkeiten nach so frühen Erziehungsjahren."


Daraufhin fragt die SZ: "Das hieße „zurück zur Natur“ für ganze Gesellschaften. Ist die Natur so stark? ..."

Feminismus - leicht peinlich

In der "Zeit" macht man sich Gedanken über den von Ursula von der Leyen neuerdings favorisierten Begriff "konservativer Feminismus". Es wird gesagt, daß der "Feminismus", den Frau Ursula von der Leyen vertritt, eigentlich nicht konservativ ist, sondern "gut sozialdemokratisch". Aber nicht nur gegen das Adjektiv "konservativ" hat man etwas:

"... Das Überzeugende an der Konstruktion ist, dass das Wort Feminismus auf diese Weise wieder aussprechbar ist. Denn mit dem Zusatz „konservativ“ wird er befreit von Assoziationen, für die wir uns inzwischen ein bisschen schämen. Wir dachten an Dogmatismus, an unrasierte Beine und humorlose Männerhasserinnen. Begriffe wie das Patriarchat, das womöglich vom Matriarchat abgelöst werden solle, erscheinen uns in unserer modernen Welt sehr pathetisch. Überhaupt klingt Feminismus nach „kein Spaß haben dürfen“. Dabei ist Alice Schwarzer – seien wir mal ehrlich – ganz witzig."

- Ähm ... - - - ja, klar, seien wir ehrlich!!!

- Halt, nein, da fehlt noch etwas: "Junge, linke oder völlig unpolitische Frauen nehmen selbstverständlich die Errungenschaften in Anspruch, die Feministinnen erkämpft haben: (...) Doch Feministinnen wollen sie sich lieber nicht nennen." - - - Und der abschließende Satz lautet: "Der Begriff Feminismus ist vielleicht inzwischen altmodisch, vielleicht sogar nicht mehr zu gebrauchen – aber konservativ ist er nicht."

Also fassen wir es einmal so zusammen: Zu einem Zeitpunkt, wo der Feminismus an sich allgemein schon als leicht peinlich empfunden wird, versucht Frau Ursula von der Leyen ihn wiederzubeleben. No comment necessary.

Was ist evangelischen Menschen wichtig?

Die "Evangelische Zentrale für Weltanschauungsfragen" (Berlin) (EZW) macht sich Gedanken über die "Konfessionslosen" im heutigen ostelbischen Deutschland. Anlaß ist eine Studie der EKD (der "Evangelischen Kirche Deutschlands" - also eine der heutigen weltanschaulichen Vereinigungen in Deutschland) mit dem Titel "Die religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Konfessionslosen in Ostdeutschland". Im neuesten Newsletter der EZW heißt es dazu unter anderem:

"... Ungewollt zeigt diese Studie, wie tief der Graben zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen noch immer ist. Die Verfasser haben offensichtlich einen westdeutschen Hintergrund und ihnen fehlt jeder Sinn für die Alltäglichkeit des ostdeutschen Atheismus. Was befremdet, ist die Überheblichkeit, mit der suggeriert wird, unreligiöse Menschen seien defizitäre Mangelwesen. Menschen, denen was fehlt. Dabei führen viele Ostdeutsche ein gutes, ehrbares und sinnvolles Leben ohne Gott.

Sie haben - ohne Gott - Werte, Moral und ein Gewissen. Das ist ja die eigentliche Herausforderung der Konfessionslosigkeit, dass für viele Menschen ein gelingendes Leben auch ohne Gott möglich ist. Wir brauchen in den Kirchen eine Diskussion, wie wir mit dem Problem der Konfessionslosigkeit umgehen. Träumen wir davon, dass wir diese Menschen zur Kirchenmitgliedschaft bewegen könnten? Wie wollen wir zeigen, dass der christliche Glaube hilft, die Höhen und Tiefen des Lebens zu bewältigen? Sind wir bereit, die Konfessionslosen als Menschen zu akzeptieren, die eine Entscheidung über ihre Weltanschauung getroffen haben, vielleicht eine klarere Entscheidung als manche, die sich aus Tradition zur Kirche halten? ..."

(Hervorhebungen durch mich, I.B.) Diese Worte sind erfreulich klar und eindeutig. Allerdings sollte eines auch berücksichtigt werden, wenn man sagt, daß "Atheisten" "auch" ein "gelungenes Leben" führen können (usw.). Das ist für sich genommen ja eine Trivialität. Bei der Beurteilung gesellschaftlicher Entwicklungen geht es aber nicht darum, was im Einzelfall "auch" alles möglich ist und geschieht, sondern es sind Durchschnitts-Werte und allgemeine "Trends" zu berücksichtigen. Da könnten dann - meiner Meinung nach - Vergleiche ruhig auch mal etwas präziser ausfallen, als es sowohl in der genannten Studie als auch in der vorgebrachten Kritik zu ihr der Fall zu sein scheint.

- Von anderen möglichen Kritikpunkten ganz abgesehen. Z.B.: Ist es Menschen, die Konfession haben, wichtig, daß auch andere eine Konfession haben? Oder was ist ihnen - wirklich - wichtig?

Zweisprachigkeit hat Vor- und Nachteile

Vorteile: Etwas bessere Fähigkeit zur Konzentration in Großraumbüros, im Straßenverkehr, etwas späteres Auftreten von Alzheimer und anderen degenerativen Hirnleiden.

Nachteile: Etwas langsameres Finden der richtigen Worte, dadurch etwas langsameres Sprechen.

"Zweisprachige müssen ständig aufpassen, daß sie ihre beiden Sprachen nicht durcheinander bringen" , erläuterte der Neurologe Albert Costa der Zeitung "El País".

Eine Kultur ohne Zynismus

Im "Epilog" des im vorigen Beitrages behandelten Buches über die Amish-People wird von Autor Peter Ester der Versuch gemacht, einiges Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Nur ein stark gekürzter Auszug, um einen Eindruck zu vermitteln:

"Früher oder später stellt sich die Frage, was wir von den Amish lernen können. (...) Man kann nicht 'ein bischen' Amish sein, es ist alles oder nichts. Dennoch bietet die Amish-Lebensweise jedem etwas nach seinem Geschmack. Das progressive Amerika rühmt (...). Die Umweltbewegung ist beeindruckt (...). Landwirtschaftsexperten imponiert (...). Gesundheitsapostel (...) und Pädagogen sind (...) angetan. Politiker staunen (...) Der Wohlfahrtssektor ist (...) fasziniert (...). Moralisten verschiedener Schattierungen sind von der Tatsache ergriffen, daß Kriminalität, Drogen, Alkoholismus, Selbstmord, Ehescheidung und Abtreibung in der Amish-Gesellschaft nahezu unbekannte Phänomene sind. Touristen sind entzückt (...). Viele Intellektuelle, darunter auch ich, empfinden es wie ein wohltuendes Bad, eine Kultur kennen zu lernen, in der Zynismus gänzlich fehlt, in der Werte und Verhalten eng aufeinander bezogen sind, verbale Glanzleistungen nicht geschätzt werden, poröse und ärmliche Intellektualisierung von Problemen entlarvt wird und Kommunikation mit doppeltem Boden fehlt. Kultursoziologen schließlich sind (...) gefesselt (...)." (S. 169f)

Wenn sich eine Kultur wie die heutige westliche für Zynismus entscheidet, erhält sie halt auch Zynismus. Aus einem modernen naturalistischen Weltbild folgt eine solche Haltung meiner Meinung nach ganz und gar nicht zwangsläufig.

Mittwoch, 21. März 2007

Amish-People - nur noch 5 Prozent "Abtrünnige"

Zu den bigottesten, christlich-konservativen Gruppierungen in Nordamerika gehören die Amish-People (in den USA) und die Hutterer (in Kanada). Es ist aber nicht ihre stock-konservative chistliche Bigotterie, die diese religiösen Gruppierungen schon seit vielen Jahrzehnten zu intensiv untersuchten Forschungsgegenständen von Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern, Religionssoziologen, Demographen, Humangenetikern, Religionswissenschaftlern, Volkskundlern, Germanisten, Dialektforschern, Anthropologen und so vielen anderen mehr gemacht haben.

Diese Gruppierungen können als einzigartig betrachtet werden, was den evolutionsbiologischen Erfolg ihrer gruppenevolutionären Strategien (GES) in der modernen Welt betrifft. OBWOHL (oder auch: weil?) sie die letzten Minderheiten in Nordamerika darstellen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, sind sie jene Bevölkerungsgruppen in der Welt mit der höchsten Geburtenrate (Hutterer knapp 11 bis 12 Kinder pro Frau, Amische 7 bis 8 Kinder pro Frau). Ihre Populationen verdoppeln sich gegenwärtig etwa alle 15 bis 25 Jahre. Es ist sinnlos, an dieser Stelle auch nur den Versuch eines kurzen Überblicks über all die vielen lehrreichen Aspekte ihres Gemeinschafts-Lebens zu geben, aus denen sich ihren gruppenevolutionären Strategien zusammensetzen. (Wie immer ist für so etwas Wikipedia der erste Anlaufpunkt: hier und hier.)

Als deutscher Leser kann man die Hutterer und ihre gruppenevolutionären Strategien kennenlernen durch das Buch von Michael Holzach "Das vergessene Volk". Michael Holzach, ein später durch Unfall ums Leben gekommener Journalist der "Zeit", lebte in Jahr lang bei den Hutterern und liefert in seinem Buch den - sozusagen - "intimsten" Einblick in das Leben einer solchen Gemeischaft und bringt dabei auch einigermaßen gleichmäßig alle wesentlicheren Aspekte ihres ("kommunistischen") Gemeinschafts-Lebens zur Sprache.

Für die ("privat-wirtschaftlichen") Amischen konnte man bislang ein vergleichbar umfassend beschreibendes Buch ihres Gemeinschaftslebens in deutscher Sprache nicht nennen. Hier mußte derjenige, der wirklich einen guten Überblick gewinnen wollte, zu Standard-Werken in englischer Sprache zurückgreifen. Die Autoren dieser Werke heißen insbesondere John A. Hostetler ("Amish Society") (er ist selbst Nachkomme von Amischen) und neuerdings David B. Kraybill ("The Riddle of Amish Culture" und "Amish Enterprise"). Der letztere Buchtitel handelt von den zunehmend nicht-agrarischen Kleinunternehmen der Amischen, zu denen sie infolge von Landnot gezwungen sind.

Eine der wenigen umfangreicheren deutschsprachigen Darstellungen stammt von Bernd C. Längin ("Die Amischen - Vom Geheimnis des einfachen Lebens"), ein Buch, das zwar sehr verdienstvoll viele wesentliche Aspekte der Amish-Kultur darstellt, insbesondere auch ihre geschichtliche Entstehung und ihren geschichtlichen Werdegang von der Schweiz, dem Elsaß und den Niederlanden ausgehend, das aber vielleicht doch nicht genügend die vielen einzelwissenschaftlichen Anknüpfungspunkte aufzuzeigen in der Lage ist wie die bisher schon genannte Literatur.

Im deutschen Sprachraum hat sich dieser Umstand nun geändert durch die ins Deutsche übersetzte Veröffentlichung des niederländischen Kultursoziologen Peter Ester "Die Amish-People - Überlebenskünstler in der modernen Gesellschaft" (2005). Auch Religionswissenschaftler Michael Blume zeigte sich in seiner Amazon-Rezension (siehe dort) hochgradig angetan von diesem Buch. Da es aufgrund umfassender Kenntnis der modernsten Forschungsliteratur und zugleich aufgrund von zahlreichen Interviews in Pennsylvannia vor Ort erarbeitet ist, kann es als eine hervorragende Ausgangsbasis dienen, um sich mit dem Gemeinschaftsleben der Amish-People vertraut zu machen.

Als neue Tatsachen (für jemanden, der die ältere Literatur schon kennt) nennt er zum Beispiel den Umstand, daß heute nicht mehr 20 Prozent der nachwachsenden Jugendlichen der Amischen von ihrer Gemeinschaft "abfallen", sondern nur noch fünf, höchstens 10 Prozent! (S. 62 - 63) Das hat natürlich auch Folgen für ihre Demographie. Bislang hatte immer gegolten, daß die Hutterer kaum Mitglieder kennen, die "abtrünnig" werden, daß aber die neuesten Entwicklungen bei den Amischen zu einer ähnlichen Situation führen, kann als überraschend bezeichnet werden. Sollte man nicht in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft genau das Gegenteil erwarten?

Die für das Gemeinschafts-Leben als bedrohlich empfundenen Kontakte zur andersartigen Außenwelt und die Überlebensprobleme der Amischen als Gruppe sind ja nicht geringer geworden, wie Ester auch gut herausarbeitet. Aber der Laienprediger und Gemeindevorsteher "Levi Miller erklärt mir diese sinkende Tendenz" (zum Abfällig-Werden) "mit dem Hinweis auf die flexiblere Politik der" (amischen) "Kirche im Vergleich zu früher, auf die Tatsache, daß zahlreiche technische Neuerungen inzwischen erlaubt sind und daß sich die Amish einen positiven Platz in der öffentlichen Meinung erobert haben." (S. 62)

Offenbar trägt der Umstand, daß die Amischen inzwischen zu einer bevorzugten Touristen-Attraktion in den USA avanciert sind - und ihre Bigotterie von der Öffentlichkeit demgegenüber inzwischen viel weniger beachtet und bewertet wird - auch zu einem zum Teil entspannteren Verhältnis der Amischen zu sich selbst bei. Dieser Umstand ist sicherlich bedeutsam.

Ester zitiert eine Studie von 1988, in der auch der Intelligenz-Quotient der Amish-Kinder gemessen worden ist. (S. 95) "Smucker stellte in seiner Studie fest, daß (ältere) Amish-Kinder (...) im Durchschnitt einen niedrigeren Intelligenzquotienten haben". In der Anmerkung fügt Ester hinzu: "Die IQ-Werte von Amish-Kindern lagen jedoch nur leicht unter dem nationalen Durchschnitt." - Sollte es bei den gruppenevolutionären Selektionsprozessen, die zu der heutigen Old-Order-Amish-Population geführt haben, Mechanismen gegeben haben, die leicht gegen überdurchschnittlichen IQ selektierten?

Man könnte sich vorstellen, daß zu den früheren 20 Prozent "Abgefallenen" häufig auch überdurchschnittlich Intelligente zählten. - Aber das ist natürlich nur eine Hypothese. Natürlich könnten die Mechanismen auch schon vor 400 Jahren in der Schweiz wirksam gewesen sein.

Noch eine hübsche Stelle (S. 149), in der von einer Amish-Familie folgendes berichtet wird: "... Benjamin Hostetler (...): 'Ich habe meinen drei Söhnen geraten, Lancaster County zu verlassen und an einem anderen Ort als Bauer anzufangen. In Kentucky sind die Bodenpreise fünfmal niedriger als hier. Es ist für junge Amish-Familien fast unmöglich geworden, in Lancaster einen bezahlbaren Bauernhof zu finden.' Seine Frau, Barbara, sagt halb im Scherz: 'Vielleicht sollen die Amish zurück nach Deutschland emigrieren.' " - Ob der Eindruck hier richtig wiedergegeben worden ist? War hier wirklich nur halb im Scherz von solchen Erwägungen die Rede? Dann hätte Deutschland künftig (zumindest) mit einer neuen Touristen-Attraktion aufzuwarten ... Aber die Amischen werden schon ihre Gründe gehabt haben, als sie vor 300 Jahren Mitteleuropa verließen. Ob sich an denen so viel verändert hat?

Der Unterschied zu der englischen Muttersprache der umgebenden Bevölkerung scheint doch wichtig gewesen zu sein für die gruppenevolutionären Strategien und ihre Aufrecht-Erhaltung. Alle deutschsprachigen Amisch-Gemeinden, die nicht nach Nordamerika ausgewandert sind, sind jedenfalls in Mitteleuropa längst in der übrigen Umgebung aufgegangen.